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Resümee herunterladen - Klassik Stiftung Weimar

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Lovis Corinth: Gertrud Eysoldt als Salome<br />

1903, Öl auf Leinwand, 108 x 84,5 cm, <strong>Klassik</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Weimar</strong>, Inv. G 2414<br />

Fotograf: Fotoatelier Louis Held, Renno<br />

Gebt mir das Haupt des Jochanaan<br />

Kunsthistorische Betrachtung von Gerda Wendermann<br />

Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht ein Bild, das von einem der bedeutendsten deutschen<br />

Maler am Anfang des 20. Jahrhunderts gemalt wurde, nämlich von Lovis Corinth, der<br />

zusammen mit Max Liebermann und Max Slevogt zu den großen drei deutschen<br />

Impressionisten gehört.<br />

<strong>Klassik</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Weimar</strong> | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013


Wir sehen eine Frauenfigur, als Dreiviertelporträt sitzend nach links gewendet. Sie trägt ein<br />

langes ärmelloses Kleid aus fließendem Organzastoff, das reich bestickt ist. Über ihrem roten,<br />

wallenden Haar liegt ein transparenter Tüllschleier. Die Frauenfigur ist reich geschmückt. Mit<br />

der linken Hand hält sie in ihrem Schoß eine große Metallschale, in der ein abgeschlagenes<br />

männliches Haupt liegt. Mit ihrer rechten Hand greift sie in seine langen schwarzen Haare,<br />

während der noch blutige Halsstumpf nach links gewendet ist. In der linken oberen Bildecke<br />

findet sich eine Beschriftung des Künstlers, die uns näheren Aufschluss über das Bild gibt:<br />

»Gertrud Eysoldt in Oscar Wildes 'Salome‘, Lovis Corinth pinxit Januar 1903«.<br />

Das Motiv der Salome als bildliche Darstellung ist nicht erst eine Erfindung des<br />

geschichtsversessenen 19. Jahrhunderts, sondern reicht weit ins Mittelalter zurück. Während<br />

die ältere ikonografische Entwicklungslinie die biblische Erzählung mit Bankettszene, Tanz<br />

der Salome und Enthauptung erzählerisch ausschmückte, konzentrierte sich eine andere seit<br />

der Malerei der Renaissance und im Barock auf den Moment der Übergabe des Kopfes auf<br />

einer Schüssel an Salome.<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte das Salome-Motiv eine Renaissance und<br />

wandelte sich von der biblischen Figur zum Archetypus der Femme fatale. Insbesondere das<br />

Bühnenstück des irischen Skandalautors Oscar Wilde, 1893 geschrieben und drei Jahre später<br />

uraufgeführt in Paris mit der legendären Schauspielerin Sarah Bernhard als Salome, zog mit<br />

seinen Gegensätzen von asketischer Vergeistigung und schwüler Begierde viele Maler des Fin<br />

de Siècle in seinen Bann, darunter in Deutschland Franz von Lenbach, Max Klinger, Max<br />

Slevogt und Franz von Stuck. Auch Lovis Corinth wandte sich um 1900 zum ersten Mal<br />

diesem populären Thema zu. Seine bekannte erste Version der Salome hängt heute im<br />

Museum für bildende Künste in Leipzig. Das Salome-Motiv ist hier auffällig anders dargestellt<br />

als in unserem Bild, das nur drei Jahre später entstanden ist. Salome erscheint hier inmitten<br />

einer prachtvollen orientalischen Kulisse, umgeben von zahlreichen Figuren des Hofstaates<br />

von König Herodes. Sie selbst ist als junge, sinnliche Schönheit dargestellt, mit Blumen im<br />

Haar und einem freizügigen Tanzkostüm. Mit aufreizender entblößter Brust beugt sie sich<br />

über das abgeschlagene Haupt des Täufers, der sich ihren Verführungskünsten verweigert<br />

hatte, und öffnet ihm mit gespreizten, ringgeschmückten Fingern ein Auge.<br />

<strong>Klassik</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Weimar</strong> | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –2–


Dieses skandalöse Bild machte Corinth auf einen Schlag bekannt und es erleichterte ihm bei<br />

seinem kurz darauf erfolgten Umzug von München nach Berlin den erfolgreichen Einstieg in<br />

die dortige Kunstszene. In diese Zeit fiel auch seine erste Begegnung mit dem gebürtigen<br />

österreichischen Regisseur Max Reinhardt, der das Deutsche Theater in Berlin leitete und für<br />

seine Theaterreform zeitgenössische Schriftsteller, Komponisten und bildende Künstler ans<br />

Theater holte.<br />

Im Februar 1903 hatte Reinhardts Inszenierung von Wildes Salome-Tragödie ihre Premiere im<br />

Neuen Theater in Berlin. Die Hauptrolle spielte Gertrud Eysoldt, seinerzeit eine der gefeierten<br />

Schauspielerinnen des deutschen Kaiserreiches. Ihre Interpretationen von Wedekinds Lulu,<br />

Kleists Penthesilea und Wildes Salome galten als unverwechselbar, weil sie durch ihre Stimme<br />

und ihren Ausdruck faszinierte.<br />

Auf diese Berliner Salome-Premiere bezieht sich unser Bild, wie Corinths Beschriftung<br />

eindeutig belegt. Im Gegensatz zu der ersten Version verzichtet Corinth in seinem<br />

Rollenporträt der Gertrud Eysoldt als Salome auf jedes ausschmückende Detail, auf jedes<br />

Requisit und konzentriert sich vollständig auf die bedrohliche Ausstrahlung und innere<br />

Bewegung der Schauspielerin. Das Drama spielt sich im Gesicht, in den Augen und um den<br />

leicht geöffneten Mund ab, den ein maliziöses Lächeln umspielt. Auch die klauenartige rechte<br />

Hand, die in die Haare des abgeschlagenen Hauptes von Johannes greift, ist Ausdruck der<br />

inneren Tragödie. Hier geht es ausschließlich um das einseitige Begehren des Johannes durch<br />

Salome, die tiefe Kränkung durch dessen Abweisung und die darauffolgende Rache, die jedoch<br />

keine Erlösung bringt. Im Gegenteil, in den starren Augen Salomes ist nicht nur beginnender<br />

Wahnsinn zu erkennen, sondern auch die schreckliche Erkenntnis von Schuld und<br />

Einsamkeit. Während die ältere Salome-Fassung in ihrer kuriosen Mischung aus Historismus,<br />

Trivialisierung und Voyeurismus für uns heute eher befremdlich wirkt, ist Corinth mit der<br />

Interpretation von Gertrud Eysoldts Salome eine überzeitliche Figur gelungen, die uns noch<br />

immer berührt, in ihrer Verblendung und Verlorenheit.<br />

Literatur<br />

Daffner, Hugo: Salome. Ihre Gestalt in Geschichte und Kunst. Dichtung – Bildende Kunst –<br />

Musik, München 1912.<br />

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Lovis Corinth und die Moderne. Hrsg. v. Ulrike Lorenz, Marie-Amélie zu Salm und Hans-<br />

Werner Schmidt. Ausst. Kat. Museum der bildenden Künste, Leipzig 2007 / Kunstforum<br />

Ostdeutsche Galerie, Regensburg 2008-9, Bielefeld 2008.<br />

Theologische Bemerkungen von Bertram Pittner<br />

Die Tötung Johannes des Täufers wird in der Bibel in Markus 6,17−29 berichtet. Herodes<br />

Antipas, Landesherr über Galiläa und Peräa, war in zweiter Ehe mit Herodias verheiratet, die<br />

eine Tochter namens Salome in die Ehe brachte.<br />

Herodes hatte den Bußprediger Johannes der Täufer festnehmen lassen und hielt ihn in der<br />

Festung Machärus gefangen. Als Grund für die Verhaftung gibt das Markusevangelium die<br />

Kritik des Johannes an der Ehe des Herodes mit Herodias an. Der eigentliche Grund ist aber<br />

wohl das öffentliche Aufsehen gewesen, das Johannes mit seiner Predigt im jüdischen Volk<br />

erregt hatte. Eine öffentliche Hinrichtung des Johannes wagte Herodes nicht, weil viele<br />

Menschen den Täufer für einen Propheten oder sogar für den Messias selbst hielten.<br />

Bei einer Geburtstagsfeier des Herodes begeisterte Salome ihren Stiefvater Herodes und seine<br />

Gäste durch einen Tanz so sehr, dass Herodes ihr ein Geschenk versprach. Auf Anraten ihrer<br />

Mutter Herodias erbat sich Salome den Kopf des Täufers Johannes. Widerstrebend, aber durch<br />

sein Versprechen gebunden, befahl Herodes die Enthauptung des Johannes. Der Henker<br />

übergab den Kopf des Johannes der Salome auf einer Schale.<br />

1891 schrieb Oscar Wilde in Paris in französischer Sprache die lyrische Tragödie Salome. Die<br />

Uraufführung fand 1894 in Paris statt; im selben Jahr wurde die englische Übersetzung<br />

veröffentlicht. Die deutsche Erstaufführung lief unter Max Reinhardt 1903 in Berlin.<br />

Schließlich entstand im Jahr 1905 die Oper Salome von Richard Strauss.<br />

In dem Einakter von Oscar Wilde steht Salome, die Tochter der Herodias, im Mittelpunkt.<br />

Salome interessiert sich für den geheimnisvollen Gefangenen, den Propheten Jochanaan, den<br />

Herodes in einem unterirdischen Verlies gefangen hält. Auf ihr Drängen hin wird der Prophet<br />

aus der Grube geholt. Während Salome für ihn und seine Gestalt schwärmt und ihn zu küssen<br />

<strong>Klassik</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Weimar</strong> | Sichtbarer Glaube 2011/2012 | 09.2013 –4–


egehrt, stößt Jochanaan nur wilde Verwünschungen und Drohungen gegen sie und ihre<br />

Mutter aus und verschwindet wieder im unterirdischen Gefängnis.<br />

Herodes fordert auf einem von ihm veranstalteten Fest Salome auf, für ihn und die Gäste zu<br />

tanzen. Als Belohnung hat sie einen Wunsch frei, sie begehrt das Haupt des Jochanaan auf<br />

einer Silberschüssel. Herodes weicht zunächst aus und verspricht ihr alle möglichen kostbaren<br />

Geschenke. Sie aber beharrt auf ihrer Forderung: »Gebt mir das Haupt des Jochanaan!«. Darin<br />

wird sie unterstützt von ihrer Mutter Herodias. Schließlich gibt Herodes nach und befiehlt<br />

dem Henker, das Haupt des Johannes zu bringen. Salome ergreift das Haupt und spricht mit<br />

ihm wie mit einem lebenden Menschen, anklagend, triumphierend und trauernd zugleich.<br />

Schließlich küsst sie den Kopf des Johannes. Herodes ist entsetzt, während Herodias frohlockt.<br />

Im Weggehen befiehlt Herodes Salome zu töten.<br />

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