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Schweigler, Thomas - Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen

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<strong>Katholische</strong> <strong>Hochschule</strong> <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong><br />

Catholic University of Applied Sciences<br />

- Abteilung Köln -<br />

Masterstudiengang (M. Sc.)<br />

Master of Science in Addiction Prevention and Treatment<br />

Entwicklung eines integrativen Therapiekonzeptes für junge<br />

Menschen mit seelischen Behinderungen und komorbiden<br />

Suchtstörungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der<br />

Eingliederungshilfe; Evaluation des Konzeptes durch Experten<br />

Masterarbeit Studiengang „Master- Suchthilfe“<br />

vorgelegt von<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Schweigler</strong><br />

Stellmacher Str. 8a<br />

D- 38518 Gifhorn<br />

Matrikelnummer: 277173<br />

Erstprüfer:<br />

Zweitprüfer:<br />

Herr Diplom-Theologe, Diplom-Sozialarbeiter<br />

Wolfgang Scheiblich<br />

Herr Prof. Dr. med., M.A. Wolfgang Schwarzer<br />

Gifhorn, Dezember 2012


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einleitung und Überblick 1<br />

2 Die rechtlichen Rahmenbedingungen suchttherapeutischer<br />

Handlungsansätze für junge Menschen mit seelischen<br />

Behinderungen und komorbiden Suchtstörungen in<br />

stationären Jugendhilfeeinrichtungen der Eingliederungshilfe 7<br />

2.1 Inkludierte und exkludierte therapeutische Leistungen im<br />

Rahmen der Eingliederungshilfe nach<br />

§35a in Verbindung mit §§40, 41 SGB VIII 7<br />

2.1.1 Die Bedeutung des SGB IX für das SGB VIII 7<br />

2.1.2 Wichtige allgemeine Normierungen des SGB IX zur Rehabilitation<br />

und Eingliederung behinderter Menschen 8<br />

2.1.3 Bedeutung und Tragweite des §41 SGB VIII 10<br />

2.1.4 Die Anspruchsvoraussetzungen des §35a SGB VIII 11<br />

2.1.5 Die Ziele der Eingliederungshilfe 13<br />

2.1.6 Die Leistungen der Eingliederungshilfe 14<br />

2.1.7 Die Krankenhilfe nach §40 SGB VIII als ergänzende Vorschrift 16<br />

2.1.8 Das Verhältnis der öffentlichen Jugendhilfe zur<br />

Leistungspflicht Anderer 17<br />

2.2 Diskussion: Der Umfang suchttherapeutischer Leistungen<br />

und der Leistungen der Eingliederungshilfe 17<br />

2.3 Überblick über die Zuständigkeiten für Leistungserbringungen,<br />

Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />

aus der Diskussion 22<br />

3 Der Stand der Forschung zu den Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter, den psychiatrischen Komorbiditäten, der<br />

Salutogenese und den suchttherapeutischen Handlungsansätzen 25<br />

3.1 Begriffe, Definitionen und Eingrenzungen 25<br />

3.1.1 Abhängigkeitssyndrom und Substanzabhängigkeit, schädlicher<br />

Substanzgebrauch und missbräuchlicher Substanzkonsum 25<br />

3.1.2 Kritik an den Definitionen von Abhängigkeit, schädlichem Gebrauch<br />

und missbräuchlichem Konsum in Bezug auf den jugendlichen<br />

Substanzkonsum 27


3.1.3 Zusammenfassung der Kriterien für problematischen jugendlichen<br />

Substanzkonsum 29<br />

3.1.4 Suchtstörungs- Begriff 30<br />

3.1.5 Komorbiditäts- Begriff 30<br />

3.1.6 Resilienz- Begriff 30<br />

3.1.7 Eingrenzungen 31<br />

3.2 Epidemiologie: Zahlen und Fakten zu den Suchtstörungen<br />

junger Menschen in Deutschland; ein Überblick 31<br />

3.2.1 Alkohol 31<br />

3.2.2 Tabak 32<br />

3.2.3 Cannabis 33<br />

3.3 Ätiopathogenese; biopsychosoziales Modell 35<br />

3.3.1 Überbehütung als ein Prädiktor für die Entwicklung von<br />

Suchtstörungen 35<br />

3.3.2 Alleingang und übermäßiges Unabhängigkeitsstreben als Risikofaktor 35<br />

3.3.3 Risikofaktor „prämorbide Persönlichkeit“ 36<br />

3.3.4 Unsichere Bindung 37<br />

3.3.5 Ungünstige Erziehungsstile 39<br />

3.3.6 Gestörte Interaktionen im Familiensystem 40<br />

3.3.7 Alleinerziehende Eltern und der Ausfall männlicher Identifikationsfiguren<br />

als Risikofaktoren 42<br />

3.3.8 Drogenkonsum und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben 43<br />

3.3.9 Risikofaktor ungünstige männliche und weibliche Rollenzuschreibungen 43<br />

3.3.10 Riskante Kognitionen und Konditionierungsprozesse 44<br />

3.3.11 Traumata, Autodestruktion und Selbstmedikation 44<br />

3.3.12 Fehleinschätzungen in der Risikowahrnehmung 45<br />

3.3.13 Intrapsychische Risikofaktoren 45<br />

3.3.14 Die Bedeutung von Bezugsgruppen 47


3.3.15 Soziale und gesellschaftliche Risikofaktoren 48<br />

3.3.16 Weitere Risikogruppen und Belastungsfaktoren 48<br />

3.3.17 Spezielle Risikofaktoren in Bezug auf tabak-, alkohol- und<br />

cannabisbezogene Suchtstörungen 50<br />

3.4 Prämorbide Aspekte des jugendlichen Tabak-, Alkoholund<br />

Cannabiskonsums 51<br />

3.5 Psychiatrische Komorbiditäten 51<br />

3.5.1 Epidemiologie 52<br />

3.5.1.1 ADHS 53<br />

3.5.1.2 Störungen des Sozialverhaltens 54<br />

3.5.1.3 Aggressive Verhaltensstörungen und Delinquenz 54<br />

3.5.1.4 Angststörungen 55<br />

3.5.1.5 Depressive Störungen 55<br />

3.5.1.6 Psychosen 55<br />

3.5.2 Ätiopathogenese der Komorbiditäten im Einzelnen 56<br />

3.5.2.1 Jugendliche Suchtstörungen und psychische Störungen<br />

im Kontext suchtbelasteter Elternhäuser 57<br />

3.5.2.2 ADHS und jugendliche Suchtstörungen 57<br />

3.5.2.3 Störungen des Sozialverhaltens und jugendliche Suchtstörungen 58<br />

3.5.2.4 Aggressive Verhaltensstörungen, Delinquenz und<br />

jugendliche Suchtstörungen 59<br />

3.5.2.5 Impulskontrollstörungen und jugendliche Suchtstörungen 60<br />

3.5.2.6 Angststörungen und jugendliche Suchtstörungen 60<br />

3.5.2.7 Depressivität und jugendliche Suchtstörungen 61<br />

3.5.2.8 Psychosen und jugendliche Suchtstörungen 62<br />

3.5.2.9 Traumata und jugendliche Suchtstörungen 62<br />

3.5.3 Spezielle psychiatrische Komorbiditäten im Zusammenhang mit<br />

Suchtstörungen durch Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum 63<br />

3.5.3.1 Tabakbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten 63


3.5.3.2 Alkoholbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten 64<br />

3.5.3.3 Cannabisbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten 65<br />

3.6 Salutogenese; protektive Faktoren und Resilienzen 66<br />

3.6.1 Protektive Faktoren 67<br />

3.6.2 Resilienzen 70<br />

3.7 Der Stand der Forschung zu den suchttherapeutischen<br />

Handlungsansätzen für die Zielklientel 70<br />

3.7.1 Explizite suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen in der<br />

Forschungsliteratur 71<br />

3.7.1.1 Strategien und Empfehlungen zur Gruppentherapie und zur<br />

therapeutischen Gemeinschaft 71<br />

3.7.1.2 Strategien und Empfehlungen zur Eltern-, Familien- und<br />

Angehörigenarbeit 73<br />

3.7.1.3 Strategien und Empfehlungen zu Elternselbsthilfegruppen und zur<br />

Netzwerkarbeit 76<br />

3.7.1.4 Strategien und Empfehlungen zur Gestaltung der<br />

therapeutischen Beziehung und zu den Inhalten von Therapie 77<br />

3.7.1.5 Strategien und Empfehlungen bezüglich der Therapie von Suchtund<br />

psychischen Störungen, insbes. von komorbiden Psychosen 88<br />

3.7.1.6 Ziele der Therapie 90<br />

3.7.2 Implizite suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen in der<br />

Forschungsliteratur 91<br />

4 Der konzeptionelle Weiterentwicklungsbedarf für die Zielgruppe;<br />

Integratives Konzept einer vollstationären pädagogischtherapeutischen<br />

Wohneinrichtung für junge Menschen mit<br />

seelischen Behinderungen im Sinne der §§35a, 41 SGB VIII und<br />

komorbiden Suchtstörungen im Rahmen der Kinder- und<br />

Jugendhilfe 93<br />

4.1 Der Rahmen der Leistungserbringung 93<br />

4.2 Das integrative Behandlungskonzept 94<br />

4.2.1 Rahmenbedingungen 94<br />

4.2.1.1 Fachliche Ausrichtung der Wohngruppe und<br />

therapeutische Grundhaltung 94


4.2.1.2 Zielgruppe und rechtliche Grundlagen 95<br />

4.2.1.3 Aufnahmevoraussetzungen und Kriterien für eine vorzeitige<br />

Beendigung der Jugendhilfemaßnahme 95<br />

4.2.1.4 Aufnahmephase 96<br />

4.2.1.5 Krisen- und Rückfallmanagement 96<br />

4.2.1.6 Ablösungsphase 97<br />

4.2.2 Definition der grundsätzlichen pädagogischen<br />

und therapeutischen Ziele 98<br />

4.2.3 Arbeitstherapeutisches Angebot, Beschulungs- und Arbeitsperspektive 99<br />

4.2.4 Training lebenspraktischer Fähigkeiten und Verselbständigung<br />

durch individuelle Förderung und Alltagsbegleitung 100<br />

4.2.5 Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft 101<br />

4.2.6 Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes; Familienund<br />

Angehörigenarbeit, Angehörigenseminare 101<br />

4.2.7 Physische Aktivierung durch Sport und Bewegung 103<br />

4.2.8 Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung;<br />

Erreichung zufriedener Abstinenz 103<br />

4.2.8.1 Einzeltherapie; Einzelgespräche 104<br />

4.2.8.2 Gruppentherapie; indikative Gruppen 105<br />

4.2.8.3 Eltern- und Angehörigenselbsthilfe 107<br />

4.2.8.4 Selbsthilfegruppenbesuch 107<br />

4.2.8.5 Abendrunde 108<br />

4.2.9 Das psychologische Therapieangebot 108<br />

4.2.10 Das externe kinder- und jugendpsychiatrische- und<br />

psychotherapeutische Angebot 108<br />

4.3 Struktur des therapeutischen Leistungsbereichs 109<br />

4.3.1 Grundleistungen 109<br />

4.3.1.1 Räumliche Gegebenheiten/ Lage 109<br />

4.3.1.2 Personelle Ausstattung, Teamgespräche und Supervisionen 109<br />

4.3.1.3 Inhalte der gruppenübergreifenden Leistungen 110


4.3.2 Sonderleistungen 110<br />

4.3.2.1 Sonderaufwendungen im Einzelfall gemäß §5 Absatz 1<br />

des Rahmenvertrages 110<br />

4.3.2.2 Individuelle Sonderleistungen gemäß §6 des Rahmenvertrages 111<br />

4.4 Leitung, Verwaltung, Trägerschaft, Spitzenverband 111<br />

4.5 Qualitätskonzept 111<br />

4.5.1 Eingangsqualität 111<br />

4.5.2 Strukturqualität 112<br />

4.5.3 Prozessqualität 112<br />

4.5.4 Ergebnisqualität 112<br />

4.5.5 Übergreifend zusammengefasste Qualitätsmerkmale 113<br />

5 Methodologie; Vorstellung und Auswahl der Forschungsmethoden,<br />

Begründung der Methodenwahl für die Konzeptevaluation 114<br />

5.1 Quantitative und qualitative Sozialforschung 114<br />

5.2 Wahl der geeigneten empirischen Forschungsmethode für die<br />

Konzeptevaluation; Entscheidung für qualitative Forschungsmethoden 116<br />

5.3 Theorien, Themenfelder und Methoden qualitativer Sozialforschung 116<br />

5.4 Wahl der geeigneten qualitativen Forschungsmethode für die<br />

Konzeptevaluation; Entscheidung für die qualitative<br />

Evaluationsforschung 118<br />

5.5 Merkmale qualitativer Evaluationsforschung 118<br />

5.6 Methoden qualitativer Evaluationsforschung 119<br />

5.7 Wahl der geeigneten Methode qualitativer Evaluationsforschung<br />

für die Konzeptevaluation; Entscheidung für qualitative<br />

Interviewmethoden 119<br />

5.8 Qualitative Interviews 119<br />

5.8.1 Struktur- oder Dilemma- Interviews 119<br />

5.8.2 Klinische Interviews 119<br />

5.8.3 Biographische Interviews 119


5.8.4 Fokussierte Interviews 120<br />

5.8.5 Narrative Interviews 120<br />

5.8.6 Experteninterviews 120<br />

5.9 Wahl der geeigneten qualitativen Interview- Methode für die<br />

Konzeptevaluation; Entscheidung für das Experteninterview 122<br />

5.10 Festlegung des Expertenbegriffs, Kriterien für die Expertenauswahl,<br />

Triangulation 122<br />

5.11 Gruppeninterviews und Einzelinterviews; Entscheidung für<br />

Einzelinterviews 123<br />

5.12 Der Standardisierungsgrad des Interviews; Entscheidung für das<br />

Leitfadeninterview 123<br />

5.13 Der Interviewleitfaden 124<br />

5.14 Quantitative und qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren;<br />

Entscheidung für die qualitative Inhaltsanalyse 125<br />

5.15 Techniken qualitativer Inhaltsanalyse: Kategorienbildung und<br />

Interpretationsformen; Entscheidung für die Zusammenfassung<br />

und die inhaltliche Strukturierung als geeignete Interpretationsformen 126<br />

6 Die Konzeptevaluation; Forschungsfragen und Gestaltung des<br />

Interviewleitfadens, Auswahl der Experten, Interviewdurchführung,<br />

Interviewauswertung, Darstellung der Ergebnisse und<br />

Beantwortung der Forschungsfragen 128<br />

6.1 Forschungsfragen und Gestaltung des Interviewleitfadens 128<br />

6.2 Auswahl der Experten 129<br />

6.3 Interviewdurchführung 130<br />

6.4 Interviewauswertung 131<br />

6.5 Ergebnisdarstellung 132<br />

6.5.1 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des<br />

allgemeinen Fragenteils 133<br />

6.5.2 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des<br />

speziellen Fragenteils 134<br />

6.5.3 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des<br />

abschließenden Fragenteils 150


6.6 Beantwortung der Forschungsfragen 152<br />

6.6.1 Geeignetheit des Konzeptes 152<br />

6.6.2 Umsetzbarkeit des Konzeptes 155<br />

6.6.3 Nutzen des Konzeptes 160<br />

7 Diskussion 168<br />

7.1 Diskussion des Nutzens der Therapiemodule für<br />

die Zielklientel 168<br />

7.2 Diskussion der Geeignetheit und Umsetzbarkeit des Konzeptes<br />

und seiner therapeutischen Module im Kontext<br />

stationärer Jugendhilfepraxis 168<br />

7.2.1 Diskussion der Geeignetheit des Konzeptes und seiner<br />

therapeutischen Module 168<br />

7.2.2 Diskussion der Umsetzbarkeit des Konzeptes und seiner<br />

therapeutischen Module 173<br />

8 Ausblick 184<br />

9 Zusammenfassung 185<br />

10 Literaturverzeichnis 186<br />

11 Anhang 198<br />

Anhang 1 Therapiekonzept 198<br />

Anhang 2 Interviewleitfaden 218<br />

Anhang 3 Einverständniserklärung 221<br />

Anhang 4 Kategorienschema; Rohform 222<br />

Anhang 5<br />

Kategorienschema; zusammengefasste<br />

Interviewinhalte 225<br />

Anhang 6 Musterexemplar Wochenplan 252<br />

12 Erklärung des Autors 254


Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1 Geeignetheit des Konzeptes 153<br />

Tabelle 2 Umsetzbarkeit des Konzeptes 156<br />

Tabelle 3 Nutzen des Konzeptes 161


1 Einleitung und Überblick<br />

Mehr als 10 Jahre leitete ich eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung („WG Aufwind“,<br />

Teileinrichtung der „Kinderheimat Gifhorn“) für insgesamt acht männliche und<br />

weibliche Jugendliche/ junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen auf der<br />

Rechtsgrundlage der §§35a, 41 SGB VIII. Juristisch exakt definiert handelte es sich<br />

um eine „Einrichtung über Tag und Nacht“ (§35a Absatz 2, Ziffer 4 SGB VIII), in der<br />

„Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche“, sowie „Hilfen<br />

für junge Volljährige“ erbracht werden. Die Arbeit erfolgte in einem multiprofessionellen<br />

Team gemeinsam mit fünf weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />

die unterschiedliche therapeutische, pädagogische und handwerkliche Qualifikationen<br />

in die Arbeit einbringen.<br />

In einem sechswöchigen Intervall wird das pädagogische und therapeutische Team<br />

von einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie fachlich<br />

supervidiert. In einem ebenfalls sechswöchigen Intervall erfolgen durch eine<br />

systemische Psychotherapeutin, die zugleich auch Diplomsupervisorin, Traumatherapeutin,<br />

Lehrsupervisorin und Lehrbeauftragte an der Universität Hannover ist,<br />

Teamsupervision und bei Bedarf Einzelsupervision zur Bearbeitung von Konflikten im<br />

Team, sowie zur beruflichen Selbsterfahrung und Selbstreflexion.<br />

Die pädagogischen und therapeutischen Dienstleistungen werden in enger<br />

Zusammenarbeit mit Psychologinnen/ Psychologen, einer niedergelassenen<br />

Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, deren sozialpsychiatrisch ausgerichtete<br />

Praxis über ein Team von Therapeutinnen und Therapeuten für spezifische kinderund<br />

jugendpsychotherapeutische Verfahren verfügt, zuweisenden Jugendämtern und<br />

dem regional für die psychiatrische Akutversorgung zuständigen Landeskrankenhaus<br />

in Königslutter erbracht. Weiterhin gibt es enge Kooperationen mit den örtlich<br />

zuständigen Regelschulen und berufsbildenden Schulen, den regionalen Förderschulen<br />

des Landkreises, der Bundesagentur für Arbeit, dort insbesondere mit der<br />

Abteilung für Arbeitsrehabilitation, der Landesschulbehörde, dem Jugendgericht und<br />

der Jugendgerichtshilfe des Landkreises, dem städtischen Gesundheitsamt, sowie<br />

mit einem städtischen Vereinssportanbieter und Selbsthilfegruppen.<br />

Ziel der Arbeit mit den psychisch erkrankten jungen Menschen ist es, ihnen die<br />

Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in einem recht umfassenden Sinne (wieder)<br />

zu ermöglichen. Die Eingliederungshilfen, die zur Erreichung dieses Zieles erbracht<br />

werden, erfolgen im Überschneidungsbereich von:<br />

- psychiatrischer Nachsorge im Anschluss an stationäre kinder- und jugendpsychiatrische<br />

Klinikaufenthalte,<br />

- arbeitsrehabilitativen Maßnahmen im Rahmen einer hausinternen Arbeits- und<br />

Beschäftigungstherapie, die für akut nicht beschulbare bzw. nicht ausbildungsfähige<br />

junge Menschen erbracht werden, um diese auf Arbeits-<br />

Rehabilitationsangebote durch die Bundesagentur für Arbeit vorzubereiten<br />

(die Feststellung, ob ein junger Mensch akut nicht beschulbar, bzw. nicht<br />

ausbildungsfähig ist, erfolgt im Zusammenwirken von Psychiatern, Schulbehörden<br />

und Schulleitungen, Jugendämtern und Arbeitsberatern der BA für<br />

Arbeit),<br />

- konkreten Teilhabeangeboten, vor allen Dingen durch Unterstützung und<br />

Förderung in Schul-, Ausbildungs- und Berufs- bzw. Erwerbsangelegenheiten,<br />

sowie in sozialen, kulturellen und Freizeitaktivitäten und von<br />

- „klassischen“ stationären Jugendhilfeangeboten, die entweder auf eine<br />

Reintegration des jungen Menschen in seine Familie, oder auf eine lebenspraktische<br />

Verselbständigung abzielen.<br />

- 1 -


In den ersten Jahren der therapeutischen Arbeit deuteten wir gelegentlich auftretende<br />

komorbide Suchtstörungen bei den psychisch erkrankten jungen Menschen, die vor<br />

allem in Form eines Missbrauchs bzw. schädlichen Gebrauchs legaler und illegaler<br />

psychotroper Substanzen, namentlich von Tabak, Alkohol und Cannabis, erfolgten,<br />

als subsidiäre Begleitstörungen zu den gegebenen psychischen Erkrankungen. Sie<br />

waren eher Ausnahmeerscheinungen, nicht die Regel. Die psychischen<br />

Krankheitsbilder, die die jungen Menschen boten, interpretierten wir als „Primärstörungen“,<br />

denen die ganze pädagogische und therapeutische Aufmerksamkeit und<br />

Zuwendung galt. Die substanzspezifischen Probleme, die die Jugendlichen auch<br />

mitbrachten, wurden hingegen eher vernachlässigt. Im Laufe der Jahre fiel eine<br />

stetige Zunahme komorbider Suchtstörungen bei der jungendlichen Klientel auf. Die<br />

Häufigkeit der Befunde änderte sich. Komorbide Suchtstörungen wurden bei der<br />

Zielklientel die Regel und waren nicht länger die Ausnahme. Hierauf waren wir im<br />

therapeutischen Team nicht ausreichend vorbereitet.<br />

Auf der Suche nach angemessenen therapeutischen Antworten auf die sich<br />

verändernden Gegebenheiten wurde zunächst die Hypothese der Subsidiarität der<br />

Suchtstörungen gegenüber psychischen Krankheitsbildern auf den Prüfstand gestellt.<br />

Die so verführerische, da vereinfachende, lineare Sicht der Dinge, dass im Einzelfall<br />

jeweils die psychische Erkrankung Ursache bzw. Primärstörung und die komorbide<br />

Substanzkonsumproblematik hierzu sekundäre Störung sei, erwies sich als nicht<br />

haltbar. So konnte in den letzten Jahren zunehmend bei Jugendlichen mit<br />

Psychoseerkrankungen vorgeschichtlich vor der Erstmanifestation klinischer<br />

Psychosesymptome exzessiver Cannabiskonsum exploriert werden.<br />

Dies schien darauf hin zu deuten, dass die substanzkonsumbezogene Dynamik<br />

Primärstörung und die zeitlich nachfolgende psychische Erkrankung eine Folgestörung<br />

hierzu war.<br />

Die Unterstellung kausaler Zusammenhänge und damit verbundene Vor- und<br />

Nachrangigkeiten werden jedoch weder der jeweiligen Eigendynamik, noch den<br />

interagierenden Wechselwirkungen beider Störungskomplexe gerecht.<br />

Im Ergebnis des Suchprozesses, eine angemessene therapeutische Haltung und<br />

neue Arbeitshypothesen zu den sich verändernden Befunden zu entwickeln,<br />

etablierte sich im Team die Sichtweise, psychische Erkrankungen und den Konsum<br />

psychotroper Substanzen, so sie denn komorbid auftreten, als zirkuläre, sich<br />

wechselseitig beeinflussende Störungen zu verstehen. Sie haben eine teilweise<br />

gemeinsame Genese, interagieren miteinander und verstärken bzw. stabilisieren sich<br />

in der Regel wechselseitig. Ein kausales Ursache- Wirkungs- Schema, abgeleitet aus<br />

der Fragestellung, welche Störung zeitlich „zuerst“ auftrat, sowie Hypothesenbildungen<br />

zur „Vorrangigkeit“ bzw. „Nachrangigkeit“ einzelner Störungen zueinander<br />

wurde verworfen.<br />

Im Folgenden werden mit dem Begriff „Zielklientel“ junge Menschen erfasst, die<br />

psychisch erkrankt sind, bei denen eine psychiatrische Diagnose nach der ICD 10,<br />

sowie komorbid Störungen durch psychotrope Substanzen vorliegen und die sich<br />

aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in stationären Einrichtungen der<br />

Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII befinden.<br />

- 2 -


Die ICD 10 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt und ist Teil<br />

der Familie der internationalen gesundheitsrelevanten Klassifikationen. Das Kürzel<br />

steht für “International Statistical Classification of Diseases and Related Health<br />

Problems” in der 10. Revision dieser Klassifikation. In der vorliegenden Arbeit wird die<br />

ICD 10 GM Version 2010 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten<br />

und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision German Modification) zu Grunde<br />

gelegt.<br />

Im Rückblick erscheint es nicht verwunderlich, dass im therapeutischen Team<br />

jahrelang eine von Vorrangigkeiten und Nachrangigkeiten geprägte Denkweise in<br />

Bezug auf komorbid gegebene Störungsbilder vorherrschte. Eine solche Sicht auf<br />

Störungsbilder mit Krankheitswert ist typisch für Leistungsträger und Leistungserbringer,<br />

die auf der Grundlage der Sozialgesetzgebung arbeiten.<br />

Leistungsträger prüfen nämlich in aller Regel zunächst, ob sie für die Finanzierung<br />

einer konkreten Maßnahme überhaupt zuständig sind. So kann es im Jugendhilfebereich<br />

etwa vorkommen, dass ein junger Mensch, der auf Grund einer<br />

seelischen Behinderung Eingliederungshilfen im Sinne des §35a SGB VIII bräuchte,<br />

diese nicht erhält, da bei ihm neben einer bereits fachärztlich diagnostizierten<br />

psychischen Erkrankung auch eine geistige Behinderung vorliegt. Hier wird das<br />

Jugendamt als Leistungsträger für Leistungen nach dem SGB VIII zunächst<br />

überprüfen, ob vorrangig eine seelische, oder eine geistige Behinderung gegeben ist.<br />

Kommt es zu dem Schluss, dass die geistige Behinderung vorrangig sei, wird es sich<br />

für nicht zuständig bzw. für nicht leistungsverpflichtet erklären und den Fall in die<br />

Leistungszuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe abzugeben versuchen. Es bestünden<br />

in diesem Fall dann ggf. Leistungsverpflichtungen nach dem SGB XII. Der Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe, das Jugendamt, sieht sich in solchen Fällen meist nicht<br />

in der Pflicht und der Verantwortung, zuständiger Rehabilitationsträger zu sein.<br />

Jedoch fehlen zumeist objektive Kriterien darüber, wann eine der „Behinderungen“<br />

als vorrangig oder nachrangig anzusehen ist.<br />

Dies hat zur Folge, dass auf der rechtlichen Ebene Streitigkeiten darüber geführt<br />

werden können, welcher Leistungsträger für den in Streit stehenden konkreten<br />

Einzelfall zuständig ist. Außerdem geht es dann auch um unterschiedliche<br />

Rechtsgrundlagen aus verschiedenen Sozialgesetzbüchern, die die jeweiligen<br />

Leistungsverpflichtungen bzw. Anspruchsberechtigungen begründen. Die Folge<br />

hieraus ist in der Praxis nicht selten, dass während der Auseinandersetzungen dem<br />

Anspruchsberechtigten rechtswidriger Weise überhaupt keine Leistungen erbracht<br />

werden; vgl. dagegen die Regelung des § 14 SGB IX, „Zuständigkeitsklärung“, die<br />

vorsieht, dass in der Regel eine Leistungsträger- Zuständigkeit binnen einer Frist von<br />

zwei Wochen festgestellt werden muss.<br />

Auf der tatsächlichen Ebene stehen unterschiedliche Geld-, Sach-, therapeutischeund<br />

sonstige Leistungen zur Disposition.<br />

Eine von Vorrangigkeiten und Nachrangigkeiten geprägte Sicht auf gegebene<br />

Komorbiditäten ist also nicht untypisch für Leistungserbringer, die auf der Grundlage<br />

der Sozialgesetzgebung tätig werden. Oft begründet eine solche Sicht erst<br />

Zuständigkeiten und aktiviert bzw. inhibiert damit das jeweilige Hilfe- und<br />

Helfersystem.<br />

- 3 -


Nachdem wir uns im therapeutischen Team von einem Verständnis der Vorrangigkeit<br />

und Nachrangigkeit komorbider psychischer- und Suchtstörungen verabschiedet<br />

hatten, begann eine Suche nach integrativen Behandlungskonzepten in der Jugendhilfelandschaft,<br />

die sowohl Hilfen für psychische Erkrankungen, als auch spezifisch<br />

suchttherapeutische Ansätze miteinander verzahnen. Die Befunde waren<br />

ernüchternd: Integrative Konzepte im Jugendhilfebereich für stationär untergebrachte<br />

Jugendliche mit psychischen Erkrankungen und komorbiden Suchtstörungen sind<br />

kaum zu finden. Die Hilfelandschaft wird dominiert von einem Entweder-oder-Denken:<br />

Entweder werden im stationären Jugendhilferahmen Hilfen für psychisch kranke<br />

Jugendliche, oder für missbräuchlich bzw. abhängig Substanzen konsumierende<br />

junge Menschen angeboten. Das gleichzeitige Vorliegen der jeweils „anderen“<br />

Störung gilt in der Regel als Ausschlusskriterium für eine Aufnahme.<br />

Ausnahmen hiervon sind wenige Pilotprojekte mit Modellcharakter, z.B. das CJD<br />

Jugenddorf Wolfstein, das Auxilium Hamm der Malteser Werke, oder die<br />

Jugendsuchttherapie („JUST“) in Ravensburg, ein Ableger der ZfP Südwürttemberg<br />

(Zentren für Psychiatrie in Bad Schussenried, Weissenau und Zwiefalten).<br />

Es war daher für mich konsequent, mich zunächst fachlich im Rahmen des<br />

berufsbegleitenden Masterstudiengangs Suchthilfe an der KFH in Köln fortzubilden,<br />

um in Bezug auf komorbide Suchtstörungen psychisch erkrankter Jugendlicher<br />

qualifiziert „mitreden und mithandeln“ zu können.<br />

Aber auch im Rahmen des Studiengangs war die Bestandsaufnahme eher<br />

ernüchternd: Die „klassische“ Zielgruppe für stationäre suchttherapeutische Interventionen<br />

bzw. für eine Entwöhnungsbehandlung ist älter als Vierzig. Rückfragen bei<br />

Dozentinnen und Dozenten des Studiengangs ergaben, dass Jugendliche als eine für<br />

suchttherapeutische Bemühungen sehr schwierig zu erreichende Zielgruppe<br />

angesehen werden. In erhöhtem Maße gilt dies, wenn Jugendliche auch noch<br />

psychisch krank sind. Junge Menschen sind klassischer Weise eher Adressaten<br />

suchtpräventiver Maßnahmen, die es natürlich in großer Zahl gibt.<br />

Umsetzbare, spezifisch suchttherapeutische Handlungskonzepte habe ich für die<br />

spezielle jugendliche und adoleszente, psychisch erkrankte Zielklientel mit<br />

komorbiden Suchtstörungen im Rahmen stationärer Jugendhilfe- Settings auch<br />

während des Studiums nicht an die Hand bekommen.<br />

Der in der stationären Jugendhilfepraxis für die Zielklientel gegebene und wachsende<br />

Bedarf an umsetzbaren und wirksamen suchttherapeutischen Konzepten bzw.<br />

Handlungsansätzen führte deshalb zum Thema dieser Master- Arbeit, der<br />

Erarbeitung eines praxistauglichen Therapiekonzeptes integrativer Hilfen für junge<br />

Menschen mit seelischen Behinderungen und komorbiden Suchtstörungen in<br />

stationären Jugendhilfeeinrichtungen der Eingliederungshilfe. Ziel der Arbeit ist es,<br />

ein praxistaugliches integratives Therapiekonzept zu entwickeln, das den Stand der<br />

Forschung berücksichtigt und aus diesem hergeleitet wird, das von Experten evaluiert<br />

wird und sodann mit den vorgeschlagenen Verbesserungen/ Veränderungen<br />

tatsächlich in der Jugendhilfepraxis implementiert wird.<br />

Im Folgenden ein Überblick:<br />

- 4 -


Die Arbeit ist wie folgt gegliedert:<br />

Im zweiten Kapitel geht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen suchttherapeutischer<br />

Handlungsansätze für die Zielgruppe.<br />

Zunächst wird in Kapitel 2.1 (S. 7ff) dargestellt, welche therapeutischen Leistungen<br />

im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a in Verbindung mit §§40, 41 SGB VIII<br />

inkludiert bzw. exkludiert sind.<br />

Im Kapitel 2.2 (S. 17ff) werden der Umfang suchttherapeutischer Leistungen und der<br />

Umfang der Leistungen der Eingliederungshilfe kritisch diskutiert.<br />

Kapitel 2.3 (S. 22ff) bietet einen Überblick über die Zuständigkeiten für Leistungserbringungen,<br />

fasst die Ergebnisse der Diskussion der Umfänge suchttherapeutischer<br />

Leistungen und der Leistungen der Eingliederungshilfe zusammen und zieht die<br />

Schlussfolgerungen hieraus.<br />

Das dritte Kapitel stellt den Stand der Forschung zu den Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter, zu den psychiatrischen Komorbiditäten, zur Salutogenese und zu<br />

den suchttherapeutischen Handlungsansätzen für die Zielklientel vor.<br />

Nach der Klärung von Begriffen, Definitionen und Eingrenzungen (Kapitel 3.1; S.25ff)<br />

werden die Epidemiologie (Kapitel 3.2; S. 31ff) insbesondere von alkohol-, tabak- und<br />

cannabisbezogenen Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter, sowie deren<br />

Ätiopathogenese diskutiert; das biopsychosoziale Modell wird vorgestellt (Kapitel 3.3;<br />

S. 35ff). Dies geschieht unter Einschluss der multiplen Risikofaktoren, die der Entwicklung<br />

und Aufrechterhaltung von Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter<br />

Vorschub leisten.<br />

Prämorbide Aspekte des jugendlichen Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsums<br />

werden im Kapitel 3.4 (S. 51) vorgestellt.<br />

Sodann erfolgt im Kapitel 3.5 (S. 51ff) die Vorstellung und Diskussion der psychiatrischen<br />

Komorbiditäten.<br />

Aspekte der Salutogenese, nämlich protektive Faktoren und Resilienzen, werden im<br />

Kapitel 3.6 (S. 66ff) besprochen.<br />

Kapitel 3.7 (S. 70ff) bietet einen Überblick über die aktuelle Diskussion suchttherapeutischer<br />

Handlungsansätze für die Zielklientel in der Fachliteratur. Es werden<br />

explizite und implizite suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen vorgestellt.<br />

Das vierte Kapitel befasst sich mit dem aus den Befunden in der Fachliteratur<br />

abzuleitenden konzeptionellen Weiterentwicklungsbedarf für die Zielgruppe.<br />

Entwickelt wird ein integratives therapeutisch- pädagogisches Konzept für junge<br />

Menschen mit seelischen Behinderungen im Sinne der §§ 35a, 41 SGB VIII und mit<br />

komorbiden Suchtstörungen im Rahmen stationärer Jugendhilfe.<br />

Zunächst wird im Kapitel 4.1 (S. 93f) der Rahmen der Leistungserbringung<br />

beschrieben.<br />

Sodann ist im Kapitel 4.2 (S. 94ff) das „Herzstück“ der vorliegenden Arbeit zu finden,<br />

nämlich das integrative Therapiekonzept für die Zielgruppe.<br />

- 5 -


Kapitel 4.3 (S. 109ff) erfasst die Struktur des therapeutischen Leistungsbereiches.<br />

Leitung, Verwaltung, Trägerschaft und Spitzenverband werden im Kapitel 4.4 (S.111)<br />

beschrieben, das Qualitätskonzept in Kapitel 4.5 (S. 111ff).<br />

Im fünften Kapitel ist die Methodologie niedergelegt. Empirische Forschungsmethoden<br />

werden vorgestellt und ausgewählt, und es wird die konkrete<br />

Methodenwahl begründet, mit der das Konzept evaluiert werden soll; dazu im<br />

Einzelnen Kapitel 5.1 bis 5.15 (S. 114ff).<br />

Im sechsten Kapitel werden die Vorgehensweise und die Durchführung der Konzeptevaluation<br />

beschrieben.<br />

Zunächst werden die Forschungsfragen und die Gestaltung des Interviewleitfadens<br />

vorgestellt (Kapitel 6.1; S. 128f), sodann die Auswahl der Experten (Kapitel 6.2;<br />

S.129f), die Interviewdurchführung (Kapitel 6.3; S.130f), die Interviewauswertung<br />

(Kapitel 6.4; S. 131f) und die Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 6.5; S. 132ff).<br />

Danach werden in Kapitel 6.6 (S. 152ff) die Forschungsfragen beantwortet.<br />

Im siebten Kapitel, dem Diskussionsteil, wird der Nutzen der einzelnen Therapiemodule<br />

für die Zielklientel diskutiert (Kapitel 7.1; S. 168). Außerdem erfolgt im Kapitel<br />

7.2 (S. 168ff) eine Diskussion der Geeignetheit und Umsetzbarkeit des Konzeptes<br />

und seiner therapeutischen Module im Kontext stationärer Jugendhilfepraxis.<br />

Kapitel 8 (S. 184f) bietet einen Ausblick,<br />

Kapitel 9 (S. 185) die Zusammenfassung.<br />

Literaturverzeichnis und Anhang finden sich in den<br />

Kapiteln 10 und 11 (S. 186ff).<br />

- 6 -


2 Die rechtlichen Rahmenbedingungen suchttherapeutischer Handlungsansätze<br />

für junge Menschen mit seelischen Behinderungen und komorbiden<br />

Suchtstörungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der Eingliederungshilfe<br />

2.1 Inkludierte und exkludierte therapeutische Leistungen im Rahmen der<br />

Eingliederungshilfe nach § 35a in Verbindung mit §§40, 41 SGB VIII<br />

Die §§ 35a, 40 und 41 SGB VIII regeln die „Eingliederungshilfe für seelisch<br />

behinderte Kinder und Jugendliche“ (so der Titel des §35a SGB VIII), die<br />

„Krankenhilfe“ (§40 SGB VIII) als Annexleistung für Leistungsberechtigte nach §35a<br />

SGB VIII, sowie die „Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung“ (§41 SGB VIII). Da<br />

Anspruchsberechtigte für Leistungserbringungen nach den genannten Rechtsnormen<br />

Kinder, Jugendliche und junge Volljährige sind, welche spezifische Qualifizierungsmerkmale<br />

erfüllen müssen („seelische Behinderung“), ist im Folgenden der<br />

Personenkreis „junge Menschen mit seelischen Behinderungen“ als Zielgruppe<br />

definiert. Zur exakten Erfassung des therapeutischen Leistungsumfangs der<br />

Eingliederungshilfe ist es zunächst erforderlich, einige Aussagen zur Gesetzessystematik<br />

insbesondere der SGB IX und SGB VIII zu treffen.<br />

2.1.1 Die Bedeutung des SGB IX für das SGB VIII<br />

Die rechtlichen Grundlagen und Normierungen für alle Träger der Rehabilitation und<br />

deren Rehabilitations- und Eingliederungsleistungen sind in jeweils eigenen<br />

Sozialgesetzbüchern geregelt. Träger der Rehabilitation sind gemäß §6 SGB IX vor<br />

allen Dingen:<br />

o die gesetzlichen Krankenkassen, deren Recht im SGB V geregelt ist;<br />

o die Bundesagentur für Arbeit, deren Recht vor allem im SGB II und<br />

SGB III normiert ist;<br />

o die gesetzlichen Unfallversicherungen, mit dem SGB VII als<br />

Gesetzesgrundlage;<br />

o die gesetzlichen Rentenversicherungen, geregelt im SGB VI;<br />

o die öffentliche Jugendhilfe, die durch das SGB VIII (Kinder- und<br />

Jugendhilfegesetz) normiert wird;<br />

o der Sozialhilfeträger nach dem SGB XII.<br />

Damit das in den einzelnen Sozialgesetzbüchern normierte Rehabilitationsrecht nicht<br />

zu unübersichtlich, fragmentiert und widersprüchlich wird, hat der Gesetzgeber<br />

allgemeine Rechtsprinzipien und Normierungen, die für alle Leistungsträger der<br />

Rehabilitation gleichermaßen gelten sollen, im SGB IX zusammengefasst. Die<br />

Regelungen des SGB IX sind also „vor die Klammer“ der Leistungen der einzelnen<br />

Rehabilitationsträger gezogen (Wiesner 2006, S.537).<br />

Demnach gehen die Rechtsvorschriften des SGB IX denen der Eingliederungshilfe<br />

nach §35a SGB VIII vor, indem sie allgemeine Regelungen treffen, die auch für den<br />

Spezialbereich der Eingliederungshilfe nach §35a SGB VIII Geltung beanspruchen.<br />

- 7 -


Die wichtigsten allgemeinen Normierungen zur Rehabilitation und Eingliederung nach<br />

dem SGB IX werden im Folgenden kurz dargestellt.<br />

2.1.2 Wichtige allgemeine Normierungen des SGB IX zur Rehabilitation und<br />

Eingliederung behinderter Menschen<br />

Alle Rehabilitationsleistungen, die für „behinderte“ Menschen erbracht werden, sind<br />

„Leistungen zur Teilhabe“ (§4 SGB IX).<br />

Der Behindertenbegriff ist definiert als eine Abweichung von dem für das Lebensalter<br />

typischen Zustand der körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen<br />

Gesundheit. Dieser Abweichung ist möglichst in einem frühen Stand der Entwicklung<br />

entgegenzuwirken (Dau et al. 2009). Die Abweichung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

länger als sechs Monate anhalten und zur Folge haben, dass die Teilhabe am<br />

Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt wird (§2 Absatz 1, Satz 1 SGB IX).<br />

Eine „drohende Behinderung“ ist dadurch definiert, dass eine entsprechende<br />

Beeinträchtigung der Teilhabe zu erwarten ist (§2 Absatz 1, Satz 2 SGB IX).<br />

Leistungen zur Teilhabe sind definiert als diejenigen notwendigen Sozialleistungen,<br />

die unabhängig von der Ursache der Behinderung<br />

o die Behinderung abwenden, beseitigen, mindern, ihre Verschlimmerung<br />

verhüten, oder ihre Folgen mildern (§4 Absatz 1, Nummer 1<br />

SGB IX);<br />

o Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit<br />

vermeiden, überwinden, mindern, oder eine Verschlimmerung<br />

verhüten, sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen<br />

vermeiden, oder laufende Sozialleistungen mindern (§4 Absatz 1,<br />

Nummer 2 SGB IX);<br />

o die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und<br />

Fähigkeiten dauerhaft sichern (§4 Absatz 1, Nummer 3 SGB IX);<br />

o die persönliche Entwicklung ganzheitlich fördern und die Teilhabe am<br />

Leben in der Gesellschaft, sowie eine möglichst selbständige und<br />

selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen, oder erleichtern (§4<br />

Absatz 1, Nummer 4 SGB IX).<br />

In der Sozialgesetzgebung gilt grundsätzlich das Prinzip der gegliederten<br />

Organisation, aus dem abgeleitet wird, dass Rehabilitationsleistungen Bestandteil der<br />

einzelnen Sozialleistungsbereiche bleiben.<br />

Die Leistungsträger haben nach §4 Absatz 2, Satz 2 SGB IX ihre Leistungen im<br />

Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalls so<br />

vollständig, umfassend und in gleicher Qualität zu erbringen, dass Leistungen eines<br />

anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.<br />

Nach §4 Absatz 3, Satz 1 SGB IX werden Leistungen für behinderte-, oder von<br />

Behinderung bedrohte Kinder so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder<br />

nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt werden.<br />

- 8 -


Alle Rehabilitationsleistungen, die Leistungen zur Teilhabe sind (§4 SGB IX), werden<br />

vier Leistungsgruppen zugeordnet, nämlich den:<br />

o Leistungen zur medizinischen Rehabilitation;<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben;<br />

o unterhaltssichernden Leistungen und anderen ergänzenden<br />

Leistungen;<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.<br />

Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten<br />

sich nach den Leistungsgesetzen der jeweiligen Rehabilitationsträger, §7, Satz 2<br />

SGB IX.<br />

Leistungen zur Eingliederung Behinderter werden von verschiedenen Leistungsträgern<br />

erbracht; zu den Trägern der Rehabilitation gemäß §6 SGB IX vgl. Kapitel<br />

2.1.1 (S.7f).<br />

Die Zuständigkeit des Leistungsträgers wird durch die jeweilige Ursache der<br />

Behinderung, bzw. durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenkreis<br />

begründet (Wiesner, 2006). Deshalb ist eine Alleinzuständigkeit der Jugendhilfe für<br />

alle pädagogisch- therapeutischen Leistungen an jungen Menschen, und zwar<br />

unabhängig von der Ursache und Art der Behinderung, sowie von der zu ihrer<br />

Bewältigung notwendigen Hilfen, nicht gegeben, wiewohl dies wünschenswert wäre.<br />

Die Koordinierung von Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer<br />

Rehabilitationsträger regelt §10 SGB IX. Rehabilitationsträger sind verpflichtet,<br />

gemeinsam die individuell erforderlichen Leistungen festzulegen. Sie müssen sie<br />

entsprechend dem Verlauf der Rehabilitation anpassen (Marburger, 2008). Ziel der<br />

Vorschrift ist es, die sich aus der Zuständigkeitsverteilung im gegliederten<br />

Rehabilitationssystem ergebenden Schnittstellen durch ein umfassendes<br />

Rehabilitations-, Eingliederungs- und Teilhabemanagement zu überwinden (Kossens<br />

et al. 2009). Den besonderen Bedürfnissen seelisch behinderter oder von einer<br />

solchen Behinderung bedrohter Menschen ist Rechnung zu tragen, vgl. §10 Absatz 3<br />

SGB IX.<br />

§12 SGB IX verpflichtet die Rehabilitationsträger zur Zusammenarbeit. Sie sind<br />

insbesondere verpflichtet, die im Einzelfall erforderlichen Leistungen zur Teilhabe<br />

nahtlos, zügig sowie nach Gegenstand, Umfang und Ausführung einheitlich zu<br />

erbringen (§12 Absatz 1, Ziffer 1 SGB IX), Abgrenzungsfragen einvernehmlich zu<br />

klären (§12 Absatz 1, Ziffer 2 SGB IX), Beratung zu leisten (§12 Absatz 1, Ziffer 3<br />

SGB IX), sowie regionale Arbeitsgemeinschaften zu bilden (§12 Absatz 2 SGB IX).<br />

Diese Pflichten sind für die Rehabilitationsträger verbindlich. Wo sie die Erfüllung von<br />

Rechtsansprüchen betreffen, entsprechen ihnen subjektive (d.h. auch: einklagbare!)<br />

Rechte der Leistungsberechtigten (Lachwitz et al. 2010).<br />

Eingliederungshilfen werden im SGB VIII nur im §35a geregelt und zwar nur für junge<br />

Menschen mit einer sog. „seelischen Behinderung“. Leistungsträger der Jugendhilfe<br />

können auf der Grundlage dieser Rechtsnorm dementsprechend Eingliederungshilfen<br />

auch nur für diesen Personenkreis erbringen.<br />

- 9 -


Im Hinblick auf das Leistungsspektrum des §35a SGB VIII können die Träger der<br />

öffentlichen Jugendhilfe, d.h. die Jugendämter, Rehabilitationsträger sein für folgende<br />

Leistungen:<br />

o Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,<br />

§§ 5 Nr. 1 in Verbindung mit 26ff SGB IX;<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,<br />

§§ 5 Nr. 2 in Verbindung mit 33ff SGB IX;<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft,<br />

§§ 5 Nr. 4 in Verbindung mit 55ff SGB IX.<br />

Dieser Leistungsumfang ergibt sich aus §54 SGB XII, auf den §35a Absatz 3 SGB<br />

VIII explizit verweist. Erfasst sind hier u.a. auch ausdrücklich Leistungen zur<br />

medizinischen Rehabilitation (§54 Absatz 1, Satz 2 SGB XII).<br />

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass Rehabilitationsleistungen von<br />

unterschiedlichen Trägern der Rehabilitation erbracht werden und in jeweils eigenen<br />

Sozialgesetzbüchern normiert sind. Das SGB IX enthält allgemeine Vorschriften zur<br />

Rehabilitation und zur Teilhabe behinderter Menschen, die für alle Leistungsträger<br />

der Rehabilitation gleichermaßen gelten und die damit das Rehabilitationsrecht<br />

vereinheitlichen. Wichtige Begriffsdefinitionen (Behinderungsbegriff, Begriff der<br />

drohenden Behinderung, Leistungen zur Teilhabe), sowie Prinzipien (Prinzip der<br />

gegliederten Organisation; Leistungsprinzipien nach §4 Absatz 2, Satz 2 und §4<br />

Absatz 3, Satz 1 SGB IX; Koordinierung der Leistungen gemäß §10 SGB IX;<br />

Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger gemäß §12 SGB IX), Leistungsgruppen<br />

und Leistungsträger dieses Gesetzes sind kurz vorgestellt worden. Träger der<br />

öffentlichen Jugendhilfe können auch Rehabilitationsträger für Leistungen der<br />

medizinischen Rehabilitation sein.<br />

2.1.3 Bedeutung und Tragweite des §41 SGB VIII<br />

§ 41 SGB VIII ist Anspruchsgrundlage für junge Volljährige auf Hilfen, die der Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe verfügbar machen soll, wenn diese Hilfen „für die<br />

Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung“ (vgl.<br />

§41 Absatz 1, Satz 1 SGB VIII) erforderlich sind. „Die Hilfe wird in der Regel bis zur<br />

Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für<br />

einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden“ (so der Wortlaut des<br />

§ 41 Absatz 1, Satz 2 SGB VIII).<br />

„Junge Volljährige“ sind Personen, die 18 Jahre, aber noch nicht 27 Jahre alt sind<br />

(§ 7 Absatz 1 Nr.3 SGB VIII). Aus §41 Absatz 2 SGB VIII geht hervor, dass junge<br />

Volljährige nur dann anspruchsberechtigt auf Hilfegewährung nach dieser<br />

Rechtsnorm sind, wenn sie bereits vor Erreichung der Volljährigkeit Eingliederungshilfen<br />

nach dem SGB VIII erhalten haben (Wortlaut der Norm: „[…] mit der Maßgabe,<br />

dass an die Stelle […] des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt“).<br />

Für die Ausgestaltung der Hilfen für junge Volljährige gelten die §§27, Absätze 3 und<br />

4; 28 bis 30; 33 bis 36; sowie 39 und 40 SGB VIII entsprechend (vgl. §41, Absatz 2,<br />

Satz 1, erster Teilsatz SGB VIII). In der Gesetzessystematik des SGB VIII sind dies<br />

jene Rechtsnormen aus dem zweiten Kapitel „Leistungen der Jugendhilfe“, die die<br />

„Hilfe zur Erziehung“ und die „Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und<br />

Jugendliche“ begründen.<br />

- 10 -


Im Untersuchungszusammenhang dieser Arbeit ist somit festzuhalten, dass die<br />

Leistungsansprüche auf Eingliederungshilfe, die sich für seelisch behinderte Kinder<br />

und Jugendliche aus der Rechtsnorm des §35a SGB VIII ergeben, auch, und zwar<br />

über die Rechtsnorm des §41 SGB VIII, für junge Volljährige wirksam sind, wenn<br />

diese bereits vor Erreichung der Volljährigkeit Eingliederungshilfen nach dem SGB<br />

VIII erhalten haben. Adressaten und Anspruchsberechtigte von Eingliederungshilfen<br />

im Sinne des §35a sind also nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch 18- bis<br />

20- Jährige und darüber hinaus, in begründeten Einzelfällen, Volljährige bis zur<br />

Vollendung des 27. Lebensjahres. In der Praxis der Jugendhilfe enden gesetzeskonform<br />

in aller Regel Eingliederungshilfen jedoch mit Vollendung des 21.<br />

Lebensjahres.<br />

2.1.4 Die Anspruchsvoraussetzungen des §35a SGB VIII<br />

Zu den Anspruchsvoraussetzungen auf Eingliederungshilfe gemäß §35a SGB VIII<br />

gehört, dass beim Anspruchsinhaber, dem Kind oder Jugendlichen, eine<br />

„Abweichung der seelischen Gesundheit“ vom alterstypischen Zustand gegeben sein<br />

muss, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern wird (§35a<br />

Absatz 1 Ziffer 1 SGB VIII).<br />

Den Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe hat das Kind bzw. der Jugendliche<br />

selbst.<br />

Die Sorgeberechtigten stellen in der Regel als gesetzliche Vertreter im Sinne des<br />

§1626 BGB den Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe für den Minderjährigen,<br />

sind jedoch nicht selbst Anspruchsträger.<br />

Die Abweichung der seelischen Gesundheit muss Krankheitswert haben und von<br />

einer erfahrenen Fachkraft auf dem Gebiet der psychischen Störungen bei Kindern<br />

und Jugendlichen festgestellt werden (§35a Absatz 1a, Ziffern 1 bis 3 SGB VIII). In<br />

der Regel erfolgt die Diagnostik einer solchen seelischen Störung bzw. psychischen<br />

Erkrankung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie.<br />

Absatz 1a dieser Rechtsnorm regelt am Ende, dass die Diagnose auf der Grundlage<br />

der ICD 10 erstellt und verschlüsselt werden muss.<br />

Die psychischen Erkrankungen sind in der ICD 10 klassifiziert und zwar im Kapitel V,<br />

Gliederung F00- F99, Titel: Psychische und Verhaltensstörungen. Zu den<br />

psychischen Erkrankungen, die dort beschrieben werden und die im Jugendhilfealltag<br />

stationärer Eingliederungshilfen immer wieder zu finden sind, zählen unter anderem:<br />

o Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen<br />

(F10- F19);<br />

o Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen (F20- F29);<br />

o Affektive Störungen (F30- F39), insbesondere manische- (F30) und<br />

depressive Episoden (F32);<br />

o Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (F40- F48, F50-<br />

F59), insbes. phobische Störungen (F40), andere Angststörungen<br />

(F 41), Zwangsstörungen (F42), Reaktionen auf schwere Belastungen<br />

und Anpassungsstörungen (F43), sowie dissoziative Störungen (F44);<br />

- 11 -


o Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60- F69), wobei<br />

Persönlichkeitsstörungen (F60- F62) im Kindes- und Jugendalter in der<br />

Regel nicht diagnostiziert werden;<br />

o Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und<br />

Jugend (F90- F98), insbesondere hyperkinetische Störungen (F90),<br />

Störungen des Sozialverhaltens (F91) und kombinierte Störung des<br />

Sozialverhaltens und der Emotionen (F92).<br />

Die ICD 10 unterscheidet im Kapitel V: „Psychische und Verhaltensstörungen durch<br />

psychotrope Substanzen“ nach folgenden Suchtmitteln:<br />

o Alkohol<br />

(F10),<br />

o Opioide<br />

(F11),<br />

o Cannabinoide<br />

(F12),<br />

o Sedativa oder Hypnotika<br />

(F13),<br />

o Kokain<br />

(F14),<br />

o andere Stimulanzien<br />

einschließlich Koffein<br />

(F15),<br />

o Halluzinogene (F16),<br />

o Tabak<br />

(F17),<br />

o flüchtige Lösungsmittel<br />

(F18),<br />

o multipler Substanzgebrauch<br />

und Konsum anderer<br />

psychotroper Substanzen<br />

(F19).<br />

Es ist hier festzuhalten, dass Abweichungen der seelischen Gesundheit vom<br />

alterstypischen Zustand mit Krankheitswert im Sinne des §35a Absatz1 Satz 1 Nr.1<br />

SGB VIII auch psychische- und Verhaltensstörungen sein können, die durch den<br />

Konsum psychotroper Substanzen verursacht werden (Schellhorn, 2007). Damit<br />

lassen sich auch Suchtstörungen unter den rechtstechnischen Begriff der<br />

Abweichung der seelischen Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen<br />

Zustand subsumieren.<br />

Neben der Diagnose einer psychischen Erkrankung von mindestens sechsmonatiger<br />

Dauer ist zweite Anspruchsvoraussetzung, dass auf Grund der psychischen<br />

Erkrankung „die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, oder eine<br />

solche Beeinträchtigung zu erwarten ist“ (§35a Absatz 1, Ziffer 2 SGB VIII).<br />

Teilhabe bedeutet die aktive und selbstbestimmte Gestaltung des gesellschaftlichen<br />

Lebens. Eine Teilhabebeeinträchtigung, also das Risiko mangelnder Integration, kann<br />

sich auf alle Lebensbereiche erstrecken. Zentrale Lebensbereiche für Kinder und<br />

Jugendliche sind Familie, soziales Umfeld, Schule und Freizeitbereich (Wiesner,<br />

2006).<br />

Die Feststellung einer Teilhabebeeinträchtigung muss individualisiert erfolgen, hat<br />

persönliche- und Umweltfaktoren zu berücksichtigen und wird federführend von den<br />

Fachkräften des Jugendamtes vorgenommen.<br />

Die „seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB VIII ist also rechtstechnisch<br />

gesehen ein zusammengesetzter Begriff, der einerseits die in der Regel fachärztlich<br />

erfolgende Positivdiagnose einer psychischen Erkrankung und andererseits eine aus<br />

- 12 -


dieser Erkrankung resultierende Teilhabebeeinträchtigung, die vom Jugendamt<br />

festgestellt wird, voraussetzt. Nur wenn beide Bedingungen (psychische Erkrankung<br />

und Teilhabebeeinträchtigung) erfüllt sind, liegt eine „seelische Behinderung“ im<br />

Sinne der Rechtsnorm vor und nur dann sind auch die Voraussetzungen, die einen<br />

Anspruch auf Eingliederungshilfe nach §35a SGB VIII begründen, gegeben (Kunkel,<br />

2003).<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter sind seelische Störungen bzw.<br />

psychische Erkrankungen im Sinne des §35a Absatz1 Satz 1 Nr.1 SGB VIII, soweit<br />

sie die dort normierten Kriterien erfüllen. Ist nach individueller Prüfung feststellbar,<br />

dass eine Teilhabebeeinträchtigung durch die Suchtstörung zu bejahen ist, und dies<br />

ist jedenfalls immer dann der Fall, wenn es zu einer Desintegration in den zentralen<br />

Lebensbereichen Familie, soziales Umfeld, Schule und Freizeitverhalten kommt, so<br />

liegt eine „seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB VIII vor. Da in der Praxis<br />

kaum eine Fallkonstellation vorstellbar ist, wo Suchtstörungen im Kindes- und<br />

Jugendalter nicht zu Teilhabebeeinträchtigungen in den genannten zentralen<br />

Lebensbereichen führen, wird in der Regel (und nicht nur ausnahmsweise!) eine<br />

„seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB VIII zu bejahen sein, wenn eine<br />

kindliche bzw. jugendliche Suchtstörung vorliegt.<br />

2.1.5 Die Ziele der Eingliederungshilfe<br />

Bezüglich der Ziele der Eingliederungshilfe verweist Absatz 3 des §35a SGB VIII<br />

insbesondere auf § 53 Absatz 3 SGB XII.<br />

§53 SGB XII steht im sechsten Kapitel „Eingliederungshilfe für behinderte Menschen“<br />

und ist überschrieben: „Leistungsberechtigte und Aufgabe“. Im Absatz 3 regelt er die<br />

„besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe“, nämlich:<br />

o eine drohende Behinderung zu verhüten;<br />

o eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen, oder zu mildern;<br />

o die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.<br />

Hierzu gehört insbesondere:<br />

o den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der<br />

Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern;<br />

o ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufes oder einer<br />

sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen.<br />

Der Ausgleich behinderungsspezifischer Nachteile und die Eingliederung in die<br />

Gesellschaft erfolgen durch eine Integration des Behinderten in die Gemeinschaft.<br />

Umfasst hiervon sind alle Maßnahmen, die den Hilfesuchenden in Kontakt mit seiner<br />

Umwelt bringen (Familie, Nachbarschaft, Teilnahme am öffentlichen und kulturellen<br />

Leben). Für Kinder und Jugendliche stehen Familie, soziales Umfeld und Schule im<br />

Vordergrund (Wiesner, 2006).<br />

Zur Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen<br />

Tätigkeit gehören neben der Ausbildung zu einem Beruf oder einer Tätigkeit auch die<br />

Schaffung und Erhaltung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen.<br />

- 13 -


Ziel der Eingliederungshilfe ist ein selbstbestimmtes Leben des Behinderten, der<br />

unabhängig werden soll von öffentlicher Hilfe. „Im Einzelfall ist diejenige Maßnahme<br />

einzuleiten, die im Hinblick auf die Person des Leistungsempfängers sowie auf die Art<br />

und Schwere seiner Behinderung am ehesten verspricht, die Aufgabe der<br />

Eingliederungshilfe […] so weit wie möglich wirksam und nachhaltig zu erfüllen“<br />

(Schellhorn 2007, S.221).<br />

2.1.6 Die Leistungen der Eingliederungshilfe<br />

§35a Absatz 3 SGB VIII verweist auf die §§54 und 56 SGB XII, die den<br />

Anspruchsgegenstand begründen.<br />

§54 Absatz 1 SGB XII verweist auf die §§26, 33, 41 und 55 SGB IX. In dieser<br />

Verweisungskette liegt der Leistungsumfang der Eingliederungshilfe nach<br />

§35a SGB VIII begründet. Vor allen Dingen sind hierdurch folgende Leistungen mit<br />

umfasst:<br />

o Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (hier verweist §54 Absatz<br />

1 SGB XII auf §26 SGB IX): Zu diesen gehören u.a.:<br />

· Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer<br />

Heilberufe, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte<br />

zu entwickeln, Psychotherapie (§26 Absatz 2 Ziffer 1 SGB IX),<br />

· Belastungserprobung und Arbeitstherapie (§26 Absatz 2,<br />

Ziffer 7 SGB IX).<br />

Eine (Drogen-) Entwöhnungstherapie kann eine Maßnahme der Eingliederungshilfe<br />

sein. Für eine Entgiftung kann Entsprechendes gelten (Schellhorn, 2007).<br />

Die Leistungen werden zur Erreichung folgender Ziele erbracht:<br />

· Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden,<br />

zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine<br />

Verschlimmerung zu verhüten (§26 Absatz 1 Ziffer 1 SGB IX),<br />

oder<br />

· Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit […] zu vermeiden, zu<br />

überwinden, zu mindern eine Verschlimmerung zu verhüten,<br />

sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu<br />

vermeiden, oder laufende Sozialleistungen zu mindern (§26<br />

Absatz 1 Ziffer 2 SGB IX).<br />

Bestandteil der Leistungen können auch medizinische, psychologische und<br />

pädagogische Hilfen sein, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um<br />

die genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden,<br />

zu überwinden, zu mindern, oder ihre Verschlimmerung zu verhüten (§26 Absatz 3<br />

SGB IX). Namentlich genannt sind insbesondere:<br />

· Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung<br />

(§26 Absatz 3 Ziffer 1 SGB IX);<br />

· Aktivierung von Selbsthilfepotentialen (§26 Absatz 3 Ziffer 2<br />

SGB IX);<br />

- 14 -


· Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und<br />

Beratungsmöglichkeiten (§26 Absatz 3 Ziffer 4 SGB IX);<br />

· Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der<br />

sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer<br />

und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen<br />

(§26 Absatz 3 Ziffer 5 SGB IX);<br />

· Training lebenspraktischer Fähigkeiten (§26 Absatz 3 Ziffer 6<br />

SGB IX);<br />

· Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen<br />

der medizinischen Rehabilitation<br />

(§26 Absatz 3 Ziffer 7 SGB IX).<br />

Diese Leistungen sind vorrangig von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

zu erbringen. Der Träger der Sozialhilfe und der Träger der Jugendhilfe<br />

gewähren nur nachrangig Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Wiesner,<br />

2006).<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Verweis von<br />

§54 Absatz 1 SGB XII auf §55 SGB IX): Geregelt sind hier unter<br />

anderem folgende Leistungen:<br />

· Heilpädagogische Leistungen für noch nicht eingeschulte<br />

Kinder (§55 Absatz 2 Ziffer 2 SGB IX);<br />

· Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die<br />

erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für<br />

sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu<br />

ermöglichen (§55 Absatz 2 Ziffer 3 SGB IX);<br />

· Hilfen bei der Beschaffung einer bedürfnisgerechten Wohnung<br />

(§55 Absatz 2 Ziffer 5 SGB IX);<br />

· Hilfen zu einem selbstbestimmten Leben in betreuten<br />

Wohnmöglichkeiten (§55 Absatz 2 Ziffer 6 SGB IX);<br />

· Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen<br />

Leben (§55 Absatz 2 Ziffer 7 SGB IX).<br />

o Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Verweis von §54 Absatz 1<br />

SGB XII auf §33 SGB IX): Hier geht es um die berufliche Rehabilitation<br />

volljähriger Behinderter, die vor allem in den §§ 97ff SGB III geregelt<br />

ist. Faktisch kommt es in diesem Bereich nicht zur Leistungspflicht der<br />

Kinder- und Jugendhilfe.<br />

o Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte (Verweis<br />

von §54 Absatz 1 SGB XII auf §41 SGB IX).<br />

o Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, zur schulischen Ausbildung,<br />

oder zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit,<br />

(§54 Absatz 1, Satz 1 Ziffern 1 bis 3 SGB XII). Leistungsverpflichtet<br />

sind vorrangig Schulen und die Bundesagentur für Arbeit.<br />

- 15 -


Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich der Umfang der Leistungen<br />

der Eingliederungshilfe gemäß §35a SGB VIII aus der rechtlichen Verweisungskette<br />

der §§54 SGB XII in Verbindung mit 26, 33, 41 und 55 SGB IX, sowie 56 SGB XII<br />

ergibt. Die wichtigsten Leistungen und Ziele der Eingliederungshilfe wurden benannt.<br />

Insbesondere gehören hierzu auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die<br />

auch Entwöhnungstherapien inkludieren.<br />

2.1.7 Die Krankenhilfe nach §40 SGB VIII als ergänzende Vorschrift<br />

Krankenhilfe als Leistung der Jugendhilfe (§40 SGB VIII) ist ein eigenständiger<br />

Anspruch von Kindern und Jugendlichen, die über Tag und Nacht außerhalb des<br />

Elternhauses betreut und erzogen werden. Sie ist eine sog. Annexleistung, die nur<br />

dann gewährt wird, wenn das Kind oder der Jugendliche Hilfen nach §§33 bis 35,<br />

oder nach §35a Absatz 2 Nr.3 oder Nr.4 SGB VIII erhält.<br />

Die Vorschrift vermeidet die Verweisung des Leistungsberechtigten an zwei<br />

Behörden, nämlich an den Jugendhilfe- und Sozialhilfeträger. Es sollen „Leistungen<br />

aus einer Hand“ erbracht werden (Wiesner 2006, S.719).<br />

Die Krankenhilfe ist nur dann eine Leistung der Jugendhilfe, wenn kein<br />

Krankenversicherungsschutz für das Kind oder den Jugendlichen besteht. Dies ergibt<br />

sich aus dem §10 Absatz 1 SGB VIII („Verhältnis [der Jugendhilfe] zu anderen<br />

Leistungen und Verpflichtungen“), der das Prinzip der Nachrangigkeit öffentlicher<br />

Jugendhilfe hinter Verpflichtungen der Träger anderer Sozialleistungen und der<br />

Schulen etabliert.<br />

Der Umfang der Krankenhilfe bemisst sich nach den §§47 bis 52 SGB XII, wobei der<br />

§48 SGB XII auf die „Krankenbehandlung“, geregelt in den §§27 bis 43b SGB V,<br />

verweist.<br />

Leistungsarten sind u.a.:<br />

o die vorbeugende Gesundheitshilfe (§47 SGB XII), insbesondere:<br />

· ambulante und stationäre Vorsorgekuren;<br />

· Früherkennung von Krankheiten und Zahnerkrankungen;<br />

· sonstige Leistungen, z.B. zur AIDS- Prävention, oder Hilfen für<br />

Suchtkranke;<br />

o die Krankenhilfe im engeren Sinne („Hilfe bei Krankheit“; §48 SGB XII)<br />

und hier insbesondere:<br />

· ärztliche und zahnärztliche Behandlung;<br />

· Psychotherapie;<br />

· Versorgung mit Arzneimitteln;<br />

· Krankenhausbehandlung;<br />

· Leistungen, die zur Gesundung, Besserung und Linderung von<br />

Krankheitsfolgen erforderlich sind.<br />

In aller Regel besteht für Kinder und Jugendliche ein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz<br />

im Rahmen der Familienversicherung über einen Elternteil. Nur<br />

in den Ausnahmefällen, wo dies nicht so ist, ist die Krankenhilfe gemäß §40 SGB VIII<br />

nachrangige Annexleistung.<br />

- 16 -


2.1.8 Das Verhältnis der öffentlichen Jugendhilfe zur Leistungspflicht Anderer<br />

Nach §10 Absatz 1 Satz 1 SGB VIII besteht ein Nachrang der öffentlichen<br />

Jugendhilfe gegenüber Verpflichtungen Dritter. Die öffentliche Jugendhilfe ist<br />

gegenüber den Leistungsverpflichtungen aller anderen Sozialleistungsträger<br />

nachrangig, mit Ausnahme der Leistungsträger nach dem SGB II, Träger der<br />

Grundsicherung, und dem SGB XII, Sozialhilfeträger (Schellhorn, 2007).<br />

Dies bedeutet, dass Leistungen nach dem SGB VI und dem SGB V Vorrang vor<br />

solchen des SGB VIII haben.<br />

2.2 Diskussion: Der Umfang suchttherapeutischer Leistungen und der Leistungen<br />

der Eingliederungshilfe:<br />

Bei einer Gewichtung und Abwägung der genannten Sachverhalte spricht zunächst<br />

vieles dafür, dass suchttherapeutische Leistungen als Teil der Eingliederungshilfe<br />

bzw. der Leistungen zur Teilhabe nach §35a SGB VIII verstanden werden können:<br />

o Suchtstörungen als „seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB<br />

VIII: Der Begriff der Behinderung in §35a SGB VIII („seelische<br />

Behinderung“) setzt sich aus den folgenden Komponenten zusammen:<br />

· Erstens muss eine seelische Störung bzw. psychische<br />

Erkrankung, wie sie in der ICD 10, Kapitel V, erfasst und<br />

kodiert wird, vorliegen. Nach Klassifikation der ICD 10 sind die<br />

psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope<br />

Substanzen gemäß ICD 10, Kapitel V, F10 bis F19 eine Untergruppe<br />

der psychischen- und Verhaltensstörungen, die unter<br />

F00 bis F99 im selben Kapitel gegliedert sind. Die Gemeinsamkeit<br />

der Störungen durch psychotrope Substanzen nach<br />

F10 bis F19 besteht im Gebrauch einer oder mehrerer dieser<br />

Substanzen. Suchtstörungen durch Substanzkonsum werden<br />

also vom Störungskatalog des Kapitels V der ICD 10 mit erfasst<br />

und sind damit seelische Störung bzw. psychische Erkrankung<br />

im oben genannten Sinne. Eine seelische Störung bzw.<br />

psychische Erkrankung kann also auch dann zu bejahen sein,<br />

wenn eine Suchtstörung vorliegt.<br />

· Zweitens muss die Störung mindestens sechs Monate<br />

anhalten.<br />

· Drittens muss sich aus der psychischen Erkrankung eine<br />

Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

ergeben. Teilhabe bedeutet hier die aktive und selbstbestimmte<br />

Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Das Integrationsrisiko<br />

durch eine Beeinträchtigung dieser Teilhabe kann sich<br />

auf alle Lebensbereiche erstrecken, bei jungen Menschen vor<br />

- 17 -


allem auf die Bereiche Familie, soziales Umfeld, Freizeitbereich<br />

und Schule. Bei jungen Menschen, die psychische Erkrankungen<br />

von mindestens sechsmonatiger Dauer aufweisen, wird<br />

man in aller Regel bejahen können, dass die aktive und<br />

selbstbestimmte Lebensgestaltung in den genannten Bereichen<br />

schweren Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Beim Vorliegen<br />

entsprechender Integrationsrisiken muss das gleiche auch für<br />

die Untergruppe der Suchtstörungen gelten. Das zweite<br />

Kriterium einer „seelischen Behinderung“, die Teilhabebeeinträchtigung,<br />

lässt sich dementsprechend auch beim Vorliegen<br />

von Suchtstörungen bejahen und zwar unabhängig von der<br />

Frage, ob diese Störungen alleine, oder komorbid mit weiteren<br />

psychischen Störungen auftreten.<br />

o Suchttherapeutische Leistungen als Teilhabeleistungen im Sinne des<br />

§4 Absatz 1 SGB IX:<br />

Ist eine Suchtstörung unter den Begriff der „seelischen Behinderung“<br />

im Sinne des §35a SGB VIII zu subsumieren, so könnten suchttherapeutische<br />

Leistungen Teilhabeleistungen im Sinne des §4 Absatz 1<br />

SGB IX sein. Hierfür müssten diese Leistungen die Behinderung<br />

abwenden, beseitigen, mindern, ihre Verschlimmerung verhüten, ihre<br />

Folgen mildern können, sowie den vorzeitigen Bezug anderer<br />

Sozialleistungen vermeiden helfen können (§4 Absatz 1, Nummern 1<br />

und 2 SGB IX). Liegt eine Suchtstörung vor, so sind in therapeutischer<br />

Hinsicht Maßnahmen der Entgiftung und Entwöhnung zu treffen.<br />

Entgiftungen sollten in der Regel im klinischen Setting und unter<br />

ärztlicher Beaufsichtigung erfolgen, wegen der zu erwartenden<br />

physischen und psychischen Komplikationen. Entwöhnungsmaßnahmen,<br />

zu denen u.a. der Aufbau alternativen Verhaltens zum<br />

Suchtmittelkonsum, soziales Kompetenztraining, Entspannungsverfahren,<br />

Genusstraining, Stärkung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen<br />

etc. gehören, sind nicht nur geeignet, Suchtstörungen<br />

abzuwenden, zu beseitigen, oder zu mindern. Sie sind vielmehr auch<br />

geeignet, Verschlimmerungen zu verhüten, Folgen der Suchterkrankung<br />

zu mildern, oder einen vorzeitigen Bezug anderer<br />

Sozialleistungen zu vermeiden.<br />

Ziel der Eingliederungshilfe ist die Integration des „Behinderten“ in die<br />

Gemeinschaft bzw. seine Eingliederung in die Gesellschaft. Umfasst<br />

hiervon sind alle Maßnahmen, die den Hilfesuchenden in Kontakt mit<br />

seiner Umwelt bringen und die im Hinblick auf die Person des<br />

Leistungsempfängers, sowie auf die Art und Schwere seiner Behinderung<br />

am ehesten versprechen, die Teilhabe so weit wie möglich<br />

wirksam und nachhaltig zu erfüllen. Es wäre bei jungen Menschen mit<br />

komorbiden Suchtstörungen deshalb zu fragen, wie denn ein<br />

Schulabschluss erreicht werden, eine Mietwohnung erfolgreich<br />

gehalten, eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, oder eine Arbeit<br />

bzw. Berufsausübung gelingend gestaltet werden soll, und zwar<br />

möglichst unter Vermeidung des Bezuges anderer Sozialleistungen,<br />

ohne dass (auch) spezifisch suchttherapeutische Leistungen erbracht<br />

werden.<br />

- 18 -


Beschränkt man Leistungen der Teilhabe beim komorbiden Vorliegen<br />

psychischer und Suchtstörungen auf den nicht suchtstörungsspezifischen<br />

Störungsanteil, so wird das Ziel der Teilhabe am Leben in<br />

der Gesellschaft in der Regel nicht oder nur teilweise gelingen können.<br />

Beim Vorliegen (komorbider) Suchtstörungen, die „seelische Behinderung“<br />

im Sinne des §35a SGB VIII sind, sind demnach suchttherapeutische<br />

Leistungen zu erbringende Teilhabeleistungen im Sinne<br />

des §4 Absatz 1, Nummern 1 und 2 SGB IX.<br />

o Nach dem Leistungsprinzip des §4 Absatz 2, Satz 2 SGB IX sind die<br />

Leistungen nach Lage des Einzelfalls so vollständig, umfassend und in<br />

gleicher Qualität zu erbringen, dass Leistungen eines anderen Trägers<br />

möglichst nicht erforderlich werden. Es geht hier um die Erbringung<br />

notwendiger Leistungen aus einer Hand, damit der Leistungsempfänger<br />

nicht auf unterschiedliche Leistungsträger verwiesen und<br />

dadurch der Zugang zu Leistungen erschwert wird. Sind<br />

Suchtstörungen „seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB VIII<br />

und dementsprechend suchttherapeutische Leistungen Teilhabeleistungen<br />

im Sinne des §4 Absatz 1 SGB IX, so sind diese Leistungen<br />

auch von den Jugendhilfeträgern im Sinne des §4 Absatz 2, Satz 2<br />

SGB IX vollständig und umfassend zu erbringen.<br />

o Nach §4 Absatz 3, Satz 1 SGB IX werden Leistungen für behinderte,<br />

oder von Behinderung bedrohter Kinder so geplant und gestaltet, dass<br />

nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt<br />

werden. Kinder und Jugendliche, die in stationären Jugendhilfeeinrichtungen<br />

nach §35a SGB VIII über Tag und Nacht untergebracht<br />

sind und für die das Leben in der Jugendhilfeeinrichtung eine auf<br />

längere Zeit angelegte Lebensform bietet, die auf ein selbständiges<br />

Leben vorbereitet, haben dort auch ihren Lebensmittelpunkt und ihr<br />

soziales Umfeld. Suchttherapeutische Leistungen sollten für diese<br />

Zielgruppe bei Bedarf im Rahmen der Einrichtung erbracht werden<br />

können, um eine Trennung vom sozialen Umfeld möglichst zu<br />

vermeiden. Aus dem Leistungsprinzip des §4 Absatz 3, Satz 1 SGB IX<br />

kann daher abgeleitet werden, dass junge Menschen mit Suchtstörungen<br />

in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der Eingliederungshilfe<br />

eben dort und nicht in anderen Hilfeeinrichtungen ihre Suchttherapie<br />

erhalten sollten.<br />

o Suchttherapeutische Leistungen als Leistungen der medizinischen<br />

Rehabilitation und damit auch als Leistungen der Eingliederungshilfe<br />

nach §35a SGB VIII:<br />

Auch aus den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die sich<br />

aus der Verweisungskette der §§ 35a Absatz 3 SGB VIII in Verbindung<br />

mit 54 Absatz 1 SGB XII und 26 Absatz 1 Ziffern 1, 2, sowie Absatz 3<br />

SGB IX ergeben und damit Teil der Eingliederungshilfe werden, könnte<br />

abgeleitet werden, dass suchttherapeutische Leistungen vom Umfang<br />

der Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß §35a SGB VIII mit<br />

umfasst sind.<br />

- 19 -


Hierfür wäre erforderlich, dass die Leistungen zur Erreichung folgender<br />

Ziele erbracht werden:<br />

· Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden,<br />

zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine<br />

Verschlimmerung zu verhüten (§26 Absatz 1 Ziffer 1 SGB IX);<br />

· Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit […] zu vermeiden, zu<br />

überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten,<br />

sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu<br />

vermeiden, oder laufende Sozialleistungen zu mindern (§26<br />

Absatz 1 Ziffer 2 SGB IX).<br />

Bestandteil der Leistungen können auch medizinische, psychologische<br />

und pädagogische Hilfen sein, soweit diese Leistungen im Einzelfall<br />

erforderlich sind, um die genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern<br />

und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, oder<br />

ihre Verschlimmerung zu verhüten (§26 Absatz 3 SGB IX). Zu denken<br />

ist hier insbesondere an:<br />

· Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung<br />

(§26 Absatz 3 Ziffer 1 SGB IX);<br />

· Aktivierung von Selbsthilfepotentialen (§26 Absatz 3 Ziffer 2<br />

SGB IX);<br />

· Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und<br />

Beratungsmöglichkeiten (§26 Absatz 3 Ziffer 4 SGB IX);<br />

· Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der<br />

sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer<br />

und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit<br />

Krisensituationen (§26 Absatz 3 Ziffer 5 SGB IX);<br />

· Training lebenspraktischer Fähigkeiten (§26 Absatz 3 Ziffer 6<br />

SGB IX);<br />

· Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen<br />

der medizinischen Rehabilitation (§26 Absatz 3 Ziffer7 SGB IX).<br />

Suchtstörungen können Behinderung, nämlich „seelische Behinderung“<br />

im Sinne des §35a SGB VIII sein. Suchtstörungen können aber<br />

auch, wenn sie chronifizieren, Krankheitswert haben. Damit sind die<br />

beiden Ausgangszustände, die es nach §26 Absatz 1 Ziffer 1 SGB IX<br />

abzuwenden, zu beseitigen etc. gilt, erfasst. Suchttherapeutische<br />

Leistungen wirken auf Suchtstörungen im Sinne des §26 Absatz 1<br />

SGB IX ein, indem sie die Behinderung bzw. chronische Krankheit<br />

abwenden, beseitigen, mindern usw. (§26 Absatz 1 Ziffer 1 SGB IX);<br />

Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit vermeiden, überwinden usw.<br />

(§26 Absatz 1 Ziffer 2 SGB IX).<br />

Weiterhin wirken sie auf Suchtstörungen im Sinne des §26 Absatz 3<br />

SGB IX ein, indem sie die genannten Ziele durch medizinische,<br />

psychologische und pädagogische Hilfen erreichen und sichern, wobei<br />

sich die Hilfen, wie sie unter §26 Absatz 3 Ziffern 1, 2, 4, 5, 6 und 7<br />

SGB IX im Einzelnen aufgeführt sind, wie ein suchttherapeutischer<br />

Leitfaden lesen.<br />

- 20 -


Suchttherapeutische Leistungen sind demnach Leistungen der<br />

medizinischen Rehabilitation im Sinne des §26 SGB IX. Über die<br />

Verweisungskette der §§35a Absatz 3 SGB VIII in Verbindung mit 54<br />

Absatz 1 SGB XII und 26 Absatz 1 Ziffern 1, 2, sowie Absatz 3 SGB IX<br />

sind Leistungen der medizinischen Rehabilitation Teil der Leistungen<br />

der Eingliederungshilfe im Sinne des §35a SGB VIII. Damit sind auch<br />

über diesen Weg suchttherapeutische Leistungen vom Umfang der<br />

Eingliederungshilfen nach §35a SGB VIII mit umfasst.<br />

o Die Krankenhilfe nach §40 SGB VIII, als Annexleistung zur<br />

Eingliederungshilfe gemäß §35a SGB VIII, könnte ebenfalls suchttherapeutische<br />

Leistungen mit beinhalten. Hierfür spricht, dass sie<br />

Leistungen der vorbeugenden Gesundheitshilfe mit umfasst,<br />

namentlich auch Leistungen der Aids- Prävention und Hilfen für<br />

Suchtkranke. Die Krankenhilfe im engeren Sinne umfasst u.a. auch<br />

Leistungen, die zur Gesundung, Besserung und Linderung von<br />

Krankheitsfolgen erforderlich sind. Sie ist aber für die Praxis der<br />

Jugendhilfe in der Regel nur von nachrangiger Bedeutung, da sie erst<br />

dann eine Leistung der Jugendhilfe wird, wenn kein Krankenversicherungsschutz<br />

für den jungen Menschen besteht. Dennoch bleibt<br />

festzuhalten, dass auch die Krankenhilfe gemäß §40 SGB VIII bei<br />

Bedarf suchttherapeutische Leistungen mit umfassen kann.<br />

Nun zu den Fakten und Zusammenhängen, die in der Praxis gegen eine<br />

Einbeziehung suchttherapeutischer Leistungen in den Leistungskatalog der<br />

Eingliederungshilfe bzw. der Leistungen zur Teilhabe nach §35a SGB VIII sprechen:<br />

Rehabilitationsleistungen werden von unterschiedlichen Trägern der Rehabilitation<br />

erbracht und in unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern normiert. Obwohl es im SGB<br />

IX allgemein gültige Regelungen zum Rehabilitations- und Teilhaberecht behinderter<br />

Menschen gibt, bleibt das Verhältnis der einzelnen Gesetze zueinander letztendlich<br />

unklar. Diese Unklarheit bereitet im hiesigen Untersuchungszusammenhang immer<br />

dann Probleme, wenn die Zuständigkeit einzelner Rehabilitationsträger für<br />

suchttherapeutische Leistungen in Frage steht. In der Praxis sehen sich öffentliche<br />

Jugendhilfeträger in der Regel nicht zuständig für die Finanzierung suchttherapeutischer<br />

Leistungen. Diese Position können sie mit folgender Argumentation<br />

untermauern:<br />

o Der öffentliche Träger der Jugendhilfe kann auf einen generellen<br />

Nachrang von Jugendhilfe gegenüber Verpflichtungen Dritter<br />

verweisen, §10 Absatz 1 SGB VIII. Ausgenommen hiervon sind<br />

lediglich Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II und<br />

Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII, die ihrerseits gegenüber der<br />

Jugendhilfe nachrangig sind. Hieraus können Jugendämter ohne<br />

weiteres eine Nichtzuständigkeit für suchttherapeutische Leistungserbringungen<br />

ableiten, da erst einmal Kranken- und ggf. Rentenversicherungsträger<br />

vorrangig zuständig wären.<br />

- 21 -


o Im Besonderen sind Leistungen der medizinischen Rehabilitation<br />

vorrangig von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und<br />

Krankenversicherung zu erbringen. Der Träger der Sozialhilfe und der<br />

Träger der Jugendhilfe gewähren nur nachrangig Leistungen zur<br />

medizinischen Rehabilitation. Zur medizinischen Rehabilitation<br />

gehören, wie bereits dargestellt, medizinische, psychologische und<br />

pädagogische Hilfen. Dies sind insbesondere auch Hilfen zur<br />

Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, bei<br />

der Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, der Vermittlung von<br />

Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten, bei<br />

Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen<br />

Kompetenz. Unter anderem sind hiervon auch das Training sozialer<br />

und kommunikativer Fähigkeiten, der Umgang mit Krisensituationen,<br />

das Training lebenspraktischer Fähigkeiten, sowie die Anleitung und<br />

Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen der medizinischen<br />

Rehabilitation mit umfasst (vgl. §26 Absatz 3 SGB IX). Wenn man<br />

suchttherapeutische Leistungen als medizinische Rehabilitationsleistungen<br />

definiert, kann der öffentliche Jugendhilfeträger seine<br />

Zuständigkeit mit dem Argument von sich weisen, dass die Träger der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung vorrangig leistungsverpflichtet sind.<br />

o In der Sozialgesetzgebung gilt grundsätzlich das Prinzip der<br />

gegliederten Organisation, das festlegt, dass Rehabilitationsleistungen<br />

Bestandteil der einzelnen Sozialleistungsbereiche bleiben.<br />

Aus dem Prinzip der gegliederten Organisation kann abgeleitet<br />

werden, dass medizinische Rehabilitationsleistungen, die Leistungen<br />

nach dem SGB V sind, im Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherungen<br />

verbleiben.<br />

2.3 Überblick über die Zuständigkeiten für Leistungserbringungen, Zusammenfassung<br />

der Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der Diskussion<br />

Entzugs- bzw. Entgiftungsbehandlungen sind Krankenbehandlung (SGB V) und damit<br />

Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen und nicht der Jugendhilfeträger.<br />

Die medizinische Rehabilitation fällt vorrangig in die Zuständigkeit der Krankenversicherungsträger<br />

und erst nachrangig in die Zuständigkeit des öffentlichen<br />

Jugendhilfeträgers.<br />

Entwöhnungsbehandlungen unterliegen vor allem den Regelungen des SGB VI und<br />

fallen vorrangig in die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger. Da es bei<br />

Leistungen der Rentenversicherungsträger um Erwerbsfähigkeit bzw. um deren<br />

Wiederherstellung geht (vgl. vor allem §§9 bis 11 SGB VI) sind die Adressaten bzw.<br />

die Anspruchsberechtigten in der Regel gerade nicht Jugendliche, sondern<br />

erwerbstätige bzw. ehemals erwerbstätige Erwachsene.<br />

- 22 -


Wie in der Diskussion gezeigt, besteht eine widersprüchliche Rechtslage hinsichtlich<br />

der Fragestellung, ob für die Finanzierung und Gewährung suchttherapeutischer<br />

Leistungen in Bezug auf junge Menschen mit seelischen Behinderungen und<br />

komorbiden Suchtstörungen der öffentliche Jugendhilfeträger zuständig ist, oder<br />

nicht.<br />

Für eine Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers spricht, dass<br />

· Suchtstörungen „seelische Behinderung“ im Sinne des §35a SGB VIII<br />

sein können;<br />

· suchttherapeutische Leistungen Teilhabeleistungen im Sinne des<br />

§4 Absatz 1, Nummern 1 und 2 SGB IX sein können;<br />

· Leistungen aus einer Hand erbracht werden sollen, (vgl. §4 Absatz 2,<br />

Satz 2 SGB IX);<br />

· nach §4 Absatz 3, Satz 1 SGB IX Leistungen für behinderte, oder von<br />

Behinderung bedrohte Kinder so geplant und gestaltet werden sollten,<br />

dass eine Trennung vom sozialen Umfeld nach Möglichkeit vermieden<br />

wird;<br />

· suchttherapeutische Leistungen in den Bereich der medizinischen Rehabilitation<br />

gehören und damit auch Leistungen der Eingliederungshilfe<br />

nach §35a SGB VIII sein können und zwar über die Verweisungskette<br />

der §§ 35a Absatz 3 SGB VIII in Verbindung mit 54 Absatz 1 SGB XII<br />

und 26 Absatz 1 Ziffern 1, 2, sowie Absatz 3 SGB IX;<br />

· auch die Krankenhilfe gemäß §40 SGB VIII bei Bedarf suchttherapeutische<br />

Leistungen mit umfasst.<br />

Gegen eine Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers spricht, dass<br />

· öffentliche Träger der Jugendhilfe auf einen generellen Nachrang von<br />

Jugendhilfe gegenüber Verpflichtungen Dritter verweisen können,<br />

§10 Absatz 1 SGB VIII;<br />

· im Besonderen Leistungen der medizinischen Rehabilitation vorrangig<br />

von den Trägern der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung<br />

zu erbringen sind und insoweit die Träger der öffentlichen Jugendhilfe<br />

nur nachrangig in Frage kommen (Wiesner, 2006);<br />

· sich aus dem Prinzip der gegliederten Organisation ebenfalls nur eine<br />

Nachrangigkeit des öffentlichen Jugendhilfeträgers gegenüber der<br />

Zuständigkeit der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherungen<br />

ableiten lässt.<br />

Wiesner (2006) stellt in Bezug auf die Eingliederungshilfe im Rahmen der<br />

Regelungen zum Rehabilitations- und Teilhaberecht behinderter Menschen fest,<br />

dass, obwohl es im SGB IX allgemein gültige Regelungen zum Rehabilitations- und<br />

Teilhaberecht behinderter Menschen gibt, das Verhältnis der einzelnen Gesetze<br />

zueinander letztendlich unklar bleibt. „Es fehlt trotz des (kleinen) gemeinsamen<br />

Nenners „Behinderung“ die Kohärenz zwischen den verschiedenen Systemen“<br />

(Wiesner 2006, S.546).<br />

- 23 -


Hinsichtlich notwendiger Entwöhnungsmaßnahmen für jugendliche Betroffene führt<br />

Fegert aus: „Die Tatsache, dass die klassische Drogenentwöhnung in die Zuständigkeit<br />

der Rentenversicherungsträger fällt, führt dazu, dass jugendspezifische<br />

Entwöhnungsmaßnahmen fast generell fehlen. Gleichzeitig werden die Adressaten<br />

für solche Hilfen deutlich jünger, so dass die begrenzte weitere Entwicklung von<br />

Spezialeinrichtungen in diesem Bereich durchaus notwendig erscheint“ (Fegert in:<br />

Wiesner 2006, S.572).<br />

Es wird somit offensichtlich, dass ungeklärte rechtliche Zuständigkeitsfragen in der<br />

Praxis zu tatsächlichen Versorgungsmängeln für die jugendliche Zielklientel führen<br />

(zu den Abgrenzungsfragen und Zuständigkeitsproblemen vgl. auch Münder u.<br />

Wiesner, 2007).<br />

An dem tatsächlichen Versorgungsdefizit ändern auch die §§10 und 12 SGB IX<br />

nichts, die die Koordinierung von Leistungen verschiedener Leistungsgruppen und<br />

mehrerer Rehabilitationsträger, sowie die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger<br />

untereinander zum Gegenstand haben. Die rechtlichen Regelungen für ein geschmeidiges<br />

Ineinandergreifen erforderlicher Hilfen als Komplexleistungen verschiedener<br />

Rehabilitationsträger sind zwar vorhanden, finden aber in der Praxis in Bezug auf<br />

suchttherapeutische Leistungen für die Zielgruppe keine Anwendung. Dies ist sehr zu<br />

beklagen.<br />

Im Rahmen dieser Masterarbeit kann der widersprüchliche und unbefriedigende<br />

rechtliche Befund und das hieraus resultierende tatsächliche Versorgungsdefizit nur<br />

dargestellt und bemängelt, nicht jedoch behoben werden. Es bleibt Aufgabe des<br />

Gesetzgebers, durch eine Bereinigung von rechtlichen Widersprüchen im Rehabilitationsrecht<br />

eine eindeutige juristische Ausgangslage zu schaffen, die der Entwicklung<br />

suchttherapeutischer Hilfen für die Zielklientel im Rahmen von Jugendhilfeleistungen<br />

förderlich ist.<br />

- 24 -


3 Der Stand der Forschung zu den Suchtstörungen im Kindes- und<br />

Jugendalter, den psychiatrischen Komorbiditäten, der Salutogenese und den<br />

suchttherapeutischen Handlungsansätzen<br />

3.1 Begriffe, Definitionen und Eingrenzungen<br />

Zunächst werden hier einige Schlüsselbegriffe definiert und gegeneinander<br />

abgegrenzt. Im Einzelnen betrifft dies die Begriffe „Abhängigkeitssyndrom“ bzw.<br />

„Substanzabhängigkeit“, „schädlicher Substanzgebrauch“ bzw. „Substanzmissbrauch“,<br />

sowie die Begriffe „problematischer Konsum“ und „Suchtstörung“.<br />

Außerdem werden die Begriffe „Komorbidität“ und „Resilienz“ definiert und es<br />

werden Eingrenzungen im Rahmen dieser Arbeit in Bezug auf spezifische, von<br />

jungen Menschen konsumierte psychotrope Substanzen und komorbide psychische<br />

Störungsbilder vorgenommen und begründet.<br />

3.1.1 Abhängigkeitssyndrom und Substanzabhängigkeit, schädlicher<br />

Substanzgebrauch und missbräuchlicher Substanzkonsum<br />

Die ICD 10 definiert das Abhängigkeitssyndrom wie folgt:<br />

Drei oder mehr der folgenden Kriterien müssen innerhalb des letzten Jahres<br />

gleichzeitig erfüllt gewesen sein:<br />

· starker Wunsch oder eine Art Zwang, Substanzen oder Alkohol zu konsumieren;<br />

· verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und<br />

der Menge des Substanzkonsums;<br />

· körperliches Entzugssyndrom;<br />

· Nachweis einer Toleranz;<br />

· fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des<br />

Substanzkonsums;<br />

· anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher<br />

Folgen.<br />

Nach dem DSM IV, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, einem<br />

Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, lauten die Kriterien für<br />

eine Substanzabhängigkeit:<br />

Ein unangepasstes Muster von Substanzgebrauch führt in klinisch bedeutsamer<br />

Weise zu Beeinträchtigung oder Leiden, wobei mindestens drei der folgenden<br />

Kriterien in einem 12- Monats- Zeitraum auftreten:<br />

1. Toleranzentwicklung:<br />

· Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung;<br />

· deutliche Wirkungsminderung bei derselben Dosis.<br />

2. Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:<br />

· charakteristisches Entzugssyndrom der jeweiligen Substanz;<br />

· Einnahme derselben oder einer ähnlichen Substanz, um Entzugssymptome<br />

zu lindern oder zu vermeiden.<br />

- 25 -


3. Einnahme der Substanz häufig in größeren Mengen oder länger, als<br />

beabsichtigt;<br />

4. anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu<br />

verringern, oder zu kontrollieren;<br />

5. viel Zeit für Aktivitäten, um die Substanz zu beschaffen, sie zu sich zu<br />

nehmen, oder sich von ihrer Wirkung zu erholen;<br />

6. Aufgabe oder Einschränkung von wichtigen sozialen, beruflichen oder<br />

Freizeitaktivitäten aufgrund des Substanzkonsums;<br />

7. fortgesetzter Substanzkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder<br />

wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich<br />

durch die Substanz verursacht, oder verstärkt wurde<br />

· mit körperlicher Abhängigkeit: Vorliegen von Toleranzentwicklung,<br />

oder Entzugserscheinungen (Kriterium 1 oder 2 ist erfüllt);<br />

· ohne körperliche Abhängigkeit: kein Vorliegen von Toleranzentwicklung,<br />

oder Entzugserscheinungen (weder Kriterium 1, noch<br />

Kriterium 2 ist erfüllt).<br />

Nach den ICD 10- Kriterien für den schädlichen Substanzgebrauch müssen für die<br />

Diagnose alle folgenden Kriterien zutreffen:<br />

· es muss eine tatsächliche Schädigung der physischen oder psychischen<br />

Gesundheit bestehen;<br />

· schädliches Konsumverhalten muss häufig von anderen kritisiert<br />

werden und hat unterschiedliche negative soziale Folgen;<br />

· schädlicher Gebrauch ist bei einem Abhängigkeitssyndrom, einer<br />

psychotischen Störung oder bei anderen substanzbedingten Störungen<br />

(insbesondere: bei akuter Intoxikation, Entzugssyndrom, Entzugssyndrom<br />

mit Delir, psychotischen Störungen, amnestischem Syndrom)<br />

nicht zu diagnostizieren.<br />

Schuhler schlägt vor, den Begriff des schädlichen Gebrauchs über die Kriterien der<br />

physischen oder psychischen Folgeschädigung hinaus auch auf all die Fälle<br />

anzuwenden, in denen noch keine manifeste Abhängigkeit eingetreten ist, in denen<br />

das Suchtmittel jedoch dysfunktional zur Alltagsbewältigung eingesetzt wird. Dies sei<br />

immer dann der Fall, wenn das Suchtmittel mit einer (oft auch verdeckten)<br />

Wirkungsabsicht konsumiert wird, z.B. um Sorgen zu dämpfen, Hemmungen oder<br />

Ängste abzubauen (Schuhler, 2007).<br />

Das DSM IV definiert Substanzmissbrauch als:<br />

ein unangepasstes Muster von Substanzkonsum, das in klinisch bedeutsamer Weise<br />

zu Beeinträchtigungen oder Leiden führt, wobei sich mindestens eines der folgenden<br />

Kriterien innerhalb eines 12- Monats- Zeitraums manifestiert:<br />

· Wiederholter Substanzkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung<br />

wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause<br />

führt;<br />

· wiederholter Substanzkonsum in Situationen, in denen es auf Grund des<br />

Konsums zu körperlichen Gefährdungen kommen kann (Alkohol am<br />

Steuer, Bedienen von Maschinen unter Substanzeinfluss etc.);<br />

· wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz im Zusammenhang mit dem<br />

Substanzkonsum;<br />

- 26 -


· fortgesetzter Substanzkonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer<br />

oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen der<br />

psychotropen Substanz verursacht oder verstärkt werden.<br />

Die Symptome haben niemals die Kriterien der Substanzabhängigkeit erfüllt.<br />

3.1.2 Kritik an den Definitionen von Abhängigkeit, schädlichem Gebrauch und<br />

missbräuchlichem Konsum in Bezug auf den jugendlichen Substanzkonsum<br />

In Bezug auf die Diagnose von Substanzmissbrauch und Abhängigkeit wird aktuell<br />

darüber diskutiert, in wieweit die diagnostischen Kriterien der ICD 10 und des DSM IV<br />

ein problematisches Konsumverhalten Jugendlicher und Adoleszenter überhaupt<br />

sicher erfassen können (Laging, 2009). Die Kritik an den genannten diagnostischen<br />

Kriterien bemängelt vor allem, dass es an Kriterien fehle, die die altersbezogenen<br />

entwicklungsspezifischen Schäden und Einschränkungen durch den Substanzkonsum<br />

beschreiben. Störungen der anstehenden Entwicklungsaufgaben (z.B.<br />

Ablösung aus dem Elternhaus, Identitäts- und Autonomieentwicklung) würden nicht<br />

hinreichend berücksichtigt. Die Diagnosekriterien der ICD 10 und des DSM IV<br />

fokussierten zu einseitig auf das Konsumverhalten und die Substanz und<br />

vernachlässigten die Entwicklungsperspektive und die soziale Lage der Jugendlichen.<br />

Weiterhin wird kritisiert, dass die Operationalisierung des Missbrauchsbegriffs<br />

auf Erwachsene ausgerichtet sei, Substanzmissbrauch bei Jugendlichen kein<br />

geschlossenes Störungsbild darstelle, die kategoriale Zweiteilung und zeitliche<br />

Abfolge von Missbrauch und Abhängigkeit sich bei Jugendlichen empirisch nicht<br />

bestätigen lasse und die Abhängigkeitskriterien „Entzugssymptomatik“ und<br />

„körperliche Folgeprobleme“ bei Jugendlichen eine zu geringe Prävalenz hätten, um<br />

diagnostisch überhaupt bedeutsam zu werden (Laging, 2009).<br />

Winters (2001, zitiert nach Laging, 2009) schlägt daher ein jugendspezifisches<br />

Assessment vor, in dem auf einem Kontinuum zwischen Abstinenz, experimentellem,<br />

altersadäquatem Gebrauch, frühem Missbrauch, Missbrauch und Abhängigkeit<br />

unterschieden wird, wobei die Übergänge fließend sind. Hierbei entwickelt er<br />

Merkmale zur Einschätzung des Konsumverhaltens Jugendlicher. Diese sind vor<br />

allem:<br />

· Das Alter bei Konsumbeginn: Jeder Konsum vor der Adoleszenz ist nicht<br />

altersgerecht und ein starker Prädiktor für spätere Folgeprobleme<br />

(Substanzmissbrauch, Verhaltensauffälligkeiten, Schulversagen).<br />

· Das Konsummuster: Kritisch sind<br />

o ein verlängerter Gebrauch unterschiedlicher Quantitäten;<br />

o die aktuelle Einnahme großer Mengen;<br />

o der Konsum in unangemessenen Situationen, z.B. während der<br />

Schulzeit.<br />

· Die Konsummotive: Motive, die auf den Wunsch nach einer gezielten<br />

Stimmungsaufhellung bzw. Manipulation von Affekten hinweisen, sind<br />

kritischer einzuschätzen, als Motive, die den sozialen Kontext oder den<br />

experimentellen Charakter des Konsums betonen.<br />

· Risikowahrnehmung: Eine unrealistische Risikoeinschätzung in Bezug auf<br />

den Substanzkonsum ist problematisch.<br />

- 27 -


· Kumulation von Risikofaktoren und negative psychische oder soziale<br />

Folgen: Bei vulnerablen Jugendlichen ist auch ein experimenteller Konsum<br />

kritisch einzuschätzen. Der Substanzkonsum ist ebenfalls problematisch<br />

beim Auftreten von Entwicklungsverzögerungen oder psychischen<br />

Störungen.<br />

Auch aus entwicklungspsychopathologischer Sicht ist Kritik an den Diagnosekriterien<br />

der ICD 10 und des DSM IV in Bezug auf Suchtstörungen bei Jugendlichen geäußert<br />

worden. Hauptkritikpunkte sind die fehlende Berücksichtigung entwicklungstypischer<br />

Besonderheiten und altersbezogener Kriterien (<strong>Thomas</strong>ius et al. 2009). Die einseitige<br />

Fokussierung auf Substanz und Konsummuster vernachlässigt insbesondere<br />

biopsychosoziale Wechselwirkungen in der Entwicklung junger Menschen.<br />

Angepasstes, bzw. abweichendes Verhalten kann als das Ergebnis eines Prozesses,<br />

bei dem die gesamte Verhaltensentwicklung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />

Berücksichtigung finden muss, interpretiert werden (Petermann et al. 2004).<br />

Zur Unterscheidung von Gebrauch und Missbrauch werden deshalb die folgenden<br />

vier Kriterien vorgeschlagen:<br />

· Substanz- und Konsumumstände: Ein Missbrauch liegt vor, wenn<br />

Substanzen mit hohem gesundheitlichem Risikopotenzial konsumiert<br />

werden, oder wenn der Konsum großer Mengen bzw. mittlerer Mengen<br />

über eine lange Zeit, sowie kleiner Mengen in unangemessenen<br />

Situationen (z.B. in der Schule) erfolgt.<br />

· Person: Ein Missbrauch besteht, wenn die Voraussetzungen für einen<br />

kontrollierten Gebrauch aufgrund des Entwicklungsstandes und der<br />

Umstände nicht gegeben sind bzw. eine altersgerechte Entwicklung<br />

behindert wird, z.B. durch regelmäßigen Konsum vor und in der Pubertät.<br />

· Reaktion: Ein Missbrauch besteht bei Anzeichen physischer Abhängigkeit,<br />

oder einer Einschränkung der Funktionsfähigkeit im Alltag.<br />

· Konsequenzen: Ein Missbrauch besteht bei Beeinträchtigungen der<br />

Gesundheit, der sozialen Beziehungen und bei Problemen mit dem<br />

Gesetz.<br />

Hierbei ist jedoch jugendliches Experimentierverhalten zu berücksichtigen, welches<br />

auch vor Risiken für die körperliche Integrität und vor Extremsituationen nicht<br />

zurückschreckt (du Bois u. Resch, 2005), was die Abgrenzung im Einzelnen enorm<br />

erschweren kann.<br />

Aus psychopathologischer Sicht werden zwei maladaptive Entwicklungsverläufe bei<br />

Jugendlichen benannt, bei denen der Substanzkonsum häufig in Suchtstörungsverläufe<br />

einmündet (<strong>Thomas</strong>ius et al. 2009). Zum einen handelt es sich um<br />

Jugendliche, die schon seit der Kindheit auffälliges Problemverhalten zeigten im<br />

Sinne von früh einsetzenden externalisierenden Störungen des Sozialverhaltens, vor<br />

allem in Form aggressiven und regelverletzenden Verhaltens. Substanzmissbrauch<br />

ist hier nur ein Symptom der Anpassungsstörungen unter vielen anderen. Im weiteren<br />

Verlauf der Adoleszenz und des Erwachsenwerdens verfestigt sich dann häufig das<br />

Störungsbild einer antisozialen Persönlichkeit.<br />

Zum anderen gibt es maladaptive Entwicklungsverläufe, die durch komorbide<br />

psychische Störungen internalisierender Art gekennzeichnet sind, vor allem in Form<br />

von Angststörungen und Depressionen. Hier wird der Suchtmittelkonsum zur<br />

Reduzierung psychopathologischer Symptome im Sinne einer Selbstmedikation<br />

eingesetzt und mündet ebenfalls oft in Missbrauchs- und Abhängigkeitsverhalten ein.<br />

- 28 -


3.1.3 Zusammenfassung der Kriterien für problematischen jugendlichen<br />

Substanzkonsum<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Abgrenzung von<br />

Substanzgebrauch, Substanzmissbrauch und Abhängigkeit bei Jugendlichen<br />

schwierig ist, jedoch immer dann besser gelingt, wenn die Bewältigung alters- und<br />

entwicklungstypischer Aufgaben, bzw. deren Beeinträchtigungen durch den<br />

Substanzkonsum mit berücksichtigt werden.<br />

Ein problematischer Konsum, der nicht mehr als nur altersadäquater, experimenteller<br />

Substanzgebrauch einzuschätzen ist, liegt demnach immer dann vor, wenn:<br />

· ein problematisches Konsummuster besteht (verlängerter Gebrauch<br />

unterschiedlicher Quantitäten, aktuelle Einnahme großer Mengen, oder<br />

Konsum in unangemessenen Situationen);<br />

· im Zusammenhang mit komorbiden psychischen Störungen konsumiert<br />

wird;<br />

· komorbid externalisierende Verhaltens- bzw. internalisierende<br />

Affektstörungen vorliegen;<br />

· Konsum auf dem Hintergrund lebensgeschichtlich früher Risikofaktoren<br />

auftritt;<br />

· regelmäßig vor dem 16. Lebensjahr konsumiert wird;<br />

· der Konsum eine altersgerechte Entwicklung behindert, Entwicklungsverzögerungen<br />

eintreten, oder altersgemäße Entwicklungsaufgaben nicht<br />

mehr gelöst werden können (z.B. die Ablösung aus dem Elternhaus);<br />

· es zu Einschränkungen der Funktionsfähigkeit im Alltag kommt<br />

(z.B. Schulprobleme infolge des Substanzkonsums);<br />

· vulnerable Jugendliche konsumieren (dies ist insbesondere dann der Fall,<br />

wenn aversive intrapsychische Zustände wie z.B. starke innere<br />

Anspannungen, Ängste, oder depressive Verstimmungen durch den<br />

Suchtmittelkonsum zeitweilig „weg gemacht“ werden sollen, oder wenn<br />

eine Stimmungsaufhellung angestrebt wird);<br />

· die Voraussetzungen für einen kontrollierten Gebrauch aufgrund des<br />

Entwicklungsstandes des jungen Menschen und seiner Umstände nicht<br />

gegeben sind;<br />

· es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt;<br />

· es zu Beeinträchtigungen der sozialen Beziehungen kommt;<br />

· es zu Problemen mit dem Gesetz kommt;<br />

· Anzeichen physischer und/ oder psychischer Abhängigkeit bestehen.<br />

- 29 -


3.1.4 Suchtstörungs- Begriff<br />

Unter Berücksichtung der oben erwähnten Kritikpunkte an den diagnostischen<br />

Kriterien der ICD 10 und des DSM IV in Bezug auf Störungen im Kontext jugendlichen<br />

Substanzkonsums werden die Begriffe Abhängigkeit, sowie schädlicher<br />

Gebrauch bzw. Missbrauch im folgenden nicht weiter verwendet, sondern durch den<br />

Begriff der Suchtstörung ersetzt. Umfasst ist von diesem Begriff jede Form des<br />

jugendlichen Suchtmittelkonsums, die sich beeinträchtigend auf die sich dem<br />

Jugendlichen stellenden Entwicklungsaufgaben auswirkt, sowie Konsum im<br />

Zusammenhang mit komorbid vorliegenden psychischen Störungen und zwar unter<br />

Einschluss derjenigen Kriterien, die in Kapitel 3.1.3 genannt sind.<br />

3.1.5 Komorbiditäts- Begriff<br />

Komorbidität ist definiert als das Auftreten von mehr als einer spezifischen Störung<br />

bei einer Person in einem bestimmten Zeitabschnitt.<br />

3.1.6 Resilienz- Begriff<br />

Der Begriff der Resilienz ist nicht eindeutig definiert. Das englischsprachige Wort<br />

“resilience” bezeichnet zunächst „the ability of people or things to feel better quickly<br />

after something unpleasant, such as shock, injury, etc.” (Oxford Dictionary 2004,<br />

S.1000). Da es vom lat. „resilire“: „zurückspringen“, „abprallen“ kommt, kann es<br />

ebenfalls übersetzt werden mit „stabil“, „robust“, „belastbar“, „spannkräftig“,<br />

„unverwüstlich“, „federnd“, „elastisch“, „nachgiebig“, so dass der Resilienz- Begriff<br />

sowohl die Eigenschaften Widerstandsfähigkeit, Stabilität, Belastbarkeit,<br />

Unverwüstlichkeit, Robustheit und Spannkraft umfasst, als auch Elastizität und<br />

Nachgiebigkeit/ Anpassungsfähigkeit. (Oxford Dictionary, a.a.O). Im Begriff mit<br />

eingeschlossen ist also auch die Fähigkeit, auf entwicklungskritische Risikosituationen<br />

flexibel und elastisch- anpassungsfähig reagieren zu können.<br />

Ein weiteres Merkmal der Resilienz ist die Fähigkeit, trotz hoher Belastungen<br />

physisch und psychisch gesund zu bleiben und an Herausforderungen zu wachsen,<br />

statt an diesen zu zerbrechen.<br />

In der Literatur wird Resilienz definiert als besonders hohe Stressresistenz bei starker<br />

Entwicklungsplastizität, die einerseits durch hohe Stresstoleranz und andererseits<br />

durch eine gute Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Lebensbedingungen<br />

gekennzeichnet ist (Klein, 2009).<br />

Margraf definiert Resilienz als das Ausmaß der Widerstandskraft einer Person, die es<br />

ihr ermöglicht, negativen Einflüssen standzuhalten, ohne z.B. eine psychische<br />

Störung zu entwickeln. Er definiert sie als das Gegenstück zu Vulnerabilität<br />

(Margraf, 2000).<br />

All diese Aspekte sind im Begriff der Resilienz enthalten und mitzudenken.<br />

- 30 -


3.1.7 Eingrenzungen<br />

Im Rahmen dieser Arbeit können nicht alle psychotropen bzw. psychoaktiven<br />

Substanzen („psychotrop“ bzw. synonym „psychoaktiv“ ist jede von außen zugeführte<br />

Substanz, die intrapsychische Prozesse beeinflusst und Veränderungen der Psyche<br />

und des Bewusstseins zur Folge hat), die von Jugendlichen konsumiert werden,<br />

abgehandelt werden. Ich beschränke mich deshalb auf die im Jugendalter am<br />

häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen Alkohol, Tabak und Cannabis,<br />

die auch in der Jugendhilfepraxis die höchste Relevanz haben. Das gleiche gilt für die<br />

Fülle psychischer Störungsbilder, die komorbid mit Substanzstörungen einhergehen<br />

können. Sie können nicht alle im Rahmen dieser Arbeit aufgeführt und dargestellt<br />

werden. Es werden deshalb vor allen Dingen die am häufigsten auftretenden<br />

externalisierenden und internalisierenden Störungen, sowie psychotische Störungen<br />

berücksichtigt.<br />

3.2 Epidemiologie: Zahlen und Fakten zu den Suchtstörungen junger<br />

Menschen in Deutschland; ein Überblick<br />

25% bis 30% aller jungen Menschen unter 25 Jahren in Deutschland gelten als<br />

suchtgefährdet. Das sind ca. fünf Millionen Kinder, Jugendliche und junge<br />

Erwachsene. Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen mit problematischem<br />

Suchtmittelkonsum beginnt vor dem 14. Lebensjahr mit dem Missbrauch psychoaktiver<br />

Substanzen. Jeder sechste bis siebente Jugendliche konsumiert aktuell<br />

Alkohol oder Drogen.<br />

Ein Fünftel aller Jugendlichen raucht regelmäßig. In keinem anderen EU- Land<br />

rauchen so viele 15- Jährige regelmäßig, wie in Deutschland. Substanzbezogene<br />

Todesfälle machen in den Industrieländern ca. 30% aller Todesfälle in der Gruppe der<br />

15 bis 29- Jährigen aus (Weichold, 2009).<br />

Die Zahl der Kinder suchtkranker Eltern in Deutschland liegt bei ca. 2,65 Millionen.<br />

Mehr als ein Drittel von ihnen wird im Laufe des Lebens selber suchtkrank.<br />

Untersuchungen belegen zudem, dass sich Kinder suchtkranker Eltern überzufällig<br />

häufig Partner mit Suchtproblemen suchen. Auf diese Weise werden vertraute<br />

Bindungsmuster aus der Kindheitsfamilie generationenübergreifend fortgesetzt<br />

(Arenz- Greiving 2000).<br />

12% bis 18% aller Jugendlichen in Deutschland sind von einer Störung durch<br />

Substanzkonsum betroffen (Koglin u. Petermann, 2008).<br />

3.2.1 Alkohol<br />

· In Deutschland konsumiert die Altersgruppe der 12 bis 25- Jährigen im<br />

Durchschnitt 69g reinen Alkohol pro Woche.<br />

· 50% in dieser Altersgruppe trinken mehr als 120g reinen Alkohol pro<br />

Woche. Eine Reinalkoholmenge von mehr als 120g pro Woche ist<br />

definiert als „intensiver Konsum“ (Weichold 2009, S.22).<br />

· In der Gruppe der 12 bis 24- Jährigen haben 10% eine Diagnose nach<br />

den DSM IV- Kriterien für Alkoholmissbrauch, und weitere 6% für eine<br />

Alkoholabhängigkeit (Koglin u. Petermann, 2008).<br />

- 31 -


· 67% der 17- jährigen Jungen und 40% der Mädchen in diesem Alter<br />

trinken mindestens ein Mal pro Woche Alkohol.<br />

· Rauschtrinken (sog. „binge- drinking“): Rauschtrinken ist definiert als der<br />

Konsum von fünf oder mehr Gläsern Alkohol nacheinander zu einer<br />

Trinkgelegenheit. 43% der männlichen und 25% der weiblichen<br />

Jugendlichen haben im letzen Monat zu einer Gelegenheit fünf oder<br />

mehr alkoholische Getränke konsumiert (BZgA 2004, zitiert nach<br />

Weichold, 2009). Die Lebenszeitprävalenz des Rauschtrinkens bei den<br />

12 bis 15- Jährigen liegt bei 12%. Bei den 16 bis 17- Jährigen beträgt sie<br />

51%. Binge- drinking ist ein hochriskantes Konsummuster.<br />

· Früher Beginn des Rauschtrinkens und dauerhaft hohe Trinkfrequenz<br />

über das Jugendalter hinweg kommen bei 16% der Jugendlichen vor.<br />

Typisch für diese Gruppe ist ein problematischer Verlauf bis in das<br />

Erwachsenenalter.<br />

· Von allen Inhaftierten des Jugendstrafvollzugs betreiben 60% einen<br />

Alkoholmissbrauch (Weichold, 2009).<br />

Folgen einer alkoholbezogenen Suchtstörung im Jugendalter sind nach Schmidt<br />

(2009) vor allem:<br />

· hirnorganische Beeinträchtigungen insbesondere der Lern- und<br />

Gedächtnisleistung mit Auswirkungen auf eine Vielzahl kognitiver<br />

Funktionen;<br />

· Schädigungen der Leberfunktion;<br />

· negative Effekte auf die Wachstums- und Geschlechtshormone;<br />

· ungünstige Effekte auf die Entwicklung von Muskeln, Knochen und<br />

Reproduktionsorganen.<br />

3.2.2 Tabak<br />

Die Zahlen für Tabakkonsum und Tabakabhängigkeit sind hoch (Weichold, 2009):<br />

· Das Einstiegsalter für das Rauchen liegt bei 12, 9 Jahren.<br />

· Das Einstiegsalter für regelmäßiges Rauchen liegt bei 14,8 Jahren.<br />

· Jugendliche Raucher im Alter zwischen 12 und 25 Jahren konsumieren<br />

im Durchschnitt 10 Zigaretten pro Tag. 19% der Raucher dieser<br />

Altersgruppe konsumieren sogar über 20 Zigaretten am Tag.<br />

· Unter den 12 bis 19- Jährigen sind 8% starke Raucher (mehr als 10<br />

Zigaretten täglich).<br />

· 25% aller Jugendlichen sind ständige Raucher, die zudem immer<br />

intensiver rauchen (Koglin u. Petermann, 2008).<br />

· Bei den 12 bis 25- jährigen Deutschen liegt die Lebenszeitprävalenz des<br />

Tabakkonsums bei 66% (65% bei den weiblichen und 68% bei den<br />

männlichen Jugendlichen; BZgA 2004, zitiert nach Weichold, 2009).<br />

· Raucherquoten (die Raucherquote ist definiert als der Anteil der<br />

ständigen oder gelegentlichen Raucher): Bei den 12 bis 25- jährigen<br />

Deutschen liegt die Raucherquote bei 35% (35% bei den weiblichen und<br />

36% bei den männlichen Jugendlichen). Bei den 12 bis 15- Jährigen liegt<br />

sie bei 15%; bei den 16 bis 19- Jährigen bei 43%. Bei den 20 bis 25-<br />

Jährigen liegt die Raucherquote bei 44%.<br />

- 32 -


· Die WHO- Studie „Health Behaviour in School- aged Children“ (HBSC)<br />

von 2006, in der 11 bis 15- jährige Schülerinnen und Schüler in NRW<br />

befragt wurden, weist aus: 6% aller Mädchen und Jungen dieser<br />

Altersgruppe haben regelmäßig, d.h. mindestens ein Mal pro Woche,<br />

aber nicht täglich, geraucht. Der Anteil bei den 15- jährigen Jungen lag<br />

bei 25%, der Anteil bei den 15- jährigen Mädchen bei 15% (HBSC-<br />

Studie 2006, zitiert nach <strong>Thomas</strong>ius et al. 2009).<br />

· Von den 12 bis 17- jährigen Jungen in den alten Bundesländern sind<br />

22% Raucher (ständiges und gelegentliches Rauchen), von den 12 bis<br />

17- jährigen Mädchen in den alten Bundesländern sind es 20%.<br />

· 32% der 12 bis 17- jährigen Jungen und 35% der Mädchen dieser<br />

Altersgruppe in den neuen Bundesländern sind Raucher (BZgA 2004a,<br />

zitiert nach Weichold, 2009).<br />

Die Folgen des Rauchens sind nach Wernz u. Batra (2009) u.a.:<br />

· Die Hälfte derer, die in Kindheit und Jugend mit dem Rauchen beginnen<br />

und über den weiteren Lebenslauf regelmäßige Konsumenten werden,<br />

stirbt an den unmittelbaren Folgen des Rauchens;<br />

· 22% aller Todesfälle bei Männern und 5% aller Todesfälle bei Frauen<br />

sind den unmittelbaren Folgen des Rauchens geschuldet;<br />

· in Deutschland sterben im Jahr mehr als 140 000 Menschen an den<br />

unmittelbaren Folgen des Rauchens;<br />

· Karzinomerkrankungen des Bronchialsystems, Herz- Kreislauf-<br />

Erkrankungen, Apoplexie, chronische Lungenerkrankungen;<br />

· neben Nikotin sind im Tabakrauch über 4000 weitere zum Teil hoch<br />

toxische Substanzen enthalten, die das Spektrum der tabakassoziierten<br />

Erkrankungen bestimmen. Es werden durch das Rauchen vor allem<br />

krebserregende, reproduktionstoxische und gefäßaktive Substanzen<br />

freigesetzt und wieder inhaliert.<br />

Der Tabakkonsum im Kindes- und Jugendalter wird in der Literatur demzufolge als<br />

paediatric disease beschrieben: Ein früher Konsumbeginn, d.h. ein Konsumbeginn im<br />

Kindes- und Jugendalter, führt entsprechend früh in die Abhängigkeit mit allen daraus<br />

resultierenden Folgerisiken und Folgeerkrankungen (Bornhäuser, 2008).<br />

3.2.3 Cannabis<br />

· Cannabis ist nach <strong>Thomas</strong>ius et al. (2009) die in Deutschland am<br />

häufigsten konsumierte illegale Droge.<br />

· 13% aller Jugendlichen haben Cannabis probiert. In der Altersgruppe bis<br />

25 Jahre sind ca. 5% aktuelle Konsumenten.<br />

· Das durchschnittliche Alter für den Erstkonsum beträgt in Deutschland<br />

16,4 Jahre.<br />

· Die Jahresprävalenz für Cannabiskonsum aller männlichen Jugendlichen<br />

in der Altersgruppe zwischen 12 und 19 Jahren liegt bei 11%. Für die<br />

weiblichen Jugendlichen dieser Altersgruppe liegt sie bei 5%.<br />

· Die Daten für die 30- Tage- Prävalenz liegen in dieser Altersgruppe noch<br />

höher: Für männliche Jugendliche liegt sie bei 14%, für weibliche<br />

Jugendliche bei 9%.<br />

- 33 -


· Der Anteil der regelmäßigen Konsumenten von Cannabis („regelmäßig“<br />

ist der Konsum bei 10 und mehr Konsumgelegenheiten im letzten Jahr)<br />

in der Altersgruppe der 18 bis 19- Jährigen liegt bei 4%. In der<br />

Altersgruppe der 14 bis 17- Jährigen liegt er bereits bei 2%.<br />

· 5% der Jugendlichen im Alter von 18 bis 20 Jahren haben einen<br />

positiven Screening- Befund auf der „Severity Dependence Scale“ (SDS)<br />

für Cannabisabhängigkeit (BZgA 2007b, zitiert nach <strong>Thomas</strong>ius et al.<br />

2009).<br />

Die unmittelbaren Folgen eines akuten Cannabis- Konsums im Kindes- und Jugendalter<br />

sind nach Bonnet (2009) insbesondere:<br />

· kurz andauernde psychotische Symptome;<br />

· neuropsychiatrische Störungen (kognitive Störungen der Konzentration,<br />

Auffassung, Merkfähigkeit und des Arbeitsgedächtnisses);<br />

· formale Denkstörungen (assoziative Lockerung, beschleunigtes,<br />

umständliches und weitschweifiges Denken);<br />

· Wahrnehmungsstörungen (Dehnung des Zeiterlebens, Synästhesien,<br />

verändertes Raum- und Farberleben, Steigerung taktiler Empfindungen);<br />

· Depersonalisations- und Derealisationserleben;<br />

· Gleichgültigkeit.<br />

Längerfristige psychiatrische Komplikationen durch Cannabis können nach Bonnet<br />

(2009) sein:<br />

· Cannabispsychose (Dauer: In der Regel mehr als 48 Stunden und<br />

weniger als 14 Tage);<br />

· Cannabishalluzinose (Dauer: bis 12 Monate und länger);<br />

· Flashbacks (plötzliches Rauscherleben Wochen bis Jahre (!) nach der<br />

letzten Intoxikation von Minuten- bis Stundendauer);<br />

· amotivationales Syndrom (Dauer: Wochen bis Jahre!): gekennzeichnet<br />

durch Lethargie, Passivität, Gleichgültigkeit, Affektverflachung,<br />

Interessenlosigkeit und sozialen Rückzug mit zum Teil erheblichen<br />

psychosozialen Beeinträchtigungen, die hieraus resultieren (z.B. Schulversagen,<br />

Unfähigkeit, eine Berufsausbildung erfolgreich durchzustehen,<br />

Vereinsamung);<br />

· kognitive Beeinträchtigungen (Dauer: Tage bis Jahre!); gekennzeichnet<br />

durch Defizite in Lern- und Gedächtnisfunktionen, Beeinträchtigungen<br />

der Leistungs- und Aufmerksamkeitsfähigkeit und, hieraus resultierend,<br />

drohendem Schulversagen bzw. Ausbildungsversagen mit allen damit<br />

zusammenhängenden psychosozialen Folgebeeinträchtigungen.<br />

Bestimmten Risikogruppen wird auch von einem gelegentlichen Konsum unbedingt<br />

abgeraten, nämlich vor allem:<br />

· schwangeren und stillenden Müttern;<br />

· Jugendlichen in der Reifungsphase bis zum 16. Lebensjahr;<br />

· psychisch labilen und komorbiden jungen Menschen (Bonnet, 2009).<br />

- 34 -


3.3 Ätiopathogenese; biopsychosoziales Modell<br />

Um Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter verstehen und therapeutische<br />

Ansätze aus diesem Verstehen ableiten zu können, ist es sinnvoll, zunächst<br />

diejenigen Prädiktoren zu identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit einer Entstehung,<br />

Entwicklung und Aufrechterhaltung von Suchtstörungen erhöhen. Die wichtigsten, die<br />

Ätiologie (Ursachen von Krankheiten) und Pathogenese (Entstehung und Entwicklung<br />

von Krankheiten) betreffenden Aspekte, werden im Folgenden diskutiert.<br />

Für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Suchtstörungen wird in der Literatur<br />

von einem multifaktoriellen biopsychosozialen Modell ausgegangen.<br />

3.3.1 Überbehütung als ein Prädiktor für die Entwicklung von Suchtstörungen<br />

Rost (2008) sieht in übermäßiger Verwöhnung einen bedeutsamen Prädiktor für die<br />

Entwicklung von Suchtstörungen. Kinder, denen alles Unangenehme abgenommen,<br />

die übermäßig umsorgt und verwöhnt, die von den unangenehmen Realitäten des<br />

Alltags ferngehalten, die überversorgt und überbehütet würden, erlebten in<br />

frustrierenden Situationen, die dennoch unausweichlich kämen, Gefühle der<br />

Hilflosigkeit, Bedrohung, des Ausgeliefertseins, der Angst, der Wut und der<br />

Verzweiflung. Diese hohen Erregungspotentiale könnten, so Rost, mit Suchtmittelkonsum<br />

kurzfristig gedämpft bzw. beseitigt werden.<br />

3.3.2 Alleingang und übermäßiges Unabhängigkeitsstreben als Risikofaktor<br />

Wallroth (2008) interpretiert Sucht als Antwort auf die Lebenslage Ungeborgenheit.<br />

Vielen Kindern fehlt es im Elternhaus an Wohlbehütetheit und Geborgenheit.<br />

Kindliche Bindungs-, Abhängigkeits- und Autonomiebedürfnisse werden nicht<br />

angemessen befriedigt und gefördert. Die Abwesenheit von Elternteilen, praktische<br />

und emotionale Vernachlässigung, Gewalt, emotionaler Missbrauch, der Wechsel von<br />

rigidem, feindseligem Erziehungsstil und Laisser- faire- Tendenzen führen dazu, dass<br />

solcherart betroffene Kinder auf sich selbst gestellt sind und häufig ein<br />

Lebensprogramm des Alleingangs und der Unabhängigkeit entwickeln nach der<br />

Maxime, um jeden Preis alleine zurechtkommen zu müssen. Hilfe anzunehmen<br />

hieße, Schwäche zu zeigen. Handlungs- und verhaltensleitende Grundüberzeugungen<br />

seien implizite Imperative, wie: „Ich muss alleine zurechtkommen!<br />

Denn ich kann niemandem vertrauen, mich auf niemanden verlassen!“ (Wallroth<br />

a.a.O, S.30).<br />

Das Lebensprogramm des Alleingangs und der Unabhängigkeit findet sich häufig in<br />

Verbindung mit einem Gefühl unerträglicher innerer Leere, dem durch süchtiges<br />

Verhalten ausgewichen wird (von Gebsattel, 1954).<br />

Der konsequente Alleingang in Verbindung mit dem Versuch, eine möglichst<br />

vollständige innere Unabhängigkeit von anderen Menschen zu erreichen und aufrecht<br />

zu erhalten, führt in die Isolation. Auf diese Weise schnitten sich betroffene junge<br />

Menschen von jeglicher Hilfe ab und könnten Ungeklärtes und Beunruhigendes nicht<br />

mehr aufarbeiten.<br />

- 35 -


Emotionale Turbulenzen würden dissoziiert. Die Dissoziation von ungeklärten<br />

eigenen Befindlichkeiten und das Streben nach radikaler Autonomie ließen sich mit<br />

stimmungsverändernden Substanzen sehr gut erreichen. Auf längere Sicht ist der<br />

Lebensentwurf des Alleingangs sehr gut realisierbar als ein Lebensentwurf der Sucht.<br />

Der Alleingang verhindert aber auch einen erfolgreichen Ausstieg aus der Sucht, weil<br />

dieser ohne die Annahme von Hilfeangeboten kaum möglich ist.<br />

Da hinter der Suchtdynamik ein Lebensentwurf des radikalen Alleingangs stehe,<br />

greife eine Kapitulation lediglich vor dem Suchtmittel als übermächtigem Gegner, der<br />

sich nicht beherrschen lasse, zu kurz. Die Kapitulation sei vielmehr vorrangig auf das<br />

Unabhängigkeitsstreben von anderen Menschen zu richten. Adressat der Kapitulation<br />

sei also nicht das Suchtmittel, sondern der Mitmensch als Gegenüber. Nur in einer<br />

Beendigung des sozialen Vermeidungsverhaltens und der Haltung des Alleingangs<br />

kann auch das Sich- abhängig- machen vom Suchtmittel überwunden werden. Nur in<br />

zwischenmenschlicher Abhängigkeit und emotionaler Angewiesenheit, nur im<br />

„Wagnis des Vertrauens“ könne sich „Autonomie als Geschenk“ (Wallroth 2008, S.36)<br />

entwickeln, da Autonomie immer auch auf zwischenmenschliche Solidarität und<br />

Interaktionen angewiesen sei. In einem sozialen Milieu, dass entwicklungsförderlich<br />

ist, sollten deshalb<br />

1. keine übergroßen Schritte bei der Bewältigung von Lebensaufgaben<br />

erwartet- und<br />

2. bescheidene Schritte zur Autonomieentwicklung gefördert werden und<br />

zwar durch emotionale Unterstützung und Ermutigung.<br />

3.3.3 Risikofaktor „prämorbide Persönlichkeit“<br />

Rost (2008) benennt persönlichkeitspsychologische Aspekte, die für die Entwicklung<br />

von Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter bedeutsam sind. Bei der sog.<br />

„prämorbiden Persönlichkeit“ sind psychische Strukturen unreif und brüchig. Eine<br />

Ausformung psychischer Unreife ist die Schwäche der zentralen Ich- Instanz: Die Ichschwache<br />

Person kann es sich nicht aus sich selbst heraus gut gehen lassen und<br />

leidet unter schwachen und zu durchlässigen Ich- Grenzen nach außen (in Bezug auf<br />

Außenanforderungen) und nach innen (in Bezug auf eigene Bedürfnisse, Gefühle und<br />

Triebe).<br />

Die eigenen Affekte drohen, das schwache Ich zu überschwemmen und in eine<br />

Regression aus Angst- und Schuldgefühlen zu führen. Eigene Affekte werden<br />

deshalb als bedrohlich erlebt und unterdrückt bzw. verdrängt. Dies führt dazu, dass<br />

eigene Gefühle oft nicht mehr adäquat wahrgenommen, differenziert und benannt<br />

werden können.<br />

Der fehlende Zugang zu eigenen Gefühlen und zum sprachlichen Ausdruck<br />

derselben führt zum Agieren: „Im Agieren drücken sich die unbegriffenen und<br />

unmentalisierten Spannungen aus. Namenloses Leid, unverstandene Schmerzen und<br />

bedrohliche Ängste werden sichtbar“ (Mertens 2005, S.198).<br />

Fehlende Affektdifferenzierung und eine zu schwach entwickelte Frustrationstoleranz<br />

führen zu starken intrapsychischen Spannungen, die als Konsumdruck erlebt werden.<br />

- 36 -


Der Einsatz des Suchtmittels dient hier vor allem einer künstlichen Affektabwehr. Es<br />

handelt sich um eine pharmakologisch induzierte massive Verleugnung von<br />

Gefühlen. Die lästige innere Wirklichkeit, sowie die Wahrnehmung und das Erleben<br />

der Außenwelt werden -zeitlich begrenzt- manipuliert (<strong>Thomas</strong>ius, 2000).<br />

Das Suchtmittel wird hier im Sinne einer negativen Verstärkung als Selbstmedikation<br />

eingesetzt. Schuldgefühle, Angst- und Spannungszustände sind alkohollöslich.<br />

Affekte können durch den Einsatz des Suchtmittels gedämpft, Frustrationen gemildert<br />

und defizitäre Ich- Strukturen zumindest vorübergehend kompensiert werden. Ein Ichschwacher<br />

junger Mensch fühlt sich erst unter der Wirkung des Suchtmittels als<br />

normal bzw. entspannt. Jedoch wird langfristig die Regulation von Affekten durch<br />

fortgesetzten Substanzkonsum zunehmend verlernt (Rost, 2008).<br />

3.3.4 Unsichere Bindung<br />

Zweyer (2008) führt unter Berufung auf Bowlby aus, dass eine enge Verbindung von<br />

elterlichem Bindungsverhalten und der kindlichen emotionalen und kognitiven<br />

Entwicklung besteht.<br />

Sichere Bindung durch die Bindungsfigur, die gekennzeichnet ist durch ein angemessenes<br />

Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes nach Sicherheit und<br />

Explorationsverhalten, entwickelt beim Kind ein inneres Arbeitsmodell des eigenen<br />

Selbst als geschätzt und kompetent. Unter „innerem Arbeitsmodell“ verstand Bowlby<br />

die Erwartungen eines Menschen an andere Menschen in Situationen, in denen sie<br />

gebraucht werden. Diese Erwartungen seien ein ziemlich genaues Abbild derjenigen<br />

Erfahrungen, die das Kind tatsächlich in bindungsrelevanten Situationen gemacht hat<br />

(Eckert et al. 2006).<br />

Kinder und Jugendliche mit sicherer Bindung zeigen bzw. haben nach Zweyer (2008):<br />

· einen höheren Selbstwert;<br />

· ein positiveres Selbstbild;<br />

· eine höhere Ich- Flexibilität;<br />

· eine höhere Ausdauer bei der Problemlösung;<br />

· einen angemesseneren Umgang mit Gefühlen;<br />

· höhere soziale Kompetenzen im Umgang mit Gleichaltrigen;<br />

· weniger feindselig- aggressives Verhalten;<br />

· mehr Freunde;<br />

· qualitativ bessere Beziehungen;<br />

· mehr aktive, problemlösungsorientierte Coping- Strategien und<br />

· weniger Probleme vermeidende Coping- Strategien,<br />

als Kinder und Jugendliche, die nicht sicher gebunden sind. Sichere Bindung führt zu<br />

einem positiven, realistischeren Selbstbild und ist eine solide Basis für den angemessenen<br />

Umgang mit starken Emotionen und belastenden Situationen. Sie ist ein<br />

starker Schutzfaktor gegen die Entwicklung süchtigen Verhaltens.<br />

Sichere Bindung fördert die Fähigkeit bei Kind und Eltern, sich produktiv und<br />

problemlösungsorientiert miteinander auseinanderzusetzen. So können beim Kind<br />

Autonomiebestrebungen und Verbundenheit mit den Eltern in Balance gehalten<br />

werden. Auch dies ist ein Schutzfaktor in Bezug auf das Risiko der Entwicklung einer<br />

Suchtstörung (Zweyer, a.a.O).<br />

- 37 -


Bereits im frühen Säuglingsalter ist sichere Bindung für eine positive psychische<br />

Entwicklung entscheidend (Senf u. Broda, 2007).<br />

Unsichere Bindung, gekennzeichnet durch häufige Zurückweisung der kindlichen<br />

Bedürfnisse nach Nähe und Sicherheit, sowie nach Exploration der Umwelt, führt<br />

hingegen beim Kind zu einem internen Arbeitsmodell des Selbst als nicht geschätzt<br />

und inkompetent.<br />

Die Bindungstheorie nach John Bowlby, die zwischen sicherer und unsicherer<br />

Bindung unterschied, ist in den Folgejahren weiterentwickelt worden und grenzt<br />

nunmehr folgende dysfunktional- unsicheren Bindungstypen gegeneinander ab:<br />

· Unsicher- ängstliche, vermeidende Bindung: Sie ist gekennzeichnet durch<br />

ein negatives Selbst- Modell, ein negatives Modell der Bindungsfigur,<br />

Furcht vor Nähe, sozial vermeidendes Verhalten, durch welches das Kind<br />

sich vor Zurückweisung zu schützen sucht, ein Gefühl persönlicher<br />

Unsicherheit und Misstrauen gegen andere (Schindler, 2009). Bei zurückweisenden<br />

Müttern wirken kleine Kinder bei Trennung von der Mutter<br />

kaum belastet. Bei Rückkehr der Mutter vermeiden sie Nähe und Kontakt<br />

zu dieser. Die ganze Aufmerksamkeit gilt dem Spielen (Zweyer, 2008).<br />

· Unsicher- ablehnende, distanzierte Bindung: Die unsicher- ablehnende,<br />

distanzierte Bindung ist gekennzeichnet durch ein negatives Modell der<br />

Bindungsfigur, ein positives Selbstmodell, eine Verachtung enger<br />

Bindungen, eine eingeschränkte Emotionalität, eine Betonung von Unabhängigkeit<br />

und Eigenständigkeit, sowie eine Angst vor Abhängigkeit<br />

(Schindler, 2009).<br />

· Unsicher- ambivalente Bindung: Bei Müttern mit inkonsistentem<br />

Erziehungsverhalten wirken Kinder bei Trennung von der Mutter<br />

emotional stark belastet. Bei Rückkehr der Mutter zeigen diese Kinder ein<br />

ambivalent- Nähe suchendes und Kontakt vermeidendes Verhalten<br />

(Zweyer, 2008).<br />

· Unsicher- desorganisierte bzw. desorientierte Bindung: Bei unkalkulierbar<br />

ängstlichen oder Angst einflößenden Eltern, sowie bei kindlichen<br />

Traumatisierungen durch elterliche Gewalt kommt es in und nach<br />

Trennungssituationen beim Kind zum Auftritt widersprüchlich- desorganisierter<br />

Verhaltensmuster, so z.B. auch zum „Erstarren“, oder „Einfrieren“,<br />

bei dem das Kind in eine Art Angststarre verfällt (Zweyer 2008, S.92).<br />

· Unsicher- anklammernde Bindung: Sie ist gekennzeichnet durch ein<br />

positives Modell der Bindungsfigur, ein negatives Selbstmodell des<br />

Kindes, ein übermäßiges Engagement in engen Beziehungen, eine<br />

Idealisierung Dritter und eine emotionale Hyperaktivierung. Weiterhin ist<br />

für das anklammernde Bindungsmuster typisch, dass das eigene<br />

Wohlbefinden von der Akzeptanz durch andere abhängig gemacht wird<br />

und eine stark Nähe suchende, anklammernde Beziehungsgestaltung<br />

ausgelebt wird (Schindler, 2009).<br />

- 38 -


Schindler (2009) sieht in allen unsicheren Bindungstypen Risikofaktoren für die<br />

Entwicklung von Suchtstörungen. Insbesondere sieht er jedoch zwischen dem<br />

ängstlich- vermeidenden Bindungsmuster und der Opiatabhängigkeit einen deutlichen<br />

Zusammenhang. Hier erfolge eine Regulation negativer Affekte durch die<br />

Substanzzufuhr. Der Drogenabhängige versuche mit Hilfe des Substanzkonsums,<br />

fehlende emotionale Bewältigungsmechanismen zu ersetzen.<br />

Nach Zweyer (2008) erhöht eine unsicher- vermeidende Bindung die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

sowohl von Depressionen, als auch von aggressiven Verhaltensstörungen.<br />

Diese wiederum sind starke Risikofaktoren für die Entwicklung von<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter.<br />

Unsicher- ambivalente Bindung erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit von Angststörungen,<br />

die ebenfalls ein Risikofaktor für die Entwicklung von Suchtstörungen sind.<br />

Unsicher- desorganisierte Bindung führt zur Entwicklung aggressiv- feindseligen<br />

Verhaltens und zu dissozial- antisozialen Symptomen im Jugendalter. Auch diese<br />

Verhaltensstörungen sind Risikofaktoren für eine spätere Suchtentwicklung.<br />

Alle Formen der Bindungsstörung erhöhen zudem beim Kind bzw. Jugendlichen das<br />

Risiko, affektive Störungen bzw. Störungen des Sozialverhaltens zu entwickeln.<br />

Diese wiederum sind starke Prädiktoren für die Entwicklung von Suchtstörungen<br />

(Zweyer, 2008).<br />

3.3.5 Ungünstige Erziehungsstile<br />

Hallmann (2008) identifiziert vier spezifische Erziehungsstile als Risikofaktoren, die<br />

die Entwicklung von Selbständigkeit beim Kind hemmen können. Diese dysfunktionalen<br />

Erziehungsstile fördern Persönlichkeitsmerkmale sowie Handlungsdispositionen,<br />

die das Risiko zur Entwicklung einer späteren Suchtstörung erhöhen.<br />

Dysfunktional in diesem Sinne sind:<br />

· Ein permissiver Erziehungsstil, gekennzeichnet durch Gleichgültigkeit<br />

gegenüber dem Kind, sowie durch ein konfliktfreies nebeneinander<br />

Herleben ohne emotionale Bindung und ohne verbindliche Grenzsetzungen.<br />

In einem solchen Milieu, in dem die Eltern als Versorgungsinstanz,<br />

nicht aber als Sozialisationsinstanz erlebt werden, entwickelt das<br />

Kind mangelnde persönliche Belastbarkeit und eine nur geringe Konfliktund<br />

Frustrationstoleranz. Ausweichverhalten gegenüber Konflikten und<br />

Problemen, sowie die Verdrängung von Schwierigkeiten durch den<br />

Konsum von Suchtmitteln sind die Folge;<br />

· ein verwöhnender Erziehungsstil; vgl. Kapitel 3.3.1 (S. 35);<br />

· ein autoritär- repressiver, restriktiver Erziehungsstil, der durch Strenge,<br />

Verbote, Entsagungen, Härte, fehlende emotionale Zuwendung und<br />

Unterstützung gekennzeichnet ist. Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit<br />

des Kindes werden hier nicht gefördert. Das Kind entwickelt eine<br />

erlernte Hilflosigkeit, ein schwaches Selbstwertgefühl und zeigt in der<br />

- 39 -


Folge entweder ein überangepasstes-, oder ein ausgeprägt<br />

oppositionelles und aggressives Verhalten. Der Suchtmittelkonsum erfolgt<br />

hier als Ausgleichsfunktion zu Mangelerlebnissen, kompensatorisch zur<br />

Stützung des schwachen Selbstwertes, oder dient der aggressiven<br />

Enthemmung.<br />

Elterliche Zurückweisung korreliert beim Kind mit Aggression, Delinquenz<br />

und Aufmerksamkeitsproblemen. Familiäre Risikofaktoren für Substanzmissbrauch<br />

sind weitgehend deckungsgleich mit denen für Delinquenz<br />

und Verhaltensstörungen (Sack u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009);<br />

· ein inkonsequent- inkonsistenter Erziehungsstil, charakterisiert durch<br />

widersprüchliches Erziehungsverhalten, das keinen Werte- und<br />

Orientierungsrahmen für das Kind bietet. Das Kind erlebt Verwirrung,<br />

Angst und Verunsicherung, fühlt sich hilflos, schwach, ausgeliefert und<br />

orientierungslos. Der Einsatz von Rauschmitteln kompensiert Frustrationen.<br />

Konsumierende Peers bieten einen (wenn auch delinquenten)<br />

Orientierungsrahmen und vermitteln Bestätigung (Hallmann, 2008).<br />

Generell gilt, dass mit steigendem Familienstress und häufigen intrafamiliären<br />

Konflikten die Wahrscheinlichkeit für missbräuchlichen Drogenkonsum im Sinne eines<br />

bewältigungsfunktionalen Konsummusters zunimmt (Gastpar et al. 1999).<br />

3.3.6 Gestörte Interaktionen im Familiensystem<br />

Mayer (2008a) betont, dass fehlende Möglichkeiten des Kindes zur konstruktiven<br />

Abgrenzung gegenüber einem süchtigen Elternteil in suchtbelasteten Familien und<br />

fehlende Möglichkeiten zur Individualisierung starke Prädiktoren für die Entwicklung<br />

späterer Suchtstörungen sind. In suchtbelasteten Familien geht es in Konflikten<br />

häufig um das Einklagen von Loyalitäten und das Nichtbeachten von Grenzen.<br />

Gemeinhardt (2008) sieht süchtiges Verhalten als das Ergebnis einer<br />

Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Interaktionspartnern. Hierbei erfüllt die<br />

Sucht eine bestimmte Funktion im System Familie, das sich ganz auf die<br />

Suchtsymptomatik einstellt. Familiäre Regeln der Kommunikation, Rollenzuteilungen,<br />

Definitionen bestimmter Beziehungsmuster und Positionierungen werden aufgrund<br />

der Suchterkrankung neu aufgebaut. Familiäre Hierarchien verschieben sich. So wird<br />

z.B. dem suchtbelasteten jungen Menschen in großen Teilen die Familienorganisation<br />

überlassen. Eltern sind versucht, Erziehungsverantwortung an den<br />

Therapeuten abzugeben. Durch Rollenkonfusion innerhalb der Familie kommt es zur<br />

Verwirrung der Rollen und Hierarchieebenen. Suchtmittelabhängigkeit ermöglicht<br />

dem jungen Menschen eine scheinbare Abgrenzung und Ablösung von der Familie,<br />

verhindert jedoch tatsächlich einen gesunden und gelingenden Ablösungsprozess.<br />

In diesem Ansatz werden Suchtstörungen junger Menschen auf dem Hintergrund<br />

familiärer Interaktions- und Ablösungsprozesse interpretiert. Für therapeutische<br />

Hilfestellungen impliziert dieser Ansatz folgerichtig auch familientherapeutische<br />

Interventionen.<br />

- 40 -


Auch Strohm (2008) betont die Bedeutung familiärer Interaktionen auf die Entwicklung<br />

von Verhaltens- und Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter: Verhaltensund<br />

Suchtstörungen des Kindes sind aus dieser Perspektive als Reaktion auf<br />

gravierende Probleme innerhalb der Familie zu interpretieren.<br />

Hinrichs (2009) kommt zu vergleichbaren Ergebnissen, wenn er familiären psychopathologischen<br />

Gesichtspunkten bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und<br />

Überwindung von Suchtstörungen einen besonderen Stellenwert zukommen lässt.<br />

Jordan u. Sack (2009) sehen in folgenden familiären Interaktionsaspekten Risikofaktoren<br />

für die Entwicklung jugendlicher Suchtstörungen:<br />

· seltene Belohnung durch Familienmitglieder;<br />

· Mangel an elterlicher Wärme und Zuwendung;<br />

· Mangel an elterlicher Unterstützung oder Aufsicht;<br />

· geringe affektive Bindung der Familienmitglieder und geringes Zugehörigkeitsgefühl<br />

untereinander;<br />

· ein gestörtes Familienklima;<br />

· Fälle von Psychopathologie in der Familiengeschichte;<br />

· innerfamiliäre Gewalt- und Missbrauchserfahrungen;<br />

· Probleme der Eltern untereinander;<br />

· dissoziales Verhalten der Eltern oder von Familienangehörigen;<br />

· soziale Isolation der Familie;<br />

· Überforderung, Krankheit und/ oder chronischer Stress eines Familienmitgliedes;<br />

· Scheidung, Todesfall in der Familie;<br />

· Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit gegenüber den kindlichen<br />

Bedürfnissen;<br />

· fehlende Offenheit in der familiären Kommunikation.<br />

Lehmkuhl (2008) benennt als familiäre Belastungsfaktoren, die die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

von Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter erhöhen:<br />

· Vorbildverhalten konsumierender Eltern,<br />

· fehlende Beaufsichtigung, Vernachlässigung,<br />

· überharte Erziehung;<br />

· Scheidung;<br />

· früher Tod eines Elternteils;<br />

· sexueller Missbrauch;<br />

· wenig Unterstützung und Warmherzigkeit.<br />

Krausz u. Haasen (2004) weisen auf familiäre Beziehungsmuster hin, die einen<br />

wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Suchtmittelabhängigkeit leisten:<br />

· Infantilisierung des jungen Menschen;<br />

· kein Ablassen von ihm im weiteren Verlauf;<br />

· Verstoßung des Kindes;<br />

· Verzweiflung über eigene Konflikte.<br />

Nach Koglin u. Petermann (2008) sind familiäre Risiken:<br />

· dysfunktionale Eltern- Kind- Beziehungen;<br />

· ineffektives Erziehungsverhalten;<br />

- 41 -


· geringe Bindung an die Bezugsperson;<br />

· Misshandlung und innerfamiliäre Konflikte;<br />

· Scheidung der Eltern;<br />

· psychische Störungen der Eltern;<br />

· elterlicher Suchtmittelmissbrauch;<br />

· geringer Bildungsstand der Eltern;<br />

· finanzielle Probleme.<br />

Küstner et al. (2009) ergänzen die familiären Risikobedingungen um folgende<br />

Aspekte:<br />

· elterliche Ablehnung und Zurückweisung;<br />

· Vernachlässigung;<br />

· inkonsistentes Erziehungsverhalten;<br />

· elterliches Desinteresse und fehlende Anteilnahme;<br />

· die Kombination aus einem überengagierten und einem vernachlässigenden<br />

Elternteil;<br />

· alleinerziehender Elternteil.<br />

Zum letztgenannten Risikofaktor ausführlicher sogleich im Kapitel 3.3.7.<br />

3.3.7 Alleinerziehende Eltern und der Ausfall männlicher Identifikationsfiguren<br />

als Risikofaktoren<br />

In Bezug auf Kinder allein erziehender Eltern benennt Franz (2008) folgende<br />

Risikofaktoren:<br />

· schlechte wirtschaftliche- und Wohnsituation;<br />

· Lern- und Kommunikationsprobleme;<br />

· Verhaltensstörungen;<br />

· Verminderung des Selbstwertgefühls;<br />

· Nachlassen schulischer Leistungen;<br />

· psychische Störungen;<br />

· Schulabbruch und spätere Arbeitslosigkeit.<br />

Diese Risikofaktoren stellen Prädiktoren für die Entwicklung späterer Suchtstörungen<br />

dar. Außerdem erhöht eine elterliche Trennung das kindliche Depressionsrisiko<br />

(sogar noch Jahre später!) bei bestehender hoher Komorbidität von Depressionen<br />

und Suchtstörungen.<br />

Fortschreitender Bindungsverlust und hohe Scheidungsraten werden als negative<br />

Effekte auf die soziale und psychische Entwicklung des Kindes beschrieben. Auch in<br />

einem Defizit an männlichen Beziehungs- und Identifikationsangeboten, in einem<br />

Mangel an Kontaktmöglichkeiten zu real und emotional vorhandenen Männern, sieht<br />

Franz (2008) Risikofaktoren für eine spätere Suchtentwicklung.<br />

Schon Matussek (1999) konstatierte in diesem Zusammenhang, dass vaterlos<br />

aufwachsende Kinder Einschränkungen in ihrer Identitäts- und Selbstwertentwicklung,<br />

sowie in ihrer Bindungs-, Beziehungs- und Leistungsfähigkeit erleiden.<br />

Kinder sind für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung auf beide Elternteile<br />

angewiesen.<br />

- 42 -


3.3.8 Drogenkonsum und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben<br />

Sozialwissenschaftliche Modelle betonen den Zusammenhang von Drogenkonsum<br />

und der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in der Pubertät, z.B. die Ablösung<br />

aus dem Elternhaus und das Erwachsenwerden (Lehmkuhl, 2008), oder die<br />

Aufnahme romantischer Beziehungen. So zeigen Längsschnittstudien, dass Jugendliche,<br />

die auf Parties oder in Discotheken mehr Alkohol konsumieren, mit größerer<br />

Wahrscheinlichkeit in der Folgezeit eine romantische Beziehung eingehen, wobei<br />

offen bleibt, ob der Alkoholkonsum den Beziehungsaufbau fördert, oder ob er nur<br />

begleitendes Verhalten des häufigeren Aufsuchens von Freizeitorten ist, in denen<br />

man gut Kontakte knüpfen kann (Schwarzer, 2005). In der Pubertät ist das<br />

Selbstwertgefühl in hohem Maße vulnerabel. Hier kann der Konsum von Substanzen<br />

das labile Selbstwertgefühl stabilisieren (Lehmkuhl, 2008).<br />

3.3.9 Risikofaktor ungünstige männliche und weibliche Rollenzuschreibungen<br />

Im Zusammenhang mit Suchtstörungen steht nach Zenker (2009) die geschlechtsspezifisch<br />

männliche Rolle in Verbindung mit der Demonstration von Macht,<br />

externalisierendem, d.h. aggressivem Verhalten, Rationalität, Gewalt, mangelndem<br />

Zugang zu Emotionen, Stummheit, Alleinsein, Körperferne, Konkurrenzverhalten und<br />

defizitärem Gesundheitsverhalten. Der Suchtmittelkonsum erscheint hier als<br />

Demonstration von Überlegenheit, Männlichkeit und Macht. Für Jungen kann<br />

exzessiver Alkoholkonsum jedoch auch als Bewältigungsversuch von Schwierigkeiten<br />

im Verhältnis zum anderen Geschlecht gedeutet werden (Franzkowiak et al. 1998).<br />

In Bezug auf die weibliche Rolle erscheint Nikotin- und Alkoholkonsum als Ausdruck<br />

von Gleichheit in heterosexuellen Peers. Über eine Beteiligung an als typisch<br />

männlich konnotierten Konsumformen können Mädchen auch ein Konkurrenzverhältnis<br />

zu Jungen ausdrücken (Franzkowiak et al. 1998).<br />

Zur weiblichen Rollenzuschreibung gehört auch Unterordnung, Zurückstellung<br />

eigener Bedürfnisse zugunsten anderer, Opferhaltung, Selbstüberforderung und<br />

Demütigung. Weiblicher Medikamentenmissbrauch und Alkoholkonsum lässt sich auf<br />

diesem Hintergrund als gewollte Anpassung an-, oder als Ausstieg aus diesen<br />

Erwartungen interpretieren (Zenker, 2009).<br />

Tabakkonsum und Medikamentenmissbrauch (insbesondere entwässernde und<br />

abführende Mittel), Bulimie und Anorexie dienen auch der Manipulation des eigenen<br />

Körpers im Dienste von Schlankheit und Schönheit.<br />

Für Mädchen scheinen innerfamiliäre Probleme eine größere Rolle zu spielen, als für<br />

Jungen (Zenker, 2009).<br />

Beide Geschlechter, die psychoaktive Substanzen süchtig konsumieren, versuchen<br />

dadurch, bestehende psychosoziale Probleme zu bewältigen. Jungen greifen bereitwilliger<br />

zu Suchtmitteln und agieren häufiger externalisierende Verhaltensweisen, wie<br />

z.B. Delinquenz aus, als Mädchen, wobei ihre Copingstrategien sozial auffallend und<br />

störend sind.<br />

- 43 -


Mädchen hingegen neigen eher zu internalisierenden, zunächst weniger störenden<br />

und auffallenden Verhaltensweisen mit seelischen Problemen. Mit ihrem Suchtmitteleinsatz<br />

versuchen sie, „die Wirklichkeit zu vergessen“, sich „zu“- oder „wegzumachen“,<br />

Wohlbefinden, Sicherheit und Ruhe zu finden und ihre Funktionsfähigkeit<br />

zu steigern (Zenker 2009, S.63).<br />

Nach Seiffge- Krenke (2008) kann genderspezifisch differenziert werden: Mädchen<br />

entwickeln häufiger internalisierende Störungen (z.B. Depressionen, Angststörungen<br />

und Essstörungen) als Jungen. Männliche Jugendliche hingegen zeigen im Vergleich<br />

zu Mädchen höhere Prävalenzraten in externalisierenden Verhaltensweisen, wie<br />

Hyperaktivitätsstörungen, aggressives und sozial unangepasstes Verhalten.<br />

3.3.10 Riskante Kognitionen und Konditionierungsprozesse<br />

Natürlich spielen bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Suchtstörungen im<br />

Kindes- und Jugendalter auch kognitive- und Konditionierungsprozesse eine große<br />

Rolle. Lernprozesse, die an der Ausbildung von Konsumgewohnheiten beteiligt sind,<br />

sind nach Rist (2009) vor allem:<br />

· die pharmakologischen Wirkungen der Substanz und die auf diese<br />

Wirkungen gerichteten individuellen Substanzwirkungserwartungen;<br />

· selektive Wirkungswahrnehmungen;<br />

· die individuellen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen;<br />

· Lernen am Modell (z.B. an den dem Wunschbild entsprechenden „coolen“<br />

Figuren in Werbung, Kino oder Fernsehen; an den Eltern);<br />

· affektive Prozesse: Je mehr positive Empfindungen beim Substanzkonsum<br />

erlebt werden, desto größer ist das Risiko, eine Suchtstörung zu<br />

entwickeln;<br />

· klassische und operante Konditionierungsprozesse: Bei der operanten<br />

Konditionierung insbesondere die negative Verstärkung als ein wichtiger,<br />

die Suchtdynamik aufrechterhaltender Faktor.<br />

Langfristig aversive Folgen sind weniger verhaltenssteuernd, als kurzfristig positiv<br />

erlebte Wirkungen, selbst wenn diese nur minimal sind (Rist, a.a.O).<br />

In diesem Zusammenhang betont Rist (2009) unter Verweis auf experimentelle<br />

Studien, dass Suchtverhalten nur unter freien Wahlbedingungen (freiwilliger<br />

Substanzkonsum) aufgebaut wird.<br />

3.3.11 Traumata, Autodestruktion und Selbstmedikation<br />

Bei früh Traumatisierten kommt es zu Störungen der Identität, einem Mangel an<br />

Urvertrauen, Störungen des Überlebenswillens und des Selbsterhaltungstriebes. Früh<br />

traumatisierte Kinder und Jugendliche können ihr Leben nicht annehmen, dürfen es<br />

sich nicht gut gehen lassen und stellen die eigene Existenzberechtigung in Frage. Es<br />

scheint „die Erlaubnis zum Leben“ zu fehlen (Rost 2008, S.45).<br />

Suchtmittelexzesse sind auf diesem Hintergrund interpretierbar als Autodestruktionshandlungen,<br />

als „Selbstvergiftung“, oder als „Selbstzerstörung“ (Rost<br />

2008, S.46).<br />

- 44 -


Als Prädispositionen für autodestruktive Introjekte benennt Rost (2008, S. 45f):<br />

· frühe, schwere Traumata;<br />

· das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie, in der<br />

à<br />

à<br />

à<br />

à<br />

à<br />

die Grenzen zwischen Eltern und Kindern verwischt werden;<br />

es zu einer sog. Parentifizierung kommt (Rollenumkehrung<br />

zwischen Eltern und Kind: dem Kind werden elterliche Funktionen<br />

der Verantwortungsübernahme, Kontrolle und Versorgung für den<br />

süchtigen Elternteil zugewiesen);<br />

psychischer und/ oder physischer Missbrauch stattfindet;<br />

das Kind zur Stabilisierung der Eltern gebraucht und vereinnahmt<br />

wird;<br />

das Kind in eine krank machende, unabgegrenzte Abhängigkeit<br />

gebracht wird.<br />

Das assoziierte Auftreten von Traumafolgestörungen und Suchtmittelkonsum kann<br />

auch als Selbstbehandlung/ Selbstmedikation interpretiert werden: Beim Auftreten<br />

von Übererregungssymptomen und Flashbacks erleben jugendliche Patientinnen und<br />

Patienten die Wirkung von Alkohol und Cannabinoiden häufig als hilfreich. Die<br />

Substanzen dienen als Sedativa bzw. als Einschlafhilfen. Erregungszustände und<br />

traumatische Erinnerungs- Flashbacks werden unter der Substanzwirkung als<br />

rückläufig beschrieben (Krüger, 2009). Der Substanzkonsum dient als Verstärkung<br />

des Reizschutzes (Krystal u. Raskin, 1983).<br />

Allerdings kommt es unter Drogeneinwirkung für betroffene Jugendliche auch<br />

vermehrt zu traumatisierenden Gefährdungssituationen, wie erneuten Missbrauchsund<br />

Gewalterfahrungen (Krüger, 2009).<br />

3.3.12 Fehleinschätzungen in der Risikowahrnehmung<br />

Bornhäuser (2008) beschreibt, dass Kinder und Jugendliche typischer Weise ein<br />

Gefühl der Unverletzlichkeit und Unverwundbarkeit haben. Dieses Gefühl führt zu<br />

Fehleinschätzungen in der Risikowahrnehmung. Gesundheitsrisiken infolge von<br />

Substanzkonsum, die sich erst später in der Lebensbiographie verwirklichen, sind für<br />

Kinder und Jugendliche viel zu weit weg und haben deshalb in ihrer Wahrnehmung<br />

keine das Verhalten steuernde Relevanz.<br />

3.3.13 Intrapsychische Risikofaktoren<br />

Als prädisponierende intrapsychische Risikofaktoren für einen frühen Konsumbeginn<br />

und die Entwicklung von Suchtstörungen werden in der Literatur benannt:<br />

· ADHS: Der Konsum von Cannabis führt zu einer starken Beruhigung der<br />

Hypermotorik und zu einer erlebten vorübergehenden Konzentrationssteigerung.<br />

ADHS- Patienten sind deshalb erhöht gefährdet, Cannabis im<br />

Sinne einer Selbstmedikation zu konsumieren (Bilke, 2008 a).<br />

- 45 -


· Aggressivität und aggressive Verhaltensstörungen: Scheithauer et al.<br />

(2008) führen unter Verweis auf diverse Studien aus, dass<br />

à aggressives, dissoziales und delinquentes Verhalten dem Missbrauch<br />

von Substanzen vorausgeht. Kinder und Jugendliche mit aggressivdissozialen<br />

Störungen, also mit Störungen des Sozialverhaltens im Sinne<br />

der ICD 10 Diagnose F 91.3, zeigen im Vergleich zu aggressivoppositionellen<br />

Kindern und Jugendlichen deutlich höhere Belastungen im<br />

Bereich des Substanzmissbrauchs (Petermann u. Petermann, 2008).<br />

à Substanzkonsum kann aber auch zu Aggressivität führen: Es besteht<br />

ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen der Konsumfrequenz von<br />

Alkohol und Störungen des Sozialverhaltens, sowie einer Zunahme<br />

aggressiven Verhaltens. Substanzen werden vor allem konsumiert, um<br />

eine Stressreduktion herbeizuführen, oder um eine gezielte Enthemmung<br />

zu erreichen.<br />

à Auch neuropsychologische Faktoren (Beeinträchtigungen der regulierenden<br />

Funktion bezüglich des Verhaltens und der Selbstkontrolle im<br />

präfrontalen Kortex, sowie ein Mangel an Dopaminrezeptoren) und deren<br />

Zusammenhang zu aggressiven Verhaltens- sowie Substanzstörungen<br />

werden diskutiert (Scheithauer et al. 2008).<br />

à Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung von Suchtstörungen sind<br />

eine gestörte Impulskontrolle, eine hohe Risikobereitschaft, das<br />

Persönlichkeitsmerkmal des sog. „sensation seeking“, bei dem ein<br />

ausgeprägt starkes Bedürfnis nach ständiger, intensiver Stimulation<br />

vorliegt, aggressiv- expansives Verhalten, eine geringe Frustrationstoleranz<br />

und die fehlende Fähigkeit zum Belohnungsaufschub (Jordan u.<br />

Sack, 2009).<br />

· Angststörungen: Diskutiert wird Angst als Ursache für Sucht, Sucht als<br />

Ursache für Angst, sowie gemeinsame ätiologische Grundlagen für beide<br />

Störungsbilder, insbesondere genetische-, biologische- und Umweltfaktoren<br />

(Zimmermann u. Hollenbach, 2008). Es bestehen wechselseitig<br />

sich verstärkende, positive Rückkopplungsmechanismen zwischen Angstund<br />

Substanzstörungen (Müller, 2002). Besonders Alkohol hat kurzfristig<br />

anxiolytische (angstlösende) und langfristig anxiogene (angsterzeugende)<br />

Wirkungen im zentralen Nervensystem (Janke u. Netter, 1986).<br />

· Depressive Störungen: Es bestehen hohe Komorbiditätsraten zwischen<br />

depressiven- und Angststörungen, sowie zwischen Angststörungen und<br />

Suchtstörungen. Etwas geringere Komorbiditätsraten bestehen im direkten<br />

Zusammenhang von depressiven- und Suchtstörungen (Seiffge- Krenke,<br />

2008). Bedeutsam ist hier, dass die Risikofaktoren für die Entwicklung<br />

depressiver Störungen, nämlich vor allem kritische Lebensereignisse wie<br />

Verluste und Trennungen, fehlende Unterstützung, Belastungen in der<br />

Familie, Misserfolge, ungünstige Coping- Stile und defizitäre soziale<br />

Kompetenzen (Hautzinger, 2000) auch bedeutsame Risikofaktoren für die<br />

Entwicklung einer Suchtstörung sind.<br />

- 46 -


3.3.14 Die Bedeutung von Bezugsgruppen<br />

Kontakte zu substanzkonsumierenden Peers/ peerbezogene Risikofaktoren sind für<br />

die Entwicklung von Suchtstörungen die effektivsten überhaupt: Sie erhöhen z.B. die<br />

Marihuana- Prävalenz um das Dreifache und die Prävalenz für Tabak und Alkohol um<br />

das Doppelte bis Dreifache (Jordan u. Sack, 2009).<br />

Isoliertheit als wichtige Determinante des Drogengebrauchs im Jugendalter ist<br />

hingegen eine falsche Annahme: Jugendliche DrogenkonsumentInnen haben nicht<br />

weniger, sondern mehr Freunde und Bekannte, als Jugendliche, die nicht<br />

konsumieren (Reuband, 1992). Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Konsum von<br />

Drogen den Aufbau von Beziehungen unterstützen kann, indem er den Zugang zu<br />

Peer- Groups und die Kontaktaufnahme mit gegengeschlechtlichen Peers erleichtert<br />

(Richter u. Settertobulte, 2003).<br />

Nach Farke (2009) ist der Einfluss der Gleichaltrigengruppe für den Individuationsprozess<br />

von großer Bedeutung und zugleich auch eine der wichtigsten Determinanten<br />

des Drogenkonsums. Das sog. Einflussmodell betont die Bedeutung der<br />

Gruppe in Bezug auf das Konsumverhalten des Einzelnen durch Modelllernen,<br />

Imitation und Gruppendruck.<br />

In Abgrenzung zu Einflussprozessen der Gruppe ist die Selektionshypothese<br />

entwickelt worden, nach der sich Jugendliche selber aktiv eine Gruppe aussuchen,<br />

die mit ihren Vorstellungen übereinstimmt. In Bezug auf Drogenkonsum bedeutet<br />

dies, dass Jugendliche bereits mit einer bestimmten Motivlage, die den Einflüssen der<br />

Gruppe übergeordnet ist, an die Gruppe herantreten.<br />

Nach neuerer Ansicht sollen beide Erklärungsmodelle von Bedeutung sein und sich<br />

gegenseitig verstärken. Außerdem wird die Auswahl der Peer- Group auch durch das<br />

Verhalten der Eltern mit beeinflusst: Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem<br />

schlechten Familienklima und mangelnder Bindung neigen dazu, sich Gruppen mit<br />

deviantem Verhalten anzuschließen (Farke, 2009).<br />

Die Gleichaltrigengruppe erfüllt natürlich auch zahlreiche positive Funktionen. Sie<br />

sorgt für<br />

· eine Erhöhung und Verbesserung sozialer Fähigkeiten;<br />

· eine Erleichterung sozialer Integration;<br />

· Beförderungen des Individuationsprozess und<br />

gemeinschaftsorientierter Freizeitaktivitäten;<br />

· eine Erhöhung des Freundes- und Bekanntenkreis;<br />

· soziale Unterstützung und eine Stärkung der Persönlichkeit (Farke,<br />

2009).<br />

- 47 -


3.3.15 Soziale und gesellschaftliche Risikofaktoren<br />

Nach Jordan u. Sack (2009) sind wichtige soziale und gesellschaftliche Risikofaktoren<br />

für die Entwicklung jugendlicher Suchtstörungen:<br />

· niedriges Einkommen oder Arbeitslosigkeit;<br />

· nicht gesicherte Wohnsituation;<br />

· schlechte Schulbildung: Jungen und Mädchen, die kein Gymnasium<br />

besuchen, haben z.B. ein drei mal höheres Risiko für regelmäßigen<br />

Tabakkonsum, als Gymnasiastinnen und Gymnasiasten (Jordan u.<br />

Sack, 2009);<br />

· positive Suchtmitteldarstellung in den Medien und die leichte Verfügbarkeit<br />

von Substanzen;<br />

· die Schule abbrechende Jugendliche. Sie gelten als Hochrisikogruppe.<br />

Mängel im schulischen Leistungsbereich und das Erleben eigener Leistungsdefizite<br />

korrelieren mit überdurchschnittlich hohem Alkoholkonsum. Schulprobleme wirken<br />

sich zudem negativ auf familiäre und freundschaftliche Beziehungen aus, was<br />

zusätzlich den Konsum steigert (Schmidt, 1999).<br />

3.3.16 Weitere Risikogruppen und Belastungsfaktoren<br />

Als Risikofaktoren mit häufiger Assoziierung von Suchterkrankungen führt Lehmkuhl<br />

(2008) an:<br />

· Schulversagen des jungen Menschen;<br />

· Kontakt zu konsumierenden, bzw. zu devianten und substanzabhängigen<br />

Peer- Groups;<br />

· interpersonale Beziehungsschwierigkeiten in der Kindheit;<br />

· Hyperaktivität;<br />

· aggressiv- expansives Verhalten;<br />

· mangelnde Selbstkontrolle;<br />

· Defizite in sozialen Kompetenzen;<br />

· Persönlichkeitseigenschaften, wie:<br />

à ein sog. schwieriges Temperament mit hoher Impulsivität;<br />

à starke Stimmungsschwankungen;<br />

à Impulskontrollstörungen.<br />

Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Suchtstörung begünstigen, sind nach<br />

Koglin u. Petermann (2008):<br />

· erhöhte Irritabilität;<br />

· mangelnde Verhaltenshemmung;<br />

· negative Emotionalität;<br />

· trotziges, aggressives und oppositionelles Verhalten;<br />

· Schulprobleme und Ablehnung durch Gleichaltrige.<br />

Als Risikofaktoren der Kindheit werden weiterhin benannt (Scheithauer et al. 2003):<br />

· genetische Prädispositionen;<br />

· physiologische Auffälligkeiten, wie z.B. vermehrt niederfrequente Wellen<br />

im EEG, veränderte Monoaminooxydase (MAO)- Aktivität;<br />

· Verhaltensstörungen, vor allem aufsässiges, aggressives und dissoziales<br />

Verhalten;<br />

- 48 -


· emotionale Probleme;<br />

· geringes Selbstwertgefühl;<br />

· deviante Freunde.<br />

Risiken des sozialen Umfeldes sind nach Koglin u. Petermann (2008):<br />

· negatives Wohnumfeld;<br />

· geringe Qualität nachbarschaftlicher Beziehungen;<br />

· leichte Verfügbarkeit legaler und illegaler Suchtmittel;<br />

· niedrige Altersgrenzen für den legalen Konsum bestimmter Suchtmittel;<br />

· geringe Preise;<br />

· Anschluss an deviante Peers;<br />

· Jugendliche trinken mit devianten Freundinnen und Freunden mehr, wenn<br />

die Beziehungen von geringer Qualität sind, d.h. wenn es an Intimität und<br />

Loyalität fehlt.<br />

Zusammenfassend weisen Koglin u. Petermann (2008) darauf hin, dass vor allem<br />

psychische Störungen wie aggressives Verhalten und depressive oder ängstliche<br />

Symptome Prädiktoren eines problematischen Konsums von Substanzen im<br />

Jugendalter sind.<br />

Tossmann u. Baumeister (2008) sehen auch in einer geringen religiösen Bindung<br />

einen Risikofaktor für frühen Drogenkonsum; ähnlich auch Jordan u. Sack (2009), die<br />

eine geringe Bindung an Werte und Normen als Risikofaktor benennen.<br />

Ein früher Einstieg in den Substanzkonsum wird nach Tossmann u. Baumeister<br />

(2008) begünstigt durch:<br />

· kindliche Hyperaktivität;<br />

· Impulsivität mit dem Merkmal des sog. „sensation seeking“ (ausgeprägte<br />

Orientierung auf immer neue und starke Reize);<br />

· geringe Entscheidungsfähigkeit;<br />

· geringe Widerstandsfähigkeit;<br />

· geringe soziale Kompetenzen;<br />

· spezielle Merkmale der Zeit- bzw. Zukunftsorientierung: eine kurzfristighedonistische<br />

Werteorientierung begünstigt einen frühen Einstieg in den<br />

Substanzkonsum, eine eher langfristig angelegte Zukunftsorientierung<br />

wirkt hingegen protektiv.<br />

Bilke (2008 b) beschreibt aus der klinischen Beobachtung, dass Jugendliche mit<br />

Suchtstörungen prämorbid oft<br />

· sozialphobisch, oder<br />

· ängstlich- depressiv sind.<br />

Es gebe einen feststellbaren Trend zu stärkerer und früher ausgeprägter<br />

Depressivität bei Kindern und Jugendlichen (Bilke, a.a.O).<br />

Ängste und Impulskontrollstörungen lassen sich durch Suchtmittelkonsum,<br />

z.B. durch den Konsum von Cannabis, kurzfristig wirksam beseitigen.<br />

- 49 -


Außerdem lassen sich mit dem Suchtmittelkonsum<br />

· chronifizierte Angstzustände;<br />

· Selbstzweifel und<br />

· soziophobische Verhaltensmuster<br />

bekämpfen. Diese gilt es, zu ermitteln, aufzudecken und therapeutisch zu bearbeiten.<br />

Insbesondere Cannabis- User sind jedoch aus klinischer Sicht relativ psychotherapieresistent,<br />

da sie sich als bereits im Zielzustand befindlich erleben, ohne die<br />

Anstrengungen einer Therapie durchlaufen zu müssen (Bilke, 2008 b).<br />

Klein (2008 a) sieht frühe Anzeichen einer Suchtgefährdung vor allem im Bereich der<br />

Persönlichkeit, insbesondere in Bezug auf die Merkmale<br />

· Impulsivität;<br />

· Hyperaktivität;<br />

· Depressivität;<br />

· Selbstwertprobleme.<br />

3.3.17 Spezielle Risikofaktoren in Bezug auf tabak-, alkohol- und cannabisbezogene<br />

Suchtstörungen<br />

Tabak: Nach Wernz u. Batra (2009) prädisponieren sowohl emotionale-, als auch<br />

Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit zum Tabakkonsum in der Jugend.<br />

Alkohol: Faktoren, die die Entwicklung von alkoholbezogenen Suchtstörungen<br />

begünstigen, sind nach Schmidt (2009):<br />

· frühe psychosoziale Stressoren, die die sich entwickelnde Stresssensitivität<br />

von Individuen ungünstig beeinflussen. Hohe Stresssensitivität<br />

und die ausgeprägten Stressdämpfungseffekte durch Ethanol scheinen<br />

die Entwicklung von Alkoholabhängigkeit zu begünstigen;<br />

· eine verminderte Affekt- und Impulskontrolle, sowie eine erhöhte Angstbereitschaft.<br />

Sie sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer späteren<br />

Alkoholabhängigkeit.<br />

Cannabis: Nach Bonnet (2009) gelten als Prädiktoren in Bezug auf Cannabisabhängigkeit:<br />

· ein frühes Einstiegsalter;<br />

· frühe positive Erfahrungen mit Cannabis;<br />

· hochfrequenter Konsum;<br />

· hohe Dosen;<br />

· psychische Komorbiditäten.<br />

Die Schwere der sozialen Folgeschäden (schulische, später dann auch berufliche,<br />

finanzielle und familiäre Probleme) scheint vom Einstiegsalter und von der<br />

Regelmäßigkeit des Konsums abzuhängen. Insbesondere scheint ein frühes<br />

Einstiegsalter vor der Pubertät ein entscheidender Prädiktor für spätere residuale<br />

kognitive Defizite zu sein (Bonnet, 2009).<br />

- 50 -


3.4 Prämorbide Aspekte des jugendlichen Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsums<br />

Prämorbid sind suchtgefährdete Jugendliche oft sozialphobisch, oder ängstlichdepressiv.<br />

Durch Drogennutzung kommt es zu einer drogeninduzierten Labilisierung<br />

der Ich- Grenzen. Diese Entgrenzungserfahrung wird angestrebt, um eine Offenheit<br />

gegenüber anderen Menschen und neuen Eindrücken zu erreichen. Die Dauerfolgen<br />

des Drogenkonsums sind jedoch dissoziative, desintegrative und ängstigende<br />

intrapsychische Prozesse (Bilke, 2008 b).<br />

Prämorbid gelten als frühe Anzeichen einer Suchtgefährdung im Bereich der<br />

Persönlichkeit: Hohe Impulsivität, Hyperaktivität, Depressivität und Selbstwertprobleme<br />

(Klein, 2008 a).<br />

Tabak: In prämorbider und subklinischer Hinsicht kann festgestellt werden, dass die<br />

Alltagsdroge Tabak im Jugendalter häufig genutzt wird, um Verhaltensunsicherheiten,<br />

mangelnde Anerkennung in der Gleichaltrigengruppe, Misserfolge in der Schule,<br />

ungünstig erlebte soziale Vergleichsprozesse und Selbstwertprobleme zu<br />

kompensieren (Hurrelmann u. Heese, 1991). Probleme in den genannten Bereichen<br />

erhöhen auch die Auftretenswahrscheinlichkeit späterer Angststörungen, sozialer<br />

Phobien und Depressionen. Das Rauchen fungiert gewissermaßen als „soziales<br />

Schmiermittel“, ermöglicht eine erlebte Selbstwertsteigerung, führt in konsumierenden<br />

Peers zu Anerkennung und fördert als gemeinsame ritualisierte Handlung die<br />

Gruppenkohäsion. Eigene Unsicherheiten können überspielt und Erregungszustände<br />

gedämpft werden (Strohm, 2008).<br />

Alkohol: Alkohol wird im Jugendalter häufig konsumiert, um soziale Unsicherheiten<br />

und ein geringes Selbstwertgefühl, sowie persönliche Kontakt- und Beziehungsstörungen<br />

zu kompensieren (Strohm, 2008).<br />

Cannabis: Cannabiskonsum findet bei Jugendlichen häufig Verwendung im Sinne<br />

einer Problemlösungsstrategie. Intrapsychische und soziale Stressoren bzw.<br />

Anforderungen können vorübergehend ausgeblendet werden (Strohm, 2008).<br />

Zu den prädisponierenden intrapsychischen Faktoren und speziellen Risikofaktoren,<br />

die tabak-, alkohol- und cannabisbezogene Suchtstörungen triggern vgl. auch Kapitel<br />

3.3.13 (S. 45f) und 3.3.17 (S.50).<br />

3.5 Psychiatrische Komorbiditäten<br />

Zwischen psychischen Erkrankungen und Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter<br />

bestehen hohe Komorbiditätsraten, die im Folgenden dargestellt werden. Auch<br />

im Bereich der Komorbiditäten lassen sich biopsychosoziale Ätiopathogenesepfade<br />

identifizieren.<br />

- 51 -


3.5.1 Epidemiologie<br />

Lehmkuhl (2008) führt an, dass hohe Komorbiditätsraten von Suchtstörungen und<br />

psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter bestehen. 28% der 14 – 24<br />

Jährigen Drogenmissbraucher erfüllen auch eine weitere Diagnose nach dem<br />

DSM IV. Es handelt sich insbesondere um:<br />

· Persönlichkeitsstörungen;<br />

· bei männlichen Jugendlichen um hyperkinetische Störungen, Störungen<br />

des Sozialverhaltens, sowie Impulskontrollstörungen;<br />

· bei weiblichen Adoleszenten um posttraumatische Belastungsstörungen<br />

(PTBS), Borderline- Persönlichkeitsstörungen, depressive Störungen und<br />

Angststörungen.<br />

Anderen Autoren zufolge liegen die Komorbiditätsraten von Suchtstörungen und<br />

psychischen Störungen sogar noch weit höher. Schulte- Markwort u. Stolle (2009)<br />

stellen unter Berufung auf eine Studie der AACAP („American Academy of Child and<br />

Adolescent Psychiatry“) aus dem Jahre 2005 fest, dass über 60% der Kinder und<br />

Jugendlichen mit substanzbezogenen Störungen an komorbiden kinder- und<br />

jugendpsychiatrischen Störungsbildern, die mit der Suchtstörung interagieren, leiden.<br />

Wie weit diese US- amerikanischen Zahlen auf Deutschland übertragbar sind, bleibt<br />

jedoch offen.<br />

Nach Weichold (2009) leiden Jugendliche mit Suchtstörungen überzufällig häufig an:<br />

· affektiven Störungen;<br />

· Störungen des Sozialverhaltens;<br />

· Angst- und Persönlichkeitsstörungen;<br />

· Impulskontrollstörungen;<br />

· hyperkinetischen Störungen (ADHS).<br />

Weiterhin finden sich hohe Komorbiditätsraten mit Essstörungen, vor allem mit<br />

Bulimie und dem sog. „binge eating“ (Schulte- Markwort u. Stolle, 2009).<br />

Persönlichkeitsauffälligkeiten in der Kindheit stehen mit dem Missbrauch von Alkohol<br />

und Drogen in Beziehung, insbesondere:<br />

· aggressives und impulsives Verhalten;<br />

· Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen;<br />

· bipolare Störungen.<br />

Es besteht ein stabiler, gesicherter Zusammenhang von externalisierenden,<br />

aggressiv- dissozialen Verhaltensweisen in der Kindheit und späteren Störungen<br />

durch Substanzkonsum (Weichold, 2009).<br />

Nach Essau u. Conradt (2009) treten Suchtstörungen häufig komorbid auf mit:<br />

· Angststörungen;<br />

· Depressionen;<br />

· Essstörungen;<br />

· Störungen des Sozialverhaltens;<br />

· oppositionellem Trotzverhalten;<br />

· ADHS.<br />

- 52 -


Essau u. Conradt (2009) betonen, dass komorbide psychische Störungen mit einem<br />

negativen Verlauf von Suchtstörungen assoziiert sind und einen geringen<br />

Behandlungserfolg in Bezug auf die Suchtstörung prädisponieren. Jugendlicher<br />

Substanzmissbrauch ist verbunden mit einem 7- fach höheren Risiko für Suizidversuche<br />

und einem 15- fach höheren Risiko für vollendete Suizide.<br />

Nach Lehmkuhl et al. (2008) überwiegen bei Jungen komorbid zu Suchtstörungen<br />

Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrome (ADHS), sowie dissoziale<br />

Symptome, bei Mädchen depressive Störungen.<br />

Die Bremer Jugendstudie, durchgeführt von 2001 bis 2004 (zitiert nach Koglin u.<br />

Petermann, 2008), weist aus, dass 37% der Jugendlichen mit einer Störung durch<br />

Substanzkonsum mindestens eine weitere psychische Störung aufweisen und 13%<br />

mindestens zwei weitere psychische Störungen. Diese Studie weist außerdem nach,<br />

dass 27,6% der Jugendlichen mit Störungen durch Substanzkonsum auch depressive<br />

Störungen und 17,3% der Jugendlichen mit Störungen durch Substanzkonsum auch<br />

Angststörungen haben (Koglin u. Petermann, a.a.O).<br />

Eine Metastudie von Armstrong u. Costello aus dem Jahr 2002 (zitiert nach Koglin u.<br />

Petermann 2008), in der 15 internationale Studien verglichen und ausgewertet<br />

wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass 60% der Jugendlichen, die von<br />

Substanzkonsum, -missbrauch oder -abhängigkeit berichteten, die Kriterien für eine<br />

weitere psychische Störung erfüllten. Hierbei handelte es sich vor allem um<br />

Störungen des Sozialverhaltens, oppositionelles Verhalten und Depressionen.<br />

In Bezug auf die Komorbidität von Tabakabhängigkeit und sozialen Phobien finden<br />

sich in der Literatur folgende epidemiologische Angaben (Zimmermann u.<br />

Hollenbach, 2008): 31,9% der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren mit<br />

sozialen Phobien und 26,4% der Jugendlichen mit subklinischen sozialen Ängsten<br />

waren irgendwann in ihrem Leben nikotinabhängig. Dagegen waren nur 15,4% dieser<br />

Personengruppe ohne soziale Phobien von einer Nikotinabhängigkeit betroffen.<br />

Genderspezifisch kann unterschieden werden: Bei Drogen konsumierenden<br />

männlichen Jugendlichen überwiegt externalisierendes Verhalten, das gekennzeichnet<br />

ist durch expansives Ausagieren von Gewalt, Aggressivität und Delinquenz. Bei<br />

Drogen konsumierenden weiblichen Jugendlichen dominiert hingegen internalisierendes<br />

Verhalten vor allem in Form von selbstverletzendem Verhalten, emotionalen<br />

Störungen, Depressionen, Zwängen und Ängsten (Kolip, 2002; Zenker, 2009).<br />

Die epidemiologischen Befunde, Prävalenzen und Komorbiditätsraten für häufig mit<br />

Suchtstörungen einhergehende psychische Erkrankungen im Kindes- und<br />

Jugendalter sehen wie folgt aus:<br />

3.5.1.1 ADHS<br />

ADHS ist die häufigste Verhaltensstörung im Kindes- und Jugendalter: Die<br />

geschätzten Prävalenzraten in der Allgemeinbevölkerung von schulpflichtigen<br />

Kindern liegen bei 8% bis 12% (Eich- Höchli u. Buri, 2007).<br />

- 53 -


In Längsschnittuntersuchungen konnten bei jugendlichen ADHS- Patientinnen und<br />

Patienten ohne Therapie folgende Komorbiditätsraten festgestellt werden: Sucht- und<br />

Drogenprobleme traten bei 25% auf, weitere psychische Störungen konnten bei 30%<br />

und schwerwiegende Delinquenz bei 20% festgestellt werden. Einen unauffälligen<br />

Verlauf nahmen hingegen nur 25% der Patientinnen und Patienten (Bilke, 2008 a).<br />

Längsschnittuntersuchungen bei ADHS- Patientinnen und Patienten, die in einer<br />

therapeutischen Behandlung waren, erbrachten im Ergebnis den überraschenden<br />

Befund, dass bei immer noch 20% Drogenkonsum nachgewiesen werden konnte<br />

(Bilke, 2008 a).<br />

Diese Ergebnisse zeigen, dass es hohe Komorbiditätsraten in Bezug auf ADHS und<br />

Suchtstörungen gibt und zwar unabhängig davon, ob ADHS- Patientinnen und<br />

Patienten in therapeutischer Behandlung sind, oder nicht.<br />

3.5.1.2 Störungen des Sozialverhaltens<br />

Störungen des Sozialverhaltens sind gekennzeichnet durch ein sich wiederholendes<br />

Muster der Verletzung grundlegender Rechte anderer, sowie altersrelevanter Normen<br />

und Regeln, z.B. durch aggressives Verhalten gegenüber Menschen und/ oder<br />

Tieren, Zerstörung von Eigentum, Betrug, Diebstahl und schwere Regelverletzungen.<br />

Die Prävalenz der Störungen des Sozialverhaltens beträgt c. a. 8% bei Kindern und<br />

Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung (Scheithauer et al. 2008).<br />

Bei 40% der Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren mit Störungen des<br />

Sozialverhaltens liegen komorbid auch Störungen durch Substanzkonsum vor.<br />

Außerdem bestehen hohe Komorbiditätsraten von bis zu 50% mit der ADHS<br />

(Scheithauer et al. 2008).<br />

37,1% der Jugendlichen mit Störungen des Sozialverhaltens erfüllen zudem die<br />

Kriterien einer weiteren psychiatrischen Diagnose, 12,7% verfügen über zwei<br />

zusätzliche psychiatrische Diagnosen (Scheithauer et al. 2008).<br />

3.5.1.3 Aggressive Verhaltensstörungen und Delinquenz<br />

Im Störungscluster der aggressiven Verhaltensstörungen finden sich folgende<br />

Komorbiditäten: Störungen durch Substanzkonsum und aggressive Verhaltensstörungen<br />

treten häufig gemeinsam auf (Scheithauer et al. 2008).<br />

Delinquentes und dissozial- kriminelles Verhalten korrelieren mit Störungen des<br />

Sozialverhaltens, hyperkinetischen Störungen des Sozialverhaltens, dissozialen<br />

Persönlichkeitsstörungen, Störungen der Impulskontrolle und Psychopathie (Hinrichs,<br />

2009).<br />

Fortgesetzt delinquentes Verhalten steht signifikant mit chronischem Substanzkonsum<br />

in Verbindung. Je stabiler das delinquente Verhalten, desto stärker der<br />

- 54 -


Zusammenhang mit Substanzkonsum. Sowohl bei Jungen, als auch bei Mädchen im<br />

Jugendalter konnte nachgewiesen werden, dass dissoziales Verhalten und Störungen<br />

durch Substanzkonsum hoch miteinander korrelieren (Koglin u. Petermann, 2008).<br />

Bei Inhaftierten des Jugendstrafvollzugs konnte in 60% der Fälle ein<br />

Alkoholmissbrauch festgestellt werden, sowie in über 20% der Fälle Abhängigkeit von<br />

Alkohol, Opiaten, Kokain, Halluzinogenen und vor allem Cannabis. Eine Komorbidität<br />

mit Persönlichkeitsstörungen lag bei weit über der Hälfte der Untersuchten vor<br />

(Hinrichs, 2009).<br />

3.5.1.4 Angststörungen<br />

Angststörungen im Kindes- und Jugendalter erhöhen signifikant das Auftreten von<br />

Suchtstörungen (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

3.5.1.5 Depressive Störungen<br />

Die Prävalenzrate für depressive Störungen im Jugendalter beträgt 5% bis 10%.<br />

Verglichen mit dem Kindesalter ist die Inzidenzrate depressiver Störungen in der<br />

Adoleszenz 4- fach höher. Ab der Pubertät kommen zwei depressive Mädchen auf<br />

einen depressiven Jungen. Der durchschnittliche Beginn depressiver Störungen liegt<br />

bei 14 Jahren. Es bestehen sehr hohe Komorbiditätsraten zwischen depressiven<br />

Störungen und Angststörungen. Es bestehen etwas geringere Komorbiditätsraten<br />

zwischen Depressivität und Suchtstörungen (Seiffge- Krenke, 2008).<br />

3.5.1.6 Psychosen<br />

Für das komorbide Auftreten von Psychosen und Suchtstörungen im Jugendalter<br />

finden sich in der Literatur folgende Zahlen: Seit ca. einem Jahrzehnt nimmt die Zahl<br />

der jungen PsychosepatientInnen mit komorbiden Suchtstörungen stetig zu. Neuere<br />

Studien berichten über Prävalenzen von bis zu 70% (Burlon u. Huber, 2009).<br />

Persistiert die Suchtstörung, kommt es während der Behandlung zu:<br />

· einem 2- fach erhöhten Risiko für den Abbruch der gesamten Behandlung;<br />

· einem 2- fach erhöhten Risiko für den Abbruch der psychopharmakologischen<br />

Behandlung;<br />

· einem 3- fach erhöhten Risiko für erneute psychotische Schübe;<br />

· einem 4- fach erhöhten Risiko für das Persistieren psychotischer<br />

Symptome im Langzeitverlauf (Burlon u. Huber, 2009).<br />

Bei jungen Menschen mit schizophrenen Erkrankungen, bei denen auch ein<br />

Missbrauch psychoaktiver Substanzen diagnostiziert wurde, konnte ein früherer<br />

Beginn der psychotischen Erkrankungen festgestellt werden. Solche Patientinnen<br />

und Patienten leiden häufiger unter einer erschwerten psychiatrischen Symptomatik<br />

mit Aggressivität bzw. Autoaggressivität und Suizidalität, als Vergleichsgruppen<br />

schizophren Erkrankter ohne Suchtstörungen (Schwoon u. Krausz, 1992).<br />

- 55 -


3.5.2 Ätiopathogenese der Komorbiditäten im Einzelnen<br />

Bei substanzbezogenen Störungen im Kindes- und Jugendalter ist die Rate<br />

komorbider psychischer Störungen besonders hoch. Es besteht eine komplexe<br />

Wechselwirkung zwischen beiden Störungsclustern. Von komorbiden psychischen<br />

Störungen spricht man in Abgrenzung zu substanzinduzierten psychischen<br />

Störungen nur dann, wenn die psychiatrischen Symptome länger als vier Wochen<br />

nach einer akuten Intoxikations- oder Entzugssymptomatik fortbestehen, oder diese<br />

Symptome schon vor dem Substanzkonsum vorhanden waren (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius,<br />

2009).<br />

Nach Lehmkuhl (2008) gehen psychische Störungen den Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter häufig voraus. Aggressives und impulsives Verhalten prädisponiert<br />

für späteren Drogenmissbrauch. Umgekehrt gilt jedoch ebenfalls, dass Suchtstörungen<br />

im Kindes- und Jugendalter robuste Prädiktoren für Störungen des<br />

Sozialverhaltens, sowie für Depressionen und Angststörungen im jungen<br />

Erwachsenenalter sind.<br />

Auch psychopathologische Symptome können eine direkte Folge substanzbezogener<br />

Störungen sein, so z.B. beim amotivationalen Syndrom bei Cannabisabhängigkeit<br />

(Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

In der Literatur finden sich folgende ätiologische Erklärungsmodelle für das<br />

komorbide Auftreten von psychischen- und Suchtstörungen:<br />

· eine Störung verursacht eine zweite Störung;<br />

· die zwei Störungen sind Manifestationen ein und derselben Ursache;<br />

· eine Störung setzt die Schwelle für das Auftreten einer anderen Störung<br />

herab;<br />

· zwei Störungen stellen verschiedene Entwicklungsstufen derselben<br />

Erkrankung dar (Essau u. Conradt, 2009).<br />

Koglin u. Petermann (2008) schlagen folgende Erklärungsmodelle vor:<br />

· der Substanzmissbrauch ist eine Reaktion auf psychische Störungen. Die<br />

psychotrope Substanz wird hier im Sinne einer Selbstmedikation eingesetzt,<br />

um aversive intrapsychische Zustände zu beseitigen, oder zu<br />

lindern;<br />

· der Substanzkonsum verursacht oder intensiviert andere psychiatrische<br />

Symptome;<br />

· es liegen beiden Störungen gemeinsame auslösende Faktoren zugrunde.<br />

Die unterschiedlichen Erklärungsmodelle schließen sich nicht gegenseitig aus,<br />

sondern ergänzen einander, bzw. beleuchten unterschiedliche Teilaspekte des<br />

Komorbiditätsproblems. In der Literatur werden vielfältige biopsychosoziale<br />

Ätiopathogenesepfade komorbider psychischer- und Suchtstörungen bei jungen<br />

Menschen beschrieben. Dazu im Folgenden:<br />

- 56 -


3.5.2.1 Jugendliche Suchtstörungen und psychische Störungen im Kontext<br />

suchtbelasteter Elternhäuser<br />

Ätiopathogenetisch hoch bedeutsam sind Familiensysteme mit suchtkranken Eltern.<br />

Häufige Diagnosen bei Kindern suchtkranker Eltern sind: Angststörungen,<br />

Depressionen, Essstörungen, Hyperaktivität, Impulsivität und Aggressivität, sowie<br />

Alkohol- und Drogenmissbrauch (Strohm, 2008).<br />

Laut einer Studie des US- amerikanischen „National Institute on Alcohol Abuse and<br />

Alcoholism“ (NIAAA) von 2006 (zitiert nach Schmidt, 2009) haben Kinder von<br />

alkoholkranken Eltern ein 4- 10- fach höheres Risiko, selbst alkoholkrank zu werden,<br />

als Kinder, die keine Angehörigen ersten Grades mit Alkoholismus haben.<br />

In Deutschland ist von bis zu 2,65 Millionen Kindern und Jugendlichen im Alter bis 18<br />

Jahren auszugehen, die zumindest zeitweise mit einem alkoholabhängigen Elternteil<br />

zusammenleben müssen. Damit ist jedes siebente Kind von der Alkoholstörung eines<br />

Elternteils betroffen (Klein, 2009). Klein stellt unter Verweis auf diverse Studien fest,<br />

dass bis zu 28% der untersuchten erwachsenen Kinder aus Suchtfamilien selber eine<br />

Diagnose für Alkoholabhängigkeit aufweisen. Männer mit einem abhängigen Vater<br />

zeigen mehr als doppelt so häufig eine Alkoholabhängigkeit, wie Männer ohne<br />

abhängigen Vater. 80% der engen biologischen Verwandten klinisch behandelter<br />

Alkoholiker weisen eine Lebenszeitprävalenz für Alkoholprobleme auf. Insgesamt ist<br />

davon auszugehen, dass ca. ein Drittel aller Kinder aus alkoholbelasteten Familien<br />

selbst alkohol- oder drogenabhängig wird und ein weiteres Drittel Symptome<br />

psychischer Störungen aufweist (Klein, 2009).<br />

Hier liegt die Hypothese nahe, dass jugendliche Suchtstörungen und psychische<br />

Störungen durch den gemeinsamen auslösenden Faktor „suchtkranke Eltern“ bzw.<br />

„suchtbelastete Familien“ prädisponiert bzw. getriggert werden.<br />

3.5.2.2 ADHS und jugendliche Suchtstörungen<br />

Die Leitsymptome der ADH- Störung sind nach Petermann u. Ruhl (2006):<br />

· Aufmerksamkeitsstörungen, d.h. vor allem vorzeitiges Abbrechen<br />

fremdbestimmter Aufgaben, hohe Ablenkbarkeit und Nichtbeenden von<br />

Tätigkeiten;<br />

· Impulsivität auf kognitiver, emotionaler und motivationaler Ebene;<br />

· Hyperaktivität im Sinne mangelhaft regulierter, überschießender motorischer<br />

Aktivität und Ruhelosigkeit.<br />

ADHS und Suchtstörungen sind vielfältig miteinander assoziiert. Es besteht bei<br />

jugendlichen ADHS- Patientinnen und Patienten ein mehrfach erhöhtes Suchtrisiko.<br />

ADHS und Störungen des Sozialverhaltens, sowie affektive Störungen sind ebenfalls<br />

vielfältig miteinander assoziiert (Huss, 2009).<br />

Nach Koglin u. Petermann (2008) bestehen bei Kindern mit ADHS signifikante<br />

Komorbiditäten in Bezug auf Störungen des Sozialverhaltens und Störungen durch<br />

Substanzkonsum.<br />

- 57 -


Bei ADHS sind häufige Zweiterkrankungen (Bilke, 2008 a):<br />

· Störungen des Sozialverhaltens mit Aggressivität, Delinquenz, Normen<br />

und Regel verletzendem Verhalten (z.B. dealen);<br />

· Tic- Störungen;<br />

· Angststörungen;<br />

· Depressionen;<br />

· Suchtstörungen.<br />

Bei Kindern und Jugendlichen mit hyperkinetischen Störungen zeigen bis zu 50%<br />

oppositionelle Störungen des Sozialverhaltens, 30% - 50% Störungen des<br />

Sozialverhaltens ohne oppositionelle Verhaltensstörung, 10% - 40% affektive<br />

Störungen, 20% - 25% Angststörungen, 10% - 25% Lernstörungen und Teilleistungsschwächen,<br />

sowie bis zu 30% Tic- Störungen oder das Tourette- Syndrom (Lehmkuhl<br />

et al. 2008).<br />

Wenn zu einem ADHS eine Hyperimpulsivität, sowie eine ständige Suche nach<br />

neuen Stimuli und mangelnde familiäre Unterstützung hinzukommen, so erhöht dies<br />

die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung eines polytoxikomanen Konsummusters<br />

(Bilke, 2008 a).<br />

Ein zentrales Suchtstörungs- Problem von jungen ADHS- Patientinnen und Patienten<br />

ist der Konsum von Cannabis. Hier bestehen hohe Komorbiditätsraten. Viele von<br />

ADHS betroffene Jugendliche erleben durch den Konsum der Droge eine starke<br />

Beruhigung der Hypermotorik und eine vorübergehende Konzentrationssteigerung.<br />

Cannabis wird hier instrumentell im Sinne einer Selbstmedikation konsumiert.<br />

Die epidemiologischen und ätiopathogenetischen Befunde in Bezug auf ADHS und<br />

Suchtstörungen weisen darauf hin, dass das ADHS die Grundstörung ist, die<br />

zunächst ausreichend therapiert werden muss, bevor eine nachhaltige Behandlung<br />

der abhängigen und dissozialen Verhaltensweisen erfolgversprechend erscheint<br />

(Bilke, 2008 a).<br />

3.5.2.3 Störungen des Sozialverhaltens und jugendliche Suchtstörungen<br />

Leitsymptome bei der Diagnose von Störungen des Sozialverhaltens sind nach<br />

Butcher et al. (2009):<br />

· persistierende und wiederholte Verletzung von Regeln;<br />

· Missachtung der Rechte anderer;<br />

· Aggressionen gegenüber Menschen und Tieren;<br />

· Zerstörung fremden Eigentums;<br />

· Betrug und/ oder Diebstahl;<br />

· schwere Regelverstöße (z.B. bleibt der betroffene junge Mensch schon vor<br />

Vollendung des 13. Lebensjahres trotz elterlicher Verbote häufig über<br />

Nacht weg; häufiges Schule schwänzen).<br />

In Bezug auf Störungen des Sozialverhaltens gelten hinsichtlich komorbider<br />

Suchtstörungen folgende Zusammenhänge: Im Durchschnitt treten Symptome der<br />

Störungen des Sozialverhaltens ein bis drei Jahre vor dem ersten Substanzmissbrauch<br />

auf (Scheithauer et al. 2008).<br />

- 58 -


Weiterhin bestehen bei Jungen hohe Korrelationen zwischen Störungen des<br />

Sozialverhaltens und ADHS. Bei Mädchen hingegen korrelieren Störungen des<br />

Sozialverhaltens hoch mit dem Vorliegen einer Major Depression. Diese Störungen<br />

werden in der Literatur als Mediatoren für die Entwicklung komorbider Suchtstörungen<br />

beschrieben (Scheithauer et al. 2008).<br />

3.5.2.4 Aggressive Verhaltensstörungen, Delinquenz und jugendliche Suchtstörungen<br />

Aggressive Verhaltensstörungen: In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden,<br />

dass aggressive Verhaltensstörungen zu Substanzkonsum und –missbrauch führen:<br />

Aggressive Verhaltensstörungen gehen dem Missbrauch von Substanzen voraus<br />

(Scheithauer et al. 2008). Aggressives Verhalten vor allem bei männlichen<br />

Jugendlichen ist demnach ein signifikanter Prädiktor für den Konsum legaler und<br />

illegaler Substanzen. Eine Transmission erfolgt hier vermutlich durch die emotionalen<br />

und sozialen Probleme: Um dem intrapsychischen und sozialen Druck entgegen zu<br />

wirken, werden Alkohol und andere Substanzen zur Stressreduktion funktional<br />

eingesetzt; sog. „Selbstmedikations- Hypothese“.<br />

Umgekehrt gilt jedoch auch: Es besteht ein nahezu linearer Zusammenhang<br />

zwischen der Konsumfrequenz von Alkohol und aggressiven Verhaltensstörungen. Je<br />

häufiger und je mehr Alkohol konsumiert wird, desto höher ist auch die Zunahme<br />

aggressiven Verhaltens (Scheithauer et al. 2008). Dieser Befund lässt sich gut mit<br />

Hilfe des psychopharmakologischen Erklärungsmodells interpretieren: Die Effekte<br />

einer Intoxikation (u.a. Enthemmung, Wahrnehmungsstörungen, Analgesie) begünstigen<br />

ein aggressives, enthemmtes Verhalten.<br />

Es ist deshalb im Komorbiditätszusammenhang von aggressiven Verhaltensstörungen<br />

und Suchtstörungen von wechselseitig sich bedingenden und sich<br />

verstärkenden Zusammenhängen auszugehen, die nicht monodirektional, sondern<br />

bidirektional zu interpretieren sind.<br />

Delinquenz: Delinquenz bezeichnet eine Kategorie von dissozialen Handlungen, die<br />

von verschiedenen Kontrollinstanzen (z.B. Jugendamt, Schulbehörde, Jugendgerichtsbarkeit)<br />

verfolgt wird. Typische Sachverhalte sind z.B.:<br />

· chronisches Weglaufen von zu Hause;<br />

· chronisches Schuleschwänzen;<br />

· Straftatbestände wie Einbruch, Raub, Körperverletzungs- und Tötungsdelikte<br />

(Steinhausen, 2006).<br />

Für den Zusammenhang von Alkoholkonsum und Delinquenz gilt, dass Alkohol in der<br />

Anflutungsphase zu einer Enthemmung führt, die die Auftretenswahrscheinlichkeit<br />

delinquenten Verhaltens in Form von Erregungs- und Enthemmungsdelikten erhöht.<br />

Bei delinquenzbelasteten Inhaftierten des Jugendstrafvollzugs konnten in<br />

Untersuchungen bei 60% Alkoholmissbrauch und bei über 20% Abhängigkeit von<br />

Alkohol, Opiaten, Kokain, Cannabis und Halluzinogenen festgestellt werden. Die<br />

Komorbiditätsrate mit Persönlichkeitsstörungen war > 50% (Hinrichs, 2009).<br />

- 59 -


Hinsichtlich der Ätiopathogenese werden zwei Entwicklungspfade diskutiert<br />

(Hinrichs, 2009):<br />

· für beide Störungsbereiche gelten dieselben Risikobedingungen;<br />

· delinquentes Verhalten erhöht das Risiko für Substanzmissbrauch im<br />

Kindes- und Jugendalter.<br />

Nach der „Problem- Behaviour- Theory“ sind dissoziales Verhalten, Substanzkonsum<br />

und riskantes Sexualverhalten (häufig wechselnde Sexualpartner und ungeschützter<br />

Geschlechtsverkehr) Symptome eines gemeinsamen Syndroms<br />

(Koglin u. Petermann, 2008).<br />

3.5.2.5 Impulskontrollstörungen und jugendliche Suchtstörungen<br />

Bei Impulskontrollstörungen ist komorbider Drogenkonsum nur eine Facette multipler<br />

komorbider Probleme, vor allem von Depressionen, Angststörungen und Borderline-<br />

Störungen (Bilke, 2008 b). Bei impulskontrollgestörten Jugendlichen steigt das Risiko<br />

für selbstschädigendes Verhalten mit der Menge des konsumierten Alkohols<br />

(Hawton et al. 2008).<br />

3.5.2.6 Angststörungen und jugendliche Suchtstörungen<br />

Klinisch relevante typische Ängste von Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18<br />

Jahren sind nach Schneider (2004):<br />

· soziale Phobien;<br />

· Agoraphobien und<br />

· Panikstörungen.<br />

Folgende ätiopathogenetischen Entwicklungspfade werden bei komorbiden Angstund<br />

Suchtstörungen diskutiert (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009):<br />

· Angst- und Substanzstörungen können kausal zur Entwicklung der jeweils<br />

anderen Störung beitragen und sich im Sinne eines Teufelskreises<br />

wechselseitig verstärken;<br />

· bestimmte Angststörungen scheinen substanzbezogenen Störungen eher<br />

vorauszugehen, z.B. die soziale Phobie, oder die Agoraphobie;<br />

· bestimmte Angststörungen, z.B. die generalisierte Angststörung und die<br />

Panikstörung, scheinen gehäuft infolge des Substanzkonsums<br />

aufzutreten.<br />

Zimmermann u. Hollenbach (2008) diskutieren in diesem Zusammenhang folgende<br />

ätiopathogenetischen Entwicklungspfade:<br />

· Angst als Ursache für Sucht;<br />

· Sucht als Ursache für Angst;<br />

· eine gemeinsame ätiologische Grundlage für beide Störungsgruppen.<br />

Mit Hilfe der Selbstmedikations- Hypothese lässt sich die psychopharmakologische<br />

Wirkung von Alkohol gut in ein ätiopathogenetisches Erklärungsmodell integrieren:<br />

Der Angstpatient nutzt funktional die anxiolytische Wirkung des Alkohols, um sein<br />

Angsterleben kurzfristig wirksam zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang spielen<br />

Substanzwirkungserwartungen eine große Rolle. Studien belegen die kurzfristig<br />

angstlösende Wirkung konsumierten Alkohols. Langfristig stellen sich jedoch<br />

anxiogene Effekte des Substanzkonsums ein (Zimmermann u. Hollenbach, 2008).<br />

- 60 -


Es ist mithin also über einen längeren Konsumzeitraum von einer Verstärkung von<br />

Angstsymptomen durch Alkoholmissbrauch auszugehen. In der Literatur wird in<br />

diesem Zusammenhang von substanzinduzierten Angststörungen gesprochen<br />

(Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

Angststörungen als Ursache für Suchtstörungen können weiterhin mithilfe der<br />

Spannungsreduktionshypothese und der Stressdämpfungshypothese gut erklärt<br />

werden. Die Aufrechterhaltung des Substanzkonsums erfolgt hier vor allem durch<br />

Prozesse der negativen Verstärkung. Insbesondere bei weiblichen Kindern und<br />

Jugendlichen sind hohe Komorbiditätsraten von Angst- und Suchtstörungen<br />

festgestellt worden. Mit dem Ausmaß der sozialen Angst steigt auch der<br />

Substanzkonsum generell an. Umgekehrt gilt jedoch auch: Der Konsum von<br />

Stimulanzien erhöht die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung nachfolgender<br />

Angststörungen (Zimmermann u. Hollenbach, 2008).<br />

Zusammenfassend kann hinsichtlich der Komorbidität von Sucht- und Angststörungen<br />

festgehalten werden, dass die diesbezüglichen Zusammenhänge<br />

bidirektional verlaufen: Beide Störungsgruppen beeinflussen und verstärken sich in<br />

Bezug auf Entstehung und Aufrechterhaltung wechselseitig. Es besteht ein positiver<br />

Rückkopplungsmechanismus im Sinne einer Aufwärtsspirale sich verschlimmernder<br />

Angstsymptome und zunehmenden Substanzkonsums.<br />

Panikstörungen und soziale Phobien: Panikattacken, Panikstörungen und soziale<br />

Phobien gelten als spezifische Prädiktoren für den nachfolgenden Beginn und die<br />

Aufrechterhaltung von Alkoholproblemen. Auch hier gilt jedoch umgekehrt: Alkoholprobleme<br />

sind assoziiert mit einem erhöhten Risiko für nachfolgende soziale Phobien.<br />

Insbesondere korrelieren soziale Phobien und alkoholbedingte Suchtstörungen hoch<br />

miteinander (Zimmermann u. Hollenbach, 2008).<br />

3.5.2.7 Depressivität und jugendliche Suchtstörungen<br />

Depressive Störungen sind gekennzeichnet durch Symptome aus drei Bereichen:<br />

· emotionale Symptome, wie z.B. eine traurige Grundstimmung, Antriebshemmung,<br />

Gefühle der Erschöpfung, Interessenverlust und Suizidalität;<br />

· kognitive Symptome, z.B. in Form von Konzentrationsstörungen, Denkhemmung,<br />

Selbstherabsetzung und Misserfolgsorientierung;<br />

· somatische Symptome, vor allem Schlafstörungen, Appetitverlust, Müdigkeit<br />

und vegetative Beschwerden (Blanz et al. 2006).<br />

Regelmäßiger Substanzkonsum tritt überzufällig häufig im Zusammenhang mit<br />

depressiven Symptomen auf. Er scheint das Risiko depressiver Syndrome zu<br />

erhöhen. Substanzinduzierte Depressionen sind verbreiteter, als die primäre,<br />

substanzunabhängige Depression (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

Ätiopathogenetisch werden folgende Wechselbeziehungen diskutiert:<br />

· Substanzkonsum ruft depressive Symptome hervor;<br />

· das Vorliegen einer Depression führt, im Sinne der Selbstmedikationshypothese,<br />

zu einer sekundären Substanzstörung;<br />

- 61 -


· die biopsychosozialen Folgen einer gegebenen Substanzstörung, z.B.<br />

Schulversagen, Familienprobleme, Konflikte mit dem Gesetz, rufen eine<br />

Depression hervor (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

Bilke stellt einen Trend zu stärkerer und früher ausgeprägter Depressivität bei Alkohol<br />

konsumierenden Kindern und Jugendlichen fest (Bilke, 2008 b).<br />

Einen aus dem sozialen Umfeld stammenden Prädiktor komorbiden Auftretens von<br />

Suchtstörungen und Depressionen beschreibt Franz (2008): Elterliche Trennung<br />

erhöht das kindliche Depressionsrisiko sogar noch Jahre später, wobei hohe<br />

Komorbiditätsraten zwischen Depressionen und Suchtstörungen bestehen.<br />

3.5.2.8 Psychosen und jugendliche Suchtstörungen<br />

Die zentrale Problematik bei Psychosen ist eine Realitätsbezugsstörung, die<br />

gekennzeichnet ist durch Störungen im Ich- Erleben, sowie Affekt-, Denk- und<br />

Kommunikationsstörungen (Myschker, 1993).<br />

Suchtstörungen und Psychosen im Jugendalter korrelieren miteinander, wobei<br />

kausale Zusammenhänge zwischen beiden Störungsclustern meist nicht herstellbar<br />

sind (Bilke 2008 b).<br />

Es besteht für schizophren erkrankte Personen ein im Verhältnis zur<br />

Allgemeinbevölkerung 3,6- fach erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit,<br />

ein fünffach erhöhtes Risiko für den Konsum von Cannabis, ein 6,5-<br />

fach erhöhtes Risiko für den Missbrauch von Opiaten und ein 13- fach erhöhtes<br />

Risiko für den Konsum von Kokain (Becker, 2007).<br />

Ein komorbider Substanzmissbrauch verschlechtert den Verlauf schizophrener<br />

Psychosen und setzt das Ersterkrankungsalter für Störungen aus dem schizophrenen<br />

Formenkreis herab (Stolle u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

3.5.2.9 Traumata und jugendliche Suchtstörungen<br />

Unter einem Trauma wird ein Ereignis verstanden, das für eine Person entweder in<br />

direkter persönlicher Betroffenheit oder in indirekter Beobachtung eine intensive<br />

Bedrohung des eigenen Lebens, der Gesundheit und/ oder körperlichen Integrität<br />

darstellt und Gefühle von Grauen, Schrecken, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein<br />

auslöst (Maercker u. Karl, 2005).<br />

Kindliche Traumatisierungen geschehen vor allem bei:<br />

· frühen Trennungserfahrungen;<br />

· Verwahrlosung;<br />

· tätlicher Gewalt;<br />

· Krieg und Verfolgungen;<br />

· schweren Unfällen;<br />

· schweren körperlichen Erkrankungen<br />

· sexuellem Missbrauch.<br />

- 62 -


Generell gilt, dass das Erleben einer existentiellen Hilflosigkeit und die Erfahrung von<br />

Ohnmacht angesichts einer stark bedrohlichen Situation als Extremstress<br />

wahrgenommen werden und Traumata auslösen kann (Krüger, 2009).<br />

Traumafolgestörungen und Drogenkonsum treten assoziiert auf. Im Zusammenhang<br />

mit Traumatisierungen kann der Drogenkonsum als Selbstmedikation gedeutet und<br />

verstanden werden: Die Wirkung von Alkohol und Cannabinoiden erleben<br />

Traumapatientinnen und -patienten häufig als hilfreich zur Dämpfung von<br />

Übererregungssymptomen und destruktiven Erinnerungen, wie dem Wiedererleben<br />

traumatischer Erfahrungen (Flashbacks). Beide Substanzen dienen häufig als<br />

Beruhigungsmittel und Einschlafhilfen. Destruktive Erinnerungsbilder werden unter<br />

Substanzeinfluss als rückläufig beschrieben.<br />

Für traumatisierte Kinder und Jugendliche gilt jedoch umgekehrt auch: Unter<br />

Drogeneinwirkung kommt es vermehrt zu erneut traumatisierenden Gefährdungssituationen,<br />

z.B. in Form von gewalttätigen Übergriffen, oder sexuellem Missbrauch<br />

(Krüger, 2009).<br />

3.5.3 Spezielle psychiatrische Komorbiditäten im Zusammenhang mit Suchtstörungen<br />

durch Tabak-, Alkohol- und Cannabiskonsum<br />

Bilke (2008 b) stellt fest, dass bei 12-14- jährigen Drogennutzern nicht der dauerhafte<br />

Missbrauch einer einzelnen Substanz, sondern der sog. Mischkonsum die Regel ist,<br />

gekennzeichnet durch ein buntes klinisches Bild mit Halluzinationen, psychomotorischer<br />

Hemmung oder Antriebssteigerung, Stimmungsschwankungen, Tag-<br />

Nacht- Umkehr, Motivationslosigkeit und innerer Unruhe.<br />

Differenziert nach tabak-, alkohol- und cannabisbezogenen Suchtstörungen ergeben<br />

sich folgende psychiatrischen Komorbiditäten:<br />

3.5.3.1 Tabakbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten<br />

In der Fachliteratur werden depressive Erkrankungen als Risikofaktor für tabakbezogene<br />

Suchtstörungen identifiziert. Hier bestehen hohe Komorbiditätsraten<br />

(Bornhäuser, 2008).<br />

Personen mit Angststörungen sind häufiger nikotinabhängig, als Personen ohne<br />

Angststörungen.<br />

Für den Zusammenhang von Tabakabhängigkeit und sozialer Phobie gilt: Mit dem<br />

Rauchen lassen sich soziale Unsicherheiten kompensieren und soziale Kontakte<br />

leichter knüpfen. Nach der Selbstmedikationshypothese wird das Rauchen demnach<br />

gezielt als Mittel zur Bewältigung sozialer Ängste eingesetzt. Soziale Ängste sind<br />

auch ein starker Prädiktor für die Aufrechterhaltung einer Nikotinabhängigkeit.<br />

Weiterhin besteht ein Komorbiditätszusammenhang von Nikotinabhängigkeit und<br />

Panikstörungen. (Zimmermann u. Hollenbach, 2008).<br />

- 63 -


Eine übersichtliche Zusammenfassung psychiatrischer Komorbiditäten, die mit<br />

jugendlicher Tabakabhängigkeit assoziiert sind, findet sich bei Wernz u. Batra (2009).<br />

Dort werden<br />

· Verhaltensstörungen;<br />

· Aufmerksamkeits-/ Hyperaktivitätsstörungen;<br />

· depressive Störungen;<br />

· Alkohol- und Drogengebrauch, sowie<br />

· in geringerem Ausmaß auch Angststörungen<br />

aufgelistet und es wird darauf hingewiesen, dass diese Komorbiditäten bei jugendlichen<br />

Rauchern von großer Bedeutung sind. Sowohl das Zigarettenrauchen, als auch<br />

Verhaltensprobleme scheinen robuste Marker einer vermehrten psychopathologischen<br />

Auffälligkeit zu sein.<br />

46% der 17-Jährigen mit ADHS rauchen täglich im Gegensatz zu 24% der gleichaltrigen<br />

Gruppe ohne ADHS (Eich- Höchli u. Buri, 2007).<br />

Es besteht ein abgesicherter Zusammenhang zwischen frühem Rauchbeginn und<br />

weiteren substanzbezogenen Suchtstörungen. Es besteht weiterhin eine positive<br />

Korrelation zwischen Rauchen und dem sog. binge drinking (Wernz u. Batra, 2009).<br />

.<br />

Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit der Lebenszeitdiagnose einer<br />

Nikotinabhängigkeit finden sich vier- bis neunfach höhere Raten von Alkoholmissbrauch<br />

und -abhängigkeit, als bei altersgleichen Nichtraucherinnen und Nichtrauchern<br />

(Lieb u. Isensee, 2007).<br />

3.5.3.2 Alkoholbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten<br />

Aggressive Verhaltensstörungen und Alkoholprobleme korrelieren hoch miteinander;<br />

vgl. Kapitel 3.5.2.4 (S. 59f). Kinder, die vor dem 12. Lebensjahr zu trinken beginnen,<br />

sind häufig auch Kinder, die oppositionelle, rebellische, Unruhe stiftende, disruptive<br />

(zerstörerische) und aggressive Verhaltensmuster zeigen. Sie verletzen die Rechte<br />

anderer Menschen, sowie Regeln und soziale Normen (Schmidt, 2009).<br />

Etwa 30%- 50% der Betroffenen leiden zusätzlich an einem ADHS. Diese Verhaltensstörungen<br />

gehen im Erwachsenenalter oft in dissoziale bzw. antisoziale<br />

Persönlichkeitsstörungen über (Schmidt, a.a.O).<br />

Angststörungen sind ein Risikofaktor für die Entwicklung von Alkoholproblemen.<br />

Junge Menschen mit ängstlichem Verhalten und einer Neigung zur Unsicherheit,<br />

Einsamkeit, Versagensängsten und Depressivität haben ein erhöhtes Risiko für<br />

Alkoholmissbrauch (Schmidt, 2009). Umgekehrt gilt jedoch auch: Alkoholprobleme<br />

sind ein Risikofaktor für die Entwicklung von Angststörungen (Zimmermann u.<br />

Hollenbach, 2008). Die Komorbiditätsraten für beide Störungsbilder sind dementsprechend<br />

hoch: Beinahe ein Drittel aller Personen (32%) mit einer Alkoholabhängigkeit<br />

erfüllen lebenszeitbezogen zusätzlich die Kriterien für irgendeine<br />

Angststörung (Lieb u. Isensee, 2007). Einer groß angelegten deutschen Multicenter-<br />

Studie zufolge wurde unter jungen alkoholabhängigen Patientinnen und Patienten bei<br />

42,3% eine Angststörung innerhalb der 6- Monats- Prävalenz beobachtet (Schneider<br />

et al. 2001, zitiert nach Neubauer, 2007).<br />

- 64 -


Genderspezifisch wurde in verschiedenen epidemiologischen Studien und<br />

Übersichtsarbeiten (Regier et al. 1990; Kushner et al. 2000; Zilberman et al. 2003,<br />

zitiert nach Neubauer, 2007) übereinstimmend von einem eineinhalb bis zweifach<br />

erhöhten Lebenszeitrisiko für eine komorbide Angststörung bei alkoholabhängigen<br />

Patientinnen gegenüber alkoholabhängigen Patienten berichtet.<br />

In der Literatur werden soziale Phobien als Risikofaktor für nachfolgende<br />

Alkoholprobleme beschrieben (Zimmermann u. Hollenbach, 2008). Soziale Phobien<br />

und alkoholbedingte Suchtstörungen korrelieren hoch miteinander; vgl. Kapitel 3.5.2.6<br />

(S. 60f).<br />

Panikstörungen gelten als spezifische Prädiktoren für den nachfolgenden Beginn und<br />

die Aufrechterhaltung von Alkoholproblemen; vgl. Kapitel 3.5.2.6 (S. 60f).<br />

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann hinsichtlich alkoholbezogener<br />

Störungen und Angststörungen wie folgt differenziert werden: Phobische Ängste und<br />

Panikstörungen, sowie soziale Ängste, die dem Angstpatienten/ der Angstpatientin<br />

selbst als unbegründet erscheinen, erhöhen das Risiko zur Entwicklung einer<br />

nachfolgenden alkoholbezogenen Suchtstörung.<br />

Vermeidungsverhalten im Zusammenhang mit verschiedenen Angststörungen ist<br />

dagegen mit einem verminderten Risiko für nachfolgende Alkoholprobleme verknüpft.<br />

Diese Befunde lassen sich mit der Selbstmedikations- Hypothese gut interpretieren:<br />

Betroffene versuchen, starke Ängste mit dem Einsatz von Alkohol zu bekämpfen.<br />

Soziale Ängste, die vom Betroffenen als eigentlich unbegründet bzw. ungerechtfertigt<br />

erlebt werden, lassen sich ebenfalls gut mit Alkohol beseitigen. Werden<br />

gefürchtete Situationen jedoch eher gemieden, muss auch seltener Alkohol zur<br />

Reduktion der Angst getrunken werden (Zimmermann, 2007). Hier zeitigt Vermeidungsverhalten<br />

offenbar auch einmal positive Auswirkungen.<br />

Alkoholbedingte Störungen treten überzufällig häufig mit depressiven Störungen auf<br />

(Lieb u. Isensee, 2007).<br />

21,3% der Personen mit der Lebenszeitdiagnose Alkoholabhängigkeit erfüllen die<br />

Kriterien für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung (Lieb u. Isensee, 2007).<br />

Bei der lebenszeitlichen Betrachtung scheint zudem die Alkoholabhängigkeit<br />

signifikant mit schizophrenen Störungen assoziiert zu sein (Lieb u. Isensee, 2007).<br />

3.5.3.3 Cannabisbezogene Suchtstörungen und psychiatrische Komorbiditäten<br />

Bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) nach Gewalt- und sexuellen<br />

Missbrauchserfahrungen kann der Konsum von Cannabis im Sinne der<br />

Selbstmedikationshypothese als Fluchtvehikel aus flashback- artigen Ängsten<br />

verstanden werden (Bilke, 2008 b); zum Zusammenhang von Traumata und<br />

Cannabiskonsum vgl. auch Kapitel 3.5.2.9 (S. 62f).<br />

Auf hohe Komorbiditätsraten von Cannabiskonsum und ADHS wurde bereits im<br />

Kapitel 3.5.2.2 (S. 57f) hingewiesen.<br />

- 65 -


Rommelspacher weist darauf hin, dass die Einnahme von Cannabis während der<br />

Pubertät zu Gedächtnisstörungen und Störungen der Filterfunktion im Gehirn führen<br />

kann (Rommelspacher, 2009).<br />

Weitere komorbide neuropsychiatrische Störungen im Kontext von Cannabiskonsum<br />

sind nach Bonnet (2009):<br />

· kognitive Störungen im Bereich der Konzentration, Auffassung, und<br />

Merkfähigkeit;<br />

· Defizite in verbalen Lern- und Gedächtnisleistungen;<br />

· formale Denkstörungen;<br />

· Wahrnehmungsstörungen;<br />

· Depersonalisations- und Derealisationserleben;<br />

· psychotische Merkmalsausprägungen, von kurzfristigen psychotischen<br />

Symptomen bis hin zu länger anhaltenden psychotischen Episoden, sowie<br />

Cannabispsychosen; vgl. auch Kapitel 3.2.3 (S. 33f).<br />

Psychiatrische Komorbiditäten bei Cannabiskonsum bestehen außerdem in Bezug<br />

auf Persönlichkeitsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, affektive Störungen,<br />

Angsterkrankungen, sowie hinsichtlich des schädlichen Gebrauchs und der<br />

Abhängigkeit von anderen Substanzen, insbesondere von Alkohol und Tabak<br />

(Bonnet, 2009).<br />

Bonnet (a.a.O) stellt weiterhin fest, dass sich bei Jugendlichen, die vor dem 15.<br />

Lebensjahr ausgeprägt Cannabis konsumieren, später fast immer eine relevante<br />

komorbide psychische Störung nachweisen lässt. Studien zufolge weisen ungefähr<br />

70% aller Cannabisabhängigen im späteren Erwachsenenalter eine<br />

behandlungsrelevante komorbide psychische Störung auf, vor allem Persönlichkeitsund<br />

Verhaltensstörungen. Im Jugendalter treten vorrangig Störungen des Sozialverhaltens<br />

auf.<br />

Hochfrequenter Cannabiskonsum ist mit dem Konsum anderer illegaler Drogen<br />

assoziiert (Bonnet, 2009).<br />

Dem Cannabiskonsum kommt eine triggernde Bedeutung bei der Entwicklung von<br />

Angsterkrankungen und Schizophrenien zu (Bonnet, 2009). Durch Cannabiskonsum<br />

wird bei vulnerablen Personen die Schwelle zur psychotischen Manifestation<br />

herabgesenkt. Patienten mit schizophrener Erstmanifestation zeigen signifikant<br />

höhere Raten von Substanzmissbrauch, insbesondere von Cannabis, als<br />

nichterkrankte Kontrollgruppen (Becker, 2007).<br />

3.6 Salutogenese; protektive Faktoren und Resilienzen<br />

Im Anschluss an die Diskussion ätiopathogenetischer Aspekte komorbider<br />

psychischer- und Suchtstörungen folgt nun eine Darstellung der protektiven Faktoren<br />

und Resilienzen, die Kinder und Jugendliche davor schützen, eine Suchtstörung zu<br />

entwickeln. Die Identifikation schützender Faktoren gibt wertvolle Hinweise für<br />

spezifisch suchttherapeutische Ansätze, in denen Stärken gestärkt und Schwächen<br />

geschwächt werden können.<br />

- 66 -


Protektive Faktoren lassen sich genau so wie die Risikofaktoren in einem<br />

biopsychosozialen Mehrebenenansatz nach Person, sozialem Umfeld und<br />

Gesellschaft ordnen und darstellen, wobei den Faktoren des psychosozialen Bereichs<br />

die größte Bedeutung zukommt (Jordan u. Sack, 2009). Hierbei gelingt eine exakttrennscharfe<br />

Zuordnung schützender Faktoren zu jeweils nur einer bestimmten<br />

Ebene nicht immer.<br />

Protektive Faktoren und Resilienzen sind nicht als Kausalfaktoren zu interpretieren.<br />

Sie verhindern nicht kausal das Auftreten von Suchtstörungen, sondern reduzieren<br />

lediglich deren Auftretenswahrscheinlichkeit (Jordan u. Sack, 2009).<br />

3.6.1 Protektive Faktoren<br />

Protektivfaktoren des familiären Milieus sind:<br />

· ein unterstützendes Familiensystem;<br />

· sichere Bindung, die zu einem positiven, realistischen Selbstbild und zu<br />

sicheren Bindungsbeziehungen führt. Diese wiederum sind eine sichere<br />

Basis für den Umgang mit starken Emotionen und belastenden<br />

Situationen. Sichere Bindung befähigt Jugendliche und Eltern auch zu<br />

produktiven und problemlöseorientierten Diskussionen miteinander.<br />

Autonomiebestrebungen und Verbundenheit des Jugendlichen mit den<br />

Eltern können so in einer guten Balance gehalten werden. Diese<br />

Auswirkungen sicherer Bindung werden in der Literatur als Schutzfaktor<br />

hinsichtlich des Risikos einer Suchtentwicklung beschrieben (Zweyer,<br />

2008);<br />

· ein Halt gebendes, stabiles familiäres Umfeld in den ersten zwei<br />

Lebensjahren (Klein, 2008 b);<br />

· klare und begründete Verhaltenserwartungen, die Eltern an ihre Kinder<br />

stellen: Dies vermindert das spätere Auftreten von Suchtmittelkonsum bei<br />

Kindern und Jugendlichen (Hallmann, 2008);<br />

· eine direkte, personale und soziale Kontrolle der Eltern über ihre Kinder,<br />

sowie vorhersehbare elterliche Sanktionen (Jordan u. Sack, 2009);<br />

· gemeinsame Aktivitäten der Eltern mit ihren Kindern;<br />

· Förderung von Akzeptanz für Schule und andere Institutionen der<br />

Erwachsenenwelt durch die Eltern (Jordan u. Sack, 2009);<br />

· im Lebensabschnitt der Präadoleszenz (12–17 Jahre): Eine gute familiäre<br />

Bindung mit wenigen Konflikten zwischen Eltern und Kindern, einer<br />

positiven Eltern- Kind- Kommunikation, sowie einer religiösen<br />

Orientierung/ Spiritualität (Jordan u. Sack, 2009);<br />

· Übernahme elterlicher Verantwortung durch:<br />

è die Herstellung einer emotionalen Beziehung mit Respekt und<br />

Achtung voreinander, in der ein Beziehungsklima der Sicherheit,<br />

Geborgenheit und Annahme entsteht;<br />

è die Herstellung eines Kommunikationsraums, in dem sich das Kind<br />

mitteilen und in dem man sich wechselseitig positiv anregen kann;<br />

è die Herstellung eines Klimas der Zugehörigkeit, in der Erfahrungen<br />

wahrgenommen und ernst genommen werden können;<br />

- 67 -


è die Herstellung elterlicher Erziehungsverantwortung, in der<br />

Generationsgrenzen unterschieden und gewahrt werden;<br />

è die Herstellung einer existenziellen Absicherung, in der Hilfen zur<br />

Lebensertüchtigung und zur Fähigkeit, das eigene Leben meistern<br />

zu können, trainiert werden können (Mayer, 2008 b);<br />

è einen autoritativen Erziehungsstil, der zu unterscheiden ist von<br />

einem autoritären Erziehungsstil und der dadurch gekennzeichnet<br />

ist, dass er Herausforderungen (z.B. eine altersgemäße Förderung<br />

bei der Lösung von Entwicklungsaufgaben), Zuwendung (z.B. in<br />

Form von Wärme und Unterstützung) und eine verlässliche Struktur<br />

(z.B. in Form einer Sicherheit gebenden Familiensituation) bietet<br />

(Sack u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009);<br />

· die Qualität der Kommunikation in einer Familie;<br />

· Rückhalt durch die Eltern;<br />

· eine gute Beziehung zu den Eltern (Farke, 2009).<br />

Weitere familiäre Schutzfaktoren gegen Substanzmissbrauch sind nach Küstner et al.<br />

(2009):<br />

· eine stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson;<br />

· familiäre Kohäsion;<br />

· unterstützende Geschwister;<br />

· ein offenes, unterstützendes Erziehungsklima;<br />

· sog. „parental monitoring“, d.h. eine angemessene Kontrolle und Überwachung<br />

durch die Eltern;<br />

· eine konsistente Erziehungshaltung mit vorhersehbaren Sanktionen und<br />

Belohnungen;<br />

· die Übernahme von Aufgaben im Haus und die Förderung eigenverantwortlichen<br />

Handelns;<br />

· eine gewaltfreie Erziehung;<br />

· eine gute Ausbildung und Kompetenzen beider Elternteile;<br />

· bei Mädchen: eine Unterstützung der Autonomie mit emotionaler Unterstützung;<br />

· bei Jungen: Regeln und Struktur in der häuslichen Umgebung.<br />

Als protektive Faktoren des sozialen, interaktionell- zwischenmenschlich bezogenen<br />

Milieus werden in der Literatur benannt:<br />

· tragfähige Beziehungen;<br />

· externe Verstärkersysteme, die prosoziales Verhalten verstärken<br />

(Lehmkuhl, 2008);<br />

· Kommunikationsfähigkeit;<br />

· günstige Beziehungen zu Gleichaltrigen und positive Zuwendung<br />

(Strohm, 2008);<br />

· soziale Unterstützung durch enge Freunde bzw. Freundinnen in<br />

vertrauensvollen und tragfähigen Beziehungen. Soziale Unterstützung<br />

führt zu einer Stärkung der Persönlichkeit und damit zu einer gesundheitlich<br />

positiven Entwicklung (Farke, 2009);<br />

· Abgrenzungs- und Ablehnungsfähigkeit ;<br />

· spezifisch förderliche, protektive Reaktionen aus der Umwelt, wie:<br />

Sicherheit, Beständigkeit, Anerkennung, Bestätigung, liebevolle<br />

Zuwendung (Klein, 2008 a);<br />

· funktionale Peereinflüsse: Sie senken das Risiko eines experimentellen<br />

Substanzkonsums (Sack u. <strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

- 68 -


Protektive Faktoren intrapsychischer Provenienz sind:<br />

· ein Temperament, das positive Aufmerksamkeit hervorruft;<br />

· eine hohe Leistungsorientierung;<br />

· eine verantwortliche, fürsorgliche Einstellung;<br />

· internale Kontrollüberzeugungen;<br />

· positive Selbstwirksamkeitserwartungen, nämlich ein Vertrauen darauf,<br />

sich selbst helfen zu können (Klein, 2008 b);<br />

· ein Gefühl der persönlichen Kontrolle über die Umwelt (Klein, 2009);<br />

· ein ausgeglichenes Temperament in der frühen Kindheit (bis 4 Jahre);<br />

· soziale und emotionale Kompetenzen, sowie ein scheues, vorsichtiges<br />

Temperament in der Kindheit (5 – 11 Jahre) (Jordan u. Sack, 2009);<br />

· ein positives Selbstwertgefühl (Franz, 2008) bzw. ein hohes Selbstwertgefühl<br />

(Strohm, 2008);<br />

· Kinder, die sich selbst als kompetent erleben (Bornhäuser, 2008);<br />

· Selbstbehauptungs- und Durchsetzungsfähigkeit (sog. „Assertivität“), sowie<br />

Genussfähigkeit (Klein, 2008 a);<br />

· Fähigkeit zum Stressmanagement;<br />

· Widerstandsfähigkeit und Standfestigkeit gegen Gruppendruck zum<br />

Konsum psychotroper Substanzen;<br />

· Entscheidungsfähigkeit (Leppin, 2009).<br />

Auf der Verhaltensebene sind protektive Faktoren:<br />

· ein funktionaler, problemlöseorientierter Coping- Stil, bei dem sich der<br />

Jugendliche nicht vom Stressor zurückzieht, oder den Stressor leugnet,<br />

sondern sich reflektierend mit diesem auseinandersetzt, nach alternativen<br />

Lösungen und aktiv nach sozialer Unterstützung bei der Lösung von<br />

Problemen sucht (Seiffge- Krenke, 2008);<br />

· starke Bewältigungs- und Problemlösefähigkeiten, die es dem jungen<br />

Menschen ermöglichen, sich effektiv und konstruktiv mit den Anforderungen<br />

und Herausforderungen des Alltagslebens auseinanderzusetzen;<br />

· Entscheidungsfreudigkeit sowie die Fähigkeit, positives und negatives<br />

Feedback geben zu können (Leppin, 2009).<br />

Gesellschaftliche Schutzfaktoren sind:<br />

· eine gute schulische Einbindung;<br />

· Verkaufsbeschränkungen und das Heraufsetzen von Altersgrenzen für<br />

den Konsum legaler psychotroper Substanzen (Jordan u. Sack, 2009).<br />

Weiterhin gelten als protektive Faktoren:<br />

· hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen;<br />

· Optimismus;<br />

· die Erreichbarkeit individuell gesetzter Ziele (Bengel u. Jerusalem, 2009).<br />

- 69 -


3.6.2 Resilienzen<br />

Für Kinder aus alkoholbelasteten Familien finden sich in der Literatur die folgenden<br />

intrapsychischen Prädiktoren für Resilienz:<br />

· die Einsicht des Kindes/ Jugendlichen, dass mit dem suchtmittelabhängigen<br />

Elternteil etwas nicht stimmt;<br />

· Unabhängigkeit, z.B. die Fähigkeit, sich von Stimmungen in der Familie<br />

nicht mehr beherrschen zu lassen;<br />

· Beziehungsfähigkeit, verstanden als initiatives Verhalten des Kindes bzw.<br />

des Jugendlichen, Beziehungen zu psychisch gesunden und stabilen<br />

Menschen aufbauen zu können;<br />

· das Initiativwerden, z.B. in sportlicher und sozialer Hinsicht;<br />

· das Vorhandensein von Kreativität und künstlerischem Ausdruck;<br />

· Humor, Ironie und Sarkasmus als Distanzierungsmethode;<br />

· Moral: Das Vorhandensein eines von den Eltern unabhängigen stabilen<br />

Wertesystems (Klein, 2008 a; Klein, 2008 b; Klein, 2009).<br />

Resiliente Kinder haben das Gefühl, eine persönliche Kontrolle über ihre Umwelt zu<br />

besitzen. Sie haben hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und fühlen sich deshalb<br />

nicht hilflos und ohnmächtig destruktiven Situationen ausgeliefert (Klein, 2009).<br />

Insgesamt fällt auf, dass in der Literatur ein hoch differenziertes, breites und sehr<br />

heterogenes Spektrum an Risikofaktoren in Bezug auf die Entwicklung und<br />

Aufrechterhaltung von Suchtstörungen bekannt ist und benannt wird, Protektivfaktoren<br />

hingegen nur wenige zu finden sind. In Bezug auf die Suchtthematik von<br />

Kindern und Jugendlichen scheint die Resilienzforschung noch in den Kinderschuhen<br />

zu stecken. Dies überrascht, da der Salutogenese eigentlich ebenso viel<br />

Aufmerksamkeit wie der Pathogenese zuteil werden sollte.<br />

3.7 Der Stand der Forschung zu den suchttherapeutischen Handlungsansätzen<br />

für die Zielklientel<br />

Suchttherapeutische Handlungsansätze für die Zielklientel sind in der aktuellen<br />

Forschungsliteratur vielfältig zu finden. Einerseits liegen explizite Strategien und<br />

Empfehlungen vor, andererseits lassen sich therapeutische Handlungsansätze aus<br />

dem bisher Dargestellten ableiten.<br />

Junge Menschen mit psychischen Erkrankungen und komorbiden Suchtstörungen<br />

müssen vielfältige Entwicklungsaufgaben bewältigen. Die Bewältigung der<br />

Suchtstörung ist nur ein Teil diverser komplexer Entwicklungsaufgaben. Suchttherapeutische<br />

Interventionen sollten deshalb den individuellen Entwicklungsstand<br />

des jungen Menschen berücksichtigen und fördern, sowie integrativ, multimodal und<br />

interdisziplinär ausgerichtet sein. Komplexe biopsychosoziale und familiäre<br />

Problemstellungen und Entwicklungspathologien müssen bearbeitet werden<br />

(Bilke, 2008 b).<br />

- 70 -


3.7.1 Explizite suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen in der<br />

Forschungsliteratur<br />

Die Behandlung jugendlicher Suchtstörungen sollte vor dem Hintergrund einer<br />

biopsychosozialen, entwicklungsorientierten Perspektive und im Rahmen eines<br />

multimodalen interdisziplinären Konzeptes erfolgen. Dabei sollten die Therapieansätze<br />

einsichts- und motivationsfördernd, sowie wachstumsorientiert ausgerichtet<br />

sein. Suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen gibt es in Bezug auf:<br />

· Gruppentherapie und therapeutische Gemeinschaft; vgl. Kapitel 3.7.1.1 (S. 71ff);<br />

· Eltern-, Familien- und Angehörigenarbeit; vgl. Kapitel 3.7.1.2 (S. 73ff);<br />

· Elternselbsthilfegruppen und Netzwerkarbeit; vgl. Kapitel 3.7.1.3 (S. 76f);<br />

· die Gestaltung der therapeutischen Beziehung und die Inhalte der Therapie; vgl.<br />

Kapitel 3.7.1.4 (S. 77ff);<br />

· die Therapie komorbider Sucht- und psychischer Störungen, insbesondere<br />

komorbider Psychosen; vgl. Kapitel 3.7.1.5 (S. 88ff);<br />

· die Ziele der Therapie; vgl. Kapitel 3.7.1.6 (S. 90f).<br />

3.7.1.1 Strategien und Empfehlungen zur Gruppentherapie und zur<br />

therapeutischen Gemeinschaft<br />

Mayer (2008 a) vertritt einen ressourcenorientierten gruppentherapeutischen Ansatz,<br />

in dem die Stärken und individuellen Fähigkeiten der jungen Menschen in den<br />

Mittelpunkt gerückt werden. Dies geschieht durch:<br />

· fördernde Gruppenangebote, die einen sozialen Lernraum schaffen und in<br />

denen Fähigkeiten zu sozialem Verhalten, insbesondere Beziehungs- und<br />

Kontaktfähigkeiten trainiert werden können;<br />

· das Nachholen von Sozialisationserfahrungen im Gruppensetting;<br />

· die Anregung und Förderung sozialer Entwicklungsprozesse, insbesondere<br />

durch Unterstützung und Begleitung bei der Bewältigung altersangemessener<br />

Entwicklungsaufgaben;<br />

· vorübergehend begleitende und unterstützende Hilfeangebote;<br />

· erlebnispädagogische Ansätze.<br />

Mayer (a.a.O) konkretisiert diesen Ansatz indem er fordert, dass Jugendliche<br />

· die Möglichkeit geboten bekommen sollen, neue Perspektiven entwickeln<br />

zu können;<br />

· Raum für Selbstbestimmung erhalten sollen;<br />

· im Gruppengeschehen alle zu Wort kommen-, sich anerkannt und wichtig<br />

fühlen-, sich mit der ganzen Person einbringen- und mit allen Sinnen<br />

wahrnehmen und experimentieren können sollen, um neue Verhaltensalternativen<br />

für sich entwickeln zu können;<br />

· durch Aktionen und Aktivitäten ihren Bewegungsdrang befriedigen können<br />

sollen;<br />

· Konfliktlösungen angeboten bekommen sollen;<br />

· lernen sollen, Rollenklischees in Frage zu stellen;<br />

· motiviert, angeleitet und geführt werden sollen.<br />

- 71 -


Weiterhin sollen Neugier geweckt, Kreativität und Wahrnehmung gefördert und Hilfen<br />

bereitgestellt werden, die Sinne zu entfalten. Jugendliche Patientinnen und Patienten<br />

sollen ermutigt werden, ihre Konflikte und Entwicklungsaufgaben aufzugreifen und zu<br />

bearbeiten. Erlernt werden müsse vor allem der Umgang mit starken Emotionen, wie<br />

Neid, Langeweile, Einsamkeitsgefühlen, Konkurrenz- und Aggressionsgefühlen,<br />

Macht- und Ohnmachtsgefühlen, Minderwertigkeits-, Hass- und Angstgefühlen<br />

(Mayer, 2008 a).<br />

Es bedarf beharrlicher Ermutigung, damit Jugendliche an Entwicklungsaufgaben und<br />

–problemen „dranbleiben“ und Rückschläge produktiv verarbeiten können.<br />

Interventionen im Gruppenangebot zielen nach Mayer (2008 a) auf:<br />

· die Vermittlung sozialer Kompetenzen und Fähigkeiten, wie Selbstvertrauen,<br />

Entscheidungs- und Beziehungsfähigkeit, Selbstsicherheit;<br />

· die Vermittlung von Anstößen für eine soziale Nachreifung und zu einer<br />

eigenständigen Persönlichkeitsentwicklung;<br />

· die Bearbeitung und Veränderung auffälliger Verhaltensweisen.<br />

Mayer (a.a.O) weist in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung klarer Regeln<br />

und Grenzsetzungen hin.<br />

<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (2009) plädieren für eine therapeutische Gemeinschaft, die<br />

gekennzeichnet ist durch eine gemeinsame Gestaltung des Tagesablaufes, die<br />

Verantwortungsübernahme für bestimmte Organisationsabläufe und die Orientierung<br />

an den individuellen Bedürfnissen und Erfordernissen der einzelnen Jugendlichen.<br />

In der Gruppentherapie können Informationsgruppen, themenzentrierte Gesprächsgruppen<br />

und die Freizeit gestaltende Gruppenangebote unterschieden werden:<br />

In den Informationsgruppen wird die Zielklientel über die individuellen, sozialen und<br />

medizinischen Folgen der Suchtstörung unterrichtet.<br />

Die themenzentrierten Gesprächsgruppen befassen sich mit folgenden Inhalten:<br />

Bestandsaufnahme und Reflexion des Ist- Zustandes, Informationen zur Veränderbarkeit<br />

von Situationen, Vermittlung von Veränderungswissen, Stärkung der<br />

Behandlungsmotivation und Abstinenzzuversicht, Entwicklung kurz-, mittel- und<br />

langfristiger problemlösungsorientierter Perspektiven, Angstbewältigungstraining,<br />

soziales Kompetenztraining, Entspannungsübungen, Stressbewältigung und Rückfall-<br />

Präventionstraining.<br />

Die Freizeitgestaltung als Gruppenangebot erfolgt z.B. in Form von Arbeit mit<br />

kreativen Medien oder als Sportangebot (<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle, 2009).<br />

Nach Pota (2009) lernen und entwickeln sich junge Menschen in beständiger<br />

Kommunikation mit anderen Menschen. Die Persönlichkeit des Menschen wird in<br />

intersubjektiven Prozessen ausgebildet und differenziert sich in Interaktionen mit<br />

Familie und Umwelt. Gelingen diese persönlichkeitsbildenden Interaktionen innerhalb<br />

der prägenden Primärgruppe nicht und erkrankt der junge Mensch an den<br />

defizitären und traumatisierenden Beziehungen seiner Umwelt, so liegt die größte<br />

Chance zur Heilung in der Neugestaltung und Neuerfahrung prägender Beziehungen.<br />

- 72 -


In der therapeutischen Gruppe als Lebensgemeinschaft kann gemeinsames Leben,<br />

Lernen, Arbeiten und Spielen miteinander geteilt und erlebt werden. Sie vermittelt<br />

auch Werte wie Solidarität, Respekt, Würde, Achtung, Freiheit, Integrität, Sensibilität,<br />

Lebensfreude, Emanzipation, Konfliktfähigkeit, sowie Eigen- und Mitverantwortung.<br />

Außerdem ermöglicht die therapeutische Gemeinschaft eine individuelle Nachreifung<br />

und Individuation. Hierdurch kommt es zur Entwicklung von Solidarität, Sozialität und<br />

Reife bis hin zur Entwicklung einer emanzipierten Persönlichkeit (Pota, 2009).<br />

Die sozialen Gruppenerfahrungen in Therapiegruppen helfen den Jugendlichen, sich<br />

mit ihren Konflikten konstruktiv auseinanderzusetzen. Länger in der Einrichtung<br />

befindliche Jugendliche können hierbei die Rolle vermittelnder „älterer Geschwister“<br />

übernehmen. Insgesamt führt die soziale Gruppenerfahrung zur Erlangung vermehrter<br />

Bindungssicherheit (Schlieckau, 2009).<br />

Nach Lashlee u. Schlieckau (2009) kommt es durch Gruppensport:<br />

· zur Verbesserung sozialer Interaktionen;<br />

· zu einem Abbau von Aggressionen;<br />

· zu vermehrter Rücksichtnahme, zur Einhaltung von Regeln, zu mehr<br />

Respekt und Kommunikationsfähigkeit;<br />

· zu einer Distanzierung vom Suchtmilieu, sowie zum Aufbau sport- und<br />

leistungsorientierter Peers;<br />

· zur Einübung eines angemessenen Umgangs mit Siegen und<br />

Niederlagen.<br />

3.7.1.2 Strategien und Empfehlungen zur Eltern-, Familien- und Angehörigenarbeit<br />

Im Hinblick auf Eltern- und Angehörigenarbeit betont Mayer (2008 a), dass die Eltern<br />

erkrankter junger Menschen wertgeschätzt, unterstützt und in den therapeutischen<br />

Prozess mit eingebunden werden sollen. Elternarbeit versteht er als die Förderung<br />

der Gemeinschaft von Erwachsenen mit ihren Kindern.<br />

Im Einzelnen gilt hier (Mayer, 2008 b):<br />

· Die Eltern- und Familienarbeit soll nicht an unrealistischen, nicht erreichbaren<br />

Idealen orientiert werden, sondern an den tatsächlich vorhandenen<br />

Möglichkeiten und Bedürfnissen der jeweiligen Familie;<br />

· Eltern sollen in ihren Erziehungskompetenzen gestärkt werden;<br />

· die Beziehungen in der Familie, sowie innerfamiliäre Konflikte sollen<br />

bearbeitet und bewältigt werden;<br />

· Misstrauen und Ängste der Eltern, insbesondere in Bezug auf<br />

Familiengeheimnisse, vermutete eigene Erziehungsfehler und Schuldfragen<br />

sollen abgebaut werden;<br />

· der Fallstrick professionelle Helfer als die besseren Helfer mit den<br />

besseren Ratschlägen ist zu vermeiden: Professionelle Helfer sollten mit<br />

den Eltern nicht in Konkurrenz treten;<br />

· bei der Problemlösung sollen Generationengrenzen beachtet und<br />

eingehalten werden: Es sind gesunde Hierarchien zu etablieren und<br />

Unterschiede zuzulassen;<br />

- 73 -


· im therapeutischen Prozess ist bei der Problemlösung eine kleinschrittige<br />

Vorgehensweise zu favorisieren: Ein „Alles auf einmal“ ist nicht hilfreich;<br />

· wichtig ist auch die Überschaubarkeit der einzelnen Schritte auf dem Weg<br />

zu Problemlösungen: Erfolgserlebnisse, auch kleine Zwischenerfolge,<br />

müssen geplant und, wenn sie sich einstellen, gewürdigt werden;<br />

· Verlässlichkeit bei Absprachen als wichtige Grundhaltung des<br />

Therapeuten;<br />

· Grenzverwischungen, Grenzüberschreitungen, sowie fehlende Grenzen<br />

sind zu thematisieren und zu bearbeiten;<br />

· Fragen von Gebundenheit und Eigenständigkeit, von gesunder und krank<br />

machender Abhängigkeit sind zu bearbeiten;<br />

· Erziehungskompetenzen der Eltern sind zu entdecken, herauszustellen,<br />

zu fördern, zu unterstützen, zu stärken und auszubauen (Mayer, a.a.O).<br />

Da bestimmte Familienstrukturen und Kommunikationsmuster zur Aufrechterhaltung<br />

des Substanzkonsums beitragen können, ist es für einen gelingenden Therapieverlauf<br />

unabdingbar, die Sorgeberechtigten in die Behandlung mit einzubeziehen.<br />

Außerdem wird eine höhere Haltequote erreicht, wenn die Angehörigen in die<br />

Therapie mit einbezogen sind (<strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

Gemeinhardt (2008) sieht eine Überlegenheit der Familientherapie gegenüber der<br />

Einzeltherapie. Die Einbeziehung der gesamten Familie in die Behandlung junger<br />

Suchtkranker beschreibt er als eine „hocheffektive Methode“ (Gemeinhardt 2008,<br />

S.429).<br />

Gemeinhardt (2008) geht bei familienbezogenen Interventionen von der Arbeitshypothese<br />

aus, dass das süchtige Verhalten des jungen Menschen auch ein Ergebnis<br />

von Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Interaktionspartnern ist.<br />

Suchtsymptome erfüllen demnach auch Funktionen innerhalb des familiären<br />

Interaktionssystems. Sie können z.B. von anderen Problemen der Familie ablenken,<br />

oder eine altersangemessene Ablösung des konsumierenden jungen Menschen aus<br />

dem Elternhaus verhindern. Daher ist es im therapeutischen Prozess zunächst<br />

sinnvoll, sich durch Hypothesenbildungen ein Bild von der Beschaffenheit des<br />

familiären Systems und der Funktionalität der Suchtsymptome zu machen.<br />

Sodann ist eine tragfähige Beziehung zu jedem Familienmitglied herzustellen und<br />

aufrecht zu erhalten. Der Therapeut darf sich nicht in das Agieren des Systems<br />

hineinziehen lassen. Koalitionenbildungen und einseitige Parteinahmen sind zu<br />

vermeiden, da Möglichkeiten zur Metakommunikation erhalten bleiben müssen.<br />

Divergierende Empfindungen von Nähe und Distanz sollen emotional erlebbar und<br />

einer anschließenden Thematisierung und Bearbeitung zugänglich gemacht werden.<br />

Auch kann die Empfehlung ausgesprochen werden, zu beobachten, was eigentlich so<br />

bleiben darf, wie es ist, bzw. was auf keinen Fall verändert werden soll. Dies<br />

erleichtert einen Ausstieg aus der Problemfixierung und fokussiert auf wechselseitige<br />

Wertschätzung, sowie auf vorhandene binnenfamiliäre Ressourcen.<br />

Als Explorationsschritte empfiehlt Gemeinhardt (a.a.O), Definitionen des vorliegenden<br />

Problems aus Sicht jedes Einzelnen und des gesamten Familiensystems,<br />

- 74 -


Erklärungsmodelle für den Entstehungsprozess der gegenwärtigen Situation, sowie<br />

eine Übersicht über bisherige Lösungsversuche zu erarbeiten. Dabei sollen gerade<br />

auch divergierende Sichtweisen der Betroffenen zugelassen und thematisiert werden,<br />

um wachsendes wechselseitiges Verständnis zu befördern.<br />

Bei der gemeinsamen Erarbeitung der Zielvorstellungen sind ebenfalls wieder<br />

Divergenzen offenzulegen und zu thematisieren. Ggf. sind kleinere, aber für alle<br />

Beteiligten akzeptable Zwischenziele zu benennen und anzustreben<br />

(Gemeinhardt, 2008).<br />

Typische Umgangsweisen der Eltern im Umgang mit dem Drogenkonsum des<br />

eigenen Kindes sind:<br />

· die Infantilisierung des Kindes und damit verbunden ein nicht Ablassen<br />

können vom Kind;<br />

· das Verstoßen des Kindes;<br />

· die Verzweiflung der Eltern über eigene Konflikte.<br />

Wichtig sind hier die Einübung alternativer Verhaltensweisen und die Wiederherstellung<br />

familiärer Hierarchien (Gemeinhardt, a.a.O).<br />

Sack et al. (2009) stellen fest, dass familienbasierte Konzepte in der Behandlung<br />

junger Menschen mit Suchtstörungen dem geltenden Behandlungsstandard<br />

entsprechen. Hauptindikator für einen Therapieerfolg ist neben der regulären<br />

Therapiebeendigung die Verbesserung der elterlichen Kompetenzen. Kontraindiziert<br />

sind Familientherapien jedoch immer dann, wenn bei Eltern oder Geschwistern<br />

substanzbezogene Störungen vorliegen.<br />

<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (2009) sehen in der Familientherapie und in familienbezogenen<br />

Maßnahmen eine Chance, konfliktreiche Beziehungen in der Herkunftsfamilie zu<br />

bearbeiten. Ziel ist hier die Verbesserung des psychischen Befindens aller<br />

Familienmitglieder. Die Eltern können lernen, klare Ziele vorzugeben, Verhalten zu<br />

überprüfen, angemessene Sanktionen einzusetzen, sowie klar, eindeutig und positiv<br />

zu kommunizieren.<br />

Küstner et al. (2009) legen in ihren Ausführungen zur Familientherapie dar, dass<br />

innerhalb des Familiensystems konsumierender Jugendlicher diejenigen<br />

Familienregeln, Kommunikations- und Verhaltensmuster, Beziehungsstile und<br />

Formen familiärer Selbstorganisation bearbeitet werden müssen, die dysfunktional<br />

sind. Jugendlicher Drogenkonsum findet häufig im Kontext familiärer Konflikte statt. In<br />

einer Klärungsphase sind die gemeinsamen Anliegen der Familienmitglieder zu<br />

identifizieren und daraus Therapieziele abzuleiten. Alle Familienmitglieder sollten sich<br />

mit den erarbeiteten Zielen der Behandlung identifizieren können. In der<br />

Veränderungsphase geht es dann um die Bearbeitung dysfunktionaler<br />

Kommunikations-, Verhaltens- und Beziehungsmuster. In diesem Zusammenhang<br />

wird dann auch der Substanzkonsum mit thematisiert. In der Phase der Neustrukturierung<br />

müssen erreichte Veränderungen stabilisiert und der Jugendliche bei<br />

einem konstruktiven Ablösungsprozess aus dem Elternhaus begleitet werden.<br />

In Bezug auf die Elternarbeit hebt Möller (2009) hervor, dass Jugendliche ihre Eltern,<br />

wenn diese in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt werden, wieder als ernstzunehmendes<br />

Gegenüber erleben, mit dem sie sich auseinander setzen können.<br />

Präsente und kompetente Eltern vermitteln ihrem Kind ein Gefühl von Sicherheit und<br />

Wertschätzung.<br />

- 75 -


Die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme eines sprachlichen Dialogs von Jugendlichen<br />

mit Suchtstörungen und ihren Angehörigen ist für die jungen Menschen entwicklungsfördernd<br />

(Heigl- Evers et al. 1988).<br />

3.7.1.3 Strategien und Empfehlungen zu Elternselbsthilfegruppen und zur<br />

Netzwerkarbeit<br />

Elternselbsthilfegruppen dienen dem elterlichen Austausch über Insuffizienz-,<br />

Versagens- und Schuldgefühle, sorgen für gegenseitige soziale Unterstützung und<br />

fördern konsequentes Verhalten gegenüber konsumierenden Kindern (Möller, 2009).<br />

In Selbsthilfegruppen von Eltern und Angehörigen unmotivierter Jugendlicher erleben<br />

die Familienangehörigen Entlastung und erhalten Impulse für einen angemessenen<br />

Umgang mit dem konsumierenden Jugendlichen. Gemeinsam können familiäre<br />

Konflikte entschärft und konstruktive Kommunikationsmuster entwickelt werden<br />

(<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle, 2009).<br />

Reitz (2009) sieht den Nutzen von Elternkreisen im Abbau von Schuldgefühlen in<br />

Bezug auf vermeintliches eigenes Erziehungsversagen. In Elternselbsthilfegruppen<br />

finden betroffene Eltern Foren zum Informationsaustausch. Erlebte Hilflosigkeit kann<br />

thematisiert werden. Eltern fühlen sich verstanden und angenommen, können<br />

zuhören, von anderen betroffenen Eltern lernen und von Hoffnungslosigkeit zu<br />

selbstbewusstem Handeln zurückfinden. Sie erhalten hierdurch die Chance, neuen<br />

Lebensmut zu gewinnen und können ihre suchtkranken Kinder zunehmend in die<br />

Selbstverantwortung entlassen, wodurch deren Selbstwertgefühl ebenfalls wächst.<br />

Weiterhin ist in Elternkreisen das Erlernen von Differenzierung möglich, wer wofür die<br />

Zuständigkeit hat. Der Jugendliche selbst ist für sein eigenes Vorwärtskommen<br />

verantwortlich und nicht dessen Eltern. Kontrollverhalten und Endlosdiskussionen<br />

können zugunsten von Abgrenzung aufgegeben werden. Die Eltern werden ermutigt,<br />

eigene Interessen wieder aufzunehmen und sich gegenüber dem Suchtverhalten des<br />

eigenen Kindes vermehrt abzugrenzen. Es kommt hierdurch zu einer Verantwortungs-<br />

Rückübertragung an das suchtmittelabhängige Familienmitglied.<br />

Überwindung der Sucht ist Aufgabe des Süchtigen und nicht Aufgabe der Eltern. Dies<br />

kann in Elternselbsthilfegruppen gelernt werden. Als Zielzustände der Elternbefindlichkeit<br />

in der Selbsthilfegruppe benennt Reitz (a.a.O) Ehrlichkeit, Gelassenheit<br />

und Hoffnung.<br />

Münzel u. Scheiblich (2008) betonen den Wert von Netzwerkarbeit für die Therapie<br />

Jugendlicher mit Suchtstörungen: Die gute Zusammenarbeit mit den Eltern,<br />

Familienmitgliedern und dem sozialen Beziehungsnetzwerk betroffener Jugendlicher<br />

ist Voraussetzung für eine gelingende therapeutische Arbeit. Therapie muss sowohl<br />

an den Fähigkeiten, als auch an den Bedürfnissen der Familienmitglieder und des<br />

familiären Netzwerkes orientiert sein, sowie vorhandene Ressourcen und Defizite<br />

beachten. Weiterhin ist auch die Vernetzung mit anderen Hilfeinstitutionen wichtig.<br />

Folgende Grundhaltungen der Therapeutin bzw. des Therapeuten werden bei Münzel<br />

u. Scheiblich (a.a.O) benannt:<br />

· verlässlich für den jungen Menschen da sein, seine Probleme verstehen<br />

und ihn unterstützen;<br />

· Wertschätzung für die Eltern;<br />

- 76 -


· Verlässlichkeit in Absprachen;<br />

· sich durch Verharmlosungen oder Aggressionen des jungen Menschen<br />

nicht beirren lassen;<br />

· der eigenen Wahrnehmung vertrauen.<br />

Therapeutische Aufgaben sind u.a.:<br />

· der Aufbau verlässlicher Beziehungen;<br />

· die Aufhebung sozialer Isolation;<br />

· die Erweiterung des Rollenspektrums;<br />

· die Überwindung von Hilflosigkeit und Hilflosigkeitsgefühlen;<br />

· die Entdeckung und Förderung eigener Handlungsmöglichkeiten, sowie<br />

die Förderung von Selbstwirksamkeit;<br />

· die Stärkung des Selbstvertrauens;<br />

· Lernen, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken;<br />

· den konsumierenden Jugendlichen aktiv werden zu lassen, da er für sich<br />

selber Verantwortung übernehmen muss.<br />

In Bezug auf die Eltern- bzw. Familienarbeit gilt:<br />

· Einbeziehung der Eltern in den therapeutischen Prozess;<br />

· mit dem elterlichen Einverständnis arbeiten;<br />

· nicht in Konkurrenz mit den Eltern um die Gunst des Kindes treten;<br />

· Beziehungen klären: Kinder leiden unter widersprüchlichen Beziehungen<br />

und sind sich oft ihrer Eltern, anderer Erwachsener und infolgedessen<br />

auch ihrer selbst und ihres Wertes nicht sicher (Münzel u. Scheiblich,<br />

2008).<br />

Aus amerikanischen Multicenterstudien wird ersichtlich, dass zwei Therapiemerkmale<br />

besonders bedeutsam für den Behandlungserfolg sind (Friedman et al. 1983, zitiert<br />

nach <strong>Thomas</strong>ius et al. 2009):<br />

· die Förderung von Kompetenzen, die zu einer konstruktiven Lösung<br />

persönlicher und sozialer Konflikte bzw. zu einer Beendigung des<br />

Substanzmissbrauchs beitragen;<br />

· die Einbeziehung der Herkunftsfamilie in den therapeutischen Prozess.<br />

3.7.1.4 Strategien und Empfehlungen zur Gestaltung der therapeutischen<br />

Beziehung und zu den Inhalten von Therapie<br />

Nach <strong>Thomas</strong>ius (2009) ist die therapeutische Haltung von zentraler Bedeutung. Sie<br />

soll gekennzeichnet sein durch:<br />

· einfühlsames Verstehen, Empathie, Akzeptanz und Wertschätzung;<br />

· Orientierung an den Begabungen, Kognitionen, antizipierten<br />

Lösungen, sowie der Veränderungsbereitschaft des jungen<br />

Menschen und seiner Eltern.<br />

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Herstellung von Transparenz und<br />

Übersichtlichkeit im therapeutischen Prozess. Dies geschieht durch eine Festlegung<br />

der Regeln für eine gelingende Kooperation (z.B. in Bezug auf die Compliance bei<br />

der Einnahme von Medikamenten) und durch eine Abstimmung der Erwartungen,<br />

Bedürfnisse und Ziele beim jugendlichen Patienten selbst, dessen Eltern, sowie<br />

dessen sozialem Umfeld. Allparteilichkeit, hypothesengeleitete Interventionen,<br />

Reflexion der eigenen Rolle im therapeutischen Geschehen und die Einhaltung<br />

ethischer Prinzipien sind zu beachten (<strong>Thomas</strong>ius, a.a.O).<br />

- 77 -


Als therapeutische Haltungen fordert Möller (2009):<br />

· eine klare Haltung der Bezugspersonen und Therapeuten zum Substanzmissbrauch,<br />

insbesondere auch kein Verschließen der Augen gegenüber<br />

dem Konsum legaler Substanzen, wie Nikotin und Alkohol;<br />

· die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Jugendlichen und<br />

seinen Problemen.<br />

Bei Jugendlichen mit Suchtstörungen sind vorgeschichtlich häufig frühe Bindungsund<br />

Beziehungsstörungen mit wiederholten Beziehungsabbrüchen festzustellen. Aus<br />

diesem Grund ist Beziehungskontinuität in der Gestaltung der therapeutischen<br />

Beziehung besonders wichtig (Möller u. <strong>Thomas</strong>, 2009).<br />

<strong>Thomas</strong>ius (2009) differenziert vier Phasen der Suchtbehandlung:<br />

1. Die Kontaktphase, in der Beratung und Motivationsbehandlung stattfinden.<br />

Die Motivationsbehandlung richtet sich nach dem fünfphasigen Modell<br />

„stages of change“ nach Prochaska u. DiClemente (1986, zitiert nach<br />

<strong>Thomas</strong>ius, 2009). Der Therapeut muss berücksichtigen, in welcher<br />

Phase sich der junge Patient gerade befindet und seine Motivierungsarbeit<br />

entsprechend modifizieren und anpassen. Nach <strong>Thomas</strong>ius (2009)<br />

unterscheidet das „stages of change“- Modell wie folgt:<br />

· Zu Anfang besteht die Phase der „Precontemplation“,<br />

gekennzeichnet durch fehlendes Problembewusstsein und<br />

fehlende Veränderungsbereitschaft.<br />

· „Contemplation“ ist definiert durch ein beginnendes Problembewusstsein,<br />

bei dem Vor- und Nachteile des Substanzkonsums<br />

gegeneinander abgewogen werden und erste Überlegungen in<br />

Richtung auf eine Verhaltensveränderung angestellt werden.<br />

· In der „Action“- Phase wird ein ernsthafter Veränderungsvorsatz<br />

gefasst und erste Veränderungsschritte werden unternommen.<br />

Hier erfolgt die Behandlung der Suchtstörung.<br />

· Die „Maintenance“- Phase bezeichnet die Aufrechterhaltung der<br />

Behandlungsziele und der erreichten Veränderungen.<br />

· In der fünften Phase, dem Rückfall, wird entsprechend dem<br />

Rückfallmodell nach Marlatt zwischen „lapse“ und „relapse“, also<br />

zwischen einem „Ausrutscher“ und einem „echten Rückfall in alte<br />

Suchtverhaltensmuster“ unterschieden. Rückfälle, die auf dem<br />

Weg zur Abstinenz als Teil des Entwicklungsprozesses<br />

geschehen, sollten nicht als Scheitern oder Versagen<br />

gebrandmarkt werden. Es sollte vielmehr eine Zuversicht in die<br />

positive persönliche Entwicklung gestärkt und gefördert werden,<br />

mit deren Hilfe auch „lapses“, also sog. Ausrutscher überwunden<br />

werden können.<br />

<strong>Thomas</strong>ius (2009) betont die besondere Bedeutung der Motivationsförderung,<br />

insbesondere in der initialen Kontaktphase, da die Betroffen<br />

selbst meist kein Behandlungsinteresse zeigen, den Substanzkonsum<br />

bagatellisieren bzw. leugnen, fortgesetzten Kontakt zu konsumierenden<br />

Peers pflegen und auch sonst keine Bereitschaft zum Konsumverzicht<br />

zeigen.<br />

- 78 -


Als Gesprächstechnik empfiehlt <strong>Thomas</strong>ius (a.a.O) in der Motivationsbehandlung<br />

das „motivational interviewing“ (MI) nach Miller u. Rollnik<br />

(1999, zitiert nach <strong>Thomas</strong>ius, 2009). Motivation wird nicht als ein stabiler<br />

Zustand, sondern als individueller Prozess verstanden, der durch den<br />

Therapeuten beeinflusst und mit gesteuert werden kann. MI dient der<br />

Förderung der Diskrepanzwahrnehmung und der Veränderungsbereitschaft.<br />

Menschen streben nach stimmiger und sinnstiftender innerer<br />

Wahrnehmung, nach sog. kognitiver Resonanz. Entdeckt ein junger<br />

Mensch in seinem Verhalten innere Widersprüche zu seinen eigenen<br />

Werten, Normen und Zielsetzungen, entsteht eine sog. kognitive<br />

Dissonanz. Diese fördert letztendlich die Bereitschaft, das eigene<br />

Verhalten in Frage zu stellen, es zu verändern und wieder stimmig erlebt<br />

mit den inneren Überzeugungen zu machen. MI fördert in diesem Sinne<br />

die Wahrnehmung von Diskrepanzen. Weiterhin unterstützt MI den Aufbau<br />

von Vertrauen in die Selbstwirksamkeit.<br />

Einige wichtige Grundregeln des MI sind nach <strong>Thomas</strong>ius (a.a.O):<br />

· der Verzicht auf Konfrontation;<br />

· offene Fragen stellen, die das eigenständige Denken und Suchen<br />

nach Lösungen anregen;<br />

· dem jungen Menschen eine aktive Gesprächsrolle überlassen;<br />

· sog. „reflective listening“, d.h. das vom Jugendlichen Gesagte noch<br />

einmal auf den Punkt bringen, um empathisches Verstehen zu<br />

signalisieren;<br />

· Verstärkung positiver, veränderungsförderlicher Aspekte des<br />

Gesagten;<br />

· Herstellen von kognitiver Dissonanz zur Förderung von<br />

Veränderungsbemühungen.<br />

2. Die Behandlungsphase, zweigeteilt in Akutbehandlung und Postakutbehandlung.<br />

Die Akutbehandlung als qualifizierte Entzugs- bzw.<br />

Entgiftungsbehandlung ist eine medizinische Leistung. Sie findet in der<br />

Regel stationär in Kliniken statt und dauert drei bis vier Wochen. Die<br />

Postakutbehandlung findet bei fehlendem sozial stützendem Umfeld bzw.<br />

dysfunktionalen Familienstrukturen (auch) in der stationären Jugendhilfe<br />

statt (<strong>Thomas</strong>ius, 2009). Die Behandlung erfolgt:<br />

· personenorientiert (zugewandt, zuhörend, verstehend, individuell,<br />

begabungsorientiert);<br />

· familienorientiert (familienintegrierend, aber auch verselbständigend);<br />

· diagnosegeleitet (störungsspezifisch);<br />

· problemlösungsorientiert (aufgabenbestimmt, zielgerichtet);<br />

· milieuorientiert (situationsspezifisch, chancen- und ressourcenorientiert,<br />

systemisch);<br />

· interaktions- und beziehungsorientiert (therapeutische Beziehung);<br />

· entwicklungsorientiert, lebensgeschichtlich begründet, altersangemessen,<br />

gegenwarts- und zukunftsorientiert;<br />

· mehrebenenorientiert (somatisch, psychisch, sozial, situativ);<br />

· interdisziplinär orientiert (berufsübergreifend im Verbundsystem);<br />

· programmgeleitet und integrativ (mit der Integration verschiedener<br />

Methoden in einem Behandlungsplan);<br />

- 79 -


· verlaufsangepasst (Anpassung der Therapie an den Verlauf der<br />

Gesundung);<br />

· komorbiditätsorientiert (Komorbiditäten berücksichtigend);<br />

· nebenwirkungskontrolliert;<br />

· ethisch kontrolliert;<br />

· zeitsparend, kostengünstig, wohnortnah;<br />

· am Beziehungssystem orientiert, d.h. die wichtigsten Bezugspersonen<br />

mit einbeziehend (<strong>Thomas</strong>ius, a.a.O).<br />

Die Behandlung erfolgt somatisch, psychisch und sozial situativ.<br />

Die somatische Behandlung umfasst z.B. die Medikation, Diät und<br />

körperbezogene Therapien, wie Sport, Bewegung und Entspannungsverfahren.<br />

Die psychische Behandlung umfasst u.a. Beratung, Einzel- und Gruppentherapie,<br />

Familientherapie, Förderung von Kreativität (Kunst) und tiergestützte<br />

Therapie.<br />

Die sozial- situative Behandlung ist gekennzeichnet durch erzieherische,<br />

schulische und berufliche Maßnahmen.<br />

Weiterhin gehören hierher die Netzwerkarbeit (Einbeziehung von Eltern<br />

bzw. Sorgeberechtigten, Schulen, externen Therapeuten, wichtigen<br />

Bezugspersonen) und eine gute Tagesstrukturierung (<strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

3. Die Zielphase: <strong>Thomas</strong>ius (a.a.O) benennt als Ziele der Behandlung:<br />

· Suchtmittelabstinenz;<br />

· Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung;<br />

· schulische und berufliche Integration.<br />

Nach den Leitlinien der amerikanischen Fachgesellschaft „American<br />

Academy of Child and Adolescent Psychiatry“ (AACAP) zur Behandlung<br />

von Kindern und Jugendlichen mit substanzbezogenen Störungen (zitiert<br />

nach <strong>Thomas</strong>ius, 2009) ist in der Therapie u.a. zu berücksichtigen:<br />

· die Behandlung soll intensiv und lang genug sein, um eine<br />

dauerhafte Beendigung der Suchtstörung und der assoziierten<br />

Verhaltensprobleme zu erzielen;<br />

· Intensität und Dauer der Behandlung sind auch an den komorbiden<br />

psychischen Störungen, sowie den psychosozialen und<br />

beruflichen Defiziten auszurichten;<br />

· Interventionen müssen alle dysfunktionalen Lebensbereiche des<br />

Jugendlichen abdecken;<br />

· die Herkunftsfamilie ist in die Therapie mit einzubeziehen und die<br />

Erziehungskompetenzen der Sorgeberechtigten sind zu stärken;<br />

4. Die Nachsorgephase umfasst Rückfallprophylaxe, Hilfestellungen bei der<br />

sozialen Integration durch Schule und Berufsfindung, weiterführende<br />

ambulante Psychotherapien (soweit erforderlich), sowie Programme der<br />

Selbsthilfe für die jungen Menschen und deren Angehörige incl.<br />

Kontaktvermittlung und Förderung des Besuchs von Selbsthilfegruppen<br />

(<strong>Thomas</strong>ius, 2009).<br />

- 80 -


Völker u. <strong>Thomas</strong>ius (2009) beschreiben fünf aufeinander folgende Therapiebausteine:<br />

1. Motivationsbehandlung:<br />

In dieser Phase werden die persönlichen Motive für Konsum und Nichtkonsum<br />

reflektiert, Ambivalenzen herausgearbeitet, kognitive Dissonanzen erzeugt,<br />

um intrinsische Veränderungsmotivation zu stimulieren, sowie die Vorteile der<br />

Abstinenz herausgestellt. Als Gesprächstechniken empfehlen Völker u.<br />

<strong>Thomas</strong>ius (a.a.O) das „Motivational Interviewing“ (MI) nach Miller u. Rollnick<br />

(1999), sowie eine Orientierung des Gespräches am Modell „Stages of<br />

Change“ nach Prochaska u. DiClemente (1992).<br />

Die Prinzipien des MI gelten inzwischen als der „Goldstandard“ in der<br />

Motivationsförderung (Behrendt 2009, S.421).<br />

Fünf Elemente des MI werden in der Literatur benannt (Behrendt, 2009):<br />

· Empathie ausdrücken;<br />

· Diskrepanzen entwickeln;<br />

· Beweisführungen vermeiden;<br />

· Widerstand aufnehmen und konstruktiv damit arbeiten;<br />

· Förderung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen.<br />

2. Vermittlung gesundheitsrelevanter Informationen insbesondere in Form<br />

psychoedukativer Angebote.<br />

3. Förderung von Selbstwirksamkeitsaspekten:<br />

Praktische Übungen vor allem in Form von Rollenspielen zur Förderung<br />

sozialer Kompetenzen, zum Umgang mit Stress, sowie zur Standfestigkeit<br />

gegenüber sozialen Verführungssituationen zum Konsum. Verabschiedung<br />

vom Suchtmittel bzw. vom Suchtmittelkonsum. Erarbeitung eines Verhaltensarsenals<br />

für rückfallkritische Situationen (der sog. „Notfallkoffer“).<br />

4. Rückfallprävention:<br />

Austausch über die ersten Erfahrungen mit der Abstinenz, Ergänzung des<br />

„Notfallkoffers“, Übungen im Umgang mit Gefühlen und Problemen.<br />

5. Sog. „Booster- Session“:<br />

Die Gruppe macht eine gemeinsame, schöne Unternehmung, z.B.: Rudern,<br />

Klettern, Fußballspiel, Kinobesuch, gemeinsames Kochen.<br />

Als weitere Therapieelemente werden benannt:<br />

· Schulische und berufliche Qualifizierung;<br />

· Gesundheitsförderung durch Sport, ausgewogene Ernährung, einen<br />

ausgeglichenen Tag- Nacht- Rhythmus, Entspannung, durch die<br />

Erfahrung körperlicher Leistungsfähigkeit, Arbeitstherapie;<br />

· Förderung der physischen und emotionalen Wahrnehmungsfähigkeit.<br />

- 81 -


<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (2009) benennen für Kinder und Jugendliche mit Suchtstörungen<br />

im Rahmen stationärer Einrichtungen folgende Therapieelemente:<br />

· Einzel- und Gruppentherapie, sowie Familientherapie und familienbezogene<br />

Maßnahmen;<br />

· Entspannungsverfahren;<br />

· Selbstsicherheitstraining;<br />

· soziales Kompetenztraining;<br />

· Rückfallmanagement;<br />

· Arbeits- und Beschäftigungstherapie;<br />

· Schule, Berufsorientierung;<br />

· Suchtkunde;<br />

· freizeitpädagogische Aktivitäten;<br />

· pharmakologische Behandlung.<br />

In Bezug auf die Einzeltherapie empfehlen <strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (a.a.O):<br />

· psychodynamische;<br />

· kognitiv- behaviorale und<br />

· verhaltenstherapeutische Therapieansätze.<br />

Im Hinblick auf die lebensgeschichtlichen Entwicklungsaufgaben in Jugend und<br />

Adoleszenz (Bearbeitung des Bindungs- Autonomie- Konfliktes, Erwachsenwerden)<br />

sind psychodynamische Therapieansätze besonders bedeutsam. Ergänzt werden sie<br />

durch kognitiv- behaviorale und verhaltenstherapeutische Therapieansätze, die auf<br />

Verhaltensveränderung und Selbstmanagement zielen.<br />

In der psychodynamischen Psychotherapie geht es um das Erkennen eigener<br />

Gefühle, die Verbesserung der Affektdifferenzierung und die Verbesserung der<br />

Impulskontrolle. Der in der Jugend und Adoleszenz entwicklungstypische<br />

Abhängigkeits- Autonomie- Konflikt kann bearbeitet werden. Ziele sind eine<br />

realistischere Wahrnehmung der eigenen- und der Bedürfnisse anderer (vor allem der<br />

Erwartungen und Bedürfnisse der Eltern), sowie die Verbesserung der Fähigkeit zur<br />

Abgrenzung gegenüber Fremderwartungen, die Verbesserung der Beziehungsfähigkeit<br />

und das Aushalten von Autonomie. Das Selbstwertsystem kann stabilisiert<br />

werden durch eine realistischere Einschätzung eigener Fähigkeiten und Grenzen,<br />

durch eine Erhöhung der Frustrationstoleranz, sowie durch eine Reduzierung von<br />

Größenphantasien und Minderwertigkeitsgefühlen. Ziele sind der Erwerb von<br />

personaler und sozialer Identität, Authentizität und Verantwortungsübernahme<br />

(<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle, 2009).<br />

In den kognitiv- behavioralen Ansätzen werden dysfunktionale Kognitionen (negative<br />

Vorstellungen, Gefühle und Verhaltensmuster) bearbeitet. Interne und externe<br />

Trigger- Faktoren für den Substanzgebrauch werden identifiziert. Ein wesentliches<br />

Rückfallmoment bei jugendlichen Drogenkonsumenten sind angenehme und<br />

idealisierende Vorstellungen bezüglich des Drogenkonsums in Verbindung mit<br />

entsprechend positiv besetzten Erinnerungen an vergangene Konsumerfahrungen.<br />

Im Wege der sog. „convert sensitization“ werden die positiven Konnotationen<br />

gedanklich mit den unangenehmen Konsequenzen des Konsums verbunden.<br />

- 82 -


Weiterhin werden die erwünschten Folgen der Abstinenz mit den unangenehmen<br />

Auswirkungen des Konsums in prägnanten Sätzen gegenübergestellt. Diese Sätze<br />

könnten dann im Bedarfsfall gedanklich abgerufen werden, sog. "coverant control“.<br />

Außerdem können durch kognitiv- behaviorale Therapieansätze die Selbstkontrolle<br />

und Strategien zur Stressbewältigung verbessert werden (<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle, 2009).<br />

Interventionen der Verhaltenstherapie betonen die Selbstregulationsfähigkeit des<br />

jungen Menschen, indem sie Spielräume für Verhaltensalternativen eröffnen. Vor<br />

dem Hintergrund der Interpretation des Substanzkonsums als einem fehlgeschlagenen<br />

Problemlösungsverhalten können alternative Verhaltensmöglichkeiten<br />

zum Substanzkonsum aufgebaut werden. Selbstsicherheit, Handlungskompetenzen<br />

und Selbstorganisation, sowie eine sinnvolle Freizeitgestaltung könnten eingeübt<br />

werden. In den Bereich der Verhaltenstherapie gehört auch das sog. „contract<br />

management“, bei dem Rechte und Pflichten des jungen Menschen schon zu Beginn<br />

des Therapieprozesses schriftlich festgelegt werden. Im Verlauf einer erfolgreichen<br />

Behandlung können dann dem jungen Menschen vermehrt Freiräume und Rechte<br />

zuerkannt werden (<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle, 2009).<br />

Als ergänzende Maßnahmen schlagen <strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (a.a.O) Ergotherapie,<br />

Bewegungstherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie, Arbeitstherapie und aktivierende<br />

pädagogische Aktivitäten, wie z.B. Sportaktivitäten vor. Die Maßnahmen sollen<br />

erlebnis- und gemeinschaftsorientiert sein, damit die Jugendlichen Grenzen ausprobieren,<br />

sowie Selbstvertrauen, Vertrauen in die Gruppe und Vertrauen in andere<br />

Menschen gewinnen können. Pädagogische Förderung durch ein Bezugsbetreuungssystem<br />

und Entspannungsverfahren, z.B. in Form von progressiver Muskelrelaxation<br />

nach Jacobson, runden die Therapiemaßnahmen ab.<br />

Bilke (2008 b) schlägt vor, psychotherapeutische Interventionen auf der Individualund<br />

Gruppentherapieebene vorzuhalten. Therapeutische Aufgaben sind hier:<br />

· das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung zu stärken;<br />

· die Erwartung von Selbstwirksamkeit zu stärken;<br />

· individuelle Entwicklungs- und Zielperspektiven zu erarbeiten.<br />

Hierbei sind ressourcen- und lösungsorientierte Vorgehensweisen zu favorisieren.<br />

Auf der individualtherapeutischen Ebene sind die Ich- Grenzen zu stärken, die<br />

substanzinduziert labilisiert worden sind. Chronifizierte Angstzustände, Selbstzweifel<br />

und soziophobische Verhaltensmuster, die durch den Substanzkonsum bekämpft<br />

werden, müssen ermittelt, aufgedeckt, bearbeitet und korrigiert werden<br />

(Bilke, 2008 b).<br />

In der Gruppentherapie werden von Bilke (a.a.O) psychoedukative Angebote mit<br />

themenzentrierten Gruppen empfohlen. Durch den jugendlichen Substanzkonsum<br />

erfolgt eine Distanzierung von den realen Lebens- und Leistungsanforderungen. Die<br />

Substanzeinnahme erzeugt einerseits eine fiktive Überlegenheit, ist aber zugleich<br />

auch Ausweichverhalten gegenüber realen Stressoren und kränkenden sozialen<br />

Interaktionsfeldern wie Schule und Lehre. In Discos, Internetforen und interaktiven<br />

Computerspielen werden Pseudo- Persönlichkeiten entwickelt und gepflegt, während<br />

die praktische Lebensbewältigung zunehmend schlecht gelingt. Durch korrigierende<br />

Gruppenerfahrungen wird die Realitätsfindung gefördert: Die Gruppensituation<br />

relativiert eigene Bedürfnisse, fördert soziale Adaptionsleistungen und die<br />

Erarbeitung gemeinsamer Gruppenziele. Dies wirkt positiv korrigierend.<br />

- 83 -


Küstner et al. (2008) befassen sich mit Fragen der Motivationsbehandlung in der<br />

Therapie. Da der Substanzgebrauch von konsumierenden Jugendlichen selbst als<br />

Entlastung und persönlicher Gewinn erlebt wird, fehlt es meist an einem<br />

Problembewusstsein und an Therapiemotivation. Grundlage für eine Therapie ist<br />

zunächst der Aufbau einer Vertrauensbeziehung. Sodann gilt es, den jungen<br />

Menschen durch eine gezielte Auseinandersetzung mit seinem persönlichen<br />

Konsummuster und seinen Konsumkontexten anzuleiten, erste Problemvermutungen<br />

im Zusammenhang mit seinem Substanzkonsum zu entwickeln. Um Therapiemotivation<br />

zu fördern und aufrecht zu erhalten, müssen die Selbstwirksamkeitsüberzeugung<br />

und der Glaube an eine positive persönliche Entwicklung,<br />

sowie die Veränderungsmotivation und Veränderungszuversicht gestärkt werden.<br />

Therapeutische Themen sind:<br />

· Herausarbeitung des Substanzkonsums als fehlgeschlagenes Problemlöseverhalten;<br />

· Förderung und Aufrechterhaltung von Therapiemotivation über den<br />

gesamten Therapieverlauf, insbesondere auch durch Einbeziehung der<br />

Familienangehörigen in den therapeutischen Prozess;<br />

· Aufbau alternativer Problemlösungsfähigkeiten;<br />

· Stärkung der Selbstwirksamkeit durch Aufbau eines effektiven konsumfreien<br />

Verhaltens in Angebots- und Versuchungssituationen;<br />

· Einübung von Selbstsicherheit und Selbstorganisation;<br />

· Anleitung zu sinnvoller Freizeitgestaltung;<br />

· Bearbeitung starker Affekte: Unterstützung beim Erkennen eigener<br />

Gefühle, Verbesserung der Affektdifferenzierung und Impulskontrolle,<br />

Erhöhung von Frustrationstoleranz, Reduzierung von Allmachts- und<br />

Minderwertigkeitsgefühlen, Aushalten können belastender Affekte;<br />

· Förderung einer realistischen Wahrnehmung und Abgrenzung von den<br />

Bedürfnissen anderer;<br />

· Verbesserung von Beziehungsfähigkeit;<br />

· Förderung einer realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und<br />

Grenzen;<br />

· Aushalten von Autonomie (Küstner et al, a.a.O).<br />

Den Stellenwert der Freiwilligkeit im therapeutischen Prozess betont Rist (2009). In<br />

Tierversuchen wird bei unfreiwilligem Substanzkonsum kein Suchtverhalten<br />

aufgebaut, sondern nur unter Wahlbedingungen. Hieraus lässt sich für die Therapie<br />

ableiten, dass der Aufbau wirksamen alternativen Verhaltens ebenfalls der<br />

Wahlfreiheit und Freiwilligkeit des jungen Menschen bedarf. Mit Druckausübung und<br />

Zwang erreicht man hier nichts.<br />

Möller (2009) stellt hingegen fest, dass es bei konsumierenden Jugendlichen in der<br />

Regel an Eigenmotivation und Veränderungsbereitschaft fehlt, da junge Menschen<br />

eher selten über negative Erfahrungen im Umgang mit Suchtmitteln verfügen. Der<br />

Substanzkonsum wird als angenehm erlebt und idealisiert. Deshalb ist<br />

Fremdmotivation, also Druck von Außen, insbesondere in der Anfangsphase einer<br />

Therapie häufig sinnvoll. Jugendliche beurteilten oft im Nachhinein anfänglichen<br />

Druck von Außen als hilfreich. Möller plädiert weiterhin dafür, die Grundproblematik<br />

des Substanzkonsums, nämlich vor allem den Autonomie- und Abhängigkeitskonflikt,<br />

zu bearbeiten. Durch eine frühzeitige Behandlung von Fehlentwicklungen kann eine<br />

spätere Suchtentwicklung abgewendet werden.<br />

- 84 -


Viele der substanzmissbrauchenden Kinder und Jugendlichen nehmen Drogen im<br />

Sinne einer Selbstmedikation zur Regulierung innerer Spannungszustände und zum<br />

Unterbinden von Flashbacks bzw. traumatischer Erinnerungsbilder. Die Behandlung<br />

der Grundstörung bzw. seelischer Fehlentwicklungen sollte daher im Zentrum der<br />

therapeutischen Bemühungen stehen. Außerdem sind soziale Verhaltensauffälligkeiten<br />

in den Bereichen Schule, Ausbildung und Familie zu bearbeiten (Möller<br />

2009).<br />

Nach Möller u. <strong>Thomas</strong> (2009) ist weiterhin die Wiedereingliederung in die Schule ein<br />

zentrales therapeutisches Thema.<br />

Die Wichtigkeit schulischer Unterstützung und Förderung betonen auch <strong>Thomas</strong>ius u.<br />

Stolle (2009): Schulerfolge stärken das Selbstvertrauen und sind ein wichtiges<br />

Element der Entwicklung tragfähiger Lebensperspektiven, die in Zusammenarbeit mit<br />

Familie, Schule und Jugendamt erarbeitet werden müssen.<br />

Schlieckau (2009) entfaltet ein Konzept der autoritativen Nacherziehung. Als<br />

Ausgangssituation postuliert er bei jungen Menschen mit Suchtstörungen eine<br />

misslungene Sozialisation und erhebliche Entwicklungsverzögerungen infolge der<br />

Suchtstörung. Im Konzept der autoritativen Nacherziehung werden nun die Präsenz<br />

und Aufsicht des Erwachsenen verbunden mit Authentizität, Vertrauen, eindeutigen<br />

Positionen, verbindlichen Absprachen, gleich bleibenden Regeln, klaren Grenzsetzungen,<br />

Verlässlichkeit und Konsequenz.<br />

Ziele sind die Förderung der Kompetenzen des Jugendlichen, sowie der Abbau von<br />

Entwicklungsdefiziten und Störungen. Im Konzept der autoritativen Nacherziehung<br />

geht es um eine starke Alltagspräsenz der Pädagogen, die wohlwollend und<br />

grenzsetzend für die Herstellung einer tragfähigen und verlässlichen Beziehung<br />

sorgen. Sie sind Vorbilder und Autoritätspersonen. Pädagogen übernehmen in<br />

diesem Sinne Rollen als „Kurzzeiteltern“, fördern Ressourcen und Kompetenzen der<br />

ihnen anvertrauten jungen Menschen und sorgen durch das Vorbild konstant guter<br />

Beziehungen zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitern für ein gutes<br />

familiäres Klima (Schlieckau, a.a.O).<br />

Autoritative Nacherziehung ist in vieler Hinsicht komplementär zum Konzept der<br />

Nachbeelterung (engl.: „reparenting“), in dem jungen Patienten gezielt nachträgliche<br />

elterliche Fürsorge zuteil wird (Young et al. 2005).<br />

Petzold (1993) beschreibt diesen Nachbeelterungsprozess als „zweiten Weg der<br />

Heilung“, wobei es um die Erfahrung von Vertrauen, von Gehalten-, Verstanden- und<br />

Genährtwerden geht.<br />

Leitfragen im Nachbeelterungsprozess, die über die Art und Intensität der<br />

Beziehungsgestaltung im Einzelnen mit entscheiden, sind nach Schlieckau (2009):<br />

· Wo steht der junge Mensch derzeit entwicklungsbedingt?<br />

· Über welche Kompetenzen verfügt er?<br />

· Mit wie viel Autonomie kann er schon umgehen?<br />

· Wie viel Schutz und Begrenzung braucht er noch?<br />

Schlieckau (a.a.O) stellt fest, dass junge Menschen auf der Suche sind nach<br />

Selbstbestätigung, Liebe, Zuwendung, Geborgenheit, Trost, Sinn und stabiler<br />

- 85 -


Identität. Durch Konfrontation mit neuen Werten und Vorbildern, die durch das Milieu<br />

der stationären Einrichtung repräsentiert werden, kann dieser Suche begegnet und es<br />

können Antworten angeboten werden.<br />

Nachbeelterung bzw. autoritative Nacherziehung setzt sowohl selbstkritisches und<br />

selbstreflektierendes Arbeiten der „Kurzzeiteltern“ voraus, als auch die Bereitschaft,<br />

sich als Ersatz- Partialobjekt mit Hilfs- Ich- Funktionen zur Verfügung zu stellen und<br />

insbesondere auch negative Übertragungen aushalten zu können. Die Mühen dieses<br />

Prozesses sind jedoch lohnend: Durch aufmerksames Lob und kontinuierliche<br />

Verstärkung auch kleinster Lernfortschritte im Alltagsverhalten auf dem Hintergrund<br />

einer Halt gebenden Bindungserfahrung wird ein allmählicher Aufbau wohlwollender<br />

innerer Objekte ermöglicht, der zur Nachreifung der Persönlichkeit des jungen<br />

Menschen beiträgt. Ergänzende erzieherische Interventionen, Konfrontationen und<br />

Sanktionen, sowie Grenzsetzungen tragen ebenfalls mit zu einer gelingenden<br />

Realitätsbewältigung bei.<br />

Im Realitätstraining vereinbart der Bezugstherapeut mit dem Jugendlichen Ziele, die<br />

es zu erreichen gilt. Zielabweichungen werden nachbesprochen, bestehende Ziele<br />

können bei Bedarf modifiziert, oder neue verbindlich vereinbart werden. Dies dient<br />

der Strukturgebung. Durch dosiert gesteigerte Übernahme verschiedener Alltagsaufgaben<br />

und Ämter kommt es zu einer schrittweisen Verantwortungsübernahme<br />

durch den jungen Menschen. Zunehmende Verantwortungsübernahme wiederum<br />

verbessert auch die Fähigkeit, mit entstehenden Konflikten besser umgehen zu<br />

können (Schlieckau, 2009).<br />

Aufgaben der Nacherziehung im Rahmen der Nachbeelterung sind nach Schlieckau<br />

(a.a.O) die Erziehung und Förderung zu:<br />

· Sauberkeit, Ordnung und Hygiene;<br />

· geregelter Teilnahme an den Mahlzeiten;<br />

· angemessenem Umgang mit Geld;<br />

· gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Rücksichtnahme;<br />

· gewaltfreiem und selbstachtsamem Verhalten;<br />

· einem sinnvolleren, nicht nur konsumorientierten Freizeitverhalten;<br />

· sportlichen Aktivitäten;<br />

· angemessenen Umgangsformen.<br />

Die genannten Nacherziehungsinhalte fördern basale zwischenmenschliche<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie die Persönlichkeitsbildung.<br />

An dieser Stelle wird deutlich, dass die Suchttherapie junger Menschen ein weites<br />

Spektrum an Themenstellungen abdeckt und nicht ausschließlich auf das Suchtmittel,<br />

Konsummuster und Abstinenzfragen fixiert ist. In diesen weiten Rahmen suchttherapeutischer<br />

Interventionen gehört auch die Förderung emotionalen Erlebens.<br />

Häufig erleben junge Menschen ohne Suchtmittel ein Gefühl der inneren Leere und<br />

des Unerfülltseins. Hier ist das Gruppenerleben ein hervorragendes Therapeutikum:<br />

Im geselligen suchtmittelfreien Miteinander können Freunde, neue Freizeitwerte,<br />

Freude und Erfüllung gefunden werden.<br />

- 86 -


Schlieckau (2009) weist in seinen Ausführungen abschließend darauf hin, dass nachbeelternde<br />

Therapeuten auch extreme Spaltungs- und Entwertungstendenzen<br />

aushalten müssen. Sie sollten in der Lage sein, geduldig wiederholend bei<br />

unangemessenem Verhalten zu konfrontieren, angemessene Grenzen und Konsequenzen<br />

zu setzen, sowie konsequent zu fordern und zu fördern.<br />

Zur Fähigkeit der Therapeuten, sich Spaltungs- und Entwertungstendenzen stellen zu<br />

können gehört auch die Bereitschaft, negative Übertragungen, sowie länger anhaltende<br />

Konflikte auszuhalten. Konflikte und negative Übertragungsprozesse<br />

gehören zu den Standardsituationen in der stationären Jugendhilfepraxis.<br />

Sport- und Bewegungstherapie in der Postakutbehandlung führt nach Lashlee u.<br />

Schlieckau (2009) zur Verbesserung<br />

· der Fitness;<br />

· der Entspannungsfähigkeit;<br />

· der Körperwahrnehmung;<br />

· des sozialen Verhaltens durch Konfrontation mit Regeln und Strukturen;<br />

· der Körperkoordination;<br />

· der Entspannungsfähigkeit;<br />

· des Stressabbaus;<br />

· der Konfliktfähigkeit und der gegenseitigen Rücksichtnahme durch das<br />

Einhalten von Regeln;<br />

· der Fähigkeit zum „fair play“;<br />

· der Teamfähigkeit im Gruppensport/ in Mannschaftssportarten;<br />

· der Erlebnisqualität und der Lebensfreude;<br />

· der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit;<br />

· der Willensstärke, Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit;<br />

· des Selbstvertrauens;<br />

· der sozialen Anerkennung durch Leistung.<br />

Außerdem dient Sport dem Abbau von Spannungszuständen und von dissozialem<br />

Verhalten. Insbesondere Langlauftherapie steigert das Selbstbewusstsein und die<br />

psychophysische Ausgeglichenheit. Die Angst vor Veränderungsprozessen, die<br />

immer auch Bewegung bedeuten, wird überwunden. Lashlee u. Schlieckau (a.a.O)<br />

empfehlen zwei bis drei Einheiten Pflichtsport in der Woche, um bei den jungen<br />

Menschen einen Gewinn an Struktur, Willensstärke und Teamfähigkeit zu erreichen.<br />

Über eine Kombination von Körperarbeit, Körpererfahrung und Reflexion kann eine<br />

Stabilisierung des Verhaltens, sowie eine Normalisierung der Empfindungen im Alltag<br />

erzielt werden.<br />

Ähnlich argumentiert von Cube (2008), wenn er sich nachdrücklich dafür ausspricht,<br />

Lusterfahrungen durch Leistung zu machen: Die Lust an der Leistung sorge für einen<br />

biologischen Gleichgewichtszustand. Leistung als Anstrengung mit explorativer<br />

Komponente, als erfolgreiches Bewältigen von Aufgaben, als das Lösen von<br />

Problemen und das Meistern von Risiken, als das Verwandeln von Unsicherheit in<br />

Sicherheit und als „flow“, werde mit Lust belohnt. Lust durch Leistung führe auch zu<br />

Anerkennung und Bindung. Die Verbindung von Lust, Anstrengung und Leistung<br />

wirke suchtpräventiv (Cube, a.a.O).<br />

- 87 -


Es kann mithin festgehalten werden, dass Sport und die Förderung von Leistungsmotivation<br />

wichtige therapeutische Faktoren in der Suchtbehandlung junger<br />

Menschen sind.<br />

Leppin (2009) betont, dass das Vorhandensein starker Bewältigungs- und Problemlösungsfähigkeiten<br />

bei Jugendlichen einen Drogenkonsum weitgehend obsolet<br />

macht. In einem Lebenskompetenztraining sollten individuelle kognitive, körperliche<br />

und soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten eingeübt werden. Zu trainieren sind vor<br />

allem:<br />

· Entscheidungsfähigkeit;<br />

· Problemlösungsfähigkeiten;<br />

· Kommunikationsfähigkeiten;<br />

· Stressmanagement;<br />

· die Fähigkeit, positives und negatives Feedback geben zu können;<br />

· Durchsetzungsfähigkeit;<br />

· Reflexionsfähigkeit in Bezug auf eigene Einstellungen, das Verhalten und<br />

normative Erwartungen;<br />

· Standfestigkeit bzw. die Fähigkeit, Trinkaufforderungen in Peers ablehnen<br />

zu können.<br />

Als Selbsthilfestrategien in der Therapie schlagen Sack et al. (2009) vor:<br />

· Situations- und Stimuluskontrolle (Umwelten meiden, in denen konsumiert<br />

wird);<br />

· Hilfen aufsuchen durch die Nutzung von Gesprächs- und Kontaktangeboten<br />

in abstinenten Peers;<br />

· Besuche von Selbsthilfegruppen und Beratungseinrichtungen;<br />

· Entwicklung und Pflege von zum Substanzkonsum alternativen Aktivitäten,<br />

insbes. durch Ausübung von Sport und durch das Erlernen von<br />

Entspannungsverfahren/ Entspannungsmöglichkeiten.<br />

Insgesamt fällt auf, dass zentrale Aufgabenstellungen in der Suchttherapie junger<br />

Menschen nicht (nur) substanz- und konsumbezogener, sondern auch alters-,<br />

entwicklungs- und reifungsbezogener Natur sind. Damit ist die Therapie der<br />

Suchtstörungen bei jungen Menschen auf eine breite Basis integrativer und<br />

schulenübergreifender Maßnahmen zu stellen, die nicht nur auf spezifisch<br />

suchtstörungsorientierte Therapieangebote fokussiert ist.<br />

3.7.1.5 Strategien und Empfehlungen bezüglich der Therapie von Sucht- und<br />

psychischen Störungen, insbes. von komorbiden Psychosen<br />

Bezüglich der Therapie komorbider psychischer Störungen führen Küstner et al.<br />

(2008) u.a. auf:<br />

· medikamentöse Therapie<br />

· Angstbewältigungstraining;<br />

· soziales Kompetenztraining;<br />

· Stressbewältigung;<br />

· Entspannungstraining.<br />

- 88 -


Burlon u. Huber (2009) beschreiben einen motivational- verhaltenstherapeutischen<br />

Versorgungspfad („MOVE“) für die Behandlung Jugendlicher und junger Erwachsener<br />

mit Psychose und Suchtstörungen. MOVE umfasst 12 gruppentherapeutische<br />

Sitzungen über einen sechswöchigen Zeitraum und beinhaltet folgende Themen:<br />

· Veränderung und Motivation (unter Zuhilfenahme des Modells „stages of<br />

change“ von Prochaska u. DiClemente);<br />

· Vor- und Nachteile des Konsums mit Herausarbeitung von<br />

Diskrepanzen;<br />

· Zielbenennung;<br />

· Erörterung des Zusammenhangs zwischen Psychose und Sucht;<br />

· Stress und Stressbewältigung nach dem Vulnerabilitäts- Stress- Modell;<br />

· was ist eine Psychose, was sind meine Frühwarnzeichen und wie sieht<br />

mein „Notfallkoffer“ in Krisensituationen aus;<br />

· Rückfallprophylaxe und Rückfallnachbearbeitung;<br />

· Erarbeitung des persönlichen „Suchtteufelskreises“;<br />

· Selbstwirksamkeit und Ressourcen entdecken und stärken;<br />

· Umgang mit Suchtdruck.<br />

Während des Therapieverlaufs ist eine kontinuierliche Motivationsarbeit erforderlich.<br />

Weiterhin fordern Burlon u. Huber (2009), dass Suchtinterventionen die Bildung einer<br />

neuen Peergroup ermöglichen sollten, da eine konsumierende Peergroup ein<br />

hochwirksam aufrechterhaltender Faktor in Bezug auf den Suchtmittelkonsum ist.<br />

Insgesamt ist für diesen Ansatz eine multiprofessionelle Vorgehensweise erforderlich,<br />

in der Ärzte, Psychologen und Suchttherapeuten zusammenwirken.<br />

Nach Burlon u. Huber (a.a.O) ist bei Jugendlichen mit Psychose und Suchtstörungen<br />

Abstinenz kein sinnvolles Behandlungsziel, da Patientinnen und Patienten mit<br />

Doppeldiagnosen nur sehr selten motiviert sind, ihre Konsumgewohnheiten zu<br />

verändern. Deshalb sei das Behandlungsziel lediglich die Reduktion des Suchtmittels.<br />

Diese Argumentation ist indes wenig nachvollziehbar. Bei einer fehlenden<br />

Veränderungsbereitschaft in Bezug auf Konsumgewohnheiten ist nicht nur Abstinenzmotivation,<br />

sondern auch eine Motivation zur Reduktion des Suchtmittelkonsums<br />

wenig wahrscheinlich bzw. erst einmal nicht zu erwarten. Bei fehlender Motivation<br />

sollte deshalb nicht das Behandlungsziel modifiziert, sondern während des gesamten<br />

therapeutischen Prozesses daran gearbeitet werden, Veränderungsmotivation<br />

herzustellen und aufrecht zu erhalten. In dem Maße, wie dies gelingt, ist dann auch<br />

Abstinenz ein sinnvolles Therapieziel.<br />

Nach Lehnert (2009) sind in der Behandlung jugendlicher Sucht- und Psychoseerkrankter<br />

Suchtmittelabstinenz und Compliance bei der Einnahme der Psychopharmakamedikation<br />

die tragenden Grundpfeiler der Behandlung. Neben einer<br />

engmaschigen Abstinenzkontrolle ist ein strukturierter Tagesablauf zur Minderung der<br />

Regressionsneigung, Gruppen- und Einzelpsychotherapie, sowie Sport von großer<br />

Bedeutung.<br />

Stress jeglicher Art führt zu Rezidiven sowohl bezüglich des Suchtmittelabusus, als<br />

auch hinsichtlich der psychotischen Symptomatik. Es ist deshalb auf einen<br />

- 89 -


geschützten Rahmen im Gruppenalltag zu achten, in dem emotional hoch aufgeladene<br />

Situationen so gut es geht zu vermeiden sind. Bezüglich der psychotischen<br />

Symptomatik geht es in der Therapie um Realitätstraining und um die Bewältigung<br />

des Gruppenalltags. In themenzentrierter Gruppenarbeit mit psychoedukativem<br />

Schwerpunkt kann z.B. das Thema Suchtmittelkonsum und Psychoseauslösung gut<br />

bearbeitet werden. Ergotherapeutische und arbeitstherapeutische Angebote aktivieren<br />

antriebsarme Patientinnen und Patienten und fördern deren gesellschaftliche<br />

Reintegration. Durch ein Bezugsbetreuersystem kann zudem die erforderliche Objektkonstanz<br />

sichergestellt werden (Lehnert, a.a.O).<br />

Ebenfalls im Sinne einer möglichst hohen Objektkonstanz plädieren Möller u. <strong>Thomas</strong><br />

(2009) für eine Reduzierung von Schnittstellen. Eine maximale Beziehungskonstanz<br />

kann mit dazu beitragen, die Retraumatisierung des jungen Menschen zu verhindern<br />

und die Rückfallquote zu verringern. Durch korrigierende positive Beziehungs- und<br />

Bindungserfahrungen können Reifungsdefizite aufgeholt werden. Erlebte<br />

Unterstützung und Beziehungskontinuität aus einer Hand sind dabei hilfreich, den<br />

Kreislauf der Sucht zu überwinden.<br />

Hohe Objektkonstanz und Beziehungskontinuität kann insbesondere im Rahmen<br />

stationärer Jugendhilfe sichergestellt werden, da hier, je nach individuellem Bedarf,<br />

Verweilzeiten von bis zu mehreren Jahren möglich sind.<br />

3.7.1.6 Ziele der Therapie<br />

Nach Küstner et al. (2008) ist vorrangiges Ziel der Behandlung die Erlangung einer<br />

stabilen Abstinenz als Voraussetzung für ein autonomes, eigenverantwortliches<br />

Leben. Dieses Ziel ist durch die Bearbeitung familiärer, sozialer, schulischer, beruflicher<br />

und persönlicher Problemlagen in Einzeltherapie, Gruppentherapie, Familientherapie,<br />

Sozialtherapie und Ergotherapie anzusteuern.<br />

<strong>Thomas</strong>ius (2009) benennt als prioritäres Ziel der Therapie die Erlangung von<br />

Substanzfreiheit/ Abstinenz. Kontrollierter Gebrauch ist ausdrücklich kein geeignetes<br />

Ziel in der Behandlung substanzbezogener Störungen im Kindes-, Jugend- und<br />

Adoleszenzalter.<br />

<strong>Thomas</strong>ius u. Stolle (2009) benennen als therapeutisches Primärziel die Erreichung<br />

und Aufrechterhaltung von Abstinenz.<br />

Auch Möller (2009) stellt fest, dass therapeutische Interventionen bei der Zielklientel<br />

abstinenzorientiert sein müssen.<br />

Zum Behandlungsziel Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung<br />

ergänzt Mühlbrandt (2009), dass auch suchtmittelfreies Feiern, sowie<br />

konsumferne kulturelle Maßnahmen angeboten und eingeübt werden sollten, um eine<br />

zufriedene Abstinenz erreichen zu können.<br />

Nach <strong>Thomas</strong>ius (2009) ist neben Suchtmittelabstinenz auch die schulische bzw.<br />

berufliche Integration vorrangiges Therapieziel (so auch Barth, 2009).<br />

- 90 -


Möller u. <strong>Thomas</strong> (2009) zählen weiterhin zu den therapeutischen Zielen:<br />

· Wiedereingliederung in die Schule;<br />

· begleitende Berufsausbildung;<br />

· lebenspraktische Verselbständigung.<br />

3.7.2 Implizite suchttherapeutische Strategien und Empfehlungen in der<br />

Forschungsliteratur<br />

Neben expliziten suchttherapeutischen Strategien lassen sich der bisher diskutierten<br />

Forschungsliteratur wie folgt auch implizite therapeutische Strategien und<br />

Empfehlungen entnehmen:<br />

· Übermäßige Verwöhnung ist zu vermeiden: Junge Menschen müssen<br />

trainiert werden, belastende und frustrierende Situationen auszuhalten<br />

bzw. mit diesen konstruktiv und nicht destruktiv umzugehen. Deshalb sind<br />

ihnen nicht alle Unannehmlichkeiten des Alltags aus dem Weg zu räumen.<br />

Nur so können Coping- Strategien und Belastbarkeit trainiert und<br />

entwickelt werden; vgl. Kapitel 3. 3. 1 (S. 35).<br />

· Die Beendigung des sozialen Rückzugs- und Vermeidungsverhaltens und<br />

des konsequenten Alleingangs ist gezielt einzuleiten durch die Herstellung<br />

eines Milieus sozialer Geborgenheit, in der suchterkrankte Jugendliche<br />

Vertrauen fassen und Hilfeangebote (wieder) annehmen können; vgl.<br />

Kapitel 3. 3. 2 (S. 35f).<br />

· Schwache Ich- Grenzen sind zu stärken durch die Förderung von<br />

Abgrenzungsfähigkeit, Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung; vgl.<br />

Kapitel 3. 3. 3 (S. 36f).<br />

· Angebote sicherer Bindung, innerhalb derer sowohl Nähe und Sicherheit,<br />

als auch altersangemessene Autonomiebestrebungen realisiert werden<br />

können, sind bereit zu stellen; vgl. Kapitel 3. 3. 4 (S. 37ff).<br />

· Der Erziehungsstil sollte autoritativ im Sinne des Konzeptes der<br />

autoritativen Nacherziehung nach Schlieckau (2009) gestaltet sein, also<br />

wohlwollend- zugewandt, aber auch verlässlich und grenzsetzend.<br />

Kennzeichnend für diesen Erziehungsstil sind u.a. Authentizität,<br />

Vertrauen, eindeutige Positionen, verbindliche Absprachen, gleich<br />

bleibende Regeln und Konsequenzen, eine starke Alltagspräsenz des<br />

Pädagogen, eine wohlwollende Grundhaltung gegenüber dem jungen<br />

Menschen, sowie tragfähige und verlässliche Beziehungsangebote; vgl.<br />

Kapitel 3.3.5 (S. 39f).<br />

· Interaktionelle Aspekte sind zu beachten, insbesondere das Gewähren<br />

von Wärme und Zuwendung, Annahme, Unterstützung und Beaufsichtigung,<br />

Belohnung, positive Verstärkung, Offenheit in der Kommunikation,<br />

- 91 -


das Zeigen von Interesse und Anteilnahme, das Vorbildverhalten<br />

erwachsener Bezugspersonen, sowie ein konsistenter, Regeln, Grenzen<br />

und Konsequenzen setzender Erziehungsstil; vgl. hierzu Kapitel 3. 3. 6<br />

(S. 40ff).<br />

· Auch männliche Identifikationsfiguren sollen zur Verfügung stehen, die<br />

sich real und emotional in Kontakt mit dem suchtkranken Jugendlichen<br />

bringen; vgl. Kapitel 3. 3. 7 (S. 42).<br />

· Prozesse der Identitätsfindung, des Erwachsenwerdens und der<br />

Autonomieentwicklung sollen gefördert und unterstützt werden;<br />

vgl. Kapitel 3. 3. 8 (S. 43).<br />

· Gendertypische Rollenklischees und Rollenverzerrungen sollen erkannt<br />

und bearbeitet werden. Bei männlichen Jugendlichen sind dies vor allem<br />

die Demonstration von Macht und Überlegenheit durch externalisierendaggressives<br />

und konkurrenzorientiertes Verhalten, der mangelnde Zugang<br />

zu eigenen Emotionen, Stummheit in Bezug auf eigene emotionale<br />

Befindlichkeiten und Bedürfnisse, Rückzug und Alleinsein, aber auch<br />

geringe Selbstachtsamkeit und Körperferne. Bei weiblichen Jugendlichen<br />

sind dies insbesondere Unterordnung, Zurückstellung eigener Bedürfnisse<br />

zugunsten der Erwartungen und Ansprüche anderer, sowie Selbstüberforderung<br />

und Selbstaufgabe; vgl. Kapitel 3. 3. 9 (S. 43f).<br />

· Kognitive Lernprozesse und Konditionierungsprozesse sind in der<br />

Therapie zu beachten und für die Therapie nutzbar zu machen;<br />

vgl. Kapitel 3. 3. 10 (S. 44).<br />

· Die Entwicklung von Aktivitäten und Hobbies, von Genussfähigkeit,<br />

Lebenszufriedenheit, sowie die Fähigkeit, es sich gut gehen lassen zu<br />

können, sind zu fördern; vgl. Kapitel 3. 3. 11 (S. 44f). In diesem<br />

Zusammenhang sollten auch sinnstiftende Angebote vorgehalten werden.<br />

· In psychoedukativen Angeboten sind Themen der angemessenen Risikoeinschätzung<br />

eigenen Verhaltens wiederkehrend zu thematisieren, um für<br />

entsprechende Fehleinschätzungen zu sensibilisieren und angemessenere<br />

Wahrnehmungen zu fördern; vgl. Kapitel 3. 3. 12 (S. 45).<br />

· Die Dynamik der Gruppe im stationären Jugendhilfesetting kann<br />

therapeutisch genutzt werden: Ältere und reifere Jugendliche, an denen<br />

sich die jüngeren orientieren, können Vorbildfunktionen übernehmen und<br />

über den sozialisierenden Einfluss der Peergroup lebensbejahende Werte<br />

an jüngere Jugendliche vermitteln; vgl. Kapitel 3. 3. 14 (S. 47).<br />

· Die gezielte Unterstützung und Förderung junger Menschen in Schul- und<br />

Ausbildungsangelegenheiten ist von großem Nutzen: Hier kann das<br />

Selbstvertrauen aufgebaut und tragfähige Lebensperspektiven können<br />

entwickelt werden. Dauerhafte Abstinenz kann nur dann als zufriedenstellend<br />

erlebt und gelebt werden, wenn Lebensperspektiven eröffnet<br />

werden, für die es sich lohnt, zu leben und abstinent zu bleiben;<br />

vgl. Kapitel 3. 3. 15 (S. 48).<br />

- 92 -


4 Der konzeptionelle Weiterentwicklungsbedarf für die Zielgruppe; Integratives<br />

Konzept einer vollstationären pädagogisch-therapeutischen Wohneinrichtung<br />

für junge Menschen mit seelischen Behinderungen im Sinne der §§35a, 41 SGB<br />

VIII und komorbiden Suchtstörungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe<br />

4.1 Der Rahmen der Leistungserbringung<br />

Der Bedarf an therapeutischen Interventionen für junge Menschen mit<br />

Suchtstörungen ist hoch: Es gibt in Deutschland c. a. 100 000 Kinder und Jugendliche,<br />

die von Substanzen abhängig sind (<strong>Thomas</strong>ius, 2004, zitiert nach <strong>Thomas</strong>ius et<br />

al. 2009). In der Therapie betroffener junger Menschen ist zu berücksichtigen, dass<br />

zentrale Themen und Aufgabenstellungen nicht ausschließlich substanz- und<br />

konsumbezogener, sondern vielmehr auch alters-, entwicklungs- und reifungsbezogener<br />

Natur sind. Damit ist die Therapie auf eine breite Basis integrativer,<br />

schulenübergreifender Maßnahmen zu stellen, die nicht nur (sucht)-störungsorientiert<br />

ausgerichtet sein darf. Die Verstärkung positiver persönlicher und sozialer<br />

Entwicklungen hat hierbei im Vordergrund zu stehen.<br />

Notwendig ist ein eigenes Setting für Minderjährige, das neben dem suchttherapeutischen<br />

und dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bedarf auch dem<br />

individuellen Entwicklungsbedarf, sowie den schulischen und pädagogischen Anforderungen<br />

junger Menschen Rechnung trägt. Hierfür ist der stationäre Kinder- und<br />

Jugendhilferahmen sehr gut geeignet.<br />

Die auf Jugendliche und Heranwachsende bezogenen Maßnahmen definieren sich<br />

vor allem unter dem Gesichtspunkt der Jugendlichkeit der Zielklientel. Es kommen<br />

deshalb gerade die Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII als geeignet in<br />

Betracht.<br />

Im Sinne der Sicherstellung einer möglichst hohen Objektkonstanz und einer<br />

Reduktion von Schnittstellen eignen sich vor allem Hilfeangebote, die über einen<br />

längeren Zeitraum aus einer Hand erbracht werden. Erlebte Unterstützung und<br />

Beziehungskontinuität aus einer Hand können helfen, den Kreislauf von psychischer<br />

Erkrankung und Sucht zu überwinden. Im Rahmen stationärer Jugendhilfeangebote<br />

sind bei entsprechendem Bedarf individuell bis zu mehrjährige Verweilzeiten möglich,<br />

in denen nicht nur Nachreifungs- und Entwicklungsprozesse gut aufgefangen und<br />

begleitet werden können, sondern auch ein Maximum an Beziehungskonstanz<br />

ermöglicht wird. Therapeutische Leistungen für die Zielklientel können deshalb auch<br />

aus diesem Grunde vorrangig im Rahmen der stationären Kinder- und Jugendhilfe<br />

gut erbracht werden.<br />

Therapeutische Leistungserbringungen für die Zielklientel sind aus den o.g. Gründen<br />

sehr gut im Rahmen der vollstationären Jugendhilfe verortet.<br />

Das folgende integrative Therapiekonzept basiert auf einer pädagogischen<br />

Leistungsbeschreibung der „WG Aufwind“, Teileinrichtung der „Kinderheimat Gifhorn“<br />

(<strong>Schweigler</strong>, 2000), von der insbesondere die „Struktur des therapeutischen<br />

Leistungsbereichs“, nämlich Grundleistungen, räumliche Gegebenheiten/ Lage und<br />

personelle Ausstattung übernommen worden ist (vgl. Kapitel 4.3.1, S. 109f).<br />

- 93 -


4.2 Das integrative Behandlungskonzept<br />

4.2.1 Rahmenbedingungen<br />

4.2.1.1 Fachliche Ausrichtung der Wohngruppe und therapeutische<br />

Grundhaltung<br />

Eingliederungshilfen nach §§35a, 41 SGB VIII erfordern eine interdisziplinäre Vorgehensweise.<br />

Pädagogische, therapeutische, psychologische und psychiatrische<br />

Handlungsansätze müssen berücksichtigt und miteinander verzahnt werden.<br />

Im Zentrum aller Hilfen steht nicht ein bestimmtes Störungsbild, sondern der junge<br />

Mensch mit seinen individuellen Ressourcen und Fähigkeiten, aber auch mit seinen<br />

biografisch entstandenen Beschädigungen und Grenzen. Es gilt, die Stärken zu<br />

stärken und die Schwächen zu schwächen.<br />

Der integrative Behandlungsansatz ist vorrangig verhaltenstherapeutisch, den Alltag<br />

begleitend und stützend, lösungsorientiert, sowie gegenwarts- und zukunftsorientiert<br />

ausgerichtet. Die Therapie erfolgt im Rahmen der therapeutischen Gemeinschaft, die<br />

Raum für Nachreifung und Individuation durch gemeinsames Lernen, Leben, Arbeiten<br />

und Feiern bietet.<br />

Mit Rücksicht auf an Psychosen erkrankte Jugendliche findet der Gruppenalltag in<br />

einem geschützten Rahmen statt, in dem emotional hoch aufgeladene Situationen so<br />

gut es geht vermieden werden.<br />

Außerdem wird mit dem Konzept der Nachbeelterung gearbeitet, in dem jungen<br />

Menschen gezielt nachträgliche elterliche Fürsorge durch die Therapeutinnen und<br />

Therapeuten zuteil wird. Hierbei sind (auch negativ besetzte) Übertragungen des<br />

jungen Menschen auszuhalten und zu bearbeiten, so dass es im Rahmen eines Halt<br />

gebenden Bindungsangebotes zu korrigierenden Erfahrungen von Vertrauen,<br />

Gehalten- und Verstandenwerden kommen kann. Durch solche korrigierenden<br />

positiven Beziehungs- und Bindungserfahrungen können Reifungsdefizite wirksam<br />

bearbeitet und abgebaut werden (Petzold, 1993).<br />

Die therapeutische Grundhaltung gegenüber den Klientinnen und Klienten ist<br />

gekennzeichnet durch:<br />

Wohlwollen, Gewährung von Wärme, Zuwendung, Annahme und Akzeptanz,<br />

Unterstützung, Verlässlichkeit und Wertschätzung, Empathie, Reflexion der eigenen<br />

professionellen Rolle im therapeutischen Prozess im Rahmen von Supervision, klare<br />

Regel- und Grenzsetzungen, Unbeirrbarkeit und Beharrlichkeit, Stimulierung von<br />

Selbstverantwortung, sowie Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den<br />

Jugendlichen.<br />

- 94 -


4.2.1.2 Zielgruppe und rechtliche Grundlagen<br />

Die therapeutische Wohngemeinschaft ist für acht männliche und weibliche<br />

Jugendliche und junge Volljährige mit einer seelischen Behinderung im Sinne der<br />

§§35a, 41 SGB VIII konzipiert. Zielgruppe sind junge Menschen mit psychischen- und<br />

Verhaltensstörungen gemäß ICD- 10- GM Version 2010 Kapitel V, insbesondere mit<br />

psychotischen-, affektiven-, neurotischen- und Verhaltensstörungen, ausdrücklich<br />

auch unter Einschluss komorbider Suchtstörungen.<br />

Infolge der seelischen Behinderung muss die Fähigkeit des jungen Menschen, sich in<br />

die Gesellschaft eingliedern zu können, vor allem in sozialer, schulischer bzw.<br />

ausbildungsbezogener Hinsicht erheblich beeinträchtigt sein, oder es muss eine<br />

solche Beeinträchtigung zumindest drohen.<br />

In der Regel erfolgt eine Aufnahme in die WG im Anschluss an einen stationären<br />

Aufenthalt in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik, nach fachärztlicher<br />

Diagnosestellung und nach einer ggf. erforderlichen medikamentösen Einstellung.<br />

Rechtsgrundlagen für die Aufnahme sind die §§ 35a und 41 SGB VIII.<br />

4.2.1.3 Aufnahmevoraussetzungen und Kriterien für eine vorzeitige Beendigung<br />

der Jugendhilfemaßnahme<br />

Junge Menschen in akuten selbst- bzw. fremdgefährdenden Krisenzuständen, oder in<br />

akuten Psychoseschüben können nicht aufgenommen werden. Hier ist zunächst eine<br />

fachärztliche Diagnostik, sowie erforderlichenfalls eine medikamentöse Einstellung<br />

mit Psychopharmaka Aufnahmevoraussetzung. Aufnahmevoraussetzung ist weiterhin,<br />

dass bei bestehender Suchtkomorbidität eine qualifizierte stationäre Entgiftung<br />

vor der Aufnahme stattgefunden hat.<br />

Ein Mitwirken des jungen Menschen in Bezug auf die Einnahme fachärztlich<br />

verordneter Psychopharmaka gilt als Behandlungsvoraussetzung. Die einseitige<br />

Absetzung verordneter Medikamente durch den jungen Menschen entgegen<br />

fachärztlicher Verordnung kann zur Entlassung aus der WG führen. Fortgesetzt<br />

selbst- bzw. fremdgefährdende, sowie antisoziale Verhaltensweisen führen zu einem<br />

Abbruch der Hilfemaßnahme.<br />

Der fortgesetzte Konsum psychotroper Substanzen führt ebenfalls zur Entlassung, da<br />

die WG als suchtmittelfreie Zone konzipiert ist. Zum Umgang mit Rückfällen vgl.<br />

jedoch Kapitel 4.2.1.5 (S. 96f; „Krisen- und Rückfallmanagement“).<br />

Das stationäre Jugendhilfeangebot ist nur dann zielführend, wenn die vorgehaltenen<br />

Hilfen, die aktuelle Integrationskraft der Gruppe und der Hilfebedarf des jungen<br />

Menschen zueinander passen. Fachärztliche Berichte, Gutachten und Diagnosen<br />

sollten deshalb dem pädagogisch- therapeutischen Team der WG durch das<br />

zuständige Jugendamt vor der Aufnahme des jungen Menschen zur Kenntnisnahme<br />

zur Verfügung gestellt werden. Dadurch wird eine Überprüfung der Geeignetheit<br />

unseres Hilfeangebotes ermöglicht.<br />

- 95 -


4.2.1.4 Aufnahmephase<br />

Die Aufnahmephase ist unterteilt in Erstkontakt, Erstgespräch, Anamnese,<br />

therapeutische Indikationsstellung und Hilfeplanung, psychologische Exploration und<br />

Erstvorstellung bei einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie.<br />

Erstkontakt und Erstgespräch: Vor einer Aufnahme sollte zunächst ein gemeinsamer<br />

Gesprächstermin in der WG stattfinden, an dem neben dem jungen Menschen selbst<br />

nach Möglichkeit auch dessen Familienangehörige, die zuständige Fachkraft des<br />

Jugendamtes und ggf. der gesetzliche Betreuer, sowie eine Fachkraft des<br />

Kliniksozialdienstes beteiligt sind. Das Erstgespräch dient dem wechselseitigen<br />

Kennenlernen und der Klärung der Fragestellung, ob die stationäre Jugendhilfemaßnahme<br />

die erforderlichen und geeigneten Hilfeangebote vorhält.<br />

Anamnese, therapeutische Indikationsstellung und Hilfeplanung: Im Anschluss daran<br />

erfolgt eine ausführliche Anamnese, die Hilfeplanung gemäß §36 SGB VIII unter<br />

Beteiligung des zuständigen Jugendamtes, sowie nach Möglichkeit unter<br />

Hinzuziehung eines Facharztes oder einer Fachärztin für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie (§36 Abs. 3 SGB VIII). Bei minderjährigen Jugendlichen sind auch<br />

die Sorgeberechtigten mit einzubeziehen. Die Anamnese umfasst eine Analyse der<br />

Situation des jungen Menschen, die sein familiäres und soziales Umfeld mit<br />

berücksichtigt. Verfügbare fachärztliche Berichte, Gutachten und Diagnosen, sowie<br />

ggf. vorberichtliche Hilfepläne ergänzen die Anamnese. Aus den gesammelten<br />

Informationen werden der erforderliche Hilfebedarf sowie die individuelle<br />

therapeutische Indikationsstellung ermittelt und die Ziele der Maßnahme abgeleitet.<br />

Der so erstellte Hilfeplan muss in einem überschaubaren Zeitraum (in der Regel<br />

halbjährig) überprüft und ggf. neu angepasst werden.<br />

Psychologische Exploration und Erstvorstellung bei einer Fachärztin für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie: Der psychologische Fachdienst der Gesamteinrichtung führt eine<br />

weitere Exploration durch (Differentialdiagnostik und Anamneseergänzung). Sodann<br />

findet die obligatorische Erstvorstellung des jungen Menschen bei einer<br />

niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie statt. Hier werden ein<br />

ggf. erforderlicher fachärztlicher Weiterbehandlungsbedarf festgestellt, die<br />

medikamentöse Therapie sichergestellt und bei Bedarf weitere externe ambulante<br />

psychotherapeutische Behandlungsangebote eingeleitet.<br />

4.2.1.5 Krisen- und Rückfallmanagement<br />

Krisenmanagement: Das Krisenmanagement erfolgt sowohl einrichtungsintern, als<br />

auch einrichtungsextern. Es umfasst abgestufte Interventionen von vermehrter<br />

Einzelzuwendung bis hin zur Vermittlung stationär- psychiatrischer Klinikaufenthalte,<br />

z.B. bei akuter Selbst- bzw. Fremdgefährdung, oder in akuten Psychoseschüben.<br />

Einrichtungsintern sind flexible, bedarfsangepasste Interventionen möglich durch<br />

vermehrte Einzelkontakte, durch die Installierung von zusätzlichen Hintergrundbereitschaften,<br />

durch die Bereitstellung zusätzlicher, außerplanmäßiger Doppeldienste,<br />

sowie durch die Hinzuziehung des psychologischen Dienstes der<br />

Gesamteinrichtung.<br />

- 96 -


Einrichtungsextern besteht eine enge und bewährte Zusammenarbeit mit einer<br />

niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie mit<br />

niedergelassenen Fachärzten der Erwachsenenpsychiatrie, dem psychiatrischen<br />

Krankenhaus mit regionaler Versorgungszuständigkeit, dem sozialpsychiatrischen<br />

Dienst des örtlichen Gesundheitsamtes und, im Akutfall, mit der Rettungsleitstelle der<br />

Feuerwehr.<br />

Nach Möglichkeit werden Krisen innerhalb des WG- Settings durch eine erhöhte<br />

Vorstellungsfrequenz des jungen Menschen bei der niedergelassenen Fachärztin für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine bedarfsangepasste Veränderung der<br />

Medikation aufgefangen und bearbeitet. Hierdurch sollen unnötige stationäre<br />

Psychiatrisierungen vermieden werden. Wird eine stationäre psychiatrische Klinikeinweisung<br />

jedoch unumgänglich, bedingt diese keinen Beziehungsabbruch zur WG.<br />

Besuche in der Klinik und eine anschließende Rückkehr des jungen Menschen in die<br />

Jugendhilfeeinrichtung sind in der Regel sichergestellt.<br />

Rückfallmanagement: Die Abhängigkeit von Suchtmitteln ist nicht nur eine<br />

chronische, sondern auch eine rezidivierende Erkrankung. Der erneute Konsum des<br />

Suchtmittels (Rückfall) ist ein Teil der Erkrankung. Auftretende Rückfälle werden<br />

deshalb nachbearbeitet. Die individuellen Zusammenhänge von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen,<br />

Substanzwirkungserwartungen, Gedanken, emotionalen und körperlichen<br />

Wahrnehmungen, dem gezeigten Verhalten in bestimmten Situationen und<br />

dem sozialen Kontext werden gemeinsam exploriert, nachbesprochen und durch<br />

funktionalere Überzeugungen, Verhaltensalternativen und Coping- Strategien ersetzt.<br />

Für den Fall wiederholter Rückfälle, in denen in der Nachbearbeitung deutlich werden<br />

sollte, dass der junge Mensch keine weitere Therapie wünscht bzw. in jedem Fall<br />

weiter konsumieren möchte, wird allerdings eine Entlassung unvermeidlich.<br />

4.2.1.6 Ablösungsphase<br />

Eine vollstationäre Jugendhilfemaßnahme ist immer nur ein befristetes Durchgangsstadium<br />

im Leben eines jungen Menschen. Daher ist es wichtig, frühzeitig<br />

erforderliche Weichenstellungen vorzunehmen, die den nächsten anstehenden<br />

Lebensabschnitt begehbar machen. Bei geplanter Rückkehr des jungen Menschen in<br />

seine Familie werden die familiären Kontakte frühzeitig gestärkt durch häufigere<br />

Nachhausebeurlaubungen, Vor- und Nachbesprechungen dieser Ereignisse und<br />

Elternschulungen.<br />

Im Rahmen des Verselbständigungsprogramms wird die Schul- und Berufsbildungsperspektive,<br />

bzw. die Arbeitsrehabilitationsperspektive geklärt. Der junge<br />

Mensch wird bei der Suche nach einer angemessenen Wohnung unterstützt und<br />

frühzeitig auf ein selbständiges Leben vorbereitet (Führung eines eigenen Haushalts,<br />

Regelung von Ämter- und Behördenangelegenheiten, Umgang mit Geld, angemessene<br />

Selbstversorgung). Bei einer ggf. erforderlichen Anschlussmaßnahme des<br />

ambulanten betreuten Wohnens ist eine Weiterbetreuung durch die pädagogische<br />

Ambulanz der übergeordneten Gesamteinrichtung möglich.<br />

Bei Bedarf kann die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung angeregt und bei<br />

bestehender Notwendigkeit Kontakt zu langfristigem stationärem betreutem Wohnen,<br />

das von Leistungsträgern nach dem SGB XII finanziert wird, angebahnt werden.<br />

- 97 -


Alle genannten Maßnahmen können entsprechend der individuellen Hilfeplanerfordernisse<br />

während der laufenden Jugendhilfemaßnahme frühzeitig eingeleitet,<br />

koordiniert, begleitet und umgesetzt bzw. abgeändert werden.<br />

4.2.2 Definition der grundsätzlichen pädagogischen und therapeutischen Ziele<br />

Die grundsätzlichen pädagogischen und therapeutischen Ziele sind:<br />

· Rehabilitation;<br />

· Herstellung von Lern- und Arbeitsfähigkeit, Förderung schulischer und beruflicher<br />

Bildung, Förderung sozialer Kompetenzen und sozialer Integration<br />

· Training lebenspraktischer Fähigkeiten, sowie lebenspraktische Verselbständigung<br />

durch individuelle Förderung und Alltagsbegleitung;<br />

· Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft;<br />

· Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes;<br />

· physische Aktivierung durch Sport und Bewegung;<br />

· Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung; Erreichung<br />

zufriedener Abstinenz.<br />

Rehabilitation: Hier geht es um die Beseitigung von Beeinträchtigungen, sowie um die<br />

Herstellung bzw. Wiederherstellung von individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen,<br />

die krankheitsbedingt nur defizitär ausgebildet werden konnten. Ziel rehabilitativer<br />

Maßnahmen ist die Förderung der Selbstbestimmung, sowie das Erreichen von<br />

Erwerbsfähigkeit. Alle im Folgenden genannten Maßnahmen sind rehabilitativ<br />

wirksame Angebote.<br />

Herstellung von Lern- und Arbeitsfähigkeit, Förderung schulischer und beruflicher<br />

Bildung, Förderung sozialer Kompetenzen und sozialer Integration:<br />

Soziale Integration zielt auf die Eingliederung und Teilhabe des seelisch behinderten<br />

jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft. Erreicht werden soll dieses Ziel in<br />

einem therapeutisch wirksamen Milieu, in welchem die Anforderungen an den jungen<br />

Menschen zunächst soweit als notwendig an seine individuellen Ressourcen unter<br />

Berücksichtigung seiner Belastungsgrenzen angepasst werden. Im Verlauf der<br />

Entwicklung und Nachreifung des Jugendlichen soll sodann eine stufenweise<br />

Zunahme der Belastbarkeit durch dosierte Konfrontation mit altersüblichen<br />

Anforderungen und Erwartungen erfolgen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die<br />

Entwicklung eines angemessenen Sozialverhaltens, sowie auf Einsatzfähigkeit und<br />

Einsatzbereitschaft in Schule und beruflicher Ausbildung.<br />

Ein Instrument zur Erreichung dieser Ziele ist das arbeitstherapeutische Angebot;<br />

vgl. dazu Kapitel 4.2.3 (S. 99f).<br />

Training lebenspraktischer Fähigkeiten und Verselbständigung durch individuelle<br />

Förderung und Alltagsbegleitung: Durch persönliche Förderung und Alltagsbegleitung<br />

soll eine lebenspraktische Verselbständigung erreicht werden. Der junge Mensch soll<br />

befähigt werden, ein autonomes und selbstbestimmtes, sozial integriertes Leben zu<br />

führen, das nach Möglichkeit dauerhaft von Leistungen Dritter unabhängig wird;<br />

vgl. dazu Kapitel 4.2.4 (S. 100f).<br />

Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft: Hierunter ist die<br />

Anbindung des jungen Menschen an die gesellschaftliche Umgebung zu verstehen,<br />

- 98 -


z.B. durch Förderung von Kontakten zu Vereinen und durch kulturelle- und Freizeitangebote<br />

auch außerhalb der WG, um den „Käseglockeneffekt“ der Jugendhilfeeinrichtung<br />

zu minimieren und individuelle Teilhaberechte zu stärken; vgl. dazu<br />

Kapitel 4.2.5 (S. 101).<br />

Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes; Familien- und Angehörigenarbeit,<br />

Angehörigenseminare:<br />

Durch Familien- und Angehörigenarbeit sollen die für den jungen Menschen<br />

förderlichen sozialen Bindungen gestützt und – soweit dies ein sinnvolles Ziel ist –<br />

eine Reintegration des jungen Menschen in seine Familie erreicht werden.<br />

Kontraindiziert ist eine solche Reintegration in jedem Fall immer dann, wenn<br />

Elternteile bzw. Angehörige selber suchtmittelabhängig sind; vgl. dazu Kapitel 4.2.6<br />

(S. 101f).<br />

Physische Aktivierung durch Sport und Bewegung:<br />

Wer nicht auf der Stelle treten will, muss in Bewegung kommen. Physische<br />

Aktivierung ist ein hochwirksames Therapeutikum für junge Menschen, die ihre Kräfte<br />

entdecken, aktivieren und kanalisieren sollen; vgl. dazu Kapitel 4.2.7 (S. 103).<br />

Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung, Erreichung<br />

zufriedener Abstinenz: Ein substanzfreies Leben und zufriedene Abstinenz sollen<br />

durch ein Bündel therapeutischer Interventionen vor allem in Einzel- und Gruppentherapie<br />

erreicht werden; vgl. dazu Kapitel 4.2.8 (S. 103ff).<br />

4.2.3 Arbeitstherapeutisches Angebot, Beschulungs- und Arbeitsperspektive<br />

Das Arbeitstherapieangebot umfasst die Bereiche Gartenbau, WG- Werkstatt,<br />

Hauswirtschaft, sowie externe Praktika und findet schwerpunktmäßig im Vormittagsbereich<br />

unter Anleitung eines Arbeitstherapeuten statt. Junge Menschen, die<br />

aufgrund ihres Erkrankungshintergrundes noch nicht wieder beschulbar bzw.<br />

ausbildungsfähig sind, sind die Adressaten dieses Angebotes, das der Tagesstrukturierung,<br />

der Erprobung und Steigerung der individuellen Leistungsfähigkeit,<br />

sowie dem Erwerb von Grundarbeitstugenden dient.<br />

Ziel der Arbeitstherapie ist es, die jungen Patienten so zu aktivieren, dass eine<br />

anschließende Beschulung bzw. Arbeitsrehabilitationsmaßnahme erfolgreich gelingen<br />

kann. Außerdem dient das arbeitstherapeutische Angebot auch der lebenspraktischen<br />

Verselbständigung.<br />

· Für den Bereich Gartenbau und Parkpflege steht ein über 3000 m² großes<br />

Gartengrundstück zur Verfügung. Während des ganzen Jahres können hier unter<br />

fachlich qualifizierter Anleitung Gartenarbeiten ausgeführt werden.<br />

· In der WG- Werkstatt sind Holz-, Metall- und Töpferarbeiten möglich; u.a. werden<br />

hier Möbelrenovierungen und kleine Auftragsarbeiten durchgeführt. Daneben<br />

existiert eine Fahrradwerkstatt, in der Reparaturarbeiten für den WG- Bedarf<br />

möglich sind.<br />

· Im Hauswirtschaftsbereich, der von einer Hauswirtschafterin angeleitet wird,<br />

können Grundkenntnisse in hauswirtschaftlichen Abläufen erlernt werden (z.B.<br />

Planung, Einkauf und Bevorratung von Lebensmitteln, sowie die Zubereitung von<br />

Mahlzeiten).<br />

- 99 -


· Es besteht die Möglichkeit der Vermittlung in externe Praktika (Großküche der<br />

übergeordneten Gesamteinrichtung und bei Bedarf weitere externe Praktikumsmöglichkeiten<br />

in Gifhorn).<br />

Gelingt eine Stabilisierung der Leistungsfähigkeit, werden bedarfsangepasst<br />

geeignete weiterführende Maßnahmen eingeleitet.<br />

Dies können sein:<br />

· Reintegration in den Regelschulbetrieb;<br />

· Vermittlung in eine adäquate Förderschulmaßnahme;<br />

· Vermittlung in eine berufsbildende bzw. berufsvorbereitende Maßnahme;<br />

· Vermittlung in eine Maßnahme der Arbeitsrehabilitation;<br />

· Vermittlung in eine W.f.B. bzw. in eine Langzeitarbeitsmaßnahme der<br />

Lebenshilfe;<br />

· Vermittlung in externe Praktika;<br />

· Hilfen beim Finden eines Ausbildungsplatzes.<br />

In Bezug auf die genannten weiterführenden Maßnahmen besteht eine langjährige<br />

und bewährte Kooperation mit Schulen und Schulämtern, der zuständigen<br />

Landesschulbehörde sowie der BA für Arbeit und hier insbesondere mit der Abteilung<br />

für Arbeitsrehabilitation.<br />

Hinsichtlich einer bedarfsangepassten Schulförderung kann auch die Zusatzvereinbarung<br />

von Einzelnachhilfe oder Einzelbeschulung erforderlich werden.<br />

4.2.4 Training lebenspraktischer Fähigkeiten und Verselbständigung durch<br />

individuelle Förderung und Alltagsbegleitung<br />

Die individuelle Förderung und Alltagsbegleitung orientiert sich an den formulierten<br />

Hilfeplanzielen und umfasst folgende Elemente:<br />

· Förderung und Training sozialer Kompetenzen durch Unterstützung vorhandener<br />

Stärken und Fähigkeiten;<br />

· Förderung von Selbst- und Fremdwahrnehmung (z.B. eigene Befindlichkeiten und<br />

Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken lernen, Krankheitseinsicht gewinnen,<br />

Krankheitsverständnis und –bewältigung erarbeiten, Wahrnehmung von Affekten,<br />

Affektdifferenzierung und Affektkontrolle erlernen, Bedürfnisse Dritter wahrnehmen<br />

und respektieren können);<br />

· Bereitstellung einer überschaubaren und Orientierung bietenden Tagesstruktur mit<br />

geregelten Weck-, Essens- und Zubettgehzeiten, Schul- und Beschäftigungszeiten,<br />

Gruppentherapiezeiten und Zeiten für Einzelgespräche, Freizeit und Sport,<br />

eindeutigen Gruppenregeln, klaren Absprachen und Grenzsetzungen;<br />

· erlebnis- und freizeitpädagogische Angebote, wie Schwimmen, Kanufahren und<br />

geführte Wanderungen;<br />

· aktive Beteiligung der Jugendlichen an der Alltagsgestaltung, z.B. durch Wahl<br />

eines Gruppensprechers, Teilnahme an WG- Einkäufen, angeleitetes Kochen an<br />

den Wochenenden, gemeinsame Planung und Durchführung von Freizeitaktivitäten;<br />

- 100 -


· Versorgung der WG- Haustiere durch die Jugendlichen;<br />

· Kontrolle der regelmäßigen Medikamenteneinnahme und Sicherstellung der<br />

erforderlichen Facharztkontakte, sowie der medizinischen Versorgung;<br />

· Verstärkung positiver und erwünschter Verhaltensweisen, ggf. auch durch den<br />

Einsatz von Belohnungsplänen;<br />

· Förderung lebenspraktischer Kompetenzen durch Training folgender Lebensbereiche:<br />

- Umgang mit Geld, selbständige Einkäufe und Abrechnung mit den<br />

MitarbeiterInnen;<br />

- Kontakt zu Ämtern und Behörden, Behördengänge;<br />

- gesunde und ausgewogene Ernährung;<br />

- sichere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel;<br />

- Körperhygiene und Kleidungspflege;<br />

- Sauberkeit und Ordnung in den privaten und gemeinschaftlich genutzten<br />

Räumlichkeiten der WG;<br />

- Etablierung eines gesunden, ausgeglichenen Tag- Nacht- Rhythmus;<br />

- Balance finden von Anspannung und Erholung, Arbeit und Freizeit;<br />

- Entwicklung von Krankheitseinsicht und Training eines eigenverantwortlichen<br />

Umgangs mit Medikamenten.<br />

4.2.5 Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft<br />

Im Sinne der Ermöglichung einer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, wie sie vom<br />

SGB VIII gefordert wird, ist die Anbindung der WG- Bewohner an die gesellschaftlichen<br />

und kulturellen Angebote im sozialen Nahraum wichtig. Hierfür bieten Stadt<br />

und Landkreis Gifhorn, sowie Wolfsburg und Braunschweig eine Fülle von<br />

Möglichkeiten. Es werden Kontakte geknüpft, „Schnuppertermine“ zu Vereins- und<br />

Bildungsangeboten begleitet und Einzel- und Kleingruppenaktionen zu kulturellen<br />

Veranstaltungen angeboten.<br />

4.2.6 Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes; Familien- und<br />

Angehörigenarbeit, Angehörigenseminare<br />

Hilfestellungen und Interventionen erreichen junge Menschen effektiver, wenn das<br />

soziale Netzwerk, d.h. vor allem die Familie und die Angehörigen, in den therapeutischen<br />

Prozess mit einbezogen werden.<br />

Durch eine Familien- und Angehörigenarbeit kann ein guter Kontakt zum primären<br />

Bezugssystem des jungen Menschen aufgebaut und gepflegt werden. Vorhandene<br />

Ressourcen und Kompetenzen des sozialen Netzwerks können förderlich für den<br />

therapeutischen Verlauf genutzt werden. Zugleich unterstützt die Angehörigenarbeit<br />

eine Verselbständigung des jungen Menschen, oder dessen Reintegration in die<br />

Familie. Ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit Angehörigen sichert das<br />

elterliche Einverständnis für die pädagogische und therapeutische Arbeit.<br />

Die Angehörigenarbeit wird in folgenden Formen angeboten:<br />

· Angehörigenseminare (Elternschulungen) ein mal im Quartal an einem Samstag:<br />

Vormittags Informationsveranstaltung für Angehörige zu Suchtkrankheitsentwicklung<br />

und -verlauf, sowie zu psychischen Erkrankungen;<br />

- 101 -


Psychoedukation im Hinblick auf Erziehungskompetenzen und die Klärung von<br />

Beziehungsfragen; nachmittags begleitete Gespräche zwischen den WG-<br />

Bewohnerinnen/ Bewohnern und ihren Angehörigen zur Beziehungsklärung und<br />

Beziehungspflege;<br />

· Angehörigenberatung nach Vereinbarung;<br />

· telefonische Kontakte mit Angehörigen;<br />

· Wochenendbeurlaubungen des jungen Menschen zu seinen Angehörigen, soweit<br />

nicht kontraindiziert;<br />

· Nachbesprechungen von Wochenend- Heimfahrten;<br />

· Sommerfest ein mal im Jahr als Veranstaltung für aktuelle und ehemalige WG-<br />

Bewohnerinnen/ Bewohner und deren Angehörige.<br />

In Angehörigenseminaren und –beratung können folgende Fragestellungen thematisiert<br />

und bearbeitet werden:<br />

· Suchtentwicklung und Verlauf; Suchtmittelabhängigkeit als Erkrankung und nicht<br />

als Charakterfehler bzw. Willensschwäche;<br />

· Informationsvermittlung zu gegebenen psychischen Erkrankungen; welches<br />

Verhalten ist hilfreich, welches wirkt problemverstärkend?<br />

· Förderung wechselseitigen Verstehens:<br />

- Lernen aus den Erfahrungen Betroffener;<br />

- Sucht und psychische Erkrankung im familiären Kontext: Welche Bedeutung<br />

haben Krankheitssymptome innerhalb der Familienbeziehungen?<br />

- Verständlichmachung von Krankheit und Krankheitssymptomen gegenüber<br />

unmittelbar Betroffenen und Angehörigen mit dem Ziel, Ausgrenzungsprozesse<br />

umzukehren, Krankheitsbewältigung zu fördern, Schuldzuweisungen<br />

aufzulösen und wechselseitige Überforderungen zu beenden;<br />

· Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen: Eltern coachen, klare Ziele<br />

vorzugeben, eigenes Verhalten zu überprüfen, angemessene Sanktionen einzusetzen,<br />

klar, eindeutig und positiv zu kommunizieren;<br />

· Beachtung bzw. Wiederaufrichtung von Generationengrenzen und familiären<br />

Hierarchien;<br />

· Grenzverwischungen, Grenzüberschreitungen und fehlende Grenzen korrigieren;<br />

· Einübung alternativer Verhaltensweisen z.B. durch Rollenspiele;<br />

· Eltern und Angehörige miteinander ins Gespräch und in den Erfahrungsaustausch<br />

bringen;<br />

· Misstrauen und Konkurrenzen um die Gunst des Kindes abbauen; Vertrauen und<br />

Zuversicht aufbauen;<br />

· Fragen der Nähe und Distanz, Bindung und Autonomie miteinander diskutieren;<br />

· Was darf so bleiben, wie es ist? Was soll auf keinen Fall verändert werden?<br />

Auflösung von Problemfokussierung zugunsten der Wahrnehmung vorhandener<br />

familiärer Ressourcen;<br />

· Tragfähige Arbeitsbündnisse mit den Eltern herstellen und pflegen; gemeinsame<br />

Handlungsstrategien entwickeln.<br />

In den begleiteten Gesprächen zwischen den WG- Bewohnern und ihren<br />

Angehörigen im Rahmen der Angehörigenseminare geht es um die Förderung<br />

innerfamiliärer Wertschätzung und die Gemeinschaft von Erwachsenen mit ihren<br />

Kindern.<br />

- 102 -


4.2.7 Physische Aktivierung durch Sport und Bewegung<br />

Die seelische und die körperliche Verfassung sind nicht zwei voneinander<br />

unabhängige, sondern sehr eng wechselseitig aufeinander bezogene Größen.<br />

Aktivierung durch Sport fördert nicht nur die Gesundheit, Gesamtfitness und<br />

Leistungsmotivation, sondern auch den psychischen und sozialen Genesungs- und<br />

Gesundungsprozess. Gruppensport stärkt sowohl das Selbstvertrauen, als auch das<br />

Vertrauen in die Gruppe und in andere Menschen. Weiterhin dient er:<br />

· der Verbesserung der sozialen Interaktionsfähigkeit;<br />

· dem Abbau von Stress und Aggressionen;<br />

· der Regeleinhaltung, Konfliktfähigkeit, sowie der wechselseitigen Rücksichtnahme;<br />

· der Förderung von Respekt;<br />

· der Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit;<br />

· dem Aufbau von Leistungsorientierung, Belastbarkeit, Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit;<br />

· der Fähigkeit zum Umgang mit Sieg und Niederlagen;<br />

· der Steigerung von Frustrationstoleranz;<br />

· der Entspannungsfähigkeit;<br />

· der Körperwahrnehmung und Körperkoordination;<br />

· der Erlebnisqualität und Lebensfreude;<br />

· der sozialen Anerkennung durch Leistung;<br />

· der Distanzierung vom Suchtmilieu, da Sport zum Suchtmittelkonsum alternatives<br />

belohnendes Verhalten ist.<br />

Insbesondere Ausdauersportarten steigern das Selbstbewusstsein und die psychophysische<br />

Ausgeglichenheit.<br />

· In der WG gibt es deshalb einen Fitnessbereich mit Geräten zum Kraft- und<br />

Ausdauertraining. Unter fachlicher Anleitung kann mit individuellen Trainingsplänen<br />

trainiert werden.<br />

· Es sind ein Boxsack und Boxhandschuhe in diversen Größen vorhanden.<br />

Boxsacktraining kann zum gezielten Abbau von Wut und Aggressionen genutzt<br />

werden und dient dem Aufbau von Kraft und Ausdauer.<br />

· Jogging, Schwimmen und Fahrradfahren gibt es als Gruppenangebote.<br />

· Weiterhin sind Kanus für Kanufahrten verfügbar.<br />

· Eine Teilnahme an Vereinssportarten wird unterstützt. Hierfür gibt es eine<br />

langjährig etablierte Zusammenarbeit mit einem großen lokalen Sportanbieter.<br />

· Sport zweimal in der Woche ist Teil des Therapieprogramms und für alle WG-<br />

Bewohner obligatorisch.<br />

4.2.8 Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung;<br />

Erreichung zufriedener Abstinenz<br />

Um komorbide Suchtstörungen zu bearbeiten, bedarf es differenzierter pädagogischer<br />

und therapeutischer Herangehensweisen. Im Therapieangebot enthalten<br />

sind:<br />

· Einzeltherapie in Form von Einzelgesprächen, die einmal wöchentlich für je eine<br />

Stunde durch die Bezugspädagogin bzw. den Bezugspädagogen erfolgen;<br />

vgl. dazu Kapitel 4.2.8.1 (S. 104f);<br />

· Gruppentherapie in der Form indikativer Gruppen, die zweimal wöchentlich<br />

stattfinden; vgl. dazu Kapitel 4.2.8.2 (S. 105ff);<br />

- 103 -


· Eltern- und Angehörigenselbsthilfe; vgl. dazu Kapitel 4.2.8.3 (S. 107);<br />

· Selbsthilfegruppenbesuche; vgl. dazu Kapitel 4.2.8.4 (S. 107);<br />

· Abendrunden; vgl. dazu Kapitel 4.2.8.5 (S. 108);<br />

· Familien- und Angehörigenarbeit, insbesondere in Form von einmal im Quartal an<br />

einem Samstag erfolgenden Angehörigenseminaren/ Elternschulungen; vgl. dazu<br />

Kapitel 4.2.6 (S. 101f);<br />

· Sporttherapieangebote, die zwei Mal in der Woche obligatorisch sind; vgl. dazu<br />

Kapitel 4.2.7 (S. 103).<br />

4.2.8.1 Einzeltherapie; Einzelgespräche<br />

In den ein Mal wöchentlich erfolgenden Einzelgesprächen werden die individuellen<br />

Entwicklungen der vergangenen Woche zwischen dem jungen Menschen und seinem<br />

Bezugspädagogen/ seiner Bezugspädagogin nachbesprochen. Aktuelle, den jungen<br />

Menschen betreffende Probleme können thematisiert und neue Zwischenziele für die<br />

nächste Woche gemeinsam festgelegt werden. Die Einzelgespräche vertiefen die<br />

persönliche Beziehung im Bezugsbetreuungssystem und geben dem jungen<br />

Menschen die Chance, nicht nur als Teil der Gruppe, sondern auch als Individuum<br />

wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Im Rahmen der Einzelgespräche<br />

entwickelt sich eine therapeutische Beziehung, die von Vertrauen und gegenseitigem<br />

Respekt gekennzeichnet ist.<br />

Themen in der Einzeltherapie können bedarfsweise sein:<br />

· Bearbeitung des Autonomie- und Abhängigkeitskonfliktes und das Aushalten von<br />

ambivalenten Bestrebungen. Die Bearbeitung und Bewältigung des Autonomieund<br />

Abhängigkeitskonfliktes in Pubertät und Adoleszenz ist das zentrale pädagogische<br />

und therapeutische Thema in der Arbeit mit jungen Menschen;<br />

· Gendertypische Rollenklischees und Rollenverzerrungen bewusst machen,<br />

bearbeiten und verändern; Erweiterungen des Rollenspektrums anstreben: Bei<br />

männlichen Jugendlichen kann dies z.B. die Demonstration von Macht und<br />

Überlegenheit durch aggressives und konkurrenzorientiertes Verhalten betreffen,<br />

oder auch den mangelnden Zugang zu den eigenen Emotionen, die Stummheit in<br />

Bezug auf eigene emotionale Befindlichkeiten und Bedürfnisse, Rückzug und<br />

Alleinsein, geringe Selbstachtsamkeit und Körperferne. Bei weiblichen<br />

Jugendlichen betrifft dies ggf. Haltungen wie Unterordnung, Zurückstellung<br />

eigener Bedürfnisse zugunsten der Erwartungen und Ansprüche anderer, sowie<br />

Selbstüberforderung;<br />

· Entwicklung lösungsorientierter Kompetenzen in Bezug auf persönliche und<br />

soziale Konflikte;<br />

· Erlernen von Situations- und Stimuluskontrolle (Sensibilisierung für Rückfallgefahren;<br />

Meidung von Konsumumwelten);<br />

· individuelle Entwicklungs- und Zielperspektiven erarbeiten;<br />

· Selbstwertgefühl und Selbstachtung stärken;<br />

· Verhaltensinventar erarbeiten, wie rückfallkritische Situationen zu meistern sind<br />

und diesbezüglich verbindliche Absprachen treffen;<br />

· labilisierte Ich- Grenzen stärken; Abgrenzungsfähigkeit trainieren;<br />

- 104 -


· Ängste, Selbstzweifel und soziophobes Verhalten durch verhaltenstherapeutisches<br />

Training bearbeiten (Aufsuchen angstbesetzter Situationen, sowie Aushalten und<br />

Meistern derselben); Beendigung des Ausweichverhaltens gegenüber Stressoren,<br />

wie z.B. Schul- oder Ausbildungsanforderungen, Heranführung an die realen,<br />

altersangemessenen Lebens- und Leistungsanforderungen;<br />

· Auseinandersetzung mit dem persönlichen Konsummuster und dem persönlichen<br />

Konsumkontext;<br />

· Aufbau alternativen Verhaltens zum Substanzkonsum; Substanzkonsum als fehlgeschlagenes<br />

Problemlöseverhalten thematisieren;<br />

· Affektdifferenzierung und Ausdruck von Gefühlen, sowie, damit verbunden,<br />

Stabilisierung des Selbstwertgefühls fördern: Unterstützung beim Erkennen und<br />

Benennen eigener Gefühle; Verbesserung der Affektdifferenzierung und Impulskontrolle;<br />

positive Verstärkung auch kleiner Lernfortschritte; Reduzierung von<br />

Allmachtsphantasien und Minderwertigkeitsgefühlen; Unterstützung beim Lernen,<br />

belastende Gefühle und starke Emotionen zulassen und aushalten zu können;<br />

· Förderung einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten und<br />

Grenzen;<br />

· Aushaltenkönnen, von Langeweile, Alleinsein und Autonomie;<br />

· Reflexion der persönlichen Motive für Konsum und Nichtkonsum;<br />

· Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen (Gedanken und Überzeugungen), wie<br />

z.B. negative Vorstellungen und Pessimismus;<br />

· Identifikation interner und externer Stimuli, die Konsumdruck auslösen;<br />

· Bearbeitung angenehmer, idealisierender Vorstellungen und Erinnerungen<br />

bezüglich des Substanzkonsums; Verbindung positiv besetzter Erinnerungen mit<br />

den unangenehmen Konsumkonsequenzen.<br />

Inhalte, Ergebnisse und Vereinbarungen aus den Einzelgesprächen werden nach<br />

jedem Gespräch von der durchführenden Pädagogin bzw. dem durchführenden<br />

Pädagogen kurz schriftlich zusammengefasst (Verlaufsdokumentation).<br />

4.2.8.2 Gruppentherapie; indikative Gruppen<br />

Gruppentherapeutische Settings sind vor allem soziale Übungs- und Lernräume.<br />

Soziales Vermeidungsverhalten und Rückzugstendenzen werden beendet,<br />

Beziehungs- und Kontaktfähigkeit, sowie kommunikative Kompetenzen werden aufgebaut.<br />

Eine nachholende Sozialisation findet statt. In die Gruppe neu<br />

hinzukommende Jugendliche können von den Erfahrungen Älterer profitieren.<br />

Hierdurch wird die Peergroup zum therapeutischen Instrument, zum Korrektiv für<br />

fehlangepasstes Verhalten und zum Milieu für Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Im gruppentherapeutischen Rahmen kann vor allem gelernt werden:<br />

· Verbesserung der Beziehungsfähigkeit;<br />

· Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit;<br />

· Bearbeitung und Auflösung von genderspezifischen stereotypen Rollenklischees;<br />

· Umgang mit Affekten, Affektkontrolle und Affektregulation (z.B. bei starken<br />

Emotionen, wie Aggressionen, Macht- und Ohnmachtsgefühlen, Hass, Angst,<br />

Liebe, Minderwertigkeitsgefühlen);<br />

· Umgang mit Frustrationen und Rückschlägen;<br />

- 105 -


· Steigerung der Frustrationstoleranz;<br />

· Bearbeitung unangemessenen, auffälligen Sozialverhaltens;<br />

· Realitätsfindung durch Relativierung eigener Bedürfnisse und soziale Anpassungsleistungen;<br />

· Förderung einer realistischeren Selbst- und Fremdwahrnehmung und einer angemessenen<br />

Abgrenzung von den Bedürfnissen Dritter.<br />

Indikative Gruppen sind psychoedukative Informationsgruppen. Themen und Inhalte<br />

sollten den jeweils aktuell gegebenen Bedürfnissen der Gruppe Rechnung tragen und<br />

können sich sowohl an den anstehenden Entwicklungsaufgaben orientieren, als auch<br />

der Krankheitsbewältigung dienen. Im Anschluss an einen psychoedukativen Teil ist<br />

vor allem das Stellen von Wochenaufgaben mit anschließender Nachbesprechung<br />

und Auswertung in der Gruppe zum Erproben des Gelernten gut geeignet.<br />

Themenstellungen indikativer Angebote können sein:<br />

· Selbstsicherheitstraining;<br />

· Konstruktiver Umgang mit Konflikten und Training von Konfliktbewältigung ;<br />

· Angstbewältigungstraining;<br />

· Stressmanagement und Stressbewältigung;<br />

· Affekttraining (Umgang mit schwierigen Gefühlen);<br />

· Lebenskompetenztraining, Problemlösetraining: Hier können Entscheidungsfähigkeit,<br />

die Fähigkeit, positives und negatives Feedback geben zu können,<br />

Durchsetzungsfähigkeit und die Fähigkeit, nachgeben zu können, Reflexionsfähigkeit<br />

in Bezug auf die eigenen Einstellungen, das Verhalten und normative<br />

Erwartungen trainiert werden;<br />

· Beziehungs- und Kommunikationstraining;<br />

· Entspannungstraining (PMR; progressive Muskelrelaxation nach Jacobson);<br />

· Einübung angemessener Umgangsformen;<br />

· sinnstiftende Angebote.<br />

Bezüglich der Förderung von Einsicht und Verstehen für Krankheitsprozesse (Suchtund<br />

psychische Erkrankungen) bieten sich als Themen an:<br />

· Suchtentwicklung und Verlauf; wie entsteht Abhängigkeit und welche Verläufe<br />

nimmt sie?<br />

· soziale und medizinische Folgen der Suchtstörung;<br />

· Exploration individueller Konsummuster; in welchen Situationen wurde wie<br />

konsumiert? Welche Gefühle, Gedanken, welches Verhalten Dritter, welche<br />

situativen Umstände spielten eine Rolle für den Konsum?<br />

· Funktionalität des Suchtmittels: Welche erwünschten Wirkungen wurden durch<br />

den Konsum erreicht? Welche unerwünschten Befindlichkeiten, Zustände und<br />

Situationen wurden durch den Konsum bekämpft bzw. ausgeblendet?<br />

· Kurzfristige, mittelfristige und langfristige Folgen des Suchtmittelkonsums, kurz-,<br />

mittel- und langfristige Folgen der Abstinenz;<br />

· Vor- und Nachteile des Konsums von Suchtmitteln, Vor- und Nachteile der<br />

Abstinenz; Herausarbeitung von Diskrepanzen, Provokation kognitiver Dissonanz<br />

zur Förderung der Veränderungsmotivation;<br />

· Umgang mit Suchtdruck;<br />

- 106 -


· Suchtverlagerungsgefahren;<br />

· Welche alternativen Verhaltensweisen gibt es zum Suchtmittelkonsum?<br />

· Bedeutung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Veränderungszuversicht;<br />

· praktische Übungen: Rollenspiele zur Förderung sozialer Kompetenzen, wie z.B.<br />

Standfestigkeit, Nein- sagen- Können in rückfallgefährlichen- und sozialen<br />

Verführungssituationen, Trinkaufforderungen in konsumierenden Peer- Gruppen<br />

ablehnen können;<br />

· Aufbau effektiven abstinenten Verhaltens in Angebots- und Versuchungssituationen;<br />

· rückfallpräventive Themen, z.B. individuelle Rückfallgefahren erkennen und<br />

meistern; wie erkenne ich meine persönlichen Rückfallgefahren? Auf welche<br />

Warnsignale muss ich achten? Wie hole ich mir soziale Unterstützung? Welches<br />

alternative Verhalten zum Konsum steht mir zur Verfügung?<br />

· Rückfallnachbearbeitung; Rückfallanalyse und Lernen aus den Fehlern: Was kann<br />

künftig besser gemacht werden?<br />

· Bei gegebenem Bedarf Thematisierung von Sucht und psychischen Erkrankungen:<br />

o Erörterung des Zusammenhangs zwischen Psychose und Sucht; was ist eine<br />

Psychose, wie sehen die individuellen Frühwarnzeichen aus und was ist in<br />

Krisensituationen zu tun?<br />

o Suchtmittelkonsum und Psychoseauslösung;<br />

o Euphorie oder Stress als Rückfallgefahren bzw. als Gefährdungslagen für<br />

eine psychotische Dekompensation;<br />

o Euphorie- und Stressmanagement;<br />

o Sucht und Enthemmung;<br />

o Sucht und Aggressivität;<br />

o Sucht und Impulskontrollstörungen;<br />

o Sucht und Angststörungen;<br />

o Sucht und Depressivität;<br />

o Sinn und Stellenwert medikamentöser Therapie z.B. bei Psychoseerkrankungen,<br />

Angsterkrankungen, depressiven Störungen.<br />

4.2.8.3 Eltern- und Angehörigenselbsthilfe<br />

Im Rahmen der Familien- und Angehörigenarbeit; vgl. Kapitel 4.2.6 (S. 101f) werden<br />

Eltern und Angehörige dabei unterstützt, Selbsthilfegruppen zu finden und zu<br />

besuchen, da in diesem Rahmen<br />

· soziale Unterstützung;<br />

· Entlastung von Schuldgefühlen;<br />

· Abbau von Hilflosigkeits-, Angst- und Ohnmachtsgefühlen;<br />

· Annahme und Akzeptanz;<br />

· Hoffnung und Zuversicht<br />

erlebt bzw. wiedergewonnen werden können.<br />

4.2.8.4 Selbsthilfegruppenbesuch<br />

Der Besuch einer externen örtlichen Selbsthilfegruppe einmal in der Woche ist für alle<br />

WG- Bewohner, die komorbid suchterkrankt sind, obligatorisch.<br />

- 107 -


4.2.8.5 Abendrunde<br />

Eine täglich stattfindende Abendrunde gegen ca. 20:30 Uhr, die für alle WG-<br />

Bewohner obligatorisch ist, dient der Tagesreflexion und der Klärung<br />

gruppendynamischer Prozesse im Rahmen von Feedback, das sowohl die diensthabenden<br />

PädagogInnen/ TherapeutInnen, als auch die Jugendlichen sich<br />

untereinander geben. Der gewählte Gruppensprecher und ältere, erfahrene WG-<br />

Bewohner übernehmen hier Mentorenrollen für jüngere Gruppenmitglieder<br />

(therapeutische Gemeinschaft). Im Rahmen der Abendrunden werden auch Anliegen<br />

besprochen und geklärt, die die WG- BewohnerInnen an die MitarbeiterInnen und die<br />

MitarbeiterInnen an die WG- BewohnerInnen haben.<br />

4.2.9 Das psychologische Therapieangebot<br />

Durch den hauseigenen psychologischen Dienst der übergeordneten Gesamteinrichtung<br />

wird Diagnostik und ambulante Psychotherapie angeboten. In der<br />

Diagnostik können testpsychologische Untersuchungen durchgeführt werden, wie<br />

z.B. Intelligenzdiagnostik (K- ABC, HAWIK III) und Persönlichkeitsdiagnostik in<br />

standardisierter oder projektiver Form (z.B. „Familie in Tieren“, „Scenotest“). Daneben<br />

stehen Verhaltensbeobachtungsbögen und Evaluationssysteme (Schemata zur<br />

Erfassung von Ressourcen und Persönlichkeitsmerkmalen) zur Qualitäts- und<br />

Ergebniskontrolle zur Verfügung. Beobachtungsbögen, z.B. Selbsteinschätzungsbögen<br />

wie der „Youth Self Report“ (YSR) zur Einschätzung von Verhaltensauffälligkeiten<br />

sind vorhanden. Therapeutische Verfahren sind die tiefenpsychologisch<br />

fundierte Psychotherapie und die personenzentrierte Psychotherapie.<br />

Therapieziele sind die Stabilisierung des jungen Menschen, die Bearbeitung<br />

psychosozialer Problemfelder (z.B. Kontaktstörungen, Insuffizienzerlebnisse, Ängste),<br />

und die Krankheitsbewältigung. Therapiethemen können Störungen aus den<br />

Bereichen der sozialen Fertigkeiten, der Selbst- und Fremdwahrnehmung, sowie der<br />

kognitiven Fähigkeiten sein, aber auch die Bearbeitung alters- und entwicklungstypischer<br />

Themen, wie z.B. die Beziehungen zum anderen Geschlecht. Grundsätzlich<br />

knüpft das Angebot einer individuellen Psychotherapie an die gesunden Anteile und<br />

Ressourcen des jungen Menschen an.<br />

4.2.10 Das externe kinder- und jugendpsychiatrische- und psychotherapeutische<br />

Angebot<br />

Es besteht seit vielen Jahren eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit<br />

einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.<br />

Neben der fachärztlichen Versorgung bestehen in der Facharztpraxis<br />

vielfältige weitere Möglichkeiten und Angebote für eine psychotherapeutische<br />

Versorgung. Im Rahmen der individuellen Hilfeplanung kann ein optimales<br />

Psychotherapieangebot entweder über den psychologischen Dienst der Gesamteinrichtung,<br />

oder über Angebote der fachärztlichen Praxis abgerufen werden.<br />

Bei Bedarf kann auch in eine andere externe ambulante kinder- und jugendpsychotherapeutische<br />

Psychotherapie vermittelt werden.<br />

- 108 -


4.3 Struktur des therapeutischen Leistungsbereichs<br />

4.3.1 Grundleistungen<br />

Der allgemeine Standard der Wohngruppe umfasst alle nachfolgenden Grundleistungen.<br />

Die Erbringung dieser Leistungen wird den in der WG untergebrachten<br />

Personen garantiert.<br />

4.3.1.1 Räumliche Gegebenheiten/ Lage<br />

Das zweigeschossige Haus mit 350 m² Wohnfläche befindet sich in ländlichem<br />

Ambiente auf einem über 3000 m² großen, idyllischen Gartengrundstück mit<br />

zahlreichem, altem Baumbestand und geschmackvoller Begrünung. Das Haus ist im<br />

Jahr 2000 von Grund auf renoviert worden.<br />

Im Erdgeschoss befinden sich der Wohn- und Essbereich, die Küche, ein<br />

Vorratsraum, ein Bad und eine Gästetoilette, ein Gästezimmer, ein Therapieraum,<br />

sowie ein geräumiges Dienst- und Besprechungszimmer.<br />

In der oberen Etage sind acht Wohn-/ Schlafräume (geräumige Einzelzimmer), vier<br />

Badezimmer mit Dusche, Waschbecken und WC, sowie ein Entspannungsraum<br />

gelegen.<br />

Alle Räume sind behaglich eingerichtet und attraktiv mit hellen Vollholzmöbeln<br />

ausgestattet. In der WG dominieren helle, warme Farbtöne, die eine wohltuende<br />

Atmosphäre erzeugen.<br />

4.3.1.2 Personelle Ausstattung, Teamgespräche und Supervisionen<br />

1 Dipl.- Sozialpädagoge (Leitung)<br />

3 Dipl.- Sozialpädagoginnen/ -Sozialpädagogen<br />

1 Arbeitstherapeut/ Arbeitserzieher<br />

1 Krankenschwester<br />

0, 75 Hauswirtschaft<br />

1 Kinder- und Jugendpsychiaterin/ -psychotherapeutin für die<br />

fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung , sowie für<br />

Fallsupervisionen<br />

(Honorarkraft)<br />

1 externe(r) Supervisor / Supervisorin (Honorarkraft)<br />

1 Diplompsychologin (in gruppenübergreifender Zuständigkeit für die<br />

Gesamteinrichtung)<br />

0, 25 Dipl.- Psychologe; psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und<br />

Jugendlichenpsychotherapeut (in gruppenübergreifender Zuständigkeit für die<br />

Gesamteinrichtung).<br />

Einmal wöchentlich finden Teamgespräche unter Einbeziehung des Leitungsteams<br />

der übergeordneten Gesamteinrichtung statt, welches im Bedarfsfall auch darüber<br />

hinaus zu Beratungen, Fallbesprechungen, Kriseninterventionen und sonstigen<br />

dienstlichen Angelegenheiten mit hinzugezogen werden kann.<br />

Teamsupervisionen und Fallsupervisionen erfolgen in einem je sechswöchigen<br />

Intervall.<br />

- 109 -


4.3.1.3 Inhalte der gruppenübergreifenden Leistungen<br />

Einmal monatlich findet eine Gesamtmitarbeiterkonferenz mit gemeinsamen<br />

Fallbesprechungen, internen Fortbildungen und Regelungen von Organisationsangelegenheiten<br />

statt.<br />

Alle Pädagoginnen, Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher der Gesamteinrichtung<br />

nehmen an fachspezifischen Fortbildungsangeboten teil.<br />

Der Träger der Gesamteinrichtung stellt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für<br />

mindestens eine Fortbildung pro Jahr frei und übernimmt die Kosten.<br />

Darüber hinaus werden zu aktuellen Fragestellungen Fortbildungsseminare durch<br />

externe ReferentInnen für die gesamte Mitarbeiterschaft der Gesamteinrichtung<br />

angeboten.<br />

Hilfeplangespräche:<br />

An den mit allen Beteiligten geführten Hilfeplangesprächen nimmt je nach Erfordernis<br />

neben MitarbeiterInnen der WG das Leitungsteam, oder die Diplompsychologin bzw.<br />

der Diplompsychologe der übergeordneten Gesamteinrichtung teil.<br />

Kooperation mit dem Jugendamt:<br />

Mit dem jeweils zuständigen Jugendamt sind regelmäßige Abstimmungen am<br />

Hilfeplan notwendig. Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter der WG, die Sorgeberechtigten<br />

des jungen Menschen, sowie die Diplompsychologin bzw. der Diplompsychologe der<br />

übergeordneten Gesamteinrichtung nehmen an der Entwicklung und Modifizierung<br />

der Hilfeplanung teil.<br />

Einbindung externer Fachdienste:<br />

Es bestehen enge und langjährig bewährte Kooperationen mit Beratungsstellen und<br />

Behörden, niedergelassenen Fachärzten, Schulen, Berufsbildungseinrichtungen und<br />

der BA für Arbeit.<br />

Diagnostik und therapeutische Leistungen durch den psychologischen Dienst der<br />

Gesamteinrichtung; vgl. Kapitel 4.2.9 (S. 108).<br />

Weitere Intensivformen der Hilfe:<br />

Diese sind in Absprache mit dem zuständigen Jugendamt bei Bedarf als individuelle<br />

Sonderleistungen zu vereinbaren, für die ein gesondertes Entgelt erhoben wird.<br />

4.3.2 Sonderleistungen<br />

4.3.2.1 Sonderaufwendungen im Einzelfall gemäß §5 Absatz 1 des Rahmenvertrages<br />

Sonderaufwendungen im Einzelfall, die nicht in der Erziehungspauschale enthalten<br />

sind, wie z.B. Familienheimfahrten, werden individuell abgerechnet.<br />

- 110 -


4.3.2.2 Individuelle Sonderleistungen gemäß §6 des Rahmenvertrages<br />

Individuelle Sonderleistungen sind Leistungen wie<br />

· Diagnostik, sofern nicht Grundleistung;<br />

· therapeutische Zusatzleistungen, sofern nicht Grundleistung;<br />

· spezielle, aufwändige Elternarbeit;<br />

· besondere Erlebnispädagogik;<br />

· sonstige, im Einzelfall zu vereinbarende Sonderleistungen.<br />

4.4 Leitung, Verwaltung, Trägerschaft, Spitzenverband<br />

Die Leitung der WG liegt in den Händen eines Dipl.- Sozialpädagogen.<br />

Die Leitung der übergeordneten Gesamteinrichtung hat ein Leitungsteam inne, das<br />

sich zusammensetzt aus:<br />

· Gesamtleiter<br />

· stellvertretendem Leiter<br />

· psychologischem Dienst.<br />

Spitzenverband ist das Diakonische Werk.<br />

4.5 Qualitätskonzept<br />

Qualität wird als ein sich ständig verändernder Prozess verstanden. Deshalb geht es<br />

nicht nur um die Sicherung vorhandener, sondern auch um die Entwicklung zu<br />

überprüfender und zu optimierender zukünftiger Qualität. Es wird die folgende<br />

Systematik angewendet:<br />

· Eingangsqualität;<br />

· Strukturqualität;<br />

· Prozessqualität;<br />

· Ergebnisqualität.<br />

4.5.1 Eingangsqualität<br />

Sie umfasst auf Seiten des Einrichtungsträgers<br />

· ein verbindliches und präzises Leistungsangebot einschl. der Verdeutlichung von<br />

Grenzen und Ausschlusskriterien;<br />

· die Benennung des grundsätzlichen Selbstverständnisses und Leitbildes;<br />

· Transparenz hinsichtlich fachlicher Haltungen, Einstellungen und Methoden;<br />

· einen strukturierten Betreuungsplan;<br />

· die Definition von übergeordneten Zielen und alltagsbezogenen Einzelzielen,<br />

sowie Praxiszielen;<br />

· die Evaluation von Zielen;<br />

· eine Beteiligung aller relevanten Personen und Institutionen an der Planung und<br />

Erarbeitung von Zielen;<br />

· eine Ergebnisdarstellung.<br />

- 111 -


Seitens des Auftraggebers (örtlicher Träger der Jugendhilfe) bedarf es einer<br />

verlässlichen Analogie für alle Verfahrensverbindlichkeiten, um den Prozess<br />

partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu fördern. Um Maßnahmen der Erziehungshilfe<br />

und Rehabilitation effektiv umzusetzen, sind klare Aufträge mit eindeutigen Zielvorstellungen,<br />

die zwischen allen Beteiligten optimal abzustimmen sind, erforderlich.<br />

4.5.2 Strukturqualität<br />

Verbindliche Aussagen zur Strukturqualität hinsichtlich Organisation, Personal- und<br />

Sachausstattung finden sich im Leistungsangebot der einzelnen pädagogischen<br />

Projekte.<br />

4.5.3 Prozessqualität<br />

Um die Prozesse der Kommunikation, Interaktion und Kooperation zwischen den<br />

Adressaten der pädagogischen Dienstleistungen, den Fachkräften und Trägern<br />

regelmäßig abzustimmen, sind verbindliche Vereinbarungen mit allen Beteiligten zu<br />

treffen, deren Einhaltung dokumentiert und überprüft wird. Diesbezüglich sind<br />

erforderlich:<br />

· Sicherstellung angemessener Adressatenbeteiligung (z.B. durch Kundenbefragungen);<br />

· eine konkrete Betreuungsplanung und kontinuierliche Fallbesprechungen;<br />

· zielorientierte Reflexion und Benennung von bedarfsgerechten, sowie operationalisierbaren<br />

Betreuungszielen;<br />

· Transparenz pädagogischer Regelsysteme;<br />

· eine transparente Kooperation mit Partnern;<br />

· regelmäßige Kommunikation mit dem Jugendamt in Bezug auf relevante<br />

Prozesse und Ereignisse.<br />

4.5.4 Ergebnisqualität<br />

Bei der Überprüfung und Evaluation der jeweiligen Zielerreichungen werden folgende<br />

Methoden zur Messbarkeit pädagogischer Entwicklungen genutzt:<br />

· Überprüfung erreichter Ziele auf Grund des Hilfeplanes und der individuell zu<br />

erstellenden Verlaufsdokumentation;<br />

· klar und eindeutig strukturierte Protokolle/ Fallverläufe;<br />

· Erstellung und Auswertung von Verhaltensbeobachtungsbögen;<br />

· Kundenbefragungen;<br />

· Protokolle von Teamgesprächen/ Gesamtmitarbeiterkonferenzen;<br />

· abschließende Beschreibungen pädagogischer Prozesse und ggf. Vorschläge zu<br />

weiteren notwendigen Maßnahmen;<br />

· Katamnesen.<br />

- 112 -


4.5.5 Übergreifend zusammengefasste Qualitätsmerkmale<br />

Übergreifend zusammengefasste Qualitätsmerkmale sind:<br />

· Beratung und Anleitung;<br />

· kollegiale Supervision;<br />

· externe Fall- und Teamsupervision;<br />

· Fortbildungen und berufliche Qualifizierungen;<br />

· die systematische Dokumentation therapeutischer und pädagogischer Prozesse;<br />

· Überprüfungen durch externe Organisationsberater.<br />

- 113 -


5 Methodologie; Vorstellung und Auswahl der Forschungsmethoden,<br />

Begründung der Methodenwahl für die Konzeptevaluation<br />

5.1 Quantitative und qualitative Sozialforschung<br />

In der empirischen Forschung steht die Erfahrung (gr. Empeiria) im Vordergrund.<br />

Entscheidendes Element der Wissenserzeugung ist die Erfassung des untersuchten<br />

Gegenstandes entweder durch standardisierte Befragung bzw. Messung (quantitative<br />

Sozialforschung), oder durch Beobachtung, offene-, narrative- oder Leitfadeninterviews<br />

(qualitative Sozialforschung). Die empirische Forschung unterscheidet also<br />

zwischen quantitativen und qualitativen Sozialforschungsansätzen.<br />

Typische Untersuchungs- bzw. Forschungsdesigns in der quantitativen Sozialforschung<br />

sind Querschnittserhebungen, Längsschnitterhebungen und Kohortenstudien.<br />

Typische Fragestellungen betreffen die Untersuchung systematischer<br />

Zusammenhänge, die Verteilung bestimmter Merkmale und die Häufigkeit von<br />

Phänomenen.<br />

In quantitativen Verfahren werden Forschungshypothesen, die Aussagen über eine<br />

Beziehung oder einen Zusammenhang zwischen zwei oder mehr Merkmalen bzw.<br />

Variablen ermöglichen sollen, generiert (Diekmann, 2009). Die Untersuchungsvariablen<br />

sowie deren Operationalisierung werden exakt bestimmt. In einer<br />

Fragebogenbefragung müssen z.B. Frage- und Antwortkategorien tatsächlich auf die<br />

Variablen verweisen, die man untersuchen möchte (Brüsemeister, 2008).<br />

In der quantitativen Sozialforschung wird vor allem gemessen und skaliert. Nach<br />

einer allgemeinen Definition von Stevens (1951, zitiert nach Diekmann, 2009) ist<br />

Messung die Zuordnung von Zahlen zu Objekten nach bestimmten Regeln. Die<br />

Messung ist in der quantitativen Forschung der zentrale methodische Zugang bei der<br />

Erfassung des Untersuchungsgegenstandes.<br />

In der quantitativen Forschung werden weiterhin Daten gesammelt, erfasst, analysiert<br />

und miteinander verglichen. Zahlenmäßige Ausprägungen eines oder mehrerer<br />

untersuchter Merkmale werden gemessen, Sachverhalte quantifiziert, erhobene<br />

Daten mit Hilfe der Statistik in Zahlen ausgedrückt, sowie statistische Zusammenhänge<br />

überprüft. Dies geschieht mit Hilfe von Maßzahlen, statistischen Tests,<br />

Unterschiedstests und Tests auf Zusammenhänge/ Korrelationen (Diekmann, 2009).<br />

Quantitative Forschungsergebnisse werden numerisch aufbereitet und sodann<br />

interpretiert (Fischer u. Wiswede, 2009).<br />

Weitere Begriffe von zentraler Bedeutung in der quantitativen Forschung sind<br />

Grundgesamtheit/ Vollerhebung, Stichprobe/ Teilerhebung und Repräsentativität.<br />

Unter Grundgesamtheit versteht man die Menge all derjenigen Objekte, für welche<br />

die Aussagen einer Untersuchung gelten sollen. Wird die Grundgesamtheit<br />

untersucht, entspricht dies einer Vollerhebung. Eine Auswahl aus der Grundgesamtheit<br />

bildet die Stichprobe (Teilerhebung). Stellt die Stichprobe ein<br />

verkleinertes Abbild einer angebbaren Grundgesamtheit dar, spricht man von<br />

Repräsentativität. Wenn eine Stichprobe repräsentativ ist, wird es innerhalb<br />

- 114 -


erechenbarer und benennbarer Fehlergrenzen möglich, von der Verteilung<br />

bestimmter Merkmale und Zusammenhänge in der Stichprobe auf die Verteilung<br />

dieser Merkmale und Zusammenhänge in der Grundgesamtheit zu schließen (Paier,<br />

2010).<br />

In der quantitativen Sozialforschung kommt also Zahlen, Messungen, der<br />

Repräsentativität von Stichproben und der Nutzung statistischer Methoden bei der<br />

Auswertung des gewonnenen Datenmaterials eine ganz prominente Rolle zu. Es<br />

dominiert ein deduktiver Ansatz, in dem vom Allgemeinen auf das Besondere<br />

geschlossen wird (Diekmann, 2009).<br />

Die qualitative Sozialforschung ist gekennzeichnet durch Rekonstruktion von Sinn<br />

und subjektiven Sichtweisen. Dies geschieht durch Deutungsmuster, Wirklichkeitskonstruktionen<br />

und durch ein sinnverstehendes Vorgehen im Rahmen von<br />

Kommunikation, Diskurs und Interaktion, in dem u.a. auch individuelle Bedeutungszuschreibungen<br />

berücksichtigt werden. Der Forschungsauftrag ist Verstehen, der<br />

Forschungsgegenstand wird, im Gegensatz zur quantitativen Forschung, gerade nicht<br />

über das Messen erfasst. Die gewonnenen Daten sind weniger abstrakt als<br />

quantitative Daten (Zahlen). Es werden, wiederum im Gegensatz zur quantitativen<br />

Forschung, keine statistischen Verfahren zur Auswertung der generierten Daten<br />

angewendet (Helfferich, 2009). Charakteristika der qualitativen Sozialforschung sind<br />

eine Subjekt- und Handlungsorientierung, Einzelfallbezogenheit, Problemorientierung,<br />

Tiefe, Verstehensansatz und Ganzheit, sowie Interaktion, Kommunikation und<br />

Diskursivität. Qualitative Forschung erhebt den Anspruch, Lebenswelten von innen<br />

heraus aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Es wird<br />

Unbekanntes im Bekannten und Bekanntes im Unbekannten als Differenz<br />

wahrnehmbar gemacht. Dadurch werden erweiterte Möglichkeiten von (Selbst)-<br />

Erkenntnis eröffnet und Sinnbezüge, Strukturen und Zusammenhänge aufgedeckt<br />

(Flick et al. 2009). Das Prinzip der Offenheit im Rahmen der qualitativen Forschung<br />

lässt es zu, dass wesentliche Erkenntnisse erst im tatsächlichen Feldkontakt, also zu<br />

einem vergleichsweise späten Zeitpunkt des Forschungsvorhabens, auftauchen<br />

können. Dieses Prinzip ermöglicht es dem Forscher, „sich vom Untersuchungsfeld<br />

überraschen zu lassen“ (Brüsemeister 2008, S. 47) im Unterschied zu quantitativen<br />

Forschungsansätzen, die von einer den Untersuchungsgegenstand erklärenden<br />

Untersuchungshypothese ausgehen und sodann Untersuchungsvariablen und deren<br />

Operationalisierung möglichst exakt festlegen (Brüsemeister, 2008).<br />

Qualitative Interviews dienen der Wissensvertiefung und –erweiterung und<br />

versuchen, den Forschungsgegenstand zu verstehen. Entsprechend der auf<br />

Vertiefung und Verstehen ausgerichteten Zielsetzung gilt für das Auswahlverfahren<br />

der zu befragenden Personen, dass nicht eine große, möglichst repräsentative Zahl<br />

von Interviewpartnern gefunden werden muss, sondern dem Forschungsgegenstand<br />

angemessene Gesprächspartner. Entscheidend ist mithin nicht, wie viele, sondern<br />

wer befragt wird (Flick et al. 2009).<br />

Für qualitative Stichproben ist das Kriterium der Repräsentativität nicht sinnvoll, da<br />

qualitative Forschung auf das Besondere zielt. Die Verallgemeinerung von<br />

Interpretationen qualitativer Interviews hat die Rekonstruktion typischer Muster und<br />

nicht Verteilungsaussagen, wie in der quantitativen Forschung üblich, zum Ziel<br />

(Helfferich, 2009). Es handelt sich hier mithin um eine induktive Vorgehensweise, in<br />

der vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen wird.<br />

- 115 -


5.2 Wahl der geeigneten empirischen Forschungsmethode für die Konzeptevaluation;<br />

Entscheidung für qualitative Forschungsmethoden<br />

In der Evaluation der vorgelegten Konzeptarbeit geht es nicht um die Auszählung<br />

oder Messung gewonnener numerischer Daten, noch um deren statistische<br />

Erfassung und Aufbereitung. Auch deduktive Ansätze und Fragen der<br />

Repräsentativität kommen nicht zum tragen. Quantitative Fragestellungen stehen<br />

mithin nicht im Zentrum des Forschungsinteresses. Es geht vielmehr um<br />

Fragestellungen bezüglich der Umsetzbarkeit, Praxistauglichkeit, Sinnhaftigkeit und<br />

Nützlichkeit des vorgelegten Therapiekonzeptes. Es wird mithin eine<br />

Wissensvertiefung und -erweiterung mithilfe diskursiver und induktiver Verfahren<br />

angestrebt. Insoweit sind qualitative- und nicht quantitative Forschungsmethoden bei<br />

der Konzeptevaluation anzuwenden.<br />

5.3 Theorien, Themenfelder und Methoden qualitativer Sozialforschung<br />

Die qualitative Forschung hat ein weites Spektrum an Theorien, Themenfeldern und<br />

Methoden ausdifferenziert.<br />

Die phänomenologische Lebensweltanalyse begreift soziale Wirklichkeit als eine<br />

gesellschaftliche Konstruktion ihrer Mitglieder und untersucht diese. Sie rekonstruiert<br />

formale Strukturen der Lebenswelt, indem sie von den Erfahrungen des Einzelnen<br />

ausgeht, die Grundstrukturen der Sinnkonstitution im subjektiven Bewusstsein des<br />

handelnden Individuums beschreibt und damit versucht, Sinn- Verstehen zu erlangen<br />

(Hitzler u. Eberle, 2009).<br />

Die Ethnomethodologie untersucht die Voraussetzungen sozialer Ordnung, indem sie<br />

sich mit deren Herstellung im Rahmen von Kommunikation und Interaktion befasst.<br />

Es werden diejenigen Prinzipien und Mechanismen bestimmt, mit denen handelnde<br />

Menschen sinnhafte Strukturierung und Ordnung herstellen (Bergmann, 2009).<br />

Der symbolische Interaktionismus betont die aktive Rolle des Subjekts bei der<br />

Gestaltung sozialer Wirklichkeit. Er verweist auf Aushandlungsprozesse gemeinsamer<br />

Handlungslinien vermittels sprachlicher Äußerungen und auf die Rolle<br />

kultureller, symbolisch und das heißt vor allem sprachlich vermittelter Normen, die in<br />

der Interaktion erst zur konkreten Handlungswirklichkeit für die Beteiligten werden,<br />

wobei unter Interaktion zu verstehen ist, dass zwei oder mehr Personen, die in<br />

wechselseitiger Beziehung zueinander stehen, gemeinsam und aufeinander<br />

abgestimmt handeln (Denzin, 2009).<br />

Der Konstruktivismus untersucht die soziale Wirklichkeit, indem Erkennen,<br />

Wahrnehmung der Welt und das Wissen über sie als Konstruktionen verstanden<br />

werden. Er fragt nach den sozialen, kulturellen und historischen Konventionalisierungen,<br />

die Wahrnehmung, Wissen und Erkenntnis in Alltag und Wissenschaft<br />

beeinflussen, mithin also danach, wie Wissen entsteht (Flick, 2009 a).<br />

Sozialwissenschaftliche Hermeneutik ist die theoriegeleitete Methodisierung der<br />

Interpretation qualitativer Daten, wie Protokolle, Memos, Interviewtranskripte,<br />

- 116 -


Fotografien oder Filme, die nicht für sich sprechen, sondern gedeutet werden<br />

müssen. Hermeneutik ist die Lehre vom interpretativen Vorgehen. Es geht hierbei<br />

sowohl um das „Was“, als auch um das „Wie“ des Verstehens, mithin also um<br />

Verfahren, Regeln und Muster impliziter Prämissen des Deutens und Verstehens<br />

(Soeffner, 2009).<br />

In der qualitativen Biographieforschung wird menschliche Entwicklung unter dem<br />

Gesichtspunkt lebenslanger Lern- und Bildungsprozesse untersucht. Hier steht die<br />

Untersuchung von Lernmustern und Bildungsfiguren im Forschungsmittelpunkt<br />

(Marotzki, 2009).<br />

In der qualitativen Generationsforschung werden benachbarte Geburtsjahrgänge, die<br />

eine gemeinsame Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft, bzw. eine gemeinsame<br />

horizontale Identität der Weltauffassung und Weltbewältigung teilen, zu Generationen<br />

zusammengefasst. Im Generationszusammenhang vergleicht das Individuum sein<br />

eigenes Leben, seine Erwartungen, sein Glück und sein Scheitern mit dem der<br />

Gleichaltrigen. Individuelle Lebens- und Sinndeutungen erfolgen im Kontext<br />

historischer Konstellationen und Ereignisse (Bude, 2009).<br />

Die ethnographische Lebensweltanalyse versucht, die Binnensicht handelnder<br />

Individuen in unterschiedlichen Milieus zu rekonstruieren, um auf diesem Weg zu<br />

einem besseren Verständnis der Beteiligten und ihrer Lebenswelten zu gelangen. Ziel<br />

ist es, die Welt annäherungsweise mit den Augen der untersuchten Menschen zu<br />

sehen und den subjektiven Sinn ihrer Erfahrungen zu verstehen. Es geht hier also um<br />

die Rekonstruktion von Sinn. Der Forschungsansatz dient der verstehenden Beschreibung<br />

kleiner sozialer Lebenswelten und individueller Welterfahrungen (Honer,<br />

2009).<br />

„Cultural Studies“ untersuchen kritisch kulturelle Formen, Praktiken und Prozesse<br />

gegenwärtiger Gesellschaften und analysieren diese im Kontext von Macht und<br />

Politik (Winter, 2009).<br />

Geschlechterforschung („Gender Studies“) erforscht sowohl Prozesse der sozialen<br />

Konstruktion von Geschlecht/ Gender, als auch Kommunikation und Interaktion<br />

innerhalb der Geschlechter und zwischen ihnen. Analysiert werden vor allem<br />

Hierarchisierungen und soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern<br />

(Gildemeister, 2009).<br />

Die Organisationsanalyse und –entwicklung untersucht förderliche und hinderliche<br />

Mechanismen bei der Veränderung und Neudefinition sozialer Konstruktionen in<br />

Organisationen, die insbesondere der Wirtschaft und Verwaltung entstammen.<br />

Untersuchungsgegenstand sind vorrangig die Strukturen, innerhalb derer sich Arbeit<br />

vollzieht und die Arbeit von Menschen innerhalb der untersuchten Organisationen<br />

(von Rosenstiel, 2009).<br />

Die qualitative Evaluationsforschung überprüft Wirksamkeit, Effizienz und Zielerreichung<br />

von Programmen, Maßnahmen, Modellen und Gesetzen, pädagogischen<br />

und therapeutischen Interventionen, sozialen, kulturellen und technischen Innovationen<br />

sowie Organisationsveränderungen in komplexen und sich beständig ändernden<br />

Umwelten. Ihre Ergebnisse sollen Entscheidungs- und Planungshilfen liefern und<br />

einen Beitrag leisten zu verbesserter Steuerung, höherer Rationalität und<br />

- 117 -


verbesserter Qualität von Angeboten. Evaluation soll weiterhin gesellschaftliche und<br />

organisationsinterne Veränderungen und Lernprozesse anregen, dokumentieren und<br />

begleiten. Schließlich soll sie neue Erkenntnisse zu einem vertiefenden Verständnis<br />

der untersuchten Bereiche beisteuern (von Kardorff, 2009).<br />

5.4 Wahl der geeigneten qualitativen Forschungsmethode für die Konzeptevaluation;<br />

Entscheidung für die qualitative Evaluationsforschung<br />

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Evaluation eines integrativen<br />

Therapiekonzeptes mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung des Therapieangebotes<br />

und einer Vertiefung des Qualitätsverständnisses in Richtung auf dessen Praxistauglichkeit,<br />

Umsetzbarkeit und Nützlichkeit. Die qualitative Evaluationsforschung<br />

leistet in ihren Ergebnissen Beiträge zur Verbesserung der Qualität von Angeboten<br />

und fördert neue Erkenntnisse zu einem vertiefenden Verständnis der untersuchten<br />

Sachverhalte. Sie ist deshalb im vorliegenden Forschungskontext die einschlägige<br />

qualitative Forschungsmethode.<br />

5.5 Merkmale qualitativer Evaluationsforschung<br />

Nach von Kardorff (2009) geht es in der qualitativen Evaluationsforschung nicht um<br />

die Entwicklung genereller Theorien, sondern um projektbezogene Fragen praktischer<br />

Vernunft in aushandelbaren, häufig asymmetrischen Konstellationen.<br />

Qualitative Evaluation ist kommunikations-, partizipations-, aushandlungs- und<br />

konsensorientiert.<br />

Sie wirkt offen an der Klärung von Interessenkonflikten und Handlungsperspektiven,<br />

an der Aushandlung von Zielen und Formen der Umsetzung mit. Sie macht auch<br />

unaufhebbare Differenzen und Dissens sichtbar.<br />

Sie ist eher prozess- als ergebnisorientiert, da im Rahmen von Lernprozessen der<br />

Implementierung und Akzeptanzgewinnung auch die Analyse von Fehlschlägen und<br />

Widerständen wichtige Hinweise zur Beurteilung und Weiterentwicklung der<br />

untersuchten Maßnahmen liefert.<br />

Sie ist weiterhin kritisch und ergebnisoffen. Subjektive Sichtweisen und Interessen,<br />

Laien- und Expertentheorien und –praktiken finden Berücksichtigung. Hierdurch wird<br />

problembezogene praktische Vernunft gefördert. Mit ihren Ergebnissen liefert sie<br />

Beiträge zu einer vertiefenden Problemwahrnehmung und Problemlösung<br />

(von Kardorff, 2009).<br />

- 118 -


5.6 Methoden qualitativer Evaluationsforschung<br />

Der qualitativen Evaluation stehen vielfältige Forschungsmethoden zur Verfügung, so<br />

z.B. Feldbeobachtungen und Ethnographie (eine am Alltag der Menschen, die<br />

beobachtet werden, teilnehmende Forschungsmethode), die Interpretation und<br />

Auswertung elektronischer Prozessdaten, visueller und medialer Daten wie Fotos,<br />

Filme und Videos, computergestützte Analysen und Online- Forschung, sowie<br />

unterschiedliche Arten qualitativer Interviews (Flick, 2009 b).<br />

5.7 Wahl der geeigneten Methode qualitativer Evaluationsforschung für die<br />

Konzeptevaluation; Entscheidung für qualitative Interviewmethoden<br />

Im vorliegenden Forschungskontext sind die Methoden der Feldbeobachtung, der<br />

Ethnographie, der Auswertung elektronischer, visueller und medialer Daten, sowie<br />

der Online- Forschung nicht einschlägig. Es erscheinen deshalb vor allem qualitative<br />

Interviewmethoden geeignet, das entwickelte Konzept angemessen zu evaluieren.<br />

5.8 Qualitative Interviews<br />

Es gibt unterschiedliche Varianten qualitativer Interviews, die im Folgenden kurz<br />

vorgestellt werden sollen; ein zusammenfassender Überblick findet sich bei Hopf<br />

(2009).<br />

5.8.1 Struktur- oder Dilemma- Interviews<br />

Bei Struktur- oder Dilemma- Interviews handelt es sich um eine Interviewform, die in<br />

den Fragevorgaben und der Fragenabfolge relativ stark festgelegt ist. Sie dient vor<br />

allem der Erfassung unterschiedlicher Stufen moralischen Urteilens. Im Rahmen von<br />

Erzählvorgaben, in denen Entscheidungsprobleme vorgestellt werden, sollen Urteilsstrukturen<br />

erfasst werden (Hopf, a.a.O).<br />

5.8.2 Klinische Interviews<br />

Klinische Interviews sind diagnostische Instrumente in unterschiedlichen Graden der<br />

Strukturiertheit, die Erkrankungen erfassen und in der klinischen sowie therapeutischen<br />

Praxis angewendet werden (Hopf, a.a.O).<br />

5.8.3 Biographische Interviews<br />

Biographische Interviews dienen der Erschließung von Lebensgeschichten (Hopf,<br />

a.a.O).<br />

- 119 -


5.8.4 Fokussierte Interviews<br />

Für diese Interviewform sind die Fokussierung auf einen vorab bestimmten<br />

Gesprächsgegenstand sowie der Versuch, Reaktionen und Interpretationen im<br />

Interview in offener Form zu erheben, von zentraler Bedeutung. Das fokussierte Interview<br />

ist freier und auch gegenüber assoziativen Stellungnahmen offener, als ein<br />

Struktur- Interview, wiewohl es sich auch teilstandardisierter Gesprächsleitfäden<br />

bedient. Die Gesprächsführung ist sehr zurückhaltend und nicht direktiv (Hopf, a.a.O).<br />

5.8.5 Narrative Interviews<br />

Das narrative Interview ist ein offenes, Erzählungen generierendes Interview, das auf<br />

den Einsatz standardisierter bzw. teilstandardisierter Fragebögen/ Leitfäden<br />

verzichtet. Es sollen Stehgreiferzählungen hervorgerufen werden. Erst in einer<br />

abschließenden Bilanzierung greift der Interviewer aktiver in die Gesprächsgestaltung<br />

ein. Diese Interviewform wird besonders im Zusammenhang mit lebensgeschichtlich<br />

bezogenen Fragestellungen eingesetzt (Hopf, 2009).<br />

5.8.6 Experteninterviews<br />

Das Experteninterview ist die Methode der Wahl, wenn keine lebensbiographischen<br />

Inhalte im Mittelpunkt der Erhebung stehen, wenn die Interviewpartner unter<br />

Zeitdruck stehen und deshalb den hohen Zeitaufwand, der üblicher Weise mit vielen<br />

der gängigen qualitativen Methoden einhergeht, nicht mittragen können und wenn<br />

das Forschungsvorhaben selbst einem stark begrenzten Zeitrahmen unterliegt.<br />

Experteninterviews lassen Abweichungen von den Maximalforderungen an<br />

Genauigkeit und Vollständigkeit zu und gelten in der Fachliteratur als Abkürzungsstrategie<br />

(Flick, 2009 c).<br />

Im Experteninterview greift der Interviewer auf das Wissen spezifischer, für das<br />

Themengebiet als relevant erachteter Akteure zurück (Bogner u. Menz, 2005). Als<br />

Experten können diejenigen Personen bezeichnet werden, die im Hinblick auf einen<br />

interessierenden Sachverhalt als Sachverständige in besonderer Weise kompetent<br />

sind (Flick, 2009 b).<br />

Zumeist handelt es sich um Interviewpartner, die aufgrund ihrer beruflichen Stellung<br />

über besonderes Wissen verfügen, wobei in der Literatur die berufsförmige<br />

Verengung des Expertenbegriffs durchaus problematisiert wird (Gläser u. Laudel,<br />

2009).<br />

Nach einer Definition von Gläser u. Laudel (a.a.O) beschreibt Experte die spezifische<br />

Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden<br />

sozialen Sachverhalte. Das Experteninterview ist eine Methode, dieses Wissen zu<br />

erschließen.<br />

In der Fachliteratur ist der Expertenbegriff umstritten. Mindestens drei unterschiedliche<br />

Definitionen werden vorgeschlagen (Überblick bei Bogner u. Menz, 2005):<br />

- 120 -


Ein sehr weitgefasster Expertenbegriff sieht jeden Menschen als mit besonderen<br />

Informationen und Fähigkeiten für die Bewältigung des eigenen Alltagslebens<br />

ausgestattet an. In diesem Sinne wären alle Menschen Experten ihres eigenen<br />

Lebens. Diese sehr weite Definition des Expertenbegriffes erscheint jedoch in<br />

vielfältigen Forschungskontexten als zu amorph und zu undifferenziert (Bogner u.<br />

Menz, a.a.O).<br />

Eine konstruktivistische Definition fokussiert auf die Mechanismen der Zuschreibung<br />

der Expertenrolle:<br />

Unter dem Gesichtspunkt sozialer Zuschreibungsprozesse sind Experten Exponenten<br />

eines einflussreichen Fachwissens bzw. Angehörige einer Funktionselite, die mit<br />

entsprechendem sozialem Prestige und Status ausgestattet ist. Hier läuft der<br />

Expertenbegriff Gefahr, einseitig- verengend nur soziale Eliten zu erfassen (Bogner<br />

u. Menz, a.a.O).<br />

Insoweit Individuen über relevantes Wissen in Bezug auf untersuchte Sachverhalte<br />

verfügen, kann innerhalb von Organisationen auch auf niederen Hierarchieebenen<br />

erfolgreich nach Experten gesucht werden, ohne dass soziale Status- und Prestige-<br />

Auswahlkriterien dominieren. Experten sind dann diejenigen Mitarbeiter einer<br />

Organisation oder eines Betriebes, die über relevantes professionelles Betriebswissen,<br />

Deutungswissen und/ oder Erfahrungswissen im Rahmen ihrer spezifischen<br />

beruflichen Rolle verfügen und darüber Auskunft geben können (Przyborski u.<br />

Wohlrab- Sahr, 2010).<br />

Expertenwissen umfasst sowohl systematisiertes, reflexiv zugängliches Fach- und<br />

Sonderwissen, als auch praxiswirksames Handlungswissen, z.B. das Betriebswissen<br />

über spezifische interne Prozesse und Arbeitsabläufe (Flick, 2009 b).<br />

In der Literatur werden drei Formen des Expertenwissens gegeneinander abgegrenzt<br />

(Überblicke bei Bogner u. Menz, 2005; Przyborski u. Wohlrab- Sahr, 2010):<br />

· Technisches- oder Betriebswissen ist das Wissen über Operationen und<br />

Regelabläufe, fachspezifische Anwendungsroutinen, bürokratische Kompetenzen,<br />

sowie das Beherrschen von Mechanismen in institutionalisierten<br />

Zusammenhängen;<br />

· Prozesswissen bezieht sich auf die Einsichtnahme und die Informiertheit über<br />

Handlungsabläufe, Interaktionsroutinen, organisatorische Konstellationen<br />

sowie auf vergangene und aktuelle Ereignisse, zu denen der Experte<br />

aufgrund seiner praktischen Tätigkeit eine besondere Erfahrungsnähe hat;<br />

· Deutungswissen umfasst die subjektiven Relevanzen, Regeln, Sichtweisen,<br />

Interpretationen, Ideen, Sinnentwürfe und Erklärungsmuster des Experten.<br />

In Abgrenzung zu den übrigen qualitativen Interviewverfahren, die vorrangig offene<br />

Erzählstrukturen generieren, nutzen Experteninterviews zur Informationsgenerierung<br />

eher geschlossene Fragestellungen und die Methode der Wissensabfrage<br />

(Trinczek, 2005).<br />

- 121 -


5.9 Wahl der geeigneten qualitativen Interview- Methode für die Konzeptevaluation;<br />

Entscheidung für das Experteninterview<br />

Für die Evaluation des in dieser Arbeit vorgelegten pädagogisch- therapeutischen<br />

Konzeptes ist die Durchführung von Struktur- oder Dilemma- Interviews, klinischen<br />

Interviews und/ oder biographischen Interviews offensichtlich nicht sinnvoll, da diese<br />

sich mit Inhalten und Themenstellungen auseinandersetzen, die für die vorliegende<br />

Konzeptarbeit keine Relevanz haben.<br />

Auch das narrative Interview kommt nicht in Betracht, da es eher auf lebensgeschichtliche<br />

Fragestellungen, als auf vertiefende Sachfragen bezogen ist.<br />

Im Vergleich zwischen fokussiertem- und Experteninterview ist die relativ offene<br />

Interviewform des fokussierten Interviews im gegebenen Forschungskontext eher<br />

ungünstig, da bei der Konzeptevaluation begrenztes und vertiefendes (Fach-) Wissen<br />

zur Abklärung der praktischen Umsetzbarkeit des Konzeptes erhoben werden soll.<br />

Dieses Wissen lässt sich durch eher geschlossene Fragestellungen zeitökonomisch<br />

und effizient erheben. Hierfür erscheint ein Experteninterview, das vor allem<br />

fachliches und berufspraktisches Wissen abfragt, günstig. Fragestellungen, die auch<br />

das Prozesswissen von Experten abfragen, charakterisieren die inhaltliche Seite der<br />

durchzuführenden Evaluation. Weiterhin unterliegt das Forschungsvorhaben einem<br />

begrenzten Zeitrahmen und die interviewten Personen, die in ihren beruflichen<br />

Kontexten angesprochen werden, können nur begrenzte Zeitressourcen zur<br />

Verfügung stellen.<br />

Aus den vorgenannten Gründen ist für das hier interessierende Evaluationsvorhaben<br />

unter den qualitativen Interviewvarianten das Experteninterview die Methode der<br />

Wahl.<br />

5.10 Festlegung des Expertenbegriffs, Kriterien für die Expertenauswahl,<br />

Triangulation<br />

In der vorliegenden Arbeit werden diejenigen Menschen als Experten angesprochen,<br />

die über relevantes professionelles Betriebswissen, Deutungswissen und/ oder<br />

Erfahrungswissen im Rahmen ihrer spezifischen beruflichen Rolle verfügen und<br />

darüber Auskunft geben können. Das verfügbare Wissen muss relevant sein in<br />

Bezug auf den zu evaluierenden Untersuchungsgegenstand. Damit wird einerseits<br />

vermieden, dass nur eine Funktionselite mit entsprechendem sozialem Prestige den<br />

Expertenstatus zuerkannt bekommt und andererseits wird einer gewissen<br />

Beliebigkeit, die dann entsteht, wenn jede natürliche Person Experte sein kann, ein<br />

wirksamer Riegel vorgeschoben.<br />

Insoweit in diesem Sinne Expertenwissen im Einzelfall vorliegt, kann dies auch aus<br />

unterschiedlichen Berufsgruppen bzw. von Menschen mit unterschiedlicher<br />

beruflicher Qualifikation erhoben werden, unabhängig von deren Sozialprestige oder<br />

-status.<br />

- 122 -


Bei der Expertenauswahl ist zunächst zu berücksichtigen, wer über das für das<br />

Evaluationsvorhaben notwenige Wissen und die notwendigen Informationen verfügt.<br />

Hierbei sind folgende Gesichtspunkte zu bedenken (Gläser u. Laudel, 2009):<br />

· Wer verfügt über relevante Informationen?<br />

· Wer ist geeignet, präzise Informationen zu geben?<br />

· Wer ist bereit, Informationen zu geben?<br />

· Wer ist als Informant verfügbar?<br />

Die Auswahl der Experten hat die soziale Differenziertheit der Organisation zu<br />

berücksichtigen (Froschauer u. Lueger, 2005). Da ein einzelner Interviewpartner nicht<br />

über alle relevanten Informationen verfügen kann, sind mehrere Experten zu<br />

interviewen (sog. Triangulation). In der vorliegenden Arbeit werden insgesamt sechs<br />

ExpertInnen interviewt, die über langjährige berufliche Erfahrung im (stationären)<br />

Jugendhilfebereich verfügen und zwar organisationsintern binnendifferenziert nach<br />

dem Grad der individuellen Ausbildung und dem jeweiligem beruflichen Status<br />

innerhalb der Organisationshierarchie.<br />

5.11 Gruppeninterviews und Einzelinterviews; Entscheidung für Einzelinterviews<br />

Experteninterviews können als Gruppen-, oder als Einzelinterviews durchgeführt<br />

werden. Im Experteninterview muss der Interviewer zunächst erkunden, über welches<br />

Wissen der Gesprächspartner verfügt, bevor er dieses Wissen für sich erschließen<br />

kann. Die Aufgabe der Wissenserkundung lässt sich besser lösen, wenn man sich<br />

auf einen Gesprächspartner konzentrieren kann. Es ist daher zweckmäßig,<br />

Experteninterviews als Einzelinterviews durchzuführen (Gläser u. Laudel, 2009).<br />

5.12 Der Standardisierungsgrad des Interviews; Entscheidung für das Leitfadeninterview<br />

Interviews können unterschiedliche Standardisierungsgrade haben (eine Übersicht<br />

bei Gläser u. Laudel, 2009). Es kann unterschieden werden zwischen voll-, teil- und<br />

nichtstandardisierten Interviews.<br />

Standardisierte Interviews, in denen häufig geschlossene Fragestellungen verwendet<br />

werden, sind dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Fragen des Interviewers, als<br />

auch die Antwortmöglichkeiten für jedes Interview exakt gleich in einem Fragebogen<br />

vorgegeben sind. Der Interviewer kann seine Fragen im Interview weder frei<br />

formulieren, noch variieren. Auch vertiefende Nachfragen sind nicht möglich. Der<br />

Interviewpartner kann die Antwort auf eine vorgegebene Frage nicht selber<br />

formulieren und variieren, sondern muss eine von mehreren vorgegebenen<br />

Antwortmöglichkeiten auswählen. Standardisierte Interviews werden in der<br />

quantitativen Sozialforschung durchgeführt und kommen deshalb für Experteninterviews,<br />

die ja ein qualitatives Interviewverfahren darstellen, nicht in Frage.<br />

In nichtstandardisierten Interviews, die zu den qualitativen Erhebungsmethoden<br />

zählen, sind in der Regel weder die Fragen des Interviewers, noch die Antworten des<br />

Interviewpartners standardisiert. Lediglich die Themen sind vorgegeben.<br />

- 123 -


Jedoch kann es bei den nichtstandardisierten Interviews gewisse Vorgaben für den<br />

Interviewer geben. Nichtstandardisierte Interviews lassen sich unterteilen in:<br />

· offene Interviews;<br />

· teilstandardisierte Interviews/ Leitfadeninterviews.<br />

Offene Interviews zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne vorformulierte<br />

Fragestellungen durchgeführt werden. Es sind lediglich bestimmte Themen<br />

vorgegeben. Während des Interviews stellt der Interviewer frei formulierte Fragen, um<br />

das Interview- Setting einer möglichst natürlichen, narrativen Gesprächssituation<br />

anzunähern.<br />

Leitfadeninterviews arbeiten mit vorgegebenen Themen und einer Fragenliste, dem<br />

sog. Leitfaden. Der Interviewleitfaden gibt die Richtschnur für das Gespräch vor. Er<br />

enthält die unbedingt zu stellenden Fragen, die in jedem Interview gestellt und<br />

beantwortet werden müssen. Jedoch sind weder die Frageformulierungen, noch die<br />

Fragenreihenfolge verbindlich vorgegeben. Dadurch soll der Gesprächsverlauf freier<br />

vonstatten gehen.<br />

Im Experteninterview wird fachliches und berufspraktisches Wissen gezielt abgefragt.<br />

Angestrebt wird ein vertieftes Verstehen des Explorationsgegenstandes. Die<br />

interviewten Experten werden in ihrem beruflichen Kontext angesprochen und können<br />

deshalb für die Interviewsituation nur begrenzte Zeitressourcen zur Verfügung stellen.<br />

Weiterhin ist dem nicht- narrativen, sondern eher argumentativen, thematischzentrierten<br />

Kommunikationsstil von Experten in Firmen und Betrieben im Rahmen von<br />

Experteninterviews Rechnung zu tragen (Trinczek, 2005).<br />

Es ist also für ein Experteninterview ein Interviewverfahren zu wählen, welches dem<br />

Bedürfnis nach Begrenzung des Zeitaufwands Rechnung trägt und das gezielt die zu<br />

erhebenden Informationen abfragt. Das Frageverfahren sollte weniger narrativ, als<br />

vielmehr argumentativ- diskursiv angelegt sein. Ein Leitfadeninterview, das die<br />

wichtigsten Fragen vorstrukturiert, ist hierfür besser geeignet, als ein offenes<br />

Interview, das vorab keine Fragestellungen festlegt und eher dazu einlädt, eine<br />

weniger strukturierte, Erzählungen generierende Gesprächssituation herzustellen.<br />

Das Leitfadeninterview ist durch die Vorstrukturierung wichtiger Fragestellungen<br />

zeitökonomischer angelegt, als ein offenes Interview. Im Leitfadeninterview kann, weil<br />

das Verfahren nur teilstandardisiert ist, sowohl eine Offenheit der Interviewsituation<br />

bewahrt werden, als auch durch den Interviewer strukturierend und argumentierend<br />

interveniert werden. Insgesamt erscheint demnach das Leitfadeninterview in Bezug<br />

auf die Befragung von Experten gegenstandsadäquater, als ein offenes Interview.<br />

Unter den nichtstandardisierten qualitativen Interviews ist daher im gegebenen<br />

Forschungskontext das Leitfadeninterview die Interviewform der Wahl.<br />

5.13 Der Interviewleitfaden<br />

Der Interviewleitfaden ist ein Erhebungsinstrument, nämlich ein Blatt Papier mit<br />

Fragen, die dem Interviewpartner im Verlauf des Interviews gestellt werden.<br />

Er enthält Leitfragen, d.h. grundlegende Fragen nach Beziehungen und Vorgängen<br />

im Untersuchungsfeld. Leitfragen versuchen, die Informationsbereiche zu benennen,<br />

die erhoben werden müssen.<br />

- 124 -


Sie charakterisieren das Wissen, das beschafft werden muss, um die Forschungsfrage<br />

zu beantworten. Leitfragen geben vor, was die Erhebungsmethoden an Daten<br />

erbringen sollen. In diesem Sinne strukturieren und ordnen sie die Interviewfragen<br />

vor.<br />

Weiterhin enthält der Interviewleitfaden Interviewfragen, die den einzelnen Leitfragen<br />

untergeordnet sind, diese weiter ausdifferenzieren und vertiefen und die an den Alltag<br />

des Interviewpartners anschließen. Die Antworten auf die Interviewfragen enthalten<br />

die Informationen, mit deren Hilfe die Forschungsfrage beantwortet werden kann.<br />

Im Gegensatz zum standardisierten Fragebogen belässt der Interviewleitfaden dem<br />

Interviewer die Entscheidungsfreiheit, welche Fragen er wann und in welcher Form<br />

stellt (Gläser u. Laudel, 2009).<br />

5.14 Quantitative und qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren;<br />

Entscheidung für die qualitative Inhaltsanalyse<br />

Die quantitative Inhaltsanalyse ist ein theorie- und regelgeleitetes Verfahren. Noch<br />

bevor eine Analyse des zu untersuchenden sprachlichen- oder Textmaterials erfolgt,<br />

wird zunächst ein geschlossenes Kategoriensystem entwickelt. Das zu<br />

untersuchende Material wird sodann in Analyseeinheiten zerlegt und auf relevante<br />

Informationen hin durchsucht. Die so gefundenen inhaltlichen Informationen werden<br />

den vorab gebildeten Kategorien zugeordnet. Dadurch kann die Häufigkeit des<br />

Auftretens der Kategorien im Text bzw. im Sprachmaterial ermittelt und quantifiziert<br />

werden. Die Häufigkeiten sind dann der Gegenstand weiterer Analysen. Grundannahme<br />

hinter dieser Methode ist, dass es einen Zusammenhang zwischen der<br />

Häufigkeit des Auftretens von bestimmten Kategorien und der Bedeutung der<br />

Sachverhalte gibt, die sie beschreiben (Gläser u. Laudel, 2009).<br />

Die qualitative Inhaltsanalyse folgt der gleichen Vorgehensweise, wie die quantitative<br />

Inhaltsanalyse, überprüft jedoch das theoretisch abgeleitete Kategoriensystem<br />

zusätzlich am zu analysierenden sprachlichen Material und gleicht es daran ab.<br />

Damit wird die Offenheit qualitativer Methoden auch für die Entwicklung des<br />

Kategoriensystems genutzt.<br />

Die quantitative Inhaltsanalyse ist dafür kritisiert worden, dass sie die Komplexität<br />

sprachlicher Äußerungen in unzulässiger Weise reduziere: Sie ignoriere die<br />

variierende Bedeutung von Textelementen (Gläser u. Laudel, a.a.O). Durch strenge<br />

Subsumierung eines Textelements unter eine Kategorie würden die Bedeutungen<br />

dieser Textsequenz und deren Beziehungen zum Kontext auf das reduziert, was die<br />

Kategorie messen solle.<br />

Die qualitative Inhaltsanalyse hingegen ist ein Verfahren, das sich an der Komplexität<br />

von Informationen und am Verstehen orientiert, ohne dabei die Prinzipien der<br />

Theoriengeleitetheit und Regelgeleitetheit aufzugeben. Ihr ist deshalb im vorliegenden<br />

Forschungskontext der Vorzug zu geben.<br />

- 125 -


5.15 Techniken qualitativer Inhaltsanalyse: Kategorienbildung und Interpretationsformen;<br />

Entscheidung für die Zusammenfassung und die inhaltliche<br />

Strukturierung als geeignete Interpretationsformen<br />

Die qualitative Inhaltsanalyse versteht die auszuwertenden Texte bzw. die auf<br />

Tonträger gespeicherten sprachlichen Äußerungen als Ursprungsmaterial, das die für<br />

die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Daten enthält. Diese Daten<br />

werden aus dem Text oder vom Tonträger extrahiert, aufbereitet und interpretiert. Die<br />

aus dem Ursprungsmaterial entnommenen Daten sollen nur noch die Informationen<br />

enthalten, die für die Beantwortung der Forschungsfrage relevant sind. Es geht also<br />

darum, die Informationsfülle systematisch zu reduzieren und Informationen<br />

entsprechend dem Untersuchungsziel zu komprimieren und zu strukturieren.<br />

Die Extraktion relevanter Daten aus dem Ursprungsmaterial geschieht mittels eines<br />

Suchrasters, das aufgrund theoretischer Vorüberlegungen in Form eines<br />

Kategorienschemas konstruiert wird. Das Kategorienschema wird an das Ursprungsmaterial,<br />

nämlich die zu untersuchenden Texte oder die gespeicherten sprachlichen<br />

Äußerungen herangetragen. Text- bzw. Sprachbestandteile, die einzelnen Kategorien<br />

zugeordnet werden können, werden sodann aus dem Ursprungsmaterial herausgefiltert<br />

und unter die jeweils passende Kategorie subsumiert.<br />

Das Kategoriensystem ist jedoch auch offen gegenüber dem auszuwertenden<br />

Ursprungsmaterial angelegt: Wenn im Text oder der sprachlichen Äußerung relevante<br />

Informationen auftauchen, die nicht in das Kategoriensystem passen, kann das<br />

Kategoriensystem verändert bzw. erweitert werden, um auch jene Informationen zu<br />

erfassen und zu analysieren (Gläser u. Laudel, 2009).<br />

Mayring (2008) unterscheidet drei Grundformen des Interpretierens: Die Zusammenfassung,<br />

die Explikation und die Strukturierung.<br />

Bei der Zusammenfassung werden das Textmaterial bzw. die sprachlichen<br />

Äußerungen durch Abstraktion und Reduktion verdichtet. Ziel ist es, textliche bzw.<br />

sprachliche Äußerungen so zu reduzieren, dass unter Erhalt der wesentlichen Inhalte<br />

ein Abbild des Ursprungsmaterials entsteht, das komprimiert und damit<br />

überschaubarer wird. Ein derart verdichtetes textliches bzw. sprachliches Material<br />

wird besser bearbeitbar und auswertbar.<br />

Bei der Explikation geschieht das genaue Gegenteil: Zu den einzelnen untersuchten<br />

Textteilen/ Sprachäußerungen wird zusätzliches Ursprungsmaterial hinzugezogen,<br />

um die untersuchte Textstelle/ sprachliche Äußerungssequenz zu erläutern, zu<br />

erklären und auszudeuten. Mithin wird also das Verständnis der in Frage stehenden<br />

sprachlichen- bzw. Textsequenz durch Erweiterung des Text- bzw. Sprachmaterials<br />

vertieft.<br />

Bei der Strukturierung ist es das Ziel, eine bestimmte Struktur aus dem<br />

Ursprungsmaterial herauszufiltern. Hierbei können vier Strukturtypen unterschieden<br />

werden: (Mayring, 2008):<br />

· Die formale Strukturierung filtert die innere Struktur des Materials nach<br />

bestimmten formalen Gesichtspunkten heraus;<br />

- 126 -


· die inhaltliche Strukturierung extrahiert Material zu bestimmten Themen und<br />

Inhaltsbereichen und fasst diese zusammen;<br />

· die typisierende Strukturierung sucht nach einzelnen markanten Ausprägungen<br />

im Material und beschreibt diese genauer;<br />

· die skalierende Strukturierung sucht zu einzelnen Dimensionen nach Ausprägungsdefinitionen<br />

in Form von Skalenpunkten. Das Textmaterial soll<br />

daraufhin eingeschätzt werden.<br />

Für die Auswertung von Experteninterviews, die eine Fülle von Textmaterial bieten,<br />

erscheint es zunächst sinnvoll, das gewonnene Textmaterial zu reduzieren und zu<br />

verdichten, um es überschaubar und bearbeitbar zu machen. Dies lässt sich nicht<br />

durch Explikation, sondern durch Zusammenfassung am besten bewerkstelligen. Da<br />

es zudem um die Klärung von Sachfragen und Inhalten geht, erscheint die inhaltliche<br />

Strukturierung besonders geeignet, da sie das Textmaterial unter thematischen und<br />

inhaltlichen Gesichtspunkten extrahiert, komprimiert und zusammenfasst. Sowohl die<br />

Technik der Zusammenfassung, als auch die Interpretationstechnik der inhaltlichen<br />

Strukturierung sind also im vorliegenden Forschungskontext anzuwenden.<br />

Somit ist für die Evaluation des vorliegenden Konzeptes in methodischer Hinsicht<br />

festgelegt:<br />

Im Rahmen qualitativer Evaluationsforschung werden sechs leitfadengestützte<br />

Experteninterviews als Einzelinterviews durchgeführt und mit den Mitteln der<br />

qualitativen Inhaltsanalyse, insbesondere mit den Methoden der Zusammenfassung<br />

und der inhaltlichen Strukturierung, ausgewertet.<br />

- 127 -


6 Die Konzeptevaluation; Forschungsfragen und Gestaltung des Interviewleitfadens,<br />

Auswahl der Experten, Interviewdurchführung, Interviewauswertung,<br />

Darstellung der Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen<br />

6.1 Forschungsfragen und Gestaltung des Interviewleitfadens<br />

Die Forschungsfragen beziehen sich auf die Anwendbarkeit bzw. die Praxistauglichkeit<br />

des Therapiekonzeptes im Rahmen stationärer Jugendhilfe, sowie auf<br />

den Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel.<br />

Forschungsfragen:<br />

· Ist das vorliegende Therapiekonzept für die stationäre Jugendhilfepraxis<br />

geeignet und umsetzbar?<br />

· Ist das vorliegende Therapiekonzept für die komorbid erkrankte Zielklientel<br />

hilfreich und nützlich?<br />

Gestaltung des Interviewleitfadens:<br />

Die Fragestellungen des Interviewleitfadens (siehe Anhang) waren so konstruiert,<br />

dass durch deren Beantwortung Informationen generiert wurden, mit deren Hilfe die<br />

Forschungsfragen beantwortet werden konnten.<br />

Der Leitfaden wurde in einen allgemeinen, einen speziellen, sowie einen<br />

abschließenden Fragenteil untergliedert.<br />

Im allgemeinen Fragenteil wurden globale Fragen zur Verständlichkeit, zum Nutzen<br />

und zur Umsetzbarkeit des Konzeptes erhoben, der spezielle Fragenteil befasste sich<br />

mit den Themen und Inhalten des Therapiekonzeptes im Einzelnen. Es wurden auch<br />

hier zu den jeweiligen Therapiemodulen Fragen bezüglich der Durchführbarkeit und<br />

Leistbarkeit, sowie zu den zu erwartenden Problemen und Schwierigkeiten gestellt.<br />

Außerdem sollte der jeweilige Nutzen des in Frage stehenden Therapiemoduls für die<br />

Zielklientel durch die befragten ExpertInnen eingeschätzt werden.<br />

Im abschließenden Fragenteil konnten die Interviewpartner eigene Relevanzen<br />

setzen, indem sie nach Ergänzungen, Änderungen, Streichungen, sowie nach<br />

weiteren Anmerkungen und Ideen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Konzeptes<br />

befragt wurden. Er hatte die Funktion, zusätzliche relevante Informationen von den<br />

interviewten ExpertInnen zu erheben, die durch den allgemeinen und speziellen<br />

Fragenteil nicht generiert werden konnten.<br />

Da die zu interviewenden ExpertInnen in ihrem beruflichen Praxiskontext aufgesucht<br />

und befragt wurden, waren für die Interviews nur begrenzte zeitliche Ressourcen<br />

verfügbar. Für die Durchführung der Interviews war deshalb eine Interviewdauer von<br />

jeweils einer ¾ bis maximal einer Stunde vereinbart worden. Dem Erfordernis<br />

zeitlicher Begrenzung Rechnung tragend wurde der Fragebogen deshalb vorab so<br />

konstruiert, dass ganz gezielt und strukturiert nur diejenigen Informationen abgefragt<br />

wurden, die der Beantwortung der Forschungsfragen dienten.<br />

- 128 -


Der Interviewleitfaden wurde auf insgesamt 17 Fragen begrenzt. Auf eine ganz offen<br />

angelegte, narrative Gesprächssituation wurde verzichtet. Andererseits konnte in den<br />

Interviews der Spielraum für zusätzliche freie Nachfragen genutzt werden, um in<br />

Bezug auf einzelne Fragestellungen vertiefende, differenziertere Antworten/<br />

Informationen zu erhalten. Insoweit fanden sowohl zeitökonomische, als auch die<br />

Offenheit der Interviewsituation gewährleistende Gesichtspunkte Berücksichtigung.<br />

Der Interviewleitfaden wurde formal übersichtlich gestaltet und war während der<br />

Interviewdurchführungen gut zu handhaben.<br />

6.2 Auswahl der Experten<br />

Die Interviewpartner wurden durch den Interviewer wohnortnah ausgesucht und zwar<br />

aus der Diakonischen Jugend- und Familienhilfe Rischborn GmbH, die zu den<br />

Diakonischen Heimen Kästorf e.V. gehört.<br />

Die oben im Kapitel 5.10. genannten Kriterien für die Auswahl der ExpertInnen,<br />

nämlich:<br />

· Verfügung über relevantes professionelles Betriebswissen, Deutungswissen<br />

und/ oder Erfahrungswissen im Rahmen der spezifischen beruflichen Rolle;<br />

· Relevanz des Wissens in Bezug auf den zu evaluierenden Untersuchungsgegenstand;<br />

· Einbeziehung unterschiedlicher Berufsgruppen und Berufsqualifikationen;<br />

· Berücksichtigung der sozialen Differenziertheit der Organisation bei der<br />

Auswahl der ExpertInnen;<br />

· Wahl mehrerer ExpertInnen, da ein einzelner Informationspartner alleine nicht<br />

über alle relevanten Informationen verfügen kann<br />

fanden wie folgt Berücksichtigung:<br />

Herr Z.:<br />

Erzieher; zurzeit in einem berufsbegleitenden Fernstudium zum<br />

Diplom- Sozialarbeiter. Berufstätigkeit in der Jugendhilfe seit 10<br />

Jahren, davon sechs Jahre in Tagesgruppen und die letzten vier Jahre<br />

im stationären Jugendhilfebereich. Beruflicher Einsatz in Schichtdiensten<br />

bzw. 24- Stunden- Diensten. Berufliche Erfahrung mit<br />

psychisch kranken und suchtkranken Jugendlichen seit Beginn der<br />

Berufstätigkeit im Jugendhilfebereich.<br />

Frau H.: Diplom Sozialpädagogin/ Sozialarbeiterin, Diplom Sozialwirtin. Seit 11<br />

Jahren in der stationären Jugendhilfe berufstätig in der Leitung von<br />

stationären Jugendhilfewohngruppen. Beruflicher Einsatz in Schichtdiensten<br />

bzw. 24- Stunden- Diensten. Die letzten sechs Berufsjahre<br />

Erfahrung mit schwer erziehbaren, sowie psychisch kranken und<br />

komorbid suchtkranken Jugendlichen. Zusätzliche Qualifikation im<br />

Bereich Anti- Aggressionstraining („Keep- Cool“- Trainerin).<br />

Frau M.:<br />

Diplom Sozialpädagogin, Systemische Familientherapeutin, Erzieherin.<br />

Seit 2004 in der stationären Jugendhilfe berufstätig. Seit 2008 Leitung<br />

einer stationären Jugendhilfewohngruppe. Beruflicher Einsatz in<br />

Schichtdiensten bzw. 24- Stunden- Diensten. Die letzten sechs Jahre<br />

Berufserfahrung mit psychisch kranken und komorbid suchtkranken<br />

Jugendlichen.<br />

- 129 -


Herr W.: Graduierter Sozialpädagoge mit staatlicher Anerkennung<br />

(Universitätsdiplom). Über 20 Jahre lang im Bereich der<br />

Heimerziehung berufstätig. Von 1990 bis 2000 auch Leitung einer<br />

Familiengruppe. Seit 1992 Familientherapeut in einem Beratungszentrum,<br />

zuletzt in ambulanten Einzeltherapien, Coaching, Supervisionen<br />

und als Referent bundesweit tätig. Berufserfahrung mit<br />

psychisch kranken und komorbid suchtkranken Jugendlichen seit mehr<br />

als 15 Jahren.<br />

Herr K.:<br />

Herr M.:<br />

Diplom Sozialpädagoge, Erzieher und Kinderpfleger. Seit 23 Jahren in<br />

der Diakonie Rischborn berufstätig und zwar im mobilen, ambulanten,<br />

teilstationären und stationären Jugendhilfebereich, davon drei Jahre<br />

als Leiter einer stationären Jugendhilfewohngruppe. Seit 2002<br />

Regionalleiter/ Fachbereichsleiter und in dieser Funktion zuständig für<br />

alle therapeutischen und pädagogischen Wohngruppen der Jugendund<br />

Familienhilfe Rischborn, sowie für die ambulanten Hilfen im<br />

Bereich der Eingliederungshilfen. Ambulante Beratungen/ Einzeltherapien.<br />

Als Regionalleiter kein Einsatz in Schicht- und/ oder 24-<br />

Stunden- Diensten. Berufserfahrung mit psychisch kranken und<br />

komorbid suchtkranken Jugendlichen seit mehr als 15 Jahren.<br />

Lehrer. 17 Jahre lang stellvertretender Leiter des Jugendvereins<br />

Kopenhagen/ Dänemark. 4 Jahre lang „SSP Consultant“ (Koordinator<br />

zwischen Schulen, Sozialverwaltung und Polizei) in Kopenhagen/<br />

Dänemark. Seit 2001 Regionalleiter/ Fachbereichsleiter bei der<br />

Jugend- und Familienhilfe Rischborn. Ambulante Beratungen/ Einzeltherapien.<br />

Als Regionalleiter kein Einsatz in Schicht- und/ oder 24-<br />

Stunden- Diensten. Berufserfahrung mit psychisch kranken und<br />

komorbid suchtkranken Jugendlichen seit mehr als 10 Jahren.<br />

Während der Interviewphase waren drei der sechs ExpertInnen im stationären<br />

Jugendhilfebereich berufstätig, drei weitere arbeiteten im ambulanten Bereich und in<br />

übergeordneter, koordinativer Funktion, zwei von ihnen mit mehrjähriger berufspraktischer<br />

Vorerfahrung im stationären Jugendhilfebereich. Alle ExpertInnen<br />

verfügen über vieljährige berufspraktische Erfahrung mit psychisch kranken und/ oder<br />

suchtkranken jungen Menschen.<br />

6.3 Interviewdurchführung<br />

Zunächst erfolgte eine telefonische Kontaktaufnahme mit der Leitung der<br />

Diakonischen Heime Kästorf e.V. und von dort eine Weitervermittlung zu einer<br />

Regionalleiterin/ Fachbereichsleiterin des Jugendhilfebereichs (Diakonische Jugendund<br />

Familienhilfe Rischborn GmbH), mit der das Interviewvorhaben vorbesprochen<br />

wurde. Die Regionalleiterin/ Fachbereichsleiterin stellte geeignete Kontaktadressen<br />

für die Durchführung von Interviews zur Verfügung. Danach erfolgten persönliche<br />

Kontaktaufnahmen mit den Interviewpartnerinnen und –partnern, sowie Terminvereinbarungen<br />

zur Interviewdurchführung. Vorbereitend wurden den zu befragenden<br />

ExpertInnen das Therapiekonzept, ein Musterexemplar<br />

- 130 -


des Wochenplans, sowie eine Einverständniserklärung bezüglich der Aufzeichnung<br />

der Interviews auf Tonträger, der Archivierung der generierten Daten, der Anonymisierung<br />

der Äußerungen und der ausschließlichen Verwertung zu wissenschaftlichen<br />

Zwecken zur Verfügung gestellt (die genannten Vordrucke finden sich im Anhang).<br />

Im Vorfeld der Interviews wurden sowohl Daten zur beruflichen Biographie und den<br />

beruflichen Qualifikationen der Befragten erhoben, als auch die Einverständniserklärungen<br />

von den Interviewpartnerinnen und –partnern unterzeichnet und nach<br />

Beendigung der Interviews an den Interviewer zurückgegeben.<br />

Die Interviews fanden an den jeweiligen Arbeitsplätzen der zu Befragenden statt. Der<br />

zeitliche Rahmen für die Durchführung der einzelnen Interviews war vereinbarungsgemäß<br />

auf max. 60 Minuten beschränkt. Um diesen definierten Zeitrahmen einhalten<br />

zu können, wurden die Fragestellungen in den Interviews straff am Interviewleitfaden<br />

entlang geführt. Von der Option vertiefender Nachfragen machte der Interviewer bei<br />

Bedarf Gebrauch. Die Interviews wurden per Diktiergerät auf Tonträger aufgezeichnet.<br />

Die zu befragenden ExpertInnen sorgten für eine günstige tageszeitliche<br />

Terminierung der Interviews. In stationären Jugendhilfe- WG` s fanden sie überwiegend<br />

vormittags statt, also zu einer Zeit, in der sich die jugendlichen WG-<br />

BewohnerInnen entweder in der Schule, oder in WG- externen Ausbildungsmaßnahmen<br />

befanden. Außerdem sorgten die Interviewten im Bedarfsfall für die<br />

Installierung von Doppeldiensten während der Interviewzeiten, um eine ungestörte<br />

Gesprächssituation sicherzustellen.<br />

6.4 Interviewauswertung<br />

Für die Interviewauswertung wurde wie folgt verfahren:<br />

1. Zunächst wurde ein Suchraster/ Kategorienschema entwickelt (siehe Anhang:<br />

„Kategorienschema; Rohform“). Mit dessen Hilfe sollten möglichst alle<br />

sprachlichen Äußerungen der Interviews erfasst werden, die für die<br />

Beantwortung der Forschungsfragen relevant waren. Dieses Kategorienschema<br />

ist inhaltlich annähernd deckungsgleich mit dem Interviewleitfaden<br />

und unterscheidet sich von diesem nur geringfügig dadurch, dass an wenigen<br />

Stellen Fragen zusammengefasst bzw. leicht umgruppiert wurden, um eine<br />

effizientere Bearbeitung bzw. Auswertung der Interviews zu ermöglichen.<br />

2. Äußerungen, die den einzelnen Kategorien zugeordnet werden konnten,<br />

wurden aus dem sprachlichen Ursprungsmaterial herausgefiltert und direkt<br />

vom Tonträger aus unter die jeweils passende Kategorie subsumiert (siehe<br />

Anhang: „Kategorienschema; zusammengefasste Interviewinhalte“). Durch<br />

diese Vorgehensweise wurde einerseits die gegebene Informationsfülle und<br />

–komplexität systematisch reduziert und andererseits sichergestellt, dass nur<br />

diejenigen Informationen, die zur Beantwortung der Forschungsfragen<br />

tatsächlich bedeutsam waren, erfasst wurden. Da die Subsumtion auch unter<br />

thematischen bzw. inhaltlichen Gesichtspunkten erfolgte, handelte es sich<br />

zugleich um eine inhaltliche Strukturierung des extrahierten sprachlichen<br />

Materials. Hierdurch wurde die Materialfülle für die Datenaufbereitung weiter<br />

reduziert und das erfasste sprachliche Material weiter verdichtet.<br />

- 131 -


3. Das Kategorienschema sollte zugleich so offen angelegt sein, dass es am zu<br />

analysierenden sprachlichen Material überprüft und abgeglichen werden<br />

konnte. Insbesondere sollten auch solche Äußerungen erfasst und<br />

ausgewertet werden können, die sich nicht ohne weiteres unter das<br />

Kategorienschema subsumieren ließen, aber dennoch für die Beantwortung<br />

der Forschungsfragen relevante Informationen enthielten. Es zeigte sich bei<br />

der Auswertung der Interviews, dass für die Beantwortung der<br />

Forschungsfragen bedeutsame Aussagen der Interviewten zu einzelnen<br />

Interviewfragen des allgemeinen und speziellen Fragenteils, die sich den<br />

jeweiligen Kategorien des Auswertungsschemas nicht zuordnen ließen,<br />

problemlos den Fragestellungen des abschließenden Fragenteils zugeordnet<br />

und dort subsumiert werden konnten.<br />

Beim abschließenden Fragenteil handelt es sich um folgende Fragestellungen:<br />

· Welche Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen würden Sie im<br />

Konzept vornehmen, um es zu optimieren?<br />

· Haben Sie noch weitere Anmerkungen oder Ideen zur inhaltlichen<br />

Ausgestaltung des Konzeptes?<br />

Über diese Fragestellungen konnte eine entsprechende Erweiterung und<br />

Anpassung des Kategorienschemas an das Ursprungsmaterial sichergestellt<br />

und die Offenheit qualitativer Methoden auch in Bezug auf die Entwicklung<br />

des Kategoriensystems gewahrt und genutzt werden.<br />

4. Die auf diese Weise komprimierten und strukturierten Informationen<br />

ermöglichten sowohl eine Ergebnisdarstellung; vgl. Kapitel 6.5 (S. 132ff), die<br />

alle in den Interviews angesprochenen Themen erfasst, als auch eine<br />

Beantwortung der Forschungsfragen; vgl. Kapitel 6.6 (S. 152ff).<br />

6.5 Ergebnisdarstellung<br />

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Interviewauswertungen vorgestellt,<br />

zunächst hinsichtlich des allgemeinen Fragenteils mit den globalen Fragen zu<br />

Verständlichkeit, Nutzen und Umsetzbarkeit des Therapiekonzeptes, sodann in<br />

Bezug auf den speziellen Fragenteil mit den einzelnen Therapiemodulen und<br />

schließlich im Hinblick auf den Abschlussfragenteil, der Änderungen, Streichungen<br />

und weitere Anmerkungen/ weitere Ideen abfragt. Ergänzungen zu den einzelnen<br />

Therapiemodulen des speziellen Fragenteils werden an den jeweiligen Stellen im<br />

speziellen Fragenteil dargestellt.<br />

- 132 -


6.5.1 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des allgemeinen Fragenteils<br />

Verständlichkeit des Konzeptes:<br />

Die Verständlichkeit des Konzeptes wurde von allen befragten ExpertInnen positiv<br />

eingeschätzt. Namentlich wurde benannt, dass es gut strukturiert, gut lesbar,<br />

schlüssig und in allen Facetten gut nachvollziehbar sei. Man wisse beim Lesen<br />

genau, um was es gehe. Einschränkend wurde von einigen Interviewten angemerkt,<br />

dass weniger mehr sei. Das Konzept werde durch Kürzungen klarer, deutlicher und<br />

transparenter. Insbesondere wurde unter dem Gesichtspunkt der Adressatenfreundlichkeit<br />

vorgebracht: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern<br />

Adressaten des Konzeptes seien, wären Straffungen sinnvoll, da in Jugendämtern<br />

lieber kurze Texte gelesen würden. Konkret wurde hier vorgeschlagen: Eine maximal<br />

dreiseitige Kurzfassung des Konzeptes solle als Tischvorlage für die Jugendämter<br />

erstellt werden.<br />

Allgemeiner Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel:<br />

Der allgemeine Nutzen des Konzeptes wurde von allen befragten ExpertInnen<br />

ebenfalls durchgehend positiv eingeschätzt („Konzept ist attraktiv“, „sehr nützlich für<br />

die Zielgruppe“, „Nutzen ist sehr groß“, „Nutzen ist sehr hoch“, „hervorragender<br />

Nutzen“). Hingewiesen wurde darauf, dass es wenig vergleichbare Angebote für die<br />

Zielklientel in der stationären Jugendhilfepraxis gebe und ein Bedarf da sei, der durch<br />

das Therapieangebot gut bedient werde.<br />

Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Die Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit des Konzeptes wurde wie folgt beurteilt: In<br />

Bezug auf die vorgegebene personelle Ausstattung hielten die befragten ExpertInnen<br />

mehrheitlich das Konzept für gut leistbar. Auch unter Berücksichtigung des<br />

Schichtdiensterfordernisses kamen die ExpertInnen ganz überwiegend zu dem<br />

Ergebnis, dass das Konzept gut umsetzbar sei. Hingewiesen wurde in diesem<br />

Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Einrichtung von sog. „Doppeldiensten“<br />

(gemeint sind Dienste in der Wohngruppe in zweifacher personeller Besetzung).<br />

Wenn alle im Personalschlüssel vorgesehenen pädagogischen/ therapeutischen<br />

MitarbeiterInnen im Schichtdienst eingesetzt werden, dann sind durchschnittlich pro<br />

Person und Monat fünf bis sechs Nachtbereitschaften zu erbringen. Dies wurde als<br />

gut leistbar eingeschätzt.<br />

Eine ExpertIn meinte, dass das Konzept insgesamt zu umfangreich sei und deshalb<br />

eine verstärkte Fokussierung auf einzelne Bereiche erfolgen sollte.<br />

In Bezug auf die vorgegebene personelle Ausstattung wurden folgende Probleme<br />

vermutet:<br />

Die Personaldecke insbesondere in Urlaubs- und Krankheitszeiten sei dünn, was in<br />

solchen Zeiten die Umsetzbarkeit des Konzeptes erschweren könnte. Weiterhin<br />

wurden Wirtschaftlichkeitsprobleme vermutet: Eine InterviewpartnerIn äußerte Zweifel<br />

daran, ob der vorgesehene Personalschlüssel überhaupt bezahlbar sei.<br />

- 133 -


Eine weitere ExpertIn benannte mögliche Wirtschaftlichkeitsprobleme insbesondere<br />

in der Startphase einer stationären Jugendhilfegruppe, die nach dem vorliegenden<br />

Konzept arbeiten wolle: In den ersten Monaten sei nicht mit einer Vollbelegung der<br />

Gruppe zu rechnen. Dennoch müsse von Beginn an mit dem vollen<br />

Personalschlüssel gearbeitet werden. Die hieraus resultierenden wirtschaftlichen<br />

Probleme (in dieser Phase kann nicht kostendeckend gearbeitet werden) müssten mit<br />

dem Vorstand gut abgesprochen sein. Außerdem wurde auf ein weiteres mögliches<br />

Problem aufmerksam gemacht: Es könnte Schwierigkeiten dabei geben, geeignetes<br />

qualifiziertes Personal zu finden (Fachkräftemangel). Weitere Probleme wurden in<br />

Bezug auf die Leistbarkeit von Einzelbetreuungen (gemeint ist die Betreuung eines<br />

Jugendlichen durch eine PädagogIn/ MitarbeiterIn im Bedarfsfall) und von<br />

Doppeldiensten benannt: Für solche Leistungen sei der vorgesehene Personalschlüssel<br />

möglicher Weise doch etwas knapp bemessen.<br />

Ein zusätzlicher Hinweis betraf die Gruppenkonstellation bzw. die Dynamik innerhalb<br />

der Gruppe: Es könne innerhalb einer problematischen Jugendlichen- Gruppenkonstellation<br />

so viel feindselige Dynamik gegen eine TherapeutIn entstehen, dass<br />

personell nachgesteuert werden müsse.<br />

In Bezug auf das Schichtdiensterfordernis wurde mit folgenden Problemen gerechnet:<br />

Die hohe Belastung der einzelnen MitarbeiterInnen mit administrativen- und<br />

Bürotätigkeiten (z.B. Telefonate führen, Berichte schreiben) lasse möglicher Weise für<br />

die Durchführung der vielen inhaltlichen Therapiemodule zu wenig Zeit. Hier wurde<br />

vorgeschlagen, eine zusätzliche MitarbeiterIn im Team zur Durchführung von<br />

Therapieangeboten begleitend zum Gruppendienst vorzuhalten. Weiterhin wurde<br />

angemerkt, dass es in Urlaubs- und Krankheitszeiten zu personellen Engpässen<br />

kommen könnte.<br />

6.5.2 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des speziellen Fragenteils<br />

Aufnahmevoraussetzungen:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Die Umsetzbarkeit wurde durchgängig positiv beurteilt.<br />

Insbesondere wurde hervorgehoben, dass sich die Aufnahmevoraussetzungen an<br />

dem in der Jugendhilfepraxis Leistbaren orientieren (z.B. Nichtaufnahme von<br />

Jugendlichen in akuten Psychoseschüben).<br />

Beurteilung und Nutzen: Beurteilt wurden die Aufnahmevoraussetzungen<br />

durchgängig positiv: Sie seien „schlüssig und gut nachvollziehbar“, „eigentlich so in<br />

Ordnung“, bzw. „sehr gut“, „sehr angemessen“, „nützlich“, „gut“, eine „ordentliche<br />

Eingangsqualität“ sicherstellend. Die Aufnahmevoraussetzungen beschränkten sich<br />

auf das Wesentliche und förderten damit ein Gelingen der Jugendhilfemaßnahme<br />

insgesamt. Der Nutzen der Aufnahmevoraussetzungen wurde vor allem darin<br />

gesehen, dass sie keine zu hohen Hindernisse für potentielle Leistungsempfänger<br />

errichteten, in den Genuss von Leistungen zu kommen. Durch die Aufnahmevoraussetzungen<br />

werde zudem eine „ordentliche Eingangsqualität“ sichergestellt. Sie<br />

beschränkten sich auf das Wesentliche und machten ein Gelingen der Jugendhilfemaßnahme<br />

insgesamt wahrscheinlich.<br />

- 134 -


Probleme und Schwierigkeiten: Für den Bereich Aufnahmevoraussetzungen wurde<br />

mit folgenden Problemen und Schwierigkeiten gerechnet: Nach dem bestehenden<br />

Konzept können junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren, die psychische<br />

Erkrankungen und komorbide Suchtstörungen aufweisen und erstmalig Jugendhilfeleistungen<br />

in Anspruch nehmen wollen, auf der Rechtsgrundlage der §§ 35a, 41 SGB<br />

VIII nicht aufgenommen werden. Um diese Teilgruppe der Zielklientel mit dem<br />

vorgelegten Angebot erreichen zu können, solle über eine Einbeziehung von<br />

Eingliederungshilfen nach dem SGB XII in die Rechtsgrundlagen/ Anspruchsvoraussetzungen<br />

nachgedacht werden.<br />

Ein weiterer Problembereich wurde in dem Umstand gesehen, dass man nicht „immer<br />

alle Leute bei Aufnahme auch an einen Tisch kriegt“. Hier müsse das<br />

MitarbeiterInnen- Team entscheidungsfähig bleiben bzw. Entscheidungen treffen<br />

können, auch wenn im Einzelfall nicht alle EntscheidungsträgerInnen im Aufnahmeverfahren<br />

physisch anwesend seien.<br />

Problematisch könnten unter Umständen auch wirtschaftliche Gesichtspunkte<br />

werden: Unter wirtschaftlich bedingtem Belegungsdruck könnte eine Situation<br />

entstehen, in der auch junge Menschen, die eigentlich nicht in die bestehende<br />

Gruppe integrierbar seien, aufgenommen werden müssten. Dies könne das<br />

Therapiekonzept insgesamt unterlaufen und ad absurdum führen.<br />

Eine ExpertIn meinte, dass im Einzelfall bei einem Erstgespräch in der Wohngruppe<br />

„tagesstrukturierende Maßnahmen vor Ort“ störend auf den Gesprächsverlauf wirken<br />

könnten. Wahrnehmungen des Gruppenalltags könnten unter Umständen für künftige<br />

KlientInnen, Eltern und Angehörige auch „einschüchternd“ wirken. Manchmal könne<br />

es deshalb günstiger sein, das Erstgespräch nicht in der Wohngruppe durchzuführen<br />

und erst nach Beendigung des Erstgesprächs gemeinsam die Wohngruppe zu<br />

besichtigen.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Ergänzend wurde von mehreren<br />

InterviewpartnerInnen bemängelt, dass im Konzept bei der Beschreibung der<br />

Aufnahmevoraussetzungen keine Definition der Altersstruktur der Zielgruppe<br />

getroffen wurde. Vorgeschlagen wurde, Aufnahmen von Jugendlichen ab 13 bzw. 14<br />

Jahren zu ermöglichen.<br />

Bemängelt wurde weiterhin, dass im Konzept nicht ausdrücklich darauf hingewiesen<br />

wurde, dass Jugendliche mit geistigen Behinderungen nicht aufgenommen werden<br />

können.<br />

Ein weiterer Mangel wurde darin gesehen, dass der Kreis der vom Konzept erfassten<br />

psychischen Störungsbilder zu weit gefasst sei. Der Umfang der Störungsbilder<br />

müsse klarer definiert und stärker eingegrenzt werden.<br />

Eine InterviewpartnerIn regte an, im Konzept festzuschreiben, Jugendliche mit<br />

bekanntem Rechtsradikalismus nicht aufzunehmen.<br />

Angeregt wurde, die verbindliche Teilnahme der Eltern an den Angehörigenseminaren<br />

zum Katalog der Aufnahmekriterien hinzuzufügen: Ohne eine aktive<br />

Teilnahmebereitschaft und eine entsprechende Einlassung von Eltern bereits im<br />

laufenden Aufnahmeverfahren solle es keine Aufnahme geben.<br />

- 135 -


Weiterhin wurde vorgeschlagen, den Kriterienkatalog der Aufnahmevoraussetzungen<br />

so zu ergänzen, dass akut und intensiv konsumierende Jugendliche ebenfalls nicht<br />

aufgenommen würden, „da ihre Wahrnehmung zu stark eingetrübt ist und sie deshalb<br />

von Therapieangeboten nicht profitieren können“, „am Alltag nicht ordentlich<br />

teilnehmen können“ und „am Gruppengeschehen nicht teilnehmen können“.<br />

„Jugendliche, die sich für eine Fortsetzung des Konsums entscheiden, kann man<br />

nicht weiter auf der Gruppe haben, um die anderen Jugendlichen zu schützen“.<br />

Eine ergänzende Anmerkung betraf die Verbindlichkeit von Vereinbarungen, die vor<br />

einem Aufnahmeentscheid getroffen würden: Fragestellungen gingen dahin, wie<br />

transparent solche Vereinbarungen für alle Beteiligten gemacht würden und welche<br />

Instrumente hierfür eingesetzt werden müssten. Abschließend wurde angemerkt,<br />

dass die Aufnahmekriterien nicht zu starr und ausschließlich angewendet werden<br />

sollten: Für das Team und für die Leitung müssten auch individuelle Entscheidungsspielräume<br />

gewahrt bleiben.<br />

Abbruchkriterien:<br />

Beurteilung und Nutzen: Es wurde als gut eingeschätzt, dass die Einnahme<br />

verordneter Psychopharmaka Therapievoraussetzung ist und die einseitige<br />

Absetzung verordneter Medikamente durch den jungen Menschen zum Abbruch der<br />

Maßnahme führen kann. Begründet wurde diese Einschätzung damit, dass die<br />

regelmäßige Einnahme verordneter Psychopharmaka „die betroffenen jungen<br />

Menschen erst therapiefähig“ und mithin Therapie erst möglich mache. Ein weiterer<br />

Nutzen der Abbruchkriterien wurde darin gesehen, dass sie für Transparenz sorgen:<br />

Jeder könne verlässlich wissen, was auf ihn zukomme, „wenn bestimmte Dinge<br />

eintreten“. Man komme „nicht immer in Erklärungsnot, wenn man einen Jugendlichen<br />

entlassen will“.<br />

Weiterhin wurde nachdrücklich bestätigt, dass die Ausübung körperlicher Gewalt<br />

gegen MitbewohnerInnen bzw. MitarbeiterInnen, sowie fortgesetztes kriminelles<br />

Verhalten „ganz klar“ Entlassungskriterien darstellen.<br />

Weitere ExpertInnen beurteilten die Abbruchkriterien als „plausibel“ und „praktikabel“.<br />

Eine ExpertIn beurteilte die Abbruchkriterien als nur „mittelmäßig geeignet“, bzw. als<br />

„nicht gut umsetzbar, da „zu wenig konkret“: Einerseits solle die WG eine<br />

suchtmittelfreie Zone sein, andererseits gebe es ein Rückfallmanagement. Dies sei<br />

alles „nicht konkret genug“. Einen Nutzen sehe sie deshalb „nicht unbedingt“.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Folgende Probleme wurden benannt: Wirtschaftliche<br />

Gründe könnten, ähnlich wie o.g. bei den Aufnahmevoraussetzungen, auch bei den<br />

Abbruchkriterien dazu führen, dass Jugendliche, die sich so verhielten, dass sie<br />

eigentlich entlassen werden müssten, dennoch gehalten würden (wirtschaftlich<br />

bedingter Druck, die Haltequote zu sichern).<br />

Weiterhin wurde angemerkt, dass auch beim Abbruch von Maßnahmen individuelle<br />

Entscheidungsspielräume des Teams und der Leitung gewahrt bleiben müssten.<br />

Einzelfallbezogene Einschätzungen darüber, in wieweit eine Mitarbeitsbereitschaft<br />

des jungen Menschen noch gegeben sei, seien bei der Klärung der Frage, ob eine<br />

Entlassung vorgenommen werden müsse, wichtig.<br />

- 136 -


Eine InterviewpartnerIn äußerte Kritik am Abbruchkriterium „fortgesetzte antisoziale<br />

Verhaltensweisen“: Da bei der Zielklientel „mit antisozialen Verhaltensweisen auf<br />

jeden Fall zu rechnen“ sei, dürfe man diese nicht zum Abbruchkriterium machen.<br />

Außerdem sei das Abbruchkriterium „antisoziale Verhaltensweisen“ zu unpräzise und<br />

zu weit gefasst. Es müsse genauer ausformuliert und spezifischer gefasst werden.<br />

Eine ExpertIn problematisierte das Abbruchkriterium „eigenmächtiges Absetzen von<br />

Psychopharmaka“: Nach ihrer Ansicht sollte ein solches Verhalten kein<br />

Abbruchkriterium darstellen.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Ergänzend wurde angeregt, sowohl fortgesetztes<br />

kriminelles Verhalten, als auch Beschaffungskriminalität als Abbruchkriterien<br />

zu definieren.<br />

Krisenmanagement:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Das Krisenmanagement wurde im Rahmen der vorgesehenen<br />

Personaldecke und bei der Vorhaltung von Doppeldiensten als insgesamt<br />

gut leistbar/ umsetzbar eingeschätzt. Einschränkend wurde lediglich angemerkt, dass<br />

vermehrte Einzelzuwendungen/ Einzelgespräche in Krisenfällen personell an<br />

Grenzen der Leistbarkeit stoßen könnten.<br />

Beurteilung und Nutzen: Das Krisenmanagement wurde durchgehend als „sehr gut“,<br />

„gut“, „ganz wichtig“ bzw. „hilfreich“ für betroffene Jugendliche beurteilt. Es wurde<br />

betont, dass es nicht so rigide gehandhabt werde wie in anderen Konzepten und<br />

damit „dem Klientel angemessen“ sei. Jugendliche würden in Krisen nicht einfach<br />

entlassen. Es gebe ein geregeltes Verfahren, mit dem Jugendliche auch durch Krisen<br />

hindurch gehalten werden könnten.<br />

Ein Nutzen wurde auch darin gesehen, dass zügige Reaktionen auf Krisen möglich<br />

würden. Weiterhin wurde auf den Nutzen einer guten Vernetzung vor allem mit<br />

Einrichtungen externer stationärer psychiatrischer Versorgung hingewiesen.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Probleme bei der Bewältigung von Akutkrisen wurden<br />

insbesondere darin gesehen, dass bei einer kleinen Einrichtung überwiegend auf<br />

externe Hilfemöglichkeiten zurückgegriffen werden müsse. In größeren Einrichtungen<br />

seien hingegen auch Unterstützungsleistungen innerhalb der eigenen Organisation<br />

möglich, was schnellere Hilfen und eine raschere Deeskalation ermögliche. So sei<br />

dort z.B. die temporäre Nutzung einer anderen Wohngruppe möglich, um etwa<br />

streitende Parteien nach körperlichen Auseinandersetzungen schnell und wirksam<br />

voneinander zu trennen. Die Aggressorin bzw. der Aggressor könne kurzfristig in<br />

einer anderen Wohngruppe der Gesamteinrichtung untergebracht werden.<br />

Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass es in Akutkrisen Notfall- Telefonnummern<br />

innerhalb der Gesamteinrichtung für das Personal geben müsse, um zeitnah Hilfe/<br />

Unterstützung zu erhalten. Es müsse eine Hintergrundbereitschaft und auch eine<br />

Leitungsbereitschaft geben, um im Akutfall zeitnah sowohl Hilfen geben-, als auch<br />

Entscheidungen treffen zu können. Leitungsverantwortung müsse im Krisenfall zum<br />

Schutze von KlientInnen und MitarbeiterInnen wahrgenommen werden.<br />

Diesbezüglich bedürfe es eines verlässlichen Regelwerkes.<br />

- 137 -


Probleme wurden auch in der regionalen psychiatrischen Versorgungsstruktur<br />

verortet: Im Krisenfall könnte es sich im Einzelfall problematisch gestalten, eine<br />

zeitnahe psychiatrische Erstversorgung zu erhalten, da bei niedergelassenen<br />

FachärztInnen und in psychiatrischen Kliniken oft mit längeren Wartezeiten zu<br />

rechnen sei.<br />

Eine ExpertIn gab zu bedenken, dass nur werktags in der Wohneinrichtung<br />

Doppeldienste regelmäßig vorgesehen seien, nicht jedoch an Wochenenden. Im<br />

akuten Krisenfall an einem Wochenende könne es dann problematisch werden, bei<br />

Bedarf kurzfristig außerplanmäßige Doppeldienste einzurichten.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Ergänzend wurden folgende Vorschläge<br />

gemacht: In Akutkrisen könne man, falls ein guter Kontakt zu Eltern bzw. Erziehungsberechtigten<br />

bestehe, diese zur Krisenklärung mit einschalten.<br />

Weiterhin wurde es für sinnvoll angesehen, die Arbeitsverträge so zu gestalten, dass<br />

Arbeitszeiten in Krisensituationen bedarfsorientiert aufgestockt werden könnten.<br />

Solche Verträge müssten jedoch auch arbeitsrechtlich zulässig sein.<br />

Es wurde angeregt, für MitarbeiterInnen der Teileinrichtung Deeskalationstrainings<br />

anzubieten und durchzuführen.<br />

Abschließend wurde angemerkt, dass das Krisenmanagement so, wie es im Konzept<br />

vorgesehen ist, in der Praxis erprobt werden sollte. Man könne so Erfahrungswerte<br />

sammeln und sehen, was davon tatsächlich umsetzbar/ leistbar ist und was nicht und<br />

dann entsprechend nachsteuern.<br />

Rückfallmanagement:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Das Rückfallmanagement wurde ganz überwiegend als<br />

gut leistbar bzw. gut umsetzbar eingeschätzt.<br />

Eine InterviewpartnerIn äußerte jedoch, dass der Umgang mit Rückfällen im Konzept<br />

unklar gefasst sei. Rückfälle würden im Konzept sowohl als Teil des Krankheitsbildes,<br />

als auch als Entlassungsgrund beschrieben. Es werde nicht deutlich, ob Jugendliche<br />

nun rückfällig werden dürften, oder nicht. Insoweit müsse das Rückfallmanagement<br />

insgesamt klarer und eindeutiger gefasst werden.<br />

Beurteilung und Nutzen: Insgesamt schätzten die interviewten ExpertInnen das<br />

Rückfallmanagement positiv ein („super“, „sinnvoll und gut“, „gefällt mir sehr gut“,<br />

„finde ich besonders gut“, „gefällt mir besonders gut“, „sehr, sehr wichtig“, „sehr, sehr<br />

gut“, „es ist gut“).<br />

Der Nutzen wurde hoch eingeschätzt. Er wurde vor allen Dingen darin gesehen, dass<br />

die Möglichkeit zur Aufarbeitung eines Rückfalls statt einer sofortigen Entlassung<br />

dem jungen Menschen und seiner Problematik eher gerecht werde. Mit Rückfällen<br />

müsse gerechnet werden und durch ein entsprechendes Management sei ein<br />

verantwortlicher und angemessener Umgang mit Rückfällen gewährleistet. Andere<br />

Konzepte gingen rigider mit Rückfällen um und würden damit weniger auf die<br />

Krankheitsproblematik des jungen Menschen eingehen. In jedem Fall sei ein<br />

Rückfallmanagement „besser“, als ein sofortiger Maßnahmenabbruch.<br />

- 138 -


Weiterhin sorge das Rückfallmanagement für eine klare Linie und Transparenz:<br />

Jugendliche würden hierdurch wissen können, auf welche Verhaltensweisen welche<br />

Reaktionen folgten. Es würden sowohl weitere Chancen auf eine Fortsetzung von<br />

Therapie, als auch Grenzen der Hilfemöglichkeiten aufgezeigt. Eine ExpertIn wies<br />

darauf hin, dass auf den Willen des jungen Menschen abzustellen sei: Sei er gewillt,<br />

vom Substanzkonsum Abstand zu nehmen, schaffe dies aber erst einmal nicht<br />

alleine, so mache es Sinn, lange und vielfältig Hilfen und Unterstützung anzubieten.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Zu bedenken gegeben wurde, dass die Unterscheidung<br />

im Einzelfall schwierig sei, ob ein junger Mensch nach mehreren<br />

Rückfällen noch abstinenzmotiviert sei, oder ob eine solche Motivation fehle. Es sei<br />

dann fraglich, ob man den Jugendlichen noch weiter halten könne, oder ob man ihn<br />

entlassen müsse. Hier müsse das Wohl des einzelnen Jugendlichen auch sorgfältig<br />

abgewogen werden gegen die Schutzbedürfnisse der gesamten Gruppe. Um in<br />

diesem Kontext richtige Entscheidungen treffen und angemessene Konsequenzen<br />

ziehen zu können, brauche es viel Fingerspitzengefühl und Berufserfahrung.<br />

Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass die Gruppe den Rückfall eines Einzelnen<br />

als schlichte Regelverletzung wahrnehmen könne, die vom therapeutischen Team<br />

dann auch noch geduldet werde. An dieser Stelle sei eine offene, transparente, gut<br />

begründete Kommunikationskultur gegenüber der Gruppe erforderlich, um Wahrnehmungsverzerrungen<br />

und Missverständnisse zu vermeiden.<br />

Mangelnde Compliance der RehabilitandIn könne zum Problem werden, wenn der<br />

bzw. die Jugendliche keine Zielvorstellung davon habe, dass ihm/ ihr Chancen auf ein<br />

qualitativ besseres zukünftiges Leben eröffnet würden. Es wurden auch<br />

wirtschaftliche Gesichtspunkte problematisiert: Komme es im Rahmen des Rückfallmanagements<br />

zu einer Entlassung, könne es sein, dass das zuständige Jugendamt<br />

„nicht mitspielt“ und künftig die Einrichtung nicht mehr belege.<br />

Eine ExpertIn gab an, dass, wenn Rückfälle geduldet würden, sie „die Gefahr“ sehe,<br />

„dass Suchtmenschen diese Lücke auch ausnutzen“. Sie plädierte für eine Nulltoleranz<br />

in Bezug auf Rückfälle. Rückfälle sollten grundsätzlich nicht geduldet<br />

werden.<br />

Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen gab es für den Bereich Rückfallmanagement<br />

keine.<br />

Arbeitstherapie:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Das Arbeitstherapieangebot wurde von den ExpertInnen<br />

insgesamt als gut leistbar eingeschätzt (wörtlich zitiert: „realistisch“, „leistbar“ „gut<br />

leistbar“, „sehr gut leistbar“, „gut umsetzbar“).<br />

Hingewiesen wurde darauf, dass eine MitarbeiterIn speziell für den Arbeitstherapiebereich<br />

eingestellt werden sollte. Eine weitere Rückmeldung betraf die Anzahl der<br />

Jugendlichen, die gleichzeitig am Arbeitstherapieangebot teilnehmen: Würden es zu<br />

viele, könnte es Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit/ Leistbarkeit dieses<br />

Angebotes geben.<br />

- 139 -


Beurteilung und Nutzen: Der Nutzen wurde als „sehr hoch“, „hoch“, „prioritär“, „enorm“<br />

und „ganz wichtig“ bzw. „extrem wichtig“ eingestuft. Er wurde darin gesehen, dass<br />

noch nicht wieder beschulbare junge Menschen oder auch Schulverweigerer aktiviert<br />

würden, Ziele zu erreichen, um letztendlich wieder in die Gesellschaft eingegliedert<br />

werden zu können. Die Arbeitstherapie diene der Tagesstrukturierung und vermittle<br />

den Jugendlichen auch Erfolgserlebnisse. Es wurde darauf hingewiesen, dass ein<br />

solches Angebot in stationären Jugendhilfe- Settings häufig fehle.<br />

Eine weitere Rückmeldung sah in dem Angebot für Jugendliche, die gerade aus<br />

psychiatrischen Kliniken kämen, die Chance, dass diese schnell wieder einen<br />

normalen Tagesrhythmus entwickeln und an die alterstypischen Alltagsbelastungen<br />

(z.B. Schulbesuch, Vorbereitung auf eine Ausbildung) herangeführt werden könnten.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Vor allem wurde eine unzureichende Diversifizierung<br />

des Arbeitstherapieangebotes bemängelt. Eine Beschränkung auf die Bereiche<br />

Garten-, Hauswirtschafts- und Werkstattbereich sei nicht attraktiv genug.<br />

Vorgeschlagen wurde der Aufbau eines Versorgungsnetzes einrichtungsexterner<br />

Beschäftigungs- bzw. Praktikumsstellen, um eine breitere und attraktivere Palette von<br />

Arbeitstherapieangeboten vorhalten zu können.<br />

Weiterhin wurde in Frage gestellt, ob die Sicherstellung einer Tagesstruktur durch<br />

das Arbeitstherapieangebot in jedem Einzelfall auch gelänge: Bei manchen<br />

Jugendlichen sei es schwierig, diese an Belastungen heranzuführen. Fraglich sei<br />

dann, ob das Arbeitstherapieangebot richtig greifen könne.<br />

Die Belastbarkeit der einzelnen KlientInnen sei sehr unterschiedlich. Dies müsse im<br />

AT- Angebot hinreichend berücksichtigt werden.<br />

Schwierigkeiten wurden auch bei der Vermittlung Jugendlicher in externe<br />

arbeitstherapeutische Angebote vermutet, da zu erwarten sei, dass manche junge<br />

Menschen lieber bei den einrichtungsintern angebotenen Arbeitstherapie-<br />

Maßnahmen bleiben wollen.<br />

Probleme wurden auch bei der Arbeitseinstellung von MitarbeiterInnen vermutet:<br />

Wenn einzelne KollegInnen im Team nicht dafür sorgten, dass Jugendliche z.B.<br />

rechtzeitig aufstünden, sei eine hinreichende Kontinuität des Arbeitstherapieangebotes<br />

nicht aufrecht zu erhalten. Das gleiche gelte für Dienstwechsel<br />

bzw. Dienstübergaben: Eine verlässliche Durchführung der Arbeitstherapie sei nur<br />

dann zu gewährleisten, wenn es eine gute Kommunikations- und Dokumentationskultur<br />

im BehandlerInnen- Team gebe.<br />

Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen gab es für den Bereich Arbeitstherapie<br />

keine.<br />

Soziale Netzwerk- und Angehörigenarbeit, Angehörigenseminare:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Zur Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit der Angehörigenarbeit<br />

gab es unterschiedliche Einschätzungen der ExpertInnen, die (wörtlich zitiert)<br />

von „kein Problem“, „personell gut umsetzbar“, „generell umsetzbar“, über<br />

„Umsetzbarkeit ist gegeben, aber eventuell schwierig“, „Umsetzbarkeit ist<br />

problematisch“, bis hin zu „im Regelbetrieb nicht leistbar“ reichten.<br />

- 140 -


Eine gute Umsetzbarkeit wurde vermutet, wenn Eltern bzw. Angehörige engagiert<br />

mitarbeiteten. Vermutet wurde, dass einkommensschwächere Eltern weniger<br />

motiviert seien als „gesunde Mittelstandsfamilien“, mit denen es „einfacher“ sei, „ins<br />

Gespräch zu kommen“.<br />

Eine InterviewpartnerIn vertrat den Standpunkt, dass die MitarbeiterInnen für die<br />

Probleme der Jugendlichen und nicht für die der Eltern zuständig seien. Außerdem<br />

halte sie die personelle Ausstattung für zu gering, um Angehörigenseminare<br />

durchführen zu können und die MitarbeiterInnen für überfordert mit dieser Aufgabe.<br />

Beurteilung und Nutzen: Beurteilt wurde die soziale Netzwerkarbeit als „wesentlich“,<br />

„eminent wichtig“, „sehr gut“, bzw. als „elementar wichtig für den gesamten<br />

Therapieprozess“. Die ExpertInnen schätzten den Nutzen als „sehr hoch“ bzw. als<br />

„groß“ ein und zwar sowohl für den einzelnen Jugendlichen, als auch insgesamt für<br />

das Gelingen der Therapie.<br />

Im Einzelnen wurde der Nutzen wie folgt beschrieben: Eltern erlebten, dass sie mit<br />

ihren Fragen und Problemen nicht alleine gelassen würden. Sie erhielten Hilfestellungen<br />

und Werkzeuge, mit denen sie den Umgang mit ihren Kindern verbessern<br />

könnten.<br />

Elternschulungen und Informationsvermittlungen an die Eltern würden möglich.<br />

Wichtig sei die Elternarbeit vor allen Dingen auch dann, wenn das Ziel der<br />

Jugendhilfemaßnahme die Rückführung des/ der Jugendlichen in seine/ ihre Familie<br />

sei.<br />

Weiterhin wurde hervorgehoben, dass die Eltern für ihre Kinder besonders wichtige<br />

Bezugspersonen seien. Positive Veränderungen im Leben eines jungen Menschen<br />

seien nur dann zu erwarten, wenn auch Elternarbeit stattfinde.<br />

Außerdem könne das Ziel der Reintegration des jungen Menschen in die Gesellschaft<br />

nur dann gelingen, wenn das soziale Netzwerk, Familie und Angehörige mit in den<br />

Therapieprozess eingebunden würden. Wenn soziale Peer- Gruppen durch die<br />

Eltern- und Angehörigenarbeit nicht erreicht würden, erschwere dies die Reintegration<br />

des jungen Menschen in die Gesellschaft.<br />

Großer Nutzen wurde auch darin gesehen, dass viele Probleme mit Jugendlichen im<br />

Jugendhilfealltag im gemeinsamen Austausch und in Absprache mit den Eltern gelöst<br />

werden könnten.<br />

Durch die Angehörigenarbeit werde wechselseitiges besseres Verstehen befördert.<br />

Eltern bekämen die Chance, Störungen bzw. Erkrankungen ihrer Kinder besser<br />

verstehen zu können, und MitarbeiterInnen der Einrichtung erlangten ein besseres<br />

Verständnis des jungen Menschen und seiner Familie. Durch eine Ergänzung der<br />

pädagogischen Perspektive um die Perspektive der Eltern und Angehörigen könne<br />

der Blickwinkel auf den jungen Menschen erweitert und damit ein vertiefendes<br />

Verstehen erzielt werden.<br />

- 141 -


Ein weiterer Nutzen der Angehörigenseminare wurde auch in der Pflege guter<br />

Kontakte/ Beziehungen zu den Eltern und in der Ausstrahlung dieser<br />

Beziehungspflege auf die Jugendhilfearbeit gesehen: Eine gute Verbindung zu den<br />

Eltern sei auch eine Voraussetzung dafür, mit den Jugendlichen gut arbeiten zu<br />

können. Darüber hinaus erhielten Eltern im Rahmen von Angehörigenseminaren die<br />

Möglichkeit, sich auch untereinander auszutauschen. So könnten sie ihre Themen,<br />

nämlich die Themen, die sie interessierten, beträfen oder belasteten, miteinander<br />

besprechen. Dies führe zu Erfahrungen der Entlastung, der Solidarität, der<br />

Unterstützung und der Selbsthilfe.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Das Finden von Anknüpfungspunkten für Arbeitsbündnisse<br />

mit Eltern könne sich dort problematisch gestalten, wo Eltern wenige oder<br />

keine Ressourcen mitbrächten. Elternarbeit könne bei nicht kooperativen Eltern auch<br />

eine schwere Herausforderung sein. Mehrfach wurden zu erwartende Kosten- und<br />

Logistikprobleme bei den Eltern benannt, die überregional zu Angehörigenseminaren<br />

anreisen müssten (Probleme mit Anreise und Abreise): Fraglich sei hier<br />

insbesondere, wo Eltern/ Angehörige übernachten könnten, wenn die Anreise einen<br />

Tag früher erfolgen müsse und ob alle Eltern Fahrt- und ggf. auch noch<br />

Übernachtungskosten selber tragen könnten. Es wurde in diesem Zusammenhang<br />

die Vermutung geäußert, dass Eltern, die lange Anreisewege in Kauf nehmen<br />

müssten oder wenig Geld zur Verfügung hätten, nicht zu den Seminaren kommen<br />

könnten. Mehrere ExpertInnen wiesen darauf hin, dass Elternarbeit auch<br />

aufsuchende Arbeit sein müsse („mindestens einen Besuch im Elternhaus des<br />

Jugendlichen einplanen“).<br />

Erschwerend für die Angehörigenarbeit könne auch der soziale Hintergrund der<br />

Elternhäuser sein: „Mittelschicht- Eltern“ seien meist interessiert an Informationen und<br />

an der Entwicklung ihres Kindes. Sie suchten auch für sich selber Hilfe und hätten<br />

Fragen zu der Erkrankung ihres Kindes, während Eltern aus „Prekariatsfamilien“ sich<br />

häufig desinteressiert und unkooperativ zeigten. Oft gebe es auch junge Menschen,<br />

die von ihren Familien stark ausgegrenzt würden. Diese Familien müsse man<br />

wenigstens einmal in ihrer häuslichen Umgebung aufsuchen, um ein Gefühl dafür zu<br />

bekommen, wie der familiäre Hintergrund beschaffen sei. Es müssten möglichst viele<br />

Informationen über die familiären Zusammenhänge gesammelt werden, um den<br />

jungen Menschen und seine Erkrankung besser verstehen zu können.<br />

Eine interviewte ExpertIn empfahl, das Angebot von Angehörigenseminaren zu<br />

streichen und stattdessen Elternnachmittage ohne Seminarcharakter anzubieten.<br />

Eine weitere interviewte ExpertIn gab die Rückmeldung, dass MitarbeiterInnen mit<br />

der Durchführung von Angehörigenseminaren überfordert seien. Solche Seminare<br />

seien deshalb nicht leistbar und nicht umsetzbar.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Ergänzend wurde vorgeschlagen,<br />

ausdrücklich auch Peer- Gruppen mit in die Netzwerkarbeit einzubeziehen: Die<br />

Reintegration des jungen Menschen in die Gesellschaft könne nämlich sehr<br />

erschwert werden, wenn sich in Bezug auf die alten sozialen Kontakte und das<br />

bisherige soziale Umfeld nichts verändere.<br />

Als Methode in der Angehörigenarbeit wurde von einer ExpertIn das Video- Home-<br />

Training als besonders gut geeignet empfohlen.<br />

- 142 -


Sporttherapeutisches Angebot:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Die Einschätzungen der ExpertInnen reichten von „keine<br />

Probleme bei der Umsetzung“, „gut leistbar“, über „nur umsetzbar, wenn eine<br />

MitarbeiterIn bei der Durchführung des Sportprogramms anwesend ist“, bis hin zu<br />

„schwer umsetzbar mangels Motivation der meisten Jugendlichen“.<br />

Mehrheitlich wurde vorgeschlagen, dass eine diensthabende MitarbeiterIn das<br />

Sportprogramm anleiten bzw. mit durchführen sollte, da sonst Probleme in Bezug auf<br />

die Durchführbarkeit zu erwarten seien.<br />

Weiterhin wurde angemerkt, dass Sportangebote mit nur einer diensthabenden<br />

MitarbeiterIn nur dann umsetzbar seien, wenn diese für alle Jugendlichen<br />

verpflichtend gemacht würden. Wenn Sportangebote hingegen nur für einen Teil der<br />

Gruppe verpflichtend wären, müssten während deren Durchführung Doppeldienste<br />

vorgehalten werden.<br />

Eine weitere ExpertInnenrückmeldung betraf die Verfügbarkeit von Räumen und<br />

Sportanlagen: Umsetzbar seien Sportangebote auch in Abhängigkeit von der<br />

Verfügbarkeit solcher Gegebenheiten. Eine ExpertIn wies darauf hin, dass die<br />

Umsetzbarkeit stark von der Motivation der Jugendlichen abhänge: Bei mangelnder<br />

Motivation werde das Angebot „nur mit Druck gehen und dann bringt es nichts“.<br />

Beurteilung und Nutzen: Die ExpertInnen beurteilten das sporttherapeutische<br />

Angebot insgesamt als gut („ganz tolle Angelegenheit“, „sehr gut“, „ein wichtiges<br />

Angebot“).<br />

Den Nutzen sahen sie in der Förderung motorischer Entwicklungen, der<br />

Verbesserung der Körperwahrnehmung, der Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein<br />

und von sinnvoller Freizeitbeschäftigung, der Verbesserung der<br />

Gruppendynamik, der interaktiven Förderung sozialer Kompetenzen, der Steigerung<br />

körperlichen Wohlbefindens, der Verbesserung der körperlichen Selbstwahrnehmung<br />

und Körperkoordination, sowie in der Steigerung von Ausgeglichenheit, Belastbarkeit<br />

und Lebensfreude.<br />

Die Jugendlichen würden durch Sport dabei unterstützt, „den Kopf frei zu kriegen“,<br />

sich körperlich zu verausgaben, etwas zu leisten und darüber Zufriedenheit zu<br />

erlangen.<br />

Für viele Jugendliche, die „so gut wie gar nichts tun möchten“, sei dies ein wichtiges<br />

Angebot, „um wieder etwas in Bewegung zu bringen“.<br />

Weiterhin wurde benannt, dass das Sportangebot förderliche Auswirkungen auf den<br />

gesamten Therapieprozess entfalte.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Schwierigkeiten wurden vor allem in zwei<br />

unterschiedlichen Bereichen vermutet, nämlich einerseits Motivationslosigkeit,<br />

Antriebsarmut und passive Haltungen bei der Zielklientel und andererseits<br />

organisatorische-, sowie personelle Probleme bei den MitarbeiterInnen.<br />

- 143 -


In Bezug auf organisatorische Probleme wurde ausgeführt: Je nach individuellem<br />

Fitnesszustand und individueller Belastbarkeit müssten ganz unterschiedliche<br />

Anforderungen an die einzelnen Jugendlichen gestellt werden. Da z.B. adipöse oder<br />

psychisch kranke Jugendliche, die Psychopharmaka erhielten, häufig antriebsarm<br />

und unmotiviert seien, dürfe man bei ihnen die Leistungserwartungen und<br />

Anforderungen nicht zu hoch ansetzen. Teilweise könne hier sogar eine<br />

Einzelbegleitung erforderlich werden. Zur Durchführung und Absicherung der<br />

Angebote bedürfe es der aktiven Teilnahme durch das Personal. Dies könne sich<br />

unter dem Gesichtspunkt der Leistbarkeit jedoch im Einzelfall als schwierig<br />

herausstellen.<br />

Geklärt sein müsste auch, ob alle KollegInnen des Teams selber das Sportprogramm<br />

gut leisten könnten. Weiterhin müssten Sportangebote verbindlich festgelegt werden.<br />

Bei Freiwilligkeit wäre aufgrund der Antriebsarmut der Zielklientel mit Schwierigkeiten<br />

bei der Durchführung sportlicher Aktivitäten zu rechnen. Nicht jeder Jugendliche habe<br />

Lust, sich zu bewegen.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Eine ExpertInnenrückmeldung betraf die<br />

Modalitäten des Beitritts in einen Sportverein: Eine Vereinsmitgliedschaft sollte<br />

entweder verbindlich für alle festgeschrieben werden, oder gar nicht im Konzept<br />

erwähnt werden. Bei einer optionalen Regelung fehle es an Verbindlichkeit.<br />

Einzelgespräche:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Die Durchführbarkeit von Einzelgesprächen wurde von<br />

den ExpertInnen insgesamt als gut eingeschätzt („gut durchführbar“, „gutes und<br />

durchführbares Angebot“, „Durchführbarkeit […] ist gut und unproblematisch leistbar“,<br />

bzw. „gut leistbar“). Allerdings wurde mehrheitlich auf die Notwendigkeit von<br />

Doppeldiensten hingewiesen. Die zweite MitarbeiterIn sollte zeitgleich zum<br />

Einzelgespräch in der Gruppe zugegen sein, um diese zu beaufsichtigen. Weiterhin<br />

müsse es bei einem bestehenden Bezugsbetreuungssystem auch Regelungen<br />

bezüglich der Krankheits- und Urlaubsvertretung geben.<br />

Von einer ExpertIn wurde die Häufigkeit von Einzelgesprächen (einmal pro Woche)<br />

als zu hoch eingeschätzt. Sie empfahl eine weniger konkrete Formulierung im<br />

Konzept zugunsten einer flexibleren Handhabung der Einzelgespräche. Dies<br />

ermögliche eine Anpassung an das, was in der Praxis tatsächlich leistbar sei. Eine<br />

andere ExpertIn war genau gegenteiliger Ansicht. Sie fand ein Einzelgespräch pro<br />

Woche zu wenig.<br />

Beurteilung und Nutzen: Beurteilt wurde das Einzelgesprächs- Angebot von den<br />

ExpertInnen positiv („ein ernst zu nehmendes Beziehungsangebot“, „ein notwendiges<br />

Angebot“). Es wurde für die Zielklientel als nützlich wahrgenommen („großer Nutzen“,<br />

„hoher Nutzen“). Nützlich sei es vor allem im Hinblick darauf, dass es<br />

· die therapeutische Versorgung sicherstelle,<br />

· die Basis werden könne für eine Aufarbeitung von Entwicklungsverzögerungen<br />

und für eine positive Beeinflussung des gesamten Therapieprozesses,<br />

· zu einem besseren Verstehen der Jugendlichen führe,<br />

· das Ausleuchten von biographischen Hintergründen ermögliche,<br />

· den Aufbau einer engeren Beziehung zwischen BezugsbetreuerIn und<br />

Jugendlichem ermögliche,<br />

- 144 -


· Zeit füreinander ermögliche,<br />

· der Entwicklung von Vertrauen und Verlässlichkeit in der Beziehung zwischen<br />

BetreuerIn und Jugendlichem förderlich sei, sowie<br />

· dem einzelnen Jugendlichen eine Wahrnehmung darüber ermögliche, dass er<br />

als Individuum gesehen, wahrgenommen und ernst genommen werde.<br />

Es wurde darauf hingewiesen, dass Einzelgespräche nicht nur problemorientiert<br />

ablaufen sollten, sondern dass sie auch einfach nur der Beziehungspflege dienen<br />

könnten (z.B. „mal gemeinsam einen Kaffee trinken gehen“). Auch in einem solchen<br />

Rahmen könne man gut Perspektiven und Zielvorstellungen miteinander entwickeln.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: In organisatorischer Hinsicht wurde vorgebracht: Es<br />

brauche eine eindeutige Regelung bezüglich Zeit und Ort der Durchführung von<br />

Einzelgesprächen. Störungen und Unterbrechungen müssten unterbunden werden.<br />

Es sollten keine Gespräche „zwischen Tür und Angel“ geführt werden.<br />

Weiterhin brauche es Zeit sowohl für das Gespräch selbst, als auch für dessen Vorund<br />

Nachbereitung.<br />

Darüber hinaus müsse sichergestellt sein, dass Einzelgespräche in der<br />

vorgesehenen Häufigkeit auch dann durchgeführt werden könnten, wenn einzelne<br />

MitarbeiterInnen im Urlaub seien.<br />

Auf der Beziehungsebene wurde als Problem benannt, dass Jugendliche, wenn sie<br />

„einen schlechten Tag“ hätten, ein Einzelgespräch verweigern könnten. Wenn die<br />

MitarbeiterIn dann auf einer Durchführung des Gesprächs bestehe, könne dies die<br />

Beziehung zusätzlich belasten.<br />

Auf der Teamebene sei eine gute Kommunikationskultur wichtig, um eventuellen<br />

Spaltungstendenzen vorzubeugen.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Eine ExpertIn vertrat die Ansicht, dass<br />

eine Stunde Einzelgespräch pro Woche deutlich zu niedrig angesetzt sei. Sie empfahl<br />

eine tägliche Durchführung von Einzelgesprächen, die u.a. Tagesreflexionen und<br />

Tagesprotokolle enthalten sollten, die miteinander nachbesprochen werden könnten.<br />

Ein anderer Veränderungsvorschlag betraf den formalen Rahmen für Einzelgespräche:<br />

Diese sollten nicht in einem „so starren Rahmen“ stattfinden. Günstiger<br />

sei eine eher beiläufige und alltagsbezogene Durchführung, z.B. im Rahmen des<br />

Einzelkochens mit einer PädagogIn. Dies ermögliche einen zwangloseren,<br />

natürlicheren und lockereren Gesprächsrahmen, als formal in einem Büro oder<br />

Therapieraum zu sitzen.<br />

Eine weitere Änderung wurde hinsichtlich des BezugspädagogInnen- Systems<br />

angeregt: Einzelgespräche müssten nicht zwingend nur von der jeweiligen<br />

BezugspädagogIn durchgeführt werden. Sie könnten auch auf das gesamte Team<br />

verteilt werden. Bei Nicht- BezugspädagogInnen seien Jugendliche gelegentlich<br />

spontan freier, offener, lockerer und unbefangener.<br />

- 145 -


Ergänzend wurde vorgetragen: Es sollten gleich zu Beginn der Beziehung<br />

Absprachen darüber getroffen werden, dass regelmäßige Einzelgespräche<br />

verbindlich vorgesehen seien in Verbindung mit einer flexiblen Einigung darüber, wie<br />

verfahren werden könne, wenn der/ die Jugendliche sich einmal nicht auf ein<br />

Einzelgespräch einlassen könne.<br />

Gruppentherapie und Indikativgruppen:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Zur Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit von Gruppentherapien<br />

und Indikativgruppenangeboten gab es von den ExpertInnen<br />

unterschiedliche Einschätzungen: Grundsätzlich wurde eine Durchführbarkeit im<br />

Rahmen von Doppeldiensten für „gut möglich“ bzw. „gut machbar“ gehalten, wenn<br />

dieses Angebot „verpflichtend“ bzw. „verbindlich für alle Jugendlichen“ vorgesehen<br />

sei. Dann könne das Angebot im Gruppenalltag gut etabliert werden. Ließe man bei<br />

der Teilnahme hingegen Unregelmäßigkeiten zu, werde man das Gruppentherapieangebot<br />

mittelfristig mangels Teilnehmer nicht aufrechterhalten können.<br />

Eine InterviewpartnerIn differenzierte dahingehend, ob das Gruppenangebot bei der<br />

Zielklientel gut ankomme oder nicht. Für den erstgenannten Fall wurde vermutet,<br />

dass das Angebot auch ohne Doppeldienste durchgeführt werden könne. Sei das<br />

Gruppentherapieangebot jedoch nicht für alle Jugendlichen zeitgleich verpflichtend,<br />

oder gebe es Motivationsprobleme bei einzelnen Jugendlichen, müsse die<br />

Gruppentherapie im Rahmen von Doppeldiensten erfolgen. Einer bzw. Eine aus dem<br />

Team sei dann für die Durchführung des Gruppentherapieangebotes zuständig, der<br />

bzw. die Andere müsse sich um den Rest der Gruppe kümmern. Ähnlich<br />

argumentierte eine andere ExpertIn, die auf das Interesse der Jugendlichen abstellte:<br />

Die Themen in den Gruppentherapieangeboten müssten für die Jugendlichen auch<br />

relevant sein, sonst sei mangels Interesse mit Problemen bei der Umsetzbarkeit zu<br />

rechnen.<br />

Weiterhin wurde zur Leistbarkeit angemerkt, dass qualifiziertes Personal vorgehalten<br />

werden müsse, das sich mit der Suchtthematik auskenne.<br />

Eine weitere ExpertIn vermutete, dass eine Durchführung von gruppentherapeutischen<br />

Angeboten innerhalb der Wohngruppe „eher negativ“ sei. Separate<br />

Räumlichkeiten für die Gruppentherapien seien günstiger, da sich innerhalb der<br />

Gruppenräumlichkeiten „zu viele Gefühlsebenen und Alltag“ miteinander vermischten.<br />

Beurteilung und Nutzen: Das gruppentherapeutische Angebot wurde von den<br />

ExpertInnen positiv beurteilt (Gruppentherapie ist „ein Muss, eine Notwendigkeit“, ein<br />

„wesentliches und wichtiges Element“; „guter Nutzen“).<br />

Der Nutzen wurde darin gesehen, dass junge Menschen lernen könnten, gruppenfähig<br />

zu werden, sich in Gruppen angemessen zu verhalten, sich einzubringen,<br />

Verantwortung zu übernehmen, Solidarität zu erfahren, Akzeptanz und Nachsozialisation<br />

zu erleben, sowie, ganz allgemein, Sozialverhalten zu trainieren.<br />

Ein weiterer Nutzen wurde darin erkannt, dass die Gruppe gestärkt werde. Jeder<br />

kriege von jedem relativ viel mit. Zusammenhänge könnten geklärt werden (z.B.<br />

Sucht und Aggressivität, Sucht und Enthemmung), die Jugendlichen könnten viel<br />

voneinander lernen und sich so besser kennen und einschätzen lernen.<br />

- 146 -


Die Einzelnen könnten sensibilisiert werden für Gefährdungen, z.B. für Rückfallgefahren.<br />

Außerdem könne Leidensdruck reduziert werden: Die Selbstdarstellung und Selbstinszenierung<br />

von Jugendlichen im Rahmen eines gruppentherapeutisch angeleiteten<br />

und kontrollierten Settings sei ehrlicher und realitätsnäher, als in einem<br />

unkontrollierten, therapeutisch nicht angeleiteten Gruppensetting, in dem ständig ein<br />

Image zur Schau gestellt werde, das nicht dem Selbsterleben entspräche, wodurch<br />

„großer Leidensdruck“ entstehe.<br />

Darüber hinaus könnten agierende Jugendliche im Rahmen von Gruppentherapie gut<br />

eingegrenzt und „in ihre Schranken verwiesen werden“.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: In Gruppentherapien müssten alle Beteiligten die<br />

Möglichkeit eröffnet bekommen, mitreden zu können. Dies könne in mehrfacher<br />

Hinsicht problematisch werden: Zum einen gebe es unterschiedliche intellektuelle<br />

Niveaus bei den jungen Menschen. Manche könnten sich besser äußern als andere.<br />

Hier müsse der therapeutische Gruppenprozess gut beobachtet und moderiert<br />

werden, damit sich jeder auf seine Art gleichberechtigt einbringen könne.<br />

Zum anderen könnten vor dem Hintergrund unterschiedlicher Störungsbilder in der<br />

Praxis nicht immer alle gleichermaßen von einer indikativen Gruppe profitieren. Nicht<br />

immer seien alle Störungsbilder in ein spezifisch indikatives gruppentherapeutisches<br />

Angebot integrierbar.<br />

Außerdem könne man nicht immer „so viele auf einen Haufen haben“. Hier solle eine<br />

flexible Handhabung möglich sein, dass nicht immer alle Jugendlichen zur Teilnahme<br />

an einer durchzuführenden Indikativgruppe verpflichtet seien. Gruppen sollten eher<br />

klein gehalten werden.<br />

Eine weitere ExpertIn äußerte in diesem Zusammenhang Bedenken, dass es auf<br />

Grund der Vielzahl unterschiedlicher Störungsbilder zu einer schwierigen Gruppendynamik<br />

kommen könnte. Ganz ähnlich äußerte sich eine ExpertIn, die es für<br />

wünschenswert hielt, dass Gruppentherapiestunden möglichst von zwei<br />

MitarbeiterInnen durchgeführt werden sollten, die sich gegenseitig helfen könnten,<br />

„wenn die Gruppe auf den einzelnen Kollegen losgeht“.<br />

Ein anderes Problem wurde bei den zeitlichen Ressourcen für die Vorbereitung von<br />

Gruppentherapien gesehen: Die durchführende PädagogIn könne sich nicht einfach<br />

unvorbereitet in eine Gruppentherapiestunde setzen „und keine Ahnung haben, was<br />

jetzt läuft“. Sie müsse sich vorbereiten. Hierfür brauche es Vorbereitungszeit. Diese<br />

Arbeitszeit könne nicht im Rahmen der Gruppendienstzeiten verortet sein. Es müsse<br />

für die Vorbereitung vielmehr zusätzliche Arbeitszeit eingeplant und freigestellt<br />

werden, oder die durchführende Person müsse Arbeitsmaterial gestellt bekommen/<br />

„auf die Hand bekommen“, mit dem sie direkt arbeiten könne.<br />

Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen gab es für den Bereich Gruppentherapie<br />

und Indikativgruppen keine.<br />

- 147 -


Besuch von Selbsthilfegruppen:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Zur Umsetzbarkeit von Selbsthilfegruppenbesuchen gab<br />

es folgende Rückmeldungen der ExpertInnen: Als unproblematisch umsetzbar wurde<br />

der Selbsthilfegruppenbesuch dann eingeschätzt, wenn bei den Jugendlichen ein<br />

eigenes Interesse vorliege, bzw. eine eigene Motivation gegeben sei. Es wurde<br />

vorgeschlagen, zumindest in der Initialphase den Besuch von Selbsthilfegruppen<br />

pädagogisch zu begleiten, wofür Doppeldienste erforderlich wären. Weiterhin wurde<br />

darauf hingewiesen, dass Selbsthilfegruppen möglichst ortsnah vorhanden sein<br />

müssten.<br />

Probleme bei der Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit wurden vermutet, wenn bei den<br />

Jugendlichen eine gewisse Reife und Fähigkeit zur Selbstorganisation, sowie die<br />

Fähigkeit, bei Themen „am Ball zu bleiben“, fehle. Eine ExpertIn gab an, die<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Selbsthilfegruppenangebotes nicht einschätzen zu<br />

können, da es ihr diesbezüglich an Erfahrungswissen fehle.<br />

Beurteilung und Nutzen: Die ExpertInnen beurteilten das Angebot positiv („wichtig“,<br />

„muss umgesetzt werden“, „sehr, sehr gut, muss man benutzen“, „ausgezeichnete<br />

Idee“, „sehr gutes, das gesamte Therapiekonzept abrundendes Angebot“).<br />

Der Nutzen wurde hoch veranschlagt („hoher Nutzen“, „hervorragender Nutzen“) und<br />

inhaltlich wie folgt beschrieben: Wenn Jugendliche mit Menschen ins Gespräch<br />

kämen, die eine ähnliche Geschichte hätten, könnten sie davon profitieren. Bei einem<br />

regelmäßigen Besuch der Selbsthilfegruppe bestehe ein hoher Nutzen in Bezug auf<br />

Prävention und Rückfallprophylaxe.<br />

Die Selbsthilfegruppen böten einen Rahmen für betroffene Jugendliche, sich intensiv<br />

mit den eigenen Problemthemen auseinanderzusetzen. Außerdem kämen betroffene<br />

Jugendliche auch einmal aus der Einrichtung raus. Dies könne auch hilfreich im<br />

Hinblick auf eine spätere Verselbständigung sein. Die „Selbsthilfegruppe kann auch<br />

eine Brücke darstellen in den späteren Alltag […] nach Beendigung der<br />

Jugendhilfemaßnahme“.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Hier wurden von den ExpertInnen vor allem drei<br />

Gruppen von Problemen benannt, nämlich<br />

· finanzielle, logistische und personelle Probleme;<br />

· motivationale Probleme;<br />

· Kontrollprobleme.<br />

Finanzielle, logistische und personelle Probleme: Manche Selbsthilfegruppenbesuche<br />

seien kostenpflichtig, so z.B. Programme der Gewaltprävention. Hier müsse geklärt<br />

werden, wer die Kosten trage, bzw. ob es Budgets gebe, die eine Finanzierung<br />

zuließen.<br />

Weiterhin gebe es nicht für alle Bedarfe wohnortnah Selbsthilfegruppen. Dies könne<br />

zu logistischen und personellen Problemen führen. Falls Selbsthilfegruppen nicht<br />

ohne weiteres zu erreichen seien, müssten Jugendliche dort hin und auch wieder<br />

zurück gebracht werden. Für solche Fahrten müsse ggf. Personal zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

- 148 -


Als weiteres Problem wurde benannt, dass bei zu geringer personeller Präsenz<br />

Jugendliche versuchen könnten, das Angebot zu umgehen.<br />

Motivationale Probleme: Denkbar seien Schwellenängste und motivationale Probleme<br />

bei Jugendlichen, die den regelmäßigen Besuch von Selbsthilfegruppen erschweren<br />

bzw. in Frage stellen könnten.<br />

Bei Motivationsproblemen wäre es auch nicht hilfreich, mit Ausübung von Druck zu<br />

reagieren: Unter Zwang „werden die Jugendlichen das Angebot von Selbsthilfegruppen<br />

nicht nutzen“.<br />

Kontrollprobleme: Bei volljährigen jungen Menschen wurde ein Problem fehlender<br />

Kontrolle vermutet. Selbsthilfegruppen würden häufig auf Rückfragen, ob der junge<br />

Mensch die Gruppe tatsächlich besucht habe, nicht antworten wegen des<br />

Datenschutzes bzw. wegen der Schweigepflicht. So könne unklar bleiben, ob der<br />

junge Mensch tatsächlich die Selbsthilfegruppe besuche oder nicht.<br />

Ein weiteres Problem wurde darin vermutet, dass manche Jugendliche ein Selbstbild<br />

haben könnten, das es nicht zulasse, sich auf Selbsthilfegruppen einzulassen.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: Ergänzend wurde angemerkt, dass es<br />

hilfreich sein könnte, Selbsthilfegruppen auch hinsichtlich anderer gegebener Bedarfe<br />

zu nutzen, z.B. in Bezug auf Programme der Gewaltprävention.<br />

Abendrunden:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit: Die Leistbarkeit der Abendrunden wurde von den<br />

interviewten ExpertInnen in der vorliegenden Form überwiegend in Frage gestellt. Sie<br />

hielten das Angebot für schwer durchführbar („Abendrunden zu vorgerückter Stunde<br />

halte ich für unrealistisch“, bzw. „nicht sinnvoll“, „nicht gut umsetzbar“, „Leistbarkeit/<br />

Umsetzbarkeit ist ungünstig“).<br />

Vor allem wurde die im Konzept vorgesehene Uhrzeit für dieses Angebot bemängelt.<br />

Die Zeit sei ungünstig, weil sie „Feierabend, Freizeit, Fernsehzeit“ sei. In dem<br />

Rahmen, wie die Abendrunden im Konzept geplant worden seien, seien sie deshalb<br />

nicht sinnvoll.<br />

Nur eine interviewte ExpertIn hielt die Abendrunden für gut durchführbar und sah hier<br />

keine Probleme.<br />

Beurteilung und Nutzen: In einem anderen zeitlichen als dem vorgesehenen Rahmen<br />

wurde der Nutzen der Abendrunde sehr positiv beurteilt („ganz ganz riesig großer<br />

Nutzen“, „wenn das klein und knackig gestaltet ist, ist der Nutzen hoch“, „hoher<br />

Nutzen“, „finde ich gut“, bzw. „die Idee der Abendrunde ist gut“).<br />

Der Nutzen wurde wie folgt beschrieben: Das Angebot ermögliche eine Reflexion<br />

über den Tag. Lernerfolge könnten ressourcenorientiert herausgestellt werden. Den<br />

Jugendlichen könnten positive Feedbacks gegeben werden, was deren Selbstvertrauen<br />

aufbaue und stärke.<br />

Weiterhin seien Regelmäßigkeit, sowie thematische Schwerpunktsetzungen wichtig.<br />

- 149 -


Ein weiterer Nutzen wurde darin gesehen, dass gerade neue Jugendliche über die<br />

Abendrunden „Regeln, ungeschriebene Gesetze, Traditionen und Rituale“ der<br />

Gruppe kennenlernen, sich orientieren und sich hierdurch gut in die Gruppe einfinden<br />

könnten.<br />

Probleme und Schwierigkeiten: Mehrfach wurde betont, dass der vorgesehene<br />

Zeitrahmen für die Abendrunden ungünstig sei. Die Uhrzeit erzeuge Druck bei den<br />

Jugendlichen und löse Widerstand aus. Jugendliche könnten „aufgebracht“ reagieren.<br />

Außerdem seien diejenigen Jugendlichen, die Psychopharmaka nehmen müssten,<br />

gegen 20:30 Uhr schon zu müde, um konzentriert mitarbeiten zu können. Eine<br />

ExpertIn stellte außerdem die vorgesehene Häufigkeitsfrequenz der Abendrunden in<br />

Frage: Jeden Tag sei zu häufig. Das werde Jugendliche und PädagogInnen „nur<br />

nerven“ und werde dann von den Jugendlichen „nicht mehr ernst genommen“.<br />

Weiterhin wurden Motivationsprobleme bei den Jugendlichen vermutet. Um diesen<br />

gegenzusteuern, müsse man die Abendrunden attraktiv gestalten, „um die Motivation<br />

hoch zu halten“.<br />

Ergänzungen, Änderungen, Streichungen: An Änderungen wurde mehrfach angeregt,<br />

die Abendrunde im Kontext des gemeinsamen Abendessens durchzuführen. So sei<br />

sie besser in den Alltag integrierbar. Sie könne in Form einer kurzen „Befindlichkeitsrunde“<br />

bzw. „Positivrunde“ durchgeführt werden. In diesem Rahmen könne abgefragt<br />

werden, was gut bzw. nicht so gut gelaufen sei. Schwerpunktmäßige Fragestellungen<br />

nach dem, was am Tag gut oder zufriedenstellend gewesen sei, bzw. worauf der<br />

Jugendliche stolz sei, würden ermutigend wirken und den Selbstwert des jungen<br />

Menschen stärken. Ergänzend dazu wurde vorgeschlagen, zusätzlich zu solchen<br />

Abendrunden einmal in der Woche eine Gesprächsrunde zu installieren, in der die<br />

PädagogInnen gegenüber den Jugendlichen und die Jugendlichen gegenüber den<br />

PädagogInnen Feedback (gute und kritische Rückmeldungen) geben könnten. Eine<br />

andere interviewte ExpertIn regte an, eine solche Feedback- Runde „jeden Sonntag<br />

beim Frühstück“ abzuhalten.<br />

Eine ExpertIn schlug vor, die Abendrunden nur zwei bis drei Mal in der Woche durchzuführen.<br />

Eine weitere ExpertIn empfahl, das Angebot der Abendrunde gänzlich aus dem<br />

Konzept zu streichen, da es „zu spät“ erfolge und mit „zu viel Überwachung“ der<br />

Jugendlichen verbunden sei.<br />

6.5.3 Ergebnisdarstellung der Interviewauswertungen des abschließenden<br />

Fragenteils<br />

Ergänzungen, Anmerkungen und weitere Ideen:<br />

Zur Finanzierbarkeit des Konzeptes wurde angemerkt, dass mit einem vergleichsweise<br />

hohen Personalschlüssel gearbeitet werde. Dadurch sei das Leistungsangebot<br />

für die Jugendämter teuer. Da teure Maßnahmen eher gemieden würden, könne dies<br />

unter Umständen Belegungsengpässe in der WG nach sich ziehen. Deshalb müsse<br />

im Rahmen der Entgeltvereinbarungen mit den Jugendämtern diskutiert und sondiert<br />

werden, ob die Maßnahme überhaupt finanziert werde.<br />

- 150 -


Zur Markttauglichkeit des Konzeptes wurde die Einschätzung geäußert, dass eine<br />

Wohngruppe, die nach dem vorgelegten Konzept arbeite, gut nachgefragt sein<br />

müsste. Der Bedarf für ein solches Therapieangebot sei vorhanden und könne mit<br />

dem Konzept gut bedient werden.<br />

Eine ExpertIn regte an, die Jugendämter verstärkt in den therapeutischen Prozess mit<br />

einzubeziehen. Dies könne geschehen durch Meldungen der Jugendlichen einmal im<br />

Monat per E- Mail an den bzw. die Fallzuständige(n) beim Jugendamt. In den Mails<br />

könnten die Jugendlichen kurz mitteilen, welche Ziele sie innerhalb des letzten<br />

Monats erreicht hätten und woran sie gerade arbeiteten. Ergänzt werden könnten<br />

diese Rückmeldungen durch begleitende Mails der pädagogischen MitarbeiterInnen.<br />

Dies helfe den Fallzuständigen bei den Jugendämtern dabei, zeitnäher über aktuelle<br />

Entwicklungen der Jugendlichen informiert zu sein, als lediglich Rückmeldungen im<br />

Rahmen von Hilfeplankonferenzen zu erhalten, die in der Regel nur halbjährlich<br />

stattfinden.<br />

Ergänzend zum Konzept wurde angemerkt, dass Regeln aufgestellt werden müssten<br />

zum Umgang miteinander in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe.<br />

Zur Qualifikation der MitarbeiterInnen erfolgte eine Rückmeldung, dass das<br />

eingesetzte Personal am besten über Praxiserfahrung im Umgang mit Doppeldiagnosen<br />

verfügen sollte. Weiterhin wurde ein hohes Maß an Beziehungsfähigkeit<br />

beim Personal gefordert. Eine hohe Belastbarkeit und Flexibilität in Bezug auf die<br />

Fähigkeit zur Regulation von Nähe und Distanz wurde für erforderlich und sinnvoll<br />

gehalten.<br />

Eine ExpertIn schlug vor, sich Möglichkeiten offen zu halten, Therapiepläne zu<br />

individualisieren. Es gehe bei der Therapieplanung auch darum zu berücksichtigen,<br />

was der einzelne Jugendliche tatsächlich leisten könne. Eine ExpertIn regte an,<br />

weitere Betätigungen, die individuell Spaß, Freude und Befriedigung bereiteten,<br />

ebenfalls in den individuellen Therapieplan zu integrieren (z.B. Mitgliedschaft in einer<br />

Band).<br />

Eine ExpertIn monierte, dass im Konzept das Leitbild fehle (z.B. „Wir sind Diakonie.<br />

Wir helfen Leuten in Notlagen“). Abschließend bemerkte eine ExpertIn, dass<br />

Konzepte nie „eins zu eins umzusetzen [seien] in der realen Welt“. Sie schlug<br />

deshalb vor, regelmäßige Konzeptevaluationen und ggf. Konzeptnachbesserungen<br />

und Anpassungen an die Praxis durchzuführen.<br />

Streichungen:<br />

Mehrheitlich gaben die interviewten ExpertInnen Rückmeldungen zum Gesamtkonzept,<br />

dass die Grenzen des Machbaren mehr beachtet werden und den<br />

Jugendlichen mehr Freizeit eingeräumt werden müsse („Wie sollen die Jugendlichen,<br />

wie sollen die Mitarbeiter das alles leisten?“; „Wochenplan ausdünnen“; „Der<br />

Wochenplan ist zu eng gestrickt“, bzw. „zu dicht“).<br />

Die Jugendlichen müssten zu viel leisten und bräuchten mehr Freizeit, Pausen,<br />

Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten. Diesen Bedürfnissen müsse mehr Rechnung<br />

getragen werden. Empfohlen wurde, „Überfrachtungen“ des Konzeptes mit zu vielen<br />

Therapiebausteinen besonders im Abendbereich, auszudünnen. Hier gelte: „Weniger<br />

ist mehr“.<br />

- 151 -


6.6 Beantwortung der Forschungsfragen<br />

Nach der ausführlichen Darstellung der Interviewergebnisse, die zu allen Therapiemodulen<br />

des Konzeptes die Vor- und Nachteile aus der Sicht der befragten<br />

ExpertInnen aufführen, sowie die daraus abgeleiteten Veränderungsvorschläge<br />

darlegen, kann nun dazu übergegangen werden, die Forschungsfragen zu<br />

beantworten.<br />

Forschungsfrage 1: Ist das vorliegende Therapiekonzept für die stationäre<br />

Jugendhilfepraxis geeignet und umsetzbar?<br />

Forschungsfrage 1 ist differenziert zu beantworten.<br />

Zunächst sind die Geeignetheit des Therapiekonzeptes für die stationäre<br />

Jugendhilfepraxis aus Sicht der ExpertInnen, sowie die in diesem Zusammenhang zu<br />

erwartenden Probleme und die zugehörigen Lösungsvorschläge zu erfassen und<br />

vorzustellen. Die Geeignetheit spezifisch für den stationären Jugendhilfekontext<br />

berührt dabei eher grundsätzliche Fragen typischer Rahmenbedingungen und<br />

Gegebenheiten, in denen sich die Praxis der Jugendhilfe vollzieht und innerhalb derer<br />

das vorgelegte Konzept sich einpassen und bewähren können muss.<br />

Davon abzuheben ist die Frage nach der Leistbarkeit bzw. Umsetzbarkeit des<br />

Konzeptes, die eher auf dessen Praxistauglichkeit im stationären Jugendhilfealltag<br />

abstellt.<br />

6.6.1 Geeignetheit des Konzeptes<br />

Für die Geeignetheit des Konzeptes fasst die folgende Tabelle 1 die Rückmeldungen<br />

der interviewten ExpertInnen zusammen:<br />

- 152 -


Tabelle 1a<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Probleme<br />

Lösungsvorschläge<br />

Wirtschaftlichkeit der<br />

Wohngruppe<br />

Der vorgesehene<br />

Personalschlüssel könnte nicht<br />

bezahlbar sein<br />

Im Rahmen von<br />

Entgeltvereinbarungen mit<br />

Jugendämtern klären, ob die<br />

Finanzierbarkeit sichergestellt<br />

werden kann<br />

Wirtschaftlichkeitsprobleme in der<br />

Startphase: Arbeit mit vollem<br />

Personalschlüssel bei noch nicht<br />

gegebener Vollbelegung der<br />

Wohngruppe<br />

Es kann noch nicht kostendeckend<br />

gearbeitet werden<br />

Absprachen mit dem Vorstand/<br />

der Leitung der<br />

Gesamteinrichtung treffen<br />

Qualifikation der<br />

MitarbeiterInnen<br />

Komplexe Anforderungen im<br />

Berufsfeld<br />

MitarbeiterInnen sollten über<br />

Praxiserfahrung im Umgang mit<br />

Doppeldiagnosen verfügen,<br />

sowie belastbar und<br />

beziehungsfähig sein<br />

Administrative und<br />

bürokratische Verpflichtungen<br />

bzw. Dienstobliegenheiten der<br />

MitarbeiterInnen<br />

Arbeitsverträge<br />

Die hohe und zeitintensive<br />

administrative Belastung der<br />

MitarbeiterInnen könnte die<br />

Umsetzung der vielen<br />

Therapiemodule erschweren<br />

Arbeitszeiten könnten zu unflexibel<br />

gestaltet sein<br />

In Krisensituationen könnte es<br />

notwendig werden, die<br />

Arbeitszeiten bedarfsangepasst<br />

aufzustocken<br />

Einrichtung von<br />

Doppeldiensten.<br />

Ggf. eine Ausdünnung des<br />

Therapieprogramms<br />

vornehmen<br />

Arbeitsverträge mit<br />

flexibilisierten Arbeitszeiten, die<br />

sich jedoch im Rahmen des<br />

arbeitsrechtlich Zulässigen<br />

bewegen müssen<br />

- 153 -


Tabelle 1b<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Probleme<br />

Lösungsvorschläge<br />

Häufung eskalierender<br />

Konfliktsituationen in der<br />

stationären Jugendhilfe<br />

Informationelle Einbeziehung<br />

der zuständigen Jugendämter in<br />

den therapeutischen Prozess<br />

Überforderung/ Hilflosigkeit der<br />

MitarbeiterInnen<br />

Halbjährige Hilfeplankonferenzen<br />

könnten mit einem zu geringen<br />

aktuellen Informationsrückfluss<br />

an die Jugendämter einhergehen<br />

Deeskalationstrainings<br />

durchführen<br />

Rückmeldungen der<br />

Jugendlichen einmal im Monat<br />

per E- Mail an den bzw. die<br />

Fallzuständige(n) beim<br />

Jugendamt zum Stand der<br />

Entwicklung<br />

Ergänzungen durch<br />

begleitende E- Mails der<br />

MitarbeiterInnen<br />

Gemischtgeschlechtlichkeit der<br />

Gruppe<br />

Fehlende Orientierung der<br />

Jugendlichen darüber, wie sie in<br />

der Gruppe miteinander<br />

umgehen sollen<br />

Aufstellung von Gruppenregeln,<br />

die den Umgang miteinander<br />

festlegen<br />

Grenzen der Machbarkeit<br />

Das Gesamtkonzept ist so dicht<br />

und arbeitsintensiv strukturiert,<br />

dass die Leistbarkeit durch<br />

MitarbeiterInnen und Jugendliche<br />

in Frage steht<br />

„Überfrachtungen“ des<br />

Konzeptes mit zu vielen<br />

Therapiebausteinen besonders<br />

im Abendbereich ausdünnen<br />

Die Jugendlichen brauchen<br />

mehr Freizeit, Pausen,<br />

Rückzugs- und<br />

Ruhemöglichkeiten<br />

Die Zeit für die Abendrunde auf<br />

das gemeinsame Abendessen<br />

vorverlegen und inhaltlich<br />

ausgestalten als kurze<br />

Rückmeldungsrunde zum Tag/<br />

Feedback- Runde.<br />

Individualisierung von<br />

Therapieplänen: Nicht alle<br />

Therapiemodule müssen immer<br />

von allen abgearbeitet werden<br />

Berücksichtigung der<br />

individuellen Leistungsgrenzen<br />

- 154 -


Tabelle 1c<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

Geeignetheit des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Probleme<br />

Lösungsvorschläge<br />

Antisoziale Verhaltensweisen<br />

der Zielklientel<br />

Definition der Zielgruppe<br />

Das Kriterium Antisozialität als<br />

Ausschließungs- bzw.<br />

Entlassungsgrund ist zu unpräzise<br />

und zu weit gefasst<br />

Der Kreis der vom Konzept<br />

erfassten psychischen<br />

Störungsbilder ist zu weit gefasst<br />

Genauere Ausformulierung und<br />

spezifischere Erfassung des<br />

Kriteriums<br />

Der Umfang der inkludierten<br />

psychischen Störungsbilder<br />

muss klarer definiert und stärker<br />

eingegrenzt werden<br />

Definition der Zielgruppe<br />

Die Altersstruktur der Zielgruppe<br />

ist im Konzept nicht definiert<br />

Aufnahmen ab Vollendung des<br />

13. oder 14. Lebensjahrs<br />

Jugendhilfeleistungen enden in<br />

der Regel mit Vollendung des<br />

21. Lebensjahres<br />

Arbeitstherapie<br />

unzureichende Diversifizierung<br />

des Arbeitstherapieangebotes<br />

macht dieses Angebot zu<br />

unattraktiv<br />

Aufbau eines<br />

Versorgungsnetzes externer<br />

Beschäftigungsangebote und<br />

Praktika<br />

In Bezug auf die Geeignetheit des Konzeptes für die stationäre Jugendhilfe kann<br />

festgehalten werden: Für spezifische, von den ExpertInnen vermutete und benannte<br />

Problemfelder wurden zugleich auch gut umsetzbare Lösungsvorschläge entwickelt.<br />

Die benannten problematisierten Aspekte (z.B. Wirtschaftlichkeit der Wohngruppe,<br />

Arbeitsverträge, Antisozialität als Entlassungsgrund, Definition der Zielgruppe)<br />

werden noch eingehender im Diskussionsteil; vgl. Kapitel 7.2.1 (S. 168ff) behandelt.<br />

Die ExpertInnen meldeten mehrheitlich zurück, dass die Grenzen der Machbarkeit<br />

mehr in den Blick genommen werden sollten. Das Therapiekonzept sei insgesamt zu<br />

„dicht“ und arbeitsintensiv strukturiert. Es wurden konkrete und gut umsetzbare<br />

Kürzungen bzw. Modifikationen des Therapieangebotes vorgeschlagen, namentlich<br />

im Abendbereich in Bezug auf die Abendrunde. Vielfach wurde auch auf die<br />

Notwendigkeit der Vorhaltung von Doppeldiensten hingewiesen, um das Konzept gut<br />

in die Praxis umsetzen zu können.<br />

Insgesamt ist das Therapiekonzept, mit der Übernahme spezifischer Modifikationen,<br />

als gut geeignet für die stationäre Jugendhilfepraxis einzustufen.<br />

6.6.2 Umsetzbarkeit des Konzeptes<br />

Der zweite Teil der Forschungsfrage 1 stellt auf die Umsetzbarkeit des Konzeptes im<br />

Rahmen der stationären Jugendhilfepraxis ab. Tabelle 2 fasst die Einschätzungen der<br />

interviewten ExpertInnen zur Umsetzbarkeit und zu den vermuteten Problemen<br />

zusammen.<br />

- 155 -


Tabelle 2a<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Beurteilung der<br />

Umsetzbarkeit<br />

Probleme<br />

personelle Ausstattung gut leistbar in Urlaubs- und Krankheitszeiten<br />

kann die Personaldecke dünn<br />

werden<br />

Schichtdienste insgesamt gut umsetzbar keine spezifischen Probleme<br />

benannt<br />

Einzelbetreuungen und<br />

Kriseninterventionen<br />

Aufnahmevoraussetzungen<br />

Abbruchkriterien<br />

gut umsetzbar<br />

positive Beurteilung:<br />

„schlüssig“, „gut<br />

nachvollziehbar“, „gut“, „ist<br />

möglich, ist umsetzbar“;<br />

orientiert sich an dem in der<br />

stationären Jugendhilfe<br />

Leistbaren<br />

Umsetzbarkeit wurde<br />

grundsätzlich nicht in Frage<br />

gestellt<br />

nicht gut umsetzbar, da „zu<br />

wenig konkret“<br />

Doppeldienste müssen<br />

eingerichtet werden<br />

es könnten im<br />

Aufnahmeprocedere nicht immer<br />

alle Entscheidungsträger „an<br />

einen Tisch“ zu bekommen sein<br />

Jugendliche, die die<br />

Aufnahmevoraussetzungen nicht<br />

erfüllen, bzw. die für die Gruppe<br />

ungeeignet sind, könnten unter<br />

Berücksichtigung wirtschaftlicher<br />

Gesichtspunkte<br />

(„Belegungsdruck“) dennoch<br />

aufgenommen werden müssen<br />

Die “Wahrnehmung von<br />

Gruppenalltag“ beim<br />

Erstgesprächen in der<br />

Wohngruppe kann auf künftige<br />

Klienten, Eltern und Angehörige<br />

einschüchternd wirken<br />

es fehlt der Hinweis, dass<br />

Jugendliche mit geistigen<br />

Behinderungen nicht<br />

aufgenommen werden können<br />

Jugendliche, die eigentlich<br />

entlassen werden müssen bzw.<br />

die in der Gruppe nicht haltbar<br />

sind, könnten unter<br />

Berücksichtigung wirtschaftlicher<br />

Gesichtspunkte („Haltequote<br />

erfüllen“) weiter in der Gruppe<br />

gehalten werden<br />

Das eigenmächtige Absetzen von<br />

Psychopharmaka soll kein<br />

Abbruchkriterium darstellen<br />

Einerseits ist die Wohngruppe<br />

eine suchtmittelfreie Zone,<br />

andererseits gibt es ein<br />

Rückfallmanagement. Dies sei<br />

„eine widersprüchliche Situation“<br />

- 156 -


Tabelle 2b<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Umsetzbarkeit des<br />

Konzeptes bezüglich<br />

Beurteilung der<br />

Umsetzbarkeit<br />

Probleme<br />

Krisenmanagement insgesamt gut umsetzbar für Einzelzuwendungen bzw. Einzelgespräche<br />

müssen Doppeldienste vorgehalten werden<br />

eine akut erforderliche psychiatrische<br />

Erstversorgung kann auf Grund von Wartezeiten bei<br />

niedergelassenen Fachärzten oder in Kliniken<br />

schwierig werden<br />

die außerplanmäßige Einrichtung von Doppeldiensten<br />

an Wochenenden ist problematisch<br />

Rückfallmanagement<br />

Arbeitstherapie<br />

Angehörigenarbeit<br />

sporttherapeutisches<br />

Angebot<br />

mehrheitlich: gute<br />

Umsetzbarkeit<br />

gut leistbar: „realistisch“;<br />

„leistbar“, „gut leistbar“; „sehr<br />

gut leistbar“; „gut umsetzbar“<br />

unterschiedliche<br />

Einschätzungen:<br />

„kein Problem“;<br />

„personell gut umsetzbar“;<br />

„Umsetzbarkeit ist gegeben,<br />

aber vielleicht schwierig“;<br />

„im Regelbetrieb nicht leistbar“<br />

„Umsetzbarkeit ist<br />

problematisch“;<br />

unterschiedliche<br />

Einschätzungen:<br />

„gut leistbar, wenn ein<br />

Mitarbeiter bei der Durchführung<br />

mit anwesend ist“;<br />

„schwer umsetzbar mangels<br />

Motivation der Jugendlichen“<br />

- 157 -<br />

Alleine geht es nicht. Eine gute Vernetzung mit<br />

externer psychiatrischer Versorgung ist wichtig<br />

Es ist im Konzept unklar, ob Jugendliche rückfällig<br />

werden dürften, oder nicht. Es soll eine „Null-<br />

Toleranz“ in Bezug auf Rückfälle gelten<br />

Rückfälle in der Gruppe können von Jugendlichen<br />

der Wohngruppe als vorsätzliche Regelverletzung<br />

missverstanden werden<br />

fehlende Compliance der RehabilitandInnen<br />

fehlendes Einverständnis beteiligter Jugendämter<br />

bei Entlassungen in Verbindung mit der<br />

Befürchtung, künftig nicht mehr belegt zu werden<br />

die Unterscheidung, wer nach mehreren Rückfällen<br />

noch abstinenzmotiviert ist, kann schwer fallen<br />

wenn zu viele Jugendliche gleichzeitig in der<br />

Arbeitstherapie beschäftigt werden, kann es<br />

Probleme mit der Leistbarkeit der Arbeitstherapie<br />

geben<br />

die individuell unterschiedliche Belastbarkeit der<br />

einzelnen Jugendlichen muss berücksichtigt werden<br />

Problem der Vermittlung in externe Arbeitstherapieangebote<br />

bei Jugendlichen mit Schwellenängsten<br />

Kontinuität und Verlässlichkeit bei der Durchführung<br />

des Arbeitstherapieangebotes muss von allen<br />

TeamkollegInnen gewährleistet werden<br />

Kosten- und Logistikprobleme bei Angehörigen, die<br />

weite Anreisewege haben, erschweren die<br />

Teilnahme an Angehörigenseminaren<br />

die Etablierung eines Arbeitsbündnisses mit nicht<br />

motivierten Eltern kann schwierig werden<br />

es wurden zu wenige Mitarbeiter vermutet<br />

Mitarbeiter sind nicht für die Probleme der Eltern,<br />

sondern nur für die der Jugendlichen zuständig und<br />

mit der Durchführung von Angehörigenseminaren<br />

generell überfordert<br />

„Prekariatsfamilien“ können sich desinteressiert,<br />

unmotiviert oder unkooperativ zeigen<br />

Passivität bzw. zu geringe Motivation bei<br />

übergewichtigen oder Psychopharmaka<br />

einnehmenden Jugendlichen<br />

die sportlichen Anforderungen müssen auch für die<br />

Diensthabenden leistbar sein<br />

die individuelle Belastbarkeit ist zu berücksichtigen


Tabelle 2c<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Umsetzbarkeit des<br />

Konzeptes in Bezug auf<br />

Beurteilung der<br />

Umsetzbarkeit<br />

Probleme<br />

Einzelgespräche<br />

Gruppentherapie/<br />

Indikativgruppen<br />

gute Umsetzbarkeit:<br />

„gut durchführbar“; gutes und<br />

durchführbares Angebot“;<br />

Durchführbarkeit „gut und<br />

unproblematisch leistbar“;<br />

„gut leistbar […], wenn<br />

Krankheits- und<br />

Urlaubsvertretungen organisiert<br />

sind“<br />

Durchführung im Rahmen von<br />

Doppeldiensten gut möglich<br />

wenn das Angebot bei den<br />

Jugendlichen gut ankommt, ist<br />

es auch in Einzeldiensten gut<br />

umsetzbar<br />

- 158 -<br />

ein Einzelgespräch pro Woche für<br />

jeden Jugendlichen ist möglicher<br />

Weise zu viel<br />

ein Einzelgespräch pro Woche für<br />

jeden Jugendlichen ist möglicher<br />

Weise zu wenig<br />

es muss für einen ungestörten<br />

Rahmen gesorgt werden; dafür<br />

ist die Einrichtung von<br />

Doppeldiensten erforderlich<br />

unter Umständen könnte ein<br />

Jugendlicher ein Einzelgespräch<br />

verweigern<br />

wenn die „Kommunikation im<br />

Team nicht stimmt“, könnte es im<br />

Kontext der Einzelgespräche<br />

auch zu Spaltungstendenzen im<br />

Team kommen<br />

wenn keine Themen gefunden<br />

werden können, die alle<br />

Jugendlichen gleichermaßen<br />

ansprechen, kann es zu<br />

Motivationsproblemen im Hinblick<br />

auf die Teilnahme an<br />

Gruppentherapieangeboten<br />

kommen<br />

es muss qualifiziertes Personal<br />

vorgehalten werden, das sich mit<br />

der Suchtthematik auskennt<br />

alle Jugendlichen müssen gleiche<br />

Chancen auf Beteiligung haben<br />

Heterogenität der gegebenen<br />

Störungsbilder: Nicht alle<br />

Jugendlichen sollten immer zur<br />

Teilnahme an allen<br />

Indikativgruppen- Angeboten<br />

verpflichtet sein<br />

ggf. schwierige Gruppendynamik<br />

aufgrund der Heterogenität der<br />

Störungsbilder<br />

ggf. schwierige Gruppendynamik,<br />

wenn Gruppen zu groß sind<br />

Vorbereitungszeiten für die<br />

Durchführung von<br />

Gruppentherapien ist Arbeitszeit,<br />

die freigestellt werden muss


Tabelle 2d<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Beurteilung der<br />

Umsetzbarkeit<br />

Probleme<br />

Selbsthilfegruppen- Besuche<br />

Abendrunde<br />

positive Einschätzung:<br />

Unproblematisch umsetzbar,<br />

wenn Interesse bzw. Motivation<br />

hierfür bei den Jugendlichen<br />

geweckt werden kann<br />

im im Konzept vorgesehenen<br />

Rahmen nicht gut umsetzbar:<br />

„streichen“;<br />

„Abendrunden zu vorgerückter<br />

Stunde halte ich für<br />

unrealistisch“;<br />

„vorgesehene Zeit ist<br />

ungünstig“;<br />

„nicht sinnvoll“;<br />

„nicht gut umsetzbar“;<br />

„Leistbarkeit bzw.<br />

Umsetzbarkeit ungünstig“<br />

finanzielle, logistische,<br />

personelle und Kontroll-<br />

Probleme:<br />

· manche<br />

Selbsthilfegruppen-<br />

Angebote sind<br />

kostenpflichtig; wer trägt<br />

die Kosten?<br />

· manche<br />

Selbsthilfegruppen-<br />

Angebote sind nicht<br />

standortnah vorhanden;<br />

es werden ggf.<br />

Fahrdienste<br />

erforderlich, die auch<br />

personell leistbar sein<br />

müssen<br />

· aus Gründen der<br />

Schweigepflicht bzw.<br />

des Datenschutzes<br />

kann es schwierig sein,<br />

Rückmeldungen<br />

darüber zu erhalten, ob<br />

Jugendliche tatsächlich<br />

regelmäßig eine<br />

Selbsthilfegruppe<br />

besuchen<br />

mangelnde Motivation der<br />

Jugendlichen<br />

der vorgesehene zeitliche<br />

Rahmen ist zu spät angesetzt;<br />

besser während des<br />

Abendessens als kurze<br />

Feedback- Runde gestalten<br />

die Häufigkeitsfrequenz ist zu<br />

hoch angesetzt: Nicht täglich,<br />

sondern nur zwei bis drei mal in<br />

der Woche durchführen<br />

Jugendliche, die<br />

Psychopharmaka einnehmen<br />

müssen, sind gegen 20:30 Uhr<br />

schon zu müde<br />

- 159 -


Die interviewten ExpertInnen konstatierten für die meisten Therapiemodule des<br />

Konzeptes eine gute Umsetzbarkeit. Lediglich bei den Abbruchkriterien, dem<br />

sporttherapeutischen Angebot und der Abendrunde gab es diesbezüglich kritische<br />

Rückmeldungen.<br />

Im Detail wurde hinsichtlich der einzelnen Therapiemodule jedoch eine Vielzahl von<br />

Problemen vermutet/ benannt, die weiter unten im Kapitel 7.2.2 (S. 173ff) ausführlich<br />

diskutiert werden.<br />

In Bezug auf die Angehörigenarbeit gab es eine einzelne ExpertInnenrückmeldung,<br />

nach der MitarbeiterInnen nicht für die Probleme der Eltern, sondern nur für die der<br />

Jugendlichen zuständig und mit der Durchführung von Angehörigenseminaren im<br />

Übrigen überfordert seien. Bezogen auf die Umsetzbarkeit hielt die ExpertIn demnach<br />

die Angehörigenarbeit für „im Regelbetrieb nicht leistbar“. Eine pauschal auf Nichtzuständigkeit<br />

bzw. Inkompetenz der MitarbeiterInnen abstellende Argumentation wirkt<br />

wenig sachbezogen und eher wie der Versuch, eine neue Aufgabenstellung<br />

abzuwehren. Sie wird deshalb im Rahmen der anschließenden Ergebnisdiskussion<br />

(Kapitel 7) nicht weiter berücksichtigt bzw. diskutiert.<br />

6.6.3 Nutzen des Konzeptes<br />

Forschungsfrage 2: Ist das vorliegende Therapiekonzept für die komorbid<br />

erkrankte Zielklientel hilfreich und nützlich?<br />

Der Nutzen der einzelnen Therapiemodule wurde von den ExpertInnen<br />

unterschiedlich beurteilt und begründet. Diese Beurteilungen und Begründungen sind<br />

in Tabelle 3 zusammengefasst.<br />

- 160 -


Tabelle 3a<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes in Bezug<br />

auf<br />

Aufnahmevoraussetzungen<br />

Abbruchkriterien<br />

Krisenmanagement<br />

Rückfallmanagement<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„schlüssig“;<br />

„gut nachvollziehbar“;<br />

„so in Ordnung“;<br />

„gut“<br />

„sehr angemessen“<br />

„nützlich“<br />

Die Kriterien wurden überwiegend<br />

als „gut“ bzw. als „plausibel“<br />

eingeschätzt<br />

Ausübung körperlicher Gewalt und<br />

fortgesetzte antisoziale<br />

Verhaltensweisen sind „ganz klar<br />

Entlassungskriterien“<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„sehr gut“;<br />

„gut“;<br />

„hilfreich“<br />

„wichtig“<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„gefällt mir sehr gut“;<br />

„finde ich besonders gut“;<br />

„gefällt mir besonders gut“;<br />

„es ist gut“;<br />

„sehr sehr wichtig“;<br />

„sehr sehr gut“;<br />

„super“; „sinnvoll und gut“<br />

Begründung des Nutzens<br />

Die Aufnahmevoraussetzungen errichten<br />

keine zu hohen Hindernisse für potentielle<br />

LeistungsempfängerInnen, um in den Genuss<br />

von Leistungen zu kommen<br />

Durch die Aufnahmevoraussetzungen wird<br />

eine ordentliche Eingangsqualität sicher<br />

gestellt<br />

Ein Gelingen der Jugendhilfemaßnahme<br />

insgesamt wird wahrscheinlicher<br />

regelmäßige Einnahme verordneter<br />

Psychopharmaka ist Therapievoraussetzung;<br />

bei eigenmächtiger Absetzung verordneter<br />

Medikation verliere der junge Mensch die<br />

Therapiefähigkeit<br />

Schutz der Gruppe und der Mitarbeiter<br />

Man kommt nicht in Begründungsschwierigkeiten,<br />

wenn ein junger Mensch entlassen<br />

werden muss<br />

Der Hilfeprozess wird für alle Beteiligten<br />

transparent: Jeder weiß verlässlich von<br />

Anfang an, welche Verhaltensweisen zu<br />

einem Abbruch der Hilfemaßnahme führen<br />

Es wird nicht so rigide gehandhabt, wie in<br />

anderen Konzepten; es ist der Klientel<br />

angemessen<br />

Jugendliche werden nicht einfach aufgrund<br />

von Krisen entlassen.<br />

Zügige Reaktionen/ Problemlösungen auf<br />

Krisen werden möglich<br />

Die Möglichkeit zur Aufarbeitung eines<br />

Rückfalls wird dem jungen Menschen und<br />

seiner Problematik gerecht<br />

Eine Rückfallnachbearbeitung geht auf die<br />

Krankheitsproblematik des jungen Menschen<br />

ein<br />

Es ist sinnvoll, lange und vielfältig Hilfen und<br />

Unterstützung anzubieten, so lange der junge<br />

Mensch gewillt ist, vom Substanzkonsum<br />

Abstand zu nehmen<br />

Durch das Rückfallmanagement wird ein<br />

angemessener und verantwortlicher Umgang<br />

mit Rückfällen möglich<br />

Das Rückfallmanagement sorgt für Klarheit:<br />

Chancen und Grenzen des<br />

Therapieangebotes werden deutlich gemacht<br />

- 161 -


Tabelle 3b<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes in<br />

Bezug auf<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Begründung des Nutzens<br />

Arbeitstherapie<br />

Angehörigenarbeit<br />

Der Nutzen wird insgesamt<br />

hoch eingeschätzt:<br />

der Nutzen ist „sehr hoch“;<br />

„hoch“;<br />

„prioritär“;<br />

„enorm“;<br />

das Therapieangebot ist<br />

„ganz wichtig“;<br />

„extrem wichtig“;<br />

„gut“<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„wesentlich“;<br />

„eminent wichtig“;<br />

„sehr gut“;<br />

„elementar wichtig für den<br />

gesamten Therapieprozess“<br />

der Nutzen ist „sehr hoch“ bzw.<br />

„groß“, sowohl für den einzelnen<br />

Jugendlichen, als auch für das<br />

Gelingen der gesamten<br />

Therapie<br />

- 162 -<br />

Aktivierung, um wieder Ziele<br />

erreichen zu können<br />

zielt auf Wiedereingliederung in<br />

die Gesellschaft ab<br />

ein solches Angebot fehlt häufig<br />

in stationären Jugendhilfe-<br />

Settings<br />

Chance für junge Menschen, die<br />

gerade aus psychiatrischen<br />

Kliniken kommen, schnell wieder<br />

einen normalen Tagesrhythmus<br />

zu entwickeln und an<br />

alterstypische Belastungen<br />

herangeführt zu werden<br />

dient der Tagesstrukturierung<br />

Jugendliche erleben Erfolge<br />

über sichtbare<br />

Arbeitsergebnisse<br />

Eltern werden mit ihren Fragen<br />

und Problemen nicht alleine<br />

gelassen; sie erhalten<br />

Hilfestellungen<br />

Angehörigenarbeit fördert auch<br />

positive Veränderungen bei der<br />

Zielklientel<br />

Sie leistet förderliche Beiträge<br />

zur Reintegration der Zielklientel<br />

in die Gesellschaft<br />

Probleme mit Jugendlichen im<br />

Jugendhilfealltag lassen sich in<br />

Absprache mit den Eltern besser<br />

bewältigen<br />

Vertiefung des wechselseitigen<br />

Verstehens aller Beteiligter<br />

(Angehörige, Jugendliche,<br />

beteiligte PädagogInnen)<br />

eine gute Zusammenarbeit mit<br />

den Eltern wirkt positiv zurück<br />

auf die Beziehungsarbeit in der<br />

Jugendhilfe<br />

Angehörige können sich<br />

miteinander vernetzen;<br />

Erfahrungen der Entlastung,<br />

Solidarität, Unterstützung und<br />

Selbsthilfe werden möglich


Tabelle 3c<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes in<br />

Bezug auf<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Begründung des Nutzens<br />

Sporttherapie<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„ganz tolle Angelegenheit“;<br />

„sehr gut“;<br />

„ein wichtiges Angebot“<br />

Förderung motorischer<br />

Entwicklungen;<br />

Verbesserung der<br />

Körperwahrnehmung;<br />

Entwicklung von mehr<br />

Selbstbewusstsein wird<br />

gefördert;<br />

sinnvolle Freizeitbeschäftigung;<br />

Verbesserung der Dynamik<br />

innerhalb der Gruppe;<br />

Förderung interaktiver sozialer<br />

Kompetenzen;<br />

Steigerung des körperlichen<br />

Wohlbefindens;<br />

Verbesserung der körperlichen<br />

Selbstwahrnehmung und der<br />

Körperkoordination;<br />

Steigerung von<br />

Ausgeglichenheit, Belastbarkeit<br />

und Lebensfreude;<br />

die Jugendlichen „kriegen den<br />

Kopf frei“, können sich körperlich<br />

verausgaben, etwas leisten und<br />

darüber mehr Zufriedenheit<br />

erlangen<br />

es kommt „wieder etwas in<br />

Bewegung“;<br />

förderliche Auswirkungen auf<br />

den gesamten Therapieprozess<br />

- 163 -


Tabelle 3d<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes in<br />

Bezug auf<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Begründung des Nutzens<br />

Einzelgespräche<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

„ein ernst zu nehmendes<br />

Beziehungsangebot“;<br />

„ein notwendiges Angebot“;<br />

„großer Nutzen“;<br />

„hoher Nutzen“<br />

sie stellen die „therapeutische<br />

Versorgung“ sicher;<br />

können die Basis sein für eine<br />

Aufarbeitung von<br />

Entwicklungsverzögerungen und<br />

für eine positive Beeinflussung<br />

des gesamten<br />

Therapieprozesses;<br />

ermöglichen das Ausleuchten von<br />

Hintergründen und leisten<br />

Beiträge zu einem besseren<br />

Verstehen des jungen Menschen<br />

fördern den Beziehungsaufbau<br />

zwischen der BezugspädagogIn<br />

und dem Jugendlichem;<br />

ermöglichen gemeinsame und<br />

miteinander geteilte Zeit;<br />

sind förderlich für die Entwicklung<br />

von Vertrauen und Verlässlichkeit<br />

in der Beziehung zwischen der<br />

BezugspädagogIn und dem<br />

jungen Menschen<br />

ermöglichen dem jungen<br />

Menschen die Wahrnehmung,<br />

dass er als Individuum gesehen,<br />

wahrgenommen und ernst<br />

genommen wird;<br />

dienen der Beziehungspflege<br />

- 164 -


Tabelle 3e<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes in<br />

Bezug auf<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Begründung des Nutzens<br />

Gruppentherapie und<br />

Indikativgruppen<br />

Insgesamt positive Beurteilung:<br />

Gruppentherapie ist „ein Muss,<br />

eine Notwendigkeit“;<br />

ein „wesentliches und wichtiges<br />

Element“;<br />

„guter Nutzen“<br />

junge Menschen können lernen:<br />

· gruppenfähig zu werden;<br />

· sich in Gruppen<br />

angemessen zu<br />

verhalten;<br />

· sich einzubringen;<br />

· Verantwortung zu<br />

übernehmen;<br />

· Solidarität zu erfahren;<br />

· emotionale Erfahrungen<br />

zu machen;<br />

· Erfahrungen der<br />

Akzeptanz zu machen;<br />

· Sozialverhalten zu<br />

trainieren;<br />

Förderung von Nachsozialisation;<br />

die Gruppe insgesamt wird<br />

gestärkt;<br />

Erkrankungszusammenhänge<br />

können erklärt/ vermittelt werden;<br />

die Jugendlichen können<br />

voneinander lernen;<br />

die Jugendlichen lernen sich<br />

besser kennen;<br />

sie lernen, sich besser<br />

einzuschätzen;<br />

Sensibilisierung für<br />

Rückfallgefahren;<br />

individueller Leidensdruck kann<br />

reduziert werden, indem die<br />

Selbstdarstellung/<br />

Selbstinszenierung innerhalb der<br />

Gruppe ehrlicher, authentischer,<br />

realitätsnäher wird<br />

agierende Jugendliche können in<br />

einem gruppentherapeutischen<br />

Setting besser eingegrenzt<br />

werden<br />

- 165 -


Tabelle 3f<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes<br />

in Bezug auf<br />

Beurteilung des Nutzens<br />

Begründung des Nutzens<br />

Selbsthilfegruppenbesuch<br />

insgesamt positive Beurteilung:<br />

„wichtig“;<br />

„muss umgesetzt werden“;<br />

„sehr, sehr gut, muss man<br />

benutzen“;<br />

„sehr gutes, das gesamte<br />

Therapiekonzept abrundendes<br />

Angebot“;<br />

„hoher Nutzen“;<br />

„hervorragender Nutzen“;<br />

„ausgezeichnete Idee“<br />

die Jugendlichen profitieren davon,<br />

wenn sie mit Menschen ins<br />

Gespräch kommen, die eine<br />

ähnliche Geschichte haben;<br />

hoher Nutzen in Bezug auf<br />

Prävention und Rückfallprophylaxe;<br />

die Jugendlichen können sich<br />

intensiv mit den eigenen<br />

Problemthemen auseinandersetzen<br />

Kontaktaufnahmen und<br />

Beziehungen werden möglich, die<br />

auch nach Beendigung der<br />

Jugendhilfemaßnahme tragfähig<br />

sind<br />

Abendrunde<br />

unter der Voraussetzung eines<br />

modifizierten zeitlichen Rahmens<br />

wird der Nutzen insgesamt positiv<br />

beurteilt:<br />

„ganz, ganz riesig großer Nutzen“;<br />

„wenn das klein und knackig<br />

gestaltet ist, ist der Nutzen hoch;<br />

„hoher Nutzen“;<br />

„die Idee der Abendrunde ist gut“<br />

„finde ich gut“<br />

das Angebot ermöglicht eine<br />

Tagesreflexion;<br />

Lernerfolge können<br />

ressourcenorientiert herausgestellt<br />

werden;<br />

den Jugendlichen können positive<br />

Feedbacks gegeben werden, mit<br />

denen Selbstvertrauen aufgebaut<br />

und gestärkt werden kann<br />

mit Feedback- Focus auf dem, was<br />

gut und zufriedenstellend am Tag<br />

gelaufen ist und worauf der<br />

Jugendliche selbst stolz ist, kann<br />

der junge Mensch ermutigt und<br />

sein Selbstwert gestärkt werden<br />

Regeln, Traditionen,<br />

ungeschriebene Gesetze und<br />

Rituale der Gruppe können<br />

insbesondere neuen<br />

Gruppenmitgliedern gut vermittelt<br />

werden<br />

- 166 -


Tabelle 3g<br />

Nutzen des Konzeptes:<br />

Nutzen des Konzeptes Beurteilung des Nutzens Begründung des Nutzens<br />

allgemeiner Nutzen des<br />

Konzeptes für die<br />

Zielklientel<br />

insgesamt positive Beurteilung:<br />

„Konzept ist attraktiv“<br />

„sehr nützlich für die Zielgruppe“<br />

„Nutzen ist sehr groß“<br />

„Nutzen ist sehr hoch“<br />

„hervorragender Nutzen“<br />

es gibt wenig vergleichbare<br />

Angebote für die Zielklientel im<br />

Rahmen stationärer Jugendhilfe;<br />

der Bedarf ist gegeben und wird<br />

durch das Therapieangebot gut<br />

bedient<br />

Nach Einschätzung der ExpertInnen hat das Therapiekonzept einen hohen Nutzen für<br />

die Zielklientel. Insbesondere wird es den Jugendlichen und ihrer Problematik, aber<br />

auch den Bedürfnissen der Angehörigen gerecht, fördert und unterstützt die jungen<br />

Menschen bei der Bewältigung ihrer vielfältigen Entwicklungsaufgaben und ist<br />

ressourcenorientiert ausgerichtet. Es begegnet einem in der stationären Jugendhilfe<br />

bestehenden Bedarf und schließt eine Lücke im Versorgungssystem („es gibt wenig<br />

vergleichbare Angebote“).<br />

Beantwortung der Forschungsfragen; Zusammenfassung:<br />

Forschungsfrage 1: Ist das vorliegende Therapiekonzept für die stationäre<br />

Jugendhilfepraxis geeignet und umsetzbar?<br />

Das Therapiekonzept ist nach Meinung der ExpertInnen mit der Übernahme<br />

spezifischer Modifikationen gut geeignet für die stationäre Jugendhilfepraxis.<br />

Das Therapiekonzept ist weiterhin, mit Einschränkungen in Bezug auf die<br />

Abbruchkriterien, das sporttherapeutische Angebot, sowie die Abendrunde,<br />

gut im Rahmen der stationären Jugendhilfepraxis umsetzbar. Es ist mithin<br />

insgesamt praxistauglich im stationären Jugendhilfealltag.<br />

Vermutete Schwierigkeiten insbesondere bei den o.g. Therapiemodulen<br />

wurden von den ExpertInnen diskutiert und mit Verbesserungsvorschlägen<br />

versehen.<br />

Forschungsfrage 2: Ist das vorliegende Therapiekonzept für die komorbid<br />

erkrankte Zielklientel hilfreich und nützlich?<br />

Das Therapiekonzept hat insgesamt einen hohen Nutzen für die Zielklientel.<br />

- 167 -


7 Diskussion<br />

Das integrative Therapiekonzept für junge Menschen mit seelischen Behinderungen<br />

und komorbiden Suchtstörungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der<br />

Eingliederungshilfe ist durch sechs ExpertInnen im Rahmen von Interviews evaluiert<br />

worden. Die in den Kapiteln 6.5 (S. 132ff) und 6.6 (S. 152ff) dargestellten Ergebnisse,<br />

die aus der Auswertung der Interviews gewonnen werden konnten, sollen nun<br />

diskutiert werden.<br />

7.1 Diskussion des Nutzens der Therapiemodule für die Zielklientel<br />

Im Hinblick auf die unterschiedlichen Module des Therapiekonzeptes bestand bei den<br />

interviewten ExpertInnen ein durchgängiger Konsens bezüglich des Nutzens: Der<br />

Nutzen der einzelnen Therapiebausteine wurde jeweils hoch veranschlagt. Die den<br />

einzelnen Modulen zugehörenden Beurteilungen und Begründungen des Nutzens<br />

sind der Tabelle 3 im Kapitel 6.6.3 (S. 161 - 167) zu entnehmen. Da es bezüglich des<br />

Nutzens der Therapiemodule keine voneinander abweichenden ExpertInneneinschätzungen<br />

gab, besteht an dieser Stelle kein weiterer Diskussionsbedarf.<br />

Auch der allgemeine Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel wurde von den<br />

Interviewten durchgehend als positiv eingeschätzt (das „Konzept ist attraktiv“, „sehr<br />

nützlich für die Zielgruppe“, der „Nutzen ist sehr groß“, „sehr hoch“, bzw.<br />

„hervorragender Nutzen“).<br />

Aufgrund der durchgängig positiven ExpertInneneinschätzungen kann von einem<br />

hohen Nutzen des therapeutischen Konzeptes bzw. von dessen einzelnen<br />

Therapiemodulen für die Zielklientel ausgegangen werden.<br />

7.2 Diskussion der Geeignetheit und Umsetzbarkeit des Konzeptes und seiner<br />

therapeutischen Module im Kontext stationärer Jugendhilfepraxis<br />

Bezüglich der Geeignetheit und Umsetzbarkeit des Konzeptes im Allgemeinen und<br />

seiner einzelnen Therapiemodule im Besonderen gab es unterschiedliche Meinungen<br />

bzw. Einschätzungen der interviewten ExpertInnen, die im Folgenden diskutiert<br />

werden.<br />

7.2.1 Diskussion der Geeignetheit des Konzeptes und seiner therapeutischen<br />

Module<br />

Grenzen der Machbarkeit; Abendrunde: Bei der Beantwortung der Fragestellung, ob<br />

das vorgelegte integrative Therapiekonzept für den Rahmen stationärer Jugendhilfe<br />

geeignet ist, wurden vor allem die Grenzen der Machbarkeit betont. Mehrfach wurde<br />

darauf hingewiesen, dass das Gesamtkonzept vor allem im Abendbereich „zu dicht“<br />

und arbeitsintensiv strukturiert ist. Dies führe zu einer Überforderung und zu<br />

unnötiger Frustration der jungen Zielklientel und auch der die Leistungen<br />

erbringenden MitarbeiterInnen.<br />

- 168 -


Verbesserungs- bzw. Lösungsvorschläge sahen vor, den Therapiebaustein Abendrunde<br />

auf die Zeit des gemeinsamen Abendessens vorzuverlegen und inhaltlich auf<br />

eine Feedback- Runde/ Rückmeldungsrunde zum Tag zu begrenzen, in der vor allem<br />

positive und den Selbstwert der Klientinnen und Klienten stärkende Ereignisse<br />

herausgearbeitet und betont werden können. Mit der zeitlichen Vorverlegung der<br />

Abendrunde bleibt den jungen Menschen für den Abendbereich nach Beendigung<br />

des Abendessens mehr Freiraum zur Erholung und für private Dinge. Dies wirkt für<br />

Jugendliche und BehandlerInnen gleichermaßen entlastend und entspannend. Neben<br />

dem positiven Effekt, dass Grenzen der Machbarkeit bzw. Leistbarkeit besser<br />

gewahrt werden können, ist durch eine solche Modifikation auch damit zu rechnen,<br />

dass Widerstand bzw. Reaktanz bei der Zielklientel reduziert wird. Aufgrund der zu<br />

erwartenden positiven Effekte erscheint daher eine entsprechende Modifizierung des<br />

Abendrunden- Angebotes hilfreich und nützlich.<br />

Individualisierung von Therapieplänen; Vorhaltung von Doppeldiensten: Ein weiterer<br />

ExpertInnenvorschlag sah vor, Therapiepläne unter Berücksichtigung der persönlichen<br />

Leistungsgrenzen zu individualisieren, so dass nicht jeder einzelne junge<br />

Mensch auch immer an allen Therapiemodulen teilnehmen muss. Dies setzt eine<br />

Bereitstellung von Doppeldiensten voraus, da auch eine Aufsichtspflicht gegenüber<br />

nicht an einzelnen Therapiebausteinen teilnehmenden Jugendlichen besteht.<br />

Vereinzelt wurde von den Interviewten angezweifelt, ob beim vorgesehenen<br />

Personalschlüssel auch zuverlässig Doppeldienste im Tagdienstbereich vorgehalten<br />

werden können.<br />

Aus der langjährigen Praxiserfahrung eigener stationärer Jugendhilfearbeit in einer<br />

Wohngemeinschaft, die mit dem gleichen Personalschlüssel arbeitet, der auch im<br />

vorgelegten Konzept vorgesehen ist, können die genannten Zweifel ausgeräumt<br />

werden. Doppeldienste im Tagdienstbereich, die in der Regel erst ab der Mittagsbzw.<br />

frühen Nachmittagszeit erforderlich werden, wenn alle Jugendlichen wieder aus<br />

der Schule bzw. aus Ausbildungsmaßnahmen in die WG zurückgekehrt sind, können<br />

bei Vorhaltung des angeführten Personalschlüssels bis in den Abendbereich<br />

sichergestellt werden, selbst wenn eine MitarbeiterIn urlaubs- oder krankheitsbedingt<br />

nicht dienstlich eingeplant werden kann. Problematisch wird die Vorhaltung von<br />

Doppeldiensten erst dann, wenn mehr als zwei MitarbeiterInnen gleichzeitig<br />

krankheits- und/ oder urlaubsbedingt dienstlich nicht einplanbar sind.<br />

Für eine Individualisierung von Therapieplänen spricht auf der sachlich- inhaltlichen<br />

Ebene, dass individuelle Leistungs- und Belastungsgrenzen besser berücksichtigt<br />

werden können und dass die Therapieplanung und Umsetzung mehr am indikativen<br />

Bedarf orientiert und daran ausgerichtet werden kann.<br />

Auf der organisatorischen Ebene ist eine Individualisierung von Therapieplänen<br />

ebenfalls gut möglich: Laut Konzept ist die therapeutische WG für insgesamt acht<br />

Jugendliche ausgelegt. Aufgrund der begrenzten Anzahl der Klientinnen und Klienten<br />

kann eine entsprechende Individualisierung ohne großen Organisationsaufwand gut<br />

durchgeführt werden. Auch fortlaufende bedarfsgerechte Neuanpassungen der<br />

individuellen Therapiepläne je nach den Entwicklungsfortschritten des einzelnen<br />

jungen Menschen sind gut möglich.<br />

- 169 -


Mithin ist die Umsetzung des Vorschlags, Therapiepläne zu individualisieren, mit<br />

weiteren Vorteilen verbunden und auch organisatorisch gut umsetzbar.<br />

Entsprechende individuelle Anpassungen der Therapieplanung sollten also umgesetzt<br />

und gegenüber den zuständigen Jugendämtern gut kommuniziert werden.<br />

Belastung der MitarbeiterInnen mit Bürotätigkeiten: Als ein weiterer Aspekt der<br />

Grenzen der Machbarkeit wurde die hohe und zeitintensive Belastung der<br />

MitarbeiterInnen mit Bürotätigkeiten benannt. In Bezug auf dieses Problemfeld wurde<br />

vorgeschlagen, zur Arbeitsentlastung Doppeldienste vorzuhalten. Doppeldienste sind,<br />

wie oben ausgeführt, in der Regel gut umsetzbar. Ein weiterer Vorschlag in diesem<br />

Kontext sah vor, das Therapieprogramm ggf. auszudünnen. Ein wesentlicher Schritt<br />

in diese Richtung ist mit der Modifikation der Abendrunde bereits getan. In einem<br />

ersten, mehrmonatigen Praxisdurchlauf könnte erkundet werden, ob die<br />

vorgesehenen therapeutischen und administrativen Tätigkeiten gut leistbar sind; ggf.<br />

könnte sodann noch einmal nachgesteuert werden.<br />

Definition der Zielgruppe und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte: Es wurde von den<br />

ExpertInnen moniert, dass<br />

1: die Altersstruktur der Zielgruppe im Konzept nicht näher definiert und dass<br />

2: der Umfang der im Konzept inkludierten psychischen Störungsbilder zu weit<br />

gefasst ist.<br />

Zum ersten Einwand ist zu sagen, dass es sich um einen echten Fehler im Konzept<br />

handelt! Eine Definition der Altersstruktur ist in jedem Fall erforderlich. Vorgeschlagen<br />

wurde ein Aufnahmealter ab 13 oder 14 Jahren. Da Jugendhilfeleistungen in der<br />

Regel mit der Vollendung des 21. Lebensjahres eingestellt werden (vgl. §41 SGB<br />

VIII), ist die Altersgrenze nach oben hin durch die Rechtslage und die gängige Praxis<br />

ohnehin festgelegt. Aufgenommen werden können mithin Mädchen und Jungen ab 14<br />

und in begründeten Einzelfällen auch schon ab 13 Jahren.<br />

Zum zweiten Einwand ist abzuwägen: Eine stärkere Eingrenzung des Umfangs<br />

psychischer Störungsbilder, die vom Therapiekonzept erfasst werden, hat einerseits<br />

den Vorteil, dass indikationsspezifischer und zielgerichteter therapeutisch gearbeitet<br />

werden kann. Andererseits ist es dann fraglich, ob über die Jugendämter Jugendliche<br />

in ausreichender Zahl in die WG vermittelt werden, so dass die therapeutische<br />

Wohngemeinschaft kostendeckend arbeiten kann. Hier ist auch Folgendes zu<br />

bedenken: Für eine stationäre Jugendhilfe- Regelwohngruppe mit acht Belegbetten<br />

ist der vorgesehene Personalschlüssel- Standard normaler Weise auf vier<br />

MitarbeiterInnen begrenzt. Das Team setzt sich in der Regel aus drei ErzieherInnen<br />

und einer SozialpädagogIn in Hausleitungsfunktion zusammen. Aufgrund des<br />

vorgesehenen hohen Personalschlüssels für die therapeutische Wohngruppe, die auf<br />

der Grundlage der §§ 35a, 41 SGB VIII arbeitet (hier sind 6,75 MitarbeiterInnen in der<br />

WG und zusätzlich 1,25 PsychologInnenstellen im gruppenübergreifenden Dienst<br />

vorgesehen), ist die vorgelegte therapeutische Wohngemeinschaftskonzeption relativ<br />

teuer. Dies hat bei interviewten ExpertInnen auch zu der Vermutung geführt, dass der<br />

vorgesehene Personalschlüssel nicht bezahlbar sein könnte. Damit wurde die<br />

Wirtschaftlichkeit der Wohngruppe insgesamt in Frage gestellt. Aus langjähriger<br />

Praxiserfahrung kann hier wie folgt argumentiert werden: Jugendamtsmitarbeiter-<br />

Innen sind froh, wenn sie ein Jugendhilfeangebot nutzen können, das psychisch<br />

auffällige bzw. -erkrankte Jugendliche gut versorgt.<br />

- 170 -


Aus Sicht der Jugendämter besteht ein hohes Interesse daran, dass Jugendliche, die<br />

psychisch erkrankt sind und deshalb in „normalen“ stationären Jugendhilfeangeboten<br />

nicht adäquat versorgt werden können, gut und bedarfsgerecht vermittelt bzw.<br />

untergebracht werden können. Dies gilt für alle jungen Menschen mit psychischen<br />

Erkrankungen, die von den §§35a, 41 SGB VIII im Sinne einer „seelischen Behinderung“<br />

bzw. einer „drohenden seelischen Behinderung“ erfasst werden. Gesetzeskonform<br />

wird hier nur nach dem Kriterium differenziert, ob eine „seelische<br />

Behinderung“ droht bzw. vorliegt, oder nicht. Jugendämter sind bereit, für<br />

entsprechend qualifizierte stationäre Jugendhilfeangebote freier Träger die<br />

zusätzlichen Kosten, die durch einen höheren Personalschlüssel entstehen, zu<br />

tragen. Nicht gesetzeskonforme Einschränkungen bei den psychischen Störungsbildern<br />

im Kontext der Aufnahmevoraussetzungen bedeuten jedoch aus Sicht der<br />

Jugendämter Hemmnisse in Bezug auf die Unterbringungsmöglichkeiten betroffener<br />

Jugendlicher. Zu sehr spezialisierte Jugendhilfe- und Therapieangebote laufen daher<br />

Gefahr, am gegebenen Bedarf vorbei Leistungen anzubieten. Sie offerieren gewissermaßen<br />

Angebote, die sich inkongruent zur Nachfrage verhalten; es wird „am Markt<br />

vorbei produziert“. Es stünde mithin unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu<br />

befürchten, dass es bei einer restriktiveren Definition der Zielklientel zu Belegungsengpässen<br />

kommen könnte. Es ist deshalb aus bedarfsorientierten und wirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten daran festzuhalten, dass der Umfang der vom Konzept<br />

erfassten psychischen Störungsbilder nicht weiter eingegrenzt werden sollte. Dann<br />

kann die Einrichtung auch mit einem relativ kostenintensiven Personalschlüssel<br />

wirtschaftlich bzw. kostendeckend arbeiten.<br />

Weitere, die Wirtschaftlichkeit der therapeutischen Wohngruppe betreffende<br />

Probleme wurden darin gesehen, dass in der Startphase bei vollem vorgehaltenem<br />

Personalschlüssel mit einer Vollbelegung der Gruppe von Anfang an nicht zu rechnen<br />

ist. Hier wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass diesbezüglich Absprachen mit<br />

dem Vorstand bzw. der Leitung der Gesamteinrichtung, die das unternehmerische<br />

Risiko tragen muss, getroffen werden sollten.<br />

Qualifikation der MitarbeiterInnen: Zur Qualifikation wurde angemerkt, dass aufgrund<br />

der komplexen Anforderungen im Berufsfeld die MitarbeiterInnen möglichst über<br />

Praxiserfahrung im Umgang mit Doppeldiagnosen verfügen, erhöht belastbar und<br />

beziehungsfähig sein, sowie mit Konflikten und eskalierenden Situationen gut<br />

umgehen können sollten. Neben dieser wünschenswerten Qualifikation, die<br />

MitarbeiterInnen in das Team und die Arbeit einbringen sollten, sieht das Konzept<br />

fortlaufende Qualifizierungsmaßnahmen durch regelmäßige Supervisionsveranstaltungen,<br />

sowie interne und externe Fortbildungsmöglichkeiten vor. Die<br />

erforderliche Qualifikation der MitarbeiterInnen kann demnach auch gut in der<br />

fortlaufenden Praxis der Leistungserbringung erworben bzw. fortlaufend aufgefrischt<br />

und aktualisiert werden.<br />

Überforderung und Hilflosigkeit von MitarbeiterInnen: Der Problematik der Überforderung<br />

und Hilflosigkeit aufgrund häufig eskalierender Konfliktsituationen in der<br />

stationären Jugendhilfe kann im Rahmen von Fortbildungen (z.B. Durchführung von<br />

Deeskalationstrainings) und Supervisionen wirksam begegnet werden.<br />

Eine verbesserte Einbeziehung der Jugendämter in den therapeutischen Prozess<br />

könnte durch das vorgeschlagene Rückmeldeprocedere via E- Mail- Kontakte erreicht<br />

werden. Eine solche Vorgehensweise empfiehlt sich jedoch aus datenschutzrechtlichen<br />

Gründen nicht.<br />

- 171 -


Regeln zum Umgang miteinander in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe können<br />

im Rahmen der Hausordnung festgeschrieben werden und sind nicht notweniger<br />

Weise Bestandteil eines therapeutischen Konzeptes.<br />

Arbeitstherapie: In Bezug auf die Arbeitstherapie wurde moniert, dass diese zu wenig<br />

diversifizierte Angebote vorhält und deshalb womöglich zu unattraktiv gestaltet ist.<br />

Vorgeschlagen wurde der Aufbau eines Netzes externer Beschäftigungsangebote<br />

und -plätze für Praktika. Ein solches Versorgungsnetz kann sukzessive im Verlauf der<br />

therapeutischen Praxis durch Pflege von Außenkontakten zu externen Betrieben und<br />

Arbeitsstellen aufgebaut werden. Im Rahmen der Konzeptfortschreibung kann es<br />

dann, wenn es etabliert ist, auch im Konzept beschrieben werden.<br />

Arbeitsverträge: Es wurde der Einwand erhoben, dass die Arbeitsverträge hinsichtlich<br />

der vorgesehenen Arbeitszeiten flexibilisiert werden müssen, um insbesondere in<br />

Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben. Vereinbart werden könnte hier, dass im<br />

Rahmen von Kriseninterventionen anfallende Überstunden in ruhigeren Arbeitsphasen<br />

auch wieder ausgeglichen werden können bzw. dass solche Überstunden<br />

ausgezahlt werden.<br />

Antisozialität als Ausschließungs- bzw. Entlassungsgrund: Zuletzt soll das Kriterium<br />

der Antisozialität als Ausschließungs- bzw. Entlassungsgrund diskutiert werden.<br />

Bemängelt wurde, dass es zu unpräzise und zu weit gefasst sei. Eine genauere<br />

Ausformulierung und spezifischere Fassung des Kriteriums wurde angemahnt. Hierfür<br />

spricht, dass eine Präzisierung für mehr Klarheit und Eindeutigkeit sorgt.<br />

Für eine Beibehaltung der eher weit gefassten Formulierung spricht hingegen, dass<br />

sie dem therapeutischen Team mehr individuelle Entscheidungsfreiheiten darüber<br />

ermöglicht, ob im Einzelfall eine Nichtaufnahme bzw. Entlassung indiziert ist, oder<br />

nicht. In der stationären Jugendhilfepraxis werden nur allzu oft z.B. notwendige<br />

Entlass- Entscheidungen aufgrund kurzfristiger wirtschaftlicher Gesichtspunkte<br />

beiseite geschoben. Therapeutische Teams haben in Bezug auf solche Entscheidungsprozesse<br />

häufig von vorne herein nur begrenzte Kompetenzen. Es ist daher<br />

sinnvoll, eine Klausel in den Ausschließungs- bzw. Entlassungsgründen zu belassen,<br />

die dem therapeutischen Team individuelle Entscheidungsspielräume öffnet bzw.<br />

offen hält. Hierdurch werden die aktiven Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten<br />

des BehandlerInnen- Teams gestärkt.<br />

Darüber hinaus wurde von ExpertInnen vorgeschlagen, den Katalog der<br />

Ausschließungs- bzw. Entlassungskriterien um die Verhaltensmerkmale<br />

„fortgesetztes kriminelles Verhalten“ und „Beschaffungskriminalität“, aber auch<br />

„bekannter Rechtsradikalismus“ (warum dann aber nicht auch: bekannter Linksradikalismus,<br />

Anarchismus, religiöser Fundamentalismus, Terrorismus usw.?) zu<br />

erweitern. Diese und weitere ähnliche, hoch problematische Verhaltensweisen lassen<br />

sich sehr gut unter die Rubrik „antisoziale Verhaltensweisen“ subsumieren. Es ist<br />

pragmatischer, mit einer solchen übergeordneten Kategorie zu arbeiten, als im<br />

Konzept mit mehr oder minder willkürlichen Listen von Verhaltensweisen<br />

aufzuwarten, die ausschluss- bzw. entlassungsrelevant sind, oder es, bei<br />

fortgesetztem Verhalten, werden können.<br />

- 172 -


Das Kriterium „antisoziale Verhaltensweisen“ bleibt deshalb als Ausschließungs- bzw.<br />

Entlassungsgrund im Konzept erhalten.<br />

Insgesamt ist das Therapiekonzept für die stationäre Jugendhilfepraxis gut geeignet.<br />

Kritische Rückmeldungen der ExpertInnen wurden ausführlich diskutiert, sowie<br />

Lösungsvorschläge erarbeitet.<br />

7.2.2 Diskussion der Umsetzbarkeit des Konzeptes und seiner therapeutischen<br />

Module<br />

Zur untersuchten Fragestellung, ob und wie das Therapiekonzept und dessen<br />

Therapiemodule in der stationären Jugendhilfepraxis umsetzbar sind, gab es im<br />

Einzelnen sehr unterschiedliche Einschätzungen bzw. Rückmeldungen der<br />

interviewten ExpertInnen, die im Folgenden diskutiert werden.<br />

Einrichtung von Doppeldiensten: Für eine Gruppe von Konzept- bzw. Therapiemodulen<br />

(Krisenmanagement, Angehörigenarbeit, sporttherapeutisches Angebot,<br />

Einzelgespräche, Gruppentherapie) wurde betont, dass im Hinblick auf die personelle<br />

Ausstattung Doppeldienste vorgehalten werden sollten, um die beschriebenen<br />

Leistungen auch zuverlässig zu erbringen. Doppeldienste sind im Regelbetrieb<br />

unproblematisch sichergestellt; vgl. dazu oben im Kapitel 7.2.1 „Individualisierung von<br />

Therapieplänen; Vorhaltung von Doppeldiensten“ (S. 169). Ansonsten wurden diese<br />

Module als gut umsetzbar eingeschätzt. Zu Recht wurde weiterhin darauf<br />

hingewiesen, dass in Urlaubs- bzw. Krankheitszeiten die Personaldecke dünn werden<br />

könnte. Dieser Problematik kann ein Stück weit dadurch gegengesteuert werden,<br />

dass in Schulferienzeiten das therapeutische Angebot in ausgedünnter Form<br />

umgesetzt wird. Hier liegt dann der Schwerpunkt mehr auf gemeinsamen<br />

Freizeitaktivitäten. In der Regel verbringen zudem Jugendliche zumindest Teile der<br />

Ferienzeiten in ihren Herkunftsfamilien, soweit keine Kontraindikationen bestehen.<br />

Auch dadurch wird die Arbeitsbelastung der diensthabenden MitarbeiterInnen<br />

reduziert. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass auch in Ferienbzw.<br />

Urlaubszeiten eine Umsetzbarkeit des Konzeptes mit entsprechenden<br />

Einschränkungen sichergestellt ist. Dies stimmt auch mit der Einschätzung der<br />

Interviewten überein, die ganz überwiegend das Konzept mit der vorgesehenen<br />

personellen Ausstattung für gut leistbar hielten. Unbestreitbar ist, dass es in<br />

Ausnahmesituationen zu krankheitsbedingten personellen Engpässen kommen kann.<br />

Dieses Risiko kann jedoch nicht konzeptionell aufgefangen werden.<br />

Motivationale Probleme: Für eine weitere Gruppe von Therapiemodulen<br />

(Rückfallmanagement, Angehörigenarbeit, sporttherapeutisches Angebot, Einzelgespräche,<br />

Gruppentherapie und Selbsthilfegruppen- Besuche) wurde die möglicher<br />

Weise gegebene mangelnde Motivation der Adressaten als Problem für die jeweilige<br />

Umsetzbarkeit benannt. Es überrascht, dass dieses Problem von den ExpertInnen<br />

nur in Bezug auf die genannten Therapiemodule expliziert worden ist, da es sich um<br />

ein generelles Problem in der Jugendhilfearbeit handelt. Jugendliche und deren<br />

Angehörige sind häufig zunächst wenig motiviert, Hilfen anzunehmen und zwar vor<br />

allen Dingen dann, wenn das Jugendamt gegen deren Willen tätig geworden ist und<br />

Unterbringungsmaßnahmen angeordnet hat. Hier gilt es, einfühlsam und verständnisvoll<br />

mit Widerständen umzugehen, Misstrauen so gut es geht abzubauen und über<br />

Beziehungsarbeit Vertrauen zu gewinnen.<br />

- 173 -


In welchem Maße dies gelingt, hängt natürlich nicht nur vom Auftreten und Handeln<br />

der MitarbeiterInnen in den Jugendhilfeeinrichtungen ab, sondern auch von den<br />

Adressaten der Hilfeangebote selbst und von deren Angehörigen. In Extremfällen<br />

dauerhafter, nicht auflösbarer Reaktanz kann es zu einer Verhinderung der<br />

Umsetzbarkeit der Therapieangebote insgesamt kommen, nicht nur zu einer<br />

Infragestellung der Umsetzbarkeit der hier diskutierten einzelnen Therapiemodule.<br />

Extremfälle sind jedoch in der Jugendhilfepraxis wie auch anderswo eher selten<br />

anzutreffen. Die Jugendhilfewirklichkeit und der sich dort vollziehende therapeutische<br />

Prozess ist vielmehr ganz überwiegend gekennzeichnet durch eine fortschreitende<br />

Entwicklung von Motivation und Eigeninitiative bei der jungen Zielklientel in<br />

Abhängigkeit von wachsendem Vertrauen und wachsender Einsicht in die Sinnhaftigkeit<br />

vorgehaltener Beziehungs- und Hilfeangebote, wobei die Motivation bei den<br />

einzelnen Jugendlichen auch starken Tagesschwankungen unterliegen kann. Die<br />

Zielklientel ist schließlich nicht nur über komorbide Störungsbilder definiert. Es<br />

handelt sich ja vor allem auch um pubertierende Teenager, die typischer Weise in<br />

emotionale und motivationale Turbulenzen verstrickt sind.<br />

Es kann deshalb im Diskussionskontext ganz allgemein der folgende Zusammenhang<br />

festgehalten werden: Der Grad der Umsetzbarkeit einzelner Therapiemodule und das<br />

Erreichen von Therapierfolgen steht immer in einem Zusammenhang mit der<br />

jeweiligen Motivation bzw. Demotivation des/ der einzelnen Jugendlichen. Dabei ist<br />

die „Umsetzbarkeit“ einzelner Therapiemodule in Abhängigkeit von der Motivation der<br />

Zielklientel nicht als eine absolute Größe im Sinne von entweder „ganz umsetzbar“,<br />

oder „gar nicht umsetzbar“ zu verstehen, sondern eher im Sinne einer individuellen<br />

(und relativen) Umsetzbarkeit, in Abhängigkeit von der individuell gegebenen<br />

Motivation des jeweiligen Adressaten. Vermutete Probleme bei der Umsetzbarkeit<br />

einzelner Therapiemodule infolge mangelnder Motivation bei der Zielklientel sind<br />

deshalb am besten durch Motivation fördernde Beziehungsangebote zu bearbeiten.<br />

Der Einwand mangelnder Motivation bzw. Kooperation der Zielklientel in Bezug auf<br />

spezielle Therapiemodule ist insoweit zwar angebracht, kann jedoch die Umsetzbarkeit<br />

einzelner Therapiemodule nicht per se in Frage stellen, sondern ist eher<br />

eine Herausforderung für motivationsfördernde Maßnahmen.<br />

Aufnahmevoraussetzungen und Abbruchkriterien:<br />

Aufnahmevoraussetzungen: Ein Einwand betraf den Umstand, dass im Aufnahmeprocedere<br />

nicht immer sichergestellt werden kann, dass alle Entscheidungsträger<br />

zeitgleich „an einen Tisch“ zu bekommen sind. Solche Situationen sollten kreativ und<br />

flexibel unter Nutzung der gängigen Kommunikationsmedien gelöst werden:<br />

Wesentlich wird hierbei sein, dass alle Entscheidungsträger angemessen berücksichtigt<br />

bzw. beteiligt und dass Alleingänge vermieden werden. Wo im Einzelfall das<br />

im Konzept vorgesehene Aufnahmeprocedere nicht vollständig umsetzbar ist, dürften<br />

mit allen Beteiligten einvernehmlich kommunizierte und abgestimmte Entscheidungen<br />

dennoch zu guten konsensualen Ergebnissen führen.<br />

Ein weiteres Problem wurde darin gesehen, dass Jugendliche, die sich absehbar<br />

nicht in die bestehende Gruppe integrieren lassen, dennoch aufgenommen werden<br />

könnten, wenn wirtschaftlicher Druck bestünde, aufnehmen zu müssen, um<br />

kostendeckend arbeiten zu können (Belegungsdruck).<br />

- 174 -


Dieses im stationären Jugendhilfealltag sehr reale und dringende Problem kann nur<br />

„mit Fingerspitzengefühl“ angegangen werden. Hierbei gilt es, sehr sorgfältig<br />

wirtschaftliche gegenüber therapeutischen Interessen abzuwägen. Nicht nur kurzfristige,<br />

sondern auch längerfristige Konsequenzen erforderlicher Entscheidungen<br />

sind zu bedenken. Es gibt in diesem Kontext keine generellen Patent- oder<br />

Ideallösungen, sondern lediglich verantwortlich abwägende Einzelfallentscheidungen.<br />

Eine ExpertIn vermutete, dass bei Erstgesprächen in der Wohngruppe die<br />

Wahrnehmung des Gruppenalltags auf künftige KlientInnen, Eltern und Angehörige<br />

einschüchternd wirken könnte und empfahl deshalb, Erstgespräche nicht in der<br />

Wohngruppe stattfinden zu lassen. Für die Durchführung von Erstgesprächen in der<br />

Wohngruppe spricht jedoch, dass sich künftige KlientInnen und deren Angehörige ein<br />

realistisches eigenes Bild von den sie erwartenden Gegebenheiten direkt vor Ort<br />

machen sollten, um dann eine gut begründete Entscheidung treffen zu können. Dies<br />

sollte unterstützt und nicht erschwert werden. Die Präsentation eines „geschönten“<br />

Bildes der Jugendhilfearbeit mag sich zwar in Einzelfällen ganz kurzfristig günstig auf<br />

die Belegungszahlen auswirken, dürfte aber längerfristig eher den Effekt haben, dass<br />

sich Familien und beteiligte Jugendämter getäuscht fühlen. Es sollten deshalb aus<br />

Gründen der Ehrlichkeit und Transparenz die Erstgespräche, wenn möglich, in der<br />

Wohngruppe stattfinden und nicht außerhalb.<br />

Eine ExpertIn monierte den fehlenden Hinweis im Konzept, dass Jugendliche mit<br />

geistigen Behinderungen nicht aufgenommen werden können. Anspruchsvoraussetzungen<br />

der angebotenen Eingliederungshilfen sind die §§ 35a, 41 SGB VIII.<br />

Nach diesen Rechtsnormen haben Jugendliche mit geistigen Behinderungen keinen<br />

Anspruch auf Gewährung entsprechender Leistungen. Darauf muss nicht noch<br />

einmal zusätzlich im Konzept hingewiesen werden.<br />

Dem Einwand einer ExpertIn, Jugendliche, die sich für eine Fortsetzung des<br />

Konsums entscheiden, auch wieder zu entlassen, kann unter Hinweis auf die im<br />

Konzept vorgelegten differenzierten Abbruchkriterien, sowie die Regelungen zum<br />

Rückfallmanagement hinreichend begegnet werden.<br />

Die Fragestellung einer ExpertIn, welche Instrumente eingesetzt werden könnten, um<br />

Vereinbarungen, die vor einer Aufnahmeentscheidung getroffen werden, für alle<br />

Beteiligten transparent und verbindlich zu machen (hier wäre z.B. zu denken an<br />

Verschriftlichung; Erstellung von Ergebnisprotokollen zu getroffenen Vereinbarungen)<br />

muss nicht im Rahmen eines Therapiekonzeptes beantwortet bzw. dort niedergelegt<br />

werden. Es handelt sich hierbei lediglich um ein Verfahrensdetail. Die komplette<br />

Erfassung solcher Detailregelungen würde den Rahmen eines Therapiekonzeptes<br />

sprengen.<br />

Abbruchkriterien: In Bezug auf die Abbruchkriterien wurde problematisiert, dass<br />

Jugendliche, die eigentlich aus pädagogisch bzw. therapeutisch notwendigen<br />

Gründen entlassen werden müssten, aus wirtschaftlichen Gründen dennoch weiter in<br />

der Gruppe gehalten werden könnten. Auch hier sollten widerstreitende therapeutische<br />

und wirtschaftliche Gesichtspunkte sorgfältig gegeneinander abgewogen<br />

und jeweils verantwortliche Einzelfallentscheidungen getroffen werden.<br />

- 175 -


Eine ExpertIn wandte ein, dass das eigenmächtige Absetzen von Psychopharmaka<br />

kein Abbruchkriterium darstellen sollte. Wie im Konzept beschrieben, ist die<br />

Einnahme verordneter Medikamente jedoch Behandlungsvoraussetzung; vgl. Kapitel<br />

4.2.1.3 (S. 95). So kann z.B. zu einer jungen PsychosepatientIn, die ihre Medikamente<br />

nicht einnimmt, keine tragfähige therapeutische Beziehung hergestellt und<br />

mit ihr kein Arbeitsbündnis geschlossen werden. Die Nichteinnahme verordneter<br />

Psychopharmaka ist im Konzept als fakultativer Entlassungsgrund beschrieben, da<br />

Berücksichtigung finden soll, dass Unregelmäßigkeiten bei der Einnahme<br />

insbesondere in der Initialphase einer langfristig angelegten Medikation auftreten<br />

können. Betroffene junge Menschen müssen sich mit den eintretenden Nebenwirkungen<br />

von Psychopharmaka auseinandersetzen und letztendlich aussöhnen.<br />

Dennoch bleibt eine stabile medikamentöse Versorgung Arbeits- und Behandlungsgrundlage.<br />

Ist sie dauerhaft nicht herzustellen, wird eine Entlassung unabdingbar.<br />

Eine weitere ExpertIn hielt das Kriterium „fortgesetzter Konsum“ als Entlassungsgrund<br />

insoweit für unpraktikabel, als die WG zwar als „suchtmittelfreie Zone“<br />

konzipiert sei, das Konzept aber andererseits dennoch ein Rückfallmanagement<br />

anbiete. Dies führe zu einer „widersprüchlichen Situation“. Wie in Kapitel 4.2.1.5<br />

(S.97) dargelegt, kann im Rahmen von Rückfallnachbearbeitungen deutlich werden,<br />

dass der junge Mensch keine weitere Therapie wünscht, bzw. in jedem Fall weiter<br />

konsumieren möchte. Dann wird eine Entlassung unvermeidlich. Anderenfalls können<br />

und sollen Rückfälle als Teil der Suchterkrankung verstanden und adäquat<br />

nachbearbeitet werden. Dies stellt keine widersprüchliche, sondern (nur) eine<br />

differenzierte Vorgehensweise dar. Das Argument der ExpertIn könnte allerdings<br />

auch so verstanden werden, dass sie das Rückfallmanagement grundsätzlich in<br />

Frage stellen wollte. Eine solche Position wird hier nicht unterstützt: Die Therapie<br />

einer Suchterkrankung ist ohne ein Rückfallmanagement unvollständig, da sie ganz<br />

wesentliche Erkrankungsaspekte ausklammern würde.<br />

Krisenmanagement und Rückfallmanagement:<br />

Krisenmanagement: In Bezug auf das Krisenmanagement wurden drei Problemfelder<br />

benannt:<br />

1: Eine psychiatrische Akutversorgung könnte aufgrund von Wartezeiten bei<br />

niedergelassenen FachärztInnen oder in Kliniken schwierig werden.<br />

2: Die kurzfristige Einrichtung von Doppeldiensten an Wochenenden, um Akutkrisen<br />

abzufangen, könnte schwierig werden.<br />

3: Die Wichtigkeit gut vernetzter Arbeit mit einrichtungsexternen psychiatrischen<br />

Versorgungsdienstleistern wurde betont. Alleine gehe es nicht.<br />

Zu 1: Wartezeiten bei niedergelassenen FachärztInnen und bei Kliniken, die eine<br />

Pflichtversorgung haben, kann es immer geben. Durch eine enge und vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit insbesondere mit niedergelassenen FachärztInnen und durch<br />

entsprechende Absprachen/ Vereinbarungen können solche Wartezeiten ggf.<br />

verringert werden. Die Zusammenarbeit mit Kliniken ist in dieser Hinsicht schwieriger,<br />

da das (fach-) ärztliche Personal dort häufig wechselt, wodurch tragfähige Absprachen<br />

erschwert werden. Eine notwendige Akutversorgung kann trotz dieser<br />

Erschwernisse dennoch sichergestellt werden innerhalb der Beziehungsmatrix von<br />

jungem Patienten/ junger Patientin, BezugstherapeutIn, sozialpsychiatrischem Dienst,<br />

niedergelassener FachärztIn, klinischer Versorgung und ggf. einem Richter/ einer<br />

Richterin bei bestehender Notwendigkeit eines richterlichen Beschlusses im Kontext<br />

von Zwangseinweisungen.<br />

- 176 -


In ganz dringenden Notfällen kann darüber hinaus auch die Rettungsleitstelle und/<br />

oder die Polizei mit einbezogen werden. Ergänzend können, eine gute und<br />

konstruktive Beziehung vorausgesetzt, auch Angehörige der Patientin/ des Patienten<br />

mit einbezogen werden. Mit entstehenden Verzögerungen ist dennoch immer zu<br />

rechnen. Sie gehören zum Risikomanagement von Akutkrisen und sind schlichtweg<br />

zu akzeptieren.<br />

Zu 2: In aller Regel bahnen sich auch akute Psychosekrisen/ Dekompensationskrisen<br />

an und können bereits in einem frühen Stadium erkannt und behandelt werden. Um<br />

Problemen bei der kurzfristigen personellen Aufstockung an Wochenenden<br />

gegenzusteuern, kann deshalb zunächst im Vorfeld sich anbahnender Krisen der<br />

Kontakt zur niedergelassenen FachärztIn (oder deren Vertretung) genutzt werden. So<br />

sind frühzeitige PatientInnenvorstellungen in der fachärztlichen Praxis, Absprachen<br />

zu Medikationsveränderungen mit der FachärztIn oder eine frühzeitige Einplanung<br />

von Doppeldiensten an Wochenenden in der Regel gut umsetzbar. Auch hier wird es<br />

gelegentlich jedoch nicht vorhersehbare Ausnahmesituationen geben. Eine flexible<br />

Absprache von Hintergrundbereitschaften innerhalb des Teams kann in diesem<br />

Zusammenhang sehr hilfreich sein.<br />

Zu 3: Dass Alleingänge im professionellen Kontext stationärer Jugendhilfe und<br />

therapeutischer Arbeit Probleme aufwerfen, ist eine Binsenweisheit. Im vorgelegten<br />

Konzept ist eine enge Zusammenarbeit mit externen AnbieterInnen psychiatrischer<br />

Versorgung festgelegt; vgl. das Krisen- und Rückfallmanagement im Kapitel 4.2.1.5<br />

(S. 97). Hier wird der Wichtigkeit der Vernetzung mit externen Einrichtungen/<br />

Institutionen psychiatrischer Versorgung hinreichend Rechnung getragen.<br />

Rückfallmanagement: In Bezug auf das Rückfallmanagement wurden folgende<br />

Problemfelder benannt:<br />

1: Der Rückfall eines Jugendlichen könnte von den übrigen Jugendlichen der<br />

Wohngruppe als vorsätzliche Regelverletzung missverstanden werden. Hier hilft eine<br />

gute Kommunikation, sowie Offenheit und Transparenz im Umgang mit Rückfällen:<br />

Wird ein Rückfall offen auch gegenüber den MitbewohnerInnen der Einrichtung<br />

angesprochen, können solche Missverständnisse vermieden oder zumindest<br />

minimiert werden.<br />

2: Beteiligte Jugendämter könnten mit einer Entlassungsentscheidung nicht<br />

einverstanden sein und dann künftig die Wohngruppe nicht mehr belegen. Ein<br />

möglichst hohes Maß an Kommunikation und Transparenz kann auch hier dabei<br />

helfen, Entscheidungsprozesse nachvollziehbarer und Entscheidungen konsensfähig<br />

zu machen.<br />

3: Die Unterscheidung, ob ein Jugendlicher nach wiederholten Rückfällen noch<br />

hinreichend abstinenzmotiviert ist oder nicht, kann Probleme bereiten. Hier gilt, dass<br />

für jeden Einzelfall eine gründliche Rückfallnachbearbeitung erfolgt, in der auch die<br />

Schutzinteressen der übrigen Jugendlichen mit berücksichtigt werden müssen. Um zu<br />

einer kompetenten Einschätzung der Lage und einer situationsangemessenen Entscheidung<br />

zu gelangen, sollte auch das Fachwissen der KollegInnen im Team mit<br />

genutzt werden. Im Einzelfall wird es dann immer noch Situationen geben, in denen<br />

es schwierig bleibt, zu angemessenen Einschätzungen und Entscheidungen zu gelangen.<br />

Ein Argument gegen ein Rückfallmanagement sind solche Schwierigkeiten<br />

jedoch nicht.<br />

- 177 -


Eine ExpertIn wandte ein, dass das Konzept unklar sei hinsichtlich der Frage, ob<br />

Jugendliche rückfällig werden dürften, oder nicht. Sie schlug vor, dass eine Null-<br />

Toleranz in Bezug auf Rückfälle gelten solle. Eine solche Null- Toleranz ist jedoch nur<br />

umsetzbar unter Preisgabe des Rückfallmanagements. Wie bereits weiter oben in der<br />

Auseinandersetzung mit den Problemen bei den Abbruchkriterien ausgeführt (S.176),<br />

ist ein Rückfallmanagement, das die Aufarbeitung von Rückfällen vorsieht, integraler<br />

Bestandteil des Therapiekonzeptes. Insoweit kommt eine Null- Toleranz in Bezug auf<br />

Rückfälle nicht in Frage.<br />

Arbeitstherapie:<br />

Im Kontext der Arbeitstherapie wurden folgende Probleme benannt:<br />

1: Zu viele Jugendliche gleichzeitig in der Arbeitstherapie erschweren die Umsetzbarkeit<br />

dieses Therapiemoduls und aufgrund der unterschiedlichen Belastbarkeit<br />

der einzelnen Jugendlichen kann die Sicherstellung von Tagesstruktur im Einzelfall in<br />

Frage stehen.<br />

2: Es kann Probleme geben bei der Vermittlung von Jugendlichen mit sozialen<br />

Schwellenängsten in externe Arbeitstherapieangebote (Praktika etc.).<br />

3: TeamkollegInnen könnten für zu wenig Verlässlichkeit und Kontinuität bei der<br />

Durchführung des Arbeitstherapieangebotes sorgen.<br />

Zu 1: Die Einwände erscheinen nur auf den ersten Blick berechtigt. Es ist<br />

unwahrscheinlich, dass, bei einer Gesamtzahl der WG- BewohnerInnen von max.<br />

acht Personen, mehr als die Hälfte der Jugendlichen gleichzeitig im Rahmen der<br />

Arbeitstherapie gefördert werden muss. Bis zu vier Jugendliche können aber gut von<br />

einer Person angeleitet und auch individuell gefördert werden. Bei einem<br />

Betreuungsschlüssel von maximal 1:4 ist auch nicht ersichtlich, warum individuelle<br />

Tagesstruktur nicht hinreichend sichergestellt werden können sollte. Außerdem<br />

besteht entlastend immer die Möglichkeit, ein bis zwei Jugendliche der vormittags<br />

präsenten Hauswirtschafterin für den hauswirtschaftlichen Bereich zuzuteilen.<br />

Insofern ist nicht mit erhöhten Problemen bei der Umsetzbarkeit der Arbeitstherapie<br />

durch „zu viele Jugendliche“ zu rechnen.<br />

Zu 2: Das benannte Problem kann in der Praxis tatsächlich virulent werden. Aber<br />

gerade dann wäre es ein individueller Therapiefortschritt, wenn der betreffende<br />

Jugendliche sich therapeutisch begleitet mit seinen Ängsten auseinandersetzt und<br />

diese meistert. Es ist dabei immer zu berücksichtigen „wie viel geht“. Schwerwiegend<br />

psychisch erkrankte Jugendliche sollten nicht chronisch überfordert (aber eben auch<br />

nicht unterfordert) werden. Hier sollte, wie sonst auch in der Therapie üblich, eine<br />

angemessene individuelle Therapieplanung und Förderung Vorrang haben vor einer<br />

schematischen Vorgehensweise. Entwicklungsspielräume sollten maximal genutzt,<br />

aber individuelle Leistungsgrenzen auch eingehalten werden. Wie viel dem einzelnen<br />

jungen Menschen abverlangt werden kann, sollte auch gegenüber Angehörigen und<br />

dem Jugendamt gut kommuniziert werden.<br />

Zu 3: In Teamsupervisionen kann eigenes professionelles Verhalten regelmäßig<br />

kritisch durchleuchtet und hinterfragt werden. Optimierungspotentiale können wahrgenommen<br />

und ausgeschöpft werden. Es ist zudem auch Aufgabe der Teamleitung<br />

und übergeordneter Vorgesetzter, ein bestehendes Team dabei zu unterstützen,<br />

seine Potentiale zu erkennen und effizient zu nutzen.<br />

- 178 -


Individuelle Disziplin und ein Ernstnehmen der beruflichen Aufgaben sollte zudem<br />

vorausgesetzt werden können. Dies gilt auch in Bezug auf Erfordernisse, die eine<br />

vorgehaltene Arbeitstherapie mit sich bringt.<br />

Angehörigenarbeit:<br />

Es wurden Kosten- und Logistikprobleme für diejenigen Angehörigen benannt, die<br />

weite Anreisewege in Kauf zu nehmen hätten. Im Einzelfall könnte dies zu einer<br />

Nichtteilnahme an angebotenen Angehörigenseminaren führen.<br />

Hier können Hemmnisse teils durch eine gute Beziehungsarbeit und teils durch ein<br />

flexibles Entgegenkommen seitens des therapeutischen Teams abgebaut werden.<br />

Angehörige dürften eher motiviert sein, längere Anreisewege in Kauf zu nehmen,<br />

wenn zuvor eine gute und einvernehmliche Vertrauensbeziehung zum therapeutischen<br />

Team hergestellt werden konnte. Im Sinne eines Entgegenkommens<br />

könnten z.B. bei Bedarf Übernachtungsmöglichkeiten für Eltern in der Jugendhilfeeinrichtung<br />

angeboten werden.<br />

Trotz solcher variablen Möglichkeiten wird es im Einzelfall immer wieder Eltern/<br />

Angehörige geben, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht an Seminaren<br />

teilnehmen können oder wollen. Damit sollte ein therapeutisches Team akzeptierend<br />

umgehen, ohne abwertende „Label“ (z.B. „Prekariatsfamilien“, wie von einer interviewten<br />

ExpertIn verwendet), zu vergeben.<br />

Es wurde von ExpertInnenseite ergänzend mehrfach darauf hingewiesen, dass<br />

Elternarbeit auch aufsuchende Arbeit sein müsse. Es sei mindestens ein Besuch im<br />

Elternhaus des jungen Menschen einzuplanen, um individuelle Entwicklungshintergründe<br />

und –kontexte besser verstehen zu können.<br />

Aufsuchende Angehörigenarbeit sollte im Zusammenhang mit dem<br />

Beziehungsaufbau zu den Eltern/ Angehörigen verwirklicht werden und zwar<br />

angepasst an den jeweiligen Entwicklungsstand der Beziehung. Festgeschrieben<br />

werden im Konzept sollte dieser aufsuchende Ansatz nicht, da sich Eltern sonst<br />

schnell als Adressaten bzw. Objekte „invasiver“ und „ausspähender“ Aktivitäten<br />

fühlen könnten. Das „Eindringen“ in die wohnliche und familiäre Privatsphäre der<br />

Angehörigen geht nur dann, wenn vorher eine entsprechende Beziehungsentwicklung<br />

stattgefunden hat, die diesen Schritt für alle Beteiligten als angemessen und<br />

erwünscht erscheinen lässt. Es sollte hier deshalb individuell der Spielraum dafür<br />

offen bleiben, ob und wann solche Maßnahmen realisiert werden.<br />

In einer weiteren ergänzenden ExpertInnenrückmeldung wurde vorgeschlagen,<br />

ausdrücklich auch Peer- Gruppen mit in die Netzwerkarbeit einzubeziehen.<br />

Es ist ein sehr guter Ansatz, bestehende soziale Kontakte eines bzw. einer Jugendlichen<br />

konstruktiv zu nutzen, um den therapeutischen Prozess günstig zu beeinflussen<br />

und Therapiefortschritte zu perpetuieren. Manchmal geht es in der Therapie<br />

aber auch um das genaue Gegenteil, nämlich dysfunktionale Beziehungen sicher und<br />

dauerhaft zu beenden. Es sollte im gesamten Therapieprozess immer die Möglichkeit<br />

dazu bestehen, förderliche Beziehungen auszubauen, sowie konstruktive Kontakte zu<br />

fördern und zu unterstützen, während der junge Mensch gleichzeitig dabei unterstützt<br />

werden sollte, destruktive Beziehungen zu beenden.<br />

- 179 -


Hier ist in hohem Maße individualisiert und bedarfsangepasst vorzugehen: Nur dort,<br />

wo die therapeutische Beziehung es zulässt und der junge Mensch selber einen<br />

entsprechenden Handlungsauftrag erteilt, sollte Netzwerkarbeit stattfinden.<br />

Konzeptionelle Festschreibungen in diesem Kontext, die allenfalls (schematische)<br />

Standards festlegten, würden der hier erforderlichen sensiblen und individualisierten<br />

Vorgehensweise eher zuwiderlaufen. Neben der konkreten Einbeziehung von Angehörigen<br />

durch persönliche Kontakte kann Netzwerkarbeit auch erfolgen durch<br />

Visualisierungsmethoden und den Einsatz kreativer Medien.<br />

Sporttherapeutisches Angebot:<br />

Im Hinblick auf sporttherapeutische Angebote wurde angemerkt: Motivationsdefizite<br />

bei übergewichtigen Jugendlichen oder solchen, die regelmäßig Psychopharmaka<br />

einnehmen müssen, erschweren die Umsetzung der Sportangebote. Weiterhin kann<br />

es Schwierigkeiten bereiten, auf individuell unterschiedliche Leistungsgrenzen<br />

angemessen einzugehen. Außerdem müssten die sportlichen Anforderungen auch für<br />

die Diensthabenden leistbar sein. Hierzu folgende Überlegungen:<br />

Bei der Begleitung bzw. Anleitung sportlicher Aktivitäten geht es nicht so sehr darum,<br />

mit den Jugendlichen in einen Leistungsvergleich zu treten und möglichst mithalten<br />

zu können. Es geht vielmehr darum, dass die Sportangebote überhaupt begleitet<br />

werden und dass eine Motivierung zu sportlicher Betätigung durch das Engagement<br />

und die Präsenz der MitarbeiterInnen erfolgt. Auch „unsportlichere“ MitarbeiterInnen<br />

können dies einfach durch Präsenz und „Mitmachen“ sicherstellen. Insofern müssen<br />

nicht alle sportlichen Anforderungen für die Diensthabenden selber auch leistbar sein.<br />

Sportliche „Minderleistungen“ von TherapeutInnen stehen demnach einer Umsetzbarkeit<br />

des Sportangebotes nicht im Wege. Im Gegenteil: In Gruppen mit sehr<br />

heterogener Leistungsfähigkeit können Diensthabende sich besonders um diejenigen<br />

Jugendlichen kümmern, die schnell an ihre Leistungsgrenzen gelangen und rasch<br />

erschöpfbar sind (z.B. Jugendliche mit einer Adipositas oder solche, die regelmäßig<br />

Psychopharmaka einnehmen müssen). Gerade diese Jugendlichen brauchen<br />

Ermutigung, Unterstützung und Motivierung durch Begleitung und Zuwendung.<br />

Leistungsstarke Jugendliche hingegen dürfen im Sportbereich durchaus auch „Siege“<br />

über TherapeutInnen/ PädagogInnen feiern. Dies kann ihr Selbstvertrauen stärken.<br />

Und durch einen angemessenen Umgang mit sportlichen „Niederlagen“ können<br />

TherapeutInnen/ PädagogInnen modellhaft zeigen, wie ein konstruktiver Umgang mit<br />

Misserfolgserlebnissen aussehen kann. Insgesamt müsste demnach das Sportangebot<br />

trotz der von den ExpertInnen genannten Einwände gut realisierbar sein.<br />

Eine ExpertIn meinte ergänzend zum Sportangebot, dass der Beitritt in einen<br />

Sportverein entweder für alle Jugendlichen verbindlich festgeschrieben werden<br />

müsse, oder im Konzept gar nicht erst erwähnt werden solle. Hiergegen spricht<br />

einerseits, dass Vereins- Zwangsmitgliedschaften in der Praxis höchst unproduktive<br />

Ergebnisse zeitigen: Jugendliche, die Vereinssport ablehnen, können hierzu nicht<br />

gezwungen werden und werden schlichtweg die Teilnahme an solchen Aktivitäten<br />

boykottieren. Andererseits gibt es jedoch Jugendliche, die bei Aufnahme in die<br />

Jugendhilfegruppe bereits über gute Erfahrungen mit Vereinssport verfügen und für<br />

die es eine wichtige Information ist, dass Vereinssportaktivitäten auch künftig<br />

fortgesetzt werden können. Für eine dritte Gruppe von Jugendlichen, die erst im<br />

Verlauf der Therapiezeit Interesse an für sie attraktive Vereinssportarten entwickelt,<br />

sollte das Angebot ebenfalls im Konzept erhalten bleiben.<br />

- 180 -


Einzelgespräche:<br />

Bei den Einzelgesprächen gab es unterschiedliche Einschätzungen zur Häufigkeit der<br />

Gesprächskontakte (ein Einzelgespräch pro Woche sei zu viel bzw. zu wenig), ohne<br />

dass hier nähere Begründungen gegeben wurden. An der im Konzept vorgesehenen<br />

Durchführungsfrequenz ist aus den von den ExpertInnen mehrheitlich benannten<br />

Gründen festzuhalten; vgl. im Kapitel 6.6.3 die Tabelle 3d: „Einzelgespräche“ (S.164).<br />

Es wurde eingewendet, dass unter Umständen ein Jugendlicher ein Einzelgespräch<br />

verweigern könnte. Hier sollte, wie sonst auch, flexibel mit Reaktanz umgegangen<br />

werden. Gibt es den Jugendlichen akut belastende Gründe, könnten diese ggf.<br />

exploriert und thematisiert werden. Oft hilft auch ein flexibles zeitliches Ausweichen:<br />

Was hier und jetzt akut ganz und gar nicht geht, kann in wenigen Stunden oder am<br />

Folgetag schon wieder gut möglich sein. Ein geschmeidiger Umgang mit Widerstand<br />

ist immer hilfreicher als ein starres Einfordern der Einhaltung von Regeln.<br />

Der ergänzende Hinweis einer ExpertIn, die Gespräche nicht in einem „so starren<br />

Rahmen“ stattfinden zu lassen, sondern eher in einem alltagsbezogenen Kontext<br />

(z.B. im Rahmen einer gemeinsam durchgeführten Aktivität, eines gemeinsamen<br />

Kaffeetrinkens) geht in eine ähnliche Richtung: Die Einzelgespräche sollten vor allem<br />

dem Ausbau und der Vertiefung der therapeutischen Beziehung dienen. Eine weitere<br />

Reglementierung der Einzelgespräche, wie von einer ExpertIn ergänzend dahin<br />

gehend gefordert, dass auch Regeln etabliert werden müssten, was zu geschehen<br />

habe, wenn ein Einzelgespräch verweigert würde, dient nicht dieser Zielsetzung und<br />

muss deshalb nicht im Konzept festgeschrieben werden.<br />

Eine ExpertIn wandte ein, dass Einzelgespräche vor dem Hintergrund einer gestörten<br />

Kommunikation im Team auch dazu missbraucht werden könnten, dass Spaltungstendenzen<br />

im Team befördert würden. Dieser Einwand problematisiert weniger den<br />

Nutzen von Einzelgesprächen, als vielmehr eine ggf. gestörte Kommunikationskultur<br />

im BehandlerInnen- Team. Neben einem zu erwartendem Mindestmaß an Professionalität<br />

im Team, das die kritische Selbstreflexion eigenen beruflichen Handelns<br />

mit einschließen sollte, können Kommunikationsprobleme vor allem im Rahmen von<br />

Teambesprechungen und Teamsupervisionen thematisiert und geklärt werden. Der<br />

Sinn und Zweck von Einzelgesprächen bleibt hiervon jedoch grundsätzlich unberührt.<br />

Gruppentherapie/ Indikativgruppen: Ein Problem bei der Umsetzbarkeit von Indikativgruppen<br />

wurde darin gesehen, dass aufgrund der Heterogenität der gegebenen<br />

Störungsbilder eine schwierige Gruppendynamik dann entstehen könnte, wenn immer<br />

alle Jugendlichen zur Teilnahme an jeder angebotenen Indikativgruppe verpflichtet<br />

wären. Von ExpertInnen wurde deshalb vorgeschlagen, dass nicht immer alle<br />

Jugendlichen zur Teilnahme an den durchgeführten Indikativgruppen verpflichtet<br />

werden sollten.<br />

- 181 -


Für diesen Vorschlag spricht, dass Indikativgruppen nach bestehender Indikation und<br />

gerade nicht allgemein verpflichtend besucht werden sollten. Eine Umsetzung dieses<br />

Vorschlags würde dazu führen, dass sich in Indikativgruppen eher Jugendliche mit<br />

homogenen und nicht mit heterogenen Störungsbildern träfen und dass damit der<br />

Entstehung einer (vermuteten) schwierigen Gruppendynamik ein wirksamer Riegel<br />

vorgeschoben würde.<br />

Für eine Individualisierung von Therapieplänen entsprechend der jeweils bestehenden<br />

Indikation wurde bereits weiter oben argumentiert; vgl. Kapitel 7.2.1 „Individualisierung<br />

von Therapieplänen; Vorhaltung von Doppeldiensten“ (S. 169f). Die<br />

hierfür erforderliche Vorhaltung von Personal im Rahmen von Doppeldiensten kann in<br />

der Regel gut sichergestellt werden. Ein weiterer Vorteil der Individualisierung der<br />

Therapieplanung liegt darin, dass die durchgeführten Indikativgruppen kleiner<br />

würden. Hierdurch würde die Chance jedes einzelnen jungen Menschen erhöht, sich<br />

gleichberechtigt in das Gruppengeschehen mit eigenen Themen und Anliegen<br />

einbringen zu können. In allgemein verbindlichen und damit größeren Indikativgruppen<br />

wurde von interviewten ExpertInnen gerade diese individuelle Chancengleichheit<br />

auf Beteiligung problematisiert und in Frage gestellt. Die von den<br />

ExpertInnen im Zusammenhang mit der Durchführung von Indikativgruppen vermuteten<br />

Probleme „Chancengleichheit aller Jugendlichen auf Beteiligung“, „Entstehung<br />

einer schwierigen Gruppendynamik bei Indikativgruppen, die von Jugendlichen mit<br />

heterogenen Störungsbildern besucht werden“ und „schwierige Gruppendynamik,<br />

wenn Gruppen zu groß sind“ können durch eine Individualisierung der Therapieplanung<br />

gut bearbeitet und eingegrenzt werden.<br />

Der Vorschlag einer ExpertIn, Vorbereitungszeiten für die Durchführung von<br />

Gruppentherapien als Arbeitszeit von den Präsenzzeiten in der Gruppe freizustellen,<br />

sollte im Rahmen der Dienstplanung aufgegriffen und, soweit möglich, umgesetzt<br />

werden. Darüber hinaus bestünde auch im Rahmen von Teamsitzungen, sowie<br />

Supervisions- und Fortbildungsveranstaltungen die Möglichkeit, praktikable und<br />

umsetzbare Konzepte für Indikativgruppenangebote zu entwickeln. Eine weitere<br />

ExpertIn gab zu bedenken, dass qualifiziertes Personal vorgehalten werden müsse,<br />

das sich auch mit suchtspezifischen Themen auskennt; vgl. zu dieser Thematik<br />

Kapitel 7.2.1, „Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ (S. 171).<br />

Ein Verbesserungsvorschlag sah vor, gruppentherapeutische Angebote nicht<br />

innerhalb der Wohngruppe durchzuführen. Durchführungen in der Wohngruppe<br />

wurden von einer ExpertIn als „eher negativ“ eingeschätzt, da sich in den<br />

Gruppenräumlichkeiten „zu viele Gefühlsebenen und Alltag miteinander vermischen“.<br />

Abgesehen von der wenig nachvollziehbaren, recht diffus daherkommenden<br />

Begründung wäre eine Umsetzung des Vorschlags mit einem erheblichen<br />

organisatorischen Mehraufwand verbunden. Es spricht auch aus therapeutischer<br />

Sicht nichts zwingend dagegen, Gruppentherapien in einem möglichst alltagsnahen<br />

Umfeld stattfinden zu lassen, da es hier ja gerade auch um die Bearbeitung von<br />

alltagsbezogenen Verhaltensweisen geht. Je lebensweltnäher therapeutische<br />

Interventionen stattfinden, desto „normaler“ und „selbstverständlicher“ passen sich<br />

diese in das Leben der Jugendlichen ein und mit desto weniger Reaktanz ist bei<br />

ihnen zu rechnen.<br />

- 182 -


Der ExpertInnenvorschlag, Gruppentherapien nur in wohngruppenexternen Räumlichkeiten<br />

stattfinden zu lassen, wird deshalb verworfen.<br />

Selbsthilfegruppen- Besuche:<br />

Die Selbsthilfegruppen- Besuche betreffend wurden folgende drei Fragen<br />

aufgeworfen:<br />

1: Wer trägt die Kosten bei kostenpflichtigen Selbsthilfegruppen?<br />

2: Wer leistet die Fahrdienste, wenn Selbsthilfegruppen nicht standortnah vorhanden<br />

sind?<br />

3: Wie kann die Regelmäßigkeit von Selbsthilfegruppenbesuchen kontrolliert werden?<br />

Zu 1: Das Konzept sieht eigentlich nur Selbsthilfegruppenbesuche in Bezug auf<br />

Suchtstörungen vor. Der Besuch entsprechender Selbsthilfegruppen ist regelmäßig<br />

nicht kostenpflichtig. Die Idee, bedarfsweise auch für andere Problemstellungen/<br />

Störungen indikationsspezifisch Selbsthilfegruppen zu frequentieren, ist jedoch<br />

bedenkenswert. Soweit entsprechende Selbsthilfegruppen kostenpflichtig wären,<br />

könnte mit dem Jugendamt im Einzelfall gut über eine Kostenübernahme verhandelt<br />

werden. Entweder ließe sich, bei gut begründeter Indikation zum Besuch einer<br />

solchen Selbsthilfegruppe, eine Kostenübernahme des Jugendamtes aus den sog.<br />

individuellen Sonderleistungen ableiten, oder aus der rechtlichen Verweisungskette<br />

der §§35a Absatz 3 SGB VIII in Verbindung mit 54 Absatz 1 SGB XII und 26 Absatz<br />

3, Ziffer 4 SGB IX. Dort ist die Zuständigkeit des öffentlichen Jugendhilfeträgers für<br />

die Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten<br />

niedergelegt. Insoweit das zuständige Jugendamt die Kosten dennoch nicht übernähme,<br />

könnte der Rechtsweg beschritten werden, oder es entfiele die Bereitstellung<br />

eines entsprechenden Angebotes.<br />

Zu 2: Fahrdienste können erforderlichenfalls nicht nur durch MitarbeiterInnen des<br />

therapeutischen Teams vorgenommen werden, sondern auch durch Frauen oder<br />

Männer, die ein freiwilliges soziales Jahr ableisten bzw. durch PraktikantInnen oder<br />

Kräfte im Bundesfreiwilligendienst, soweit diese über eine gültige Fahrerlaubnis<br />

verfügen und eine praktische Fahreinweisung erhalten haben. So kann ggf. ein<br />

erforderlicher Fahrdienst sichergestellt und die Umsetzbarkeit von Selbsthilfegruppenbesuchen<br />

gewährleistet werden.<br />

Zu 3: Eine Kontrolle von Selbsthilfegruppen- Besuchen ist in der Tat nur<br />

eingeschränkt möglich. Anstatt vorrangig auf Kontrolle zur Sicherstellung der<br />

Gruppenbesuche zu setzen, geht es auch hier wieder eher um die Förderung von<br />

Motivation über Beziehungsarbeit. Wie bereits ausgeführt, korreliert der Grad der<br />

Umsetzbarkeit einzelner Therapiemodule mit der individuellen Motivation der<br />

einzelnen Jugendlichen. Die Umsetzbarkeit des Moduls Selbsthilfegruppen- Besuche<br />

ist vor dem Hintergrund nur eingeschränkter Kontrollierbarkeit also nicht grundsätzlich<br />

in Frage gestellt insoweit es gelingt, Motivation bei den einzelnen Jugendlichen, die<br />

von dem Angebot profitieren können, zu fördern. Hierauf kommt es an.<br />

- 183 -


Abendrunde:<br />

Zu einer notwendigen Modifikation des Abendrundenangebots wurde bereits bei der<br />

Diskussion der Geeignetheit des Konzeptes und seiner therapeutischen Module im<br />

Kapitel 7.2.1; „Grenzen der Machbarkeit; Abendrunde“ (S. 168f) Stellung genommen.<br />

Die Abendrunde ist günstiger im Rahmen des gemeinsamen Abendessens und im<br />

Sinne einer vorrangig positiven Feedback- Runde durchzuführen. Schwerpunktmäßig<br />

sollte herausgestellt werden, was am Tag gut gelaufen ist, um persönliche<br />

Ressourcen anzuerkennen und zu fördern, sowie den Selbstwert der Jugendlichen zu<br />

stärken bzw. zu stabilisieren.<br />

Eine ExpertIn schlug vor, die Abendrunde (so, wie sie im Konzept ursprünglich vorgesehen<br />

war) nur zwei oder drei Mal in der Woche stattfinden zu lassen. Bezogen auf<br />

das modifizierte Abendrundenmodell während der Abendessenszeit wäre es eher<br />

ungünstig, die Rückmeldungsrunde unregelmäßig durchzuführen. Erfolgt sie täglich,<br />

ist sie rasch ein fest etabliertes Alltagsritual, welches dann auch von den Jugendlichen<br />

nicht mehr bekämpft wird, weil es dann einfach zum Abendessen dazu gehört.<br />

Eine Ergänzung sah vor, zusätzlich jeden Sonntag beim Frühstück eine<br />

ausführlichere Gesprächsrunde anzubieten. In diesem Rahmen könnten wechselseitige<br />

Feedbacks gegeben und Beziehungskonflikte bearbeitet werden. Für klärende<br />

Gespräche in diesem Rahmen ist mitzubedenken, dass viele Jugendliche an<br />

Wochenenden auch nach Hause fahren, so dass solche Sonntag- Morgen-<br />

Gespräche naturgemäß in einem verkleinerten Rahmen stattfinden würden.<br />

Insgesamt ist das Therapiekonzept mit den einzelnen therapeutischen Modulen im<br />

Rahmen der stationären Jugendhilfepraxis gut umsetzbar. Kritische Rückmeldungen<br />

der ExpertInnen wurden ausführlich diskutiert, sowie Lösungsvorschläge erarbeitet.<br />

8 Ausblick<br />

Das integrative Therapiekonzept ist einem örtlichen freien Jugendhilfeträger („Kinderheimat<br />

Gifhorn“) angeboten worden. Es besteht von Seiten der dortigen Gesamteinrichtungsleitung<br />

ein hohes Interesse an der Implementierung des Konzeptes im<br />

Rahmen einer stationären Wohngruppe („WG Aufwind“), die auf der Rechtsgrundlage<br />

der §§ 35a, 41 SGB VIII arbeitet.<br />

Der Leiter der Gesamteinrichtung wies jedoch darauf hin, dass der Niedersächsische<br />

Rahmenvertrag nach §78f Kinder- und Jugendhilfegesetz (= SGB VIII) derzeit<br />

aufgekündigt ist.<br />

Dieser Vertrag regelt u.a. (§1 Absatz 1) „Grundsätze für die Vereinbarung von<br />

Leistungen, […] sowie Bewertung und Gewährleistung der Qualität der Leistungen für<br />

[…] Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in […]<br />

Einrichtungen über Tag und Nacht […] (§35a Absatz 1 Satz 2 Nr. 4 [SGB VIII])“,<br />

sowie „Hilfe für junge Volljährige (§41 [SGB VIII])“ […]. In § 3 des Niedersächsischen<br />

Rahmenvertrages heißt es: „Grundlage für die Leistungsvereinbarung ist das<br />

Leistungsangebot der Einrichtung." Weiterhin regelt der Rahmenvertrag die jeweils<br />

geltende Entgeltvereinbarung für Leistungen, ein Raster für Leistungsangebote,<br />

Bestandteile einer Leistungsvereinbarung, Aspekte der Qualitätsentwicklung, Grundlagen<br />

und Erläuterungen zur Entgeltvereinbarung und Regelungen für individuelle<br />

Sonderleistungen.<br />

- 184 -


Ein geltender Rahmenvertrag nach §78f SGB VIII ist also Grundlage und<br />

unverzichtbare Voraussetzung für die Erstellung eines Leistungsangebotes bzw.<br />

eines therapeutischen Konzeptes, wenn dieses in der Praxis der Jugendhilfe auch<br />

durch die zuständigen Jugendämter finanziell entgolten werden soll.<br />

Da man sich auf Landkreistags-, Städtetags- und Spitzenverbandsebene bisher nicht<br />

auf die Modalitäten eines neuen Rahmenvertrages hat einigen können, schlägt die<br />

Leitung der „Kinderheimat Gifhorn“ vor abzuwarten, bis sich die künftigen rechtlichen<br />

Bedingungen klarer gestalten. Dann könne man die praktische Anwendung des<br />

Therapiekonzeptes bzw. dessen Implementierung in die (Jugendhilfe-) Praxis in Form<br />

eines neuen Leistungsangebotes für die „WG Aufwind“ in Angriff nehmen.<br />

Im Ergebnis ist dann das therapeutische Konzept nicht nur theoretisch entwickelt und<br />

von ExpertInnen evaluiert worden, sondern findet auch seinen Weg in die praktische<br />

Anwendung der stationären Jugendhilfe.<br />

9 Zusammenfassung<br />

Ausgangspunkt der Arbeit ist eine therapeutische Versorgungslücke bei den<br />

stationären Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche,<br />

sowie junge Volljährige mit Doppeldiagnosen, die neben einer psychischen<br />

Erkrankung auch komorbide Suchtstörungen aufweisen. Im pädagogischen und<br />

therapeutischen Versorgungssystem, das im Rahmen der §§35a, 41 SGB VIII in der<br />

Praxis stationärer Jugendhilfe vorgehalten wird, finden sich keine adäquaten<br />

Therapieansätze für den Suchtstörungsanteil.<br />

In der vorliegenden Arbeit wird ein integratives therapeutisches Konzept entwickelt,<br />

das diese Versorgungslücke zu schließen versucht. Die Therapiemodule sind so<br />

konzipiert, dass sie kostenneutral, und das heißt vor allem ohne personellen<br />

Mehraufwand, umsetzbar sind.<br />

Das Therapiekonzept ist multimodal, sowie schulenübergreifend- integrativ angelegt.<br />

Es verzahnt pädagogische, therapeutische, psychologische und psychiatrische<br />

Handlungsansätze miteinander und ist reifungs- wachstums- und ressourcenorientiert<br />

ausgerichtet.<br />

Es werden sowohl der Nutzen für die Zielklientel, als auch die Geeignetheit und<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes im Rahmen stationärer Jugendhilfepraxis von<br />

ExpertInnen evaluiert. Das Konzept bietet nicht nur adäquate therapeutische<br />

Angebote für komorbid erkrankte junge Menschen, sondern ist auch praxistauglich für<br />

die stationäre Eingliederungshilfe/ Jugendhilfe.<br />

Schlüsselwörter: Junge Menschen, stationäre Jugendhilfe, Eingliederungshilfen,<br />

Komorbidität, psychische Erkrankungen, Suchtstörungen, integratives Therapiekonzept,<br />

Praxistauglichkeit.<br />

- 185 -


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(Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 114 – 127).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

56. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Vorläufersyndrome von Suchtstörungen.<br />

In M. Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen<br />

(S. 61 – 71). Stuttgart: Schattauer.<br />

57. Kolip, P. (2002). Geschlechtsspezifisches Risikoverhalten im Jugendalter.<br />

Empirische Befunde und theoretische Erklärungsansätze. Bundesgesundheitsblatt,<br />

Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz., 45, 885 – 888.<br />

58. Kossens, M. von der Heide, D. & Maaß, M. (2009). SGB IX. Rehabilitation<br />

und Teilhabe behinderter Menschen. Kommentar. München: C. H. Beck.<br />

59. Krausz, M. & Haasen, C. (2004). Kompendium Sucht. Stuttgart: Thieme.<br />

60. Krüger, A. (2009). Trauma und Suchtstörung. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 91 – 96).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

61. Krystal, H. & Raskin, H. A. (1983). Drogensucht. Aspekte der Ich- Funktion.<br />

Göttingen: Verlag für Medizinische Psychologie im Verlag Vandenhoeck und<br />

Ruprecht.<br />

62. Kunkel, P. C. (Hrsg.) (2003). Kinder- und Jugendhilfe. Lehr- und<br />

Praxiskommentar. LPK- SGB VIII. Baden- Baden: Nomos.<br />

63. Küstner, U. J., Sack, P. M., Stolle, M. & <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009).<br />

Familientherapeutische Frühintervention. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 292 – 295).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

- 190 -


64. Küstner, U.J., <strong>Thomas</strong>ius, R., Sack, P. M. & Zeichner, D. (2008).<br />

Drogenambulanz. In M. Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken,<br />

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65. Lachwitz, K., Schellhorn, W. & Welti, F. (2010). HK- SGB IX. Handkommentar<br />

zum Sozialgesetzbuch IX. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen.<br />

Köln: Luchterhand.<br />

66. Laging, M. (2009). Früherkennung. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort,<br />

U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 375 – 382).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

67. Lashlee, A. & Schlieckau, J. (2009). Sport- und Bewegungstherapie in der<br />

Postakutbehandlung. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, &<br />

P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das<br />

Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 271 – 279). Stuttgart: Schattauer.<br />

68. Lehmkuhl, G., Konrad, K. & Döpfner, M. (2008). Aufmerksamkeitsdefizit-/<br />

Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). In B. Herpertz- Dahlmann, F. Resch, M.<br />

Schulte- Markwort, & A. Warnke. (Hrsg.), Entwicklungspsychiatrie.<br />

Biopsychologische Grundlagen und die Entwicklung psychischer Störungen<br />

(S. 674 – 693). Stuttgart: Schattauer.<br />

69. Lehmkuhl, G. (2008). Suchtstörungen. In M. Klein. (Hrsg.), Kinder und<br />

Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 49 – 60). Stuttgart: Schattauer.<br />

70. Lehnert, B. (2009). Behandlung von Sucht und Psychose. In R. <strong>Thomas</strong>ius,<br />

M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen<br />

im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis<br />

(S. 309-313). Stuttgart: Schattauer.<br />

71. Leppin, A. Lebenskompetenzansatz. (2009). In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 383 – 385).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

72. Lieb, R. & Isensee, B. (2007). Häufigkeit und zeitliche Muster von<br />

Komorbidität. In F. Moggi. (Hrsg.), Doppeldiagnosen. Komorbidität<br />

psychischer Störungen und Sucht (S. 27 – 58). Göttingen: Hogrefe.<br />

73. Maercker, A. & Karl, A. (2005). Posttraumatische Belastungsstörung.<br />

Klassifikation und Diagnostik. In M. Perrez, & U. Baumann. (Hrsg.), Lehrbuch<br />

Klinische Psychologie, Psychotherapie (S. 970 – 976). Bern: Hogrefe.<br />

74. Marburger, H. (2008). SGB IX. Rehabilitation und Teilhabe behinderter<br />

Menschen. Vorschriften und Verordnungen. Mit Kommentierung.<br />

Regensburg: Walhalla.<br />

75. Margraf, J. (Hrsg.) (2000). Lehrbuch der Verhaltenstherapie.<br />

Bd. 2. Störungen – Glossar. Berlin: Springer.<br />

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76. Marotzki, W. (2009). Qualitative Biographieforschung. In U. Flick, E. von<br />

Kardorff, & I. Steinke. (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch<br />

(S. 175 – 186). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.<br />

77. Matussek, M. (1999). Die vaterlose Gesellschaft.<br />

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.<br />

78. Mayer, R. (2008 a). Kinderbezogene Interventionen. In M. Klein. (Hrsg.),<br />

Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 407 – 413).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

79. Mayer, R. (2008 b). Elternbezogene Interventionen. In M. Klein. (Hrsg.),<br />

Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 414 – 420).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

80. Mayring, P. (2008). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken.<br />

Weinheim: Beltz.<br />

81. Mertens, W. (2005). Psychoanalyse. Grundlagen, Behandlungstechnik und<br />

Anwendung. Stuttgart: Kohlhammer.<br />

82. Möller, C. (2009). Frühintervention. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort,<br />

U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 222 – 228).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

83. Möller, C. & <strong>Thomas</strong>, E. (2009). Therapiestation Teen Spirit Island. In R.<br />

<strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.),<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und<br />

Praxis (S. 313 – 316). Stuttgart: Schattauer.<br />

84. Mühlbrandt, G. (2009). Selbsthilfe. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U.<br />

Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes-und Jugendalter.<br />

Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 448 – 450). Stuttgart: Schattauer.<br />

85. Müller, N. (2002). Die soziale Angststörung bei Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen. Erscheinungsformen, Verlauf und Konsequenzen.<br />

Münster: Waxmann.<br />

86. Münder, J. & Wiesner, R. (Hrsg.) (2007). Kinder- und Jugendhilferecht.<br />

Handbuch. Baden- Baden: Nomos.<br />

87. Münzel, B. & Scheiblich, W. (2008). Netzwerkarbeit. In M. Klein. (Hrsg.),<br />

Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 450 – 462).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

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88. Myschker, N. (1993). Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen.<br />

Erscheinungsformen, Ursachen, hilfreiche Maßnahmen.<br />

Stuttgart: Kohlhammer.<br />

89. Neubauer, F. (2007). Zur Komorbidität von Sucht und Angst. Ein Vergleich<br />

der Psychopathologie bei Alkoholabhängigen mit und ohne Angststörung.<br />

Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.<br />

90. Oxford Advanced Learner`s Dictionary of Current English (2004).<br />

Oxford: University Press.<br />

91. Paier, D. (2010). Quantitative Sozialforschung. Eine Einführung.<br />

Wien: Facultas Universitätsverlag.<br />

92. Petermann, F., Niebank, K. & Scheithauer, H. (Hrsg.) (2004).<br />

Entwicklungswissenschaft. Entwicklungspsychologie, Genetik,<br />

Neuropsychologie. Berlin: Springer.<br />

93. Petermann, F. & Ruhl, U. (2006). Aufmerksamkeitsdefizit-/<br />

Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). In: H. U. Wittchen, & J. Hoyer. (Hrsg.),<br />

Klinische Psychologie und Psychotherapie (S. 583 – 601).<br />

Heidelberg: Springer.<br />

94. Petermann, U. & Petermann, F. (2008). Aggressiv – oppositionelles<br />

Verhalten. In F. Petermann. (Hrsg.), Lehrbuch der klinischen<br />

Kinderpsychologie (S. 277 – 293). Göttingen: Hogrefe.<br />

95. Petzold, H. (1993). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden für<br />

eine schulenübergreifende Psychotherapie. Paderborn: Junfermann.<br />

96. Pota, L. (2009). Therapiestation Come In. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 317 – 321).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

97. Przyborski, A. & Wohlrab- Sahr, M. (2010). Qualitative Sozialforschung. Ein<br />

Arbeitsbuch. München: Oldenbourg.<br />

98. Reitz, B. (2009). Arbeit der Elternkreise. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 444 – 447).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

99. Reuband, K. H. (1992). Der Mythos vom einsamen Drogenkonsumenten.<br />

Kontakte zu Gleichaltrigen als Determinanten des Drogengebrauchs.<br />

Sucht, 38, 160 -172.<br />

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100. Richter, M. & Settertobulte, W. (2003). Gesundheits- und<br />

Freizeitverhalten von Jugendlichen. In K. Hurrelmann, A. Klocke, W. Melzer,<br />

& U. Ravens- Sieberer. (Hrsg.), Jugendgesundheitssurvey (S. 99 – 157).<br />

Weinheim: Juventa.<br />

101. Rist, F. (2009). Psychologische Modelle. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 113 – 126).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

102. Rommelspacher, H. (2009). Neurobiologische Modelle. In R.<br />

<strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.),<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und<br />

Praxis (S. 97 – 112). Stuttgart: Schattauer.<br />

103. von Rosenstiel, L. (2009). Organisationsanalyse. In U. Flick, E. von<br />

Kardorff, & I. Steinke. (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch<br />

(S. 224 – 238). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.<br />

104. Rost, W. D. (2008). Süchtige Grundhaltung – fact oder fiction. In M.<br />

Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen<br />

(S. 40 – 48). Stuttgart: Schattauer.<br />

105. Sack, P. M., Küstner, U. J. & <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009).<br />

Behandlungsverlauf und –ergebnisse. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 337 – 343).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

106. Sack, P. M. & <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009). Familiäre Einflüsse. In R.<br />

<strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.),<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und<br />

Praxis (S. 147 – 151). Stuttgart: Schattauer.<br />

107. Scheithauer, H., Al- Wiswasi, S. & Petermann, F. (2008). Aggressive<br />

Verhaltensstörungen. In M. Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken,<br />

Prävention, Hilfen (S. 222 – 229). Stuttgart: Schattauer.<br />

108. Scheithauer, H., Mehren, F. & Petermann, F. (2003).<br />

Entwicklungsorientierte Prävention von aggressiv-dissozialem Verhalten und<br />

Substanzmissbrauch. Kindheit und Entwicklung. Zeitschrift für klinische<br />

Kinderpsychologie, 12, 84 – 99.<br />

109. Schellhorn, W. (Hrsg.) (2007). SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe.<br />

Neuwied: Luchterhand.<br />

110. Schindler, A. (2009). Bindung und Sucht. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 165 – 169).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

- 194 -


111. Schlieckau, J. (2009). Pädagogische Ansätze in der<br />

Postakutbehandlung. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, &<br />

P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das<br />

Handbuch. Grundlagen und Praxis (260 – 270). Stuttgart: Schattauer.<br />

112. Schmidt, B. (1999). Wie kommt es zum Konsum und Missbrauch von<br />

illegalen Substanzen? In M. Freitag, & K. Hurrelmann. (Hrsg.), Illegale<br />

Alltagsdrogen. Cannabis, Ecstasy, Speed und LSD im Jugendalter<br />

(S. 65 – 80). Weinheim: Juventa.<br />

113. Schmidt, LG. (2009). Alkohol. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort,<br />

U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 470 – 479).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

114. Schneider, S. (2004). Angststörungen. In C. Eggers, J. Fegert, & F.<br />

Resch. (Hrsg.), Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und<br />

Jugendalters (S. 473 – 495). Berlin: Springer.<br />

115. Schuhler, P. (2007). Schädlicher Gebrauch von Alkohol und<br />

Medikamenten. Diagnose, Komorbidität, Psychotherapie. Weinheim: Beltz.<br />

116. Schulte- Markwort, M. & Stolle, M. (2009). Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M.<br />

Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im<br />

Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis<br />

(S. 418 – 420). Stuttgart: Schattauer.<br />

117. Schwarzer, R. (2005). Gesundheitspsychologie. Enzyklopädie der<br />

Psychologie. Bd. 1 (S. 488). Göttingen: Hogrefe.<br />

118. <strong>Schweigler</strong>, T. (2000). Leistungsbeschreibung der „WG Aufwind“,<br />

Teileinrichtung der „Kinderheimat Gifhorn“. Gifhorn: Unveröffentlichtes<br />

Konzeptpapier für die Kinderheimat Gifhorn.<br />

119. Schwoon, D. & Krausz, M. (1992). Psychose und Sucht.<br />

Krankheitsmodelle, Verbreitung, therapeutische Ansätze.<br />

Freiburg im Breisgau: Lambertus.<br />

120. Seiffge- Krenke, I. (2008). Depression und Depressivität. In M. Klein.<br />

(Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 245 – 259).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

121. Senf, W. & Broda, M. (2007). Praxis der Psychotherapie.<br />

Ein integratives Lehrbuch. Stuttgart: Thieme.<br />

122. Soeffner, H. G. (2009). Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. In U.<br />

Flick, E. von Kardorff, & I. Steinke. (Hrsg.), Qualitative Forschung.<br />

Ein Handbuch (S. 164 – 175). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.<br />

- 195 -


123. Steinhausen, H.C. (2006). Psychische Störungen bei Kindern und<br />

Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –<br />

psychotherapie. München: Urban und Fischer.<br />

124. Stolle, M. & <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009). Differenzialdiagnostik. In R.<br />

<strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.),<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch.<br />

Grundlagen und Praxis (S. 205 – 208). Stuttgart: Schattauer.<br />

125. Strohm, M. (2008). Stationäre Jugendhilfe. In M. Klein. (Hrsg.), Kinder<br />

und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 473 – 479).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

126. <strong>Thomas</strong>ius, R. (2000). Psychotherapie der Suchterkrankungen.<br />

Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – störungsspezifisch und<br />

schulenübergreifend. Stuttgart: Thieme.<br />

127. <strong>Thomas</strong>ius, R. & Stolle, M. (2009). Postakutbehandlung. In R.<br />

<strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.),<br />

Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch.<br />

Grundlagen und Praxis (S. 245 – 259). Stuttgart: Schattauer.<br />

128. <strong>Thomas</strong>ius, R., Stolle, M. & Sack, P. M. (2009).<br />

Entwicklungspsychopathologisches Modell. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 139 – 146).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

129. <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009). Therapieprinzipien. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M.<br />

Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen<br />

im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis<br />

(S. 211 – 221). Stuttgart: Schattauer.<br />

130. Tossmann, P. & Baumeister, S. (2008). Früher Substanzkonsum. In M.<br />

Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen<br />

(S. 181– 189). Stuttgart: Schattauer.<br />

131. Trinczek, R. (2005). Wie befrage ich Manager? Methodische und<br />

methodologische Aspekte des Experteninterviews als qualitativer Methode<br />

empirischer Sozialforschung. In A. Bogner, B. Littig, & W. Menz. (Hrsg.), Das<br />

Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung (S. 209 – 222).<br />

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.<br />

132. Völker, T. A. & <strong>Thomas</strong>ius, R. (2009). Projekt Nichtrauchen ist cool.<br />

Raucherentwöhnung. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, &<br />

P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das<br />

Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 399 – 402). Stuttgart: Schattauer.<br />

133. Wallroth, M. (2008). Vom Sinn der Sucht – philosophische Aspekte. In<br />

M. Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen<br />

(S. 27 – 39). Stuttgart: Schattauer.<br />

- 196 -


134. Weichold, K. (2009). Epidemiologie des Substanzkonsums im<br />

Jugendalter. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte- Markwort, U. Küstner, & P.<br />

Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das<br />

Handbuch. Grundlagen und Praxis (S. 21 – 33). Stuttgart: Schattauer.<br />

135. Wernz, F. D. & Batra, A. (2009). Tabak. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M. Schulte-<br />

Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im Kindesund<br />

Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis (463 – 469).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

136. Wiesner, R. (Hrsg.) (2006). SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe.<br />

München: C. H. Beck- Verlag.<br />

137. Winter, R. (2009). Cultural Studies. In U. Flick, E. von Kardorff, & I.<br />

Steinke. (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 204 – 213).<br />

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.<br />

138. Young, J. E., Klosko, J. S. & Weishaar, M. E. (2005). Schematherapie.<br />

Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann.<br />

139. Zenker, C. (2009). Gendertypische Aspekte. In R. <strong>Thomas</strong>ius, M.<br />

Schulte- Markwort, U. Küstner, & P. Riedesser. (Hrsg.), Suchtstörungen im<br />

Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch. Grundlagen und Praxis<br />

(S. 55 – 68). Stuttgart: Schattauer.<br />

140. Zimmermann, P. (2007). Alkoholkonsum bei Jugendlichen mit<br />

Angststörungen. Eine Analyse der Komorbidität.<br />

Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.<br />

141. Zimmermann, P. & Hollenbach, N. (2008). Ängste. In M. Klein. (Hrsg.),<br />

Kinder und Suchtgefahren. Risiken, Prävention, Hilfen (S. 230 – 244).<br />

Stuttgart: Schattauer.<br />

142. Zweyer, K. (2008). Eltern – Kind - Bindung. Auswirkungen auf die<br />

psychische Gesundheit. In M. Klein. (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren.<br />

Risiken, Prävention, Hilfen (S. 90 – 102). Stuttgart: Schattauer.<br />

- 197 -


11 Anhang<br />

Anhang 1<br />

Therapiekonzept<br />

Integratives Konzept einer vollstationären pädagogisch- therapeutischen<br />

Wohneinrichtung für junge Menschen mit „seelischen Behinderungen“ im<br />

Sinne der §§ 35a, 41 SGB VIII und komorbiden Suchtstörungen<br />

1. Therapeutisches Konzept:<br />

1.1. Rahmenbedingungen:<br />

1.1.1. Fachliche Ausrichtung der Wohngruppe und therapeutische Grundhaltung:<br />

Eingliederungshilfen nach §§35a, 41 SGB VIII erfordern eine interdisziplinäre<br />

Vorgehensweise. Pädagogische, therapeutische, psychologische und psychiatrische<br />

Handlungsansätze müssen berücksichtigt und miteinander verzahnt werden.<br />

Im Zentrum aller Hilfen steht nicht ein bestimmtes Störungsbild, sondern der junge<br />

Mensch mit seinen individuellen Ressourcen und Fähigkeiten, aber auch mit seinen<br />

biografisch entstandenen Beschädigungen und Grenzen. Es gilt, die Stärken zu<br />

stärken und die Schwächen zu schwächen.<br />

Der integrative Behandlungsansatz ist vorrangig verhaltenstherapeutisch, den Alltag<br />

begleitend und stützend, lösungsorientiert, sowie gegenwarts- und zukunftsorientiert<br />

ausgerichtet. Die Therapie folgt dem Konzept der therapeutischen Gemeinschaft, das<br />

Raum für Nachreifung und Individuation durch gemeinsames Lernen, Leben, Arbeiten<br />

und Feiern bietet.<br />

Mit Rücksicht auf an Psychosen erkrankte Jugendliche findet der Gruppenalltag in<br />

einem geschützten Rahmen statt, in dem emotional hoch aufgeladene Situationen so<br />

gut es geht vermieden werden.<br />

Außerdem wird mit dem Konzept der Nachbeelterung gearbeitet, in dem jungen<br />

Menschen gezielt nachträgliche elterliche Fürsorge durch die Therapeuten zuteil wird.<br />

Hierbei sind (auch negativ besetzte) Übertragungen des jungen Menschen<br />

auszuhalten und zu bearbeiten, so dass es im Rahmen eines Halt gebenden<br />

Bindungsangebotes zu korrigierenden Erfahrungen von Vertrauen, Gehalten-,<br />

Verstanden- und Genährtwerden kommen kann. Durch solche korrigierenden<br />

positiven Beziehungs- und Bindungserfahrungen können Reifungsdefizite wirksam<br />

bearbeitet und abgebaut werden (Petzold, 1993).<br />

- 198 -


Die therapeutische Grundhaltung gegenüber den Klienten ist gekennzeichnet durch:<br />

Wohlwollen, Gewährung von Wärme, Zuwendung, Annahme und Akzeptanz,<br />

Unterstützung, Verlässlichkeit und Wertschätzung, Empathie, Reflexion der eigenen<br />

professionellen Rolle im therapeutischen Prozess im Rahmen von Supervision, klare<br />

Regel- und Grenzsetzungen, Unbeirrbarkeit und Beharrlichkeit, Stimulierung von<br />

Selbstverantwortung, sowie Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem<br />

Jugendlichen.<br />

1.1.2. Zielgruppe und rechtliche Grundlagen:<br />

Die therapeutische Wohngemeinschaft ist für acht männliche und weibliche<br />

Jugendliche und junge Volljährige mit einer seelischen Behinderung i. S. d. §§35a, 41<br />

SGB VIII konzipiert. Zielgruppe sind junge Menschen mit psychischen- und<br />

Verhaltensstörungen gem. ICD- 10- GM Version 2010<br />

Kapitel V, insbesondere mit psychotischen-, affektiven-, neurotischen- und<br />

Verhaltensstörungen, ausdrücklich auch unter Einschluss komorbider<br />

Suchtstörungen.<br />

Infolge der seelischen Behinderung muss die Fähigkeit des jungen Menschen, sich in<br />

die Gesellschaft eingliedern zu können, v.a. in sozialer, schulischer oder<br />

ausbildungsbezogener Hinsicht erheblich beeinträchtigt sein, oder es muss eine<br />

solche Beeinträchtigung zumindest drohen.<br />

In der Regel erfolgt eine Aufnahme in die WG im Anschluss an einen stationären<br />

Aufenthalt in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik, nach fachärztlicher<br />

Diagnosestellung und ggf. erforderlicher medikamentöser Einstellung.<br />

Rechtsgrundlagen für die Aufnahme sind die §§ 35a und 41 SGB VIII.<br />

1.1.3. Aufnahmevoraussetzungen und Kriterien für eine vorzeitige Beendigung der<br />

Jugendhilfemaßnahme:<br />

Junge Menschen in akuten selbst- bzw. fremdgefährdenden Krisenzuständen, oder in<br />

akuten Psychoseschüben können nicht aufgenommen werden. Hier ist zunächst eine<br />

fachärztliche Diagnostik, sowie erforderlichenfalls eine medikamentöse Einstellung<br />

mit Psychopharmaka Aufnahmevoraussetzung. Aufnahmevoraussetzung ist<br />

weiterhin, dass bei bestehender Suchtkomorbidität eine qualifizierte stationäre<br />

Entgiftung vor der Aufnahme stattgefunden hat.<br />

Ein Mitwirken des jungen Menschen in Bezug auf die Einnahme fachärztlich<br />

verordneter Psychopharmaka gilt als Behandlungsvoraussetzung. Die einseitige<br />

Absetzung verordneter Medikamente durch den jungen Menschen entgegen<br />

fachärztlicher Verordnung kann zur Entlassung aus der WG führen. Fortgesetzt<br />

selbst- bzw. fremdgefährdende, sowie antisoziale Verhaltensweisen führen zu einem<br />

Abbruch der Hilfemaßnahme.<br />

Der fortgesetzte Konsum psychotroper Substanzen führt ebenfalls zur Entlassung, da<br />

die WG als suchtmittelfreie Zone konzipiert ist. Zum Umgang mit Rückfällen vgl.<br />

jedoch unter Ziffer 1.1.5. Krisen- und Rückfallmanagement.<br />

- 199 -


Das stationäre Jugendhilfeangebot ist nur dann zielführend, wenn die vorgehaltenen<br />

Hilfen, die aktuelle Integrationskraft der Gruppe und der Hilfebedarf des jungen<br />

Menschen zueinander passen. Fachärztliche Berichte, Gutachten und Diagnosen<br />

sollten deshalb dem pädagogisch- therapeutischen Team der WG durch das<br />

zuständige Jugendamt vor der Aufnahme des jungen Menschen zur Kenntnisnahme<br />

zur Verfügung gestellt werden. Dadurch wird eine Überprüfung der Geeignetheit<br />

unseres Hilfeangebotes ermöglicht.<br />

1.1.4. Aufnahmephase:<br />

Die Aufnahmephase ist unterteilt in Erstkontakt, Erstgespräch, Anamnese,<br />

therapeutische Indikationsstellung und Hilfeplanung, psychologische Exploration und<br />

Erstvorstellung bei einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und<br />

Jugendpsychiatrie.<br />

Aufnahmephase; Erstkontakt und Erstgespräch: Vor einer Aufnahme sollte zunächst<br />

ein gemeinsamer Gesprächstermin in der WG stattfinden, an dem neben dem jungen<br />

Menschen selbst nach Möglichkeit auch dessen Familienangehörige, die zuständige<br />

Fachkraft des Jugendamtes und ggf. der gesetzliche Betreuer, sowie ggf. eine<br />

Fachkraft des Kliniksozialdienstes beteiligt sind. Das Erstgespräch dient dem<br />

wechselseitigen Kennenlernen und der Klärung der Fragestellung, ob die stationäre<br />

Jugendhilfemaßnahme die erforderlichen und geeigneten Hilfeangebote vorhält.<br />

Aufnahmephase; Anamnese, therapeutische Indikationsstellung und Hilfeplanung: Im<br />

Anschluss daran erfolgt eine ausführliche Anamnese, die Hilfeplanung gem. §36 SGB<br />

VIII unter Beteiligung des zuständigen Jugendamtes, sowie nach Möglichkeit unter<br />

Hinzuziehung eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie (§36 Abs. 3 SGB<br />

VIII). Bei minderjährigen Jugendlichen sind auch die Sorgeberechtigten mit<br />

einzubeziehen. Die Anamnese umfasst eine Analyse der Situation des jungen<br />

Menschen, die sein familiäres und soziales Umfeld mit berücksichtigt. Verfügbare<br />

fachärztliche Berichte, Gutachten und Diagnosen, sowie ggf. vorberichtliche<br />

Hilfepläne ergänzen die Anamnese. Aus den gesammelten Informationen werden der<br />

erforderliche Hilfebedarf sowie die individuelle therapeutische Indikationsstellung<br />

ermittelt und die Ziele der Maßnahme abgeleitet. Der so erstellte Hilfeplan muss in<br />

einem überschaubaren Zeitraum (in der Regel halbjährig) überprüft und ggf. neu<br />

angepasst werden.<br />

Aufnahmephase; psychologische Exploration und Erstvorstellung bei einer Fachärztin<br />

für Kinder- und Jugendpsychiatrie: Der psychologische Fachdienst der Gesamteinrichtung<br />

führt eine weitere Exploration durch (Differentialdiagnostik und<br />

Anamneseergänzung). Sodann findet die obligatorische Erstvorstellung des jungen<br />

Menschen bei einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

statt. Hier werden ein ggf. erforderlicher fachärztlicher Weiterbehandlungsbedarf<br />

festgestellt, die medikamentöse Therapie sichergestellt und bei Bedarf weitere<br />

externe ambulante psychotherapeutische Behandlungsangebote eingeleitet.<br />

- 200 -


1.1.5. Krisen- und Rückfallmanagement:<br />

Krisenmanagement: Das Krisenmanagement erfolgt sowohl einrichtungsintern, als<br />

auch einrichtungsextern. Es umfasst Interventionen von vermehrter Einzelzuwendung<br />

bis hin zur Vermittlung stationär- psychiatrischer Klinikaufenthalte, z.B. bei akuter<br />

Selbst- bzw. Fremdgefährdung, oder in akuten Psychoseschüben.<br />

Einrichtungsintern sind flexible, bedarfsangepasste Interventionen möglich durch die<br />

Bereitstellung zusätzlicher, außerplanmäßiger Doppeldienste, durch vermehrte<br />

Einzelkontakte, durch die Installierung von zusätzlichen Hintergrundbereitschaften,<br />

sowie durch die Hinzuziehung des psychologischen Dienstes der Gesamteinrichtung.<br />

Einrichtungsextern besteht eine enge und bewährte Zusammenarbeit mit einer<br />

niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie mit<br />

niedergelassenen Fachärzten der Erwachsenenpsychiatrie, dem psychiatrischen<br />

Krankenhaus mit regionaler Versorgungszuständigkeit, dem sozialpsychiatrischen<br />

Dienst des örtlichen Gesundheitsamtes und, im Akutfall, mit der Rettungsleitstelle der<br />

Feuerwehr.<br />

Nach Möglichkeit werden Krisen innerhalb des WG- Settings durch eine erhöhte<br />

Vorstellungsfrequenz des jungen Menschen bei der niedergelassenen Fachärztin für<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine bedarfsangepasste Veränderung der<br />

Medikation bearbeitet und aufgefangen. Hierdurch sollen unnötige stationäre<br />

Psychiatrisierungen vermieden werden. Wird eine stationäre Klinikaufnahme jedoch<br />

unumgänglich, bedingt sie keinen Beziehungsabbruch zur WG. Besuche in der Klinik<br />

und eine anschließende Rückkehr des jungen Menschen in die Jugendhilfeeinrichtung<br />

sind in der Regel sichergestellt.<br />

Rückfallmanagement: Die Abhängigkeit von Suchtmitteln ist nicht nur eine<br />

chronische, sondern auch eine rezidivierende Erkrankung. Der erneute Konsum des<br />

Suchtmittels (Rückfall) ist also Teil der Erkrankung. Auftretende Rückfälle werden<br />

deshalb nachbearbeitet. Die individuellen Zusammenhänge von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen,<br />

Substanzwirkungserwartungen, Gedanken, Stimmungen und<br />

Gefühlen, dem gezeigten Verhalten in bestimmten Situationen und dem sozialen<br />

Kontext werden gemeinsam exploriert, nachbesprochen und durch funktionalere<br />

Überzeugungen und Verhaltensalternativen ersetzt. Für den Fall wiederholter<br />

Rückfälle, in denen in der Nachbearbeitung deutlich werden sollte, dass der junge<br />

Mensch keine weitere Therapie wünscht bzw. in jedem Fall weiter konsumieren<br />

möchte, wird allerdings eine Entlassung unvermeidlich.<br />

1.1.6. Ablösungsphase:<br />

Eine vollstationäre Jugendhilfemaßnahme ist immer nur ein befristetes<br />

Durchgangsstadium im Leben eines jungen Menschen. Daher ist es wichtig, frühzeitig<br />

erforderliche Weichenstellungen vorzunehmen, die den nächsten anstehenden<br />

Lebensabschnitt begehbar machen.<br />

Bei geplanter Rückkehr des jungen Menschen in seine Familie werden die familiären<br />

Kontakte frühzeitig gestärkt durch häufigere Nachhausebeurlaubungen, Vor- und<br />

Nachbesprechungen dieser Ereignisse und Elternschulungen.<br />

- 201 -


Im Rahmen des Verselbständigungsprogramms wird die Schul- und<br />

Berufsbildungsperspektive, bzw. die Arbeitsrehabilitationsperspektive geklärt. Der<br />

junge Mensch wird bei der Suche nach einer angemessenen Wohnung unterstützt<br />

und frühzeitig auf ein selbständiges Leben vorbereitet (Führung eines eigenen<br />

Haushalts, Regelung von Ämter- und Behördenangelegenheiten, Umgang mit Geld,<br />

angemessene Selbstversorgung). Bei einer ggf. erforderlichen Anschlussmaßnahme<br />

des ambulanten betreuten Wohnens ist eine Weiterbetreuung durch die<br />

pädagogische Ambulanz der übergeordneten Gesamteinrichtung möglich. Bei Bedarf<br />

kann die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung angeregt und bei bestehender<br />

Notwendigkeit Kontakt zu langfristigem stationärem betreutem Wohnen, das von<br />

Leistungsträgern nach dem SGB XII finanziert wird, angebahnt werden. Alle<br />

genannten Maßnahmen können entsprechend der individuellen Hilfeplanerfordernisse<br />

während der laufenden Jugendhilfemaßnahme frühzeitig eingeleitet,<br />

koordiniert, begleitet und umgesetzt bzw. abgeändert werden.<br />

1.2. Definition der grundsätzlichen pädagogischen und therapeutischen Ziele:<br />

Die grundsätzlichen pädagogischen und therapeutischen Ziele sind:<br />

· Rehabilitation;<br />

· Herstellung von Lern- und Arbeitsfähigkeit, Förderung schulischer und beruflicher<br />

Bildung, Förderung sozialer Kompetenzen und sozialer Integration<br />

· Training lebenspraktischer Fähigkeiten und lebenspraktische Verselbständigung<br />

durch individuelle Förderung und Alltagsbegleitung;<br />

· Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft;<br />

· Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes;<br />

· physische Aktivierung durch Sport und Bewegung;<br />

· Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung; Erreichung<br />

zufriedener Abstinenz.<br />

Rehabilitation: Hier geht es um die Beseitigung von Beeinträchtigungen, sowie um die<br />

Herstellung bzw. Wiederherstellung von individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen,<br />

die krankheitsbedingt nur defizitär ausgebildet werden konnten. Ziel rehabilitativer<br />

Maßnahmen ist die Förderung der Selbstbestimmung, sowie das Erreichen von<br />

Erwerbsfähigkeit. Alle im Folgenden genannten Maßnahmen sind rehabilitativ<br />

wirksame Angebote.<br />

Herstellung von Lern- und Arbeitsfähigkeit, Förderung schulischer und beruflicher<br />

Bildung, Förderung sozialer Kompetenzen und sozialer Integration:<br />

Soziale Integration zielt auf die Eingliederung und Teilhabe des seelisch behinderten<br />

jungen Menschen am Leben in der Gesellschaft. Erreicht werden soll dieses Ziel in<br />

einem therapeutisch wirksamen Milieu, in welchem die Anforderungen an den jungen<br />

Menschen zunächst soweit als notwendig an seine individuellen Ressourcen unter<br />

Berücksichtigung seiner Belastungsgrenzen angepasst werden. Im Verlauf der<br />

Entwicklung und Nachreifung des Jugendlichen soll sodann eine stufenweise<br />

Zunahme der Belastbarkeit durch dosierte Konfrontation mit altersüblichen<br />

Anforderungen und Erwartungen erfolgen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die<br />

Entwicklung eines angemessenen Sozialverhaltens, sowie auf Einsatzfähigkeit und<br />

Einsatzbereitschaft in Schule und beruflicher Ausbildung.<br />

Ein Instrument zur Erreichung dieser Ziele ist das arbeitstherapeutische Angebot (vgl.<br />

dazu die Ausführungen unter Ziffer 1.3.).<br />

- 202 -


Training lebenspraktischer Fähigkeiten und Verselbständigung durch individuelle<br />

Förderung und Alltagsbegleitung: Durch persönliche Förderung und Alltagsbegleitung<br />

soll eine lebenspraktische Verselbständigung erreicht werden. Der junge Mensch soll<br />

befähigt werden, ein autonomes und selbstbestimmtes, sozial integriertes Leben zu<br />

führen, das nach Möglichkeit dauerhaft von Leistungen Dritter unabhängig wird (vgl.<br />

dazu die Ausführungen unter Ziffer 1.4.).<br />

Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft: Hierunter ist die<br />

Anbindung des jungen Menschen an die gesellschaftliche Umgebung zu verstehen,<br />

z.B. durch Förderung von Kontakten zu Vereinen und durch kulturelle- und<br />

Freizeitangebote auch außerhalb der WG, um den „Käseglockeneffekt“ der<br />

Jugendhilfeeinrichtung zu minimieren und individuelle Teilhaberechte zu stärken (vgl.<br />

dazu die Ausführungen unter Ziffer 1.5.).<br />

Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes; Familien- und Angehörigenarbeit,<br />

Angehörigenseminare:<br />

Durch Familien- und Angehörigenarbeit sollen die für den jungen Menschen<br />

förderlichen sozialen Bindungen gestützt und – soweit dies ein sinnvolles Ziel ist –<br />

eine Reintegration des jungen Menschen in seine Familie erreicht werden.<br />

Kontraindiziert ist eine solche Reintegration in jedem Fall immer dann, wenn<br />

Elternteile bzw. Angehörige selber suchtmittelabhängig sind (vgl. dazu die<br />

Ausführungen unter Ziffer 1.6.).<br />

Physische Aktivierung durch Sport und Bewegung:<br />

Wer nicht auf der Stelle treten will, muss in Bewegung kommen. Physische<br />

Aktivierung ist ein hochwirksames Therapeutikum für junge Menschen, die ihre Kräfte<br />

entdecken, aktivieren und kanalisieren sollen (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziffer<br />

1.7.).<br />

Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung, Erreichung<br />

zufriedener Abstinenz: Ein substanzfreies Leben und zufriedene Abstinenz sollen<br />

durch ein Bündel therapeutischer Interventionen v.a. in Einzel- und Gruppentherapie<br />

erreicht werden (vgl. dazu die Ausführungen unter Ziffer 1.8.).<br />

1.3. Arbeitstherapeutisches Angebot, Beschulungs- und Arbeitsperspektive:<br />

Das Arbeitstherapieangebot umfasst die Bereiche Gartenbau, WG- Werkstatt,<br />

Hauswirtschaft, sowie externe Praktika und findet schwerpunktmäßig im<br />

Vormittagsbereich unter Anleitung eines Arbeitstherapeuten statt. Junge Menschen,<br />

die aufgrund ihres Erkrankungshintergrundes noch nicht wieder beschulbar bzw.<br />

ausbildungsfähig sind, sind die Adressaten dieses Angebotes, das der<br />

Tagesstrukturierung, der Erprobung und Steigerung der individuellen<br />

Leistungsfähigkeit, sowie dem Erwerb von Grundarbeitstugenden dient.<br />

Ziel der Arbeitstherapie ist es, die jungen Patienten so zu aktivieren, dass eine<br />

anschließende Beschulung bzw. Arbeitsrehabilitationsmaßnahme erfolgreich gelingen<br />

kann. Außerdem dient das arbeitstherapeutische Angebot auch der<br />

lebenspraktischen Verselbständigung.<br />

- 203 -


- Für den Bereich Gartenbau und Parkpflege steht ein über 3000 qm großes<br />

Grundstück zur Verfügung. Während des ganzen Jahres können hier unter fachlich<br />

qualifizierter Anleitung Gartenarbeiten ausgeführt werden.<br />

- In der WG- Werkstatt sind Holz-, Metall- und Töpferarbeiten möglich; u.a. werden hier<br />

Möbelrenovierungen und kleine Auftragsarbeiten durchgeführt. Daneben existiert eine<br />

Fahrradwerkstatt, in der Reparaturarbeiten für den WG- Bedarf möglich sind.<br />

- Im Hauswirtschaftsbereich, der von einer Hauswirtschafterin angeleitet wird, können<br />

Grundkenntnisse in hauswirtschaftliche Abläufe erlernt werden (z.B. Planung, Einkauf<br />

und Bevorratung von Lebensmitteln, sowie die Zubereitung von Mahlzeiten).<br />

- Es besteht die Möglichkeit der Vermittlung in externe Praktika (Großküche der<br />

übergeordneten Gesamteinrichtung und bei Bedarf weitere externe<br />

Praktikumsmöglichkeiten in Gifhorn).<br />

Gelingt eine Stabilisierung der Leistungsfähigkeit, werden bedarfsangepasst<br />

geeignete weiterführende Maßnahmen eingeleitet. Dies können sein:<br />

· Reintegration in den Regelschulbetrieb (soweit nicht ohnehin von Anfang an<br />

möglich);<br />

· Vermittlung in eine adäquate Förderschulmaßnahme;<br />

· Vermittlung in eine berufsbildende bzw. berufsvorbereitende Maßnahme;<br />

· Vermittlung in eine Maßnahme der Arbeitsrehabilitation;<br />

· Vermittlung in eine W.f.B. bzw. in eine Langzeitarbeitsmaßnahme der Lebenshilfe;<br />

· Vermittlung in externe Praktika;<br />

· Hilfen beim Finden eines Ausbildungsplatzes.<br />

In Bezug auf die genannten weiterführenden Maßnahmen besteht eine langjährige<br />

und bewährte Kooperation mit Schulen und Schulämtern, der zuständigen<br />

Landesschulbehörde sowie der BA für Arbeit und hier insbesondere mit der Abteilung<br />

für Arbeitsrehabilitation.<br />

Hinsichtlich einer bedarfsangepassten Schulförderung kann auch die Zusatzvereinbarung<br />

von Einzelnachhilfe oder Einzelbeschulung erforderlich werden.<br />

1.4. Training lebenspraktischer Fähigkeiten und Verselbständigung durch<br />

individuelle Förderung und Alltagsbegleitung:<br />

Die individuelle Förderung und Alltagsbegleitung orientiert sich an den formulierten<br />

Hilfeplanzielen und umfasst folgende Elemente:<br />

· Förderung und Training sozialer Kompetenzen durch Unterstützung vorhandener<br />

Stärken und Fähigkeiten;<br />

· Förderung von Selbst- und Fremdwahrnehmung (z.B. eigene Befindlichkeiten und<br />

Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken lernen, Krankheitseinsicht gewinnen,<br />

Krankheitsverständnis und –bewältigung erarbeiten, Wahrnehmung von Affekten,<br />

Affektdifferenzierung und Affektkontrolle erlernen, Bedürfnisse Dritter<br />

wahrnehmen und respektieren können);<br />

- 204 -


· Bereitstellung einer überschaubaren und Orientierung bietenden Tagesstruktur mit<br />

geregelten Weck-, Essens- und Zubettgehzeiten, Schul- und<br />

Beschäftigungszeiten, Gruppentherapiezeiten und Zeiten für Einzelgespräche,<br />

Freizeit und Sport, eindeutigen Gruppenregeln, klaren Absprachen und<br />

Grenzsetzungen;<br />

· erlebnis- und freizeitpädagogische Angebote, wie Schwimmen, Kanufahren und<br />

geführte Wanderungen;<br />

· aktive Beteiligung der Jugendlichen an der Alltagsgestaltung, z.B. durch Wahl<br />

eines Gruppensprechers, Teilnahme an WG- Einkäufen, angeleitetes Kochen an<br />

den Wochenenden, gemeinsame Planung und Durchführung von<br />

Freizeitaktivitäten;<br />

· Versorgung der WG- Haustiere durch die Jugendlichen;<br />

· Kontrolle der regelmäßigen Medikamenteneinnahme und Sicherstellung der<br />

erforderlichen Facharztkontakte, sowie der medizinischen Versorgung;<br />

· Verstärkung positiver und erwünschter Verhaltensweisen, ggf. auch durch den<br />

Einsatz von Belohnungsplänen;<br />

· Förderung lebenspraktischer Kompetenzen durch Training folgender<br />

Lebensbereiche:<br />

- Umgang mit Geld, selbständige Einkäufe und Abrechnung mit den<br />

MitarbeiterInnen;<br />

- Kontakt zu Ämtern und Behörden, Behördengänge;<br />

- gesunde und ausgewogene Ernährung;<br />

- sichere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel;<br />

- Körperhygiene und Kleidungspflege;<br />

- Sauberkeit und Ordnung in den privaten und gemeinschaftlich genutzten<br />

Räumlichkeiten der WG;<br />

- Etablierung eines gesunden, ausgeglichenen Tag- Nacht- Rhythmus;<br />

- Balance finden von Anspannung und Erholung, Arbeit und Freizeit;<br />

- Entwicklung von Krankheitseinsicht und Training eines eigenverantwortlichen<br />

Umgangs mit Medikamenten.<br />

1.5. Lebensweltnähe und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft:<br />

Im Sinne der Ermöglichung einer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, wie sie vom<br />

SGB VIII gefordert wird, ist die Anbindung der WG- Bewohner an die<br />

gesellschaftlichen und kulturellen Angebote im sozialen Nahraum wichtig. Hierfür<br />

bieten Stadt und Landkreis Gifhorn, sowie Wolfsburg und Braunschweig eine Fülle<br />

von Möglichkeiten. Es werden Kontakte geknüpft, „Schnuppertermine“ zu Vereinsund<br />

Bildungsangeboten begleitet und Einzel- und Kleingruppenaktionen zu kulturellen<br />

Veranstaltungen angeboten.<br />

1.6. Stärkung des familiären und sozialen Netzwerkes; Familien- und<br />

Angehörigenarbeit, Angehörigenseminare:<br />

Hilfestellungen und Interventionen erreichen junge Menschen effektiver, wenn das<br />

soziale Netzwerk, d.h. vor allem die Familie und die Angehörigen, in den<br />

therapeutischen Prozess mit einbezogen werden.<br />

- 205 -


Durch eine Familien- und Angehörigenarbeit kann ein guter Kontakt zum primären<br />

Bezugssystem des jungen Menschen unterhalten werden. Vorhandene Ressourcen<br />

und Kompetenzen des sozialen Netzwerks können förderlich für den therapeutischen<br />

Verlauf genutzt werden. Zugleich unterstützt die Angehörigenarbeit eine<br />

Verselbständigung des jungen Menschen, oder dessen Reintegration in die Familie.<br />

Ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit Angehörigen sichert das elterliche<br />

Einverständnis für die pädagogische und therapeutische Arbeit.<br />

Die Angehörigenarbeit wird in folgenden Formen angeboten:<br />

· Angehörigenseminare (Elternschulungen) ein mal im Quartal an einem Samstag:<br />

Vormittags Informationsveranstaltung für Angehörige zu Suchtkrankheitsentwicklung<br />

und -verlauf, sowie zu psychischen Erkrankungen; Psychoedukation<br />

im Hinblick auf Erziehungskompetenzen und die Klärung von Beziehungsfragen;<br />

nachmittags begleitete Gespräche zwischen den WG- Bewohnern und ihren<br />

Angehörigen zur Beziehungsklärung und Beziehungspflege;<br />

· Angehörigenberatung nach Vereinbarung;<br />

· telefonische Kontakte mit Angehörigen;<br />

· Wochenendbeurlaubungen des jungen Menschen zu seinen Angehörigen, soweit<br />

nicht kontraindiziert;<br />

· Nachbesprechungen von Wochenend- Heimfahrten;<br />

· Sommerfest ein mal im Jahr als Veranstaltung für WG- Bewohner und deren<br />

Angehörige.<br />

In Angehörigenseminaren und –beratung können folgende Fragestellungen<br />

thematisiert und bearbeitet werden:<br />

· Suchtentwicklung und Verlauf; Suchtmittelabhängigkeit als Erkrankung und nicht<br />

als Charakterfehler bzw. Willensschwäche;<br />

· Informationsvermittlung zu gegebenen psychischen Erkrankungen; welches<br />

Verhalten ist hilfreich, was wirkt problemverstärkend?<br />

· Förderung wechselseitigen Verstehens:<br />

- Lernen aus den Erfahrungen Betroffener;<br />

- Sucht und psychische Erkrankung im familiären Kontext: Welche Bedeutung<br />

haben Krankheitssymptome innerhalb der Familienbeziehungen?<br />

- Verständlichmachung von Krankheit und Krankheitssymptomen gegenüber<br />

unmittelbar Betroffenen und Angehörigen mit dem Ziel, Ausgrenzungsprozesse<br />

umzukehren, Krankheitsbewältigung zu fördern, Schuldzuweisungen<br />

aufzulösen und wechselseitige Überforderungen zu beenden;<br />

· Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen: Eltern coachen, klare Ziele<br />

vorzugeben, eigenes Verhalten zu überprüfen, angemessene Sanktionen<br />

einzusetzen, klar, eindeutig und positiv zu kommunizieren;<br />

· Beachtung bzw. Wiederaufrichtung von Generationengrenzen und familiären<br />

Hierarchien;<br />

· Grenzverwischungen, Grenzüberschreitungen und fehlende Grenzen korrigieren;<br />

· Einübung alternativer Verhaltensweisen durch Rollenspiele;<br />

· Eltern und Angehörige miteinander ins Gespräch und in den Erfahrungsaustausch<br />

bringen;<br />

· Misstrauen und Konkurrenzen um die Gunst des Kindes abbauen; Vertrauen und<br />

Zuversicht aufbauen;<br />

· Fragen der Nähe und Distanz, Bindung und Autonomie miteinander diskutieren;<br />

- 206 -


· Was darf so bleiben, wie es ist? Was soll auf keinen Fall verändert werden?<br />

Auflösung von Problemfokussierung zugunsten der Wahrnehmung vorhandener<br />

familiärer Ressourcen;<br />

· Tragfähige Arbeitsbündnisse mit den Eltern herstellen und pflegen; gemeinsame<br />

Handlungsstrategien entwickeln.<br />

In den begleiteten Gesprächen zwischen den WG- Bewohnern und ihren<br />

Angehörigen im Rahmen der Angehörigenseminare geht es um die Förderung<br />

innerfamiliärer Wertschätzung und die Gemeinschaft von Erwachsenen mit ihren<br />

Kindern.<br />

1.7. Physische Aktivierung durch Sport und Bewegung:<br />

Die seelische und die körperliche Verfassung sind nicht zwei voneinander<br />

unabhängige, sondern sehr eng wechselseitig aufeinander bezogene Größen.<br />

Aktivierung durch Sport fördert nicht nur die Gesundheit, Gesamtfitness und<br />

Leistungsmotivation, sondern auch den psychischen und sozialen Genesungs- und<br />

Gesundungsprozess. Gruppensport stärkt sowohl das Selbstvertrauen, als auch das<br />

Vertrauen in die Gruppe und in andere Menschen. Weiterhin dient er:<br />

· der Verbesserung der sozialen Interaktionsfähigkeit;<br />

· dem Abbau von Stress und Aggressionen;<br />

· der Regeleinhaltung, Konfliktfähigkeit, sowie der wechselseitigen Rücksichtnahme;<br />

· der Förderung von Respekt;<br />

· der Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit;<br />

· dem Aufbau von Leistungsorientierung, Belastbarkeit, Willensstärke und<br />

Durchsetzungsfähigkeit;<br />

· der Fähigkeit zum Umgang mit Sieg und Niederlagen und damit auch der<br />

Steigerung von Frustrationstoleranz;<br />

· der Entspannungsfähigkeit;<br />

· der Körperwahrnehmung und Körperkoordination;<br />

· der Erlebnisqualität und Lebensfreude;<br />

· der sozialen Anerkennung durch Leistung;<br />

· der Distanzierung vom Suchtmilieu, da Sport zum Suchtmittelkonsum alternatives<br />

belohnendes Verhalten ist.<br />

Insbesondere Ausdauersportarten steigern das Selbstbewusstsein und die<br />

psychophysische Ausgeglichenheit.<br />

à In der WG gibt es deshalb einen Fitnessbereich mit Geräten zum Kraft- und<br />

Ausdauertraining. Unter fachlicher Anleitung kann mit individuellen<br />

Trainingsplänen trainiert werden.<br />

à Es sind ein Boxsack und Boxhandschuhe in diversen Größen vorhanden.<br />

Boxsacktraining kann zum gezielten Abbau von Wut und Aggressionen genutzt<br />

werden und dient dem Aufbau von Kraft und Ausdauer.<br />

à Jogging, Schwimmen und Fahrradfahren gibt es als Gruppenangebote.<br />

à Weiterhin sind Kanus für Kanufahrten verfügbar.<br />

à Eine Teilnahme an Vereinssport wird unterstützt. Hierfür gibt es eine<br />

langjährig etablierte Zusammenarbeit mit einem großen lokalen<br />

Sportanbieter.<br />

à Sport zweimal in der Woche ist Teil des Therapieprogramms und für alle<br />

WG- Bewohner obligatorisch.<br />

- 207 -


1.8. Befähigung zu einer substanzfreien Alltags- und Freizeitgestaltung; Erreichung<br />

zufriedener Abstinenz:<br />

Um komorbide Suchtstörungen zu bearbeiten, bedarf es differenzierter<br />

pädagogischer und therapeutischer Herangehensweisen. Im Therapieangebot<br />

enthalten sind:<br />

· Einzeltherapie in Form von Einzelgesprächen, die einmal wöchentlich für je<br />

eine Stunde durch die Bezugspädagogin bzw. den Bezugspädagogen<br />

erfolgen (vgl. dazu Ziffer 1.8.1.);<br />

· Gruppentherapie in der Form indikativer Gruppen, die zweimal wöchentlich<br />

stattfinden (vgl. dazu Ziffer 1.8.2.);<br />

· Eltern- und Angehörigenselbsthilfe (vgl. dazu Ziffer 1.8.3.);<br />

· Selbsthilfegruppenbesuch (vgl. dazu Ziffer 1.8.4.);<br />

· Abendrunde (vgl. dazu Ziffer 1.8.5);<br />

· Familien- und Angehörigenarbeit, insbesondere in Form von einmal im<br />

Quartal an einem Samstag erfolgenden Angehörigenseminaren/<br />

Elternschulungen (vgl. dazu oben, Ziffer 1.6.);<br />

· Sporttherapieangebote, die mindestens zwei Mal in der Woche<br />

obligatorisch sind (vgl. dazu oben, Ziffer 1.7.).<br />

1.8.1. Einzeltherapie; Einzelgespräche:<br />

In den ein Mal wöchentlich erfolgenden Einzelgesprächen werden die individuellen<br />

Entwicklungen der vergangenen Woche zwischen dem jungen Menschen und<br />

seinem/ seiner Bezugspädagogen/ Bezugspädagogin nachbesprochen. Aktuelle, den<br />

jungen Menschen betreffende Probleme können thematisiert und neue Zwischenziele<br />

für die nächste Woche gemeinsam festgelegt werden. Die Einzelgespräche vertiefen<br />

die persönliche Beziehung im Bezugsbetreuungssystem und geben dem jungen<br />

Menschen die Chance, nicht nur als Teil der Gruppe, sondern auch als Individuum<br />

wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Im Rahmen der Einzelgespräche<br />

entwickelt sich eine therapeutische Beziehung, die von Vertrauen und gegenseitigem<br />

Respekt gekennzeichnet ist.<br />

Themen in der Einzeltherapie können bedarfsweise sein:<br />

· Bearbeitung des Autonomie- und Abhängigkeitskonfliktes und das<br />

Aushalten von ambivalenten Bestrebungen. Die Bearbeitung und<br />

Bewältigung des Autonomie- und Abhängigkeitskonfliktes in Pubertät und<br />

Adoleszenz ist ein zentrales pädagogisches und therapeutisches Thema in<br />

der Arbeit mit jungen Menschen;<br />

· Gendertypische Rollenklischees und Rollenverzerrungen bewusst machen,<br />

bearbeiten und verändern; Erweiterungen des Rollenspektrums anstreben:<br />

Bei männlichen Jugendlichen kann dies z.B. die Demonstration von Macht<br />

und Überlegenheit durch aggressives und konkurrenzorientiertes Verhalten<br />

betreffen, oder auch den mangelnden Zugang zu den eigenen Emotionen,<br />

die Stummheit in Bezug auf eigene emotionale Befindlichkeiten und<br />

Bedürfnisse, Rückzug und Alleinsein, geringe Selbstachtsamkeit und<br />

Körperferne. Bei weiblichen Jugendlichen betrifft dies ggf. Haltungen wie<br />

Unterordnung, Zurückstellung eigener Bedürfnisse zugunsten der<br />

Erwartungen und Ansprüche anderer, sowie Selbstüberforderung;<br />

- 208 -


· Entwicklung lösungsorientierter Kompetenzen in Bezug auf persönliche und<br />

soziale Konflikte;<br />

· Erlernen von Situations- und Stimuluskontrolle (Sensibilisierung für<br />

Rückfallgefahren; Meidung von Konsum- Umwelten);<br />

· individuelle Entwicklungs- und Zielperspektiven erarbeiten;<br />

· Selbstwertgefühl und Selbstachtung stärken;<br />

· Verhaltensinventar erarbeiten, wie rückfallkritische Situationen zu meistern<br />

sind und diesbezüglich verbindliche Absprachen treffen;<br />

· labilisierte Ich- Grenzen stärken;<br />

· Ängste, Selbstzweifel und soziophobes Verhalten durch<br />

verhaltenstherapeutisches Training bearbeiten (Aufsuchen angstbesetzter<br />

Situationen, sowie Aushalten und Meistern derselben);<br />

· Beendigung des Ausweichverhaltens gegenüber Stressoren, wie z.B.<br />

Schul- oder Ausbildungsanforderungen, Heranführung an die realen,<br />

altersangemessenen Lebens- und Leistungsanforderungen;<br />

· Auseinandersetzung mit dem persönlichen Konsummuster und dem<br />

persönlichen Konsumkontext;<br />

· Aufbau alternativen Verhaltens zum Substanzkonsum; Substanzkonsum<br />

als fehlgeschlagenes Problemlöseverhalten thematisieren;<br />

· Affektdifferenzierung und Ausdruck von Gefühlen, sowie, damit verbunden,<br />

Stabilisierung des Selbstwertsystems: Unterstützung beim Erkennen und<br />

Benennen eigener Gefühle; Verbesserung der Affektdifferenzierung und<br />

Impulskontrolle; positive Verstärkung auch kleiner Lernfortschritte;<br />

Reduzierung von Allmachtsphantasien und Minderwertigkeitsgefühlen;<br />

Unterstützung beim Lernen, belastende Gefühle und starke Emotionen<br />

zulassen und aushalten zu können;<br />

· Förderung einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten<br />

und Grenzen;<br />

· Aushaltenkönnen, von Langeweile, Alleinsein und Autonomie;<br />

· Reflexion der persönlichen Motive für Konsum und Nichtkonsum;<br />

· Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen (Gedanken und Überzeugungen),<br />

wie z.B. negative Vorstellungen und Pessimismus;<br />

· Identifikation interner und externer Stimuli, die Konsumdruck auslösen;<br />

· Bearbeitung angenehmer, idealisierender Vorstellungen und Erinnerungen<br />

bezüglich des Substanzkonsums; Verbindung positiv besetzter<br />

Erinnerungen mit den unangenehmen Konsumkonsequenzen.<br />

Inhalte, Ergebnisse und Vereinbarungen aus den Einzelgesprächen werden nach<br />

jedem Gespräch von der durchführenden Pädagogin bzw. dem durchführenden<br />

Pädagogen kurz schriftlich zusammengefasst (Verlaufsdokumentation).<br />

1.8.2. Gruppentherapie; indikative Gruppen:<br />

Gruppentherapeutische Settings sind vor allem soziale Übungs- und Lernräume.<br />

Soziales Vermeidungsverhalten und Rückzugstendenzen werden beendet,<br />

Beziehungs- und Kontaktfähigkeit, sowie kommunikative Kompetenzen werden<br />

aufgebaut. Eine nachholende Sozialisation findet statt. In die Gruppe neu<br />

hinzukommende Jugendliche können von den Erfahrungen Älterer profitieren.<br />

- 209 -


Hierdurch wird die Peergroup zum therapeutischen Instrument, zum Korrektiv für<br />

fehlangepasstes Verhalten und zum Milieu für Persönlichkeitsentwicklung. Im<br />

gruppentherapeutischen Rahmen kann v.a. gelernt werden:<br />

· Verbesserung der Beziehungsfähigkeit;<br />

· Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit;<br />

· Bearbeitung und Auflösung von genderspezifischen stereotypen<br />

Rollenklischees;<br />

· Umgang mit Affekten, Affektkontrolle und Affektregulation (z.B. bei starken<br />

Emotionen, wie Aggressionen, Macht- und Ohnmachtsgefühlen, Hass,<br />

Angst, Liebe, Minderwertigkeitsgefühlen);<br />

· Umgang mit Frustrationen und Rückschlägen;<br />

· Steigerung der Frustrationstoleranz;<br />

· Bearbeitung unangemessenen, auffälligen Sozialverhaltens;<br />

· Realitätsfindung durch Relativierung eigener Bedürfnisse und soziale<br />

Anpassungsleistungen;<br />

· Förderung einer realistischeren Selbst- und Fremdwahrnehmung und einer<br />

angemessenen Abgrenzung von den Bedürfnissen Dritter.<br />

Indikative Gruppen sind psychoedukative Informationsgruppen. Themen und Inhalte<br />

sollten den jeweils aktuell gegebenen Bedürfnissen der Gruppe Rechnung tragen und<br />

können sich sowohl an den anstehenden Entwicklungsaufgaben orientieren, als auch<br />

der Krankheitsbewältigung dienen. Im Anschluss an einen psychoedukativen Teil sind<br />

v.a. Rollenspiele und das Stellen von Wochenaufgaben mit anschließender<br />

Nachbesprechung und Auswertung in der Gruppe zum Erproben des Gelernten gut<br />

geeignet.<br />

Themenstellungen indikativer Angebote können sein:<br />

· Selbstsicherheitstraining;<br />

· Konfliktbewältigungstraining und konstruktiver Umgang mit Konflikten;<br />

· Angstbewältigungstraining;<br />

· Stressmanagement und Stressbewältigung;<br />

· Affekttraining (Umgang mit schwierigen Gefühlen);<br />

· Lebenskompetenztraining, Problemlösetraining: Hier können<br />

Entscheidungsfähigkeit, die Fähigkeit, positives und negatives Feedback<br />

geben zu können, Durchsetzungsfähigkeit und die Fähigkeit, nachgeben zu<br />

können, Reflexionsfähigkeit in Bezug auf die eigenen Einstellungen, das<br />

Verhalten und normative Erwartungen trainiert werden;<br />

· Beziehungs- und Kommunikationstraining;<br />

· Entspannungstraining (PMR; progressive Muskelrelaxation nach<br />

Jacobson);<br />

· Einübung angemessener Umgangsformen;<br />

· sinnstiftende Angebote.<br />

Bezüglich der Förderung von Einsicht und Verstehen für Krankheitsprozesse (Suchtund<br />

psychische Erkrankungen) bieten sich als Themen an:<br />

· Suchtentwicklung und Verlauf; wie entsteht Abhängigkeit und welche<br />

Verläufe nimmt sie?<br />

· soziale und medizinische Folgen der Suchtstörung;<br />

- 210 -


· Exploration individueller Konsummuster; in welchen Situationen wurde wie<br />

konsumiert? Welche Gefühle, Gedanken, welches Verhalten Dritter, welche<br />

situativen Umstände spielten eine Rolle für den Konsum?<br />

· Funktionalität des Suchtmittels: Welche erwünschten Wirkungen wurden<br />

durch den Konsum erreicht? Welche unerwünschten Befindlichkeiten,<br />

Zustände und Situationen wurden durch den Konsum bekämpft bzw.<br />

ausgeblendet?<br />

· Kurzfristige, mittelfristige und langfristige Folgen des Suchtmittelkonsums,<br />

kurz-, mittel- und langfristige Folgen der Abstinenz;<br />

· Vor- und Nachteile des Konsums von Suchtmitteln, Vor- und Nachteile der<br />

Abstinenz; Herausarbeitung von Diskrepanzen, Provokation kognitiver<br />

Dissonanz zur Förderung der Veränderungsmotivation;<br />

· Umgang mit Suchtdruck;<br />

· Suchtverlagerungsgefahren;<br />

· Welche alternativen Verhaltensweisen gibt es zum Suchtmittelkonsum?<br />

· Bedeutung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und<br />

Veränderungszuversicht;<br />

· praktische Übungen: Rollenspiele zur Förderung sozialer Kompetenzen,<br />

wie z.B. Standfestigkeit, Nein- sagen- Können in rückfallgefährlichen und<br />

sozialen Verführungssituationen, Trinkaufforderungen in konsumierenden<br />

Peer- Gruppen ablehnen können;<br />

· Aufbau effektiven abstinenten Verhaltens in Angebots- und<br />

Versuchungssituationen;<br />

· rückfallpräventive Themen, z.B. individuelle Rückfallgefahren erkennen und<br />

meistern; wie erkenne ich meine persönlichen Rückfallgefahren? Auf<br />

welche Warnsignale muss ich achten? Wie hole ich mir soziale<br />

Unterstützung? Welches alternative Verhalten zum Konsum steht mir zur<br />

Verfügung?<br />

· Rückfallnachbearbeitung; Rückfallanalyse und Lernen aus den Fehlern:<br />

Was kann künftig besser gemacht werden?<br />

· Bei gegebenem Bedarf Thematisierung von Sucht und psychischen<br />

Erkrankungen:<br />

o Erörterung des Zusammenhangs zwischen Psychose und Sucht; was<br />

ist eine Psychose, wie sehen die individuellen Frühwarnzeichen aus<br />

und was ist in Krisensituationen zu tun?<br />

o Suchtmittelkonsum und Psychoseauslösung;<br />

o Euphorie, Stress und Rückfallgefahr bzw. Gefahr der psychotischen<br />

Dekompensation;<br />

o Euphorie- und Stressmanagement;<br />

o Sucht und Enthemmung;<br />

o Sucht und Aggressivität;<br />

o Sucht und Impulskontrollstörungen;<br />

o Sucht und Angststörungen;<br />

o Sucht und Depressivität;<br />

o Sinn und Stellenwert medikamentöser Therapie z.B. bei<br />

Psychoseerkrankungen, Angsterkrankungen, depressiven Störungen.<br />

- 211 -


1.8.3. Eltern- und Angehörigenselbsthilfe:<br />

Im Rahmen der Familien- und Angehörigenarbeit (vgl. Ziffer 1.6.) werden Eltern und<br />

Angehörige dabei unterstützt, Selbsthilfegruppen zu finden und zu besuchen, da in<br />

diesem Rahmen<br />

· soziale Unterstützung;<br />

· Entlastung von Schuldgefühlen;<br />

· Abbau von Hilflosigkeits-, Angst- und Ohnmachtsgefühlen;<br />

· Annahme und Akzeptanz;<br />

· Hoffnung und Zuversicht<br />

erlebt bzw. wiedergewonnen werden können.<br />

1.8.4. Selbsthilfegruppenbesuch:<br />

Der Besuch einer externen örtlichen Selbsthilfegruppe einmal in der Woche ist für alle<br />

WG- Bewohner, die komorbid suchterkrankt sind, obligatorisch.<br />

1.8.5. Abendrunde:<br />

Eine täglich stattfindende Abendrunde gegen c. a. 20:30 Uhr, die für alle WG-<br />

Bewohner obligatorisch ist, dient der Tagesreflexion und der Klärung<br />

gruppendynamischer Prozesse im Rahmen von Feedback, das sowohl die<br />

diensthabenden PädagogInnen/ TherapeutInnen, als auch die Jugendlichen sich<br />

untereinander geben. Der gewählte Gruppensprecher und ältere, erfahrene WG-<br />

Bewohner übernehmen hier Mentorenrollen für jüngere Gruppenmitglieder<br />

(therapeutische Gemeinschaft). Im Rahmen der Abendrunden werden auch Anliegen<br />

besprochen und geklärt, die die WG- Bewohner an die MitarbeiterInnen und die<br />

MitarbeiterInnen an die WG- Bewohner haben.<br />

1.9. Das psychologische Therapieangebot:<br />

Durch den hauseigenen psychologischen Dienst der übergeordneten<br />

Gesamteinrichtung wird Diagnostik und ambulante Psychotherapie angeboten.<br />

In der Diagnostik können testpsychologische Untersuchungen durchgeführt werden,<br />

wie z.B. Intelligenzdiagnostik (K- ABC, HAWIK III) und Persönlichkeitsdiagnostik in<br />

standardisierter oder projektiver Form (z.B. „Familie in Tieren“, „Scenotest“). Daneben<br />

stehen Verhaltensbeobachtungsbögen und Evaluationssysteme (Schemata zur<br />

Erfassung von Ressourcen und Persönlichkeitsmerkmalen) zur Qualitäts- und<br />

Ergebniskontrolle zur Verfügung. Beobachtungsbögen, z.B. Selbsteinschätzungsbögen<br />

wie der YSR („Youth Self Report“) zur Einschätzung von<br />

Verhaltensauffälligkeiten sind vorhanden. Therapeutische Verfahren sind die tiefenpsychologisch<br />

fundierte Psychotherapie und die personenzentrierte Psychotherapie.<br />

Therapieziele sind die Stabilisierung des jungen Menschen, die Bearbeitung<br />

psychosozialer Problemfelder (z.B. Kontaktstörungen, Insuffizienzerlebnisse, Ängste),<br />

und die Krankheitsbewältigung. Therapiethemen können Störungen aus den<br />

Bereichen der sozialen Fertigkeiten, der Selbst- und Fremdwahrnehmung, sowie der<br />

kognitiven Fähigkeiten sein, aber auch die Bearbeitung alters- und entwicklungstypischer<br />

Themen, wie z.B. die Beziehungen zum anderen Geschlecht.<br />

- 212 -


Grundsätzlich knüpft das Angebot einer individuellen Psychotherapie an die<br />

gesunden Anteile und Ressourcen des jungen Menschen an.<br />

1.10. Das externe kinder- und jugendpsychiatrische und psychotherapeutische<br />

Angebot:<br />

Es besteht seit vielen Jahren eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit<br />

einer niedergelassenen Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und<br />

Psychotherapie. Neben der fachärztlichen- bestehen in der Facharztpraxis vielfältige<br />

Möglichkeiten und Angebote für eine psychotherapeutische Versorgung. Im Rahmen<br />

der individuellen Hilfeplanung kann ein optimales externes Psychotherapieangebot<br />

entweder über den psychologischen Dienst der Gesamteinrichtung, oder über<br />

Angebote der fachärztlichen Praxis abgerufen werden.<br />

Bei Bedarf kann auch in eine andere externe ambulante kinder- und<br />

jugendpsychotherapeutische Psychotherapie vermittelt werden.<br />

2. Struktur des therapeutischen Leistungsbereichs:<br />

2.1. Grundleistungen:<br />

Der allgemeine Standard der Wohngruppe umfasst alle nachfolgenden<br />

Grundleistungen. Die Erbringung dieser Leistungen wird den in der WG<br />

untergebrachten Personen garantiert.<br />

2.1.1. Räumliche Gegebenheiten/ Lage:<br />

Das zweigeschossige Haus mit 350 m² Wohnfläche befindet sich in ländlichem<br />

Ambiente auf einem über 3000 m² großen, idyllischen Gartengrundstück mit<br />

zahlreichem, altem Baumbestand und geschmackvoller Begrünung. Das Haus ist im<br />

Jahr 2000 von Grund auf renoviert worden.<br />

Im Erdgeschoss befinden sich der Wohn- und Essbereich, die Küche, ein<br />

Vorratsraum, ein Bad und eine Gästetoilette, ein Gästezimmer, ein Therapieraum,<br />

sowie ein geräumiges Dienst- und Besprechungszimmer.<br />

In der oberen Etage sind acht Wohn-/ Schlafräume (geräumige Einzelzimmer), vier<br />

Badezimmer mit Dusche, Waschbecken und WC, sowie ein Entspannungsraum<br />

gelegen.<br />

Alle Räume sind behaglich eingerichtet und attraktiv mit hellen Vollholzmöbeln<br />

ausgestattet. In der WG dominieren helle, warme Farbtöne, die eine wohltuende<br />

Atmosphäre erzeugen.<br />

- 213 -


2.1.2. Personelle Ausstattung, Teamgespräche und Supervisionen:<br />

1 Dipl.- Sozialpädagoge (Leitung)<br />

3 Dipl.- Sozialpädagoginnen/ Sozialpädagogen<br />

1 Arbeitstherapeut/ Arbeitserzieher<br />

1 Krankenschwester<br />

0, 75 Hauswirtschaft<br />

1 Kinder- und Jugendpsychiaterin/ -psychotherapeutin für die<br />

fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung , sowie für<br />

Fallsupervisionen<br />

(Honorarkraft)<br />

1 externe(r) Supervisor / Supervisorin (Honorarkraft)<br />

1 Diplompsychologin (in gruppenübergreifender Zuständigkeit für die<br />

Gesamteinrichtung)<br />

0, 25 Dipl.- Psychologe; psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und<br />

Jugendlichenpsychotherapeut (in gruppenübergreifender Zuständigkeit für die<br />

Gesamteinrichtung).<br />

Einmal wöchentlich finden Teamgespräche unter Einbeziehung des Leitungsteams<br />

der übergeordneten Gesamteinrichtung statt, welches im Bedarfsfall auch darüber<br />

hinaus zu Beratungen, Fallbesprechungen, Kriseninterventionen und sonstigen<br />

dienstlichen Angelegenheiten mit hinzugezogen werden kann. Teamsupervisionen<br />

und Fallsupervisionen erfolgen in einem je sechswöchigen Intervall.<br />

2.1.3. Inhalte der gruppenübergreifenden Leistungen:<br />

Einmal monatlich findet eine Gesamtmitarbeiterkonferenz mit gemeinsamen<br />

Fallbesprechungen, internen Fortbildungen und Regelungen von Organisationsangelegenheiten<br />

statt.<br />

Alle Pädagoginnen, Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher der Gesamteinrichtung<br />

nehmen an fachspezifischen Fortbildungsangeboten teil.<br />

Der Träger der Gesamteinrichtung stellt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für<br />

mindestens eine Fortbildung pro Jahr frei und übernimmt die Kosten.<br />

Darüber hinaus werden zu aktuellen Fragestellungen Fortbildungsseminare durch<br />

externe ReferentInnen für die gesamte Mitarbeiterschaft der Gesamteinrichtung<br />

angeboten.<br />

Hilfeplangespräche:<br />

An den mit allen Beteiligten geführten Hilfeplangesprächen nimmt je nach Erfordernis<br />

neben MitarbeiterInnen der WG das Leitungsteam, oder die Diplompsychologin bzw.<br />

der Diplompsychologe der übergeordneten Gesamteinrichtung teil.<br />

Kooperation mit dem Jugendamt:<br />

Mit dem jeweils zuständigen Jugendamt sind regelmäßige Abstimmungen am<br />

Hilfeplan notwendig. Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter der WG, die Sorgeberechtigten<br />

des jungen Menschen, sowie die Diplompsychologin bzw. der Diplompsychologe der<br />

übergeordneten Gesamteinrichtung nehmen an der Entwicklung und Modifizierung<br />

der Hilfeplanung teil.<br />

- 214 -


Einbindung externer Fachdienste:<br />

Es bestehen enge und langjährig bewährte Kooperationen mit Beratungsstellen und<br />

Behörden, niedergelassenen Fachärzten, Schulen, Berufsbildungseinrichtungen und<br />

der BA für Arbeit.<br />

Diagnostik und therapeutische Leistungen durch den psychologischen Dienst der<br />

Gesamteinrichtung: vgl. Ziffer 4.2.9.<br />

Weitere Intensivformen der Hilfe:<br />

Diese sind in Absprache mit dem zuständigen Jugendamt bei Bedarf als individuelle<br />

Sonderleistungen zu vereinbaren, für die ein gesondertes Entgelt erhoben wird.<br />

2.2. Sonderleistungen<br />

2.2.1. Sonderaufwendungen im Einzelfall gemäß §5 Absatz 1 des<br />

Rahmenvertrages:<br />

Sonderaufwendungen im Einzelfall, die nicht in der Erziehungspauschale enthalten<br />

sind, wie z.B. Familienheimfahrten, werden individuell abgerechnet.<br />

2.2.2. Individuelle Sonderleistungen gemäß §6 des Rahmenvertrages:<br />

Individuelle Sonderleistungen sind Leistungen wie<br />

· Diagnostik, sofern nicht Grundleistung;<br />

· therapeutische Zusatzleistungen, sofern nicht Grundleistung;<br />

· spezielle, aufwändige Elternarbeit;<br />

· besondere Erlebnispädagogik;<br />

· sonstige, im Einzelfall zu vereinbarende Sonderleistungen.<br />

2.2.3. Leitung, Verwaltung, Trägerschaft, Spitzenverband<br />

Die Leitung der WG liegt in den Händen eines Dipl.- Sozialpädagogen.<br />

Die Leitung der übergeordneten Gesamteinrichtung hat ein Leitungsteam inne, das<br />

sich zusammensetzt aus:<br />

· Gesamtleiter<br />

· stellvertretendem Leiter<br />

· psychologischem Dienst.<br />

Spitzenverband ist das Diakonische Werk.<br />

- 215 -


3. Qualitätskonzept:<br />

Qualität wird als ein sich ständig verändernder Prozess verstanden. Deshalb geht es<br />

nicht nur um die Sicherung vorhandener, sondern auch um die Entwicklung zu<br />

überprüfender und zu optimierender zukünftiger Qualität. Es wird die folgende<br />

Systematik angewendet:<br />

· Eingangsqualität;<br />

· Strukturqualität;<br />

· Prozessqualität;<br />

· Ergebnisqualität.<br />

3.1. Eingangsqualität:<br />

Sie umfasst auf Seiten des Einrichtungsträgers<br />

· ein verbindliches und präzises Leistungsangebot einschl. der Verdeutlichung von<br />

Grenzen und Ausschlusskriterien;<br />

· die Benennung des grundsätzlichen Selbstverständnisses und Leitbildes;<br />

· Transparenz hinsichtlich fachlicher Haltungen, Einstellungen und Methoden;<br />

· einen strukturierten Betreuungsplan;<br />

· die Definition von übergeordneten Zielen und alltagsbezogenen Einzelzielen,<br />

sowie Praxiszielen;<br />

· die Evaluation von Zielen;<br />

· eine Beteiligung aller relevanten Personen und Institutionen an der Planung und<br />

Erarbeitung von Zielen;<br />

· eine Ergebnisdarstellung.<br />

Seitens des Auftraggebers (örtlicher Träger der Jugendhilfe) bedarf es einer<br />

verlässlichen Analogie für alle Verfahrensverbindlichkeiten, um den Prozess partnerschaftlicher<br />

Zusammenarbeit zu fördern. Um Maßnahmen der Erziehungshilfe und<br />

Rehabilitation effektiv umzusetzen, sind klare Aufträge mit eindeutigen Zielvorstellungen,<br />

die zwischen allen Beteiligten optimal abzustimmen sind, erforderlich.<br />

3.2. Strukturqualität:<br />

Verbindliche Aussagen zur Strukturqualität hinsichtlich Organisation, Personal- und<br />

Sachausstattung finden sich im Leistungsangebot der einzelnen pädagogischen<br />

Projekte.<br />

3.3. Prozessqualität:<br />

Um die Prozesse der Kommunikation, Interaktion und Kooperation zwischen den<br />

Adressaten der pädagogischen Dienstleistungen, den Fachkräften und Trägern<br />

regelmäßig abzustimmen, sind verbindliche Vereinbarungen mit allen Beteiligten zu<br />

treffen, deren Einhaltung dokumentiert und überprüft wird.<br />

- 216 -


Diesbezüglich sind erforderlich:<br />

· Sicherstellung angemessener Adressatenbeteiligung (z.B. durch Kundenbefragungen);<br />

· eine konkrete Betreuungsplanung und kontinuierliche Fallbesprechungen;<br />

· zielorientierte Reflexion und Benennung von bedarfsgerechten, sowie<br />

operationalisierbaren Betreuungszielen;<br />

· Transparenz pädagogischer Regelsysteme;<br />

· eine transparente Kooperation mit Partnern;<br />

· regelmäßige Kommunikation mit dem Jugendamt in Bezug auf relevante Prozesse<br />

und Ereignisse.<br />

3.4. Ergebnisqualität:<br />

Bei der Überprüfung und Evaluation der jeweiligen Zielerreichungen werden folgende<br />

Methoden zur Messbarkeit pädagogischer Entwicklungen genutzt:<br />

· Überprüfung erreichter Ziele auf Grund des Hilfeplanes und der individuell zu<br />

erstellenden Verlaufsdokumentation;<br />

· klar und eindeutig strukturierte Protokolle/ Fallverläufe;<br />

· Erstellung und Auswertung von Verhaltensbeobachtungsbögen;<br />

· Kundenbefragungen;<br />

· Protokolle von Teamgesprächen/ Gesamtmitarbeiterkonferenzen;<br />

· abschließende Beschreibungen pädagogischer Prozesse und ggf. Vorschläge zu<br />

weiteren notwendigen Maßnahmen;<br />

· Katamnesen.<br />

3.5. Übergreifend zusammengefasste Qualitätsmerkmale:<br />

Übergreifend zusammengefasste Qualitätsmerkmale sind:<br />

· Beratung und Anleitung;<br />

· kollegiale Supervision;<br />

· externe Fall- und Teamsupervision;<br />

· Fortbildungen und berufliche Qualifizierungen;<br />

· die systematische Dokumentation therapeutischer und pädagogischer Prozesse;<br />

· Überprüfungen durch externe Organisationsberater.<br />

- 217 -


Anhang 2<br />

Interviewleitfaden<br />

Ich freue mich, dass Sie an dieser Befragung zum Thema Konzeptbewertung im<br />

Rahmen einer Master- Arbeit teilnehmen. Inhaltlich geht es um die Frage, ob das<br />

vorliegende Konzept theoretisch hinreichend begründet und praxistauglich ist und<br />

daher in der stationären Jugendhilfepraxis angewendet werden kann.<br />

Zur Klärung dieser Fragestellung möchte ich Experteneinschätzungen darüber<br />

erhalten,<br />

· ob die konzeptualisierten inhaltlichen Anforderungen im Rahmen stationärer<br />

Jugendhilfe leistbar und umsetzbar sind,<br />

· ob das Konzept verständlich und sachgerecht ist und<br />

· ob Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen vorzunehmen sind, um das<br />

Konzept zu optimieren und für die Praxis tauglich zu machen.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Teilnahme am Interview. Danke, dass Sie sich die Zeit<br />

nehmen.<br />

I<br />

Allgemeiner Fragenteil zu Verständlichkeit, Nutzen und Umsetzbarkeit<br />

des Konzeptes:<br />

1. Wie schätzen Sie die Verständlichkeit des Konzeptes ein?<br />

2. Haben Sie diesbezüglich Veränderungsvorschläge?<br />

3. Wie schätzen Sie den Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel ein?<br />

4. Ist eine Umsetzung des Konzeptes im Rahmen der vorgegebenen<br />

personellen Ausstattung leistbar und mit welchen Schwierigkeiten wäre zu<br />

rechnen?<br />

5. Ist das Konzept im Rahmen vorgegebener Schichtdienste umsetzbar und mit<br />

welchen Schwierigkeiten wäre zu rechnen?<br />

II Spezieller Fragenteil zu den Konzeptinhalten:<br />

6. Wie beurteilen Sie die Aufnahmevoraussetzungen und die Kriterien für einen<br />

Abbruch der Maßnahme?<br />

7. Welche Veränderungen halten sie in diesem Themenbereich für sinnvoll?<br />

- 218 -


8. Zum Krisen- und Rückfallmanagement:<br />

a. Krisenmanagement: Ist das Krisenmanagement mit dem vorgesehenen<br />

Personalschlüssel leistbar?<br />

b. Welche Veränderungen im Bereich Krisenmanagement halten Sie für<br />

sinnvoll?<br />

c. Rückfallmanagement: Wie schätzen Sie den Nutzen des<br />

Rückfallmanagements ein?<br />

d. Welche Veränderungen im Bereich Rückfallmanagement halten Sie für<br />

sinnvoll?<br />

9. Zum arbeitstherapeutischen Angebot:<br />

a. Ist das AT- Angebot auf dem Hintergrund begrenzter personeller<br />

Ressourcen und der Arbeit im Schichtdienst leistbar?<br />

b. Wie schätzen Sie den Nutzen des AT- Angebots ein?<br />

10. Zur Familien- und Angehörigenarbeit:<br />

a. Wie schätzen Sie die Umsetzbarkeit von Angehörigenseminaren ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

11. Zum sporttherapeutischen Angebot:<br />

a. Wie schätzen Sie die Umsetzbarkeit des sporttherapeutischen Angebots<br />

im Gruppenalltag mit der Zielklientel ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

12. Zu den Einzelgesprächen:<br />

a. Wie schätzen Sie die Durchführbarkeit von Einzelgesprächen im<br />

Gruppenalltag mit der Zielklientel ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

13. Zu Gruppentherapie und indikativen Gruppen:<br />

a. Wie schätzen Sie die Durchführbarkeit von Gruppentherapie und<br />

indikativen Gruppen im Gruppenalltag mit der Zielklientel ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

14. Zum Selbsthilfegruppenbesuch:<br />

a. Wie schätzen Sie die Durchführbarkeit von Selbsthilfegruppenbesuchen<br />

im Gruppenalltag mit der Zielklientel ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

15. Zur Abendrunde:<br />

a. Wie schätzen Sie die Durchführbarkeit von Abendrunden im Gruppenalltag<br />

mit der Zielklientel ein?<br />

b. Wo rechnen Sie mit Problemen und Schwierigkeiten?<br />

c. Wie schätzen Sie den Nutzen dieses Bereichs ein?<br />

- 219 -


III Abschließender Fragenteil:<br />

16. Welche Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen würden Sie im<br />

Konzept vornehmen, um es zu optimieren?<br />

17. Haben Sie noch weitere Anmerkungen oder Ideen zur inhaltlichen<br />

Ausgestaltung des Konzeptes?<br />

- 220 -


Anhang 3<br />

Einverständniserklärung<br />

Einverständniserklärung<br />

Das vorliegende integrative Konzept wurde im Rahmen einer Master- Thesis des<br />

postgradualen Masterstudiengangs Suchthilfe an der KatHO NRW, Catholic<br />

University of Applied Sciences, Abteilung Köln, erarbeitet. Es wird mit Hilfe des<br />

leitfadenbasierten Experteninterviews evaluiert. Die Interviews werden auf Tonträger<br />

aufgezeichnet, ausgewertet und nach Beendigung der Arbeit fünf Jahre lang<br />

aufbewahrt.<br />

Mit Ihrer Unterschrift dokumentieren Sie Ihr Einverständnis, dass Ihre Äußerungen,<br />

die Sie mir im Rahmen des auf Tonträger aufgezeichneten Interviews mitteilen, nach<br />

Anonymisierung ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken ausgewertet werden.<br />

Ort/ Datum:<br />

Unterschrift:<br />

Gifhorn, ………………………..<br />

………………………………………………..<br />

- 221 -


Anhang 4<br />

Kategorienschema; Rohform<br />

Allgemeiner Fragenteil:<br />

Einschätzung der Verständlichkeit des Konzeptes:<br />

Allgemeiner Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Konzeptes im Rahmen der vorgegebenen<br />

personellen Ausstattung:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Konzeptes im Rahmen von Schichtdiensten:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Spezieller Fragenteil:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit der Aufnahmevoraussetzungen:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen der Aufnahmevoraussetzungen:<br />

Probleme und Schwierigkeiten, die im Kontext der Abbruchkriterien erwartet werden:<br />

Beurteilung und Nutzen der Abbruchkriterien:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Krisenmanagements:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen des Krisenmanagements:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Rückfallmanagements:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen des Rückfallmanagements:<br />

- 222 -


Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des AT- Angebotes:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit von Angehörigenseminaren:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des sporttherapeutischen Angebotes:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Einzelgesprächsangebotes:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit von Gruppentherapie- und Indikativgruppenangebot:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Selbsthilfegruppenangebotes:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Abendrundenangebotes:<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

- 223 -


Abschließender Fragenteil:<br />

Optimierung des Konzeptes;<br />

· Ergänzungen:<br />

· Änderungen:<br />

· Streichungen:<br />

Weitere Anmerkungen/ weitere Ideen:<br />

- 224 -


Anhang 5<br />

Kategorienschema; zusammengefasste Interviewinhalte<br />

Allgemeiner Fragenteil<br />

Einschätzung der Verständlichkeit des Konzeptes:<br />

· A: Gut lesbar. Gut verständlich.<br />

· B: Verständlich, gut strukturiert, lesbar, in allen Facetten nachvollziehbar.<br />

· C: Gut verständlich.<br />

· D: Konzept ist schlüssig und „ziemlich gut“; „sehr verständlich“.<br />

· E: Die Verständlichkeit ist gut.<br />

· F: Das Konzept ist gut geschrieben und verständlich. Man weiß genau, worum<br />

es geht.<br />

Allgemeiner Nutzen des Konzeptes für die Zielklientel:<br />

· A: Das Konzept ist attraktiv für den Jugendhilfebereich. Es wird als sehr<br />

nützlich für die Zielgruppe eingeschätzt.<br />

· B: Nutzen ist sehr groß. Es gibt derzeit für die Zielklientel wenig vergleichbare<br />

Angebote. Der Bedarf ist da und wird durch das Therapieangebot gut bedient.<br />

· C: Wenn alles so umgesetzt werden könnte, wie es im Konzept steht, wäre es<br />

toll. Es bleiben Fragen bezüglich der Umsetzbarkeit.<br />

· D: Nutzen sehr hoch, wenn das Konzept in der Realität umsetzbar ist.<br />

· E: Nutzen ist sehr hoch.<br />

· F: Wenn alles so umgesetzt werden kann, wie es im Konzept steht, hat es<br />

einen „hervorragenden Nutzen“.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Konzeptes im Rahmen der vorgegebenen<br />

personellen Ausstattung:<br />

· A: Konzept ist mit dem vorgesehenen Personalschlüssel umsetzbar<br />

· B: Das Konzept ist mit dem vorgesehenen Personalschlüssel gut umsetzbar.<br />

· C: Grundsätzlich gut umsetzbar.<br />

- 225 -


· D: Das Konzept ist umsetzbar.<br />

· E: Der Personalschlüssel ist möglicher Weise etwas „eng“, was die<br />

Umsetzbarkeit des Konzeptes in Frage stellen könnte.<br />

· F: Das Konzept ist nur bedingt umsetzbar. In Urlaubs- und Krankheitszeiten<br />

wird es an Personal mangeln.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Qualifiziertes Personal zu finden könnte ein Problem sein.<br />

Fachkräftemangel.<br />

· A: Wirtschaftlichkeitsprobleme in der Startphase: In den ersten Monaten ist<br />

nicht von Anfang an mit einer Vollbelegung zu rechnen. Dennoch muss von<br />

Beginn an mit dem vollen Personalschlüssel gearbeitet werden. Das muss mit<br />

dem Vorstand abgesprochen sein.<br />

· B: Es kann innerhalb der Patientengruppe soviel Dynamik geben, dass<br />

personell noch nachgesteuert werden muss.<br />

· C: Zweifel daran, ob der personelle Rahmen bezahlbar ist. Auch Zweifel<br />

daran, ob die vorgesehene Tagesstruktur so mit den Jugendlichen umsetzbar<br />

ist.<br />

· D: Es könnte Probleme geben bei der Mitarbeit der Jugendlichen, von denen<br />

doch viel gefordert wird im Rahmen der Tages- bzw. Wochenstruktur.<br />

· E: Wenn man das Konzept umsetzen will, wird man häufiger<br />

Einzelbetreuungen oder Doppeldienste benötigen. Das könnte bei dem<br />

vorgesehenen Personalschlüssel schwierig werden.<br />

· F: Praktische Umsetzung des Konzeptes könnte schwierig sein, wenn<br />

Mitarbeiter nicht da sind (Urlaub/ Krankheit), oder wenn es andere Termine<br />

gibt, die auch noch dazwischen geschoben werden müssen.<br />

· F: Ergänzend zu den Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Wichtig ist auch die Gruppenkonstellation/ Gruppendynamik: Manchmal wird<br />

man Jugendliche haben, die überhaupt keine Lust haben, manchmal sind<br />

Jugendliche abgängig, oder an bestimmten therapierelevanten Tagen nicht<br />

aufnahmefähig. Das kann die Umsetzung des Konzeptes in der Praxis<br />

erschweren. Weiterhin wird vermutet: Je homogener eine Gruppe ist in Bezug<br />

auf die gegebenen Probleme, Defizite und Störungsbilder, um so eher ist das<br />

Konzept umsetzbar.<br />

- 226 -


Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Konzeptes im Rahmen von Schichtdiensten?<br />

· A: Umsetzbarkeit im Rahmen von Schichtdiensten ist möglich.<br />

· B: Das Konzept ist gut umsetzbar.<br />

· C: Das Konzept ist zu umfangreich. Mehr Fokussierung auf einzelne Bereiche,<br />

„was man wirklich erreichen will“.<br />

· D: Mit zwei Mitarbeitern im Doppeldienst leistbar/ umsetzbar.<br />

· E: Im Rahmen von Schichtdiensten umsetzbar.<br />

· F: Für die Umsetzung der Therapieangebote bedarf es Doppeldienste. Mit<br />

Doppeldiensten ist das Konzept auch im Schichtdienst umsetzbar.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A und B: Keine.<br />

· C: Zu hohe Belastung mit administrativen Aufgaben. Für die vielen im<br />

Konzept beschriebenen inhaltlichen Aufgaben bleibt zu wenig Zeit. Zu viele<br />

inhaltliche Module im Konzept.<br />

· D: Mit dem vorgesehenen Personalschlüssel ist das Konzept leistbar. Alle<br />

müssten Nachtdienste mitmachen, dann wären das für jeden fünf<br />

Nachtdienste im Monat. In Urlaubs- und Krankheitszeiten könnte es Engpässe<br />

geben.<br />

· E: Doppeldienste müssten eingeplant werden können. Das kann von der<br />

Personaldecke her eng werden.<br />

· F: Vielleicht braucht es noch einen zusätzlichen Mitarbeiter im Team, der<br />

Therapieangebote begleitend zum Gruppendienst durchführt. „Der alltägliche<br />

Arbeitskram fällt ja nicht weg“ (z.B. Telefonate, Berichte schreiben).<br />

· F: Ergänzend zu den Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit des Konzeptes:<br />

Wichtig ist auch die Gruppenkonstellation/ Gruppendynamik: Manchmal wird<br />

man Jugendliche haben, die überhaupt keine Lust haben, manchmal sind<br />

Jugendliche abgängig, oder an bestimmten therapierelevanten Tagen nicht<br />

aufnahmefähig. Das kann die Umsetzung des Konzeptes in der Praxis<br />

erschweren. Weiterhin wird vermutet: Je homogener eine Gruppe ist in Bezug<br />

auf die gegebenen Probleme, Defizite und Störungsbilder, um so eher ist das<br />

Konzept umsetzbar.<br />

- 227 -


Spezieller Fragenteil<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit der Aufnahmevoraussetzungen:<br />

· A, B und C: Aufnahmevoraussetzungen sind gut leistbar/ umsetzbar.<br />

· D: Es ist fraglich, ob man immer alle Leute bei Aufnahme auch an einen Tisch<br />

kriegt. Hier könnte es Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit geben.<br />

· E: Erstgespräch in der Wohngruppe ist umsetzbar und leistbar. „Ist gut, ist<br />

möglich, ist umsetzbar“.<br />

· F: Die vorgegebenen Aufnahmekriterien und Aufnahmeausschlusskriterien<br />

(z.B. Jugendliche in akuten Psychoseschüben können nicht aufgenommen<br />

werden) sind gut, da sie sich am Leistbaren orientieren.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Problematisch bei den Aufnahmevoraussetzungen ist, dass die Definition<br />

der Altersstruktur der Zielgruppe fehlt: Für welche Jugendliche ist das<br />

Projekt?“ Es fehlt eine Definition der Altersstruktur. „Aufgenommen werden<br />

Jugendliche im Alter von… bis… Jahren“.<br />

· B: Es gibt viele junge Menschen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, die<br />

vorgeschichtlich noch keine Jugendhilfeleistungen in Anspruch genommen<br />

haben, die aber psychische Erkrankungen und komorbide Suchtstörungen<br />

aufweisen. Für diese Zielgruppe gibt es keine Anspruchsgrundlagen aus den<br />

§§ 35a, 41 SGB VIII. Hier hilft eine Einbeziehung von Eingliederungshilfen<br />

nach dem SGB XII. Bei den Aufnahmevoraussetzungen kann dies<br />

berücksichtigt werden: Erweiterung der Rechtsgrundlagen und damit<br />

Möglichkeit der Inanspruchnahme des Hilfeangebotes für junge Erwachsene,<br />

die erstmalig Jugendhilfeleistungen in Anspruch nehmen, durch Einbeziehung<br />

von Eingliederungshilfen nach dem SGB XII.<br />

· C: „Mit größeren Schwierigkeiten rechne ich nicht.“<br />

Aufnahmevoraussetzungen sind praktikabel.<br />

· D: Es ist fraglich, ob man immer alle Leute bei Aufnahme auch an einen Tisch<br />

kriegt.<br />

· E: Bei Erstgesprächen in der Wohngruppe können „tagesstrukturierende<br />

Maßnahmen vor Ort“ störend wirken. Wahrnehmungen des Gruppenalltags<br />

können unter Umständen für künftige Klienten, Eltern und Angehörige auch<br />

einschüchternd wirken. Manchmal ist es günstiger, das Erstgespräch wo<br />

anders zu führen und erst danach die Wohngruppe zu besichtigen.<br />

· F: Wirtschaftliche Gesichtspunkte könnten dazu führen, dass Jugendliche, die<br />

eigentlich den Gruppenrahmen sprengen, doch aufgenommen werden<br />

müssen. Dadurch kann u. U. das ganze Konzept ad absurdum geführt<br />

werden.<br />

- 228 -


Beurteilung und Nutzen der Aufnahmevoraussetzungen:<br />

· A: „Finde ich sehr, sehr gut. Das finde ich sehr angemessen“. Es ist nützlich.<br />

Stellt eine ordentliche Eingangsqualität sicher.<br />

· B: Die Aufnahmekriterien sind schlüssig und gut nachvollziehbar. Die<br />

Eingangsvoraussetzungen sind „nicht zu hoch aufgehängt“. Sie stellen keine<br />

unüberwindbare Hürde für potentielle Klienten dar. Die<br />

Aufnahmevoraussetzungen sind eigentlich so in Ordnung.<br />

· C: Individueller Entscheidungsspielraum für die Entscheidungsbefugten<br />

(Team und Leitung) muss gewahrt bleiben.<br />

· D: Die Aufnahmekriterien sind gut.<br />

· E: Wenig Erfahrung damit, ob es sinnvoll ist, Suchtstörungen und<br />

psychotische Störungen miteinander zu kombinieren.<br />

· F: Die Aufnahmevoraussetzungen „sind das A und O“ für ein Gelingen der<br />

Jugendhilfemaßnahme. Nutzen: Die Aufnahmevoraussetzungen beschränken<br />

sich auf das wesentliche und machen ein Gelingen der Jugendhilfemaßnahme<br />

wahrscheinlich.<br />

Probleme und Schwierigkeiten, die im Kontext der Abbruchkriterien erwartet<br />

werden:<br />

· A: Das eigenmächtige Absetzen von Psychopharmaka als Abbruchkriterium<br />

wird problematisiert. Ein solches Verhalten sollte kein Abbruchkriterium<br />

darstellen.<br />

· B: Es werden keine Schwierigkeiten erwartet. „Ich sehe keine Probleme“.<br />

· C: Wichtig bei Maßnahmeabbrüchen ist auch die Möglichkeit einer<br />

individuellen Einschätzung: Es kommt auf die Mitarbeitsbereitschaft und<br />

tatsächliche Mitarbeit des jungen Menschen an. Individuelle Team- und<br />

Leitungsentscheidungen müssen möglich bleiben.<br />

· D: Es werden keine Schwierigkeiten gesehen.<br />

· E: Antisoziale Verhaltensweisen als Abbruchkriterium „sehe ich sehr kritisch“,<br />

da bei der Zielklientel „mit antisozialen Verhaltensweisen auf jeden Fall zu<br />

rechnen“ ist. Das dürfte dann nicht ein Abbruchkriterium sein.<br />

· F: Wirtschaftliche Gesichtspunkte könnten dazu führen, dass Jugendliche, die<br />

eigentlich den Gruppenrahmen sprengen/ nicht in die Gruppe integrierbar<br />

sind, gehalten werden müssen und nicht entlassen werden können, obwohl<br />

dies eigentlich erforderlich wäre. Dadurch kann u. U. das ganze Konzept ad<br />

absurdum geführt werden.<br />

- 229 -


Beurteilung und Nutzen der Abbruchkriterien:<br />

· A: „Man kommt nicht immer in Erklärungsnot, wenn man einen Jugendlichen<br />

entlassen will“.<br />

· B: „Ich finde die Abbruchkriterien plausibel“. Nutzen: Der Hilfeprozess/<br />

Therapieprozess wird für alle Beteiligten transparent, „insofern jeder<br />

verlässlich weiß, was auf ihn zukommt, wenn bestimmte Dinge eintreten“.<br />

· C: Im Großen und Ganzen praktikabel.<br />

· D: Es ist gut, dass in Bezug auf die Medikamenteneinnahme ein gewisser<br />

Druck herrscht. Eine regelmäßige Einnahme verordneter Psychopharmaka<br />

macht Therapie erst möglich/ die betroffenen jungen Menschen erst<br />

therapiefähig. Veränderungen bei den Abbruchkriterien sind nicht erforderlich.<br />

· E: „Find ich mittelmäßig geeignet.“ „Mir sind die Abbruchkriterien nicht konkret<br />

genug für den Klienten: Einerseits ist die WG eine suchtmittelfreie Zone,<br />

andererseits gibt es ein Rückfallmanagement, was greift, falls sie rückfällig<br />

werden. Ist für mich nicht konkret genug“. Nutzen deshalb „nicht unbedingt.<br />

Kann zu Schwierigkeiten führen denk ich in der Umsetzung in der Praxis“.<br />

· F: Körperliche Gewalt gegen Mitbewohner und/ oder Mitarbeiter ist ganz klar<br />

ein Entlassungs- Kriterium. Fortgesetztes kriminelles Verhalten ebenfalls.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Krisenmanagements:<br />

· A: Grundsätzlich gut leistbar.<br />

· B: Das Krisenmanagement ist im vorgesehenen Personalumfang leistbar. Im<br />

Krisenmanagement sind Doppeldienste erforderlich.<br />

· C: Im Großen und Ganzen leistbar. Einschränkungen bei den vermehrten<br />

Einzelzuwendungen (Einzelgespräche) in Bezug auf die Leistbarkeit. Das<br />

kann bei der vorgesehenen Personaldecke an Grenzen stoßen.<br />

· D: Im Rahmen von Doppeldiensten ist das Krisenmanagement leistbar.<br />

· E: Gut leistbar/ umsetzbar. „Definitiv machbar“.<br />

· F: Im Bedarfsfall ist ein erhöhter Personalschlüssel erforderlich, der aber auch<br />

dienstplantechnisch eingeschoben werden kann (Doppeldienste). Insofern ist<br />

das Krisenmanagement leistbar.<br />

- 230 -


Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Kleine Einrichtungen sind in der Bearbeitung von Krisensituationen auf das<br />

regionale Versorgungsnetz angewiesen, müssen dann also auch ggf. auf<br />

externe Hilfemöglichkeiten zurückgreifen. Das kann im Einzelfall das<br />

Krisenmanagement erschweren. Bei großen Einrichtungen ist z.B. die<br />

Nutzung anderer Wohngruppen möglich, etwa um streitende Parteien nach<br />

körperlichen Auseinandersetzungen schnell und wirksam voneinander zu<br />

trennen. Der Aggressor kann temporär in einer anderen Wohngruppe der<br />

Gesamteinrichtung untergebracht werden. Bessere Möglichkeiten der<br />

Deeskalation und der Vermeidung von „Schnellschüssen“ im Hinblick auf<br />

Maßnahmenabbrüche.<br />

· B: Probleme werden in der regionalen psychiatrischen Versorgung gesehen.<br />

Im Krisenfall eine zeitnahe psychiatrische Erstversorgung zu bekommen, kann<br />

im Einzelfall problematisch werden.<br />

· C: Man sollte das Ganze in der Praxis ausprobieren und dann sehen, was<br />

tatsächlich umsetzbar/ leistbar ist und entsprechend nachsteuern.<br />

· D: Werktags sind Doppeldienste planmäßig vorgesehen. Hier ist das<br />

Krisenmanagement unproblematisch umsetzbar. Im akuten Krisenfall<br />

außerplanmäßige Doppeldienste auch am Wochenende einzurichten kann im<br />

Einzelfall schwierig sein. In Zusammenarbeit mit Fachärzten und<br />

psychiatrischen Kliniken gibt es oft längere Wartezeiten, die im akuten<br />

Bedarfsfall problematisch werden können.<br />

· E: Zu Kriseninterventionen sollte man sich noch einmal detailliert Gedanken<br />

machen: Gibt es z.B. Notfalltelefonnummern innerhalb der Einrichtung, um<br />

sich in Akutkrisen zeitnah Hilfe holen zu können? Ist z.B. als Akutintervention<br />

eine rasche Verlegung eines Jugendlichen in eine andere Teileinrichtung<br />

möglich? Gibt es eine Leitungsbereitschaft, die Im Akutfall zeitnah<br />

Entscheidungen treffen kann? Wird auch Leitungsverantwortung im Krisenfall<br />

zum Schutze von Klienten und Mitarbeitern wahrgenommen? Hier braucht es<br />

verlässliche Regelungen (auch) für die Mitarbeiter.<br />

· F: Probleme wird es nur dann geben, wenn Doppeldienste nicht vorgehalten<br />

werden können.<br />

Beurteilung und Nutzen des Krisenmanagements:<br />

· A: Jugendliche werden in Krisen nicht einfach entlassen. Es gibt ein<br />

geregeltes Verfahren, mit dem Jugendliche auch durch Krisen hindurch<br />

gehalten werden können. Beurteilung: „Ganz, ganz wichtig“. „Eine sehr, sehr<br />

hilfreiche Sache“. „Ich halte das für ordentlich und sehr gut“.<br />

· B: Das Krisen- und Rückfallmanagement ist nicht so rigide gehandhabt, wie in<br />

anderen Konzepten. Das ist „sehr gut“, weil es „dem Klientel angemessen“ ist.<br />

· C: Insgesamt hilfreich. Nutzen: Es ist eine notwendige Arbeitsgrundlage, vor<br />

allem auch die externe stationäre psychiatrische Versorgung. Alleine kommen<br />

wir mit unserer Klientel nicht über die Runden. Gute Vernetzung ist wichtig.<br />

- 231 -


· D: Es ist leistbar und machbar und damit ausreichend. Nutzen: Zügige<br />

Reaktionen auf Krisen werden möglich. „Das ist halt, denke ich, eine gute<br />

Sache, um relativ zügig die Probleme zu lösen“.<br />

· E: Das Krisenmanagement ist gut und hilft den Jugendlichen in<br />

Krisensituationen. Jedoch sollten Kriseninterventionen mit Verlegungen oder<br />

Auszeiten möglich sein.<br />

· F: Das Krisenmanagement ist hilfreich. Ergänzend könnten in Akutkrisen, falls<br />

guter Elternkontakt besteht, auch zusätzlich die Eltern mit eingeschaltet<br />

werden zur Krisenklärung.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Rückfallmanagements:<br />

· A: Gut möglich. Gut und leistbar.<br />

· B: Umsetzbarkeit ist gegeben. Das Rückfallmanagement ist gut und<br />

umsetzbar.<br />

· C: Es muss auf jeden Fall geleistet werden. Leistbar bei entsprechender<br />

personeller Ausstattung.<br />

· D: Das Rückfallmanagement ist gut umsetzbar.<br />

· E: Leistbarkeit /Umsetzbarkeit ist unklar, weil das Rückfallmanagement unklar<br />

ist. Werden Rückfälle geduldet, oder nicht? Das Konzept beschreibt, dass ein<br />

Rückfall Ausschließungsgrund sein kann, aber auch Teil des Krankheitsbildes<br />

ist. Gerade an dem Punkt brauchen die Jugendlichen aber ganz viel Klarheit.<br />

Dürfen sie rückfällig werden, oder nicht? Das ist überhaupt nicht klar. Das<br />

Konzept zum Rückfallmanagement sollte klarer und eindeutiger gefasst<br />

werden.<br />

· F: Das Rückfallmanagement ist leistbar.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: In der Gruppe kann ein Rückfall einfach als Regelverletzung interpretiert<br />

werden, die vom therapeutischen Team dann auch noch geduldet wird.<br />

Rückfallnachbearbeitungen sollten deshalb allen Mitbewohnern gegenüber<br />

gut begründet und gut kommuniziert werden. Hier ist Offenheit und<br />

Transparenz wichtig.<br />

· B: Es kann im Einzelfall schwierig sein zu unterscheiden, ob ein Jugendlicher<br />

nach mehreren Rückfällen weiterhin motiviert ist, suchtmittelfrei leben zu<br />

wollen, es bisher aber einfach noch nicht geschafft hat und deshalb weitere<br />

Unterstützung braucht, oder ob keine Motivation zur Abstinenz mehr da ist.<br />

Hier braucht es Fingerspitzengefühl und viel Berufserfahrung, um sowohl dem<br />

Jugendlichen, als auch den Schutzbedürfnissen der Gruppe gerecht zu<br />

werden und richtige Entscheidungen zu treffen/ richtige Konsequenzen zu<br />

ziehen.<br />

- 232 -


· C: Mangelnde Compliance des Rehabilitanden kann zum Problem werden. Es<br />

kann an der Vision, irgendwann einmal ein qualitativ besseres Leben führen<br />

zu können, fehlen.<br />

· D: Wirtschaftliche Gesichtspunkte: Kommt es zu einer Entlassung, kann es<br />

sein, dass das zuständige Jugendamt „nicht mitspielt“ und künftig die<br />

Einrichtung nicht mehr belegt.<br />

· E: Wenn Rückfälle geduldet werden, „dann sehe ich die Gefahr, dass<br />

Suchtmenschen diese Lücke auch ausnutzen“. Rückfälle sollten nicht<br />

geduldet werden.<br />

· F: Wenn Doppeldienste nicht vorgehalten werden, kann das<br />

Rückfallmanagement schwierig werden.<br />

Beurteilung und Nutzen des Rückfallmanagements:<br />

· A: „Sehr, sehr wichtig“ und „sehr, sehr gut“. Nutzen: Rückfälle geschehen.<br />

Man kann nicht erwarten, dass alles problemlos läuft. Man muss deshalb mit<br />

Rückfällen rechnen und verantwortlich mit ihnen umgehen. Das<br />

Rückfallmanagement ermöglicht einen angemessenen Umgang mit<br />

Rückfällen.<br />

· B: Rückfälle aufarbeiten und diese nicht als Entlassgrund werten, wird den<br />

Jugendlichen und ihrer Problematik gerecht. Das „gefällt mir sehr gut“.<br />

· B: Rückfälle führen nicht automatisch zu Entlassungen. Das „finde ich<br />

besonders gut“, das „gefällt mir besonders gut“. Andere Konzepte sind an<br />

dieser Stelle rigider und gehen damit weniger auf die Krankheitsproblematik<br />

des jungen Menschen ein.<br />

· C: Rückfallmanagement ist in jedem Fall besser, als sofortiger<br />

Maßnahmenabbruch bei Rückfall.<br />

· D: „Super“. „Sinnvoll und gut“. „Wünschenswert, dass das überall eigentlich so<br />

gemacht wird“. Nutzen: Klare Linie, Transparenz: Die Jugendlichen wissen,<br />

auf welche Verhaltensweisen welche Reaktionen folgen. Rückfällige<br />

Jugendliche erhalten weitere Chancen auf Therapie und Grenzen der<br />

Hilfemöglichkeiten werden dem Jugendlichen aufgezeigt.<br />

· E: „Gut“ Nutzen: Der Nutzen wird hoch eingeschätzt.<br />

· F: Wenn der junge Mensch gewillt ist, vom Substanzkonsum Abstand zu<br />

nehmen, es aber erst einmal alleine nicht schafft, dann ist es gut, „wenn man<br />

lange lange probiert, immer wieder neue Wege zu gehen. Es ist zwar<br />

schwierig, aber es macht Sinn“.<br />

- 233 -


Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des AT- Angebotes:<br />

· A: Leistbarkeit gegeben. Das ist realistisch.<br />

· B: AT- Angebot ist sehr gut leistbar.<br />

· C: Umsetzbar nur dann, wenn ein Mitarbeiter für den AT- Bereich eingestellt<br />

wird.<br />

· D: Die Leistbarkeit hängt von der Anzahl der Jugendlichen ab, die am AT-<br />

Angebot teilnehmen. Nehmen zu viele Jugendliche gleichzeitig am AT-<br />

Angebot teil, kann es Schwierigkeiten bei der Umsetzbarkeit/ Leistbarkeit des<br />

AT- Angebotes geben.<br />

· E: Das AT- Angebot ist leistbar.<br />

· F: In Doppeldiensten umsetzbar.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Das AT- Angebot ist nicht diversifiziert- und damit nicht attraktiv genug. Es<br />

sollte ein Versorgungsnetz an einrichtungsexternen Beschäftigungsstellen/<br />

Praktikumsstellen aufgebaut werden, um eine breitere Palette von AT-<br />

Angeboten vorhalten zu können.<br />

· B: Sicherstellung der Tagesstruktur kann im Einzelfall schwierig werden: Es<br />

ist bei manchen Jugendlichen schwierig, diese an Belastungen<br />

heranzuführen. In solchen Fällen kann es in der Praxis fraglich werden, ob<br />

das Arbeitstherapieangebot richtig greift.<br />

· C: Wird das Angebot vom Klienten angenommen, oder nicht? Die individuelle<br />

Belastbarkeit der Klienten ist sehr unterschiedlich. Was traut sich der Einzelne<br />

zu?<br />

· D: Die AT- Angebote sind nicht breit genüg gefächert. Angebote breiter<br />

fächern, vielseitigere Angebote machen, nicht nur auf Garten-,<br />

Hauswirtschafts- und Werkstattbereich beschränken.<br />

· E: Schwierigkeiten kann es „im zweiten Schritt“ bei der Vermittlung der<br />

Jugendlichen in externe arbeitstherapeutische Angebote geben. Manche<br />

Jugendliche bleiben lieber bei den intern angebotenen AT-Maßnahmen.<br />

· F: Das AT- Angebot muss kontinuierlich vorgehalten und von allen<br />

Mitarbeitern mit getragen werden. Probleme kann es z.B. dann geben, wenn<br />

einzelne Kolleginnen/ Kollegen im Team nicht dafür sorgen, dass Jugendliche<br />

morgens rechtzeitig aufstehen. Auch nach Dienstwechseln/ Übergaben muss<br />

die AT- Kontinuität verlässlich weitergeführt werden. Die verlässliche<br />

Durchführung der AT ist auch dann schwierig, wenn es keine gute<br />

Dokumentation und Kommunikation bei den Teammitgliedern gibt.<br />

- 234 -


Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Sehr hoch. Ist ein „muss“ für Jugendliche, die noch nicht beschulbar sind.<br />

Ganz wichtiger Bereich. Aktivierung betroffener Jugendlicher und Erreichung<br />

von Zielen werden als prioritär eingestuft, da es hier um die<br />

Wiedereingliederung in die Gesellschaft geht.<br />

· B: Das AT- Angebot „finde ich erstmal gut“. Es könnte etwas mehr<br />

ausdifferenziert sein. Nutzen: Es dient der Tagesstrukturierung. Jugendliche<br />

können über geleistete Arbeit/ fertig gestellte Werkstücke Erfolgserlebnisse<br />

bekommen.<br />

· C: Bei Umsetzbarkeit des AT- Angebotes ist der Nutzen hoch.<br />

· D: Der Nutzen ist hoch, z.B. für Schulverweigerer.<br />

· E: Hoher Nuten. Ein solches Angebot fehlt häufig.<br />

· F: Dieses Angebot ist „extrem wichtig“, damit Jugendliche, die aus Kliniken<br />

kommen, möglichst schnell wieder einen normalen Tagesrhythmus entwickeln<br />

können und an die alterstypischen Alltagsbelastungen (z.B. Schulbesuch,<br />

Vorbereitung auf die Belastungen einer Ausbildung) herangeführt werden.<br />

„Der Nutzen ist enorm“.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit von Angehörigenseminaren:<br />

· A: Keine Probleme in Bezug auf die Personaldecke.<br />

· B: „Generell halte ich das erstmal für umsetzbar“. Bei<br />

einkommensschwächeren Eltern muss im Einzelfall viel Motivationsarbeit in<br />

Richtung auf eine Teilnahme an Angehörigenseminaren geleistet werden. Bei<br />

„gesunden Mittelstandsfamilien“ ist es einfacher, mit den Angehörigen ins<br />

Gespräch zu kommen.<br />

· C: In den therapeutischen Gruppen gibt es eine rege Mitarbeit der Eltern und<br />

eine rege Teilnahme an Angehörigenseminaren. In den reinen Jungen- und<br />

Kindergruppen gibt es nur eine ganz geringe Teilnahme der Eltern an<br />

Seminaren und Elternangeboten. Gute Umsetzbarkeit, wenn Eltern/<br />

Angehörige engagiert mitarbeiten.<br />

· D: Umsetzbarkeit ist problematisch; die Angehörigenseminare sind „im<br />

Regelbetrieb nicht leistbar“. Die Mitarbeiter sind zuständig für die Probleme<br />

der Jugendlichen, nicht für die der Eltern. Zu wenig Personal für die<br />

Durchführung von Angehörigenseminaren.<br />

· D: Wenn man Angehörigenseminare durchführen möchte, sollte ein<br />

Mitarbeiter extra für diese Aufgabe eingestellt werden.<br />

· E: Personell gut umsetzbar. Die kann man auch gut planen.<br />

· F: Die Umsetzbarkeit ist gegeben, aber schwierig.<br />

- 235 -


Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Es gibt Eltern, die wenig oder keine Ressourcen mitbringen. Da kann es<br />

schwierig werden, Anknüpfungspunkte zu finden für Arbeitsbündnisse.<br />

· A: Kosten- und Logistikprobleme bei den Eltern, wenn diese überregional<br />

anreisen müssen. Wo übernachten sie, wenn die Anreise einen Tag früher<br />

erfolgen muss? Können die Eltern Fahrt- und ggf. Übernachtungskosten<br />

selber tragen?<br />

· B: Eltern könnten dieses Modul als für sich nicht verbindlich ansehen. Auf die<br />

Verbindlichkeit der regelmäßigen Teilnahme an Angehörigenseminaren muss<br />

deshalb bereits im Aufnahmeverfahren hingewiesen werden.<br />

· B: Wenn soziale Peer- Gruppen durch die Eltern- und Angehörigenarbeit nicht<br />

erreicht werden, erschwert dies die (Re-) Integration des jungen Menschen in<br />

die Gesellschaft immens.<br />

· B: Elternarbeit kann bei nicht kooperativen Eltern auch eine schwere<br />

Herausforderung sein.<br />

· C: Sozialer Hintergrund der Elternhäuser ist zu berücksichtigen: „Mittelschicht-<br />

Eltern“ sind meist interessiert an Informationen und an der Entwicklung ihres<br />

Kindes. Sie suchen auch für sich selbst Hilfe und haben Fragen zu den<br />

Erkrankungen ihrer Kinder. Eltern aus „Prekariatsfamilien“ zeigen sich<br />

hingegen häufig desinteressiert und unkooperativ. In vielen<br />

Jugendhilfewohngruppen gibt es auch junge Menschen, die von ihren<br />

Familien stark ausgegrenzt werden. Diese Familien sind wenigstens ein Mal<br />

aufzusuchen in ihrer häuslichen Umgebung, um ein „feeling“ dafür zu kriegen,<br />

wie der familiäre Hintergrund beschaffen ist. Möglichst viele Informationen<br />

über die familiären Zusammenhänge sind zu sammeln, um den jungen<br />

Menschen und seine Erkrankung besser verstehen zu können.<br />

· D: Mitarbeiter sind mit der Durchführung von Angehörigenseminaren<br />

überfordert/ überlastet. Nicht leistbar und nicht umsetzbar.<br />

· E: Probleme kann es bei der Teilnahmebereitschaft der Eltern geben. Häufig<br />

ist die Klientel überregional belegt. Eltern kommen nicht zu den Seminaren.<br />

Elternarbeit muss häufiger auch aufsuchende Arbeit sein.<br />

· F: Es kommt darauf an, aus welchen Einzugsgebieten die Eltern kommen:<br />

Unter Umständen werden lange Anreisewege erforderlich, was im Einzelfall<br />

hinderlich für eine Teilnahme am Seminar werden kann.<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Eltern erleben, dass sie nicht alleine gelassen werden mit ihren Fragen und<br />

Problemen<br />

· A: Die Eltern erhalten Hilfestellungen und „Werkzeuge“, mit denen sie den<br />

Umgang mit ihren Kindern verbessern können.<br />

· A: Eltern und Familien unterstützen, besonders wenn Ziel der Maßnahme die<br />

Rückführung des Jugendlichen in seine Familie ist.<br />

- 236 -


· B: Elternarbeit ist „wesentlich“ und „eminent wichtig“. Sie nimmt im Konzept<br />

zu Recht einen großen Raum ein. Dieser Ansatz ist „sehr gut“.<br />

· B: Elterntrainings einmal im Quartal sind „sehr gut“; „elementar wichtig“ für<br />

den gesamten Therapieprozess.<br />

· B: Die Eltern sind für ihre Kinder besonders wichtige Personen. „Es wird keine<br />

positive Veränderung im leben eines jungen Menschen geben, wenn dieser<br />

Bereich (Elternarbeit) nicht mitbearbeitet wird“.<br />

· B: Eine „Reintegration des jungen Menschen in die Gesellschaft kann nur<br />

gelingen, wenn man das soziale Netzwerk, die Familien, die Angehörigen mit<br />

(in den Therapieprozess) einbindet“.<br />

· C: Nutzen ist sehr hoch sowohl für den einzelnen Jugendlichen, als auch<br />

insgesamt für das Gelingen der Arbeit.<br />

· D: Großer Nutzen, da viele Alltagsprobleme im gemeinsamen Austausch mit<br />

den Eltern und in Absprache gelöst werden können. Wechselseitiges<br />

besseres Verstehen wird befördert (Eltern haben die Chance, die Störungen/<br />

Erkrankungen ihrer Kinder besser zu verstehen, Mitarbeiter der Einrichtung<br />

bekommen ein besseres Verständnis des Jugendlichen und von dessen<br />

Familie).<br />

· E: Wenn es gelingt, die Eltern einzubeziehen, dann ist der Nutzen auch sehr<br />

hoch. Eine gute Verbindung zu den Eltern zu haben ist auch eine<br />

Voraussetzung dafür, mit den Jugendlichen gut arbeiten zu können.<br />

· F: Erweiterung der Blickwinkel auf den Jugendlichen und dessen Probleme:<br />

Die Perspektive der Pädagogen auf den Jugendlichen kann ergänzt und<br />

erweitert werden durch die Perspektive der Eltern und Angehörige auf den<br />

Jugendlichen. So gelangt man zu einem erweiterten und vertiefenden<br />

Verstehen des jungen Menschen.<br />

· F: Die Eltern erhalten zudem die Möglichkeit, sich auch untereinander<br />

auszutauschen. Sie können ihre Themen, die sie interessieren, betreffen, oder<br />

belasten, miteinander besprechen. Dies führt zu einer Entlastung, zur<br />

Erfahrung von Solidarität und ist Unterstützung zur Selbsthilfe.<br />

· F: Informationsvermittlung an die Eltern/ Elternschulungen werden möglich.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des sporttherapeutischen Angebotes:<br />

· A: Keine Probleme bei der Umsetzung.<br />

· B: Es ist gut leistbar wenn man dafür Personal vorhält, das das Sportangebot<br />

anleitet.<br />

· C: Umsetzbarkeit hängt auch von den Gegebenheiten ab: Sind Räume,<br />

Sportanlagen verfügbar? Ist genügend Personal vorhanden, das auch für<br />

Sportaktivitäten Zeit eingeräumt bekommt?<br />

· D: Schwer umsetzbar mangels Motivation der meisten Jugendlichen. Das wird<br />

wahrscheinlich nur mit Druck gehen und dann bringt es nichts.<br />

- 237 -


· E: Nur umsetzbar, wenn ein Mitarbeiter bei der Durchführung des<br />

Sportprogramms anwesend ist und es anleitet. Wenn das Sportangebot für<br />

alle verpflichtend ist, dann ist dieses Angebot auch mit nur einem<br />

diensthabenden Mitarbeiter umsetzbar. Ist das Sportprogramm nur für einige<br />

wenige verpflichtend, braucht man wieder einen Doppeldienst.<br />

· F: Mitarbeiter sollten am Sportangebot mit teilnehmen. Sonst kann es<br />

Probleme mit der Umsetzbarkeit/ Durchführbarkeit dieses Angebotes geben.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Nicht jeder Jugendliche hat Lust, sich zu bewegen. So sind z.B.<br />

Jugendliche mit Adipositas häufig antriebsarm und unmotiviert. Die muss man<br />

dann da abholen, wo sie gerade stehen, d.h. die Leistungserwartungen und<br />

Leistungsanforderungen nicht zu hoch ansetzen.<br />

· B: Die Entwicklung individueller Angebote und die organisatorische<br />

Durchführung und Absicherung der Angebote können sich schwierig<br />

gestalten. Je nach Fitnesszustand/ Belastbarkeit können ganz<br />

unterschiedliche Anforderungen an die einzelnen jungen Menschen gestellt<br />

werden. Das muss aber organisatorisch auch leistbar sein.<br />

· B: Teilweise wird Einzelbegleitung erforderlich sein. Motivationsarbeit muss<br />

geleistet werden.<br />

· C: Bei psychisch kranken Klienten, die Psychopharmaka erhalten, können<br />

Belastungsfähigkeit, Bewegungsabläufe und Körperwahrnehmung erheblich<br />

beeinträchtigt sein.<br />

· D: Jugendliche sind nur schwer für sportliche Aktivitäten zu motivieren. Sie<br />

haben da keine Lust drauf, weil es zu anstrengend ist. Problematisch ist die<br />

mangelnde Motivation der Jugendlichen.<br />

· E: Wenn es ein offenes/ freiwilliges Angebot ist, wird es aufgrund der<br />

Antriebsarmut bei der Zielklientel nur schwer umsetzbar sein. Es muss daher<br />

sehr verbindlich gemacht werden. Man braucht einen Mitarbeiter, der dabei ist<br />

und motiviert. „Ohne Anleitung geht gar nichts“. Es muss auch innerhalb des<br />

Mitarbeiterteams gut abgestimmt sein, ob alle Kollegen/ Kolleginnen selber<br />

das Sportprogramm gut leisten können.<br />

· F: Der Weg hin zu einer Mobilisierung und Aktivierung der Jugendlichen ist<br />

schwierig, da viele eine eher passive Haltung an den Tag legen.<br />

- 238 -


Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Förderung motorischer Entwicklungsmöglichkeiten<br />

· A: Verbesserung der Körperwahrnehmung<br />

· A: Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein<br />

· A: Sinnvolle Freizeitbeschäftigung/ Hobby<br />

· A: Verbesserung der Gruppendynamik<br />

· A: Interaktive Förderung sozialer Kompetenzen<br />

· B: Großer Nutzen. Körperliches Wohlbefinden wirkt sich förderlich auf den<br />

Therapieprozess aus.<br />

· B: Sport ist eine „gute Grundlage, um den gesamten Therapieprozess zu<br />

begleiten“.<br />

· C: „Ganz tolle Angelegenheit“ im therapeutischen Bereich: Hilfreich für junge<br />

Menschen, die erhebliche Beeinträchtigungen in der Koordination haben, in<br />

der Fitness insgesamt und für Jungs aus „Prekariatsfamilien“, die oft große<br />

Schwierigkeiten haben mit der Körperselbstwahrnehmung.<br />

· D: Sportangebote bringen ganz viel Förderung (z.B. bei der<br />

Körperkoordination, bei der Ausdauer, beim sich- auspowern und dabei, den<br />

Kopf frei zu kriegen). Die Jugendlichen, die regelmäßig Sport machen sind<br />

ausgeglichen, die Belastbarkeit ist viel höher, die Lebensfreude steigt und die<br />

Dynamik in der Gruppe verbessert sich. Sportliche Aktivitäten funktionieren<br />

aber nur auf freiwilliger Basis. Was da unter Druck oder Zwang geschieht, hat<br />

keinen Nutzen.<br />

· E: Das sporttherapeutische Angebot ist sehr gut.<br />

· F: Ein wichtiges Angebot, um wieder etwas in Bewegung zu bringen. Das<br />

Sporttherapieangebot ist eine Notwendigkeit, da viele der Jugendlichen „so<br />

gut wie gar nichts tun möchten“.<br />

· F: Jugendliche können sich körperlich verausgaben, etwas leisten und<br />

darüber Zufriedenheit erlangen.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Einzelgesprächsangebotes:<br />

· A: Gut durchführbar<br />

· B: Gut durchführbar.<br />

· B: Legt man im Konzept ein Einzelgespräch pro Woche als Standard fest, ist<br />

man auch daran gebunden, diese Häufigkeit einzuhalten. Eine weichere<br />

Formulierung im Konzept ermöglicht eine flexiblere Handhabung, die<br />

angepasst ist an das, was in der Praxis tatsächlich leistbar ist.<br />

· C: Gutes und durchführbares Angebot. Allerdings sollte während der<br />

Durchführung von Einzelgesprächen ein zweiter Mitarbeiter auf der Gruppe<br />

zugegen sein, der die Gruppe beaufsichtigt.<br />

· D: Durchführbarkeit bei gegebenen Doppeldiensten ist gut und<br />

unproblematisch leistbar.<br />

- 239 -


· E: Der Bezugsbetreuer, der das Einzelgespräch durchführen soll, kann dies<br />

nicht im Rahmen seines Gruppendienstes tun. Er braucht dafür eine extra<br />

Arbeitszeit. Es ist hierfür also eine Doppeldienst- Besetzung erforderlich.<br />

· F: Gut leistbar im Bezugsbetreuungssystem, wenn Krankheits- und<br />

Urlaubsvertretungen organisiert sind.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Es wird mit „keinen großartigen Problemen“ gerechnet.<br />

· B: Im organisatorischen Bereich: Sicherstellung, dass Einzelgespräche einmal<br />

wöchentlich durchgeführt werden können, muss gewährleistet sein, z.B. auch<br />

während der Urlaubszeiten von Mitarbeitern.<br />

· C: Einzelgespräche sind gut durchführbar. Es werden keine Probleme in<br />

diesem Bereich erwartet.<br />

· D: Wenn der Jugendliche einen schlechten Tag hatte, kann es sein, dass er<br />

das Einzelgespräch verweigert. Wenn der Mitarbeiter dann auf dem<br />

Einzelgespräch besteht, wird die Beziehung zusätzlich belastet.<br />

· E: Es braucht eine eindeutige Regelung bezüglich Zeit und Ort der<br />

Durchführung von Einzelgesprächen. Störungen und Unterbrechungen<br />

müssen unterbunden werden. Es dürfen keine Gespräche „zwischen Tür und<br />

Angel“ werden. Es braucht Zeit für das Gespräch selbst, aber auch für die<br />

Vor- und Nachbereitung.<br />

· F: Schwierigkeiten entstehen dann, wenn die Kommunikation im Team nicht<br />

stimmt. Jugendliche und teilweise auch Mitarbeiter können Einzelgespräche<br />

auch zur Spaltung des Teams nutzen.<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Großer Nutzen; für psychisch kranke Jugendliche ist Therapie erforderlich<br />

auch in Form von Einzelgesprächen.<br />

· B: Sichert die therapeutische Versorgung.<br />

· B: Es wird ein Beziehungsangebot gemacht, das die Basis werden kann für<br />

eine Aufarbeitung von Entwicklungsverzögerungen, für eine positive<br />

Beeinflussung des Therapieprozesses.<br />

· C: Großer Nutzen. Führt zu einem besseren Verstehen der Jugendlichen und<br />

man kann so auch Hintergründe ausleuchten.<br />

· D: Hoher Nutzen. Enge Beziehung zum Jugendlichen kann aufgebaut<br />

werden. Man kann sich Zeit füreinander nehmen. Einzelgespräche sollten<br />

nicht nur problemorientiert ablaufen, sondern auch einfach nur der<br />

Beziehungspflege dienen (z.B. mal gemeinsam einen Kaffee trinken).<br />

- 240 -


· E: Es ist ein ernst zu nehmendes Beziehungsangebot. Vertrauen und<br />

Verlässlichkeit in der Beziehung zwischen Betreuer und Jugendlichem können<br />

entstehen.<br />

· F: Ein notwendiges Angebot. Der durchführende Mitarbeiter nimmt sich Zeit<br />

ausschließlich für einen einzelnen Jugendlichen. Daran merkt der<br />

Jugendliche, dass er als Individuum gesehen, wahrgenommen und ernst<br />

genommen wird.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit von Gruppentherapie- und<br />

Indikativgruppenangebot:<br />

· A: Umsetzbarkeit kann dann schwierig sein, wenn kein gemeinsamer Nenner<br />

für Themen gefunden werden kann und einzelne Jugendliche deshalb kein<br />

Interesse bzw. keine Motivation für eine Teilnahme an<br />

Gruppentherapieangeboten zeigen. Umsetzbarkeit mit erhöhtem<br />

Personalaufwand ist aber gegeben.<br />

· B: Es ist gut machbar.<br />

· C: Durchführbarkeit innerhalb der Wohngruppen wird als „eher negativ“<br />

eingeschätzt. Separate Räume wären günstiger und genügend Personal, GT<br />

und Gruppenaufsicht parallel durchführen zu können.<br />

· D: Durchführung ist grundsätzlich in Doppeldiensten möglich. Es sollte von<br />

Anfang an klar gemacht werden, dass dieses Angebot für alle verpflichtend<br />

ist.<br />

· E: Wenn Gruppentherapie/ Indikativgruppen für alle Jugendlichen verbindlich<br />

sind, kann das Angebot im Gruppenalltag gut etabliert werden. Je nach<br />

Resonanz des Angebotes bei den Jugendlichen ist zu unterscheiden: Kommt<br />

das Gruppentherapieangebot gut bei der Zielklientel an und sind die<br />

Jugendlichen zur Teilnahme motiviert, ist das Angebot auch im Rahmen eines<br />

Einzelgruppendienstes durchführbar. Ist das GT- Angebot nicht für alle<br />

zeitgleich verpflichtend, oder gibt es bei den Jugendlichen<br />

Motivationsprobleme, sind zur Durchführung der Gruppentherapien<br />

Doppeldienste erforderlich.<br />

· F: Die Umsetzbarkeit ist schwer, da man einen Pädagogen/ Therapeuten<br />

braucht, der sich mit dem Thema Sucht auskennt (qualifiziertes Personal).<br />

Günstig wäre es, die Gruppentherapiestunden mit jeweils zwei Pädagogen<br />

durchzuführen.<br />

- 241 -


Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Unterschiedliches intellektuelles Niveau der WG- Bewohner. Manche<br />

können sich besser äußern als andere.<br />

· A: Der Prozess muss gut beobachtet und moderiert werden, damit sich jeder<br />

auf seine Art gleichberechtigt einbringen kann.<br />

· A: Alle müssen die Möglichkeit eröffnet bekommen, mitreden zu können.<br />

· A: Unterschiedliche Störungsbilder: In der Praxis werden nicht immer alle von<br />

einer indikativen Gruppe profitieren können. Flexible Handhabung sollte<br />

möglich sein. Nicht immer sind alle Störungsbilder in einer integrativen<br />

Gruppe integrierbar. Nicht immer kann man „so viele auf einem Haufen<br />

haben“.<br />

· B: Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Störungsbilder kann es zu einer<br />

schwierigen Gruppendynamik kommen.<br />

· C: GT in der Gruppe „vermischt zu viele Gefühlsebenen und Alltag“. Separate<br />

Räume für GT wären günstiger.<br />

· D: GT- Angebote sollten für alle verpflichtend sein in Bezug auf die<br />

Teilnahme. Lässt man da Unregelmäßigkeiten zu, wird man das GT- Angebot<br />

mittelfristig mangels Teilnehmer nicht aufrechterhalten können.<br />

· E: Zeitprobleme: Indikativgruppen brauchen Vorbereitungszeit. Sie müssen,<br />

um sinnvoll zu sein, gut vorbereitet werden. Hierfür ist zusätzliche Arbeitszeit<br />

einzuplanen. Diese Arbeitszeit kann nicht im Rahmen der Gruppenarbeitszeit<br />

verortet sein. Oder der durchführende Pädagoge muss Arbeitsmaterial gestellt<br />

kriegen/ „auf die Hand bekommen“, mit dem er direkt arbeiten kann. Der<br />

Pädagoge kann sich nicht einfach unvorbereitet in eine<br />

Gruppentherapiestunde setzen „und keine Ahnung haben, was jetzt läuft“.<br />

· F: Schwierigkeiten können auftreten, wenn die Gruppen zu groß sind. Sie<br />

sollten eher klein gehalten werden. Es sollten möglichst zwei Mitarbeiterinnen/<br />

Mitarbeiter in der Gruppe sein, um auffangen zu können, „wenn die Gruppe<br />

auf den einzelnen Kollegen losgeht“.<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Gruppentherapie ist ein „muss“, eine Notwendigkeit.<br />

· B: Wesentliches und wichtiges Element. Junge Menschen müssen auch<br />

gruppenfähig werden und hier nötigenfalls nachsozialisiert werden. Sie<br />

müssen lernen, sich in Gruppen angemessen zu verhalten, sich einzubringen,<br />

Verantwortung zu übernehmen.<br />

· B: Erfahrung von Solidarität: Andere sind in einer ähnlichen Lage, wie ich.<br />

Emotionale Erfahrungen, Erfahrungen der Akzeptanz werden möglich.<br />

· C: Nutzen im Sinne von Sozialtraining.<br />

- 242 -


· D: Das stärkt die Gruppe. Jeder kriegt von jedem relativ viel mit.<br />

Zusammenhänge werden klar (z.B. Sucht und Aggressivität, Sucht und<br />

Enthemmung). Die Jugendlichen können von sich erzählen, lernen sich so<br />

besser kennen, können sich dann besser einschätzen und lernen auch<br />

voneinander. Die Einzelnen werden sensibilisiert für Gefährdungen, z.B. für<br />

Rückfallgefahren.<br />

· E: „Guter Nutzen“ für die Gruppe.<br />

· F: Die Selbstdarstellung und Selbstinszenierung von Jugendlichen im<br />

Rahmen eines gruppentherapeutischen Settings ist ehrlicher und<br />

realitätsnäher, als die Selbstdarstellung und Selbstinszenierung der<br />

Jugendlichen untereinander in einem therapeutisch nicht angeleiteten,<br />

unkontrollierten Setting. Hierdurch kann großer Leidensdruck, der durch die<br />

ständige Zurschaustellung eines Images, das nicht dem Selbsterleben<br />

entspricht, reduziert werden.<br />

· F: Eine gemeinsame Basis des Wissens, des Verstehens und der Akzeptanz<br />

kann innerhalb der Gruppe aufgebaut werden.<br />

· F: Agierende Jugendliche können gut im Rahmen von Gruppentherapie<br />

eingegrenzt und „in ihre Schranken verwiesen werden“.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Selbsthilfegruppenangebotes:<br />

· A: Ressourcen vor Ort nutzen.<br />

· B: „Das kann ich leider nicht einschätzen“. „Wie das in der Praxis umgesetzt<br />

werden kann, habe ich aber leider keine Erfahrung und kann von daher das<br />

auch nicht einschätzen“.<br />

· C: Durchführbarkeit ist sehr problematisch, da dies bei den Jugendlichen eine<br />

gewisse Reife und Fähigkeit zur Selbstorganisation voraussetzt, sowie die<br />

Fähigkeit, „am Ball zu bleiben“.<br />

· D: Durchführbarkeit dann unproblematisch, wenn die Jugendlichen ein<br />

eigenes Interesse haben/ motiviert sind, eine SHG zu besuchen.<br />

· E: Wahrscheinlich muss -zumindest anfangs- der Besuch von<br />

Selbsthilfegruppen pädagogisch begleitet werden. Hierfür wären wiederum<br />

Doppeldienste erforderlich.<br />

· F: Keine Äußerung hierzu.<br />

- 243 -


Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Finanzielle Probleme. Manche Selbsthilfegruppen sind kostenpflichtig<br />

(z.B. in Programmen der Gewaltprävention).<br />

· A: Ggf. logistische und personelle Probleme; Jugendliche müssen, falls SHG`<br />

s nicht ohne weiteres zu erreichen sind, hin und zurückgebracht werden. Für<br />

Fahrten muss Personal zur Verfügung stehen (Zivi, Praktikanten, junge<br />

Menschen im freiwilligen sozialen Jahr o.ä.).<br />

· A: Nicht für alle Bedarfe gibt es wohnortnah Selbsthilfegruppen.<br />

· B: Schwierigkeiten im Bereich der Motivation, eine Selbsthilfegruppe zu<br />

besuchen und Schwellenängste sind möglich.<br />

· C: Die Hemmschwelle für betroffene Jugendliche ist möglicher Weise zu<br />

hoch. Das Selbstbild der Jugendlichen lässt es möglicher Weise nicht zu,<br />

dass diese sich auf Selbsthilfegruppen einlassen.<br />

· D: Die Regelmäßigkeit von Selbsthilfegruppen- Besuchen kann fraglich sein,<br />

wenn Jugendliche nicht von sich aus motiviert sind.<br />

· E: Bei zu geringer personeller Präsenz (Begleitungen zu Selbsthilfegruppen<br />

sind nicht möglich) werden Jugendliche versuchen, das Angebot zu umgehen.<br />

· F: Unter Zwang/ Druck werden die Jugendlichen das Angebot von<br />

Selbsthilfegruppen nicht nutzen. Sie müssen es wirklich selber wollen. Hier<br />

kann es Probleme bei der Motivation geben.<br />

· F: Bei volljährigen Jugendlichen gibt es das Problem fehlender Kontrolle:<br />

Selbsthilfegruppen werden häufig auf Rückfragen, ob der Jugendliche die<br />

Gruppe tatsächlich besucht hat, nicht antworten wegen des Datenschutzes/<br />

der Schweigepflicht.<br />

Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Wichtig; hoher Nutzen. Muss umgesetzt werden. „Sehr, sehr gut, muss<br />

man benutzen“.<br />

· B: Wenn Jugendliche mit Menschen ins Gespräch kommen, die eine ähnliche<br />

Geschichte haben, können sie davon profitieren.<br />

· B: Sehr gutes, das gesamte Therapiekonzept abrundendes, Angebot.<br />

· C: „Die Idee finde ich ausgezeichnet“. Nutzen: Betroffene Jugendliche<br />

kommen mal aus der Einrichtung raus und der Besuch einer Selbsthilfegruppe<br />

kann auch eine Brücke darstellen in den späteren Alltag der<br />

Verselbständigung nach Beendigung der Jugendhilfemaßnahme.<br />

· D: Bei Regelmäßigkeit des Besuches ist der Nutzen (Prävention und<br />

Rückfallprophylaxe) hoch.<br />

· E: Wenn es gelingt, dass Jugendliche an eine Selbsthilfegruppe andocken,<br />

wird der Nutzen als hoch eingeschätzt.<br />

- 244 -


· F: Hervorragender Nutzen, weil man sich intensiv mit seinen Problemthemen<br />

auseinandersetzen kann.<br />

Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit des Abendrundenangebotes:<br />

· A: Streichen!<br />

· B: Gut durchführbar. Hier werden keine Probleme gesehen.<br />

· C: So, wie im Konzept vorgesehen, schwer durchführbar. „Abendrunden zu<br />

vorgerückter Stunde halte ich für unrealistisch“.<br />

· D: Durchführbarkeit ist schwierig. Die im Konzept vorgesehene Zeit ist<br />

ungünstig (Feierabend, Freizeit, Fernsehzeit).<br />

· E: In dem Ausmaß, wie im Konzept geplant, nicht sinnvoll.<br />

· F: Nicht gut umsetzbar. Leistbarkeit/ Umsetzbarkeit ungünstig.<br />

Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten wird gerechnet?<br />

· A: Zu spät angesetzt. Jugendliche, die Psychopharmaka nehmen müssen,<br />

sind gegen 20:30 Uhr schon zu müde.<br />

· B: Motivationsprobleme bei den Jugendlichen. Die Abendrunden muss man<br />

attraktiv gestalten, „um die Motivation hoch zu halten“.<br />

· C: Die Abendrunde ist zu spät angesetzt. Gerade junge Menschen, die<br />

Psychopharmaka nehmen müssen, sind um diese Uhrzeit schon müde, die<br />

Konzentration lässt erheblich nach und die Betroffenen wollen dann schon<br />

schlafen gehen. Jugendliche könnten sich bei Tagesreflexionsrunden auch<br />

vorgeführt fühlen und aufgebracht reagieren. Zu einem solch späten Zeitpunkt<br />

wäre das ebenfalls ungünstig, da es eine Zeit lang braucht, „um die wieder<br />

runter zu bringen“.<br />

· D: Uhrzeit ist ungünstig.<br />

· E: Uhrzeit und Häufigkeit sind ungünstig. So, wie im Konzept geplant, ist das<br />

Angebot nicht praxistauglich. Jeden Tag ist zu häufig. Das wird Jugendliche<br />

und Pädagogen nur „nerven“. Das wird von den Jugendlichen dann nicht mehr<br />

ernst genommen.<br />

· F: Ungünstige Uhrzeit. Das erzeugt Druck bei den Jugendlichen und wird<br />

Widerstand auslösen.<br />

- 245 -


Beurteilung und Nutzen dieses Angebotes:<br />

· A: Das Angebot „finde ich gut“. Nutzen: Gerade neue Jugendliche können<br />

über die Abendrunde Regeln und ungeschriebene Gesetze der Gruppe<br />

kennenlernen, sich orientieren und sich gut in die Gruppe einfinden. „Es ist ein<br />

superguter Weg, Traditionen und Rituale weiterzugeben“.<br />

· B: Reflexion über den Tag. Lernerfolge können ressourcenorientiert<br />

herausgestellt werden. Positive Feedbacks können gegeben werden, die dem<br />

Aufbau von Selbstvertrauen dienen. „Ganz ganz riesig großer Nutzen“.<br />

· C: „Wenn das klein und knackig gestaltet ist, ist der Nutzen hoch“.<br />

· D: Hoher Nutzen.<br />

· E: Hoher Nutzen, wenn es eine Regelmäßigkeit und Themenschwerpunkte<br />

bei den Abendrunden gibt.<br />

· F: Die Idee der Abendrunde ist gut.<br />

Optimierung des Konzeptes;<br />

Abschließender Fragenteil<br />

· Ergänzungen:<br />

o A: Aufnahmevoraussetzungen: Jugendliche mit geistigen<br />

Behinderungen können nicht aufgenommen werden.<br />

o A: Aufnahmevoraussetzungen: Jugendliche mit bekanntem<br />

extremem Rechtsradikalismus sollten nicht aufgenommen werden.<br />

o A: Zum Krisenmanagement: Deeskalationstrainings für Mitarbeiter<br />

sollten angeboten und durchgeführt werden.<br />

o A: Zur Familien- und Angehörigenarbeit: Zu Beginn einer<br />

Hilfemaßnahme möglichst frühzeitig mindestens einen Besuch im<br />

Elternhaus des Jugendlichen einplanen. Familie und familiären<br />

Hintergrund des Jugendlichen kennen lernen und damit den<br />

Jugendlichen und seine Probleme besser verstehen lernen.<br />

o B: Zur Familien- und Angehörigenarbeit: Arbeit mit Peer-<br />

Gruppen mit einbeziehen. Die (Re-) Integration des jungen<br />

Menschen in die Gesellschaft kann sehr erschwert werden, wenn<br />

sich in Bezug auf die alten sozialen Kontakte und das bisherige<br />

soziale Umfeld nichts verändert.<br />

o B: Zur Familien- und Angehörigenarbeit: Video- Home- Training<br />

wird als sehr gut geeignete Methode empfohlen.<br />

o E: Zur Familien- und Angehörigenarbeit: Aufsuchende<br />

Elternarbeit muss Teil des Konzeptes werden. Man kann nicht<br />

erwarten, dass Eltern von sich aus kommen.<br />

- 246 -


o A: Selbsthilfegruppen auch in Bezug auf andere gegebene Bedarfe<br />

(z.B. in Bezug auf Programme der Gewaltprävention) nutzen.<br />

o A: Es fehlt das Leitbild (z.B. „Wir sind Diakonie. Wir helfen Leuten<br />

in Notlagen“).<br />

o E: Qualifikation der Mitarbeiter: Es braucht gut qualifizierte<br />

Mitarbeiter „mit Praxiserfahrung in dem Bereich“. Die müssen auch<br />

besonders belastbar sein, was die Regulationsfähigkeit von Nähe<br />

und Distanz angeht.<br />

o F: Weitere individuelle Freizeitbetätigungen: Weitere<br />

Betätigungen, die individuell Spaß, Freude, Befriedigung<br />

verschaffen, sollten ebenfalls ermöglicht werden (z.B. Teilnahme an<br />

einer Musik- Band o.ä.).<br />

o F: Verstärkte Einbeziehung der Jugendämter in den<br />

therapeutischen Prozess: Verstärkte Einbeziehung der<br />

Jugendämter in den therapeutischen Prozess durch Meldungen der<br />

Jugendlichen einmal im Monat per E- Mail an die Fallzuständigen: In<br />

den Mails können die Jugendlichen mitteilen, welche Ziele sie<br />

innerhalb des letzen Monats erreicht haben und woran sie gerade<br />

arbeiten. Ergänzt werden können diese Rückmeldungen durch<br />

entsprechende Infomails durch die pädagogischen Mitarbeiter. Dies<br />

hilft den bei den Ämtern Fallzuständigen, zeitnäher über<br />

Entwicklungen der Jugendlichen informiert zu sein, als im Rahmen<br />

nur halbjährlich durchgeführter Hilfeplankonferenzen.<br />

o C und D: Keine Ergänzungen.<br />

· Änderungen:<br />

o A: Konzeptgestaltung und Adressatenfreundlichkeit: Wer ist<br />

Adressat des Konzeptes? Wenn Jugendamt: Weniger schreiben.<br />

Mitarbeiter in Jugendämtern wollen lieber kurze Texte lesen.<br />

Weniger ist mehr.<br />

o E: Zur Verständlichkeit des Konzeptes: Weniger ist mehr. Das<br />

Konzept wird durch Kürzungen klarer, deutlicher, transparenter.<br />

o A: Zu den Aufnahmevoraussetzungen: Für das Konzept klären:<br />

Welche Jugendlichen mit welchen Krankheitsbildern will ich haben?<br />

Radius der Störungsbilder klarer definieren/ eingrenzen.<br />

o B: Zu den Aufnahmevoraussetzungen: Wie konkret sind<br />

Vereinbarungen, die getroffen werden, bevor es zu einer Aufnahme<br />

kommt? Wie transparent werden die für alle Beteiligten gemacht?<br />

Welche Instrumente werden dazu eingesetzt? Hier wird es ein<br />

„learning by doing“ geben müssen.<br />

- 247 -


o B: Zu den Aufnahmevoraussetzungen: Eine verbindliche<br />

Teilnahme der Eltern an den Angehörigenseminaren einmal im<br />

Quartal sollte bereits im Aufnahmeverfahren vereinbart werden und<br />

die verbindliche Zusage seitens der Eltern/ Angehörigen<br />

Eingangsvoraussetzung/ Aufnahmekriterium sein. „Ohne Elternarbeit<br />

keine Aufnahme“.<br />

o B: Zu den Aufnahmevoraussetzungen; Definition der<br />

Altersstruktur der Zielgruppe: „Eine Altersspanne nach unten und<br />

nach oben“/ die Aufnahme- Altersspanne müsste noch verbindlich<br />

festgelegt werden. Aufnahmen sind sinnvoll vermutlich ab 13, 14<br />

Jahren.<br />

o D: Zu den Aufnahmevoraussetzungen: In Fällen, in denen die<br />

individuelle Problematik nicht so komplex/ schwierig ist, sollten auch<br />

weniger Personen über eine Aufnahme entscheiden können<br />

(Jugendamt und Mitarbeiter der Einrichtung).<br />

o F: Zu den Aufnahmevoraussetzungen: Jugendliche mit starken<br />

geistigen/ kognitiven Defiziten, bei denen die Therapiefähigkeit<br />

fraglich ist, sollten auch nicht aufgenommen werden. Dies sollte in<br />

den Kriterienkatalog der Aufnahmevoraussetzungen mit<br />

aufgenommen werden. Akut und intensiv konsumierende<br />

Jugendliche sollten ebenfalls nicht aufgenommen werden, da ihre<br />

Wahrnehmung zu stark eingetrübt ist und sie deshalb von<br />

Therapieangeboten nicht profitieren können, „am Alltag nicht<br />

ordentlich teilnehmen können“ und „am Gruppengeschehen nicht<br />

teilnehmen können“. Jugendliche die sich für eine Fortsetzung des<br />

Konsums entscheiden, kann man nicht weiter auf der Gruppe haben,<br />

um die anderen Jugendlichen zu schützen. Auch dies sollte<br />

deutlicher im Kriterienkatalog der Aufnahmevoraussetzungen<br />

benannt werden.<br />

o A: Zu den Abbruchkriterien: Ggf. Beschaffungskriminalität als<br />

Abbruchkriterium definieren.<br />

o C: Zu den Abbruchkriterien: Individueller Entscheidungsspielraum<br />

für die Entscheidungsbefugten (Team und Leitung) muss gewahrt<br />

bleiben.<br />

o E: Zu den Abbruchkriterien: Antisoziale Verhaltensweisen als<br />

Abbruchkriterium ist zu unpräzise und weit gefasst. Das muss<br />

genauer ausformuliert/ spezifischer gefasst werden.<br />

o F: Zu den Abbruchkriterien: Fortgesetztes kriminelles Verhalten<br />

sollte ebenfalls in den Kriterienkatalog für Maßnahmenabbrüche<br />

aufgenommen werden.<br />

o D: Angehörigenseminare: Statt Angehörigenseminare<br />

Elternnachmittage ohne Seminarcharakter anbieten.<br />

o E: Sportangebot: Die Möglichkeit, einem Sportverein beizutreten<br />

als optionale Regelung sollte verbindlicher formuliert werden; Beitritt<br />

in einen Sportverein sollte man entweder verbindlich festschreiben,<br />

oder es sein lassen.<br />

- 248 -


o A: Einzelgespräche: Einzelgespräche sollten nicht nur einmal pro<br />

Woche stattfinden, sondern täglich. In diesem Rahmen sollten<br />

Tagesreflexionen erfolgen bzw. Tagesprotokolle (war dein Tag gut?<br />

War er schlecht? Warum?) miteinander nachbesprochen werden.<br />

o A: Einzelgespräche: Eine Stunde pro Woche Einzelgespräche ist<br />

deutlich zu wenig.<br />

o D: Einzelgespräche sollten nicht nur problemorientiert ablaufen,<br />

sondern auch einfach nur der Beziehungspflege dienen (z.B. „mal<br />

gemeinsam einen Kaffee trinken gehen“). Auch im Rahmen ganz<br />

normaler Gespräche kann man gut Perspektiven und gemeinsame<br />

Zielvorstellungen entwickeln.<br />

o F: Einzelgespräche sollten nicht in einem so starren Rahmen<br />

stattfinden. Einzelgespräche könnten eher alltagsbezogen und<br />

beiläufig erfolgen, z.B. während des Einzelkochens mit einem<br />

Pädagogen. Dann gäbe es einen natürlicheren und lockereren<br />

Rahmen, als formal in einem Büro oder Therapieraum zu sitzen.<br />

o F: Einzelgespräche müssen nicht zwingend nur vom<br />

Bezugspädagogen gemacht werden; dies sollte auf das ganze Team<br />

verteilt werden können. Bei Nicht- Bezugsbetreuern sind Jugendliche<br />

gelegentlich freier, offener, lockerer, unbefangener.<br />

o A: Abendrunde: Statt Abendrunde Reflexionsgespräch ein mal in<br />

der Woche; „jeden Sonntag beim Frühstück“.<br />

o C: Abendrunde: Statt Abendrunden besser im Anschluss an das<br />

Abendessen eine kurze Befindlichkeitsrunde durchführen („Was war<br />

heute gut?“ „Was war heute nicht so gut?“); das ist besser in den<br />

Alltag zu integrieren.<br />

o D: Abendrunde in veränderter Form durchführen: Im<br />

Zusammenhang mit dem Abendessen eine „Positivrunde“<br />

durchführen: Was ist heute gut gelaufen? Womit bist du zufrieden?<br />

Worauf bist du stolz?<br />

o E: Abendrunde: Die Abendrunde sollte nur zwei- bis dreimal in der<br />

Woche durchgeführt werden.<br />

o F: Abendrunde im Kontext des gemeinsamen Abendessens<br />

durchführen in Form einer „Positiv- Runde“: Was ist heute gut<br />

gelaufen, womit bist du zufrieden? Tagesreflexion mit Fokus auf<br />

dem, was ermutigt und den Selbstwert stärkt. Zusätzlich dazu:<br />

Einmal in der Woche eine wechselseitige Feedback- Runde, in der<br />

die Pädagogen gegenüber den Jugendlichen gute und kritische<br />

Rückmeldungen geben können und die Jugendlichen gegenüber den<br />

Pädagogen ebenfalls Feedback geben können.<br />

- 249 -


· Streichungen:<br />

o C: Grenzen der Machbarkeit beachten; mehr Freizeit für die<br />

Jugendlichen: Nach Blick auf den Wochenplan: Wie sollen die<br />

Jugendlichen, wie sollen die Mitarbeiter das alles leisten?<br />

Überfrachtung besonders im Abendbereich. Selbsthilfegruppe,<br />

Abendrunde, Sportangebote, alles abends. Das ist zuviel („Grenzen<br />

der Machbarkeit“ beachten). Der Therapieplan muss den<br />

Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht werden. Wochenplan<br />

ausdünnen und damit praxistauglicher machen.<br />

o D: Grenzen der Machbarkeit beachten; mehr Freizeit für die<br />

Jugendlichen: Der Wochenplan ist zu eng gestrickt. Das<br />

Wochenprogramm ist zu dicht/ zu viel, die Jugendlichen müssen zu<br />

viel leisten. Die Jugendlichen brauchen mehr Freizeit.<br />

o E: Grenzen der Machbarkeit beachten; mehr Freizeit für die<br />

Jugendlichen: Sehr dichtes Angebotsprogramm im Alltag: Im<br />

Wochenplan und in Bezug auf die einzelnen Tage noch mal<br />

überlegen, ob das Programm insgesamt nicht zu dicht und „eng<br />

gestrickt“ ist. Kann der einzelne Jugendliche dieses ganze<br />

Programm wirklich leisten?<br />

o E: Grenzen der Machbarkeit beachten; mehr Freizeit für die<br />

Jugendlichen: Sehr dichtes Angebotsprogramm im Alltag: Bereiche<br />

wie Freizeit, Pausen, Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten für den<br />

Einzelnen müssen mehr Raum, mehr Platz finden. Weniger ist mehr.<br />

o D: Angehörigenseminare streichen.<br />

o A: Abendrunde streichen, da „zu spät“, „zu viel Überwachung“. Der<br />

Therapietag wird damit unnötig in die Länge gezogen.<br />

o B und F: Keine Vorschläge bezüglich Streichungen.<br />

Weitere Anmerkungen/ weitere Ideen:<br />

· B: Krisenmanagement und Arbeitsverträge: Bedeutung der<br />

Arbeitsvertragsgestaltung im Hinblick auf das Krisenmanagement: Sinnvoll<br />

sind Arbeitsverträge, die in Krisenzeiten bedarfsorientiert aufgestockt werden<br />

können. Solche Verträge müssen aber auch arbeitsrechtlich zulässig sein.<br />

· C: Konzeptgestaltung und Adressatenfreundlichkeit: Kurzfassung des<br />

Konzeptes erstellen als Tischvorlage für die Jugendämter; im derzeit<br />

gegebenen Umfang ist das Konzept in der Praxis der Sozialarbeiter auf<br />

Jugendämtern nur schwer zu lesen. Maximal drei Seiten Umfang werden<br />

empfohlen.<br />

· D: Einzelgespräche: In Bezug auf die Einzelgespräche gleich zu Beginn der<br />

Beziehung eine Absprache treffen, dass Einzelgespräche regelmäßig erfolgen<br />

sollen in Verbindung mit einer –ggf. flexibel handhabbaren- Absprache, was<br />

passieren soll/ kann, wenn der Jugendliche mal nicht in der Verfassung ist,<br />

sich auf ein Einzelgespräch einlassen zu können.<br />

- 250 -


· A: Finanzierbarkeit des Konzeptes: Kosten- und Belegungsprobleme.<br />

Vergleichsweise hoher Personalschlüssel. Die Hilfemaßnahme wird für<br />

Jugendämter teuer. Dies kann zu Belegungsengpässen führen.<br />

· A: Finanzierbarkeit des Konzeptes: Entgeltverhandlungen: Ist das Konzept<br />

mit dem vorgesehenen Personalschlüssel finanzierbar?<br />

· A: Regelmäßige Überprüfungen und Neuanpassungen des Konzeptes an<br />

die Realität: Konzepte sind nicht „eins zu eins umzusetzen in der reellen<br />

Welt“. Daher: Regelmäßige Konzeptevaluation (z.B. halbjährig oder einmal im<br />

Jahr); ggf. Konzeptnachbesserung/ Anpassung an die Praxis.<br />

· A: Regeln aufstellen für den Umgang miteinander in<br />

gemischtgeschlechtlichen Gruppen: Regeln für den Umgang miteinander in<br />

gemischtgeschlechtlichen Gruppen müssen aufgestellt werden.<br />

· A: Qualifikation der Mitarbeiter: Wie müssen die Mitarbeiter der WG<br />

qualifiziert sein?<br />

· B: Markttauglichkeit des Konzeptes: Die WG dürfte gut nachgefragt werden<br />

wegen des guten Therapiekonzeptes. Der Bedarf für ein solches<br />

Therapieangebot ist vorhanden und kann mit dem Konzept gut bedient<br />

werden.<br />

· E: Individualisierung von Therapieplänen: Es sollte die Möglichkeit<br />

bestehen, Therapiepläne unter Berücksichtigung dessen, was der einzelne<br />

Jugendliche überhaupt leisten kann, zu individualisieren.<br />

· F: Keine weiteren Anmerkungen oder Ideen.<br />

- 251 -


Anhang 6<br />

Musterexemplar Wochenplan<br />

Uhrzeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag<br />

6:00 Uhr Aufstehen Aufstehen Aufstehen Aufstehen Aufstehen<br />

7:00 Uhr Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück<br />

8:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

9:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

10:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

11:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

12:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

13:00 Uhr Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT Schule oder AT<br />

13:30 Uhr Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen<br />

15:00 Uhr Hausaufgaben Hausaufgaben Hausaufgaben Hausaufgaben Hausaufgaben<br />

16:00 Uhr Hausdienste Hausdienste Hausdienste Hausdienste Hausdienste<br />

17:00 Uhr Einzelgespräche Einzelgespräche Einzelgespräche Einzelgespräche Einzelgespräche<br />

18:00 Uhr Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen<br />

19:00 Uhr Selbsthilfegruppe Sport (indikative) GT Sport (indikative) GT<br />

20:00 Uhr Selbsthilfegruppe Sport (indikative) GT Sport (indikative) GT<br />

20:30 Uhr Abendrunde Abendrunde Abendrunde Abendrunde Abendrunde<br />

22:00 Uhr Nachtruhe Nachtruhe Nachtruhe Nachtruhe<br />

23:00 Uhr Nachtruhe<br />

- 252 -


Musterexemplar Wochenplan<br />

Uhrzeit Samstag Sonntag<br />

6:00 Uhr<br />

7:00 Uhr<br />

8:00 Uhr<br />

9:00 Uhr<br />

10:00 Uhr<br />

WE-<br />

Nachhausefahrten<br />

Frühstück bis 10:00<br />

Uhr<br />

11:00 Uhr Hausdienste bzw.<br />

WE-<br />

12:00 Uhr Nachhausefahrten<br />

Frühstück bis 10:00<br />

Uhr<br />

Einzel-<br />

/Elterngespräche<br />

Einzel-<br />

/Elterngespräche<br />

13:00 Uhr Mittagessen Mittagessen<br />

13:30 Uhr<br />

15:00 Uhr Einzelgespräche<br />

16:00 Uhr WE- Aktivität Gruppe<br />

17:00 Uhr WE- Aktivität Gruppe<br />

Einzel-<br />

/Elterngespräche<br />

Einzel-<br />

/Elterngespräche<br />

Einzel-<br />

/Elterngespräche<br />

18:00 Uhr WE- Aktivität Gruppe Abendessen<br />

19:00 Uhr WE- Aktivität Gruppe optional: Sport<br />

20:00 Uhr Abendessen optional: Sport<br />

20:30 Uhr Abendrunde Abendrunde<br />

22:00 Uhr Nachtruhe<br />

23:00 Uhr Nachtruhe<br />

- 253 -


12 Erklärung des Autors<br />

Erklärung<br />

Hiermit versichere ich, dass ich die Masterthesis mit dem Thema „Entwicklung eines<br />

integrativen Therapiekonzeptes für junge Menschen mit seelischen Behinderungen<br />

und komorbiden Suchtstörungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der<br />

Eingliederungshilfe; Evaluation des Konzeptes durch Experten“ eigenständig verfasst<br />

und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle zitierten oder<br />

sinngemäß übernommenen Textstellen sind entsprechend gekennzeichnet und die<br />

Originalquellen vollständig angegeben. Die Arbeit wurde bisher bei keiner anderen<br />

Prüfungsbehörde vorgelegt oder veröffentlicht.<br />

Weiterhin erkläre ich mich damit einverstanden, dass die vorgelegte Masterthesis in<br />

die Bibliothek der KatHO NRW eingestellt werden darf, falls sie mindestens mit der<br />

Note „gut“ bewertet wird.<br />

Gifhorn, im Dezember 2012<br />

______________________<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Schweigler</strong><br />

- 254 -

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