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Leserbrief zum Artikel "Die Verleihung des Dr.art. und Dr.mus." Als ...

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<strong>Leserbrief</strong> <strong>zum</strong> <strong>Artikel</strong> "<strong>Die</strong> <strong>Verleihung</strong> <strong>des</strong> <strong>Dr</strong>.<strong>art</strong>. <strong>und</strong> <strong>Dr</strong>.<strong>mus</strong>."<br />

<strong>Als</strong> Entwickler <strong>des</strong> <strong>Dr</strong>.<strong>art</strong>.-Studiums an der Kunstuniversität Graz möchten wir die im<br />

<strong>Artikel</strong> aufgestellten Behauptungen, Annahmen <strong>und</strong> Prophezeiungen nicht<br />

unwidersprochen lassen. Wir argumentieren vor dem Hintergr<strong>und</strong> mehrjähriger<br />

internationaler Recherche <strong>zum</strong> Thema, der curricularen Installierung 2009 <strong>und</strong> den<br />

bisherigen Erfahrungen mit dem Studium <strong>und</strong> seinen Studierenden.<br />

<strong>Die</strong> Argumentation <strong>des</strong> Autors basiert im Wesentlichen auf zwei Säulen:<br />

1. einer begrifflich-formalen <strong>und</strong> 2. einer rechtlichen.<br />

Zur ersten: Eine wissenschaftstheoretisch fragwürdige Begriffsklärung führt den<br />

Autor zu der Erkenntnis, dass künstlerische Forschung sinnlos sei, sie de facto gar<br />

nicht existiere, da Forschung ausschließlich auf die Wissenschaften <strong>und</strong> somit nicht<br />

aufs Künstlerische bezogen sein könne. Dem ist mehrfach zu widersprechen. Der<br />

Forschungsbegriff ist mitnichten inhaltlich mit Ausschließlichkeitscharakter den<br />

Wissenschaften zugehörig. Geforscht werden kann (<strong>und</strong> wurde auch schon immer!)<br />

auf sehr unterschiedliche Arten, wie z.B. die Philosophie (die sich – je nach<br />

Denkansatz – selbst gar nicht als Wissenschaft versteht, sondern die Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

Wissenschaften reflektieren will), die Theologie <strong>und</strong> letztlich wohl ebenfalls viele<br />

Geisteswissenschaften mit ihren unterschiedlichen Methoden zeigen. Auch die<br />

Psychoanalyse ("Introspektion"!), die Waldorfpädagogik (Wissenschaft?), die<br />

Homöopathie (Medizin?), die Grenz- <strong>und</strong> Parawissenschaften wären Beispiele für<br />

Forschungszweige, denen der Wissenschaftsbegriff <strong>des</strong> Autors nicht gerecht werden<br />

kann. Und selbst die "Angewandte Forschung" der Industrie kümmert sich gerade so<br />

lange um ihre wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen, wie sich daraus eine praktische<br />

Verwertbarkeit ("Zweckforschung") ableiten lässt. Nützen die wissenschaftlichen<br />

Annahmen nicht, begnügt man sich mit der Erforschung der Zweckmäßigkeit eines<br />

Vorgangs oder einer Sache. <strong>Die</strong>s kann wissenschaftlich begründet sein, <strong>mus</strong>s es<br />

aber nicht. <strong>Die</strong> Erforschung der Glühlampe verdankt sich keiner wissenschaftlichen<br />

Methodik, sondern dem trial-error-Prinzip im Umgang mit verschiedenen Materialien;<br />

die Erforschung künstlicher Aromen in der Nahrungsmittelindustrie verschlingt zwar<br />

Unsummen an Geld, wissenschaftlich dargestellt ist sie nicht; manche Pop-Bands


forschen <strong>und</strong> tüfteln jahrelang an ihrem So<strong>und</strong><strong>des</strong>ign – methodisch begründet <strong>und</strong><br />

beschrieben ist es nicht; etc.. Der Autor <strong>des</strong> <strong>Artikel</strong>s ignoriert schlicht die Tatsache,<br />

dass der Wissenschaftsbegriff im traditionellen Sinne schon lange selbst Objekt<br />

kritischer Analysen geworden ist. Immer häufiger diskutieren <strong>und</strong> thematisieren ja<br />

moderne Wissenschaftstheorien die Grenzen überkommener Forschungsmethoden<br />

<strong>und</strong> postulieren die Notwendigkeit der Entwicklung bzw. der Anerkennung <strong>und</strong><br />

Nutzung anderer Erkenntnisformen.<br />

Selbstverständlich kann also auch künstlerisch (nicht nur künstlerische Themen!)<br />

geforscht werden. Künstler tun das unentwegt <strong>und</strong> haben es immer schon getan (ein<br />

Paradebeispiel der Gegenw<strong>art</strong> stellt Nikolaus Harnoncourt dar), da man ohne<br />

Selbsterforschung gar nicht kunstschaffend sein kann. <strong>Die</strong>se Art der Forschung<br />

generiert unentwegt Wissen, das sich freilich vorerst nicht ausschließlich schriftlich<br />

manifestieren <strong>mus</strong>s. Das weiss der Autor auch. Aber um das Kind nicht beim Namen<br />

nennen zu müssen (Achtung: Folge-Ansprüche!), umgeht er den Begriff, anerkennt<br />

aber immerhin eine Entwicklung der Künste. Da aber bei<strong>des</strong>, Forschung <strong>und</strong><br />

Entwicklung, untrennbar zusammenhängt – ohne Forschung keine Entwicklung der<br />

Künste – lautet denn auch die Bezeichnung für nämliches Vorhaben in Österreich<br />

"Forschung <strong>und</strong> Entwicklung der Künste" (siehe Österreichische<br />

Universitätskonferenz). Im <strong>Artikel</strong> wird die "Forschung" im negierenden<br />

Überschwang, aber strategisch nachvollziehbar, glatt verschwiegen.<br />

<strong>Die</strong> Streit-Frage kann also höchstens darin bestehen, ob es sich angesichts ihres<br />

dezidiert subjektiven Zugangs bei künstlerischer Forschung um eine<br />

wissenschaftliche im traditionellen Sinne handelt. Darauf kann man tatsächlich nicht<br />

pauschal mit einem Ja antworten, denn – wie bei jedem wissenschaftlichen<br />

Forschungsvorhaben – hängt das Ergebnis von Fragestellung, Methodik <strong>und</strong><br />

Darstellung ab. Doch da diese Fragestellung nicht Thema <strong>des</strong> <strong>Artikel</strong>s ist, verweisen<br />

wir bei Interesse auf die Diskussion in der einschlägigen Literatur. An der<br />

Kunstuniversität Graz stellen wir bezüglich Wissenschaftlichkeit (klare<br />

Forschungsfrage; Kontextualisierung; Begründung der Forschungsmethoden;<br />

Dokumentation) sehr hohe Ansprüche. Außerdem werden nur Forschungvorhaben<br />

akzeptiert, die von Bewerbenden mit einem nachweislich substanziellen<br />

künstlerischen Hintergr<strong>und</strong> stammen. Denn nur ein Künstler selbst kann die eigene


künstlerische Erfahrung thematisieren <strong>und</strong> reflektieren. Eben das ist der Erkenntnis-<br />

Mehrwert <strong>des</strong> Projekts: auf kritische Fragen abzuzielen, wie sie nur "Betroffene"<br />

stellen <strong>und</strong> beantworten können, <strong>und</strong> nicht auf etwaige vermutete oder versprochene<br />

Karrierechancen, auf die der Autor anspielt. So erklärt sich, weshalb wir prozentuell<br />

deutlich weniger Doktorierende ins <strong>Dr</strong>.-<strong>art</strong>.-Programm aufnehmen als dies beim <strong>Dr</strong>.-<br />

phil.-Studium an unserer Universität der Fall ist.<br />

Zur zweiten: In demokratischen Rechtsstaaten ist gelten<strong>des</strong> Hochschulrecht <strong>und</strong> sind<br />

Gesetze mitsamt ihren verfassungsrechtlichen Bedenken veränderbar –<br />

vorausgesetzt, man möchte es.<br />

Allerdings stellt sich für uns die Frage, ob es dem Autor überhaupt um Inhaltliches<br />

dieser Art geht. Tatsächlich steht wohl eher die Sorge um die akademischen<br />

Konsequenzen Pate bei seiner Argumentation. Deshalb der Subtext: wenn etwas<br />

nicht Forschung heißt – obwohl als Pendant zur Forschung entwickelnd dasselbe<br />

gemacht wird –, können daraus auch keine Anerkennungs-Begehrlichkeiten in Form<br />

von Titeln oder sonstigen akademischen Ansprüchen formuliert werden. Daher rührt<br />

wohl auch der unsachliche Hinweis auf den Etikettenschwindel künstlerischer<br />

Forschung. <strong>Die</strong> Entscheidung darüber, ob man eine künstlerische Promotion will, ist<br />

eben nur teilweise eine wissenschaftliche, aber in jedem Falle eine politische. In<br />

Österreich haben wir nach ausgiebiger Diskussion im Einklang mit dem Gesetzgeber<br />

eine Antwort darauf gegeben.<br />

Dass wir damit unser Hochschulprofil in einem weiteren Schritt nivelliert hätten, lässt<br />

sich angesichts der vielen internationalen Einreichungen (die ob ihrer hochkarätigen<br />

disziplinübergreifenden Fragestellungen kein Künstler <strong>und</strong> kein Wissenschaftler<br />

alleine betreuen könnte) nur dann behaupten, wenn man es gerne so hätte. Ganz im<br />

Gegensatz zur Zweck-Prophetie <strong>des</strong> Autors (keine gesteigerte Anerkennung,<br />

Verwässerung) lässt sich wegen der bisherigen Erfahrungen mit gutem Gr<strong>und</strong><br />

erw<strong>art</strong>en, dass sich das internationale Bewerbungs-Aufkommen noch erhöhen wird.<br />

Somit halten wir zwar die Argumentation in ihren Gr<strong>und</strong>annahmen für falsch, freuen<br />

uns aber angesichts unserer Sonderstellung im deutschsprachigen Raum, was den<br />

<strong>Dr</strong>.<strong>art</strong>. an einer Musikuniversität angeht, auf eine noch lang andauernde<br />

unentschiedene Diskussion in Deutschland.


Ao.Univ.Prof. Mag. <strong>art</strong>. Mag.<strong>art</strong>. Wolfgang Hattinger<br />

(Stellvertretender Leiter der Doktoratsschule für das künstlerische Doktorat an der<br />

Kunstuniversität Graz)<br />

O.Univ.Prof. Mag.<strong>art</strong>. <strong>Dr</strong>.theol. Franz Karl Prassl<br />

(Vorsitzender der Curriculakommission Künstlerisches Doktoratsstudium an der<br />

Kunstuniversität Graz)<br />

Univ.Prof. Mag.<strong>art</strong>. <strong>Dr</strong>.phil. Ulf Bästlein<br />

(Leiter der Doktoratsschule für das künstlerische Doktorat an der Kunstuniversität<br />

Graz)

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