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Integrationsförderung durch Migrantenorganisationen

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Dokumentation<br />

Integrationsförderung <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

Zur Vernetzung von Kompetenzen, Ressourcen und Potenzialen<br />

Eine gemeinsame Fachtagung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches<br />

Engagement (BBE) und der „Leitstelle Bürgergesellschaft und Ehrenamt“<br />

in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz , 28. und 29. November 2009, Mainz


Förderer


Inhalt<br />

3<br />

5<br />

8<br />

10<br />

14<br />

17<br />

22<br />

36<br />

58<br />

64<br />

Vorwort<br />

Grußwort,<br />

Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Ziele der Tagung – eine Einführung<br />

Siglinde Naumann<br />

Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

Hans H. Reich<br />

Zum Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />

für <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Rahmen des<br />

bundesweiten Integrationsprogramms<br />

Romy Bartels<br />

Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien<br />

für die Praxis<br />

Thomas Röbke<br />

World Café<br />

Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Talkrunde: Netzwerke in der Integrationsförderung<br />

als Zukunftsaufgabe?<br />

Arbeitsgruppe Migration/Integration des BBE


Impressum<br />

Herausgeber::<br />

V.i.S.d.P:<br />

Redaktion:<br />

Bundesnetzwerk Bürgeschaftliches Engagement (BBE), Geschäftstelle in Trägerschaft des<br />

Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge<br />

Michaelkirchstr. 17/18<br />

10179 Berlin<br />

Internet: www.b-b-e.de<br />

PD Dr. Ansgar Klein (BBE)<br />

Prof. Dr. Siglinde Naumann<br />

Layout & Satz: Regina Vierkant<br />

Fotos: Denise Hülpüsch<br />

Druck: Druckerei Greschow, Welzow<br />

Arbeitsgruppe Migration/Integration des BBE<br />

Sprecherin: Susanne Huth: susanne.huth@inbas-sozialforschung.de<br />

Stv. Sprecherin: Prof. Dr. Siglinde Naumann: naumann@fh-nordhausen.de<br />

Stv. Sprecher: Sebastian Beck: sbeck@vhw.de<br />

ISBN 978-3-00-030964-9<br />

2 BBE - Dokumentation


Vorwort<br />

Der nationale Integrationsplan und das bundesweite<br />

Integrationsprogramm haben die Bedeutung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

für die Integrationsförderung<br />

hervorgehoben. Ihr bürgerschaftliches Engagement<br />

und ihre integrations- und partizipationsfördernden<br />

Potenziale lassen sich jedoch nicht voraussetzungslos<br />

erschließen; hier bedarf es gezielter Unterstützungsleistung.<br />

Erfahrungsberichte verdeutlichen<br />

auch vielfältige Schwierigkeiten für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in der Praxis. So ist eine gleichberechtigte<br />

Teilhabe von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an den Ressourcen<br />

der Projektförderung und Projektarbeit nach<br />

wie vor nicht selbstverständlich.<br />

Seit 2006 veranstaltet das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />

Engagement jährlich bundesweite<br />

Fachtagungen für <strong>Migrantenorganisationen</strong>, die als<br />

Plattform für den Austausch von Erfahrungen und<br />

die Weiterentwicklung von Handlungskonzepten genutzt<br />

werden. Nachdem in den vergangenen Jahren<br />

Qualifizierungsbedarfe von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

ihr Zugang zu öffentlichen Ressourcen und Förderungen<br />

sowie die Besonderheiten von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in den neuen Ländern im Mittelpunkt<br />

standen, widmete sich die Veranstaltung am 28. und<br />

29. November 2009 in Mainz dem Thema „Netzwerkbildung“.<br />

Wie auch in anderen Bereichen der Engagementförderung<br />

kommt auch für die gesellschaftliche Integration<br />

von Migrantinnen und Migranten der Netzwerkbildung<br />

zentrale Bedeutung zu. Vernetzung ist jedoch<br />

ein schillernder Begriff. Sie ist weder ein Zauberwort<br />

noch ein Allheilmittel. Und: Vernetzung ist nicht voraussetzungslos<br />

zu realisieren. Mit Vernetzung verbinden<br />

sich ganz unterschiedliche Perspektiven, Anforderungen<br />

und Herausforderungen. Es geht um die<br />

interkulturelle Öffnung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

die Stärkung ihrer öffentlichen Präsenz und Wahrnehmung<br />

sowie ihre politischen Mitwirkungs- und<br />

Beteiligungsmöglichkeiten. Hiermit verbinden sich<br />

Entwicklungsanforderungen sowohl an die deutsche<br />

Mehrheitsgesellschaft als auch an die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

selbst.<br />

Bei der Gestaltung unseres Zusammenlebens in der<br />

pluralen Gesellschaft gibt es eine zunehmende gegenseitige<br />

Angewiesenheit von deutschen Einrichtungen<br />

und <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Exemplarisch<br />

lässt sich dies im Bereich des Bildungssystems, insbesondere<br />

der Schulen, nachvollziehen. Die Schule<br />

braucht, um ihrer Aufgabe der interkulturellen Bildung<br />

gerecht zu werden, die intensive Mitwirkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

die bislang jedoch noch viel<br />

zu selten Realität im deutschen Schulalltag ist. <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ihrerseits sind auf Zugänge<br />

und Gestaltungsmöglichkeiten in Schulen angewiesen.<br />

Es braucht ein Aufeinanderzugehen und eine<br />

Öffnung auf beiden Seiten, um eine lebendige interkulturelle<br />

Bildung zu gewährleisten und Kooperation<br />

„auf Augenhöhe“ zu praktizieren. Hier gibt es noch<br />

viel zu tun.<br />

Die Tagung verfolgte daher das Ziel, zur Entwicklung<br />

und Bereitstellung von bedarfsgerechten Vernetzungsmodellen<br />

und Strategien beizutragen, damit<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> ihre Kompetenzen, Ressourcen<br />

und Gestaltungspotenziale verstärkt in die<br />

Zivilgesellschaft einbringen können. Dabei ging es<br />

nicht nur um eine differenzierte Analyse von Handlungsbedarfen,<br />

sondern auch um die gemeinsame<br />

Erarbeitung von konkreten Handlungsansätzen für<br />

produktive Netzwerkbildungen. Grundlage hierfür<br />

war die Vorstellung gelungener Netzwerkkonzepte,<br />

die Diskussion von Netzwerkerfahrungen und die<br />

Analyse von Netzwerkstrategien aus unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln. Im Mittelpunkt der Tagung standen<br />

Fragen danach, wie Vernetzung und Kooperation<br />

wirkungsvoll vorangebracht werden können,<br />

welcher Unterstützung, welcher Infrastrukturen und<br />

BBE - Dokumentation 3


Hartnuß/Klein - Vorwort<br />

Ressourcen und welcher Instrumente es bedarf, um<br />

gleichberechtigte Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

dauerhaft sicherzustellen.<br />

Die Fachtagung richtete sich an <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

aus Rheinland-Pfalz und dem gesamten Bundesgebiet,<br />

an Bildungsträger, Förderer sowie an Politik<br />

und Verwaltung. Über 150 Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer aus diesen Gebieten stellten sich zwei<br />

Tage lang diesen komplexen Fragen und berieten<br />

gemeinsam über neue und innovative Entwicklungsperspektiven.<br />

Veranstalter der Fachtagung waren<br />

das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />

(BBE) und die „Leitstelle Bürgergesellschaft<br />

und Ehrenamt“ in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.<br />

Die Tagung wurde gefördert vom Bundesministerium<br />

des Innern und der Beauftragten der Landesregierung<br />

Rheinland-Pfalz für Migration und Integration.<br />

Besonderer Dank gilt der Arbeitsgruppe „Migration/<br />

Integration“ des BBE, die die Fachtagung konzeptionell<br />

vorbereitet hat , sowie Herrn Mehdi Jafari-Gorzini<br />

für seine engagierte Unterstützung bei der Durchführung<br />

und Moderation der Veranstaltung, Frau Lea<br />

Fenner für die umsichtige Tagungsorganisation und<br />

Frau Nuran Yiğit für die engagierte Moderation des<br />

World Cafés.<br />

PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement (BBE)<br />

Birger Hartnuß, Leitstelle „Bürgergesellschaft und<br />

Ehrenamt“ in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz<br />

4 BBE - Dokumentation


Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz<br />

Grußwort<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich begrüße Sie ganz herzlich zur Fachtagung „Integrationsförderung<br />

<strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>“ hier<br />

in Mainz. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass<br />

diese Veranstaltung auf ein so großes Interesse gestoßen<br />

ist. Die Tatsache, dass so viele Vertreterinnen und<br />

Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong> aus Rheinland-<br />

Pfalz und dem gesamten Bundesgebiet heute zu uns<br />

gekommen sind, zeigt uns, dass wir mit unserem Anliegen,<br />

den Dialog mit und die politische Partizipation von<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu stärken, auf dem richtigen<br />

Weg sind.<br />

Ich freue mich ebenso darüber, dass wir diese wichtige<br />

Veranstaltung gemeinsam mit dem Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement <strong>durch</strong>führen. Nicht<br />

nur in diesem Bereich können wir auf eine inzwischen<br />

langjährige und enge Kooperation zurückblicken.<br />

Rheinland-Pfalz ist Gründungsmitglied des BBE und<br />

engagiert sich seit 2002 gemeinsam mit den inzwischen<br />

über 200 Mitgliedern des Netzwerks für die Förderung<br />

bürgerschaftlichen Engagements und die Weiterentwicklung<br />

einer aktiven Bürgergesellschaft.<br />

Rheinland-Pfalz ist ein sehr guter Standort für diese<br />

Tagung und den hier stattfindenden Dialog. Das<br />

Thema Integration von zugewanderten Menschen hat<br />

hohe Priorität im Land und für die Politik der Landesregierung.<br />

Seit mehreren Jahren bereits gehen wir<br />

hier neue Wege, um die gesellschaftliche Integration<br />

von Migrantinnen und Migranten sowie von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zu stärken. Dabei spielen das bürgerschaftliche<br />

Engagement und Möglichkeiten der<br />

politischen Partizipation eine besondere Rolle.<br />

Rheinland-Pfalz ist ein <strong>durch</strong> Zuwanderung geprägtes<br />

Land. Genauso, wie in den vergangenen Jahrhunderten<br />

viele Menschen aus dem Gebiet des heutigen Rheinland-<br />

Pfalz nach Nord- und Südamerika ausgewandert sind,<br />

genauso ist Rheinland-Pfalz heute ein Land, in das viele<br />

Menschen aus allen Ländern der Welt gern einwandern.<br />

Diese Menschen sind uns willkommen. Sie bereichern<br />

unser Land und unsere Kultur. Und: Diese Menschen<br />

sind bereit, sich einzubringen, sich zu engagieren und unser<br />

Gemeinwesen mitzugestalten. Dies ist nicht nur eine<br />

Floskel, sondern zeigt sich auch in der Realität unseres<br />

Zusammenlebens. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys<br />

von 2004 zeigen, dass der Anteil der Engagierten<br />

unter Migrantinnen und Migranten in Rheinland-Pfalz<br />

sehr hoch ist. Er liegt mit 32% deutlich über dem bundesweiten<br />

Durchschnitt von 23%. Mag man diese Zahlen<br />

auch nicht überbewerten, so ist dies doch ein deutlicher<br />

Hinweis darauf, dass Migrantinnen und Migranten sehr<br />

wohl gesellschaftliche Verantwortung in unserem Land<br />

übernehmen und dass im bürgerschaftlichen Engagement<br />

gesellschaftliche Integration gelingen kann.<br />

Dass das Thema Integration ein wichtiges gesellschaftliches<br />

wie politisches Thema ist, sollen einige<br />

Daten und Fakten veranschaulichen:<br />

• Im Jahr 2007 hatten 729.000 Menschen in Rheinland-Pfalz<br />

einen Migrationshintergrund, das sind<br />

18% der Gesamtbevölkerung.<br />

• 57% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund waren<br />

deutsche Staatsangehörige; 43% hatten keinen<br />

deutschen Pass.<br />

• 502.000 Menschen in Rheinland-Pfalz haben eine<br />

eigene Migrationsgeschichte. Sie sind selbst (nach<br />

1949) in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik<br />

eingewandert.<br />

• Rund 227.000 Menschen ohne eigene Migrationsgeschichte<br />

sind Nachkommen von Zugewanderten.<br />

Hierzu gehören rund 80.000 Ausländerinnen und<br />

Ausländer, die in Deutschland geboren wurden.<br />

Allein diese Zahlen machen deutlich, dass Migrantinnen<br />

und Migranten nicht nur rein quantitativ einen<br />

erheblichen Anteil an unserer Bevölkerung<br />

BBE - Dokumentation 5


Ministerpräsident Beck - Grußwort<br />

haben, sondern dass sie damit auch von erheblicher<br />

Bedeutung für unseren wirtschaftlichen Erfolg und<br />

unser gesellschaftliches Zusammenleben sind.<br />

Wie wir dieses Zusammenleben gestalten, ob wir Migrantinnen<br />

und Migranten einen Platz in der Mitte unserer<br />

Gesellschaft geben, ob wir voneinander lernen<br />

und gemeinsam unser Gemeinwesen bereichern, ist<br />

daher nicht nur eine Frage des guten Willens. Es ist<br />

vielmehr eine politische Aufgabe. Die gleichberechtigte<br />

Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am Leben<br />

und Arbeiten unserer Gesellschaft ist daher ein zentrales<br />

Anliegen der Politik der Landesregierung. Hierfür<br />

müssen und wollen wir den gesellschaftlichen Dialog<br />

zwischen allen Beteiligten intensivieren. Dabei geht<br />

es uns um die Stärkung von Möglichkeiten der gesellschaftlichen<br />

Mitwirkung, aber auch um die Stärkung politischer<br />

Partizipation von Migrantinnen und Migranten<br />

und ihrer Organisationen. Nur auf diese Weise können<br />

Migrantinnen und Migranten ihre Interessen, aber auch<br />

ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen und das<br />

gesellschaftliche und politische Leben mitgestalten. Aus<br />

diesem Grunde ist die Förderung von Selbstorganisation<br />

und Selbsthilfe, von Verantwortungsbereitschaft und<br />

bürgerschaftlichem Engagement eines der zentralen<br />

integrationspolitischen Anliegen der Landesregierung.<br />

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung haben wir<br />

mit der Reform der bisherigen Ausländerbeiräte in<br />

Rheinland-Pfalz getan. Die neuen Beiräte für Migration<br />

und Integration sichern eine breite Partizipation<br />

der in Rheinland-Pfalz lebenden Menschen. Am 8. November<br />

2009 wurden die neuen Beiräte erstmals gewählt.<br />

Mit der Reform wurde das aktive Wahlrecht auf<br />

Eingebürgerte und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler<br />

ausgeweitet. In den neuen Beiräten sind nicht<br />

mehr nur Ausländerinnen und Ausländer, sondern alle<br />

Einwohnerinnen und Einwohner einer Kommune oder<br />

eines Kreises wählbar und vertreten. Die Beiräte verhandeln<br />

sämtliche Angelegenheiten der Integration<br />

und Migration. Sie sind zudem deutlich besser mit den<br />

politischen Gremien vernetzt. So nehmen Vertreter der<br />

Beiräte an den Sitzungen des Kreis- oder Gemeinderates<br />

und seiner Ausschüsse teil.<br />

Die neuen Beiräte für Migration und Integration allein<br />

können sicherlich gesellschaftliche Integration und<br />

ein harmonisches Zusammenleben nicht garantieren.<br />

Mit der Reform jedoch wurden die Voraussetzungen<br />

hierfür erheblich verbessert. Ich bin davon überzeugt,<br />

dass von ihrer Arbeit neue Impulse für eine gelingende<br />

Integration in den Kommunen ausgehen werden.<br />

Die Reform der Beiräte selbst war im Übrigen ein Ergebnis<br />

eines breit angelegten Beteiligungsprozesses<br />

in Rheinland-Pfalz. Bereits im Jahr 2005 wurden die<br />

Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Reihe von<br />

fünf Bürgerkongressen unter dem Titel „Für unsere<br />

Zukunft, für uns alle“ aufgerufen, sich mit Ideen und<br />

Vorschlägen für die Gestaltung unserer Gesellschaft<br />

einzubringen. Die Ergebnisse wurden der Landesregierung<br />

in Form eines Zukunftsmanifestes übergeben.<br />

Einer der Vorschläge war die Umwandlung der<br />

bisherigen Ausländerbeiräte in Beiräte für Migration<br />

und Integration.<br />

Jenseits dieser wichtigen strukturellen Erneuerung<br />

können wir in Rheinland-Pfalz auf eine Reihe von Aktivitäten<br />

und Erfahrungen zurückblicken, die die Stärkung<br />

des bürgerschaftlichen Engagements und der<br />

gesellschaftlichen Partizipation von Migrantinnen und<br />

Migranten zum Ziel haben. Seit dem Jahr 2002 gibt<br />

es die in der Staatskanzlei angesiedelte „Leitstelle<br />

Bürgergesellschaft und Ehrenamt“, deren wichtigstes<br />

Anliegen die Förderung und Unterstützung aktiver<br />

Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung<br />

eines lebendigen Gemeinwesens ist. Dabei<br />

ist die Zusammenarbeit mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

eine wichtige Aufgabe.<br />

So sind Vertreterinnen und Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

bei dem im Aufbau befindlichen Landesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement Rheinland-Pfalz<br />

von Anfang an beteiligt. Das Engagement<br />

von Migrantinnen und Migranten sowie die Stärkung<br />

ihrer Selbstorganisationen sind wichtige Arbeitsschwerpunkte<br />

des Netzwerkes.<br />

Seit 2008 vergebe ich als Ministerpräsident jährlich<br />

den „Brückenpreis“. Unter dem Motto „Engagement<br />

leben, Brücken bauen, Integration stärken“ werden<br />

Projekte, Organisationen und Engagierte in Rheinland-Pfalz<br />

geehrt, die mit ihrem Engagement das<br />

Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung,<br />

die Begegnung und den Dialog von Jung und<br />

Alt, das Zusammenleben mit unseren europäischen<br />

Nachbarn sowie die Integration von Menschen unterschiedlicher<br />

Herkunft, Sprache und Hautfarbe fördern.<br />

Mit dem Preis ist es gelungen, bereits sehr viele<br />

gute und innovative Projekte im Bereich der Integration<br />

sichtbar zu machen und für eine Nachahmung<br />

dieser guten Ideen zu werben.<br />

Dies ist auch Anliegen des jährlich stattfindenden<br />

landesweiten Ehrenamtstages in Rheinland-Pfalz.<br />

Als zentraler Dankes- und Anerkennungstag des<br />

Landes stellt er die ehrenamtlich und bürgerschaftlich<br />

Engagierten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.<br />

Projekte und Organisationen von Migrantinnen und<br />

Migranten aus Rheinland-Pfalz sind regelmäßig auf<br />

6 BBE - Dokumentation


Ministerpräsident Beck - Grußwort<br />

dem Ehrenamtstag vertreten und zeigen eindrucksvoll,<br />

dass sie, häufig gemeinsam mit deutschen Organisationen,<br />

<strong>durch</strong> ihr Engagement unser Gemeinwesen<br />

stärken.<br />

Viele weitere Beispiele ließen sich nennen. Festzuhalten<br />

bleibt, dass Migrantinnen und Migranten ebenso<br />

wie ihre deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />

gesellschaftlich engagiert sind und sich an der Gestaltung<br />

des Gemeinwesens beteiligen wollen.<br />

Dies gilt auch für Formen der politischen Beteiligung<br />

und Mitbestimmung. Jenseits der bestehenden Möglichkeiten<br />

im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie<br />

sind wir als Landesregierung bemüht, neue und<br />

innovative Formen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler<br />

wie auf Landesebene zu stärken. So haben wir<br />

beispielsweise im Rahmen unserer aktuellen Kommunal-<br />

und Verwaltungsreform einen breit angelegten<br />

Prozess der Bürgerbeteiligung ins Leben gerufen. In<br />

Bürgerkongressen, Planungszellen, einer repräsentativen<br />

und einer Online-Befragung hatten die Bürgerinnen<br />

und Bürger die Chance, ihre Erfahrungen und<br />

Kritik, ihre Wünsche und Vorschläge für die Gestaltung<br />

einer zukunftsfähigen Verwaltung einzubringen. Auch<br />

an diesem Prozess haben sich Migrantinnen und Migranten<br />

engagiert beteiligt. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung<br />

haben den Gesetzgebungsprozess nicht<br />

nur erheblich bereichert, sondern werden sich auch<br />

sichtbar in dem Reformwerk niederschlagen.<br />

Dass die gesellschaftliche Integration von Migrantinnen<br />

und Migranten ein wichtiges politisches Anliegen ist,<br />

davon zeugt in Rheinland-Pfalz auch die Einsetzung<br />

einer Enquete-Kommission „Integration und Migration“<br />

<strong>durch</strong> den Landtag. Zum Arbeitsauftrag der Kommission<br />

gehört es, die politische Teilhabe von Frauen und<br />

Männern mit Migrationshintergrund sowie die vielfältigen<br />

Formen bürgerschaftlichen Engagements von<br />

Migrantinnen und Migranten sowie ihre Organisationen<br />

zu beleuchten. Ich freue mich sehr darüber, dass die<br />

Enquete-Kommission, vertreten <strong>durch</strong> ihren Vorsitzenden<br />

Herrn Dieter Klöckner, bei der Vorbereitung und<br />

Realisierung der heutigen Tagung eingebunden ist. Ich<br />

bin sicher, dass dies zur Bereicherung der Diskussion<br />

in unserem Landesparlament beitragen wird.<br />

Auch unsere Landesbeauftragte für Migration und Integration,<br />

Frau Maria Weber, unterstützt diese wichtige<br />

Veranstaltung. Mit ihrer Arbeit, die sie Ihnen noch<br />

genauer vorstellen wird, verbinden sich vielfältige Bemühungen<br />

der Integrationsförderung.<br />

Ich denke also, wir sind auf einem guten Weg, die gesellschaftliche<br />

Integration von Migrantinnen und Migranten<br />

– eine politische Aufgabe, die viel zu lange vernachlässigt<br />

wurde – mit Leben zu erfüllen. Eines ist dabei aus<br />

meiner Sicht ganz sicher unerlässlich: Für eine gelingende<br />

gesellschaftliche Integration von Menschen mit<br />

Migrationshintergrund braucht es Partizipationsmöglichkeiten,<br />

freiwilliges Engagement und eine starke Bürgergesellschaft.<br />

Es ist daher gut und konsequent, dass<br />

auch der von der Bundesregierung initiierte nationale<br />

Integrationsplan dem Faktor bürgerschaftliches Engagement<br />

und gleichberechtigte Teilhabe einen zentralen<br />

Stellenwert eingeräumt hat. Noch vor wenigen Jahren<br />

war dies alles andere als selbstverständlich. Wir unterstützen<br />

daher die Vorhaben und Schwerpunkte des<br />

nationalen Integrationsplans ausdrücklich. Gleichwohl<br />

bleibt hier sicherlich noch sehr viel zu tun.<br />

Ein wichtiges Signal hierbei wäre sicherlich die Einführung<br />

des kommunalen Wahlrechts für alle Menschen.<br />

Rheinland-Pfalz setzt sich seit langem für eine<br />

entsprechende Änderung ein. Bislang ist dies jedoch<br />

an den bestehenden Mehrheiten im Bundesrat gescheitert.<br />

Aber ich bleibe dabei: Es muss sobald wie<br />

möglich auf kommunaler Ebene ein Wahlrecht auch<br />

für nicht EU-Bürger geben.<br />

Ein weiterer Hemmschuh für eine gelingende Integration<br />

ist die sogenannte Optionspflicht, nach der junge<br />

Menschen, die kraft Geburt in Deutschland die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit erhalten haben, sich nach<br />

Vollendung des 18. Lebensjahres für die deutsche oder<br />

eine andere Staatsangehörigkeit entscheiden müssen.<br />

Diese Regelung entspricht in keiner Weise den Lebensbedingungen<br />

dieser jungen Menschen. Rheinland-Pfalz<br />

setzt sich daher für den Wegfall der Optionspflicht ein.<br />

Unseren integrationspolitischen Bemühungen liegt eine<br />

einfache Überzeugung zu Grunde: Ohne die politische<br />

Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger, und damit auch<br />

die von Migrantinnen und Migranten und ihrer Organisationen,<br />

fehlt einer gelebten Demokratie die Basis.<br />

Dies gilt insbesondere für die kommunale Ebene, das<br />

unmittelbare, tägliche Lebensumfeld der Menschen.<br />

Die Stärkung von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung<br />

eröffnet neue Chancen für die Demokratie insgesamt.<br />

Meine Hoffnung ist, dass sich mittelfristig ein<br />

neuer Politikstil etablieren lässt, der bürgerschaftliche<br />

Kritik, Mitwirkung und Beteiligung als konstitutive Bestandteile<br />

unserer Demokratie begreift. Dabei sind wir<br />

auf das Engagement und die aktive Beteiligung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ebenso angewiesen wie diese<br />

unsere politische Unterstützung brauchen.<br />

Für die zweitägige Veranstaltung wünsche ich Ihnen<br />

gutes Gelingen, intensive und fruchtbare Diskussionen<br />

sowie nicht zuletzt eine angenehme Zeit hier in Mainz.<br />

BBE - Dokumentation 7


Prof. Dr. Siglinde Naumann, Fachhochschule Nordhausen<br />

Ziele der Tagung – eine Einführung<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen<br />

und Kollegen,<br />

ich möchte Sie im Namen unserer Arbeitsgruppe 5 des<br />

Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement begrüßen.<br />

Was sich dahinter verbirgt, will ich kurz erläutern:<br />

Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />

(BBE) wurde 2002 vom Nationalen Beirat des<br />

Internationalen Jahres der Freiwilligen mit dem Ziel<br />

gegründet, „bestmögliche rechtliche, institutionelle<br />

und organisatorische Rahmenbedingungen für das<br />

bürgerschaftliche Engagement zu schaffen.“<br />

Das BBE ist eine Mitgliederorganisation. Die inhaltliche<br />

Arbeit des Bundesnetzwerkes erfolgt in zehn<br />

Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenfeldern.<br />

Eine davon ist die Arbeitsgruppe Migration/Integration<br />

des BBE. Die AG 5 beschäftigt sich mit dem Engagement<br />

von Migrantinnen und Migranten und mit<br />

der Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Sie ist für<br />

neue Mitglieder offen und wir freuen uns über jede<br />

Migrantenorganisation, die hier mitmachen möchte.<br />

Unsere Treffen finden 4x jährlich zumeist in Köln statt.<br />

Die Mitglieder der AG 5 verfolgen das Ziel, bürgerschaftliches<br />

Engagement von Migrantinnen und Migranten<br />

öffentlich sichtbarer zu machen und dessen<br />

Bedeutung hervorzuheben:<br />

• einerseits für die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen<br />

und Migranten<br />

• andererseits für unsere Gesamtgesellschaft; weil<br />

von diesem Engagement vielfältige Entwicklungschancen<br />

ausgehen.<br />

Dabei gehen wir davon aus, dass gesellschaftliche<br />

Integrationsprozesse Menschen mit und ohne Migrationshintergrund<br />

betreffen.<br />

Es lag auf der Hand, unsere Ziele gemeinsam mit<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu verfolgen. Viele kleine<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> agieren ausschließlich<br />

ehrenamtlich und auf lokaler Ebene. Damit ihre<br />

Ressourcen, Erfahrungen und Anregungen für die<br />

gemeinsame Weiterentwicklung einer aktiven Zivilgesellschaft<br />

fruchtbar werden können, wurde die Idee<br />

entwickelt und umgesetzt, eine jährliche Plattform<br />

für Menschen und Organisationen, die mit den Querschnittsthemen<br />

Migration und Integration befasst<br />

sind, ins Leben zu rufen.<br />

Diese Tagungen, so belegen unsere Erfahrungen seit<br />

2006, sind zu einem wichtigen Forum für die Vernetzung<br />

geworden. Durch die Bearbeitung und Weiterentwicklung<br />

der inhaltlichen Themen, die von den<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> initiiert worden sind, wurden<br />

vielfältige fachliche Impulse auf den unterschiedlichen<br />

organisationalen, lokalen und überregionalen<br />

Ebenen angeregt.<br />

Der eintägige Workshop 2006 in Oberhausen wurde<br />

vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen<br />

und Integration des Landes NRW und vom Bundesamt<br />

für Migration und Flüchtlinge gefördert, das auch<br />

die Folgeveranstaltungen finanzierte. Hier fand ein<br />

erster Austausch statt und es wurden die Weiterbildungsbedarfe<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> eruiert.<br />

Dieses erste Diskussionsforum – von Elke Olbermann<br />

koordiniert – war der Auftakt für weitere Diskussionsprozesse<br />

über die Rolle und Möglichkeiten<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

2007 ging es in Kooperation mit dem Landesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern und dem Institut<br />

für Soziale und Kulturelle Arbeit in Nürnberg um<br />

die Frage, wie die Weiterbildung der Heterogenität<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> gerecht werden und<br />

wie sie zu ihrem Empowerment beitragen kann. Deutlich<br />

wurde: Es gibt nicht einen Königsweg, sondern<br />

8 BBE - Dokumentation


Naumann - Ziele der Tagung<br />

es bedarf passgenau zugeschnittener Lernarrangements,<br />

die auf die jeweiligen Herausforderungen der<br />

Gruppen abgestimmt sind. Darüber hinaus wurde diskutiert,<br />

welche förderpolitischen Konsequenzen der<br />

Nationale Integrationsplan mit sich bringt.<br />

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in Ost- und Westdeutschland standen<br />

bei der letztjährigen Veranstaltung in Potsdam<br />

ebenso im Mittelpunkt, wie Überlegungen zu Förderkonzepten,<br />

die <strong>Migrantenorganisationen</strong> als selbstbewusste<br />

Akteure der Zivilgesellschaft akzentuieren.<br />

Dabei richtete sich das Augenmerk auch auf das<br />

bundesweite Integrationsprogramm. Das Programm<br />

zielt auf eine enge Kooperation mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

auf der operativen Ebene im Bereich der<br />

Projektförderung, aber auch bei der Konzeptentwicklung.<br />

An diesen Punkt schließen wir heute mit dem<br />

Vortrag von Frau Bartels an. Sie ist Leiterin des Referats<br />

Grundsatzangelegenheiten der Integrationsförderung<br />

beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

und wird über den Stand der Entwicklung der neuen<br />

Förderkonzepte berichten.<br />

Der morgige Tag beginnt nach einer Zwischenbilanz<br />

von Birger Hartnuß mit einem Vortrag von Dr. Thomas<br />

Röbke, dem Geschäftsführer des Landesneztwerkes<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern über Praxiskonzepte<br />

und Handlungsstrategien des Netzwerkens.<br />

Hier schließen die Arbeitsgruppen an, in denen Beispiel<br />

gelungener Praxis vorgestellt werden und ihre<br />

Erfahrungen gefragt sind, um Ressourcen und Hindernisse<br />

in den jeweiligen Arbeitsfeldern auszuloten.<br />

Bevor ich nun das Wort an Herrn Reich weiter gebe,<br />

möchte ich mich bei der Vorbereitungsgruppe dieser<br />

Tagung, insbesondere bei Mehdi Jafari Gorzini und<br />

Birger Hartnuss bedanken, und bei Lea Fenner für die<br />

Tagungsorganisation.<br />

Ich wünsche uns eine erfolgreiche und produktive<br />

Tagung.<br />

Womit ich Sie nun einladen möchte, den Blick auf<br />

unsere aktuelle Tagung zu richten. Sie findet in Kooperation<br />

mit der Leitstelle Bürgergesellschaft und<br />

Ehrenamt in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz statt.<br />

Tagungsthemen und Ziele basieren auf den Interessensbekundungen<br />

der <strong>Migrantenorganisationen</strong> bei<br />

den vorausgegangenen Veranstaltungen.<br />

Das Thema „Netzwerkarbeit“ flackerte in den Diskussionen<br />

immer wieder schillernd und widersprüchlich<br />

auf. Einerseits birgt es Chancenpotentiale für lokale<br />

und überregionale Zusammenarbeit auf gleicher<br />

Augenhöhe, andererseits ist eine produktive Netzwerkarbeit<br />

eben nicht vorraussetzungslos. Heute und<br />

morgen sollen Netzwerkstrategien aus unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln ausgelotet und weiterentwickelt<br />

werden.<br />

Prof. Dr. Reich von der Universität Koblenz Landau<br />

wird im Anschluss die inhaltliche Diskussion eröffnen<br />

und die Ergebnisse eines Forschungsprojektes über<br />

das Sozialkapital und die Netzwerkbildung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

vorstellen. Nach der Pause werden<br />

Sie von Nuran Yigit in unser World-Cafe eingeladen.<br />

An den Thementischen Interkulturelle Öffnung, politische<br />

Vertretung und öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sind ihre Erfahrungen mit Chancen<br />

und Grenzen der Netzwerkarbeit gefragt.<br />

Nach einer Pause wird uns Maria Weber, die Landesbeauftragte<br />

für Migration und Integration, begrüßen.<br />

BBE - Dokumentation 9


Prof. Dr. Hans H. Reich, Universität Koblenz-Landau<br />

Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

Sie haben die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz<br />

als Tagungsort gewählt. Das ist eine Ehre für mein<br />

Bundesland, und mithin ist es eine Ehre für mich, hier<br />

vor Ihnen sprechen zu dürfen. Zwar vertrete ich nicht<br />

das Bundesland, aber ich kann mich berufen auf eine<br />

Studie zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in Rheinland-Pfalz, die die Beauftragte der Landesregierung<br />

für Migration und Integration vor kurzem in<br />

Auftrag gegeben hat, und die ich zusammen mit zwei<br />

Mitarbeitern am Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung<br />

der Universität Koblenz-Landau ausgearbeitet habe.<br />

So kann ich den Bezug zur Region und den Bezug<br />

zum Thema zwanglos miteinander verbinden.<br />

Die Veranstalter haben ein Fragezeichen hinter das<br />

Thema meines Beitrags geschrieben. Das ist mir<br />

recht. Man muss nach den Bedingungen fragen, unter<br />

denen Vernetzung zu Partizipation führt. Und man<br />

muss fragen: Aus welcher Perspektive soll die Antwort<br />

gegeben werden?<br />

Aus der Perspektive der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

heraus, auf der Grundlage ihrer Ziele und ihrer Ressourcen?<br />

Oder aus der Perspektive derer, die als Netzwerkpartner<br />

in Betracht kommen – der staatlichen Stellen,<br />

der Einrichtungen des Bildungswesens, der<br />

wirtschaftlichen Unternehmen, der Einrichtungen der<br />

Zivilgesellschaft (also: Nichtregierungsorganisationen,<br />

Wohlfahrtsverbände, Stiftungen)? Deren Ziele<br />

und Interessen müssen ja weder untereinander noch<br />

mit den Zielen und Interessen der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

übereinstimmen.<br />

Oder kann man, soll man eine Perspektive einnehmen,<br />

die nicht bilateral ist, die nicht hier die Migranten<br />

und dort ihre möglichen Partner sieht, sondern nach<br />

der Gesellschaft insgesamt fragt, nach dem Status<br />

der <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Gesamtgefüge<br />

dieser Gesellschaft und nach einer möglichen, einer<br />

möglicherweise wünschenswerten Veränderung<br />

dieses Status?<br />

Der Reihe nach: <strong>Migrantenorganisationen</strong> treten ein<br />

für die Interessen der zugewanderten Menschen und<br />

ihrer Familien. Das ist eine komplexe Zielsetzung, sie<br />

verlangt vielfältiges Engagement und erhebliche materielle<br />

und ideelle Ressourcen, die nicht immer und<br />

nicht überall im erforderlichen Maße zur Verfügung<br />

stehen. Im Vergleich zu ähnlichen Organisationen von<br />

Nichtmigranten sind viele <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

eher unterausgestattet. Das Engagement der Ehrenamtlichen<br />

wird in zu geringem Maße <strong>durch</strong> hauptamtliches<br />

Personal unterstützt, es fehlt an administrativer<br />

Expertise ebenso wie an Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Nicht selten fehlt es auch an geeigneten<br />

Räumen oder anderen infrastrukturellen Ressourcen.<br />

Die von den <strong>Migrantenorganisationen</strong> tatsächlich genutzten<br />

Spielräume sind daher alles in allem nach<br />

meiner Wahrnehmung enger, als es nötig wäre.<br />

Ihre Partizipationserwartungen richten sich also zuvörderst<br />

auf die Erhöhung ihrer Handlungsmöglichkeiten<br />

<strong>durch</strong> die Gewinnung von Expertise und <strong>durch</strong> Unterstützung<br />

aus der Gesellschaft heraus. Der Zusammenschluss<br />

gleichartiger Organisationen, die Gründung<br />

von Landes- und Bundesverbänden von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

mag ein Weg sein, diesen Zielen näher<br />

zu kommen; er ist immerhin mit einem Plus an<br />

Einfluss und Sichtbarkeit verbunden. Ich möchte aber<br />

im Moment diese Form der Vernetzung nicht näher betrachten,<br />

und konzentriere mich auf die – zugegebenermaßen<br />

schwierigere, sozial aber weiter reichende<br />

– Netzwerkbildung unter ungleichen Partnern.<br />

Diese potenziellen Netzwerkpartner sind zunächst<br />

einmal nicht Interessenvertreter der Migranten. Als<br />

staatliche Stellen vertreten sie Ziele und Interessen<br />

der Verwaltung und der Politik, als Wirtschaftsunter-<br />

10 BBE - Dokumentation


Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

nehmen oder -verbände vertreten sie ökonomische<br />

Interessen, als Einrichtungen der Zivilgesellschaft ergänzen<br />

oder erweitern sie die Spielräume staatlichen<br />

Handelns. Für sie sind Migranten als Empfänger von<br />

Hilfe Klienten, als Arbeitskräfte Mitarbeiter, als Bürger<br />

Adressaten des Verwaltungshandelns, als Lernende<br />

Schüler und Schülerinnen (wie andere auch); für sie<br />

sind die Migranten als Einzelne in das Handeln der<br />

Institutionen einbezogen. Dass es zwischen der Institution<br />

und den Einzelnen Organisationen (wie die<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong>) geben sollte, ist zunächst<br />

einmal nicht vorgesehen.<br />

Partizipationserwartungen entstehen erst dann, wenn<br />

erkannt wird, dass die institutionelle Aufgabe in Kooperation<br />

mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> besser bewältigt<br />

werden kann als aus eigenen Kräften.<br />

Betrachtet man das Verhältnis von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und ihren potenziellen Netzwerkpartnern<br />

unter gesellschaftlicher Perspektive, so zeigt sich<br />

das Bild eines Umbruchs, der sich vor unseren Augen<br />

vollzieht und noch nicht abgeschlossen ist, eine<br />

Gleichzeitigkeit von Altem und Neuem. Das Alte, die<br />

frühere Situation, war gekennzeichnet <strong>durch</strong> ein ziemlich<br />

beziehungsloses Nebeneinander, grob gesagt:<br />

<strong>durch</strong> das Fehlen von Netzwerken. Die Zeichen des<br />

Wandels sind aber unverkennbar:<br />

In den <strong>Migrantenorganisationen</strong> ist der Generationenwechsel<br />

vollzogen. Bei und nach den zahlreichen<br />

Neugründungen der 1990er Jahre hat eine zunehmende<br />

Neudefinition der Ziele – weg von den Problemen<br />

in den Herkunftsstaaten hin zu den Lebensbedingungen<br />

und Zukunftschancen in Deutschland<br />

– eingesetzt, die sich auch in konkreten Aktivitäten<br />

niederschlägt. Mit dem Entstehen einer „Mittelschicht<br />

mit Migrationshintergrund“ in Deutschland haben<br />

auch ökonomische, administrative und publizistische<br />

Sachkenntnisse breiteren Eingang in die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

gefunden. Sie haben ihre Sache in<br />

die eigenen Hände genommen und lassen sich nicht<br />

mehr so leicht abspeisen wie in der Vergangenheit.<br />

Auf der anderen Seite bemühen sich zahlreiche größere<br />

und ältere Organisationen seit einigen Jahren<br />

schon um Kooperationen mit <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

Namentlich die Wohlfahrtsverbände sind an<br />

solchen Kooperationen interessiert, und die Politik unterstützt<br />

dieses Bestreben bei vielen Gelegenheiten;<br />

auch die heutige Veranstaltung ist ein Teil dieser politischen<br />

Unterstützung.<br />

Das alles zeigt, dass die Zeit reif dafür ist, die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als Teilhaber an einem gemeinsamen<br />

Ganzen zu sehen, in das alle gleichermaßen<br />

involviert sind. Man kann von einer sich anbahnenden<br />

„partizipatorischen Wende“ sprechen. In dem Entwurf<br />

zu einem „Bundesweiten Integrationsprogramm“,<br />

der dieses Jahr vom Bundesamt für Migration und<br />

Flüchtlinge erarbeitet worden ist, finden sich interessante<br />

Aussagen dazu. Dort heißt es im Sinne einer<br />

Zielvorgabe: „Der Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

kommt aufgrund ihres partizipations- und integrationsfördernden<br />

Potenzials hohe Bedeutung zu.“<br />

(S. 193) Und im Sinne einer kritischen Analyse des<br />

Ist-Zustands: „Eine gleichberechtigte Einbeziehung,<br />

Nutzung und Anerkennung der Kompetenzen von<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> bei der Gestaltung von Integrationsangeboten<br />

sowie eine systematische Stärkung<br />

als Akteure der Integrationsförderung findet<br />

bundesweit jedoch in unterschiedlichem Umfang und<br />

nicht auf allen Ebenen programmatisch umfassend<br />

statt.“ (S. 197) Diese Linie weist in die Zukunft, sie<br />

zeigt die Aufgaben, die zu lösen sind, und sie zeigt,<br />

in welchem Geiste sie zu lösen sind. (In Klammern<br />

gesagt: Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung<br />

lässt noch nichts von diesem Geist erkennen, er<br />

beruht noch auf einer anderen Philosophie.)<br />

In welchem Sinne kann Vernetzung zu einer solchen<br />

partizipatorischen Wende beitragen? Dazu möchte<br />

ich gerne einige Beispiele aus der eingangs erwähnten<br />

Studie in Rheinland-Pfalz bringen, bei der<br />

insbesondere die Partizipation im Bereich der kommunalen<br />

Politik und im Bereich der Bildung untersucht<br />

worden ist.<br />

Im Bereich der Bildung sind wir auf drei interessante<br />

Felder möglicher Partizipation und Vernetzung gestoßen<br />

– die außerschulische Förderung, die interkulturelle<br />

Bildung und den islamischen Religionsunterricht.<br />

Außerschulische Förderung, vor allem in den Fächern<br />

Deutsch, Mathematik und Englisch, wird inzwischen<br />

von zahlreichen <strong>Migrantenorganisationen</strong>, besonders<br />

auch solchen mit religiöser Zielsetzung, angeboten.<br />

Die religiös orientierten Organisationen ergänzen<br />

dieses Angebot auch <strong>durch</strong> Bildungsangebote in den<br />

Herkunftssprachen und <strong>durch</strong> religiöse Unterweisung.<br />

Man darf dies aber keineswegs dahingehend missverstehen,<br />

als ob die schulbezogenen Angebote bloße<br />

Einstiegsangebote für die identitäts- und herkunftsbezogenen<br />

Angebote wären. Im Gegenteil: Der Bildungserfolg<br />

der Kinder und Jugendlichen in Deutschland<br />

steht im Vordergrund dieser Bemühungen; diese<br />

orientieren sich konsequenterweise an den fachlichen<br />

Erwartungen der deutschen Schule. Das wäre eine<br />

gute Grundlage für Kooperation. Die in Rheinland-<br />

Pfalz kontaktierten Einrichtungen dieser Art geben<br />

BBE - Dokumentation 11


Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

aber <strong>durch</strong>weg zu Protokoll, dass das Interesse seitens<br />

der Schulen gering geblieben sei, obwohl man<br />

versucht habe, in näheren Kontakt zu kommen.<br />

Die hemmenden Faktoren für Vernetzung und Partizipation<br />

sind hier wahrscheinlich in der Arbeitssituation<br />

der Schulen zu suchen, die zu wenig Raum für solche<br />

Kontakte lässt oder sie zu wenig honoriert. Vielleicht<br />

aber auch in der oft noch instabilen personellen Situation,<br />

die die Angebote kaum über eine schlichte<br />

Nachhilfe hinaus gelangen lässt. Eine Entwicklungsperspektive<br />

könnte es sein, die Professionalisierung<br />

dieser pädagogischen Angebote von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

voranzutreiben und dazu Netzwerkpartner<br />

aus dem Bereich der Erwachsenenbildung und der<br />

Qualifizierung von Lehrkräften zu gewinnen.<br />

Etwas anders ist die Lage bei der interkulturellen<br />

Bildung. Diese ist als wichtige schulische Aufgabe<br />

<strong>durch</strong>gehend anerkannt. Systematisch bieten sich<br />

Kooperationsmöglichkeiten im Ergänzungsbereich<br />

der offenen Ganztagsschulen, bei deren Entwicklung<br />

das Bundesland Rheinland-Pfalz eine Vorreiterfunktion<br />

innehat: Interkulturelle Angebote im Rahmen der<br />

nachmittäglichen Aktivitäten.<br />

In einem von der Universität Mainz veröffentlichten<br />

Bericht über eine Tagung der Forschungsgruppe<br />

Ganztagsschulen heißt es: „Um Schule als schülerorientierten<br />

Lebens- und Erfahrungsraum und auch<br />

als Stätte der Freizeit neu erleben zu lassen, ist es<br />

wichtig, etwas von der Vielfalt von sozialen Beziehungen<br />

und kulturellen Angeboten, die bisher im außerschulischen<br />

Feld ihren Platz hatten, nach Möglichkeit<br />

mit in das schulische Leben hineinzuholen. Hier<br />

bieten gerade die Angebote außerschulischer Partner<br />

besondere Chancen, die Schule mit Anliegen des Gemeinwesens<br />

in Verbindung zu bringen und so neue<br />

Möglichkeiten der sozialen und kulturellen Verankerung<br />

im regionalen Einzugsbereich der Schulen zu<br />

schaffen.“ Das ist eine nahezu ideale Basis für eine<br />

Partizipation an der Bildung der jungen Generation<br />

<strong>durch</strong> eine Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und Schulen. Leider hat eine von uns <strong>durch</strong>geführte<br />

Befragung der Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz<br />

ergeben, dass auch die Schulen, die interkulturelle<br />

Aktivitäten anbieten, nur selten mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

kooperieren. Nur 10 % der außerschulischen<br />

Kooperationspartner sind als <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zu bezeichnen; dazu kommen dann noch mit<br />

12 % die örtlichen Ausländerbeiräte. Als hemmende<br />

Faktoren nennen die Schulen vor allem eigenen Personalmangel,<br />

mangelndes Elterninteresse, finanzielle<br />

Probleme und zu hohen Aufwand. Betriebliche Gründe<br />

also, wenn man so sagen darf.<br />

Eine Entwicklungsperspektive könnte es sein, erfahrene<br />

Organisationen in bestehende Netze hineinzuholen<br />

oder als aktive Vernetzer zu engagieren, die –<br />

mit Förderung aus öffentlichen Mitteln – die Schulen<br />

und die <strong>Migrantenorganisationen</strong> darin unterstützen<br />

würden, Kooperationen im Bereich der interkulturellen<br />

Bildung auszubauen und inhaltlich zu gestalten.<br />

Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts<br />

in Rheinland-Pfalz ist ein Paradebeispiel erfolgreicher<br />

Netzwerkarbeit. Da war zunächst das Anliegen von<br />

türkischen Eltern in einem Stadtteil von Ludwigshafen,<br />

eine Möglichkeit für die religiöse Unterweisung<br />

ihrer Kinder zu schaffen. Zum Sprachrohr dieses Bedürfnisses<br />

wurde zum einen ein Zusammenschluss<br />

türkisch-muslimischer Frauen im Stadtteil, zum andern<br />

eine Stadtteilinitiative, deren Vertreter zugleich den<br />

Kontakt zum Christlich-Islamischen Gesprächskreis<br />

und damit zu einer stadtweiten Lobby herstellte. Gemeinsam<br />

sprachen sie den Leiter der Grundschule an,<br />

der sich bereit erklärte, mitzumachen – unter der Voraussetzung,<br />

dass das Ministerium zustimmte. Dieses<br />

wollte sich – begreiflicherweise – vergewissern, ob<br />

wirklich ein dauerhafter Bedarf bestehe. Der Frauenverein<br />

startete eine Unterschriftensammlung unter den<br />

muslimischen Eltern im Stadtteil und der Rücklauf mit<br />

über 50% überzeugte auch das Ministerium, das den<br />

Islamischen Religionsunterricht als Schulversuch genehmigte.<br />

Inzwischen ist eine Schule in Mainz hinzugekommen,<br />

das Angebot wird auf die Sekundarstufe<br />

ausgeweitet, und es bleibt zu hoffen, dass an den neuen<br />

Standorten ebenso aktive Netzwerke entstehen.<br />

Abschließend ein Beispiel aus dem Bereich der politischen<br />

Partizipation: Wie andere Bundesländer auch<br />

hat Rheinland-Pfalz in der Vergangenheit Probleme<br />

mit der Akzeptanz der Ausländerbeiräte gehabt, die<br />

sich in niedriger, z. T. sehr niedriger Wahlbeteiligung<br />

und geringer Partizipation der gewählten Beiräte am<br />

kommunalen Geschehen niederschlugen. In einer<br />

rheinland-pfälzischen Stadt, Bad Kreuznach, hat man<br />

diese Probleme ziemlich radikal analysiert. Dort hatte<br />

es vor den ersten Beiratswahlen in den 1980er Jahren<br />

schon eine Art von informellem „Senat“ der Vereinsvorsitzenden<br />

gegeben, die <strong>durch</strong>weg der ersten<br />

Migrantengeneration angehörten. Ihre Aktivitäten<br />

haben im Nachhinein fast eine Art von Verklärung erfahren.<br />

Denn die offiziell gewählten Ausländerbeiräte<br />

in den 1990er Jahren und danach, eher junge Leute,<br />

satzungsgemäß ausschließlich Ausländer ohne deutschen<br />

Pass, hätten, wie es heißt, nicht annähernd so<br />

viel erreicht. Der früheren Arbeit der Alten war <strong>durch</strong><br />

die offizielle Wahl in gewissem Sinne die Legitimation<br />

entzogen, und den Neugewählten fehlte es an Rückhalt.<br />

2004 scheiterten die örtlichen Beiratswahlen an<br />

12 BBE - Dokumentation


Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zu geringer Wahlbeteiligung, das damals gültige Quorum<br />

von 10% wurde nicht erreicht. Die Problemanalyse<br />

führte zu der Schlussfolgerung, dass Legitimation<br />

und Partizipation sich – in diesem Falle zumindest<br />

– gegenseitig im Weg gestanden hätten, und dass<br />

man – meine Formulierung – einen Weg zurück zur<br />

Partizipation <strong>durch</strong> Vernetzung finden müsse, ohne in<br />

die alten informellen (man könnte sagen „patriarchalischen“)<br />

Strukturen zurückzufallen. In kommunalem<br />

Alleingang wurde beschlossen, einen Integrationsbeirat<br />

einzusetzen, dessen Mitglieder ohne Bindung<br />

an eine bestimmte Staatsbürgerschaft vom Stadtrat<br />

zu bestellen waren. Bestellt wurden Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

Vertreter des Stadtrats, engagierte<br />

Einzelpersonen sowie Fachleute der Wohlfahrtsverbände<br />

und anderer Institutionen – insgesamt<br />

wurde also eine sehr breite Vernetzung angelegt, die<br />

man als Verankerung der Integrationsarbeit in der<br />

kommunalen Gesellschaft bezeichnen kann. So ist<br />

es etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, gelungen,<br />

auch Flüchtlinge und Asylbewerber für die politische<br />

Partizipation am Ort zu gewinnen, weil ein Vertreter<br />

der kirchlichen Flüchtlingsarbeit eingebunden war, der<br />

glaubhaft für die gemeinsamen Interessen von Kurden<br />

und Kosovo-Albanern eingetreten ist.<br />

Was das Beispiel lehrt, ist, dass in der Tat – unter den<br />

aktuellen Umständen – die Verbindungen mit und<br />

innerhalb der Kommune eine entscheidende Größe<br />

sind, wenn es um die politische Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

geht.<br />

Inzwischen gilt in Rheinland-Pfalz neues Recht: Die<br />

Integrationsbeiräte werden gewählt, doch ist das passive<br />

Wahlrecht nicht mehr an den Ausländerstatus<br />

gebunden, und die gewählten Beiräte können <strong>durch</strong><br />

Persönlichkeiten, die vom Stadtrat bestellt werden, erweitert<br />

werden. Damit ist eine gesetzliche Verbindung<br />

von Legitimation und Partizipation geschaffen, die für<br />

die politische Teilhabe von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

neue Perspektiven eröffnet. Die Wahlen nach dem<br />

neuen Recht haben kürzlich stattgefunden. Zwar haben<br />

sie den großen Durchbruch noch nicht gebracht;<br />

doch kann man festhalten, dass in den Städten, gerade<br />

auch in den kleineren Städten, die Wahlbeteiligung<br />

deutlich gestiegen ist. Das spricht für die eben aufgestellte<br />

These. Es wird jetzt darauf ankommen, die<br />

neue Grundlage zu nutzen, um die damit gegebenen<br />

Chancen zur Vernetzung auszubauen und im Sinne<br />

partizipatorischer Politik zu nutzen.<br />

der übergreifenden Zielsetzung einig sind, mögen sie<br />

auch sonst noch so verschieden voneinander sein.<br />

Sie kann diesen Beitrag leisten, wenn sie über den<br />

Zusammenschluss von <strong>Migrantenorganisationen</strong> hinausgeht<br />

und Netzwerkpartner einbezieht, die sozusagen<br />

die Kontakte und Verbindungen mitbringen, die<br />

in die übrige Gesellschaft hineinreichen. Dazu gehört<br />

– nicht zwingend, aber doch in der großen Mehrzahl<br />

der Fälle – die Bereitschaft der Regelsysteme (also<br />

der Verwaltung, der kommunalen Parlamente, der<br />

Einrichtungen des Bildungssystems), die Arbeit der<br />

Netzwerke zu stützen oder ihnen selbst beizutreten.<br />

Auch eine symbolische Anerkennung ist hier von<br />

hohem Wert.<br />

Die Vernetzung wird aber nur dann einigermaßen<br />

nachhaltig sein, wenn alle Partner auch für sich<br />

selbst einen Nutzen darin sehen. Man muss es wohl<br />

– noch – als Appell formulieren: Den <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ist zuzumuten, ihre Netzwerkpartner<br />

nicht nur als Gönner und Geldgeber zu betrachten,<br />

sondern sich auch mit deren eigennützigen Zielen<br />

und Interessen auseinanderzusetzen und ggf. zu<br />

arrangieren. Von den potenziellen Netzwerkpartnern<br />

ist zu verlangen, dass sie die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

nicht nur für sich als Türöffner zu den<br />

Migranten und deren Familien betrachten, sondern<br />

dass sie die eigenständigen Beiträge erkennen,<br />

welche die Organisationen in Fragen der kommunalen<br />

Entwicklung, der Bildung, der Ökologie, der<br />

Folgen demographischer Verschiebungen leisten<br />

können, und dass sie – im Netzwerk, bei der Beantragung<br />

von Projekten, bei der Formulierung von<br />

Anträgen – für die erforderliche personelle und materielle<br />

Ausstattung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

eintreten. „Integration auf Augenhöhe“ muss kein<br />

Schlagwort bleiben, sie kann <strong>durch</strong> die Vernetzung<br />

gleichberechtigter Partner Wirklichkeit werden.<br />

Was ist unser Fazit?<br />

Vernetzung kann einen Beitrag zur Partizipation leisten,<br />

wenn sie Partner zusammenführt, die sich in<br />

BBE - Dokumentation 13


Romy Bartels, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

Zum Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte für<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> im Rahmen des bundesweiten<br />

Integrationsprogramms<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich bedanke mich sehr für die Einladung zu dieser<br />

Fachtagung. Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen:<br />

Ich bin Referatsleiterin im Bundesamt für Migration<br />

und Flüchtlinge (BAMF) und leite dort das Referat<br />

Grundsatzangelegenheiten der Integrationsförderung.<br />

In meinem Vortrag werde ich mich im wesentlichen<br />

von zwei Aspekten leiten lassen:<br />

• Was wurde im bundesweiten Integrationsprogramm<br />

an Vorschlägen zur Förderung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

entwickelt und<br />

• was hat sich im BAMF im letzten Jahr getan mit einem<br />

spezifischen Blick auf die Projektförderung im Rahmen<br />

der Unterstützung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

I. Auftrag und Ziel des bundesweiten<br />

Integrationsprogramms<br />

Die Entwicklung des bundesweiten Integrationsprogramms<br />

ist ein Auftrag aus § 45 AufenthG und als langfristiger<br />

Prozess der Qualitätsentwicklung der Integrationsförderung<br />

angelegt. Dieser Auftrag wurde dem BAMF<br />

vom Bundesministerium des Innern übertragen. Der Auftrag<br />

besteht darin, die bestehenden Integrationsangebote<br />

von Bund, Ländern, Kommunen und privaten Trägern<br />

festzustellen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung<br />

vorzulegen. U.a. sollen gemeinsame Ziele für die Integrationsförderung<br />

in verschiedenen Bereichen entwickelt<br />

werden. Im Rahmen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />

sollen ganz konkrete, praxisbezogene Vorschläge<br />

zur Verbesserung der Integration entwickelt werden.<br />

Was haben wir getan?<br />

Im Austausch mit Experten aus Politik, Verwaltung, Praxis<br />

der Integrationsförderung und Wissenschaft wurden<br />

unter der Federführung des BAMF die drängenden<br />

Handlungsbedarfe in den Handlungsfeldern sprachliche<br />

Integration, Bildung und Integration, berufliche Integration<br />

und gesellschaftliche Integration ermittelt und konkrete<br />

Empfehlungen und Strategien entwickelt.<br />

Als Ergebnis wurden praxisbezogene Vorschläge zu<br />

konkreten Fragestellungen erarbeitet, etwa zur Rolle<br />

der Jugendverbandsarbeit in der Integrationsförderung<br />

oder auch zur Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als Akteuren der Integrationsförderung. Die<br />

Empfehlungen betreffen nicht nur das BAMF, sondern<br />

richten sich an Bund, Länder, Kommunen, Verbände,<br />

freie Träger, <strong>Migrantenorganisationen</strong>, Forschungseinrichtungen<br />

und viele andere Akteure.<br />

Ein Schwerpunktthema im bundesweiten Integrationsprogramm<br />

im Handlungsfeld gesellschaftliche Integration<br />

ist die Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> als<br />

Akteure der Integrationsförderung. Bei der Entwicklung<br />

der Empfehlungen wurden viele Vertreter der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

eingebunden und Erfahrungen<br />

einiger Länder und Kommunen einbezogen.<br />

Warum wurde dieses Thema ausgewählt?<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> sind Foren der Selbstorganisationen<br />

und gesellschaftlichen Beteiligung. Sie können<br />

als Teil der Zivilgesellschaft einen wichtigen Beitrag zur<br />

Integration leisten. <strong>Migrantenorganisationen</strong> engagieren<br />

sich in vielfältiger Weise – und zwar hauptsächlich<br />

ehrenamtlich – für die Förderung der Integration: In<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> werden Menschen mit Migrationshintergrund<br />

aktiv und können ihre Kompetenzen<br />

einbringen. Sie kennen die Bedarfe von Menschen mit<br />

Migrationshintergrund und schließen mit ihren Angeboten<br />

oft Lücken der Integrationsarbeit. Sie haben meist<br />

einen guten Zugang zu Gruppen, die von anderen Integrationsangeboten<br />

schlechter erreicht werden.<br />

Es hat sich ein Perspektivwechsel im Umgang mit<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> vollzogen. Der Handlungs-<br />

14 BBE - Dokumentation


Bartels - Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />

ansatz in der Integrationsförderung richtet sich heute<br />

stärker auf die gesellschaftliche Teilhabe. Übergeordnetes<br />

Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe von Migranten<br />

und ihren Organisationen in Wirtschaft, Politik<br />

und Gesellschaft. Dem entsprechend wird die Rolle<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> heute anders wahrgenommen,<br />

nämlich stärker als Brückenbauer und unverzichtbare<br />

Akteure in der Integrationsarbeit vor Ort. Sie<br />

werden zunehmend als Experten für eine bedarfsgerechte<br />

Ausrichtung der Integrationspolitik und -förderung<br />

wahrgenommen und zunehmend mit einbezogen.<br />

Daneben können <strong>Migrantenorganisationen</strong> einen Beitrag<br />

zur interkulturellen Öffnung von Vereinen und Einrichtungen<br />

leisten: Eine partnerschaftliche und mitgestaltende<br />

Kooperation zwischen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und öffentlichen und privaten Einrichtungen und Verbänden<br />

(z.B. Bildungsträger oder Wohlfahrtsverbände),,<br />

kann deren interkulturelle Öffnung nachhaltig stärken.<br />

Wichtig ist, dass der Dialog „auf Augenhöhe“ stattfindet.<br />

In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte besonders<br />

wichtig:<br />

Erstens: Zum einen ist die Integration von Zuwanderern<br />

im Sinn der Schaffung gleicher Teilhabechancen<br />

an Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Mitgestaltung<br />

eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft.<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> können diese Aufgabe unterstützen,<br />

aber nicht übernehmen Zweitens: <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sind bei aller Vielfalt überwiegend<br />

ehrenamtlich organisiert. Integrationsförderndes bürgerschaftliches<br />

Engagement von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und anderen Gruppen leistet einen wichtigen<br />

Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben von Menschen<br />

mit und ohne Migrationshintergrund. Es kann<br />

und soll aber professionelle Sozialarbeit nicht ersetzen.<br />

Vielmehr geht es um die Nutzung und Förderung<br />

komplementärer Strukturen und Kompetenzen.<br />

Die im Rahmen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />

entwickelten Empfehlungen richten sich an Organisationen,<br />

die überwiegend von Zugewanderten gegründet<br />

wurden, deren Mitglieder überwiegend Migranten sind und<br />

die sich nachweislich in der Integrationsarbeit engagieren<br />

und nach außen in die Gesellschaft wirken.<br />

II. Empfehlungen des bundesweiten<br />

Integrationsprogramms<br />

Derzeit gibt es keine systematische und gleichberechtigte<br />

Einbeziehung und Nutzung der vielfältigen<br />

Kompetenzen der <strong>Migrantenorganisationen</strong> in die<br />

Gestaltung der Integrationsarbeit. Eine systematische<br />

Förderung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure<br />

und insbesondere Träger der Integrationsförderung<br />

geschieht bisher nur punktuell.<br />

Einzelne Länder (bspw. Nordrhein-Westfalen, Berlin,<br />

Brandenburg, Sachsen-Anhalt) haben Förderprogramme<br />

gezielt zur Unterstützung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen etablierten<br />

Trägern (wie den Wohlfahrtsverbänden) und <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

mit ersten guten Kooperationsbeispielen.<br />

Darauf muss jetzt aufgebaut werden.<br />

Da <strong>Migrantenorganisationen</strong> hauptsächlich ehrenamtlich<br />

Integrationsarbeit leisten, stoßen sie oft an<br />

ihre Grenzen, sie sind meist kaum über Netzwerke<br />

und Fördermöglichkeiten informiert.<br />

Die Empfehlungen des Integrationsprogramms sollen<br />

konkrete Vorschläge unterbreiten, wie dies verändert<br />

werden kann. Dabei hat sich unser Blick besonders<br />

auf folgende vier Bereiche gerichtet:<br />

• Der Auf- und Ausbau tragfähiger Strukturen für die<br />

Integrationsarbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

• Die Professionalisierung der Vereinsarbeit.<br />

• Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagement<br />

in und <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

• Positive Effekte der interkulturellen Öffnung der Gesellschaft<br />

für <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

In verschiedenen Gesprächen mit Vertretern von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

Verbänden, Ländern, Kommunen,<br />

Einrichtungen und Forschung wurden die Ist-Situation,<br />

Handlungsbedarfe und Fördermodelle diskutiert.<br />

Es wurden umfangreiche Empfehlungen und praxisorientierte<br />

Umsetzungshinweise zusammengestellt. Dabei<br />

wurden konkrete Schritte vorgeschlagen, um die<br />

Arbeit der <strong>Migrantenorganisationen</strong> zu unterstützen,<br />

ihnen ein langfristiges Engagement in der Integrationsförderung<br />

zu ermöglichen und damit auch ihre Kompetenzen<br />

und Ressourcen gezielt zu nutzen.<br />

Einige der Ideen, die in den Empfehlungen ausgeführt<br />

werden:<br />

Strukturaufbau der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

Diskutiert wurden Möglichkeiten, um die Partizipation<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an Förderstrukturen zu<br />

erleichtern. Dabei müssen die unterschiedlichen Unterstützungsbedarfe<br />

gesehen werden:<br />

Viele ehrenamtlich aufgestellte <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

benötigen zuvörderst eine Grundausstattungsförderung<br />

(bspw. Geschäftsräume, technische Ausstattung<br />

wie PC, Schreibtisch).<br />

BBE - Dokumentation 15


Bartels - Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />

Daneben benötigen <strong>Migrantenorganisationen</strong> auch<br />

eine infrastrukturelle Förderung (z.B. eine minimale<br />

Regelfinanzierung von Personal- und Sachkosten).<br />

Im Fokus war darüber hinaus die Frage, wie die Beteiligung<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an der Projektförderung<br />

gestärkt werden kann. Diskutiert wurden<br />

dabei z.B. Lösungen für den vom Zuwendungsgeber<br />

meist geforderten Eigenmittelanteil: z.B. <strong>durch</strong> Anrechnung<br />

ehrenamtlicher Arbeit auf den finanziellen<br />

Eigenanteil der <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Hinterfragt<br />

wurde beispielsweise auch, ob auf die von einigen<br />

Förderprogrammen geforderte bundesweite Tätigkeit<br />

des Antragstellers verzichtet werden kann, damit<br />

auch lokal agierende <strong>Migrantenorganisationen</strong> (bzw.<br />

grundsätzlich kleine lokale Organisationen) in den<br />

Genuss einer Förderung gelangen können.<br />

Ein weiteres wichtiges Thema war die Frage nach<br />

einem Ausbau der Weiterbildungsmaßnahmen für<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong>. Aus Sicht der beteiligten<br />

Experten sind folgende Aspekte in diesem Zusammenhang<br />

besonders wichtig:<br />

• Entwicklung von Professionalisierungs- und Weiterbildungsangeboten<br />

für <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

• Das Beratungsangebot für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sollte ausgedehnt werden.<br />

• Informationsfluss über Fördermittel verbessern.<br />

• Kooperationen zwischen etablierten Trägern der<br />

Integrationsförderung, z.B. Wohlfahrtsverbänden<br />

oder Einrichtungen der Engagementförderung, und<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu unterstützen.<br />

• Stärkere Vernetzung zwischen etablierten Trägern<br />

und <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

• Einbeziehung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in die<br />

bestehenden Integrationsnetzwerke vor Ort und in<br />

die Entwicklung von Integrationskonzepten.<br />

Angesprochen wurden auch Möglichkeiten, die bereits<br />

bestehenden Aktivitäten zur interkulturellen<br />

Öffnung auf Seiten der Verwaltung, bei bestehenden<br />

Einrichtungen und Angebote zu stärken und eine engere<br />

Zusammenarbeit mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

hierbei zu unterstützen. Die gesellschaftliche Teilhabe<br />

von Jugendlichen und die Notwendigkeit der interkulturellen<br />

Öffnung der Jugendverbandsarbeit ist ein<br />

weiteres wichtiges Kapitel, auf das ich aber hier wegen<br />

der begrenzten Zeit nicht näher eingehen kann.<br />

III. Aktivitäten des Bundesamtes für<br />

Migration und Flüchtlinge<br />

Das Bundesamt hat bereits viele der im Integrationsprogramm<br />

entwickelten und oben exemplarisch dargestellten<br />

Empfehlungen zur Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

umgesetzt, insbesondere im Rahmen<br />

der eigenen Projektförderung, und damit den Anteil<br />

der Projekte, die von <strong>Migrantenorganisationen</strong> <strong>durch</strong>geführt<br />

wurden, in größerem Umfang erhöht.<br />

Die Projektförderung hat ihre Förderkriterien stärker<br />

interkulturell geöffnet. <strong>Migrantenorganisationen</strong> werden<br />

zukünftig insbesondere <strong>durch</strong> folgende Ansätze<br />

stärker gefördert:<br />

• Die neue Förderrichtlinie sieht eine umfassende<br />

Mitwirkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an der Integrationsförderung<br />

vor.<br />

• Das Bundesamt hat verstärkt <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

mit der Durchführung gemeinwesenorientierter<br />

Projekte beauftragt; der Projektanteil wurde<br />

bei neuen Projekten verdreifacht.<br />

• Zugleich wird vermehrt Beratung für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zur Projektkonzeption und Antragstellung<br />

angeboten, z.B. über die Regionalkoordinatoren<br />

des Bundesamtes.<br />

• Begleitung von Projekten mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

<strong>durch</strong> Evaluation.<br />

• Verstärkte Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen<br />

für <strong>Migrantenorganisationen</strong> wie etwa Multiplikatorenschulungen<br />

und inhaltliche und organisationenbezogene<br />

Qualifizierungsmaßnahmen.<br />

• Im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens<br />

zur verstärkten Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

im Rahmen der Projektförderung<br />

wurden vierzehn Modellprojekte zu verschiedenen<br />

Kooperationsformen vom Tandem- bis zum Mentoringprojekt<br />

ausgewählt. Die zweijährige Modellphase<br />

erfolgt mit fachlicher Begleitung <strong>durch</strong> zwei<br />

Experten und wird <strong>durch</strong> verschiedene Veranstaltungen<br />

und Workshops unterstützt. Am Ende soll<br />

eine Dokumentation die Erfahrungen und Handlungsempfehlungen<br />

aus diesen Kooperationsprojekten<br />

festhalten.<br />

Ausblick<br />

Die Empfehlungen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />

werden gegenwärtig abgestimmt und im<br />

Anschluss veröffentlicht. Einzelne Themen werden<br />

dann weiter vertieft und Umsetzungsprozesse angestoßen,<br />

z.B. in Form von Modellprojekten. Das Integrationsprogramm<br />

zeigt sich damit als Prozess und<br />

nicht nur eine Publikation.<br />

Das Bundesamt wird seine Zusammenarbeit und Unterstützung<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> auch in 2010<br />

weiter ausbauen. Im Jahr 2010 ist eine zweite Tagung<br />

mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Bundesamt geplant.<br />

16 BBE - Dokumentation


Dr. Thomas Röbke, Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />

Netzwerke: Konzepte und<br />

Handlungsstrategien für die Praxis<br />

Im Mittelpunkt dieser vierten Tagung des BBE zur<br />

Strukturentwicklung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

steht die Vernetzung von Kompetenzen, Ressourcen<br />

und Potenzialen. Dieses Interesse markiert eine<br />

historische Konstellation: Nach der Stärkung (zum<br />

Beispiel <strong>durch</strong> Bildung), aber auch nach sichtbar gewordenen<br />

Grenzen in der Selbstorganisation, die in<br />

den letzten Jahren diskutiert wurden, stellt sich nun<br />

die Frage, wie die eigene Initiative mit anderen kooperieren<br />

kann. Wie kann beispielsweise die prekäre<br />

Lage, in der sich viele <strong>Migrantenorganisationen</strong> personell<br />

und finanziell befinden, <strong>durch</strong> Bündelung der<br />

Kräfte entschärft werden? Wie schafft man es, sich<br />

gegenseitig zu stützen und neue Kräfte hinzu zu gewinnen?<br />

Aber es geht auch um eine politische Dimension,<br />

denn nur mit vereinten Kräften wird man sich<br />

öffentlich mehr Gehör verschaffen können. Oft genug<br />

weisen ja deutsche Politiker darauf hin, dass sie<br />

keine genügend legitimierten Ansprechpartner unter<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> haben, wenn es um Integrationspolitik<br />

geht.<br />

Ich bin kein Fachmann für Fragen der Integration.<br />

Mein Hintergrund ist das bürgerschaftliche Engagement.<br />

Als Geschäftsführer des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches<br />

Engagement Bayern sind Probleme<br />

des Netzwerkmanagements mein tägliches Brot. Ich<br />

konnte dazu viele Erfahrungen sammeln. Aber erst<br />

nach Jahren der Netzwerkarbeit habe ich mich eingehend<br />

theoretisch mit den Chancen und Risiken der<br />

Netzwerkarbeit beschäftigt und mich gefragt, was ich<br />

da eigentlich tue.<br />

Ich glaube, da bin ich nicht alleine. Das Leben und<br />

Arbeiten in Netzwerken ist heute eine weit verbreitete<br />

Praxis geworden. Wenn man aber genauer hinsieht,<br />

dann geht es einem fast so, wie es einmal Augustinus<br />

über die Zeit gesagt hat. Wenn einen niemand danach<br />

fragt, was ein Netzwerk ist, glaubt man es zu wissen.<br />

Wenn man aber ausdrücklich darauf angesprochen<br />

wird, kommt man in Verlegenheit. Was also zeichnet<br />

Netzwerke aus? Was unterscheidet sie von anderen<br />

gesellschaftlichen Organisationsformen? Was sind<br />

die Vorteile ihrer Funktionsweise, wo liegen ihre Nachteile?<br />

Was kann man tun, um sie zu steuern?<br />

Die Anwendungsgebiete des Netzwerkbegriffs sind<br />

heute geradezu uferlos: Vom technischen Netzwerk<br />

bis zum Verbrechernetzwerk reicht die Spannbreite.<br />

Mir geht vor allem um soziale und politische Netzwerke<br />

der Zivilgesellschaft, die mit starken Potenzialen<br />

des bürgerschaftlichen Engagements ausgestattet<br />

sind, sich demokratische Spielregeln geben und<br />

um eine transparente Arbeitsweise bemühen. Sie<br />

sind insofern ein besonderer Typ, als sie die privaten<br />

Sphären der Lebenswelt mit der politischen Sphäre<br />

der Öffentlichkeit und der sozialen Sphäre der Solidarität<br />

verknüpfen.<br />

Ich möchte die Aufgabe, die mir gestellt wurde, in<br />

vier Schritten angehen. Erstens möchte ich nach den<br />

allgemeinen Eigenschaften von Netzwerke fragen,<br />

um mich dann zweitens den charakteristischen Eigenschaften<br />

zivilgesellschaftlicher Netzwerke zuzuwenden.<br />

Drittens werde ich auf einige Eigenschaften<br />

und Probleme der Netzwerkarchitektur eingehen,<br />

um mich schließlich, viertens, mit den Aufgaben des<br />

Netzwerkmanagements zu beschäftigen. Ich werde<br />

immer wieder Bezüge zum inhaltlichen Thema der<br />

Integrationsförderung herstellen. Es wird aber bei Andeutungen<br />

bleiben, von denen ich hoffe, dass sie in<br />

den folgenden Diskussionen dieser Tagung aufgegriffen<br />

werden.<br />

Was sind Netzwerke?<br />

Netzwerke sollten auf Vertrauen beruhen, sie verlangten<br />

nach einer Kommunikation auf Augenhöhe<br />

und benötigten ein Management. Man sollte daher<br />

erst einmal klein anfangen, bevor man sich überfor-<br />

BBE - Dokumentation 17


Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />

dert. Netzwerke könnten neue Möglichkeiten erschließen<br />

und Zugang zu Fördertöpfen eröffnen, die bisher<br />

verschlossen blieben. Gute Netzwerkarbeit, so resümierte<br />

eine Stimme aus der Praxis, „bleibt ein Traum.<br />

Dennoch soll der Traum weitergeträumt werden.“<br />

Die Erwartungen an Netzwerkarbeit sind hoch, klar<br />

ist aber auch, dass der Aufbau und die Pflege von<br />

Netzwerken eine anspruchsvolle und zeitraubende<br />

Aufgabe sein kann, bei der Überforderung droht.<br />

Netzwerkarbeit muss man sich leisten können.<br />

Netzwerke sind in den Augen des Philosophen Hartmut<br />

Böhme „praktische Kompromisse zwischen<br />

Ordnung und Unordnung“. Das halte ich für eine<br />

sehr treffende Definition. Sie ist etwas vage, wie es<br />

Netzwerke eben so an sich haben. Netzwerke sind<br />

nicht auf dem Reißbrett ausgedacht, sondern praktische<br />

Kompromisse, die in vielerlei Hinsicht eine<br />

größere Wirksamkeit und Arbeitsfähigkeit erzielen<br />

können als konstruierte Ordnungen, die oft steif und<br />

unbeweglich sind. Netzwerke sind aber nicht völlig<br />

chaotisch, ihre Elemente weisen schon geregelte<br />

Beziehungen zueinander auf, die sich allerdings verändern<br />

können. Die Elemente eines Netzwerks bleiben<br />

beweglich, sie können ihre Position wechseln<br />

und sind nicht sehr fest gefügt. Das unterscheidet<br />

sie zum Beispiel von einer öffentlichen Verwaltung,<br />

einer Kirche oder einem Großunternehmen. Während<br />

starre Organisationsformen dazu neigen, ihre<br />

Elemente gleichzuschalten und zu homogenisieren,<br />

leben Netzwerke geradezu vom Unterschied. Ihr Lebenselixier<br />

liegt in der „Diversity“, im kreativen Unterschied<br />

der Teilelemente.<br />

Der Hinweis auf Diversity soll in diesem Zusammenhang<br />

auch auf einen Paradigmenwechsel aufmerksam<br />

machen: Der Übergang von der Leitvorstellung<br />

der Integration zur Diversity läuft nicht zufällig parallel<br />

zum Wechsel der Ordnungsvorstellungen gesellschaftlicher<br />

Organisationskulturen hin zum Netzwerk.<br />

Das Netzwerk hat kein Zentrum, an dem sich alles<br />

auszurichten hat. Es besteht aus unterschiedlichen<br />

Teilen und vielfältigen Bezugspunkten, die sich ergänzen,<br />

aber auch gegenseitig blockieren können.<br />

Netzwerke kommen ohne die Vorstellung einer Leitkultur<br />

aus, an der sie sich auszurichten haben. Sie<br />

sind multifokal. Ihre Beziehungen sind offen, aber<br />

auch wenig verpflichtend. Denken sie an soziale<br />

Netzwerke im Internet wie Facebook oder StudiVZ.<br />

Da kann sich jederzeit jemand Freunde suchen, die<br />

er nicht einmal mehr persönlich kennt.<br />

Diese Form der Unverbindlichkeit mag extrem sein,<br />

aber die meisten sozialen Netzwerke (bei Verbrechensnetzwerken<br />

wie der Mafia ist das sicher anders)<br />

zeichnen sich <strong>durch</strong> schwache Bindungen aus.<br />

Der amerikanische Netzwerkforscher Marc Granovetter<br />

sieht darin geradezu den wichtigsten Vorteil<br />

von Netzwerken. Weil die Verknüpfungen so locker<br />

sind, können sie einen viel größeren Kreis von Menschen<br />

einbeziehen. Die Stadt etwa mit ihrem fluktuierenden<br />

menschlichen Beziehungsgeflecht war<br />

deshalb immer ein bevorzugter Ort der Integration<br />

im Vergleich zu ländlichen Gebieten, deren Dörfer<br />

über Jahrhunderte von denselben Familien geprägt<br />

waren. Schwache Bindungen sind anschlussfähiger<br />

als starke emotionale oder verwandtschaftliche<br />

Beziehungen.<br />

Netzwerke sind deshalb attraktiv und breiten sich so<br />

schnell aus, weil sie den modernen Lebensformen<br />

perfekt entsprechen. Sie organisieren Vielfalt, ohne<br />

diese allzu sehr zu beschneiden. Sie stellen lose Beziehungen<br />

her, die offen sind für Neuankömmlinge<br />

und leicht zu verlassen für Kündigungswillige. Sie leben<br />

von Kommunikationsprozessen auf Augenhöhe<br />

ohne starre Hierarchien und Regelwerke. Das macht<br />

sie geschmeidig, anpassungsfähig, flexibel.<br />

Ich werde noch auf die Kehrseite dieser Eigenschaften<br />

zu sprechen kommen. Zunächst möchte ich<br />

klären, welche besonderen Merkmale Netzwerke der<br />

Zivilgesellschaft auszeichnen.<br />

Zivilgesellschaftliche Netzwerke<br />

Drei Ausprägungen zivilgesellschaftlicher Netzwerke<br />

möchte ich unterscheiden. Sie haben in der einschlägigen<br />

Literatur schon Ordnungsnummern erhalten,<br />

was meine Darstellung vereinfacht: Man spricht von<br />

primären, sekundären und tertiären Netzwerken.<br />

Primäre Netzwerke bezeichnen Netzwerke der unmittelbaren<br />

Lebenswelt: In der Nachbarschaft, im<br />

Stadtteil, im Umfeld der Freunde und Verwandten.<br />

Diese Netzwerke stehen vielfach unter enormen<br />

Druck. Auch im Bereich der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte<br />

werden die Bindungen in den Familien<br />

und der Nachbarschaft lockerer. Darüber hinaus<br />

spielen besondere Milieus eine wichtige Rolle. Sie<br />

kennen die aufschlussreiche Sinus-Studie. Hier wird<br />

sehr anschaulich dargelegt, dass wir es heute schon<br />

längst mit einer Vielzahl von Milieuzugehörigkeiten zu<br />

tun haben. (s. Abb 1)<br />

Es gibt traditionelle Milieus, die stark religiös verwurzelt<br />

sind, aber auch Modernisierungsverlierer,<br />

die von Exklusion <strong>durch</strong> die Mehrheitsgesellschaft<br />

bedroht sind. Die schlecht integrierten Milieus<br />

18 BBE - Dokumentation


Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />

Abb. 1: Die Migranten-Millieus in Deutschland 2008<br />

hoch 1<br />

mittel 2<br />

niedrig 3<br />

A 3<br />

Religiösverwurzeltes<br />

Millieu<br />

AB 3<br />

Traditionelles<br />

Arbeitermillieu<br />

16 %<br />

AB 12<br />

Statusorientiertes<br />

Millieu 12 %<br />

7% B3 Entwurzeltes<br />

Millieu 9%<br />

B 12 Intellektuellkosmopolitisches<br />

Millieu<br />

11 %<br />

B 23<br />

Adaptivesbürgerliches<br />

Millieu 16 %<br />

BC 2<br />

Multikulturelles<br />

Performermillieu<br />

13 %<br />

BC 3<br />

Hedonistischsubkulturelles<br />

Millieu 15%<br />

Soziale<br />

Lage<br />

Grundorientierung<br />

A I<br />

Vormorderne<br />

Tradition<br />

Konservativreligiös,<br />

strenge<br />

rigide Wertvorstellungen,<br />

kulturelle<br />

Enklave<br />

A II<br />

Ethnische Tradition<br />

Pflicht- und Akzeptanzwerte,<br />

materielle Sicherheit, traditionelle<br />

Moral<br />

B I<br />

Konsummaterialismus<br />

Status, Besitz, Konsum,<br />

Aufstiegsorientierung, soziale<br />

Akzeptanz und Anpassung<br />

B II<br />

Individualissierung<br />

Selbstverwirklichnung, Leistung,<br />

Genuss, bi-kulturelle Ambivalenz<br />

und Kulturkritik<br />

C<br />

Multioptionalität<br />

Postmodernes Werte-<br />

Patchwork, Sinnsuche,<br />

multikulturelle Identifikation<br />

Tradition Modernisierung Neuidentifikation<br />

Bürgerliche<br />

Migranten-Millieus<br />

Traditionsverwurzelte<br />

Migranten-Millieus<br />

Ambitionierte<br />

Migranten-Millieus<br />

Prekäre<br />

Migranten-Millieus<br />

Quelle: © Sinus Sociovision<br />

scheinen allerdings in der Minderheit, obwohl das<br />

mediale Interesse hier oft am stärksten ist. Auf der<br />

anderen Seite gibt es etwa ein sogenanntes multikulturelles<br />

Performermilieu oder ein hedonistischsubkulturelles<br />

Milieu, das sich kaum mehr von<br />

modernen Lebensstilen junger Deutscher unterscheidet.<br />

Ich denke dabei an die Filme von Fatih<br />

Akin und ihre urbane höchst lebendige Mischung.<br />

Diese Heterogenität von Milieus kann zu einem<br />

spannenden Ausgangspunkt zivilgesellschaftlicher<br />

Aktivitäten werden. Projekte wie Stadtteilmütter<br />

oder Patenschaftsprojekte, in denen gut integrierte<br />

Migrantinnen und Migranten sich um den Bildungserfolg<br />

Jugendlicher kümmern, beruhen auch darauf,<br />

das Brücken zwischen diesen verschiedenen<br />

Subkulturen entstehen. Integrationsprozesse sind<br />

ja nicht nur ein Thema zwischen Deutschen und<br />

Menschen mit Miragtionshintergrund, sondern<br />

spielen sich auch zwischen den jeweiligen Communities<br />

ab. Bürgerschaftliche Projekte können wertvolle<br />

Verbindungen schaffen.<br />

Sekundäre Netzwerke stellen weitere Ressourcen für<br />

einen gelungenen Integrationsprozess zur Verfügung.<br />

Sie umfassen professionelle und zivilgesellschaftliche<br />

Infrastrukturen, die sich unmittelbar um die jeweiligen<br />

Lebenswelten gruppieren: Das Vereinsleben am<br />

Ort, die wohnortnahe Schule oder die Kindertagesstätte,<br />

das Büro für Gemeinwesenarbeit im Stadtteil<br />

etc. Diese sekundären Netzwerke sind wichtige Anknüpfungspunkte<br />

für zivilgesellschaftliche Aktivitäten.<br />

Sekundäre Netzwerke werden sozialpolitisch häufig<br />

dort gefördert und ausgebaut, wo sich sozial benachteiligte<br />

und bildungsferne Milieus in sozialräumlichen<br />

Segregationsprozessen verfestigen. In den letzten<br />

Jahren haben sich beispielsweise viele Kindergärten<br />

und Schulen zu Familienzentren oder Community<br />

Schools erweitert. Diese Öffnung bietet für die<br />

primären Netzwerke wichtige Anlaufstellen und sorgt<br />

für den Autausch im Stadtteil. Zudem entwickeln sich<br />

wohnartnahe professionelle Unterstützungsformen<br />

wie zum Beispiel Quartiersmanagement in Gebieten<br />

der „Sozialen Stadt” oder Gemeinwesenbüros, Com-<br />

BBE - Dokumentation 19


Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />

munity Organising-Initiativen usw. Alle diese Einrichtungen<br />

haben zum Ziel, die primären Netzwerke zu<br />

stärken, indem sie sie mit Projekten und Institutionen<br />

von sekundären Netzwerken verknüpfen, sie für neue<br />

gesellschaftliche Kontakte öffnen und ein Abschotten<br />

in Parallelwelten verhindern.<br />

Tertiäre Netzwerke spielen sich darüber hinaus vor<br />

allem zwischen professionellen Akteuren ab. Das<br />

BBE ist hierfür ein gutes Beispiel. In einer immer unübersichtlicher<br />

werdenden Landschaft von Modellprogrammen<br />

und Infrastrukturen sollen diese Netzwerke<br />

für Koordination und Kooperation sorgen, aber<br />

auch Doppelarbeit vermeiden.<br />

Im BBE sind vor allem die großen nationalen Akteure<br />

aus Zivilgesellschaft, Bund, Länder,, Kommunen und<br />

Unternehmen organisiert, die sich mit bürgerschaftlichem<br />

Engagement beschäftigen. Tertiäre Netzwerke<br />

können aber auch ganz alltagsnah sein, zum Beispiel<br />

Runde Tische, in denen sich alle Akteure treffen,<br />

die mit Bildung in einem Stadtteil zu tun haben, oder<br />

Bündnisse für Familien, in denen Beratungsstellen,<br />

das Jugendamt und Unternehmen der Region gemeinsame<br />

Handlungsstrategien entwickeln.<br />

Besonders charakteristisch für die Netzwerkarbeit<br />

im zivilgesellschaftlichen Kontext ist nun, auf welche<br />

Weise die drei verschiedenen Netzwerkarten zusammenspielen.<br />

Fachleute haben dafür den Begriff des<br />

„Wohlfahrtsmixes” geprägt. Was ist damit gemeint?<br />

Nehmen wir zum Beispiel ein Patenschaftsprojekt, in<br />

dem gut integrierte Menschen mit Zuwanderungsgeschichte<br />

Jugendliche auf ihrem Weg von der Schule<br />

in die Ausbildung unterstützen. Diese Paten müssen<br />

sich in der unmittelbaren Lebenswelt der Jugendlichen<br />

bewegen können. Sie sollen Brücken schlagen<br />

zwischen den verschiedenen Migrantenmilieus und<br />

zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Vor allem<br />

sollen sie gute Kontakte zu professionellen Stellen<br />

wie Schulen, dem örtlichen Jobcenter, Werkstätten<br />

des zweiten Arbeitsmarktes etc. haben. Das ist natürlich<br />

für ehrenamtliche Paten sehr viel verlangt. Deshalb<br />

müssen sie umgekehrt wieder <strong>durch</strong> sekundäre<br />

und tertiäre Netzwerke unterstützt werden, die ihnen<br />

Türen öffnen und Kontakte erleichtern. Zum Beispiel<br />

eine Freiwilligenagentur oder <strong>durch</strong> den lokalen Verband<br />

der türkischen Unternehmer.<br />

Erst diese Verschränkung der Ebenen macht das<br />

volle Potenzial zivilgesellschaftlicher Netzwerkarbeit<br />

sichtbar. Alle Netzwerke sollen untereinander offen<br />

und anschlussfähig sein. Wenn sich beipielsweise ein<br />

lebendiges primäres Netzwerk in einem Kiez bildet,<br />

dann ist es die Kunst der sozialpolitischen Steuerung,<br />

gerade dieses zu stärken und keine neuen Parallelstrukturen<br />

aufzubauen. Dass da viel schief gehen<br />

und auch Geld verschleudert werden kann, wenn<br />

man dies nicht beherzigt, habe ich in den letzten Jahren<br />

oft beobachten können. Da gab es besonders<br />

geschickte Träger, die <strong>durch</strong> ihre guten Kontakte in<br />

den professionellen, tertiären Netzwerken enorme<br />

Fördersummen erhalten haben. Die wurden dann<br />

dafür eingesetzt, neue Hilfestrukturen im Kiez aufzubauen,<br />

statt schon auf die bewährten Netzwerke<br />

zurückzugreifen. Eine wichtige Schlussfolgerung<br />

aus diesen Erfahrungen wäre es, wenn man schon<br />

bei der Auswahl der Träger von Projekten und Programmen<br />

zur Auflage macht, dass lebensweltnahe<br />

Akteure einbezogen sein müssen. Ich finde daher die<br />

auf dieser Tagung oft gehörte Forderung sehr gut, bei<br />

Förderungen im Migrationsbereich immer auch eine<br />

Migrantenorganisation als Tandempartner im Boot zu<br />

haben. Wir haben im Landesnetzwerk eine bewährte<br />

Projektpartnerschaft mit der Arbeitsgemeinschaft der<br />

Ausländerbeiräte in Bayern (AGABY). Das Projekt<br />

„gemeinsam engagiert“ funktioniert deshalb gut, weil<br />

es die unterschiedlichen Sichtweisen und Zugänge<br />

der beiden Projektpartner mit einem gemeinsam definierten<br />

Ziel kombiniert. „gemeinsam engagiert“ wird<br />

ja im Rahmen dieser Tagung vorgestellt, so muss ich<br />

hier nicht näher darauf eingehen.<br />

Eigenschaften und Probleme<br />

Derartige paritätische Trägerschaften sind die absolute<br />

Ausnahme. Die Erfahrung mit der Förderpolitik ist<br />

meist eine andere und zeigt, dass auch in Netzwerken<br />

nicht alles Gold ist, was glänzt. Oft geht es um<br />

Macht. Aus Netzwerken können Klüngel werden, die<br />

gerade jene ausschließen, die mit schwacher Stimme<br />

sprechen. Und hierzu gehören leider bisher die Menschen<br />

mit Zuwanderungsgeschichte. Zu einer „nachholenden<br />

Integrationspolitik“ muss es daher nicht nur<br />

gehören, den Professionalisierungsgrad der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zu erhöhen, sondern ihnen auch<br />

den Eintritt in die wichtigen sekundären und tertiären<br />

Netzwerke zu ermöglichen.<br />

Netzwerke sind im Kontext der zivilgesellschaftlichen<br />

Entwicklung zu mehr Demokratie und Beteiligung<br />

nicht per se die gleichsam natürliche Organisationsform.<br />

Sie haben gute und schlechte Eigenschaften:<br />

Geschwindigkeit und Flexibilität<br />

Ob Netzwerke in ihren Wirkungen so erfolgreich sind,<br />

wie es ihre rasante Verbreitung nahe legt, ist nicht<br />

leicht abzuschätzen. Netzwerke haben einen hohen<br />

Abstimmungs- und Pflegebedarf, der mit der Zahl<br />

20 BBE - Dokumentation


Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />

der Akteure zunimmt. Zwar können sie Informationen<br />

schnell übermitteln, doch ihre multifokale Struktur mit<br />

flachen Hierarchien führt häufig zu einem enormen<br />

Diskussions- und Rückkopplungsaufwand, wenn es<br />

um Entscheidungen geht.<br />

Verbindungen<br />

Im Zentrum der Netzwerkarchitektur steht die Qualität<br />

der Verbindungen. Schwache Beziehungen erlauben<br />

es im Prinzip, in Kontakt zu einer viel größeren Menge<br />

von Partnern zu treten, als es enge, aber zeitraubende<br />

Verpflichtungen oder Freundschaften zulassen.<br />

Andererseits beruhen Netzwerke auf Vertrauen.<br />

Wie aber sollen wir jemandem Vertrauen schenken,<br />

den wir nur flüchtig kennen?<br />

Zugänge<br />

Netzwerke verbinden. Sie können aber auch trennen.<br />

Bürgerschaftliche Netzwerke bieten einerseits die<br />

Aussicht auf einen niedrigschwelligen Zugang zum<br />

gesellschaftlichen Leben. Diese Funktion wird umso<br />

wichtiger, je weiter sich unsere Gesellschaft individualisiert.<br />

Zugleich können starke Binnenbeziehungen<br />

in Netzwerken aber auch zum Ausschluss einzelner<br />

Gruppen und Milieus führen.<br />

Kopplungen<br />

Netzwerke leben als freiwillige Zusammenschlüsse<br />

von den Zielen, die sie sich setzen. Wenn es sich<br />

um professionelle Partner handelt, die, jeder für sich,<br />

ein strategisches Interesse am Netzwerk formulieren,<br />

ist dieses Spiel zwischen Sonderinteressen und<br />

Netzwerkzielen nicht unproblematisch. Immer wieder<br />

kommt es zu Vereinnahmungen von Interessen. Auf<br />

dieser tertiären Ebene des bürgerschaftlichen Engagements<br />

agieren beispielsweise Wohlfahrtsverbände<br />

oder Unternehmen, Bildungseinrichtungen oder Beratungsdienste.<br />

Ihnen ist ein professionelles Verständnis<br />

ihrer Arbeit selbstverständlich und sie können die<br />

Schnittstellen, die sie mit dem Netzwerk gemeinsam<br />

haben, genau definieren. Es kann dann aber auch<br />

geschehen, dass die professionelle Handlungslogik<br />

Netzwerke überformt und instrumentalisiert.<br />

Aufgaben des Netzwerkmanagements<br />

Damit sind schon viele Bruchstellen und Ambivalenzen<br />

benannt, die ein Netzwerkmanagement im<br />

Bereich des bürgerschaftlichen Engagements zu<br />

bearbeiten hat. Es muss versuchen, Machtungleichgewichte<br />

auszugleichen. Ich glaube, das Netzwerkmanagement<br />

leicht gegen den Strom steuern muss,<br />

um gerade jene Augenhöhe herzustellen, die nicht<br />

selbstverständlich ist. Ein zweites Prinzip sehe ich in<br />

der Aufgabe, Vielfalt zu organisieren. Im Bereich der<br />

Integrationsarbeit gibt es den Begriff des Diversity-<br />

Managements. Wie kann es gelingen, eine Kooperation<br />

unterschiedlicher Kulturen zu erreichen, obwohl<br />

oder besser: gerade weil diese so unterschiedlich<br />

sind? Ich möchte die zugrunde liegende Steuerungsphilosophie<br />

als Suche nach Synergien bezeichnen.<br />

Obwohl dieses Wort schon ziemlich abgenutzt ist<br />

– jede Firma, die eine andere schluckt, spricht von<br />

Synergie, ist die damit gemeinte Praxis eher selten<br />

anzutreffen. Aus den Unterschieden Funken schlagen,<br />

Spaß an der Vielfalt haben ist anstrengend, aber<br />

kann meines Erachtens zu Resultaten führen, die völlig<br />

überraschend, ja beglückend sein können.<br />

Netzwerkmanager sollten diese Aufgaben verfolgen,<br />

indem sie<br />

1. die Selbstorganisationspotenziale der primären<br />

Netzwerke um Familie, Nachbarschaft und bürgerschaftliches<br />

Engagement stärken und dafür<br />

sorgen, dass sie im politischen Raum der Öffentlichkeit<br />

Gehör finden;<br />

2. die Abschließung von Netzwerken aufbrechen und<br />

soziale Kreise für Prozesse der gesellschaftlichen<br />

Kooperation und Koproduktion begeistern;<br />

3. den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements<br />

gegenüber Versuchen professioneller Rationalisierung<br />

bewahren;<br />

4. Netzwerke von professionellen Partnern auf eine<br />

behutsame Zusammenarbeit mit bürgerschaftlich<br />

organisierten Netzwerken vorbereiten;<br />

5. bürgerschaftliche Netzwerke als Korrektiv der Pathologien<br />

professioneller Dienste und Organisationen<br />

zur Geltung bringen;<br />

6. Plattformen der Begegnung zivilgesellschaftlicher,<br />

wirtschaftlicher und politischer Akteure schaffen;<br />

7. sich um die Evaluation der Netzwerkarbeit kümmern<br />

und den Netzwerkpartnern die Chancen, die<br />

ihr Einsatz bietet, bewusst machen.<br />

Dies ist ein anspruchsvolles Aufgabenprofil. Netzwerkarbeit<br />

muss man sich leisten können. Ich denke,<br />

man sollte sich nicht entmutigen lassen und vielleicht<br />

erst einmal klein anfangen. Aber man steht auch<br />

nicht am Anfang. Diese Tagung zeigt, dass man auf<br />

dem Weg der Vernetzung schon ein gutes Stück vorangekommen<br />

ist. Es wird darauf ankommen, diese<br />

Ausgangsposition in den kommenden Jahren auszubauen.<br />

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht,<br />

seitdem auch große Institutionen wie das BAMF die<br />

Notwendigkeit der Förderung von Netzwerkarbeit erkannt<br />

haben.<br />

BBE - Dokumentation 21


World Café<br />

An die Plenumsvorträge schloss sich ein World-Cafe<br />

an. Dabei tauschten sich die Teilnehmenden über<br />

ihre Erfahrungen mit den Chancen und Grenzen von<br />

Netzwerken aus.<br />

Protokolle der Thementische zur<br />

interkulturellen Öffnung mit MO<br />

Thementisch 1<br />

Die Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> hat angefangen<br />

und ist nicht mehr zu stoppen. Obwohl solche<br />

Entwicklungen und Vernetzungen neue Chancen<br />

für MO eröffnen, haben sie auch mit Grenzen zu tun.<br />

Die Netzwerke sollen gepflegt werden, die Regeln sollen<br />

erstellt und eingehalten werden. Netzwerkarbeit<br />

braucht Zeit und Mühe. Zusammen etwas zu bewegen<br />

wirkt besser, beansprucht jedoch mehr Kraft und Zeit.<br />

Unter dem Aspekt „Interkulturelle Öffnung mit MO“<br />

wurde das Thema diskutiert und wir haben versucht<br />

gemeinsam unsere Anliegen zum Thema darzustellen.<br />

Welche Bedeutung / Welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für MO?<br />

Zu dem Thema wurden folgende Punkte bei dem<br />

World-Cafe gesammelt:<br />

• Ein gemeinsames Auftreten von MO wird zur Durchsetzung<br />

der politischen Rechten (führen).<br />

• MO verfügen über Experten-Wissen, die im Netzwerk<br />

sichtbar werden können.<br />

• MO fehlen in der Regel die Infrastrukturen und materiellen<br />

Ressourcen. Durch Netzwerke können sie<br />

diese erreichen.<br />

• Das Engagement von MO, Bildung und ihre Ausdauer<br />

könnte in den Netzwerken trotz fehlender<br />

materieller Ressourcen der MO nützlich sein.<br />

• Bei einer gelungenen Netzwerkarbeit mit MO sollte<br />

Rücksicht auf die spezifischen Bedürfnisse des<br />

Ehrenamts genommen werden, weil MO meistens<br />

<strong>durch</strong> ehrenamtliche Arbeit funktionieren.<br />

Die Themen Kooperationen und Erfahrungsaustausch<br />

wurden besonders intensiv diskutierten:<br />

• Alle MO möchten „Partnerschaften auf gleicher<br />

Augenhöhe“, ernst genommen und nicht einfach<br />

ausgenutzt werden, dieses könnte <strong>durch</strong> Netzwerke<br />

erreicht werden.<br />

• Erfahrungsaustausch kann zum Erfolg der anderen<br />

beitragen.<br />

Netzwerke von MO sind ein Knotenpunkt für die Vermittlung<br />

von Kooperationspartnern:<br />

• Sie verfügen über Kontakte zu den Zielgruppen für<br />

die Durchführung von Projekten.<br />

• Durch MO könnten die Partner zum Erfolg kommen<br />

• Durch starke Partner können MO unterstützt werden,<br />

aber auch unterdrückt werden.<br />

• Die gegenseitige Unterstützung bei den Kooperationen<br />

ist sehr wichtig.<br />

Trotz der positiven Wirkungen von Netzwerken von<br />

MO gibt es auch Schwierigkeiten oder Grenzen. Aus<br />

der Perspektive der MO wurden folgende Punkte zur<br />

Sprache gebracht:<br />

• Verbände wollen mit MO zusammen arbeiten, jedoch<br />

sehen sie die Ausdauer der MO nicht.<br />

• Vorurteile und Ängste bestehen auf allen Seiten<br />

• MO haben Finanzknappheit.<br />

• MO sehen eine Überforderung in Bezug auf zeitliche<br />

und persönliche Kompetenzen, weil sie in der<br />

Regel alles ehrenamtlich machen: Tagsüber Arbeit<br />

zum Überleben, am Abend oder an den Wochenenden<br />

ehrenamtliche Vereinsarbeit. Regeleinrich-<br />

22 BBE - Dokumentation


World Café<br />

tungen sind dagegen in der Woche geöffnet.<br />

• MO werden als Konkurrenten wahrgenommen.<br />

• MO konkurrieren untereinander.<br />

• Mangelnde Anerkennung von MO mit ihren Fähigkeiten.<br />

• Ausnutzung von MO: Nach einer Kooperation werden<br />

die Mitglieder von den Etablierten genommen<br />

• Informationsdefizite.<br />

• Schulungsdefizite von Lehrerinnen hinsichtlich interkultureller<br />

Kompetenz.<br />

• Fremdbestimmung.<br />

• Vertretungsansprüche ( z.B. von den Personenkreisen<br />

und Einrichtungen, die nicht Sinti und Roma<br />

Gruppen angehören).<br />

• Wissensdefizite über die Fördermöglichkeiten bei MO.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

dazu beitragen?<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> brauchen auf jeden Fall für<br />

eine Netzwerkbildung finanzielle und zeitliche Ressourcen.<br />

Darüber hinaus sind folgende Aspekte von<br />

Bedeutung:<br />

• Interkulturelle Öffnung bedeutet Dialog bzw. Toleranz<br />

(das Wort Toleranz wurde von den einigen<br />

Teilnehmerinnen kritisiert, ich toleriere dich?!!).<br />

• Während einige Teilnehmerinnen ihre Beiträge<br />

nicht auf den Begriff „Kultur“ reduzieren wollten,<br />

sind bei den anderen (z.B. einer Teilnehmerin aus<br />

China) solche Themen sehr wichtig. Sie möchten<br />

die kulturelle Vielfalt nicht versteckt halten, sondern<br />

präsentieren, um ihre alte Kultur den hier Lebenden<br />

nahe zu bringen. Damit wird verdeutlicht, dass auch<br />

andere Kulturen alte Traditionen haben.<br />

• Bisher haben die unterschiedlichen Kulturen in der<br />

Nische gelebt, sie sollen künftig in der „Hauptbühne“<br />

ihren Platz bekommen.<br />

• Ressourcen von MO sind zu würdigen und sollten<br />

anerkannt werden.<br />

Fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich<br />

einig, dass die interkulturelle Öffnung nicht nur im<br />

Felde der „Kultur“, sondern auf allen gesellschaftlichen<br />

Ebenen stattfinden sollte. Der interkulturellen Öffnung<br />

der Verwaltung wurde besonderen Wert gelegt.<br />

Abschließend ist zu sagen, dass sich auch die MO<br />

im Prozess der Netzwerkbildung interkulturelle öffnen<br />

müssen. Obwohl einige Vereine bei der Öffnung soweit<br />

sind, fangen die anderen erst mit der Gründung<br />

der Rheinethnischen Organisationen an.<br />

Protokoll: Nilgün Kamalak, Interkulturelles Migrantinnenzentrum<br />

IMAZ e.V.<br />

BBE - Dokumentation 23


World Café<br />

Thementisch 2<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für Mo?<br />

• Netzwerke können zu Tandemprojekte führen, dass<br />

wiederum wäre für eine kleinere Organisation sehr<br />

gut.<br />

• MO können sich <strong>durch</strong> Netzwerke qualifizieren.<br />

• Netzwerke sind wichtige Informationsplattformen &<br />

Türöffner.<br />

• Netzwerke stärken die Positionen der Einzelmaßnahmen<br />

von MO und fördern Empowerment.<br />

• Gemeinsame Projekte im Rahmen des Netzwerkes<br />

erhöhen die Chancen Fördermittel zu bekommen<br />

• Netzwerke erhöhen die Chancen, dass sich MO als<br />

Akteure in der Kommune und sozialräumlich beteiligen<br />

können.<br />

• Der Beteiligung von MO in Netzwerke kann für die<br />

Interkulturelle Öffnung in der Kommune sorgen<br />

• Der Bekanntheitsgrad der MO könnte sich <strong>durch</strong> ein<br />

Netzwerk erhöhen.<br />

• Kleinere MO könnten <strong>durch</strong> die Beteiligung an einen<br />

Netzwerk aktiviert werden und Migranten könnten<br />

da<strong>durch</strong> zur aktiven gesellschaftlichen Partizipation<br />

ermutigt werden.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />

• Fehlende Augenhöhe gegenüber MO.<br />

• Missbrauch der MO für eigene Zwecke.<br />

• Fehlende Kenntnisse und Politische Erfahrung der<br />

MO.<br />

• Mangel an Toleranz gegenüber den MO.<br />

• Gruppenspezifische Dynamik im Netzwerk bzw. in<br />

MO kann als hemmender Faktor oder Schwierigkeit<br />

bei Vernetzungsversuchen wirken.<br />

• Mangelnde Zeit der Aktiven Akteure in MO.<br />

• <strong>durch</strong> die Beteiligung an einen Netzwerk könnte die<br />

Einschränkung der Unabhängigkeit als negativer<br />

Nebeneffekt für die MO zustande kommen.<br />

• Persönliche Kapazitäten der MO können begrenzt<br />

sein.<br />

• Blockierung der Eigenverantwortlichkeiten/ Selbstengagement<br />

könnte <strong>durch</strong> die Beteiligung an einem<br />

Netzwerk zustande kommen.<br />

• Die Größe der MO.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

beitragen?<br />

• Die beiderseitigen Wunschpartner zu finden.<br />

• Gemeinsame Interessenlagen heraus finden.<br />

• Netzwerkmanagement ist eine wichtige Tool für<br />

Netzwerkbildung.<br />

• Eigenengagement ist förderlich.<br />

• Annerkennung der Leistungen von MO.<br />

• Authentizität und Kontakte zur „Communities“.<br />

• Transnationale Netzwerke unterstützen.<br />

• Strukturelle und finanzielle Unterstützung.<br />

• Gemeinsames Ziel: demokratischen Repräsentation<br />

der Betroffenen.<br />

• Vielfalt von vorhandenen Erfahrungen und Wissen<br />

aus den Heimatländen der Akteure der MO.<br />

Protokoll: Philip Egbune, Integrationsbeirat Nordhausen<br />

und stellvertretender Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />

und Integrationsrates<br />

Thementisch 3<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für MO?<br />

Zur Eingrenzung des weiten Themenspektrum „Interkulturelle<br />

Öffnung“ haben die Teilnehmer/innen in der<br />

ersten Runde das Augenmerk auf den Bereich des<br />

Vereinswesens und seiner gesellschaftlichen Bedeutung<br />

gelegt. Ausgehend von der Frage nach der oder<br />

den Zielgruppe/n von interkulturellen Öffnungsprozessen,<br />

kamen die Teilnehmer/innen schnell auf das<br />

Vereinswesen zu sprechen.<br />

Einigkeit herrschte darin, dass Prozesse von ikÖ gemeinsam<br />

gestaltet werden müssen, das Nebeneinander<br />

von sog. „deutschen Vereinen“ und Migranten-Organisationen<br />

sei nicht zielführend. Beispielhaft für die<br />

aktuelle Lage der Migranten-Organisationen wurde<br />

der Mitgliederschwund bzw. Mangel an Nachwuchs<br />

angeführt. Jedoch müssten umfassende Strategien<br />

entwickelt werden, diese Entwicklung umzukehren,<br />

bloße Mitgliederwerbung reiche hier nicht aus, es<br />

müssten auch entsprechende Angebote entwickelt<br />

werden.<br />

An diesem Punkt findet sich auch die Anknüpfung<br />

zur Kooperation mit den „deutschen Vereinen“, deren<br />

Erfahrung, Angebotsspektrum und Vernetzungsgrad<br />

sicherlich gewinnbringend auch für Migranten-Organisationen<br />

genutzt werden könnte.<br />

Allerdings, und dies war einhelliger Konsens, bestünden<br />

noch immer große Hürden in Bezug auf Kontakt<br />

und Zusammenarbeit mit „deutschen Vereinen“ bzw.<br />

auf die optimale Nutzung der Strukturen und Ressourcen<br />

im Vereinswesen. Offene Fragen zum Ende<br />

dieser Runde waren:<br />

24 BBE - Dokumentation


World Café<br />

• Worin bestehen diese Hürden?<br />

• Wie können gemeinsame Interessen gefunden und<br />

gefördert werden?<br />

• Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />

Zentraler Aspekt bei der Benennung von Schwierigkeiten<br />

und Grenzen ist die in vielerlei Hinsicht eingeschränkte<br />

Möglichkeit, mit rein ehrenamtlichen Strukturen<br />

zunehmend professionelleren Ansprüchen<br />

genügen zu können. Die in der Arbeit von Migranten-<br />

Organisationen noch sehr geringen Anteile hauptamtlich<br />

Beschäftigter (im Vergleich zu deutschen<br />

Vereinen und ihren Verbänden) bedeuten noch immer<br />

längere Wege und Zeiten sowie geringere Chancen<br />

bei der Verteilung vorhandener Ressourcen. Dies ist<br />

insbesondere auch deshalb von großer Bedeutung,<br />

als Netzwerkarbeit immer einen zusätzlichen Aufwand<br />

personeller und anderer Ressourcen erfordert.<br />

Von Seiten der (ehrenamtlich organisierten) Migranten-Organisationen<br />

ist eine Hürde in der Kommunikation<br />

zu sehen, womit am Thementisch aber nicht<br />

unbedingt die Sprache gemeint war. Es sei vielmehr<br />

schwierig, den Zugang zu den entscheidenden Akteuren<br />

zu finden, mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren<br />

sowie die gemeinsamen Interessen und Anliegen<br />

finden zu können. Ungleich verteilte Ressourcen<br />

wie Macht und Geld stehen einer „fairen“ Zusammenarbeit<br />

entgegen. Kooperation und Vernetzung setzen<br />

gelingende Kommunikation voraus. Nur so können<br />

tatsächlich Win-Win-Situationen hergestellt werden.<br />

Weitere Schwierigkeiten stellen auch die noch immer<br />

nicht ausreichende Qualifizierung vieler Migranten-<br />

Vereine sowie der generelle Mangel an Informationen<br />

(auf beiden Seiten) dar.<br />

Eine offene Frage blieb in dieser Runde, ob Vernetzung<br />

und Kooperation zwischen Migranten-Organisationen<br />

und „deutschen Vereinen“ grundsätzlich als<br />

Beitrag zur Interkulturellen Öffnung zu verstehen sei,<br />

oder ob dafür weitere Voraussetzungen erfüllt werden<br />

müssen.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

beitragen?<br />

Der hohe Anspruch an Netzwerke und gute Kooperationen,<br />

vielleicht sogar als Bedingung für Prozesse<br />

der interkulturellen Öffnung, kann vielerorts<br />

noch gar nicht erfüllt werden, weil weitaus grundlegendere<br />

Voraussetzungen noch nicht bestehen.<br />

Am Thementisch wird diskutiert, wie wichtig es ist,<br />

überhaupt erst einmal Kontakte herzustellen, zu den<br />

„deutschen Vereinen“. Dies sei auch im Zusammenhang<br />

zu sehen mit einem (offenen) Abgleich der jeweiligen<br />

Interessen.<br />

Selbstkritisch wird angemerkt, dass auch Migranten-<br />

Organisationen und ihre Strukturen nicht immer einfach<br />

und für andere verständlich seien. Hier sei man<br />

gefragt, die eigenen Akteure ebenfalls „sichtbar“ zu<br />

machen. Dies sei möglich <strong>durch</strong> öffentlichkeitswirksame<br />

Aktionen, wie beispielsweise beim Jugendschachturnier<br />

in Saarbrücken, das vom Verein „Russisches<br />

Haus“ in Kooperation mit anderen Vereinen<br />

<strong>durch</strong>geführt wurde.<br />

Ein weiteres Beispiel wurde aus Nordhausen genannt.<br />

Dort wurde ein „Rat für Migranten-Organisationen“<br />

gebildet, um gemeinsame Interessen finden<br />

und artikulieren zu können, ihnen mehr Gewicht zu<br />

geben und auf „einen gemeinsamen Nenner mit der<br />

Mehrheitsgesellschaft“ zu kommen. Aus Germersheim<br />

in der Pfalz kommt ein drittes Beispiel. Dort hat<br />

der Arbeitskreis türkischer Vereine damit begonnen,<br />

ganz konkrete und in der deutschen Gesellschaft traditionell<br />

verankerte Hilfe- und Serviceangebote zu<br />

machen, wie beispielsweise einen Tag zum Blutspendedienst<br />

zu organisieren und <strong>durch</strong>zuführen.<br />

Protokoll: Hans-Peter Wilka, AGARP<br />

Thementisch 4<br />

Welche Bedeutung haben Netzwerke für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

Die Diskussion drehte sich darum, dass MO Abschottungstendenzen<br />

aufweisen. Daher waren einige TN<br />

der Ansicht, die Vernetzung mit bzw. Öffnung zu anderen<br />

MO, kommunalen Einrichtungen sowie dt. Organisationen<br />

könnten zur Integration beitragen und<br />

diese fördern.<br />

• MO weisen Abschottungstendenzen auf.<br />

• MO sollten sich stärker untereinander vernetzen: 1.<br />

Stufe interkulturelle Vernetzung der MO untereinander;<br />

2. Stufe interkulturelle Vernetzung mit Regelsystemen:<br />

Voraussetzung interkulturelle Öffnung der MO.<br />

• Durch Netzwerke können MO sich anderen MO und<br />

dt. Organisationen öffnen. Das kann integrationsförderlich<br />

sein für Migrantinnen und Migranten aber<br />

auch für Deutsche, <strong>durch</strong> Annäherung, Begegnung,<br />

Informationsaustausch Entwicklung gemeinsamer<br />

Ideen und Visionen.<br />

• Einbeziehung von MO in die Arbeit/Themenfelder<br />

der dt. Einrichtungen/ Vereine/Verbände, um deren<br />

BBE - Dokumentation 25


World Café<br />

Rat/Unterstützung/Interessenslagen und Bedürfnisse<br />

einzubeziehen. Hierfür könnten MO und kommunale<br />

Verwaltungen jährlich ein gemeinsames<br />

(Arbeits-) treffen für die kommunale Integrationsarbeit<br />

organisieren und <strong>durch</strong>führen, damit die Belange<br />

von MO und Migrant/innen Berücksichtigung<br />

finden.<br />

• Partizipation an Informationen über Förderstrukturen<br />

/ -kriterien und Aufbau eines Unterstützernetzwerkes.<br />

Darüber hinaus sind jedoch Netzwerke für MO überaus<br />

wichtig, um an Informationen über strukturelle,<br />

rechtliche, finanzielle Rahmenbedingungen zu gelangen<br />

zur Professionalisierung ihrer eigenen Arbeitspraxis<br />

und Stabilisierung ihrer Organisationsstrukturen<br />

(vgl. LJR NRW, Integration <strong>durch</strong> Partizipation<br />

–Interkulturelle Öffnung von Jugendringen und Jugendverbänden<br />

in NRW - Bericht zum Zwischenstand<br />

im Projekt Ö). Zum anderen können MO bzw.<br />

Migrant/innen <strong>durch</strong> Vernetzung ihre Perspektive in<br />

Arbeits-/ Organisations- / Planungsprozesse der Regelsysteme,<br />

wie Politik, Verwaltung, Wirtschaft und<br />

Non-Profit Organisationen u.a. einbringen und somit<br />

wesentlich zur Integration beitragen (Anmerkung<br />

Marissa Turaç).<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der<br />

Vernetzung kennen Sie aus der Perspektive<br />

von MO?<br />

• Der Wegfall von Netzwerken <strong>durch</strong> fehlende Nachhaltigkeit<br />

von Projekten, Wegfall von Brückenbauern<br />

/ Netzwerkträgern.<br />

• Fehlende hauptamtliche Ansprechpartner! Arbeit<br />

von MO beruht meist auf ehrenamtlicher Basis,<br />

das bedeutet fehlende personelle, finanzielle und<br />

zeitliche Ressourcen nicht nur auf lokaler Ebene.<br />

Netzwerkarbeit ist zeit-, personal- und finanzintensiv!<br />

• Wechselnde / fehlende kontinuierliche Ansprechpartner<br />

auf Seiten der MO und der Regelsysteme.<br />

• Die „richtigen“ Netzwerkpartner finden, welche mit<br />

Einfluss und Entscheidungsbefugnis, um die eigenen<br />

Interessen und die Stärkung der Selbstorganisation<br />

voranzubringen (Zielsetzung, Priorität) und<br />

Zeitverlust <strong>durch</strong> falsche Netzwerkpartner (ohne<br />

Einfluss).<br />

• Organisationen/Einrichtungen brauchen Zeit, um<br />

sich interkulturell zu öffnen und zu wandeln, daher<br />

sollten MO Geduld und Beharrlichkeit mitbringen/<br />

haben.<br />

• Divergierende Interessen müssen thematisiert<br />

werden, Hemmschwellen auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft<br />

müssen überwunden werden,<br />

genauso das Machtgefälle und die Funktionalisierung<br />

von MO bzw. Migrant/innen / Interessenskonflikte.<br />

MO brauchen finanzielle und personelle Ressourcen,<br />

um in Prozessen interkultureller Öffnung ihre Interessen<br />

einzubringen und nicht nur von Organisationen<br />

der Mehrheitsgesellschaft als „Türöffner zu der Zielgruppe<br />

der Migrant/innen missbraucht zu werden“ (O-<br />

Ton eines Teilnehmers / einer Teilnehmerin).<br />

Was brauchen Migrantenorgnisationen für<br />

eine gelingende Netzwerkbildung und was<br />

können sie aus eigener Kraft beitragen?<br />

• MO können Konferenzen / Tagungen für Netzwerkbildungen<br />

nutzen.<br />

• Hauptamtliches Personal ist notwendig, um kontinuierliche<br />

Ansprechpartner zur Pflege von Kontakten,<br />

Aufbau einer breitenwirksamen Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu stellen, dafür müssten finanzielle Ressourcen<br />

zur Verfügung gestellt werden.<br />

• Es bedarf einer Vergütung von Aufwandsentschädigungen<br />

z.B. Reise-, Übernachtungskosten.<br />

• Die interkulturelle Öffnung der Regelsysteme, Abbau<br />

von Hemmschwellen, Beteiligung von MO,<br />

Kooperation mit MO auf gleicher Augenhöhe ist<br />

notwendig.<br />

• Es gilt auch, eigene Interessen und Bedürfnisse<br />

einbringen, sich selbst interkulturell öffnen, auf Regelsysteme<br />

und MO unterschiedlicher Herkunft zu<br />

zugehen und kooperieren.<br />

• Notwendig ist auch das Aufdecken unterschiedlicher<br />

Interessen in interkulturellen Öffnungsprozessen<br />

und Kooperationen, das Finden geeigneter<br />

Kooperationspartner, das Vermeiden von Konkurrenzen<br />

(Stichwort Mittelvergabe) und eine „ehrliche<br />

Kooperationsarbeit“ (Stichworte: Alibifunktion - Verdacht<br />

des Missbrauchs als Türöffner).<br />

• Dazu sollten die Bedingungen und der Nutzen<br />

klar formuliert werden, intensiv eigene, vorhandene<br />

Netzwerke genutzt werden und die MO brauchen<br />

fachlich kompetentes und gut ausgebildetes<br />

Personal.<br />

Aus Sicht eines deutschen Teilnehmers wurde die<br />

fehlende Übersicht über MO als Hürde bemängelt.<br />

Hier bedarf es einer Beratung über vorhandene Zugänge<br />

zu MO!<br />

Protokoll: Marissa Turaç, Projektleiterin im LJR NRW<br />

zur Interkulturellen Öffnung der verbandlichen Jugendarbeit<br />

26 BBE - Dokumentation


World Café<br />

Thementisch 5<br />

An diesem Thementisch stellte sich zunächst der Bedarf<br />

nach einer Begriffsbestimmung. So wurde die<br />

Frage „Was impliziert eigentlich der Begriff interkulturelle<br />

Öffnung“ sehr lebhaft diskutiert. Summarisch<br />

wurden folgende Aussagen festgehalten:<br />

• Der Begriff „Interkulturelle Öffnung“ soll selbstverständlich<br />

sein.<br />

• Durch den Begriff findet ein fortschreitender Wandel<br />

der Gesellschaft statt.<br />

• Eine gleichzeitige Wahrnehmung und Akzeptanz<br />

von Zuwanderung und Migration ist unabdingbar<br />

für die interkulturelle Öffnung.<br />

• Interkulturelle Öffnung muss als gemeinsamer Prozess<br />

verstanden werden.<br />

• Ein Migrationshintergrund impliziert nicht automatisch<br />

interkulturelle Kompetenz und Öffnung.<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für MO?<br />

Gerade im Bezug auf die interkulturelle Öffnung<br />

der MO spielen Netzwerke eine sehr bedeutsame<br />

Rolle:<br />

• Die Netzwerke sollen als eine Art „Plattform“ für<br />

gegenseitigen Austausch von Wissen dienen.<br />

• Durch die Kooperation mit anderen MO und Organisationen<br />

der Mehrheitsgesellschaft lassen sich<br />

neue Zugänge zur verschiedenen Zielgruppen erarbeiten.<br />

• Mit Hilfe der Netzwerke lassen sich wichtige Netzwerkpartnerschaften<br />

aufbauen und neue Arbeitsinhalte<br />

weiterentwickeln.<br />

• Die Öffentlichkeitsarbeit soll zur besseren Vernetzung<br />

dienen (MO führen in der Regel keine aktive<br />

Öffentlichkeitsarbeit <strong>durch</strong>).<br />

• Die Netzwerkarbeit kann <strong>durch</strong> gemeinsame Veranstaltungen<br />

und Begegnungen besser gefördert<br />

werden („lockerer Rahmen“).<br />

• Die Netzwerkpartner (MO und Organisationen der<br />

Mehrheitsgesellschaft) sollen sich auf gleicher<br />

Augenhöhe begegnen.<br />

• Gute Netzwerke können und sollen eine Brückenfunktion<br />

erfüllen.<br />

• Durch die Netzwerkarbeit entwickeln sich verschiedene<br />

Einwirkungsmöglichkeiten auf Entscheidungsträger<br />

z.B. in Politik und Verwaltung (Zugangswege<br />

zu den Entscheidungsträgern werden erleichtert).<br />

• Durch Netzwerke können neue Ideen entstehen<br />

und auf die Beine gestellt werden (z.B. können<br />

neue Kooperationspartner für gemeinsame Projekte<br />

gefunden werden)..<br />

BBE - Dokumentation 27


World Café<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />

• Umgang mit Konkurrenz (MO untereinander und<br />

gegenüber der Organisationen der Mehrheitsgesellschaft).<br />

• Aufgrund überwiegend ehrenamtlicher Strukturen<br />

ist es oft schwierig dauerhafte Zusammenarbeit zu<br />

etablieren.<br />

• Nachhaltigkeit über Einzelprojekte hinaus/ Nachhaltigkeit<br />

soll gewährleistet werden.<br />

• MO werden oft nicht als gleichberechtigte Partner<br />

wahrgenommen bzw. akzeptiert.<br />

• Für eine gelungene Vernetzung ist es unabdingbar<br />

gemeinsame Ziele und Interessen zu formulieren.<br />

• Nutzen der Kooperation für Einheimische und MO<br />

aufzeigen.<br />

• Es ist schwierig „rein“ zu kommen – die Bekanntmachung<br />

der Arbeit bzw. der Ziele sollte statt finden<br />

• Gemeinsame Ziele und Interessen sind nicht formuliert.<br />

• Dauerhafte Strukturen konnten nicht geschaffen<br />

werden, weil die MO mit den Organisationen der<br />

Mehrheitsgesellschaft nicht auf gleicher Augenhöhe<br />

stehen.<br />

• Eine gelungene Netzwerkarbeit fördert auch gegenseitige<br />

Akzeptanz und Respekt.<br />

• In einigen MO existieren immer noch große Hierarchien<br />

die nicht zuletzt die Vernetzung erschweren<br />

bzw. verhindern.<br />

• Förderrichtlinien sind den MO nicht angepasst.<br />

• Es fehlen Strukturen, die eine gute Netzwerkarbeit<br />

fördern könnten.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

beitragen?<br />

• Fördermittel und finanzielle Ressourcen könnten zur<br />

guten und nachhaltigen Netzwerkbildung beitragen.<br />

• Die MO müssten ihre eigenen Vorurteile abbauen<br />

und sich mehr öffnen.<br />

• Wünschenswert wäre die Öffentlichkeit besser zu<br />

informieren indem die inhaltliche Arbeit, Ziele und<br />

Erfolge der MO transparenter werden (z.B. die Integrationsleistung<br />

<strong>durch</strong> MO).<br />

• Mehr Hauptamt weniger Ehrenamt.<br />

• Bekanntmachung der Fördermittel sowie der Richtlinien<br />

seitens der Stiftungen oder verschiedenen<br />

Bundesministerien.<br />

• Eine umfassendere Mitwirkung von MO an der Integrationsförderung<br />

würde ihnen mehr Gewicht und<br />

damit bessere Vernetzung verschaffen.<br />

• MO brauchen nur einen Dachverband der ihre Interessen<br />

vertritt.<br />

28 BBE - Dokumentation


World Café<br />

• Es fehlt an Informationen, wie man überhaupt ein<br />

Netzwerk bilden kann (relevantes Wissen zur Netzwerkbildung).<br />

• Es gibt viele Informationen, die“gefiltert“ werden<br />

müssen.<br />

• Netzwerkpflege findet nicht per se statt. Für eine<br />

gelungene Netzwerkbildung müsste eine Koordination<br />

eingerichtet werden.<br />

• Der Zugang zu Förderangeboten für Ehrenamtliche<br />

ist oft nur schwer erreichbar.<br />

Protokoll: Jadranka Dujanovic, Institut für Einheit in<br />

Vielfalt, Hanau<br />

Protokolle der Thementische zur<br />

politischen Vertretung <strong>durch</strong> MO<br />

Thementisch 1<br />

Welche Bedeutung, welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke der politischen Vertretung für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

Bevor die erste Frage beantwortet wurde, verständigte<br />

sich die Gruppe darüber, ob die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

eine politische Vertretung benötigen und<br />

wenn ja, wer diese Aufgabe übernehmen kann. Im<br />

nächsten Schritt ging es darum, ob eine Vernetzung<br />

der „politischen Vertretern“ untereinander notwendig<br />

ist, bzw. wenn ja, was kann damit erreicht oder verhindert<br />

werden?<br />

Die Teilnehmenden schätzten die Bedeutung einer<br />

politischen Vertretung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als sehr wichtig ein. Politisches Engagement bedeutet<br />

für die Teilnehmenden an diesem Thementisch<br />

auch von den eignen Rechten Gebrauch zu machen,<br />

bzw. bei der gesellschaftlichen Entwicklung mit zu<br />

wirken sowie Verantwortung zu übernehmen. Es geht<br />

um Partizipation und Mitbestimmungsrechte. Der<br />

Gruppe geht es um die Mitwirkung bei der Gestaltung<br />

und Umsetzung von Integrationsplänen, kommunalen<br />

Jugendpartizipationsplänen usw.<br />

Während einige Diskussionsteilnehmer/innen der<br />

Meinung waren, dass diese politische Vertretung<br />

<strong>durch</strong> speziell für Migrant/innen eingerichtete Strukturen<br />

wie Migrationsbeirat /Integrationsbeirat oder<br />

Charta der Vielfalt geleistet werden kann, meinten<br />

andere, dass diese Aufgabe auch <strong>durch</strong> themenübergreifende<br />

Strukturen übernommen werden kann. Es<br />

geht darum, dass migrationsbezogene Themen als<br />

Querschnittsaufgabe überall, also in Gewerkschaften,<br />

in politischen Fraktionen und Parteien, in den Kammern<br />

usw. zur Sprache kommen.<br />

Die Bildung eines Netzwerkes untereinander wird mit<br />

folgenden Funktionen in Verbindung gebracht: Aus<br />

ökonomischen Gründen möchten die engagierten Diskussionsteilnehmer/innen<br />

ihre Zeit und Energie in der<br />

Zukunft effektiv einsetzen, um die best möglichen Ergebnisse<br />

zu erzielen. Von Netzwerkarbeit versprechen<br />

sie sich einen verbesserten Informationsfluss untereinander,<br />

Erfahrungsaustausch und Vermeidung von<br />

Wiederholungen. Nur so könnte man Anerkennung<br />

und Vertrauen gewinnen bzw. Erfolge erzielen.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie für die politische Vertretung<br />

von MO (aus der Perspektive von MO)?<br />

Den Diskussionsteilnehmenden ist es bewusst, dass<br />

sie als Pioniere der Migrationsarbeit keine Vorbilder<br />

besitzen, von denen sie sich etwas abgucken könnten.<br />

Ihre Aufgabe sehen sie als eine Herausforderung,<br />

Schritte in diesem Bereich einzugehen, die vorher keiner<br />

gegangen ist. Dies betrachten sie als die treibende<br />

Kraft. Doch ihnen sind die Schwierigkeiten und Grenzen<br />

ihrer Arbeit bewusst. Sie nennen einige Merkmale<br />

der anderen Seite der Vielfalts-Medaille. Der Umgang<br />

mit heterogenen Bedürfnissen und Meinungen macht<br />

das Diskutieren nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil:<br />

während jeder politisch engagierte Mensch davon<br />

überzeugt ist, dass das Bündeln der unterschiedlichen<br />

Interessen eine gekonnte, kompetente Moderation benötigt,<br />

werden im Migrationsbereich die meisten ernsthaften<br />

Diskussionen häufig ohne Struktur und Moderation<br />

<strong>durch</strong>geführt. Der Einsatz von Energie und Zeit<br />

wird selten mit zufriedenstellenden Ergebnissen belohnt.<br />

Dies zerrt an den Nerven, der ohnehin ehrenamtlich<br />

tätigen engagierten Menschen, so dass das<br />

meist eine politische Verdrossenheit und Resignation<br />

als Ergebnis zur Folge hat.<br />

Die früheren politischen Zugehörigkeiten beeinflussen<br />

häufig die gegenwärtige Akzeptanz, Vertrauensbildung<br />

und Zusammenarbeit. Vorhandene Vorbehalte<br />

und Misstrauen untereinander führen dazu, dass niemandem<br />

eine Federführung überlassen werden kann.<br />

Der mediale Einfluss bzgl. aktueller politischen Situation<br />

verstärkt häufig das Misstrauen untereinander.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

dazu beitragen?<br />

Bei dieser Frage ging die Diskussion eher in die Richtung,<br />

dass die Migrant/innen <strong>durch</strong>aus über Kom-<br />

BBE - Dokumentation 29


World Café<br />

petenzen verfügen, die sie befähigen sich über ihre<br />

Herkunft hinaus Ziele zu setzen, die sie verfolgen<br />

können. Als Teilnehmer/innen dieser Gesellschaft<br />

sind sie in verschiedenen Bereichen des Lebens Rolleninhaber.<br />

Sie können im politischen Rahmen sich<br />

partizipieren und sollen <strong>durch</strong> ihre Mitgliedschaft in<br />

politischen Parteien sich als Teilhaber/innen dieser<br />

Gesellschaft für ihre Rechte und Bedürfnisse einsetzen.<br />

Dass die politischen Parteien sich öffnen sollen,<br />

ist eine obligatorische Voraussetzung dieser Entwicklung.<br />

Die Parteien sollen die Potentiale der Migrant/<br />

innen wahrnehmen und alles einsetzen, um sie zu<br />

gewinnen.<br />

Protokoll: Schahnaz Fathi, Zentrum für Migration und<br />

Bildung e.V.<br />

Thementisch 2<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke der politischen Vertretung für MO?<br />

• Verständnis der Definition von politischer Vertretung<br />

ist notwendig.<br />

• Netzwerke erzeugen Synergieeffekte.<br />

• Netzwerke finden mehr Gehör als Einzelpersonen<br />

• Durch Netzwerke wird das Gemeinschaftsgefühl<br />

gestärkt „Gemeinsam sind wir stark“.<br />

• Die Bundesländer brauchen verlässliche Ansprechpartner<br />

in Form von Netzwerkstellen.<br />

• Netzwerke erhöhen die Wahrnehmung <strong>durch</strong> bestehende<br />

politische Parteien.<br />

• Als vernetzte Struktur der MO politische Präsenz<br />

zeigen (z.B. Kölner Moscheebau bräuchte ein Netzwerk<br />

der Unterstützer/innen des Projektes).<br />

• Gemeinsames Eintreten verschiedener MO für das<br />

Recht auf freie Religionsausübung und öffentliche<br />

Präsenz.<br />

• Parteizugehörigkeit der einzelnen Mitglieder soll<br />

kein Hindernis für die politische Partizipation der<br />

MO sein.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie für die politische Vertretung<br />

von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />

• Viele MO sind überfordert.<br />

• Kleine Vereine werden bei der Förderung von Projekten<br />

übersehen.<br />

• Probleme sind in Flächenlandkreisen dringlicher.<br />

• Parteien sprechen MO seltener an – mangelnde<br />

Kommunikation zu den Parteien.<br />

• Mangelnde Kenntnis der Parteienstrukturen <strong>durch</strong><br />

viele Migrant/innen.<br />

• Es fehlen Vermittler/innen zwischen den MO und<br />

der Mehrheitsgesellschaft.<br />

• Vorbehalte untereinander u.a. aufgrund der Parteizugehörigkeit<br />

der einzelnen Mitglieder.<br />

Was brauchen MSO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

(a) und was können sie aus eigener<br />

Kraft beitragen (b)?<br />

• a) Erfahrungsaustausch untereinander: Schwächen<br />

und Stärken herausarbeiten.<br />

• Neue Definition von „Bürgerschaftlichem Engagement“<br />

sind notwendig (Studien schließen oft das bürgerschaftliche<br />

Engagement von Migrant/innen aus).<br />

• Unterstützung von politischen Parteien.<br />

• Stärkung der existierenden politischen Vertretungen<br />

(Ausländerbeiräte, AK Islam).<br />

• Eigenverantwortung beim öffentlichen Auftreten.<br />

• Integrationsräte auf kommunaler Ebene mit politischen<br />

Rechten.<br />

• Unterstützung von Außen (Finanzielle Förderung,<br />

Qualifizierung, Weiterbildung).<br />

• Verbindliche Vereinbarungen mit der Kommune.<br />

• Methoden herausfinden, wie man Parteien ansprechen<br />

kann ohne parteipolitisch gebunden zu sein.<br />

• Verbindliche Vereinbarungen, Leistungsverträge,-<br />

bestehende Fördersysteme optimieren (es muss<br />

eine Umverteilung geben).<br />

• Nachholende Strukturförderung für MO<br />

• b) Viele Potentiale, informelle Netzwerke.<br />

• Besserer Zugang zu den Zielgruppen.<br />

• Erfahrungen und Kompetenzen, Wissen über Integrationsprozesse<br />

in eigenen Communities.<br />

• Kenntnis der Methoden des Zugangs zur Zielgruppe<br />

und der Mobilisierung.<br />

• Regelmäßige Gespräche mit Entscheidungsträgern<br />

in Kommunen .<br />

• iInterkulturelle Vernetzung der MSO um sich Gehör<br />

zu verschaffen.<br />

• Sicheres öffentliches Auftreten, Stärkung von<br />

Schlüsselpersonen.<br />

Protokoll: Dr. Karamba Diaby, Projektleiter Migration/Integration<br />

der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“,<br />

Halle-Saalekreis e.V. und Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />

und Integrationsrates<br />

Thementisch 3<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für MO?<br />

Netzwerke haben enorme Bedeutung für MO. MO verfügen<br />

sehr oft nicht über ausreichende Ressourcen<br />

30 BBE - Dokumentation


World Café<br />

(Personal, Räume und Finanzen), um ihre Ziele zu erreichen.<br />

Ein entscheidendes Ziel der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ist die politische Teilhabe. Besonders kleinere<br />

MO sind auf die Unterstützung anderer Organisationen,<br />

Verbände etc. angewiesen. Netzwerke sind erforderlich,<br />

um gemeinsame Projekte zu realisieren.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie für die politische Vertretung<br />

von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />

MO werden in Fachkreisen wahrgenommen und geschätzt,<br />

jedoch in der breiten Öffentlichkeit meistens<br />

nicht wahrgenommen. Sind MO in der Lage, selbst<br />

als Träger Projekte zu beantragen und zu realisieren?<br />

Für Ehrenamtliche sind die bürokratischen Vorgaben<br />

oft eine zu große Hürde. Es ist deshalb empfehlenswert,<br />

Kooperationspartner zu suchen, zum Beispiel<br />

auch Wohlfahrtsverbände, Schulen, Kindertagesstätten,<br />

kommunale Beiräte und andere Organisationen<br />

mit denen ein Projekt oder Vorhaben gemeinsam realisiert<br />

werden kann. Örtliche Netzwerke und Initiativen<br />

können da sehr hilfreich und sinnvoll sein.<br />

Unterstützung kann auch von den BAMF - Regionalkoordinatoren<br />

erwartet werden, sie fördern Projekte<br />

und sind wichtige Ansprechpartner auch für MO<br />

vor Ort. Daneben sind auch andere Quellen zu ermitteln<br />

wie zum Beispiel die Projekte „Soziale Stadt“ und<br />

andere Mikroprojekte. Wichtig ist auch eine Abstimmung,<br />

bzw. bundesweite Vernetzung mit Stiftungen,<br />

Landesverbänden und Dachorganisationen.<br />

Moderation: Vito Contento, Ausländerbeirat Koblenz<br />

Thementisch 4<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke der politischen Vertretung für MO?<br />

• Ehrenamtliche Arbeit ist allein kaum möglich, frau/<br />

man muss eine Organisation hinter sich haben<br />

(Verein o.ä.), da die Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit<br />

bei Behörden sehr groß ist.<br />

• Migrant/innen haben viele Ideen, aber kaum Vertretung<br />

in den politischen Parteien.<br />

• Migrant/innen sind politisch aktiv, vertreten als Individuum<br />

ihre politischen Meinungen, die Vertretung<br />

aber machen PolitikerInnen, die meistens keinen<br />

Migrationshintergrund haben.<br />

• Die MO sollten sich zusammenschließen und Repräsentanten<br />

wählen, die ihre Interessen nach außen<br />

vertreten, dieses ist eine bürgergesellschaftliche<br />

Vertretung.<br />

• Die Parteien benennen Personen, die von der Bevölkerung<br />

demokratisch gewählt werden, als Mandatsträger/innen,<br />

dieses ist eine staatliche Vertretung.<br />

• Es ist wichtig Netzwerke zwischen MO und Mehrheitsgesellschaft<br />

zu schaffen, gemeinsame Ziele<br />

zu betonen und Unterschiede zu akzeptieren.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie für die politische Vertretung<br />

von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />

• In einigen Teilen der Gesellschaft werden MO leider<br />

immer noch als Ausdruck einer Parallelgesellschaft<br />

angesehen, tatsächlich aber sind MO ein wichtiger<br />

Ort für die Integration.<br />

• Im Landtag von NRW, dem bevölkerungsreichste<br />

Bundesland mit dem höchsten Anteil an Menschen<br />

mit Migrationshintergrund, ist keine Person mit Migrationshintergrund<br />

vertreten.<br />

Was brauchen MSO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener<br />

Kraft beitragen?<br />

• Die politischen Parteien haben eine besondere<br />

Verantwortung sich Menschen mit Migrationshintergrund<br />

zu öffnen und sie in ihrer Partizipation zu<br />

stärken.<br />

• Darüber hinaus ist es grundsätzlich wichtig eine<br />

Quotenregelung für Menschen mit Migrationshintergrund<br />

einzuführen und zwar in Parteien, kommunalen<br />

Vertretungen, Landes- und Bundesparlament.<br />

• Die Einbürgerung und die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

sollten erleichtert werden.<br />

• MO, die sich in der bundesdeutschen Politik engagieren,<br />

sollten sich in einem Dachverband zusammenschließen.<br />

• Die Finanzierung der Netzwerkarbeit der MO muss<br />

gesichert werden, Ehrenamt braucht Hauptamt.<br />

• Verstärkte Qualifizierung der MO in Hinblick auf:<br />

• Stärkung der politischen Partizipation<br />

• Organisationsstrukturen<br />

• Fachkenntnisse, z.B. Buchführung, Verwaltung<br />

etc.<br />

• Für viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt<br />

es rechtliche Hürden, die die politische Partizipation<br />

be- bzw. verhindern. Dies trifft zu, z.B. auf Flüchtlinge<br />

mit ungesichertem Aufenthaltsstatus oder auf<br />

Jugendliche ohne deutschen Pass. In diesem Sinne<br />

spielt auch die Einführung des Kommunalen Wahlrechts<br />

für Drittstaatler/innen eine wichtige Rolle.<br />

Protokoll: Beshid Najafi, Agisra, e.V. Köln<br />

BBE - Dokumentation 31


World Café<br />

Protokolle der Thementische zur<br />

öffentlichen Präsenz von MO<br />

Thementisch 1<br />

Bis weit in die achtziger Jahre fanden Migrantenselbstorganisationen<br />

in der Öffentlichkeit kaum<br />

eine nennenswerte Beachtung. Die Etablierung der<br />

Migrantenselbstorganisationen wurde sogar mit<br />

Skepsis betrachtet und als Gefährdung (Parallelgesellschaft!)<br />

angesehen, nicht als demokratische<br />

Form der Einbindung in die Zivilgesellschaft. In der<br />

öffentlichen Wahrnehmung hat sich erst in den letzten<br />

Jahren ein deutlich positiver Perspektivenwechsel<br />

zur Relevanz von Migrantenselbstorganisationen<br />

vollzogen.<br />

Die partizipative Integration kann nur <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />

Entwicklung und Umsetzung angemessener<br />

Strategien gelingen. Insbesondere für die erste<br />

Einwanderergeneration bilden diese sog. Heimatorientierten<br />

Selbstorganisationen einen geschützten sozialen<br />

Raum, in dem Gelegenheiten für soziale Kontakte<br />

und Freizeitaktivitäten bereitgestellt werden.<br />

Dieser Phase folgten die sog. „Aufnahmelandorientierten<br />

Selbstorganisationen“. Hier organisierten sich<br />

insbesondere jüngere Migrantinnen und Migranten<br />

stärker, da die traditionellen Vereine ihrer Eltern<br />

für sie unattraktiv und unflexibel waren. Mittlerweile<br />

haben in Deutschland fast alle der hier lebenden<br />

Migrantengruppen ihre eigenen Migrantenvereine/-<br />

organisationen die in vielen unterschiedlichen Bereichen<br />

tätig sind.<br />

Die Selbstorganisationen haben bislang nur selten<br />

Zugang in die Finanzierungsstrukturen gefunden<br />

haben. Der Mangel an Zugang zu finanzieller öffentlicher<br />

Förderung wird von den meisten <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als großes und die Arbeit erheblich<br />

einschränkendes Defizit wahrgenommen. Betrachtet<br />

man die Situation aus der Perspektive der Vereine<br />

von Migrant/innen, so muss festgestellt werden, dass<br />

Vereine von Migrant/innen nach wie vor in der Vereinslandschaft<br />

und öffentlichen Förderung unterrepräsentiert<br />

und in wichtigen Gremien kaum vertreten<br />

sind.<br />

Interkulturelle Öffnung der Verbandsstrukturen und<br />

Qualifikation von Migrantebselbstorganisationen<br />

sollte als aktive Förderung der Partizipations- und Integrationschancen<br />

der MigrantInnen verstanden werden.<br />

Sie sollten aber darin unterstützt werden, ihre<br />

Anliegen überzeugend und öffentlichkeitswirksam<br />

vorzutragen. Das könnte bedeuten, dass sie <strong>durch</strong><br />

32 BBE - Dokumentation


World Café<br />

Experten in Form von Multiplikatorenschulungen darauf<br />

professionell vorbereitet werden. Der interkulturelle<br />

Dialog bedarf starker Partner. Der interkulturelle<br />

Dialog muss initiiert, moderiert und verstetigt werden.<br />

Empowerment - Ansätze helfen, Selbstbewusstsein<br />

und Durchsetzungswillen zu entwickeln<br />

Protokoll: Berrin Alpbek, Förderation türkischer Elternvereine<br />

in Deutschland<br />

Thementisch 2<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für MO?<br />

• Zur Einstimmung wurde die Frage geklärt: Was ist<br />

überhaupt öffentliche Präsenz?<br />

• Die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ist immer noch an das negative Bild von Migranten<br />

in den Medien gekoppelt.<br />

• Medien zeigen ein Bild das von der Mehrheitsgesellschaft<br />

akzeptiert, mitgeprägt und teilweise auch<br />

aus Vorurteilen und Unwissenheit gefordert wird.<br />

• Die Thematisierung der Islamisierung und die <strong>durch</strong><br />

die Medien suggerierte Angst prägen das negativ<br />

Bild von Menschen mit Migrationshintergrund und<br />

im speziellen auch Organisationsformen oder Glaubensgemeinschaften<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund.<br />

• Migranten und MO sehen sich auch in einer „Opferrolle“<br />

die geprägt ist von Unwissenheit über Umgang<br />

mit Medien und Öffentlichkeitsarbeit, diese<br />

heißt es zu überwinden<br />

• Positive Wahrnehmung von MO erfolgt meist nur<br />

über „Folklore“- Veranstaltungen.<br />

• Bedeutung gewinnt ein Netzwerk in Bezug auf Unterstützung<br />

und Stärkung der einzelnen Akteure,<br />

so können Menschen mit Migrationshintergrund als<br />

Medienvertreter in der Berichterstattung fungieren.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />

• Integration wird immer noch nicht als Querschnittsaufgabe<br />

in der Gesellschaft wahrgenommen somit<br />

sind viele potentielle Akteure aus Netzwerken, gerade<br />

auf kommunaler Ebene, ausgeschlossen, somit<br />

bleiben Aktivitäten oder Probleme im geschlossenen<br />

Kreis des Netzwerkes und die öffentliche<br />

Präsenz findet nicht statt.<br />

• Als Grenze für öffentliche Präsenz wird mangelnde<br />

Professionalität von MO und das fehlen von Strukturen<br />

bis hin zu nicht vorhandenen Rahmenbedingungen<br />

wie Räumlichkeiten genannt.<br />

• Ein weiteres Problem stellt die stereotypische Darstellung<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund in<br />

der Öffentlichkeit dar und die daraus resultierenden<br />

Angst (Übergriffe, Sachbeschädigung usw.) auf der<br />

Seite der MO.<br />

• Zu Bedenken ist auch der Aspekt der gewollten Vernetzung,<br />

es gibt <strong>Migrantenorganisationen</strong> die eine<br />

Vernetzung ablehnen.<br />

• Fehlende themenbezogene Vernetzung wird als<br />

Schwierigkeit wahrgenommen, da gerade öffentliche<br />

Präsenz Handlungsfelder übergreifend ist und<br />

sich nicht zu ein Themenfeld bzw. Handlungsfeld<br />

separieren und beziehen lässt.<br />

Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />

und was können sie aus eigener Kraft<br />

beitragen?<br />

• Wahrnehmung der Integration als Querschnittsaufgabe<br />

in den gesellschaftlichen Bereichen.<br />

• Eine interkulturelle Öffnung der Verwaltung und der<br />

Abbau bürokratischer Hindernisse können dazu<br />

führen, dass MO in der Öffentlichkeit präsenter werden.<br />

Dies impliziert eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

mit der Kommune.<br />

• MO brauchen auf kommunaler Ebene Ansprechpartner,<br />

wie z.B. Integrationsbeauftragte.<br />

• MO arbeiten meist auf ehrenamtlicher Basis, eine<br />

Verbesserung in der öffentlichen Präsenz könnten<br />

Weiterbildungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Fundraising und Vereinsrecht führen. Durch eine Professionalisierung<br />

werden MO gestärkt und erfahren<br />

eine zunehmende Sicherheit im Umgang mit Medien.<br />

• Die Bereitschaft zur Kooperation mit Kommunen<br />

oder etablierten Vereinen kann zur Abschöpfung<br />

von Ressourcen aus verschiedenen Bereichen z.B.<br />

Kreativität, Innovation und Know-how führen.<br />

• Tandemprojekte zur Stärkung und Aktivierung von<br />

Potenzial als Ressource. Zusammenarbeit unterstützen<br />

und anbieten, auf beiden Seiten.<br />

• Netzwerk als Sprachrohr erkennen und es als solches<br />

aktiv nutzen.<br />

Protokoll: Babett Gerlach, Koordinatorin des Netzwerkes<br />

für Integration von Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

Jugendsozialwerk Nordhausen e.V.<br />

Thementisch 3<br />

Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />

Netzwerke für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde die erste<br />

Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />

BBE - Dokumentation 33


World Café<br />

diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />

veranschaulicht worden:<br />

• Für die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

ist die Netzwerkarbeit sehr wichtig<br />

• Zwischen der Arbeit in Netzwerken und der Öffentlichen<br />

Präsenz gibt es zum Teil Widersprüche: Einerseits<br />

wird in der Öffentlichkeit die Kooperation<br />

mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> gefordert, so dass<br />

man schlussfolgern könnte, die Lobby für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sei groß; auf der anderen Seite<br />

klappt die Netzwerkarbeit aufgrund der schon genannten<br />

Gründe (Ressourcen, Ausstattung etc.)<br />

nicht<br />

• Für Netzwerke brachen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

Ressourcen!<br />

• Auf lokaler Ebene, in der Kommune funktioniert die<br />

Zusammenarbeit in Bezug auf die öffentliche Präsenz<br />

gut.<br />

• Bei Netzwerken müssen die Fragen nach Konkurrenz,<br />

Ressourcenverteilung und Umverteilung<br />

angesprochen werden. Öffentliche Präsenz von<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> könnte diesen Prozess<br />

voranbringen.<br />

• Die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

kann sich nicht nur nach „außen“ richten; die<br />

Zielgruppe ist auch die eigene Community.<br />

Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />

kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und der Zusammenfassung<br />

der ersten Runde, wurde die zweite<br />

Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />

diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />

veranschaulicht worden:<br />

• Die Schwierigkeiten dabei bestehen bei der Ausbalancierung<br />

von externen und internen Bedürfnissen<br />

und Ressourcen: Öffentliche Präsenz erfordert<br />

Ressourcen, die <strong>Migrantenorganisationen</strong> fehlen,<br />

bzw. die dann auf Kosten der „eigentlichen“ Arbeit<br />

erledigt werden müssen.<br />

• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen ihre Arbeit „gut<br />

verpacken“, sozusagen „schmackhaft machen“.<br />

• Wichtig für <strong>Migrantenorganisationen</strong> wäre es – unabhängig<br />

von Netzwerken – für sich selbst eine<br />

Lobby zu schaffen.<br />

• Für eine gelungene öffentliche Präsenz braucht es<br />

auch oft „Vitamin B“; das kann dann in etablierten<br />

Netzwerken schwierig sein – weil die benötigten<br />

Kontakte nicht vorhanden sind.<br />

• Die Schwierigkeit besteht in einem hohen Ressourcenaufwand<br />

und z. T. schwierigen und nicht funktionierenden<br />

Abstimmungsprozessen.<br />

Was brauchen <strong>Migrantenorganisationen</strong> für eine<br />

gelingende Netzwerkbildung und was können sie<br />

aus eigener Kraft beitragen?<br />

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und der Zusammenfassung<br />

der zweiten Runde, wurde die dritte<br />

Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />

diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />

veranschaulicht worden:<br />

• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen bei ihrer öffentlichen<br />

Präsenz auf die „Empfänger“ ihrer Öffentlichkeitsarbeit<br />

achten, d.h. Bedürfnisse feststellen und<br />

dementsprechend anpassen.<br />

• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen sich professionalisieren,<br />

um eine gute öffentliche Präsenz zu<br />

bekommen. Ebenso gehört zur Professionalität die<br />

Investition in eine gute öffentliche Präsenz.<br />

• Die Schwierigkeit besteht darin, dass einerseits für<br />

eine gute öffentliche Präsenz Ressourcen benötigt<br />

werden – auf der anderen Seite führt eine gute öffentliche<br />

Präsenz zu einer Vergrößerung der Ressourcen.<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> müssten diese<br />

Ressourcen für die öffentliche Präsenz zunächst<br />

einmal aufbringen.<br />

• <strong>Migrantenorganisationen</strong> können von Seiten der<br />

etablierten Organisationen Sichtbarkeit fordern –<br />

und auch bekommen.<br />

• Öffentlichkeitsarbeit und die Investierung in die öffentliche<br />

Präsenz ist ebenso wichtig wie die inhaltliche<br />

Arbeit!<br />

• Netzwerkstrukturen sind nicht immer transparent.<br />

Hier sind beide Seiten gefordert, die etablierten Organisationen<br />

diese transparenter zu machen und<br />

die <strong>Migrantenorganisationen</strong> diese Transparenz<br />

auch zu fordern.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Öffentliche<br />

Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong> ist ebenso<br />

wichtig und notwendig wie die inhaltliche Arbeit. Sie kann<br />

in Netzwerken vorangetrieben werden, was jedoch aufgrund<br />

der unterschiedlichen Ressourcenverteilung und<br />

Interessenslagen zum Teil schwierig umzusetzen ist.<br />

Hier ist die Unterstützung der etablierten Organisationen<br />

gefragt, ebenso wie die Bereitschaft von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in diesen Bereich mehr zu investieren.<br />

Protokoll: Elizaveta Khan, Institut für Veranstaltungsund<br />

Projektmanagement<br />

Thementisch 4<br />

In dem World-Cafe äußerten sich die Teilnehmer/innen<br />

rege über die allgemeine Problematik in Bezug<br />

34 BBE - Dokumentation


World Café<br />

auf die öffentliche Präsenz der <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

Dabei sind einige Vorschläge zur Verbesserung<br />

der aktuellen Situation geäußert worden:<br />

• Das Bild von Migranten in der Öffentlichkeit scheint<br />

irreal zu sein und muss verbessert werden. Es gibt<br />

eine enorme Anzahl von Vorurteilen gegenüber<br />

Migrantengruppen. Diese hindern die erfolgreiche<br />

Integrationsarbeit der <strong>Migrantenorganisationen</strong> gewaltig.<br />

• Als Problemlösung stellten die Gesprächsteilnehmer/innen<br />

klare Transparenz der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in den Vordergrund. Da<strong>durch</strong> sollen die<br />

Inhalte der Arbeit von MO besser übermittelt und<br />

somit die Vorurteile gegenüber Migranten abgebaut<br />

werden. Diese Inhalte müssen nachweisen,<br />

dass die <strong>Migrantenorganisationen</strong> die hiesige Gesellschaft<br />

mit ihren kulturellen und wissenschaftlichen<br />

Fähigkeiten bereichern und die Zukunft von<br />

Deutschland fördern.<br />

• Ganz wichtig dabei ist, das Bild von anderen Kulturen<br />

positiv und gut anschaulich dar zu stellen und<br />

Aufklärungsarbeit zu leisten. In dem World-Cafe ist<br />

auch über positive Erfahrungen mit Print- und TV-<br />

Medien berichtet worden. Die Medien berichteten<br />

über sehr viele wichtige Veranstaltungen im Zusammenhang<br />

mit der Arbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

• Vorgeschlagen wurde auch, eine gemeinsame Internetplattform<br />

zu erschaffen, die Informationen<br />

und Kontaktdaten über alle Migrantengruppen<br />

darbietet und somit die Suche im Netz enorm erleichtert.<br />

Problematisch dabei sind die fehlenden<br />

finanziellen Mittel der <strong>Migrantenorganisationen</strong>, um<br />

die mit dem Plattform-Aufbau verbundenen Kosten<br />

zu decken. Es ist außerdem beinahe unmöglich,<br />

ehrenamtliche qualifizierte Informatiker und Grafik-<br />

Designer zu finden.<br />

• Fazit: Alle Teilnehmer des Weltkaffees plädierten<br />

für eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Da<strong>durch</strong> würde sich<br />

Vieles verändern. Diese Öffentlichkeitsarbeit würde<br />

den Migranten und den Einheimischen zeigen,<br />

wie die Verfremdung abgeschafft und eine gemeinsame<br />

Sprache geschaffen werden könnte. Mit einer<br />

Stimme könnten dann alle in die Öffentlichkeit<br />

gehen und über die Erfolge ihrer bisherigen Arbeit<br />

berichten.<br />

Protokoll: Viktor Ostrowski, Kultur- und Integrationszentrum<br />

Phoenix-Köln e.V.<br />

BBE - Dokumentation 35


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Die Arbeitsgruppen waren so konzipiert, dass die<br />

Teilnehmenden nach einem kurzen inhaltlichen Input<br />

ihre Erfahrungen einbringen konnten. Bei den Diskussionen<br />

standen sich die Vertreter/innen der beteiligten<br />

MO als Experten zur Verfügung.<br />

AG 1: Chancen und Hürden für lokale<br />

Netzwerke mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

Impuls: Das Konzept für die interkulturelle Arbeit<br />

in der Stadt Essen<br />

Iris Kaplan-Meys, RAA/Büro für interkulturelle Arbeit<br />

Oktay Sürücü, Essener Verbund der Immigrantenvereine<br />

Das Essener Konzept<br />

Mit dem einstimmigen Beschluss über das „Konzept<br />

für die interkulturelle Arbeit in der Stadt Essen“<br />

(IKK) im Jahr 1999 beauftragte der Rat der Stadt<br />

die Verwaltung mit der Prüfung von Maßnahmen in<br />

ausgewählten Handlungsfeldern und Querschnittsbereichen.<br />

Er erhob gleichzeitig den „Ausbau der interkulturellen<br />

Orientierung“ zu einem Konzernziel.<br />

Seitdem werden mit Elementen der neuen Verwaltungssteuerung<br />

Handlungsansätze und Strategien<br />

in Praxisfeldern im Diskurs mit internen und externen<br />

Partnern entwickelt und auf der Grundlage von<br />

Beschlusslagen umgesetzt. Die Prozessbegleitung<br />

und das Controlling für obliegt der Steuerungseinheit<br />

RAA/Büro für interkulturelle Arbeit.<br />

Grundlage des Handlungsrahmens sind definierte<br />

Leitlinien (Essener Leitbild), welche die interkulturelle<br />

Orientierung und einen auf Dauer angelegten dialogorientierten<br />

Prozess auf gleicher Augenhöhe in Verantwortung<br />

aller Beteiligten unterstreichen.<br />

Zur Einbindung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in<br />

Essen<br />

Wichtige Voraussetzung für einen positiven Prozessverlauf<br />

ist die Akzeptanz eigenethnischer Strukturen,<br />

die Bereitschaft von Migrantenselbstorganisationen<br />

zur aktiven Mitwirkung und eine Engagementfördernde<br />

Stadtpolitik. Der gegenseitige Umgang auf<br />

gleicher Augenhöhe erfordert eine langfristige Dialogkultur<br />

und gemeinsame Zielfindungen.<br />

Der Auszug aus den Handlungsleitenden Grundsätzen<br />

von 1999 unterstreicht diese Bestrebungen in der<br />

Stadt Essen:<br />

... ein dauerhaft angelegter, dialogorientierter Prozess<br />

auf gleicher Augenhöhe in Verantwortung aller<br />

Beteiligten zum Austausch und zur Entwicklung neuer<br />

Gemeinsamkeiten unter Einbezug unterschiedlicher<br />

kultureller Zusammenhänge<br />

... die Anerkennung eigenethischer Strukturen<br />

Eine langjährige Netzarbeit (u.a. RAA Essen seit<br />

1980, Integrationsbeirat mit Urwahl1987) und die gewachsene<br />

MO Kooperation (u.a. <strong>durch</strong> Personalunion<br />

von Vereinsvorständen und Beiratsmitgliedern und<br />

die Kooperation zwischen Beirat und Essener MO)<br />

sind die Grundlagen für die Entwicklung der Vernetzung<br />

der MO in Essen.<br />

Auf dieser Basis wurde im Jahr 2000 mit der Gründung<br />

eines Dachverbandes der Grundstein für ein formales<br />

MO Netzwerk gelegt. Gestützt auf eine strategische<br />

Ausrichtung zu mehr Anerkennung und Beteiligung<br />

von Migrantenselbstorganisationen, zu deren Qualifizierung<br />

und Professionalisierung und zur Übernahme<br />

von Eigenverantwortung für das Gemeinwohl wurden<br />

und werden Ressourcen in Form städtischer Finanzmittel,<br />

gemeinsamer Projekte und fachlicher Unterstützung<br />

von MO Aktivitäten eingesetzt.<br />

36 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Dabei haben im Verlauf Selbstorganisationen unterschiedliche<br />

Beteiligungsformen eingenommen: Als<br />

Interessenvertretung, als Dienstleister und als Kooperations-<br />

bzw. Vertragspartner. Das in 2007 mit Landesmitteln<br />

geförderte Essener Projekt „MO – Partner<br />

in der Kommune“ 1 hat insbesondere dazu beigetragen,<br />

Strategien im Sinne der strukturellen Partizipation<br />

und Vernetzung zu entwickeln.<br />

Projektansätze auf Essener Ebene tragen seitdem<br />

dazu bei, die MO als Kooperationspartner des Regelsystems<br />

zu etablieren. Dabei soll gleichzeitig die Vernetzung<br />

der MO untereinander und auch mit anderen<br />

sozialräumlichen oder gesamtstädtischen Netzwerken<br />

gefördert und ein eigenständiges Agieren der<br />

Vereine und des Dachverbands als Ansprechpartner<br />

forciert werden.<br />

Der „Essener Verbund der Immigrantenvereine e.V.“<br />

Der Verbund wurde auf Initiative des Essener Ausländerbeirates<br />

am 23. November 2000 gegründet. Verfolgt<br />

wird eine Professionalisierung der Verbundarbeit<br />

und Unterstützung der Migrantenselbstorganisationen<br />

zur nachhaltigen Verbesserung der strukturellen<br />

Partizipation und Vernetzung. Ein hauptamtlicher Geschäftsführer<br />

und Projektmitarbeiter/innen stützen<br />

die Verbundarbeit. Sie finanziert sich auf der Basis<br />

eines Kooperationsvertrages mit der Stadt Essen mit<br />

einer institutionellen Förderung in Höhe von zurzeit<br />

37.900 € und geworbenen Projektgeldern (aktuell<br />

BAMF, Agentur für Arbeit, IKK Mittel, Ministerium für<br />

Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW).<br />

Zu seinen Mitgliedern zählen Vereine, die in Essen<br />

eingetragen und gemeinnützig anerkannt sind.<br />

Die Anzahl der Mitgliedsvereine hat sich von zehn<br />

Gründungsmitgliedern auf 73 Vereine erhöht. Damit<br />

umfasst der Verbund fast alle gemeinnützigen Migrantenselbstorganisationen<br />

in Essen und steht für<br />

kulturelle und ethnische Vielfalt.<br />

Zu den Aktivitäten des Verbunds gehören Kooperationsprojekten<br />

in Zusammenarbeit mit Selbstorganisationen,<br />

Institutionen und Fachdienststellen, Info-Reihen<br />

und Veranstaltungen, eine eigene Homepage 2<br />

für Mitglieder und Multiplikator/innen und die Verstetigung<br />

des Handlungsansatzes „MO-Partner in der<br />

Kommune“.<br />

Chancen und Risiken für lokale Netzwerke mit<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

Die Essener Erfahrungen zeigen Chancen der Zusammenarbeit<br />

für alle am Prozess Beteiligten auf: Ein<br />

gezielter Informationsaustausch z.B. zwischen Mitarbeiter/innen<br />

von Fachverwaltungen und Akteuren aus<br />

MO trägt zum gegenseitigen Kennenlernen und zur<br />

Vertrauensbildung bei.<br />

MO und Fachverwaltung lernen voneinander und<br />

es entstehen neue Kontakte. Damit steigt der Aktionsrahmen<br />

für Vereine als auch für Fachbereiche.<br />

Sie können sich eigenständige Wege und Zugänge<br />

neben den bekannten über „Integrationsakteure“<br />

(z.B. aus Integrationsrat, RAA, Migrationsdienste)<br />

erschließen.<br />

Die Zusamenarbeit trägt zur differenzierteren Wahrnehmung<br />

von MO und zu mehr Transparenz von Verwaltungshandeln<br />

bei. Es entstehen Impulse für die interkulturelle<br />

Öffnung der Verwaltung als auch für ein<br />

neues Selbstverständnis der Vereine.<br />

Gemeinsame Projekte werden initiiert und neue Synergien<br />

für den Integrationsprozess geschaffen.<br />

Es wäre jedoch vermessen, nicht auch die Hürden aufzuzeigen,<br />

die eine dauerhafte Netzwerkarbeit beeinflussen:<br />

Personelle Wechsel bzw. fehlende Hauptamtliche<br />

bei den Netzwerkpartnern können die dauerhafte<br />

Zusammenarbeit behindern. Profis und ehrenamtliche<br />

Akteure sind gefordert, Zeit und Umfang ihrer Zusammenarbeit<br />

immer wieder abzustimmen.<br />

In Essen ist festzustellen, dass die Erwartungshaltungen<br />

auf allen Seiten sehr groß sind.<br />

Hier ist eine Balance zwischen Qualitätsansprüchen<br />

und praktischer Umsetzung gefragt. Unterschiedliche<br />

Informationsstände über Strukturen, Verwaltungsabläufe,<br />

Sachfragen und Vereinsinteressen müssen<br />

aufgearbeitet werden, um eine strukturelle Partizipation<br />

zu ermöglichen.<br />

Im Integrationsgeschehen wird die Stärkung der<br />

Netzwerkarbeit mit MO und die angestrebte struktureller<br />

Partizipation langfristig zu Konkurrenzen (Wettbewerb)<br />

zwischen Regelsystemen, Sonderdiensten,<br />

etablierten Verbänden und den MO als „neue Anbieter“<br />

um Ressourcen führen, beispielsweise in der<br />

Jugendhilfe um die Teilhabe am Jugendhilfeförderplan.<br />

Die Abhängigkeit von der kommunalen Haushaltslage<br />

ist nicht zuletzt ein entscheidendes Risiko<br />

für eine langfristige Partnerschaft zwischen MO und<br />

Kommune.<br />

Es bleibt zusammenfassend eine Herausforderung,<br />

die Chancen für lokale Netzwerke mit MO im Dialog<br />

mit städtischen Akteuren und Entscheidungsträgern<br />

BBE - Dokumentation 37


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

zu verdeutlichen, zu nutzen und auf der Grundlage<br />

gemeinsamer Zielsetzungen langfristig zu etablieren.<br />

Ergebnisse<br />

Kadri Akkaya, Stadt Köln<br />

Das Impulsreferat von Frau Kaplan-Meys und Herrn<br />

Oktay Sürücü über die kommunalen Rahmenbedingungen<br />

des gesamtstädtischen Integrationskonzeptes<br />

in Essen und die kommunaler Beteiligung der<br />

MO im Essener Verbund der Immigrantenvereine<br />

diente in der AG als Ausgangspunkt zur Diskussion.<br />

Dabei wurden folgende Hürden und Chancen für lokale<br />

Netzwerke mit MO erörtert, diskutiert und festgestellt.<br />

Hürden:<br />

• Interessenkonflikte.<br />

• Personelle Wechsel bzw. fehlende Hauptamtliche bei<br />

den MO behindern die dauerhafte Netzwerkarbeit.<br />

• Hohe Erwartungshaltung.<br />

• Wissensmangel über die Verwaltungsstruktur in der<br />

Kommune.<br />

• Die unterschiedliche Messlatte.<br />

• Die Abhängigkeit von der kommunalen Haushaltslage.<br />

Chancen:<br />

• Informationsaustausch.<br />

• Die Mitwirkung der MO steigt.<br />

• Strukturelle Partizipation hilft beim Austausch auf<br />

gleicher Augenhöhe.<br />

• Die Vielfalt der MO wird deutlich und bereichert die<br />

kommunale Gesellschaft.<br />

• Das Fungieren als Projektträger gibt den MO Selbstbewusstsein<br />

und löst das langjährige Objektsein<br />

zum Subjektsein.<br />

• Die Solidarität in der Kommune steigt.<br />

• Es werden neue Synergien geschaffen.<br />

Gemeinsame These der AG 1:<br />

Die strukturelle Öffnung wird <strong>durch</strong> die Kooperation<br />

zwischen den Kommunen und den <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

bereichert und schafft eine gleiche Augenhöhe.<br />

Offene Fragen als Empfehlung für die nächste Tagung:<br />

• Eine Gesamtauswertung der bestehenden Netzwerke<br />

mit MO ist wünschenswert.<br />

• Wie soll die „gleiche Augenhöhe“ mit MO in der<br />

Netzwerkarbeit in den Kommunen eingerichtet,<br />

praktiziert und in der Zukunft gesichert werden?<br />

38 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

AG 2: Netzwerkkonzepte zur Integrationsförderung<br />

auf Landesebene<br />

Impuls: Zwischenergebnisse des bayerischen<br />

Modellprojektes „gemeinsam engagiert“<br />

Marion Bradl, Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte<br />

Bayerns und Torsten Groß, Landesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />

Das Projekt<br />

Das Modellprojekt „gemeinsam engagiert für eine gemeinsame<br />

Zukunft – Bürgerschaftliches Engagement<br />

im Bereich Integration“, seit Juni 2007 gefördert vom<br />

Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />

Familie und Frauen (StMAS) und dem Bundesamt<br />

für Migration und Flüchtlinge (BAMF), steht in<br />

der paritätischen Trägerschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

der Ausländerbeiräte Bayerns (AGABY) und des Landesnetzwerks<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />

(LBE). Es ist bundesweit das erste Kooperationsprojekt<br />

auf Landesebene, das von einer Migranten- und einer<br />

deutschen Organisation gemeinsam <strong>durch</strong>geführt wird.<br />

Das Projektziel spiegelt die Schnittmenge der gemeinsamen<br />

Ziele der beiden Träger wider: Die Förderung<br />

des bürgerschaftlichen Engagements von und<br />

mit Migrant/innen in Bayern <strong>durch</strong>:<br />

• Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> (Vereine, Beiräte).<br />

• Austausch und Vernetzung unter <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und zwischen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und deutschen Organisationen.<br />

• Maßnahmen zur Sensibilisierung und Interkulturellen<br />

Öffnung von deutschen Einrichtungen der<br />

Freiwilligenarbeit.<br />

• Zusammenführen der Strukturen des freiwilligen<br />

Engagements von Migrant/innen und Nicht-Migrant/innen.<br />

„gemeinsam engagiert“ hat hierfür beispielhafte Einzelprojekte<br />

mit ausgewählten Kooperationspartnern<br />

entwickelt und führt diese auf lokaler, regionaler und<br />

Landesebene <strong>durch</strong>.<br />

Die Träger<br />

Beide Träger sind jeweils für sich bereits Netzwerke<br />

auf Landesebene: Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte<br />

Bayerns, AGABY, ist der Zusammenschluss<br />

der kommunalen Ausländer-, Migranten- und<br />

Integrationsbeiräte Bayerns. Sie fördert den Austausch<br />

und die Vernetzung unter den Beiräten und<br />

vertritt ihre politischen Interessen auf Landesebene.<br />

Das höchste Organ der AGABY ist die Delegiertenversammlung,<br />

aus deren Reihen auch der Vorstand gewählt<br />

wird. Die Mitglieder des Vorstands arbeiten, genauso<br />

wie die Mitglieder der kommunalen Beiräte, rein<br />

ehrenamtlich. Im Unterschied zu den ehrenamtlichen<br />

Trägerstrukturen der AGABY verfügt das Landesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern, LBE,<br />

über eine Geschäftsstelle mit hauptamtlichem Personal.<br />

Deren Aufgabe ist es, Information, Beratung und<br />

Fortbildung für Vereine, Verbände und Einrichtungen<br />

des Bürgerschaftlichen Engagements sowie für Politik<br />

und Verwaltung anzubieten und neue und innovative<br />

Ansätze des Bürgerschaftlichen Engagements in<br />

unterschiedlichen Themen- und Lebensbereichen zu<br />

fördern. Zu den Mitgliedern des LBE zählen Einrichtungen<br />

der Freiwilligenarbeit auf Landesebene, wie die<br />

Freiwilligenagenturen Bayerns, die Mütter- und Familienzentren,<br />

Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros<br />

und die Bürgerstiftungen in Bayern. Sowohl AGABY<br />

als auch das LBE kooperieren mit zahlreichen Organisationen<br />

und Verbänden auf Landesebene und sind<br />

darüber hinaus auch auf Bundesebene vernetzt.<br />

Die Projektförderung ermöglichte die Einrichtung der<br />

beiden hauptamtlichen Stellen der Projektkoordinator/<br />

innen der AGABY und des LBE und einer Mitarbeiter/<br />

innenstelle mit einer gesamten Arbeitszeit von 72,5<br />

Stunden pro Woche für die Laufzeit von drei Jahren.<br />

Motive für eine Netzwerkpartnerschaft<br />

Mangels institutioneller Förderung war der ehrenamtliche<br />

Vorstand der AGABY bereits seit längerem auf<br />

der Suche nach Fördermöglichkeiten, die eine bessere<br />

Sichtbarmachung, Unterstützung und Stärkung<br />

des ehrenamtlichen Engagements der Beiräte auf<br />

kommunaler und Landesebene auch unabhängig von<br />

einer Regelförderung ermöglichen sollten. Die Geschäftsstelle<br />

des LBE Bayern widerum verfolgte das<br />

Ziel, die Mittelschichtsorientierung der Einrichtungen<br />

der Freiwilligenarbeit aufzubrechen und insbesondere<br />

Migrant/innen verstärkt als neue Zielgruppe zu<br />

gewinnen. Beide Träger verband darüber hinaus der<br />

grundlegende (Projekt-)Ansatz, Integrationsprozesse<br />

nicht für, sondern mit Migrant/innen gemeinsam und<br />

auf gleicher Augenhöhe zu gestalten.<br />

Ziele der Netzwerkpartnerschaft<br />

Übergeordnetes inhaltliches Ziel der Kooperation von<br />

AGABY und LBE ist die konzeptionelle Entwicklung der<br />

breiten Schnittmenge der Themenfelder Bürgerschaftliches<br />

Engagement und Integration in Bayern und ihre<br />

Etablierung als eigenständiges und öffentlich anerkanntes<br />

Handlungsfeld. Unmittelbare Teilziele sind des-<br />

BBE - Dokumentation 39


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

halb die (öffentliche) Förderung und Anerkennung des<br />

Bürgerschaftlichen Engagements insbesondere von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in Bayern und gleichermaßen die<br />

Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung von Einrichtungen<br />

und Organisationen vor allem der Mehrheitsgesellschaft.<br />

Strukturelles Ziel der Kooperation von AGABY<br />

und LBE ist das Zusammenführen der jeweiligen Netzwerke<br />

und ihre gemeinsame Weiterentwicklung.<br />

Bewertung der Netzwerkpartnerschaft<br />

Beide Träger bewerten die Netzwerkpartnerschaft positiv<br />

und wollen ihre Kooperation in einem dreijährigen<br />

Folgeprojekt fortführen. Zu den Erfolgen der Netzwerkpartnerschaft<br />

zählen für AGABY und LBE insbesondere<br />

• Die Bereicherung der Perspektiven <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />

Projektträgerschaft einer Migrantenund<br />

einer deutschen Organisation.<br />

• Die Bereicherung der Themen <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />

Projektträgerschaft einer (integrations-)politsch<br />

engagierten Migrantenorganisation und einer<br />

auf die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements<br />

spezialisierten deutschen Organisation.<br />

• Die erfolgreiche Erweiterung der jeweiligen Netzwerkstrukturen.<br />

• Der erleicherte Zugang zu den Akteuren der jeweils<br />

„anderen Seite“.<br />

• Die besseren Vernetzungsmöglichkeiten auch auf<br />

lokaler und regionaler Ebene.<br />

• Die bessere Platzierung des Themenfeldes Bürgerschaftliches<br />

Engagement und Integration in Politik<br />

und Verwaltung.<br />

Die Hemmnisse und Schwierigkeiten des Kooperationsprojektes<br />

von AGABY und LBE lagen überwiegend<br />

in der Aufbauphase der Netzwerkpartnerschaft<br />

und sind allen voran der unterschiedlichen Aufstellung<br />

der Träger geschuldet: Insbesondere der extrem<br />

ungleichen Ressourcenlage der Träger (räumliche,<br />

materielle und personelle Ausstattung) und den ungleichen<br />

Arbeitsstrukturen eines ehren- und eines<br />

hauptamtlichen Trägers.<br />

Kontakt und Infos unter :<br />

www.gemeinsam-engagiert.net.<br />

Ergebnisse<br />

Birger Hartnuß, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Leitstelle<br />

Bürgergesellschaft und Ehrenamt<br />

Den Ländern kommt in Fragen der Förderung bürgerschaftlichen<br />

Engagements und gesellschaftlicher<br />

Partizipation erhebliche Bedeutung zu. Als Ebene<br />

zwischen dem Bund und den Kommunen haben<br />

sie nicht nur weit reichende Handlungsspielräume,<br />

sondern tragen auch Verantwortung für die Gestaltung<br />

moderner Engagement- und Demokratiepolitik.<br />

Dieser Verantwortung haben sich die Länder in den<br />

vergangenen Jahren in zunehmendem Maße gestellt<br />

und neue Strukturen, Programme und Aktivitäten zu<br />

Engagement- und Partizipationsförderung auf den<br />

Weg gebracht.<br />

Dies gilt nicht zuletzt auch für Fragen der Förderung<br />

bürgerschaftlichen Engagements sowie der<br />

politischen Partizipation von Migrantinnen und<br />

Migranten. Eine zentrale Frage dabei ist, wie die<br />

bestehenden Migrantenselbstorganisationen in<br />

ihrer Arbeit unterstützt, in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

aufgewertet und in ihrem politischen Beteiligungsmöglichkeiten<br />

gefördert werden können.<br />

Als eines der wirkungsvollsten Instrumente hierfür<br />

wird – wie auch in anderen Bereichen des bürgerschaftlichen<br />

Engagements – die Vernetzung und<br />

Netzwerkbildung angesehen. So wird auch in diesem<br />

Bereich die Gründung von Netzwerken zunehmend<br />

für die Lösung drängender gesellschaftlicher<br />

Herausforderungen herangezogen. Inzwischen haben<br />

eine Reihe von Ländern bereits Netzwerke ins<br />

Leben gerufen, die die gesellschaftliche Integration<br />

und politische Partizipation von Migrant/innen und<br />

Migranten und von Migrantenselbsorganisationen<br />

fördern wollen. Beispiele hierfür etwa sind Zusammenschlüsse<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in den<br />

verschiedenen Länder-Arbeitsgemeinschaften von<br />

Ausländerbeiräten oder – wie etwa in Rheinland-<br />

Pfalz – Zusammenschlüsse der Beiräte für Migration<br />

und Integration. In den neuen Bundesländern<br />

wird mit dem Projekt „EmPa“ die Arbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in verschiedenen Säulen gefördert.<br />

Hierzu zählen Fragen der Qualifizierung, des<br />

Empowerments, aber auch der verstärkten Kooperation<br />

und Vernetzung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

untereinander.<br />

Ein besonders spannendes und erfolgreiches Netzwerk<br />

arbeitet seit einigen Jahren unter dem Titel<br />

„Gemeinsam engagiert“ in Bayern. Dieses Vernetzungsprojekt<br />

wird von der Arbeitsgemeinschaft der<br />

Ausländerbeiräte Bayern (AGABY) und dem Landesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />

getragen. In dieser besonderen Kooperation ist<br />

es gelungen, eine breite Palette von Aktivitäten und<br />

Schwerpunkten zu entwickeln und umzusetzen, die<br />

sowohl konkrete Projekte vor Ort, gegenseitigen Austausch<br />

und gemeinsames Lernen sowie die Stärkung<br />

politischer Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

zum Ziel haben.<br />

40 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Marion Bradl (AGABY) und Torsten Groß (Landesnetzwerk<br />

BE Bayern) stellten im Workshop das Vernetzungsprojekt<br />

mit seinen besonderen Strukturen,<br />

konkreten Projekten und Angeboten sowie die bisherigen<br />

Erfahrungen in der Netzwerkarbeit vor.<br />

Ausgehend von dem Erfahrungsbericht aus Bayern<br />

wurde in der Arbeitsgruppe intensiv über Chancen,<br />

Herausforderungen und Erfolgsfaktoren der Netzwerkbildung<br />

von und mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

diskutiert. Die wichtigsten Dispositionslinien hierbei<br />

lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:<br />

• Bestehende Netzwerke auf Landesebene unterscheiden<br />

sich in erheblichem Maße bezüglich der<br />

beteiligten Akteure (Wer macht mit?), der Entstehungsgeschichte<br />

(politische Initiative von „oben“<br />

oder Initiative von „unten“ aus eigener Betroffenheit)<br />

aber auch bezüglich der mit der Netzwerkarbeit<br />

verbundenen Themen und Anliegen (konkrete<br />

Projekte wie zum Beispiel Qualifizierungsangebote<br />

oder Stärkung der politischen Beteiligungsmöglichkeiten<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong>).<br />

• Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Netzwerke in diesem<br />

Bereich ist die Erhöhung von Transparenz.<br />

Es ist entscheidend, dass allen Beteiligten klar<br />

ist, welche Akteure in dem Netzwerk mitwirken,<br />

welche konkreten, auch politischen Ziele unterschiedliche<br />

Akteure mit ihrer Mitwirkung im Netzwerk<br />

verbinden, und welches inhaltliche Profil<br />

das Netzwerk haben soll. Es ist ein erheblicher<br />

Unterschied, ob Netzwerke sich auf die Unterstützung<br />

und Förderung konkreter Projekte im<br />

lokalen Raum konzentrieren, bestehende <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

in einem Land besser vernetzen<br />

und in Austausch bringen sollen oder aber<br />

mit der Arbeit auch der Anspruch einer Stärkung<br />

politischer Partizipation und Interessenvertretung<br />

verbunden wird.<br />

• Fundament jeglicher Netzwerkarbeit ist die Schaffung<br />

von Vertrauen. Hierfür bedarf es belastbarer<br />

Informations- und Kommunikationsstrukturen sowie<br />

die Entwicklung gemeinsamer Projekte und<br />

Vorhaben. Netzwerke sind kein Selbstzweck. Ihr<br />

Erfolg bemisst sich daran, inwiefern es gelingt, für<br />

alle Beteiligten erfahrbare Veränderungen und Erfolge<br />

zu erzielen.<br />

• Hiermit verbindet sich nicht zuletzt die Frage der<br />

Steuerung und des Managements der Netzwerkarbeit.<br />

Letztlich benötigen effektive Netzwerke<br />

eine verlässliche Infrastruktur die dies sicherstellt.<br />

Hiermit wiederum sind Fragen der finanziellen und<br />

personellen Ausstattung der Netzwerke angesprochen.<br />

Hierfür müssen tragfähige Lösungen gefunden<br />

werden.<br />

• Netzwerke von <strong>Migrantenorganisationen</strong> auf Landesebene<br />

stehen vor der Herausforderung, in ihrer<br />

Arbeit verstärkt auch den Kontakt und die Kooperation<br />

mit bestehenden Strukturen und Organisationen<br />

der Engagement- und Partizipationsförderung<br />

aufzubauen und zu nutzen. Dies gelingt in der<br />

Praxis nur selten. Wichtige Partner hierfür wären<br />

insbesondere Freiwilligenagenturen und Freiwilligenzentren,<br />

Seniorenbüros, Mütterzentren, Selbsthilfekontaktstellen<br />

etc. und ihre Zusammenschlüsse<br />

auf Landesebene.<br />

• Netzwerke in diesem Bereich unterscheiden sich<br />

erheblich danach, ob sie sich als „vertikale“ oder<br />

„horizontale“ Vernetzungsstrukturen auf Landesebene<br />

verstehen. Insbesondere bei Netzwerken,<br />

die sich auf die verstärkte Kooperation<br />

von bestehenden Organisationen und Zusammenschlüssen<br />

auf Landesebene konzentrieren,<br />

stellt sich die Herausforderung, ihre Ergebnisse<br />

und ihre Arbeit rückzubinden an die Organisationen<br />

auf lokaler Ebene. Auch hierfür bedarf<br />

es eines klugen Netzwerk- und Schnittstellenmanagements.<br />

AG 3: Vernetzung <strong>durch</strong> Weiterbildung in<br />

den neuen Bundesländern: Das Projekt<br />

EMPA<br />

Impuls: Empowerment und Partizipationsförderung<br />

für Drittstaatenangehörige in den neuen<br />

Bundesländern<br />

Dr. Esra Erdem, Projektleiterin EMPA, RAA Brandenburg<br />

In diesem Beitrag soll anhand des Projektes EMPA<br />

beispielhaft dargestellt werden, wie Weiterbildungsangebote<br />

als Forum der Vernetzung von Migrant/<br />

innenorganisationen dienen und somit zur Stärkung<br />

der selbstorganisierten Interessenvertretung auf regionaler<br />

Ebene beitragen können.<br />

Mit dem Projekt EMPA möchte die RAA Brandenburg<br />

das zivilgesellschaftliche Engagement von Migrant/<br />

innen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen würdigen<br />

und fördern. Das Projekt wird in Kooperation mit den<br />

Integrations- bzw. Ausländerbeauftragten der ostdeutschen<br />

Bundesländer sowie dem Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches Engagement (BBE) <strong>durch</strong>geführt.<br />

Es hat eine Laufzeit von drei Jahren (Oktober<br />

2008 bis September 2011) und wird <strong>durch</strong> den Europäischen<br />

Integrationsfond und das Land Brandenburg<br />

finanziert.<br />

BBE - Dokumentation 41


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Die drei Fortbildungsreihen, mit denen je unterschiedliche<br />

Aspekte des gesellschaftlichen Engagements<br />

von Migrant/innen angesprochen werden, bilden<br />

einen Kernteil von EMPA. In Einzelnen werden folgende<br />

thematische Schwerpunkte gesetzt:<br />

• 2009: Professionalisierung der Arbeit von Migrant/<br />

innenorganisationen.<br />

• 2010: Empowerment und Partizipation <strong>durch</strong> Engagement<br />

in Religionsgemeinschaften von Migrant/<br />

innen.<br />

• 2011: Empowerment von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Im Folgenden möchte ich mich konkret auf Erfahrungen<br />

aus der EMPA-Fortbildungsreihe 2009 beziehen<br />

um darzustellen, wie im Rahmen des Projektes<br />

die Qualifizierung und Vernetzung von Migrant/innenorganisationen<br />

konzeptionell ineinander greifen:<br />

An den sieben Wochenendseminaren nahm eine<br />

Gruppe von insgesamt 24 Vertreter/innen der ostdeutschen<br />

Migrant/innenorganisationen teil, die sich<br />

zu Themen an der Schnittstelle von Migration und Organisationsentwicklung<br />

weiterbildeten. Diese Fortbildungen<br />

baten zugleich einen Rahmen der Vernetzung<br />

an. In ihrer Evaluation hoben die Teilnehmenden diese<br />

Möglichkeit eines überregionalen Austauschs mit Migrant/innen<br />

unterschiedlicher Herkunft als besonders<br />

wertvoll hervor. In den Lernerorientierten Seminaren,<br />

den praxisnahen Übungen in kleinen Arbeitsgruppen,<br />

aber auch in den informellen Pausengesprächen fanden<br />

die Teilnehmenden ausführlich Gelegenheit, sich<br />

über ihre Kompetenzen und Erfahrungen als Akteure<br />

der Migrationsarbeit auszutauschen.<br />

Um die Kommunikation unter den Teilnehmer/innen<br />

auch zwischen den Fortbildungsterminen zu ermöglichen,<br />

wurde ergänzend ein virtuelles Diskussionsforum<br />

in Form eines internen Email-Verteilers eingerichtet. Neben<br />

dem regelmäßigen Informationsaustausch erlaubte<br />

uns dieses Medium beispielsweise auch, gemeinsam in<br />

kürzester Zeit eine Stellungnahme zu verfassen, um unsere<br />

Solidarität mit einem EMPA-Teilnehmer zu bekunden,<br />

der im Rahmen seines politischen Engagements<br />

von Rechtsextremisten bedroht wurde.<br />

Eine weitere Plattform der elektronischen Vernetzung<br />

stellt die EMPA Homepage www.projekt-empa.<br />

de dar. Auf der Unterseite „Qualifizierung 2009“ haben<br />

die Teilnehmenden kurze Informationen zu ihrer<br />

Person und ihrer Arbeit zusammengetragen. Dabei<br />

ist eine beeindruckende Vielfalt an regionalen Tätigkeitsprofilen<br />

zutage getreten, die der interessierten<br />

Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden konnte.<br />

42 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Viertens, boten die sechs Regionalveranstaltungen,<br />

die EMPA-Teilnehmende im Rahmen der interkulturellen<br />

Wochen im September 2009 gemeinsam<br />

<strong>durch</strong>führten, eine Möglichkeit, die Anliegen von Migrant/innenorganisationen<br />

einer breiten Öffentlichkeit<br />

vorzustellen und neue Erfahrungswerte in der<br />

Zusammenarbeit mit anderen Migrant/innenorganisationen<br />

zu sammeln. Zugleich stellten sie eine gute<br />

Gelegenheit zur engeren Vernetzung mit den EMPA-<br />

Kooperationspartnern und weiteren lokalen Akteuren<br />

der Integrationsarbeit dar.<br />

Fünftens, bietet die Kooperation zwischen dem BBE<br />

und EMPA ein besonderes Forum der Vernetzung<br />

für Migrant/innenorganisationen in Ost- und Westdeutschland.<br />

Durch die Teilnahme von EMPA an den<br />

Fachtagungen der AG Migration/Integration des BBE<br />

und die teilweise Verlegung der AG Sitzungen nach<br />

Ostdeutschland, sind neue Verbindungen geknüpft<br />

worden, die das Potential für eine Zusammenarbeit<br />

in der Zukunft (z.B. in Form von Ost-West Tandemprojekten)<br />

in sich bergen.<br />

Letztens ist noch die Vernetzung auf europäischer<br />

Ebene zu erwähnen. Im Rahmen der Studie „Alternative<br />

Voices on Integration“ (<strong>durch</strong>geführt vom Institute<br />

of Race Relations in Kooperation mit dem Network of<br />

European Foundations / European Programme for Integration<br />

and Migration) wurde EMPA als innovatives<br />

Projekt gewürdigt und <strong>durch</strong> einen eigenständigen<br />

Beitrag auf der Homepage des Forschungsprojektes<br />

der europäischen Fachöffentlichkeit vorgestellt.<br />

Im Jahr 2010 wird EMPA das Konzept „Qualifizierung<br />

und Vernetzung“ weiterverfolgen. Mit einer Fortbildungsreihe<br />

für Migrant/innen, die sich in Religionsgemeinschaften<br />

von Zugewanderten engagieren,<br />

wird der Rahmen für eine überregionale, interreligiöse<br />

Begegnung in Ostdeutschland geschaffen. Auch<br />

die Vernetzung der <strong>Migrantenorganisationen</strong> wird im<br />

Jahre 2010 fortgesetzt.<br />

Informationen zu den geplanten Regionalveranstaltungen<br />

können Sie im Laufe des Jahres der EMPA-<br />

Homepage entnehmen.<br />

Ergebnisse<br />

Dr. Karamba Diaby, Projektleiter Migration/Integration<br />

der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“, Halle-<br />

Saalekreis e.V. und Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />

und Integrationsrates<br />

An dieser AG beteiligten sich 8 Teilnehmer/innen.<br />

Nach einem einführenden Vortrag von Frau Dr. Esra<br />

Erdem (RAA Brandenburg und Leiterin des Projektes<br />

EmPa) erfolgte eine intensive Diskussion.<br />

Das Projekt steht für „Empowerment und Partizipationsförderung<br />

für Drittstaatenangehörige in den<br />

neuen Bundesländern“. Es wird von Oktober 2008<br />

bis September 2011 <strong>durch</strong>geführt mit folgenden Kooperationspartnern:<br />

Die Integrations- und Ausländerbeauftragten<br />

der ostdeutschen Bundesländer,<br />

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />

(BBE). Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die<br />

gesellschaftliche Teilhabe von Migrant/innen in Ostdeutschland<br />

zu fördern und die Stärkung der eigenständigen<br />

Interessenvertretung und der öffentlichen<br />

Präsenz von Migrant/innen zu unterstützen.<br />

Die Projektangebote sind die Qualifizierung und Vernetzung<br />

von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Für 2010 stehen<br />

Religionsgemeinschaften im Mittelpunkt und für<br />

2011 wird besonderes Augenmerk auf Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund gelegt.<br />

Das Profil der Teilnehmenden zeigt, dass 59% Frauen<br />

sind und 41% Männer. Die Teilnehmerzahl pro Bundesland<br />

war sehr unterschiedlich. Während Sachsen<br />

mit 10 Teilnehmern/innen die größte Gruppe stellte<br />

sind lediglich 2 Teinehmer/innen aus Thüringen. Dies<br />

erklärt sich mit dem Engagement der Kooperationspartner<br />

in den Regionen bei der Werbung für das Projekt.<br />

Die Teilnehmer/innen stammen aus 14 verschiedenen<br />

Herkunftsländern.<br />

Themen der Fortbildungsmodule 2009 waren Antidiskriminierung,<br />

Zuwanderungsgesetz, Vereinsrecht<br />

& Finanzen, Projektmanagement, Kommunikation &<br />

Konfliktmanagement, Moderation & Präsentationstechniken,<br />

Öffentlichkeitsarbeit & Fundraising.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vernetzung von MO<br />

und Akteuren der Integrationsarbeit auf Regionalveranstaltungen<br />

u.a. in Halle und Leipzig. Die bundesweite<br />

Vernetzung erfolgte <strong>durch</strong> die Kooperation mit<br />

BBE / AG Migration und Integration. Die Vernetzung<br />

im europäischen Kontext ergab eine Würdigung des<br />

Projektes <strong>durch</strong> „Institute of Race Relations, London“<br />

als innovatives Projekt im Zusammenhang mit dem<br />

Forschungsprogramm „Alternative Voices on Integration“<br />

Der Moderator als ehemaliger Teilnehmer<br />

bei diesen Fortbildungen von EmPa berichtete über<br />

seine positiven Erfahrungen insbesondere, dass das<br />

Projekt zur Vernetzung der MO in den neuen Bundesländern<br />

stark beigetragen hat.<br />

In den Diskussionen kristallisierten sich folgende Fragen<br />

heraus:<br />

BBE - Dokumentation 43


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

• Wie können solche Projekte zur Qualifizierung finanziell<br />

gefördert werden?<br />

• Wie sieht eine erfolgreiche Teilnehmergewinnung aus?<br />

• Welche Voraussetzungen müssen die Teilnehmer/<br />

innen erfüllen?<br />

• Welche Rolle spielten die individuellen Zugangsvoraussetzungen<br />

der Teilnehmer/innen?<br />

Angeregt wird, flächendeckend solche Fortbildungen<br />

für alle Bundesländer anzubieten. Diese Anregungen<br />

wurden von Frau Bartels als Vertreterin vom BAMF<br />

wohlwollend registriert.<br />

AG 4: Bundesweite Netzwerke von MO<br />

Impuls: Netzwerkarbeit zur Partizipationsförderung<br />

von Migrant/innen<br />

Sidar Demirdöğen, Bundesverband der Migrant/innen<br />

e.V.<br />

Zum Verband<br />

Unser Migrant/innenverband wurde im Jahr 2005 auf<br />

einer bundesweiten Konferenz in Köln gegründet, an<br />

der über 250 Frauen teilnahmen. Nach intensiven<br />

Diskussionen über die Probleme von Frauen und Migrant/innen,<br />

haben wir uns entschlossen, einen bundesweit<br />

agierenden Zusammenschluss von Frauen<br />

zu gründen.<br />

Der Bundesverband der Migrant/innen in Deutschland<br />

e.V. ist ein eingetragener und gemeinnütziger<br />

Verein mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Verbandstätigkeit<br />

stützt sich ausschließlich auf das ehrenamtliche<br />

Engagement von Frauen und Mädchen<br />

mit türkischem Migrationshintergrund. Derzeit sind<br />

dem Verband über 23 Frauengruppen bundesweit<br />

angeschlossen.<br />

Zentral stand im Raum, das Migrant/innen in bestehenden<br />

Organisationsformen und Netzwerken, keinen<br />

angemessenen Raum für ihre Partizipation haben.<br />

Sie sind in Vorständen unterrepräsentiert, sind<br />

in Entscheidungsprozesse nicht ausreichend angemessen,<br />

bleiben in der Rolle des Zuhörers kleben.<br />

Die Erfahrungen aus der lokalen Arbeit im Vorfeld der<br />

Gründungskonferenz haben uns davon überzeugt,<br />

dass Frauen eigene Räume benötigen, um frei sprechen<br />

und sich frei bewegen zu können. Eine andere<br />

zentrale Frage war die Tatsache, dass schlichtweg<br />

keine bzw. nur eine Handvoll bundesweit agierende<br />

Migrant/innenorganisationen existieren und wir hier<br />

einen starken Bedarf sahen.<br />

Unser Verband ist ein Zusammenschluss von über 20<br />

Frauengruppen bundesweit. Wir haben derzeit über<br />

500 Mitglieder, darüber hinaus einen breiten Kreis<br />

von ca. 5000 Sympathisantinnen. Die Verbandstätigkeit<br />

stützt sich ausschließlich auf das ehrenamtliche<br />

Engagement von Frauen.<br />

Ziel unserer Verbandsarbeit ist die Integrationsförderung<br />

von Migrant/innen. Darunter verstehen wir in<br />

erster Linie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen<br />

am gesellschaftlichen Leben. Unsere Grundlage bildet<br />

zum einen die Arbeit vor Ort, d.h. in den Städten,<br />

zum anderen die politische Interessensvertretung.<br />

MO und ihre Rolle in der Integration<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> werden in der Integrationsund<br />

Migrationsforschung kontrovers diskutiert. Vereinfacht<br />

formuliert gibt es zwei gegensätzliche Standpunkte<br />

bzgl. der Frage nach der qualitativen Rolle<br />

von Netzwerkbildungen von Migranten im Kontext der<br />

Integration. Die Diskussion dreht sich vor allem um<br />

die Frage, ob die Eigenorganisationen von Migranten<br />

eine integrierende oder eine desintegrierende Rolle<br />

im Integrationsprozess einnehmen. Ich denke, dass<br />

Migrantenorganisation von Grund auf eine integrationsfördernde<br />

Rolle einnehmen. Es wäre falsch und<br />

fatal, davon auszugehen, dass Eigenorganisationen<br />

von Migrant/innen und Migranten, automatisch eine<br />

positive Rolle einnehmen, nur weil sie eben <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sind.<br />

Entscheidend sind dabei das Grundverständnis und<br />

die politische Positionierung. So darf nicht davon<br />

abgesehen werden, dass auch innerhalb der sogenannten<br />

Migrantencommunity nationalistische Strömungen<br />

einen starken Einfluss haben.<br />

Unser Verband grenzt sich ganz klar von derartigen<br />

Verständnissen ab. Wir verstehen uns als eine demokratische,<br />

überparteiliche Organisation, die sich gegen<br />

jegliche Form von Grenzziehungen wehrt. Dies<br />

gilt auch im innerethnischen Kontext.<br />

Ziele und Aktivitäten<br />

Ziel und Zweck des Verbandes ist die Förderung und<br />

Stärkung der Integration von Frauen und Mädchen<br />

mit türkischem Migrationshintergrund in allen Lebensbereichen:<br />

Bildung, Ausbildung, Arbeit und Beruf,<br />

Soziales, Kultur, Recht und Politik. Dazu führt der<br />

Verband zahlreiche Veranstaltungen zur Information,<br />

Sensibilisierung und Aufklärung <strong>durch</strong>. Der Ausbau<br />

des interkulturellen Dialogs und Austauschs steht dabei<br />

im Mittelpunkt aller Bemühungen.<br />

44 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Der Migrant/innenverband versteht sich weiter nicht<br />

als ein geschlossener Ort, der sich von der autochthonen<br />

Gesellschaft isoliert. Vielmehr nutzt er die Verbandsstrukturen<br />

dafür, Migrant/innen zunächst aus<br />

der Isolation vom sozio-kulturellen Leben herauszuholen,<br />

um damit ihre Teilhabe am Alltag zu stärken.<br />

Dies geschieht zum einen innerhalb des Verbandes,<br />

zum anderen <strong>durch</strong> regen Kontakt und Zusammenarbeit<br />

mit deutschen und migrantischen Einrichtungen,<br />

Vereinen und Organisationen.<br />

Der Verband versteht sich als eine Form der Organisation,<br />

die die konkreten Lebensbedingungen von<br />

Migrant/innen berücksichtigt und hieraus Strukturen<br />

der geschlechtsspezifischen Partizipation von Frauen<br />

mit Migrationshintergrund entwirft. Die Bereitstellung<br />

von niedrigschwelligen Angeboten ist dabei ein<br />

wichtiger Bestandteil der Verbandstätigkeit. Zentrale<br />

Bedeutung hat der Aspekt der Bewusstseinsbildung<br />

hinsichtlich geschlechtsspezifischer und sozial-politischer<br />

Probleme. Wichtig ist nicht nur die Möglichkeit<br />

der Aussprache über Probleme, sondern auch die gemeinsame<br />

Bemühung, hierfür Lösungen formulieren<br />

zu können.<br />

Neben niedrigschwelligen Angeboten im Stadtteil zur<br />

Förderung der sozialen, kulturellen und politischen Information<br />

und Partizipation engagiert sich der Migrant/<br />

innenverband gegen rassistische Ressentiments und<br />

gegen die öffentlich-mediale Konstruktion von Stereotypen,<br />

deren Gegenstand zumeist Frauen sind.<br />

Unser Verband versucht die Potenziale von Migrant/<br />

innen sichtbar zu machen. Dafür benötigt es aber<br />

Räume. Räume, um sprechen zu können und um aktiv<br />

teilhaben zu können. Denn Partizipation heißt, sich<br />

bewegen und vor allem sich auch hinausbewegen zu<br />

können – eben auch aus Strukturen und Denkweisen,<br />

die nur wenig Freiraum für eine aktive Teilhabe ermöglichen.<br />

Unsere Erfahrungen zeigen, dass Frauen<br />

auch ein enormes Potenzial in sich tragen, wenn es<br />

darum geht, Barrieren oder festgeschriebene Geschlechterrollen<br />

in den eigenen Kreisen aufzubrechen,<br />

die ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben behindern.<br />

Frauen, die beispielsweise mit 16 oder 17 Jahren<br />

verheiratet und somit ihr Leben lang auf ihre Rolle<br />

als Schwiegertochter, Ehefrau und Mutter reduziert<br />

wurden, setzen sich dafür ein, dass besonders ihre<br />

Töchter in der Bildung und im Beruf erfolgreich sind.<br />

In Theaterkursen lernen sie nicht nur Rollenspiele,<br />

sondern verbinden sie mit dem Versuch, hier<strong>durch</strong><br />

auch die deutsche Sprache zu erlernen. Sie organisieren<br />

in ihren Wohnvierteln Computerkurse – um<br />

nicht nur sich weiterzubilden, sondern auch um in<br />

der Erziehung ihrer Kinder, wichtige Kompetenzen im<br />

Umgang mit Medien aneignen zu können.<br />

Wir mischen mit, wenn es darum geht, den Aspekt<br />

der Geschlechtergerechtigkeit auf Seiten der Migrant/<br />

innen und Migranten zu bestärken und konkret umzusetzen.<br />

Wir rütteln an festgeschriebenen Rollen und<br />

Denkweisen, die uns und unsere Potenziale verbergen<br />

wollen.<br />

Mitgliederprofil<br />

Im Migrant/innenverband können nur Frauen Mitglied<br />

werden. Obgleich aus dem Verbandsnamen nicht sofort<br />

ersichtlich, gehören türkeistämmige Frauen zur<br />

Hautgruppe der Mitglieder. Sie stellen zugleich die<br />

Zielgruppe dar.<br />

Die Gruppe der Migrant/innen und Migranten aus der<br />

Türkei stellt keine homogene kulturelle Gruppe dar,<br />

kennzeichnend ist vielmehr die ethnisch-kulturelle Heterogenität<br />

ihrer Mitglieder. Dies spiegelt sich im Profil<br />

der Mitglieder wider: Ethnisch können Türkinnen,<br />

Kurdinnen (überwiegend aus der Türkei), Lazinnen<br />

und Frauen aus dem türkischen Teil Thrakiens ausgemacht<br />

werden, hinsichtlich der Zugehörigkeit zu<br />

Religionsgemeinschaften stellen Sunnitinnen und<br />

Alevitinnen die größten Gruppen dar.<br />

Netzwerkarbeit<br />

Zur Bedeutung der Netzwerkarbeit ist von unserer<br />

Seite klar zu sagen: Unser Verband ist ein Ergebnis<br />

der Netzwerkarbeit von Frauen und lebt von den sozialen<br />

Netzwerken unserer Mitglieder. Unsere Arbeit<br />

orientiert sich an die konkreten Bedarfe der Frauen<br />

und versucht ihre Partizipation <strong>durch</strong> die Möglichkeit<br />

zur Abdeckung dieser Bedarfe zu bestärken. Wir arbeiten<br />

stark in Stadtteilen und sprechen Frauen persönlich<br />

an. Unsere Erfahrungen zeigen, dass soziale<br />

Kontakte innerhalb eines Stadtteils stärker ausgeprägt<br />

sind, als darüber hinaus.<br />

D.h. stadtteilübergreifende Kontakte sind schwächer<br />

ausgeprägt und sind schwieriger zu zusammen zu<br />

bringen.<br />

Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade Frauen wichtige<br />

Träger sozialer Netzwerke sind. Sie sind es, die soziale<br />

Kontakte zwischen Familienmitgliedern, Arbeitskolleginnen,<br />

Nachbarn, Bekannten und Freunden halten.<br />

Wir versuchen auf dieses Potenzial zurückzugreifen,<br />

weil wir gerade hier einen wichtigen Punkt sehen.<br />

BBE - Dokumentation 45


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Dies hängt vor allem <strong>durch</strong> die Lebensverhältnisse<br />

und den damit verbundenen Möglichkeiten unter anderem<br />

zusammen. Zum anderen da<strong>durch</strong>, dass Familienmitglieder<br />

oder Bekannte in unmittelbarer Nähe<br />

sich befinden. Unser Verband berücksichtigt diese<br />

Situation und sieht hierin auch seine Möglichkeiten<br />

der breiten Ansprache.<br />

Frauen haben ihre eigenen Netzwerke entwickelt,<br />

die eher in privaten Räumen stehen, sie sind nicht<br />

öffentlich sichtbar bzw. werden zu gering geschätzt.<br />

Wir versuchen daher, die Nähe zu Frauen sehr eng<br />

zu halten. Weil ihre Partizipation zunächst in privaten<br />

Räumen erfolgt, orientiert sich unsere Verbandstätigkeit<br />

eben an diesen, d.h. stadtteilorientiert und persönliche<br />

Ansprache.<br />

Wir suchen die Nähe zu den Frauen und versuchen<br />

<strong>durch</strong> persönliche Gespräche bestehende Probleme<br />

oder Wünsche so zu sammeln. Die Weitergabe von<br />

Informationen zu unseren Aktivitäten erfolgt über die<br />

sozialen Netzwerke der Mitglieder. Familienangehörige,<br />

Bekannte, Arbeitskolleginnen oder Nachbarn werden<br />

über die individuellen Kontakte und Beziehungen<br />

unserer Frauen angesprochen.<br />

Netzwerke nach außen<br />

Unser Verband versteht Integration als eine Querschnittsaufgabe.<br />

So gesehen, ist die Zusammenarbeit<br />

mit „einheimischen“ Verbänden, politischen Ebenen<br />

oder Organisationen für uns von großer Wichtigkeit.<br />

Die Netzwerkarbeit nach außen beginnt in den<br />

Stadtteilen, wenn es darum geht, gemeinsame Veranstaltungen<br />

<strong>durch</strong>zuführen. So bspw. mit dem Caritasverband,<br />

mit dem Internationalen Bund, der Arbeiterwohlfahrt<br />

oder Stadtteilinitiativen. In Niederrad<br />

bspw. führen 1 x Monat ein internationales Frauenfrühstück<br />

<strong>durch</strong>, an den Frauen unterschiedlicher<br />

Herkunft zusammenkommen. Unser Verband ist Mitglied<br />

beim Deutschen Frauenrat, beim Paritätischen<br />

Wohlfahrtsverband, kooperiert mit dem DOSB und<br />

arbeitet eng mit anderen regionalen und überregionalen<br />

Vereinen/ Verbänden.<br />

Hindernisse<br />

Probleme bestehen insbesondere darin, dass Vernetzung<br />

zwar erfolgt, aber keine Ausweitung der<br />

inhaltlichen Arbeit. D.h. es fehlt unsererseits die<br />

notwendige Ausstattung zur effektiven Nutzung der<br />

Netzwerkarbeit. Auf der anderen Seite stehen wir<br />

professionellen Verbänden gegenüber, die eine hohe<br />

Erwartungshaltung haben und im Grunde kein Gespür<br />

für ehrenamtliche Arbeit besitzen.<br />

Bei Förderung stoßen wir auf kommunaler Ebene insbesondere<br />

auf ein folgendes kurioses Problem. Die<br />

Kommunen sind zum Teil auf unser Profil nicht vorbereitet.<br />

So streiten wir uns Frankfurt bspw. darüber, wer<br />

jetzt nun die Zuständigkeiten hat. Das Frauenreferat<br />

oder das Amt für multikulturelle Angelegenheiten.<br />

AG 5: Netzwerke in der Jugendverbandsarbeit<br />

Impuls: Bundesweite Perspektive<br />

Daniel Grein, Geschäftsführer des Deutschen<br />

Bundesjugendrings (DBJR)<br />

Der DBJR ist die Arbeitsgemeinschaft aller bundeszentralen<br />

Jugendverbände in Deutschland. D.h. in unserem<br />

Netzwerk schließen sich neben allen Landesjugendringen<br />

25 Bundesverbände von katholischer<br />

und evangelischer Jugend über die Pfadfinderverbände<br />

bis zu Feuerwehrjugend, die Chorjugend oder<br />

die Naturschutzjugend zusammen. Wir vertreten damit<br />

über 5,5 Millionen ehrenamtlich engagierte Kinder<br />

und Jugendliche.<br />

Unsere Aufgabe ist es die Zusammenarbeit der Verbände<br />

zu stärken, die Rahmenbedingen für ihre Arbeit<br />

zu sichern, politische Interessensvertretung für<br />

die Verbände und ganz generell für Kinder und Jugendliche<br />

zu machen und auch die Kontakte der Jugend<br />

in Deutschland mit anderen Ländern zu halten<br />

und auszubauen. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt<br />

und eine sehr oberflächliche Darstellung unserer Arbeit.<br />

Selbstverständlich haben wir deshalb sowohl mit<br />

dem Thema junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

als auch mit VJMs intensiv zu tun.<br />

Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind<br />

seit ca. 10 Jahren immer stärker in das Blickfeld der<br />

Jugendverbände geraten. Jugendverbände haben<br />

unter dem Begriff Interkultureller Öffnung Chancen<br />

erkannt, aber sind auch an viele Grenzen gestoßen.<br />

Neben diesem langjährigen Engagement setzten sich<br />

Zusammenschlüsse der Jugendverbände sowie die<br />

Jugendringe in den letzten Jahren immer stärker für<br />

die Integration von Selbstorganisationen junger Migrant/innen<br />

und VJMs in die Strukturen der verbandlichen<br />

Netzwerke ein.<br />

Der DBJR begrüßt das Engagement von jungen Menschen<br />

mit Migrationshintergrund in Verbänden ganz<br />

grundsätzlich, egal ob es sich um MJO/VJM oder andere<br />

Verbände handelt. Das Partizipieren an Selbstorganisationen<br />

junger Menschen und damit das Mitgestalten<br />

von Lebenswelt und Zivilgesellschaft ist ein<br />

46 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

großer Beitrag auch zur Integration und zum Zusammenwachsen<br />

unserer Gesellschaft. Aus Sicht des<br />

DBJR sind deshalb junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in erster Linie junge Menschen und ihre<br />

Verbände, wie VJMs, sind in erster Linie Jugendverbände.<br />

Der DBJR verfolgt deshalb aus dieser Sichtweise<br />

heraus gleichzeitig sowohl die interkulturelle<br />

Öffnung der Jugendverbände, als auch die strukturelle<br />

Einbindung von Verbänden junger Migrant/innen<br />

in die Netzwerke der verbandlichen Arbeit.<br />

Funktionierende MJO bieten die Möglichkeit der<br />

politischen Teilhabe von Personengruppen mit Zuwanderungsgeschichte<br />

<strong>durch</strong> die Einbindung in gesellschaftliche<br />

Kommunikations- und politische Entscheidungs-<br />

bzw. Interessenvermittlungsprozesse.<br />

Funktionierende MJO leisten Beiträge zur non-formalen<br />

Bildung und sind Orte der Gesellung und somit<br />

Ort der sozialen Integration und der Alltagsbewältigung.<br />

Sie erfüllen wertvolle individuelle Integrationsleistungen<br />

für ihre Mitglieder, die gleichzeitig Nutzer/<br />

innen und Produzent/innen ihrer Angebote sind.<br />

Aus unserer Sicht hat die Selbstorganisation junger<br />

Menschen einen Wert an sich. Das gilt mindestens im<br />

gleichen Maße auch für Selbstorganisationen junger<br />

Migrant/innen.<br />

Auf Bundesebene werden v.a. der Bund der Alevitischen<br />

Jugend in Deutschland und die Mitgliedsorganisationen<br />

der djo (z.B. Assyrischer Jugendverband<br />

Mitteleuropa e.V., Kurdischer Kinder- und Jugendverband<br />

– KOMCIWAN e.V., Verband der russischsprachigen<br />

Jugend in Deutschland e.V. „JunOst“, Jugendund<br />

Studentenring der Deutschen aus Russland,<br />

Deutschbaltischer Jugend- und Studentenring e.V.,<br />

Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland<br />

-SJD) wahrgenommen. Sie sind im DBJR selbst oder<br />

über die djo angeschlossen. Daneben gibt es einige<br />

weitere bundeszentrale VJMs wie DIDF oder die MJD<br />

(Muslimische Jugend in Deutschland e.V.).<br />

Der DBJR ist sich im Klaren darüber, dass es sehr<br />

viele VJMs gibt, die nicht die Größe oder Verbreitung<br />

haben um auf Bundesebene wahrgenommen<br />

zu werden. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass<br />

die Debatte um die strukturelle Integration von VJMs<br />

auf allen Ebenen der Jugendringarbeit geführt wird.<br />

Viele Landesjugendringe und einige Verbände setzen<br />

sich intensiv mit großen Projekten damit auseinander<br />

und gleichzeitig gibt es große Anstrengungen auf der<br />

kommunalen Ebene.<br />

Es besteht also eine Gleichzeitigkeit im Agieren,<br />

Modelle ausprobieren sowie dem Diskurs auf allen<br />

Ebenen. Diese Gleichzeitigkeit zeigt zwar, dass das<br />

Thema sehr hoch gehängt wird und großer Gestaltungswille<br />

da ist, man muss aber auch darauf achten,<br />

dass Entwicklungen nicht einem Aktionismus<br />

geschuldet sind, sondern gute und nachhaltige Strukturen<br />

schaffen.<br />

Es macht wenig Sinn, dies abgekoppelt auf einer politischen<br />

Ebene zu tun. Auf allen Jugendringebenen<br />

gibt es Gemeinsamkeiten und Erfahrungen, aber natürlich<br />

gibt es Zugänge zum Thema und einzelne Themen,<br />

die auf den Ebenen sehr unterschiedliche sind.<br />

Es geht also keineswegs um bloße Übertragungen<br />

von Ansätzen und Methoden. Der DBJR sucht den<br />

intensiven Austausch v.a. mit den Landesjugendringen.<br />

Zusammen mit dem BAMF und dem BMFSFJ<br />

hat der DBJR außerdem versucht, Akteure aller Jugendringebenen<br />

und MJSO in einer Veranstaltung zu<br />

vernetzen und so Erkenntnisse zu bündeln.<br />

Im Folgenden werden Thesen, Herausforderungen<br />

und Probleme zur strukturellen Integration von VJMs<br />

dargestellt. Diese beziehen sich dabei nicht im Speziellen<br />

auf die Bundesebene, sondern sind übergreifend<br />

zu verstehen.<br />

Einbindung in Strukturen der Jugend(verbands)arbeit<br />

bedeutet für VJM:<br />

• Teilhabe an Wissen und Information,<br />

• Teilhabe an Mitsprache und Kommunikation,<br />

• Teilhabe an Mitbestimmungsstrukturen in den Jugendhilfestrukturen,<br />

• Wertschätzung und Anerkennung.<br />

Gleichzeitig bietet diese Einbindung Chancen wie z.B.<br />

• Strukturierung und Stabilisierung der eigenständigen<br />

Arbeit im VJM,<br />

• Implementieren struktureller Anregungen von außen<br />

in die eigene Arbeit zwecks Weiterentwicklung<br />

der eigenen Arbeitsgrundlagen,<br />

• Qualifizierung und Horizonterweiterung <strong>durch</strong> Zugang<br />

zu Jugendleiterschulungen, Aneignen von<br />

methodischem Handwerk, Austausch mit anderen<br />

Gruppen und Verbänden, Beteiligen an Jugendhilfe<br />

relevanten Projekten,<br />

• Vertreter/innen von VJM in Jugendhilfestrukturen<br />

erfahren Wertschätzung und Anerkennung für sich<br />

und ihre Organisation und sie begreifen sich und<br />

VJM als gleichwertigen Teil der Gesellschaft.<br />

Trotz der offenkundigen Vorteile in der Arbeit mit<br />

VJMs wird aber klar, dass die Einbindung und Strukturintegration<br />

nicht problemfrei funktioniert. Ein<br />

BBE - Dokumentation 47


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

zentrales Problem scheint v.a. die Überlastung, fehlende<br />

Kontinuität und die ungenügende Wissensbasis<br />

zu sein.<br />

Die rein ehrenamtlich von einigen Engagierten getragenen<br />

VJMs geraten oft und schnell an ihre Grenzen,<br />

können Arbeitskontakte nicht halten oder z.T.<br />

auch zu hohe Erwartungen von tradierten Strukturen<br />

nicht erfüllen. Es ist daher notwendig, entsprechende<br />

förder- und ressourcentechnisch unterstützende<br />

Strukturen zu etablieren, um eine gute<br />

Einbindung in die Jugendstrukturen der jeweiligen<br />

Ebene zu ermöglichen.<br />

Eine bestimmte Strukturgröße, auf alle Fälle die<br />

Arbeit auf Bundesebene, setzt zur Konsolidierung<br />

hauptamtliche Unterstützung und (damit) Förderung<br />

der Infrastruktur voraus.<br />

Gleichzeitig gibt es aber auch hier kontroverse<br />

Sichtweisen. In wie weit z.B. eine Sonderförderung<br />

von VJMs im Sinne einer positiven Diskriminierung<br />

sinnvoll ist. Einige VJMs signalisieren dem DBJR<br />

auch, dass sie nicht immer unter dem Migrations-<br />

Label laufen wollen. Sie streben eine Gleichsetzung<br />

mit anderen Jugendverbänden an. Dies bedeutet<br />

aber auch, dass bei der jetzigen strukturellen Verfasstheit<br />

Förderung oft kein Thema sein kann. Gerade<br />

im Bereich der Förderung gibt es also Fragen<br />

und Kontroversen.<br />

Gleichzeitig fehlt es VJMs oft an Wissen über die<br />

Strukturen der Jugendhilfe, Zuständigkeiten und Möglichkeiten.<br />

Es ist daher auch an den Jugendringen, im<br />

Sinne einer Geh-Struktur, in den Dialog zu treten und<br />

damit Wissen aufzubauen und Missverständnisse zu<br />

minimieren. Dies ist die Basis für strukturelle Integration.<br />

Gleichzeitig ist es für die Jugendringe schwer,<br />

diese Arbeit neben anderen Aufgaben zusätzlich zu<br />

stemmen. Einige Landesjugendringe und kommunale<br />

Jugendringe machen hier aber in eigenen Projektstrukturen<br />

gute Erfahrungen.<br />

Ziel muss es sein Selbstorganisationen junger Migrant/innen<br />

in die plurale Struktur der Jugendverbandsarbeit<br />

zu integrieren, sei es als formales Mitglied,<br />

über Dachstrukturen (wie z.B. in der djo) oder<br />

über Kooperationslösungen. Erste Schritte dahin<br />

können natürlich Tandemmodelle von VJMs und tradierten<br />

Organisationen sein. Sie helfen VJMs beim<br />

Strukturaufbau sowie Erfahrungs- und Wissenszugewinn.<br />

Die Debatte über die Strukturintegration von VJMs<br />

in die Netzwerke der Jugendverbandsarbeit ist also<br />

im vollen Gang. Wann die Diskussion allerdings abgeschlossen<br />

sein wird, und die Integration von VJMs<br />

in Jugendringe keine größere Herausforderung mehr<br />

darstellt, ist noch offen.<br />

Impuls: Erfahrungen aus der Netzwerkarbeit<br />

Daniel Mouratidis, Vorstand des Kreisjugendring<br />

Rems-Murr<br />

Ich bin Daniel Mouratidis, 32 Jahre, Vorstand des<br />

Kreisjugendring Rems-Murr und ich habe seit 2002<br />

die interkulturelle Öffnung der verbandlichen Jugendarbeit<br />

vorangetrieben. Zudem war ich von 2006<br />

– 2009 Projektleiter der Integrationsoffensive in der<br />

Kinder- und Jugendarbeit Baden-Württemberg und<br />

bin Mitglied des NiJaF<br />

Nun zum Kreisjugendring Rems-Murr. Der rund<br />

417.000 Einwohner zählenden Landkreis befindet<br />

sich nordöstlich von Stuttgart und ist geprägt von<br />

Mittelstädten wie Waiblingen, Backnang oder Winnenden,<br />

beeinhaltet aber auch sehr ländliche Gebiete<br />

des Schwäbisch-Fränkischen Waldes.<br />

Was hat der KJR Rems-Murr gemacht?<br />

Der KJR Rems-Murr hat seit 2004 erstens herausgearbeitet,<br />

welche internen strukturellen<br />

Änderungen vorgenommen werden müssen, um<br />

eine interkulturelle Öffnung erreichen zu können.<br />

Das zweite Projektelement im Rems-Murr-Kreis<br />

war der Aufbau von lokalen Integrationsnetzwerken.<br />

Der KJR hat eine eigene Form entwickelt,<br />

wie man Netzwerkarbeit in den Gemeinden initiieren<br />

kann.<br />

Die interkulturelle Öffnung des KJR Rems-Murr lässt<br />

sich – vereinfachend – in drei Phasen gliedern.<br />

In Phase I: Der KJR hat das Selbstverständnis, die<br />

Vertretung der Jugendverbände und der Jugendlichen<br />

im Landkreis Rems-Murr zu sein. Nach einer selbstkritischen<br />

Betrachtung hat sich aber gezeigt, dass dies<br />

nur die „klassisch“ deutschen Vereine einschließt. Hier<br />

geht die Vielfalt von den Segelfliegern, über die Freiwillige<br />

Feuerwehr zu den Sport- und Musikvereinen. Aber<br />

wo sind die Migrantenvereine? Wie die Zahlen für den<br />

Rems-Murr-Kreis zeigen, haben mindestens ein Drittel<br />

aller Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Ein<br />

großer Teil dieser Jugendlichen sind auch in Vereinen<br />

organisiert. Nur findet man sie kaum in den deutschen<br />

Vereinen, sondern eher in Migrantenselbstorganisationen<br />

(MO). Darüber hinaus waren die Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund hauptsächlich in einzelnen<br />

Sportarten anzutreffen.<br />

48 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

So beschloss 2004 der Vorstand des KJR Rems-<br />

Murr, im KJR ein aktiver Prozess der interkulturellen<br />

Öffnung zu starten.<br />

Nach dem Vorstandsbeschluss war klar, dass das<br />

Thema im KJR nur eine Chance hat, wenn auch<br />

die Mitgliedsverbände den Vorstoß unterstützen.<br />

In einer Mitgliederversammlung wurde das Thema<br />

interkulturelle Öffnung ausgiebig diskutiert. In der<br />

Diskussion wurde deutlich, dass die Einbindung<br />

von neuen Vereinen immer auch eine Neuverteilung<br />

von Ressourcen bedeutet. Die Mitgliedsverbände<br />

haben sich dem Thema gegenüber sehr<br />

offen gezeigt und der interkulturellen Öffnung des<br />

KJR zugestimmt.<br />

Der nächste Schritt war für den KJR ein interkultureller<br />

Selbstcheck. Durch einen solchen Test kann bestimmt<br />

werden, wie weit fortgeschritten die interkulturelle<br />

Öffnung eines Vereins bzw. einer Organisation<br />

bereits ist.<br />

Die wichtigsten Fragen für den KJR Rems-Murr waren:<br />

• Gibt es im Vorstand Menschen mit Migrationshintergrund?<br />

• Gibt es MO als Mitgliedsverbände?<br />

• Gibt es in der Geschäftsstelle Menschen mit Migrationshintergrund?<br />

• Sind in den Mitgliedsverbänden Menschen mit Migrationshintergrund<br />

als Mitglieder?<br />

• Nehmen interkulturelle Themen/Projekte Raum in<br />

der täglichen Arbeit der KJR Geschäftsstelle ein?<br />

• Gibt es in der Satzung strukturelle Hemmnisse, die<br />

die Mitgliedschaft von Migrantenselbstorganisationen<br />

erschweren?<br />

Das Ergebnis des Selbstchecks war ernüchternd:<br />

Lediglich ein Vorstand hatte einen Migrationshintergrund<br />

und die Satzung zeigte keine großen strukturellen<br />

Hemmnisse auf.<br />

In der Phase II entwickelte der KJR direkte Projekte<br />

wie das Tur-Key Camp, ein gesellschaftlich-politisches<br />

Seminar in Kooperation mit türkischstämmigen<br />

Vereinen als auch die die Einbindung von<br />

Vereinen und Organisationen in die vorhandenen<br />

Strukturen. Wichtig war dabei eine umfassende<br />

und zeitintensive Netzwerkarbeit. Zudem hatte der<br />

KJR ein glückliches Händchen bei der Akquise von<br />

Fördergeldern, und so konnte die interkulturelle<br />

Öffnung u.a. mit Hilfe des Programmes „Vielfalt tut<br />

gut“ massiv vorangetrieben werden. Über interkulturelle<br />

Foren brachte man in verschiedenen Städten<br />

des Landkreises Multiplikatoren an einen Tisch<br />

und es wurden lokale Integrationspläne in diesen<br />

Kommunen erarbeitet.<br />

In Phase III sind wir momentan dabei, mit Hilfe eines<br />

neuen Projektes den Aufbau von qualifizierter verbandlichen<br />

Jugendarbeit in türkischstämmigen MO zu forcieren.<br />

Wichtige Partner sind dabei die Ditib Vereine.<br />

In einem erneuten Selbstcheck kamen wir zum Ergebnis,<br />

dass interkulturelles Denken nun Querschnittsthema<br />

beim KJR geworden ist und ein Einstieg war<br />

in das weite Feld Diversity. Nun weisen immerhin zwei<br />

Vorstände des KJR einen Migrationshintergrund auf<br />

und wir beschäftigen einige Migrant/innen. Mit dem<br />

griechischen Tanzverein und der Ditib wurden zwei<br />

Mitgliedsverbände gewonnen. Zudem vermittelten wir<br />

Kontakte zu Stadtjugendringen, wo nun auch teilweise<br />

MOs dort Mitglied geworden sind. Durch unsere<br />

intensive Arbeit sind wir Ansprechpartner für das<br />

Thema Interkultur geworden und entwickelten beispielsweise<br />

den Integrationsplan der Stadt Murrhardt<br />

mit.<br />

Zum Schluss will ich noch auf ein paar Hürden, die wir<br />

nehmen mussten, hinweisen. Ohne die zusätzlichen<br />

Gelder und Personal wäre dieser Prozess nicht denkbar<br />

gewesen.<br />

Gerade bei der Ansprache an Jugendliche muss man<br />

immer bedenken, dass sich die bisherige Arbeit der<br />

Jugendverbände hauptsächlich an Gymnasiast/innen<br />

richtet. Da dort – leider immer noch – Jugendliche mit<br />

Migrationsgeschichte sehr selten anzutreffen sind,<br />

müssen die Vereine die Formen und Wege der Ansprache<br />

ändern. Wir sehen das als Chance: So kommen<br />

generell Jugendliche in den Fokus, welche in der<br />

Vergangenheit von den Verbänden eher übersehen<br />

wurden.<br />

Schließlich ist nicht jede Kooperation frei von ideologischen<br />

Verwicklungen: So musste die Kooperation<br />

mit einem Verein, welcher der „Förderation der<br />

der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in<br />

Deutschland“, einem latent faschistischen Dachverband,<br />

angehörte, eingestellt werden. Letztendlich<br />

sind das aber Vorgänge, wie wir sie aus der Verbandsarbeit<br />

beispielsweise von manchen freikirchlichen<br />

Gruppierungen auch kennen.<br />

Ergebnisse<br />

Birgit Jagusch (IDA e. V.)<br />

Die Arbeitsgruppe widmete sich einem spezifischen<br />

Bereich der Netzwerkarbeit: Wie kann im<br />

BBE - Dokumentation 49


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Bereich der Jugendverbandsarbeit dazu beigetragen<br />

werden, dass Vereinen von Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund (VJM) ein Zugang zu den<br />

Strukturen der Jugendverbandsarbeit ermöglicht<br />

wird? Welche Formen der Zusammenarbeit sind<br />

zwischen etablierten Jugendverbänden und VJM<br />

denkbar und in der Praxis anwendbar? Dabei standen<br />

nicht Netzwerke zwischen VJM im Vordergrund,<br />

sondern vielmehr Netzwerke zwischen VJM<br />

und etablierten Jugendverbänden bzw. interessenspolitischen<br />

Vertretungen der Jugendverbände<br />

(wie den Jugendringen).<br />

Um den Teilnehmenden einen Überblick über die<br />

verschiedenen Maßnahmen und Aktivitäten der Jugendverbände<br />

zu geben, erläuterten die Referenten<br />

zunächst in einem kurzen Input die Bedeutung und<br />

den Stellenwert von Netzwerken in der Jugendverbandsarbeit.<br />

Daniel Mouratidis schilderte am Beispiel der Entwicklungen<br />

des Kreisjugendrings Rems-Murr, wie<br />

innerhalb der letzten 7 Jahre sukzessive Kontakte<br />

und Zusammenarbeit zwischen etablierten Jugendvereinen<br />

und VJM aufgebaut werden konnten. Daniel<br />

Grein gab einen Überblick über die Perspektiven des<br />

Deutschen Bundesjugendrings und aktuelle jugendpolitische<br />

Herausforderungen im Kontext der Zusammenarbeit<br />

von und mit VJM.<br />

Durch die Inputs und die anschließende Diskussion<br />

kristallisierten sich folgende Punkte heraus, die aus<br />

Sicht der Anwesenden für gelungene und nachhaltige<br />

Netzwerke zwischen VJM und anderen Akteuren der<br />

Jugendverbandsarbeit notwendig sind:<br />

• In den vergangenen Jahren sind auf den verschiedenen<br />

Ebenen (Kommune, Bundesländer und Bundesebene)<br />

bereits verschiedene erfolgreiche Partnerschaften<br />

entstanden, die es in Zukunft weiter<br />

auszubauen und zu stabilisieren gilt. Diese reichen<br />

von Beratungstätigkeiten über anlassbezogene<br />

Kooperationen bis hin zu Aufnahme von VJM als<br />

Mitglieder.<br />

• Für den Aufbau von Netzwerken ist ein intensiver<br />

und vertrauensvoller Dialog unabdingbar.<br />

• Essentiell ist es, zu Beginn die gegenseitigen Erwartungen<br />

zu klären.<br />

• Für alle Seiten ist Ausdauer und ein langer Atem<br />

notwendig.<br />

• Notwendig ist ein nachhaltiger Wissenstransfer<br />

über die Strukturen und Aufbau der Jugendverbandsarbeit,<br />

über Chancen und Grenzen von Jugendringen,<br />

Ansprechpartner/innen und über die<br />

Landschaft der VJM.<br />

50 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

AG 6: Netzwerkarbeit als Interessenvertretung<br />

Impuls: Dachverbände von MO<br />

Berivan Aymaz (Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände<br />

e.V.<br />

Ergebnisse<br />

Berrin Alpbek (Föderation türkischer Elternvereine in<br />

Deutschland e.V)<br />

Eine (stark vereinfachte) Betrachtung der Vereinsentwicklung<br />

der größeren Migrantenpopulationen in<br />

Deutschland zeigt die folgende Entwicklung:<br />

In der ersten Phase der Selbstorganisation erfolgte<br />

die Gründung von:<br />

• Heimatorientierten politischen und kulturelle Vereinigungen<br />

• Sportvereinen<br />

• und religiösen Vereinen.<br />

In der zweiten Phase wurden verstärkt<br />

• Bildungsvereine, Elternvereinen (spanische Elternvereine)<br />

• Berufsvereine (z.B. Akademiker-, Lehrer/innen/<br />

Erzieher/innen-, Mediziner-, Unternehmervereine,<br />

usw.)<br />

• politisch orientierte Vereine/Initiativen, die sich<br />

an den politischen Parteien in Deutschland<br />

orientieren,und Dachverbände (BAGIV, TGD, FÖ-<br />

TED u.ä) gegründet.<br />

Die Zusammenarbeit, im Sinne von einem Netzwerk,<br />

mit politischen Entscheidungsträgern, Regierungsund<br />

Nichtregierungsorganisationen sowie die Nähe<br />

zu Bürger/innen sind unverzichtbare Bestandteile der<br />

Arbeit von MO.<br />

Die Erwartungshaltung der Politik und Gesellschaft<br />

an die <strong>Migrantenorganisationen</strong> wächst. Die Forderung<br />

einen größeren Beitrag „an die Integration“ zu<br />

leisten wird immer größer. Wenn jedoch ehrenamtlich<br />

Tätige, nicht in wachsendem Maße <strong>durch</strong> hauptamtliches<br />

Personal und eine solide finanzielle Basis unterstützt<br />

werden können, ist dem langfristigen Erfolg<br />

dieser Art der Tätigkeit enge Grenzen gesetzt!<br />

In der Konsequenz bedeutet dies:<br />

• Die etablierten Organisationen müssen den begonnenen<br />

Weg der interkulturellen Öffnung konsequent<br />

weitergehen. Sie müssen sich aktiv an die<br />

MO wenden.<br />

• MO müssen eigene Anstrengungen der Weiterentwicklung,<br />

Öffnung unternehmen und mit o. g<br />

Organisationen kooperieren. Diese Kooperationen<br />

sollten verbindlich und mit langfristigen Zielen verbunden<br />

sein.<br />

• Durch gezielte Programme und verbesserte Fortbildungsmöglichkeiten<br />

sollten die Empowermentansätze<br />

bei den MO unterstützt werden.<br />

• Stärkere Beteiligung der Migrantenvertreter/innen<br />

in verschiedenen Gremien (Beiräte, Vorstände etc.)<br />

ist notwendig.<br />

• Die MO müssen zu Beginn der Prozessentwicklung<br />

eingebunden werden.<br />

Das bedeutet: Eine langfristig angelegte Netzwerk<br />

kann nur funktionieren, wenn sich die Voraussetzungen<br />

der potentiellen Partner annähern!<br />

AG 7: Tandemprojekte als Strategien der<br />

Vernetzung<br />

Impuls: Projekt „Legal Leben“<br />

Semih Kneip, Gangway e.V.<br />

Ergebnisse<br />

Dr. Elke Olbermann, Technische Universität Dortmund<br />

Sind Tandemmodelle geeignete Strategien der Vernetzung<br />

von MO und etablierten Projektträgern? In<br />

der diesbezüglichen Diskussion berichteten die AG-<br />

Teilnehmenden von positiven Erfahrungen, aber auch<br />

von Schwierigkeiten in der Umsetzung von Tandemprojekten.<br />

Demnach wird die Zusammenarbeit vor allem dann<br />

für alle Beteiligten als gewinnbringend erlebt, wenn<br />

beide Tandempartner ein großes Interesse und hohes<br />

Engagement für die inhaltliche Projektarbeit mitbringen.<br />

Positive Erfahrungen gibt es zudem damit,<br />

dass beide Projektpartner Zuwendungsempfänger<br />

sind. Die Finanzierung einer hauptamtlichen Kraft<br />

in den beteiligten MO von Tandemprojekten erweise<br />

sich als ein wesentlicher Schritt zur Professionalisierung<br />

und Aufwertung der MO.<br />

Schwierigkeiten in der Umsetzung von Tandemprojekten<br />

werden u.a. auf unzureichende (Selbst-)<br />

Einschätzungen der Potenziale der Projektpartner<br />

zurückgeführt. Eine gleichberechtigte Verantwortlichkeit<br />

der Projektbeteiligten sei nicht per se gewährleistet,<br />

sondern müsse konkret ausgehandelt<br />

und gestaltet werden. Enge zeitliche Fristen von<br />

Förderprogrammen und der damit einhergehende<br />

BBE - Dokumentation 51


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Zeitdruck bei der Projektbeantragung erschweren<br />

eine gemeinsame Konzeptentwicklung und damit<br />

die Schaffung einer tragfähigen Grundlage für eine<br />

kooperative Projektarbeit. Zu berücksichtigen sei<br />

generell die Gefahr der Instrumentalisierung der MO<br />

in Tandemprojekten.<br />

Fazit der Diskussion war, dass eine erfolgreiche Arbeit<br />

von Tandemprojekten <strong>durch</strong> folgende Rahmenbedingungen<br />

gefördert werden kann:<br />

• gemeinsame Projektentwicklung von Anfang an<br />

• Transparenz gewährleisten<br />

• verbindliche Absprachen und Vereinbarungen<br />

• Formen der Zusammenarbeit festlegen<br />

• kontinuierliche Abstimmung<br />

• gleichberechtigte gemeinsame Mittelverwaltung<br />

• externe Prozessbegleitung<br />

• längerfristige Ausschreibungen von Förderprogrammen<br />

• Qualifizierung von MO zu Projektentwicklung.<br />

AG 8: Netzwerke in der Flüchtlingsarbeit<br />

Impuls: Selbstorganisation junger Flüchtlinge<br />

Mohammed Youni, Jugendliche ohne Grenzen<br />

Tobias Klaus, Flüchtloingsrat Bayern<br />

No Vote but a Voice – Selbstorganisation statt Paternalismus:<br />

Die Jugendlichen Ohne Grenzen<br />

Die wichtigste Fachtagung für Flüchtlingsorganisationen<br />

sind die Hohenheimer Tage. Bei der Tagung<br />

2010 ließ die CDU/CUS, über ihren parlamentarischen<br />

Geschäftsführer Peter Altmaier, erstmals<br />

Chancen auf eine dauerhafte Bleiberechtsregelung<br />

<strong>durch</strong>blicken. Verkürzt gesagt: Flüchtlinge ohne Aufenthaltserlaubnis<br />

sollen nicht mehr geduldete werden,<br />

bis ihre Abschiebung möglich wird, sondern können<br />

nach einer gewissen Zeit bleiben – wenn sie als<br />

integriert gelten. Altmaier erklärte dies vor allem mit<br />

„den jungen Leuten, die alle gut Deutsch sprechen“,<br />

welche er bei den Jugendlichen Ohne Grenzen getroffen<br />

hätte.<br />

„Jugendliche Ohne Grenzen“ ist eine Jugendinitiative,<br />

in der Flüchtlinge, die von der Abschiebung bedroht<br />

sind, für ihre Rechte eintreten. Dass einer der<br />

zentralen Akteure deutscher Abschiebepolitik wie Dr.<br />

Peter Altmaier sich so positiv auf Menschen bezieht,<br />

die nach aktueller Rechtslage nicht in Deutschland<br />

bleiben sollen, zeigt, dass sich etwas bewegt hat.<br />

Und es zeigt vor allem: Die Selbstorganisation von<br />

Flüchtlingen ist ein gewichtiger politischer Faktor.<br />

Schon 2006 hatten die Proteste von jungen Flüchtlingen<br />

mächtig Druck erzeugt. Zwei Begnadigungsregelungen<br />

für Langzeitgeduldete wurden in den Jahren<br />

2006 und 2007 erlassen, die so genannten Altfallregelungen.<br />

60.000 Menschen, die abgeschoben werden<br />

sollten, werden wohl bleiben können. Viele Akteure<br />

von Pro Asyl und Kirchen über antirassistische<br />

Gruppen bis hin zu den unzähligen lokalen Initiativen,<br />

die sich gegen die Abschiebung ihrer Mitschüler/innen<br />

und Nachbarn einsetzten, haben diesen Erfolg<br />

gemeinsam erkämpft.<br />

Ein Akteur hätte jedoch mit absoluter Sicherheit nicht<br />

fehlen dürfen: die Jugendlichen Ohne Grenzen. Das<br />

dies so ist, ist relativ leicht zu verstehen. Rede ich<br />

als Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates mit<br />

Politikern und Pressevertretern, ist es für viele ein<br />

Leichtes, auf Durchzug zu schalten und „den Weltverbesserer<br />

mal träumen zu lassen“. Erzählt ein Jugendlicher,<br />

der seit 10 Jahren in Deutschland lebt,<br />

dass er trotz aller Bemühungen (Schulabschluss,<br />

Sprachkenntnisse etc.) abgeschoben werden soll,<br />

ist das ein Skandal. Hier funktioniert der dominante<br />

„Ausländerdiskurs“ nicht mehr, der zwischen guten<br />

und schlechten Ausländern differenziert. Die gängigen<br />

Kriterien (Sprachkenntnisse, Straftaten, Arbeit,<br />

Ausbildung und Aussehen) greifen nicht mehr,<br />

da junge Menschen auftauchen, die der Öffentlichkeit<br />

mitteilen: Ich spreche Deutsch, ich kleide mich<br />

wie ihr, ich mache meine Ausbildung und ihr wollt<br />

mich abschieben? Hier wird auf einmal die Differenz<br />

zwischen dem rechtlichem Status geduldeter Menschen<br />

und den Kriterien des Ausländerdiskurses<br />

im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar. Würde ich<br />

als Vertreter des Bayerischen Flüchtlingsrats versuchen,<br />

das Thema auf die politische Tagesordnung<br />

zu setzen, würde ich scheitern. Meine politische<br />

Meinung interessiert die Öffentlichkeit wenig, empörende<br />

persönliche Schicksale und der Konflikt zwischen<br />

Betroffenen und Entscheidungsträgern aber<br />

schon. Als Kommunikationswissenschaftler könnte<br />

ich auch schlicht feststellen: Der Nachrichtenwert<br />

ist höher, da Personalisierung, Konflikt, Authentizität<br />

und Betroffenheit bei Selbstorganisationen höher<br />

sind.<br />

Schaut man sich den Erfolg von Jugendliche Ohne<br />

Grenzen an, könnte man meinen, dass PR-Strategen<br />

der großen Flüchtlingslobbyorganisationen das Ganze<br />

am Reißbrett entworfen und mit viel Geld umgesetzt<br />

hätten, so gut funktioniert die Beeinflussung<br />

medialer Diskurse und das Lobbying bei Entscheidungsträgern<br />

<strong>durch</strong> die Jugendlichen. Wenn JOG<br />

auftritt, berichtet nicht die Lokalzeitung über engagierte<br />

Jugendliche, sondern die Tagesschau und der<br />

52 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Politikteil der „Zeit“ – wie im November 2009 bei der<br />

letzten „Jugendliche Ohne Grenzen“ – Konferenz in<br />

Bremen.<br />

Doch die großen Organisationen unterstützen JOG<br />

nur minimal, 20.000 Euro kann jährlich insgesamt<br />

aufgetrieben werden – davon wird unter anderem ein<br />

viertägiges Protestprogramm mit 80 Jugendlichen finanziert,<br />

inklusive der Fahrt- und Unterbringungskosten.<br />

Die Vorbereitung übernehmen die Jugendlichen,<br />

ein kleiner Haufen von Aktivist/innen, die ihre Freizeit<br />

opfern, und einzelne Leute aus Beratungsstellen. PR-<br />

Strategen großer Organisationen sucht man vergeblich,<br />

stattdessen findet man Menschen, die ein Ideal<br />

teilen: Es soll nicht für Flüchtlinge geredet werden,<br />

sondern sie selber sollen ihre Stimme erheben. Dies<br />

sind die Ideale anarchistischer Antira-Gruppen und<br />

nicht die Ideale großer Lobbyorganisationen.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass<br />

Selbstorganisation nicht nur aus idealistischer Perspektive<br />

– nur die Betroffenen können wissen, was<br />

sie wollen –, sondern auch aus strategischer Perspektive<br />

einer der wichtigsten Faktoren für politische<br />

Veränderung ist und sein wird. Doch jeder, der in<br />

diesem Bereich tätig ist, stößt auf diverse Probleme.<br />

Vorne und hinten fehlt es an Geld und Unterstützung.<br />

Mir persönlich ist es unverständlich, warum<br />

bisher viele Organisationen, die jeden Tag sehen,<br />

wie die derzeitige Asylpolitik Flüchtlinge psychisch<br />

kaputt macht, abschiebt und in Perspektivlosigkeit<br />

und Armut gefangen hält, die Selbstorganisation von<br />

Flüchtlingen als politisches Instrument so wenig beachten.<br />

Hier braucht es mehr Beratungsstellen wie das BBZ<br />

in Berlin, welches den Jugendlichen von JOG Infrastruktur<br />

zur Verfügung stellt, junge Flüchtlinge motiviert<br />

aktiv zu werden und gemeinsame Fahrten zu<br />

JOG-Aktionen organisiert. Es braucht materielle Hilfe,<br />

z.B. Laptops mit Internetanschluss für die JOG-<br />

Aktivist/innen, die in den Lagern leben. Es braucht<br />

eine dauerhafte Finanzierung, die den Jugendlichen<br />

auch auf Landesebene ermöglicht sich regelmäßig zu<br />

treffen. Organisationen wie Flüchtlingsräte, <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

und Wohlfahrtsverbände sollten<br />

junge Flüchtlinge, die zu ihnen kommen, dabei unterstützen<br />

selbst aktiv zu werden und mit ihnen an<br />

JOG-Aktionen teilnehmen. Der erste Schritt ist dabei,<br />

Flüchtlinge nicht nur als wehrlose Opfer zu sehen,<br />

sondern als mündige Menschen, die in der Lage sind<br />

für ihre Interessen einzutreten. Das kostet natürlich<br />

Kraft und Geld – beides ist jedoch gut investiert, wenn<br />

wir uns die Erfolge der „Jugendlichen Ohne Grenzen“<br />

anschauen.<br />

BBE - Dokumentation 53


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Ergebnisse<br />

Peter Mansaray, Rat afrikanischer Christen Berlin<br />

und Brandenburg e.V.<br />

Die Arbeitsgruppe widmete sich der Thematik Netzwerkkonzepte,<br />

Beispiele einer gelungenen Praxis. Die<br />

zu bearbeitenden Fragen waren: Wo sehen die Akteure<br />

Ressourcen und Potenziale, an welchen Punkten<br />

zeichnen sich Hindernisse ab? In der AG 8 haben sowohl<br />

Vertreter/innen von MO als auch Vertreter/innen<br />

der Mehrheitsgesellschaft aktiv mitgewirkt.<br />

Nach einer Vorstellungsrunde habe ich als Moderator<br />

eine Einführung in die Thematik gemacht. Das Thema<br />

Netzwerke in der Flüchtlingsarbeit wurde kontrovers<br />

und intensiv diskutiert.<br />

Im Folgenden finden sich Beiträge der Teilnehmer:<br />

• Der Flüchtlingsarbeit in Deutschland fehlt es an<br />

Lobbyarbeit und sie wird immer noch als Randthema<br />

behandelt.<br />

• Die Lebenssituation der Asylsuchenden in Deutschland<br />

ist aufgrund der desolaten Zustände in den<br />

Heimen und der Isolation der Asylsbewerber als<br />

sehr schwierig anzusehen.<br />

• Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Flüchtlinge<br />

sind nach wie vor menschenunwürdig. Zum Beispiel<br />

werden die Rechte auf Freizügigkeit von Flüchtlingen<br />

in Deutschland <strong>durch</strong> das Asylbewerbergesetz bzw.<br />

das Ortseinschränkungsgesetzt begrenzt.<br />

• Flüchtlinge werden als Menschen zweiter Klasse<br />

behandelt. Es wurde bemängelt, dass die Integration<br />

dieser Menschen nicht wirklich gewollt sei.<br />

• Ein Rückgang der Zahl der anerkannter Flüchtlinge<br />

ist signifikant zu verzeichnen und die Förderung ihrer<br />

Integration nicht gegeben.<br />

• Die Integration von Flüchtlingen ist <strong>durch</strong> die fehlende<br />

Kenntnisse der deutschen Sprache erschwert.<br />

• Die meisten Flüchtlinge haben keine Perspektive in<br />

Deutschland und sind nicht motiviert sich zu organisieren<br />

oder mit anderen MO zu vernetzen<br />

• MO haben einen besseren Zugang zu Flüchtlingen<br />

und können daher bessere Flüchtlingsarbeit leisten.<br />

Es ist dringend notwendig, dass die MO gefördert<br />

werden um ihre Arbeit zu professionalisieren<br />

• Die Vernetzung von Flüchtlingsorganisation stellt<br />

ein großes Problem dar und ist als schwierig zu<br />

bezeichnen. Es gibt kaum Flüchtlingsselbstorganisation,<br />

die sich um die Belange der Flüchtlinge<br />

kümmern.<br />

Tobias Klaus, vom Flüchtlingsrat Bayern stellte die<br />

Arbeit seiner Organisation vor. Die Situation der Asylbewerber<br />

in Bayern wurde erörtert und als menschenunwürdig<br />

dargestellt. Der Integrationsplan schließt<br />

kategorisch Flüchtlinge aus. Wegen der schlechten<br />

institutionellen Rahmenbedingung ist die Selbstorganisation<br />

von Flüchtlingen nahezu unmöglich. Auch<br />

wenn sie organisiert sind, fehlt es sehr oft an ausreichenden<br />

Sprachkenntnissen sowie Wissen in Gesellschaftskunde,<br />

um hierzulande in Netzwerken effektiv<br />

mitzuarbeiten.<br />

Die Dominanz der großen Wohlfahrtsorganisationen<br />

in der Flüchtlingsarbeit wurde angesprochen. Bei diesen<br />

herrscht ein gewisses „parternalistisches“ Denken.<br />

Sie meinen nicht gemeinsam mit Flüchtlingen<br />

etwas zu realisieren, sondern wollen nur etwas für sie<br />

tun. Dieses Verhalten ist falsch und kontraproduktiv<br />

für die Vernetzung der Flüchtlingsorganisationen.<br />

Es herrscht ein Kampf um die Fördermittel zwischen<br />

MO und den Wohlfahrtsorganisationen. Da die Wohlfahrtsorganisationen<br />

besser vernetzt sind und über<br />

das entsprechende Personal verfügen, werden sie<br />

eher gefördert als die MO. Dagegen muss etwas<br />

getan werden. Finanzierung und Qualifizierung von<br />

MO sind notwendig und von großer Bedeutung in der<br />

Flüchtlingsarbeit.<br />

Mohammed Youni, von Jungendliche ohne Grenzen<br />

stellte seine Organisation und deren Entstehungsgeschichte<br />

vor. Jungendliche ohne Grenzen steht für ein<br />

gelungenes Beispiel einer Flüchtlingsselbstorganisation,<br />

welche es geschafft hat für sich selbst und ihre<br />

Belange aktiv zu werden und sich gut zu vernetzen.<br />

Die Organisation wurde als ein bundesweiter Zusammenschluss<br />

von jugendlichen Flüchtlingen im Jahre<br />

2005 gegründet mit dem Ziel, ein Bleiberecht für geduldete<br />

Flüchtlinge zu erreichen. Die Organisation<br />

hat folgende Ziele:<br />

• Ein großzügiges Bleiberecht für Alle.<br />

• Die vorbehaltlose Umsetzung der UNO-Kinderrechte.<br />

• Die Gleichberechtigung von Flüchtlingen mit den<br />

Einheimischen.<br />

• Die Legalisierung von Menschen ohne Papiere<br />

(sog. Illegale).<br />

• Die Chancengleichheit vor allem in den Bereichen<br />

Bildung und Arbeitsmarkt.<br />

• Das Rückkehrrecht für unsere abgeschobenen<br />

Freundinnen und Freunde!<br />

Die Organisation arbeitet überregional und organisiert<br />

große Campagnen, Demonstrationen und Konferenzen<br />

zu gesellschaftlich flüchtlingsrelevanten Ereignissen.<br />

Abgeschlossene und geplante Aktionen<br />

wurden diskutiert.<br />

54 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Fazit<br />

• Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Flüchtlinge<br />

sollen verbessert werden. Die rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen für Flüchtlinge müssen entsprechend<br />

der allgemeinen Menschenrechte angeglichen<br />

werden. Das Leistungsgesetzt für Flüchtlinge<br />

soll an das für alle geltende Leistungsgesetz<br />

angepasst werden. Asylbewerber sollen das Recht<br />

auf Deutschkurse und Bildung haben. Nur da<strong>durch</strong><br />

kann ihre Integration gewährleistet werden und nur<br />

so können sie eine Perspektive entwickeln.<br />

• Eine interkulturelle Öffnung der Flüchtlingsinstitutionen<br />

und der Wohlfahrtverbände soll auch umgesetzt<br />

werden und nicht nur als Absichtserklärung<br />

dienen.<br />

• Die Lobby-Arbeit für die Flüchtlingsarbeit soll verstärkt<br />

werden.<br />

• Es muss Synergien zwischen MO und den großen<br />

Wohlfahrtsorganisationen in der Flüchtlingsarbeit<br />

geben. Es muss mit Flüchtlingen und nicht für<br />

Flüchtlinge gearbeitet werden.<br />

AG 9: Interkulturelle Netzwerke zur<br />

besseren Partizipation am Arbeitsmarkt<br />

Impuls: „Beschäftigungsprojekt Willkommen<br />

und aktiv – Migrantinnen und Migranten als Brückenbauer“<br />

Andrea Adam, Saarländische Initiative Migration und<br />

Arbeitwelt SIMA und Faruk Şahin, Türkischer Kulturkreis<br />

Alevitische Gemeinde Saarland e.V.<br />

Zum Hintergrund: SIMA arbeitet als Transferprojekt<br />

des Kompetenzzentrums InBeZ im bundesweiten<br />

Netzwerk „Integration <strong>durch</strong> Qualifizierung (IQ)“. Das<br />

Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert<br />

das Netzwerk IQ seit 2005 vor dem Hintergrund der<br />

Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan.<br />

Der Auftrag des Netzwerkes: Neue Strategien zur<br />

Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Migrant/<br />

innen und Migranten entwickeln und erfolgreiche Ansätze<br />

in den Transfer bringen. Die Idee von SIMA ist<br />

es, alle Akteure in einen fachlichen Austausch einzubinden,<br />

die Vernetzung der Akteure zu stärken, Initiativen<br />

voranzubringen und den Transfer gelungener<br />

Arbeitsansätze zu fördern.<br />

Entstehungsgeschichte des Brückenbauerprojektes<br />

Die ARGE Saarbrücken ist auf SIMA mit der Idee<br />

zugekommen, ihre Initiative zur Arbeitsmarktintegration<br />

von Migrant/innen <strong>durch</strong> Maßnahmen der gesellschaftlichen<br />

Integration zu begleiten. SIMA hat die<br />

Idee aufgenommen, ein Konzept entwickelt und die<br />

Koordination übernommen. Seit Ende 2008 arbeiten<br />

10 ehemals arbeitssuchende Migrant/innen mit akademischen<br />

Hintergrund bei <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

(MO), interkulturellen Vereinen und öffentlichen Institutionen<br />

(z.B. kurdische Gemeinde, alevitische<br />

Gemeinde, Staatstheater, Russisches Haus, VHS).<br />

Dort sind sie im Rahmen von AGH-Maßnahmen (Entgeltvariante)<br />

als interkulturelle Brückenbauer/innen<br />

tätig. Neben der Finanzierung <strong>durch</strong> die ARGE wird<br />

das Projekt <strong>durch</strong> Sachmittel vom saarländischen<br />

Arbeitsministerium und der Arbeit und Kultur gGmbH<br />

unterstützt. Ihre Aufgabe ist es, Eingewanderte insbesondere<br />

im Rahmen von Gruppenangeboten an gesellschaftliche<br />

und kulturelle Institutionen heranzuführen,<br />

über Strukturen und Hintergründe zu informieren,<br />

Kontakte herzustellen und Vermittlungstätigkeiten zu<br />

übernehmen. Hierzu gehören beispielsweise (mehrsprachige)<br />

Stadtrundgänge, Führungen in Museen<br />

und Bibliotheken, Erkundungen von Stadtteilen und<br />

die Heranführung an die kulturellen Angebote von<br />

Staatstheater und anderen Institutionen.<br />

Gleichzeitig sollen die Brückenbauer/innen die Träger<br />

in ihrer konzeptionellen Weiterentwicklung sowie<br />

der Bekanntmachung und Optimierung ihrer Angebote<br />

im Sinne einer „interkulturellen Öffnung“ unterstützen.<br />

Vier gute Gründe für das Projekt<br />

1. Migrant/innen sind über<strong>durch</strong>schnittlich häufig<br />

KundInnen der ARGE. Für ihre Vermittlung auf den<br />

Arbeitsmarkt sind Zwischenschritte erforderlich,<br />

die den Aufbau eines persönlichen Netzwerks im<br />

beruflichen Kontext und Bewährungschancen am<br />

Arbeitsplatz eröffnen.<br />

2. Die Heranführung an Strukturen der Gesellschaft,<br />

das Kennenlernen von Institutionen und soziokulturellen<br />

Angeboten sind wichtige Elemente, um<br />

Beschäftigungsfähigkeit zu fördern. Soziokulturelle<br />

Integration kann eine wichtige Grundlage für die<br />

strukturelle Integration (Arbeit, Sprache, Bildung<br />

etc.) der Menschen werden.<br />

3. Migrant/innen formulieren ein Interesse an der<br />

Teilnahme und Teilhabe am kulturellen und sozialen<br />

Leben, kennen die Angebote aber oft<br />

nicht oder zu wenig. Öffentliche und kulturelle<br />

Einrichtungen bieten eine Vielzahl von Angeboten,<br />

erreiche die Zielgruppe jedoch oft nicht in<br />

erwünschtem Maße.<br />

4. Viele MO, Vereine und Einrichtungen engagieren<br />

sich im Integrationsbereich. Oft fehlen ihnen jedoch<br />

BBE - Dokumentation 55


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

Ressourcen, um dies in gewünschter Intensität zu<br />

tun. Mit Beschäftigungsmodellen (SGB II und III)<br />

können die Vereine sich als Träger erproben und<br />

ihre Vereinsarbeit weiterentwickeln.<br />

Nutzenerwartungen: „Brücken bauen“<br />

1. Zusammenwirken beruflicher und gesellschaftlicher<br />

Integration.<br />

2. Zugänge zu MO für öffentlichen Einrichtungen, insbesondere<br />

die ARGE.<br />

3. Brücke der gegenseitigen Zugänge für Kultureinrichtungen,<br />

öffentlichen Institutionen und MO.<br />

4. Beschäftigungsförderung für Brückenbauer/innen<br />

(Kompetenzen sichtbar machen, neue Kontakte,<br />

Orientierungswissen).<br />

Erfahrungen am Beispiel der Alevitischen Gemeinde<br />

Saarland<br />

Die Brückenbauer/innen vermitteln zwischen Institutionen<br />

und Organisationen und den Vereinsmitgliedern.<br />

In der Alevitischen Gemeinde ist der Brückenbauer<br />

zu einem zentralen Ansprechpartner geworden. Er<br />

ist Anlaufstelle, wenn es um Themen geht wie Informationen<br />

über die Stadt Saarbrücken, Diskussionen<br />

über Kultur, Religion und Integration, Beratung über<br />

das deutsche Schulsystem, Unterstützung bei Bewerbungsschreiben<br />

und Vorstellungsgesprächen oder<br />

der Organisation von Veranstaltungen. Außerdem<br />

konnten Kontakte zu saarländischen politischen Parteien<br />

aufgebaut werden und die Politik für die Belange<br />

von Migrant/innen sensibilisiert werden. Das hat eine<br />

positive Nebenwirkung für die Mitglieder der Vereine:<br />

Sie haben das Gefühl, am politischen Leben teilnehmen<br />

zu dürfen und für wichtig gehalten zu werden.<br />

Zwischen den beteiligten MO und Einrichtungen finden<br />

viele Kooperationen statt: So hat z.B. die Kinder-<br />

Tanzgruppe des russischen Vereins den alevitischen<br />

Verein bei einem seiner Veranstaltungen mit Auftritten<br />

unterstützt. Die Veranstaltung wurde von zahlreichen<br />

Menschen mit russischem, türkischem und<br />

kurdischem Hintergrund besucht. An dieser Veranstaltung<br />

beteiligte sich auch der Verein Geographie<br />

ohne Grenzen mit einer Fotoausstellung über das alte<br />

Saarbrücken.<br />

Zusätzlich war die alevitische Gemeinde Gastgeber<br />

für viele weitere Organisationen wie z.B. für den „interreligiösen<br />

Dialog“.<br />

Für die Brückenbauer/innen ist es wertvoll, in einem vielfältigen<br />

Team und mit unterschiedlichen Institutionen zu<br />

arbeiten. Im Projekt finden immer wieder Fortbildungsveranstaltungen<br />

statt, die die Arbeit qualifizieren.<br />

Die Zusammenarbeit unter den MO und den (städtischen)<br />

Institutionen soll noch intensiviert werden. In<br />

der Zusammenarbeit mit Migrant/innen und Ämtern<br />

sowie Einrichtungen können viele Vorschläge für eine<br />

verbesserte gesellschaftliche und berufliche Integration<br />

entwickelt werden.<br />

Für die Vereine und die Brückenbauer/innen selbst ist<br />

das Projekt eine Chance, um Arbeitsplätze in den Organisationen<br />

zu sichern und damit ihr Engagement in<br />

der Integrationsarbeit zu qualifizieren.<br />

Perspektiven<br />

Die ARGE Saarbrücken unterstützt das Projekt 2010<br />

weiter, die Brückenbauer/innen sollen dann über §16e<br />

beschäftigt werden. Mittel für die Kofianzierung werden<br />

gerade akquiriert.<br />

Das Konzept ist überall einsetzbar, wir freuen uns<br />

über Ihr Interesse!<br />

Ergebnisse<br />

Dipl.-Ing. Cemalettin Özer, MOZAIK gGmbH, Bielefeld<br />

Nach der Begrüßung wurde eine Vorstellungsrunde<br />

mit Erwartungen der Teilnehmer/innen <strong>durch</strong>geführt.<br />

Die Einführung in das Thema wurde <strong>durch</strong><br />

Herrn Cemalettin Özer, Projektleiter des IQ-Transferprojektes<br />

„Migrantenselbstorganisationen mit<br />

Bewerbungscenter“ gemacht. MOZAIK gemeinnützige<br />

Gesellschaft für interkulturelle Bildungs- und<br />

Beratungsangebote mbH arbeitet seit Jahren im<br />

Rahmen von Projekten an einer Empowermentstrategie<br />

zur verbindlichen Einbindung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

beim Thema Arbeitsmarktintegration<br />

von Migrant/innen und hat hierfür im Jahre<br />

2008 den Weiterbildungsinnovationspreis der Bundesinstituts<br />

für Berufsbildung gewonnen. Nach der<br />

Einführung wurde ein erfolgreiches Praxisprojekt<br />

vorgestellt.<br />

Diskussion<br />

Die Teilnehmenden der AG schätzen das Projekt<br />

positiv ein: Es ist einerseits eine Chance, die gesellschaftliche<br />

und berufliche Integration von Migrant/<br />

innen zu fördern. Gleichzeitig können MO mit solch<br />

einem Konzept strukturell unterstützt werden (Schaffung<br />

von Hauptamtlichkeit) und ihre Vernetzung mit<br />

anderen Einrichtungen ausbauen. In der Diskussion<br />

der AG wird gemeinsam herausgearbeitet, wie MO in<br />

ihren Regionen vorgehen können, wenn sie ein ähnliches<br />

Projekt realisieren wollen:<br />

56 BBE - Dokumentation


Arbeitsgruppen 1 - 9<br />

• In einem ersten Schritt sollten sich MO und Vereine<br />

absprechen und eine erste Konzeptidee entwickeln.<br />

• Da die Brückenbauer/innen bei unterschiedlichen<br />

Trägern angesiedelt sind, braucht das Projekt einen<br />

Rahmen und eine Struktur, die es erlauben,<br />

ein erkennbares Gesamtkonzept umzusetzen. Weiterhin<br />

sind MO in der Regel unerfahren als Arbeitgeber<br />

und Maßnahmeträger. Für die Koordination<br />

und die weitere Unterstützung ist es hilfreich, weitere<br />

starke Partner vor Ort mit einzubeziehen, die<br />

in der Zwischenfinanzierung, Personalverwaltung<br />

etc. unterstützen und als „Fürsprecher“ auftreten.<br />

Unterstützung können die Projekte innerhalb des<br />

bundesweiten Netzwerkes IQ sein (www.intqua.de),<br />

die meist über Erfahrungen und Kontakte in diesem<br />

Feld verfügen.<br />

• Mit der konkreten Idee gilt es dann die ARGE vor<br />

Ort anzusprechen und das Konzept vorzustellen.<br />

• Ergänzend sollten Zuschüsse für Sachmittel (Fortbildungen,<br />

Sachkosten, Exkursionen, gemeinsame<br />

Veranstaltungen und Aktionen etc.) akquiriert werden,<br />

z.B. Landesministerien, Förderprogramme<br />

Mit einem solchen Konzept können interkulturelle Netzwerke<br />

zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration<br />

aufzubauen – genau darin liegt die Chance: Unterschiedliche<br />

Akteure zusammenzubringen und neue<br />

Wege der Ansprache und neue Zugänge eröffnen.<br />

Andrea Adam (aadam@sima-inbez.de), Faruk Sahin<br />

(faruk.sahin@gmx.de) und Cemalettin Özer (oezer@<br />

mozaik.de) stehen gerne als weitere Ansprechpartner/innen<br />

zur Verfügung.<br />

Anmerkungen<br />

1 vergl. Dokumentation „MO-Partner in der Kommune“<br />

und CD „Tipps für Vereine“, Stadt Essen 2008.<br />

2 siehe: www.immigrantenverbund.de.<br />

3 Im Einzelnen wurden die Themen Antidiskriminierung,<br />

Zuwanderungsrecht, Vereinrecht und Finanzen,<br />

Projektmanagement, Kommunikation und<br />

Konfliktmanagement, Moderation und Präsentationstechniken,<br />

sowie Öffentlichkeitsarbeit und<br />

Fundraising behandelt.<br />

4 siehe www.projekt-empa.de.<br />

5 Detaillierte Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen<br />

finden Sie unter www.projekt-empa.de.<br />

6 siehe www.irr.org.uk/alternative_voices/.<br />

BBE - Dokumentation 57


Talkrunde: Netzwerke in der<br />

Integrationsförderung als Zukunftsaufgabe?<br />

Moderation:<br />

Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />

Engagement (BBE)<br />

Podium:<br />

Margit Gottstein, Beauftragte der Bundesregierung<br />

für Migration, Flüchtlinge und Integration<br />

Behshid Najafi, Forum der Migrantinnen und Migranten<br />

im Paritätischen<br />

Dr. Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

der Freien Wohlfahrtspflege<br />

Miguel Vicente, Geschäftsführer des Bundeszuwanderungs-<br />

und Integrationsrates und der Ausländerbeiräte<br />

des Landes Rheinland-Pfalz<br />

Die Podiumsteilnehmenden hatten zunächst die Gelegenheit,<br />

ihre Positionen in kurzen Impulsreferaten<br />

auszuführen:<br />

Margit Gottstein:<br />

Die Beteiligung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> war<br />

in der vergangenen Legislaturperiode für die Bundesregierung<br />

ein wesentlicher Baustein der Integrationspolitik.<br />

Insbesondere bei der Formulierung und<br />

Umsetzung des Nationalen Integrationsplans spielte<br />

der Dialog mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> eine zentrale<br />

Rolle. Dieser soll auch in der angelaufenen Legislaturperiode<br />

fortgesetzt werden.<br />

Der Koalitionsvertrag benennt zur Ausgestaltung der<br />

Integrationspolitik folgende zentralen Vorhaben:<br />

1. Der Nationale Integrationsplan soll zu einem Nationalen<br />

Aktionsplan Integration weiterentwickelt werden.<br />

Mit einem Aktionsplan sollen die im Integrationsplan<br />

angelegten Ziele genauer festgelegt und<br />

ihnen passgenaue Maßnahmen zugeordnet werden.<br />

Angestrebt werden Zielgrößen, die überprüfbar<br />

sind. Um den Grad der Zielerreichung messen<br />

zu können, sollen ihnen Indikatoren zugeordnet<br />

werden. Wesentliche Themenfelder werden voraussichtlich<br />

die frühkindliche Förderung, Bildung,<br />

Ausbildung und Arbeitsmarkt sowie Sprachförderung<br />

und Gesundheit sein. Im gesamten Prozess<br />

werden im Rahmen der Beteiligung der Zivilgesellschaft<br />

wieder Migrantenorganisation einbezogen.<br />

2. Mit der Einrichtung eines Bundesbeirats für Integration<br />

hat der Koalitionsvertrag ein Anliegen der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

aufgegriffen. Der Bundesbeirat<br />

soll die Integrationsbeauftragte bei der Erfüllung<br />

ihrer Aufgaben unterstützen und sie beraten. Bei der<br />

Auswahl der Mitglieder wird daher großer Wert auf<br />

ein inhaltlich breites und ausgewogenes Spektrum<br />

gelegt, in dem Wissenschaft und Praxis sowie <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

vertreten sein sollen.<br />

3. Mit Integrationsverträgen soll Integration verbindlicher<br />

gemacht und erreicht werden, dass Integrationsmaßnahmen<br />

zum frühestmöglichen Zeitpunkt<br />

beginnen. Daher soll sich der Integrationsvertrag<br />

zunächst an Neuzuwanderer richten, die dauerhaft<br />

in Deutschland leben möchten. Saisonarbeiter und<br />

Studenten zählen beispielsweise nicht dazu. Ausgenommen<br />

werden sollen auch Hochqualifizierte<br />

und EU-Bürger, da für letztere die Freizügigkeit innerhalb<br />

der EU gilt. Inhaltliche Schwerpunkte sollen<br />

insbesondere Sprache, Bildung und Ausbildung<br />

sein. Zu diesen und anderen Bereichen sollten die<br />

Voraussetzungen erfasst werden, mit denen Neuzuwanderer<br />

in unser Land kommen. Es geht nicht<br />

um ein allgemeines Bekenntnis, sondern um konkrete<br />

Schritte und Maßnahmen zur Integration.<br />

4. In Kooperation mit Ländern und Kommunen sollen<br />

Integrationspartnerschaften in Modellregionen geschaffen<br />

werden. Angestrebt wird eine strategische<br />

Ausrichtung der Integrationspolitik, die interkulturelle<br />

Öffnung der Verwaltung und Dienste, die sozialräumliche<br />

Ausrichtung der kommunalen Integrationspolitik<br />

sowie die Überprüfung der Wirkung von<br />

Integrationsmaßnahmen <strong>durch</strong> ein Monitoring.<br />

58 BBE - Dokumentation


Talkrunde<br />

Behshid Najafi:<br />

Ich bin Mitarbeiterin von agisra, Informations- und Beratungsstelle<br />

für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen<br />

in Köln. agisra ist Mitglied im Forum der Migrantinnen<br />

und Migranten im Paritätischen (FdM), das im Mai<br />

2007 von mehr als 110 MO im Paritätischen gegründet<br />

wurde. Es gibt einen Beirat, der aus 7 Personen<br />

besteht, und einen Sprecherkreis aus 3 Personen.<br />

Beirat und Sprecherkreis sind zu 50% mit Frauen<br />

besetzt. Ich bin eine der drei Personen im FdM-<br />

Sprecherkreis. Zu den Mitgliedern des FdM gehören<br />

Netzwerke (z.B. BAGIV) bis hin zu kleineren Organisationen,<br />

die ehrenamtlich arbeiten.<br />

FdM hat das Projekt „Integration <strong>durch</strong> Partizipation<br />

– Förderung des interkulturellen Dialogs“ – gestartet,<br />

das vom BAMF und vom Europäischen Integrationsfond<br />

gefördert wird. Das Projekt hat die Qualifizierung<br />

von MO zum Ziel.<br />

Wir als agisra haben gemeinsam mit anderen Frauenorganisationen<br />

im Jahr 1993 eine bundesweite Kampagne<br />

zur Veränderung des damaligen §19 AuslG,<br />

der das eigenständige Aufenthaltsrecht der Ehegatten<br />

regelt, gestartet. Nach der damaligen Rechtslage bekam<br />

eine Frau ein von der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht<br />

erst nach vier Jahren Eheleben. Das Gesetz<br />

wurde im Jahr 2000 geändert, so dass ein von der Ehe<br />

unabhängiger Aufenthalt bereits nach zwei Jahren möglich<br />

wurde. Zwar war und ist unser Ziel ein sofortiges<br />

und unabhängiges Aufenthaltsrecht bei Eheschließung,<br />

aber immerhin war diese Fristverkürzung von vier auf<br />

zwei Jahre ein Erfolg. Dies ist ein Beispiel für gelungene<br />

Netzwerkarbeit und politische Einflussnahme.<br />

Für die Erreichung unserer Ziele sind Netzwerkbildungen<br />

unabdingbar. Zu unseren aktuellen Zielen<br />

gehören zum Beispiel:<br />

• Kommunales Wahlrecht für Drittstaatler<br />

• Abschaffung des Optionsmodells für in Deutschland<br />

geborene Kinder<br />

• Abschaffung der Residenzpflicht<br />

• Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes<br />

• Bleiberecht für Menschen, die über einen längeren<br />

Zeitraum in Deutschland leben, auch für Kranke,<br />

Ältere und für allein Erziehende, die ihren Lebensunterhalt<br />

nicht eigenständig sichern können<br />

Damit die MO Netzwerke aufbauen können, sind bestimmte<br />

Rahmenbedingungen notwendig. Vor allem<br />

Räumlichkeiten, Infrastruktur, Personal sind erforderlich.<br />

Dafür brauchen die MO eine feste Finanzierung,<br />

die hauptsächlich <strong>durch</strong> strukturelle Förderung gesichert<br />

werden muss.<br />

BBE - Dokumentation 59


Talkrunde<br />

Für MO ist es sehr wichtig, Netzwerke aufzubauen,<br />

um gemeinsame Ziele zu formulieren und an Politik<br />

und Gesellschaft Forderungen zu stellen. Wünschenswert<br />

wäre es, jährlich ein mehrtägiges Treffen<br />

aller MO <strong>durch</strong>zuführen. Hier wird ein Raum für Austausch,<br />

Zielformulierung und Stellungnahmen gegeben,<br />

aber auch die Möglichkeit eröffnet, sich näher zu<br />

kommen. Dabei gilt es, gemeinsame Ziele zu betonen<br />

und Unterschiede zu akzeptieren. Die Finanzierung,<br />

Koordination und Organisation für solch ein Netzwerktreffen<br />

muss gesichert werden.<br />

Auf staatlicher Seite ist im Koalitionsvertrag die Rede<br />

vom Aufbau eines „Bundesbeirats für Integration“.<br />

Wir begrüßen die Schaffung dieses Netzwerks auf<br />

höchster staatlicher Ebene. Allerdings ist für uns die<br />

Frage, welche Kompetenzen dieser Beirat hat und<br />

wer dort vertreten ist. Selbstverständlich müssen<br />

auch Repräsentantinnen und Repräsentanten von<br />

MO dort ausreichend vertreten sein.<br />

Dr. Gerhard Timm:<br />

Integration bedarf der politischen Grundentscheidung,<br />

die kulturelle Heterogenität unserer Gesellschaft anzuerkennen.<br />

Die Tatsache, dass wir Einwanderungsgesellschaft<br />

sind, muss <strong>durch</strong> die „interkulturelle<br />

Öffnung“ aller Dienste und gesellschaftlichen Institutionen,<br />

insbesondere der Schulen, auch institutionell<br />

sichtbar werden. In diesem Anpassungsprozess, den<br />

Einrichtungen und Institutionen zu vollziehen haben,<br />

gilt es, Migranten und Migrantinnen mit ihren individuellen<br />

und kulturellen Bedürfnissen wahrzunehmen<br />

und sie gleichzeitig als gleichberechtigte Bürgerinnen<br />

und Bürger, Klienten, Nutzer und Kunden zu akzeptieren.<br />

Dieser Prozess umfasst alle Ebenen der Arbeit<br />

der Institutionen: eine veränderte Struktur und Differenzierung<br />

der Angebote genauso wie die Änderung<br />

von Leitbildern, Konzeptionen, Selbstverständnis und<br />

Reflexion der Praxis im gegebenen Rahmen. Ohne<br />

eine gezielte Entwicklung interkultureller Kompetenz<br />

in Aus- und Weiterbildung, eine veränderte Personalund<br />

Einstellungspolitik und eine zielgenauere Informations-<br />

und Öffentlichkeitsarbeit wird man der sich<br />

verändernden Klientel kaum gerecht werden können.<br />

Formelle und informelle Hürden, die Migranten und<br />

Migrantinnen den Zugang zum tertiären Sektor und<br />

zum öffentlichen Dienst erschweren, müssen abgebaut<br />

werden.<br />

Integration ist weder ausschließlich Privatsache, noch<br />

eine allein vom Staat zu bewältigende Aufgabe. Gelingen<br />

kann sie nur als zivilgesellschaftliches Projekt, in<br />

das sich alle Inländer, gleich welcher Nationalität, eingebunden<br />

fühlen. Integrationspolitik – als dauerhafte<br />

gesellschaftspolitische Aufgabe – muss somit auf die<br />

Kräfte der Zivilgesellschaft rekurrieren. Die Umsetzung<br />

von konkreten Integrationsangeboten ist auf zivilgesellschaftliches<br />

Engagement und auf die Institutionen<br />

der Zivilgesellschaft angewiesen. Maßgebliche<br />

Potentiale liegen hier bei den Wohlfahrtsverbänden<br />

selbst und den Selbsthilfeorganisationen, insbesondere<br />

auch bei den <strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO).<br />

Die Existenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong> weist auf<br />

einen deutlichen Bedarf von MigrantInnen hin, sich im<br />

„eigenen Umfeld“ zu organisieren, und auf ihr Interesse<br />

und Engagement, auf der jeweiligen Ebene (Stadtteil,<br />

Kommune, Land, Bund) und für bestimmte Ziele<br />

(z.B. Elternvereine, Sportvereine) aktiv zu werden.<br />

Sie erleben die Begrenzung auf die eigene Ethnie<br />

einerseits als „Schutzraum“, aber auch als Begrenzung<br />

ihrer eigenen Handlungsoptionen und ihrer<br />

Wirksamkeit. Indem MO in der Regel dazu beitragen,<br />

Kompetenzen, Ressourcen und Potenziale ihrer<br />

Mitglieder zu fördern, leisten sie schon immer<br />

auch einen wichtigen Beitrag zur Integration im Sinn<br />

der Förderung von Selbständigkeit, Eigenverantwortung,<br />

Teilhabe etc.<br />

MO sind daher zunächst nicht Ausdruck von Segregation,<br />

sie leisten vielmehr einen wichtigen Beitrag<br />

zur Selbstorganisation in einer demokratischen Zivilgesellschaft.<br />

Gleichzeitig weist die Existenz von<br />

MO auf einen bestehenden Mangel bei anderen<br />

gesellschaftlichen Organisationen hin: Hier fühlen<br />

sich bzw. sind MigrantInnen eher nicht „zu Hause“.<br />

MO sind damit auch Ausdruck bzw. Reaktion auf erlebte<br />

Ausgrenzung und mangelnde Einbeziehung.<br />

Gesellschaftliches Ziel muss es sein, MO einerseits<br />

in ihrer (auf demokratische Ziele ausgerichteten)<br />

Handlungskompetenz zu fördern, andererseits einer<br />

Ethnisierung bürgerschaftlichen Engagements entgegenzuwirken:<br />

Insbesondere die BAGFW versteht<br />

sich in der Gestaltung von Ehrenamt, Freiwilligendiensten<br />

und Engagementangeboten sowie ihrer sozialen<br />

Dienste als Anbieter für alle in Deutschland<br />

lebenden Menschen.<br />

Dazu gehört auch die offene und auf Augenhöhe<br />

betriebene Kooperation mit MO – ohne das geht<br />

es nicht! Dazu gehört auch: von MO lernen. Und:<br />

Hilfe zur Selbsthilfe. „Netzwerke der Integrationsfördrung“<br />

(so der Titel der Podiumsdiskussion) sind<br />

daher auch alle Kooperationsformen von Organisationen<br />

unterschiedlicher Zielsetzung und „Kultur“,<br />

die (zivil-)gesellschaftliche Prozesse voran<br />

bringen, auch wenn Integration nicht ausdrücklich<br />

Thema oder Ziel ist. Es geht vielmehr um Mitgestal-<br />

60 BBE - Dokumentation


Talkrunde<br />

tung, Wahrnehmen von Verantwortung, Förderung<br />

von Kompetenzen der unterschiedlichsten Art etc.:<br />

Integration (Inklusion) ist nicht eine Aufgabe unter<br />

vielen, sondern Wirkungsprinzip und Ergebnis aller<br />

auf Teilhabe, Partizipation, Chancengleichheit<br />

etc. gerichteter Prozesse in allen möglichen gesellschaftlichen<br />

Bereichen (siehe Nationaler Integrationsplan).<br />

Ein (altmodischer) Schlüsselbegriff<br />

könnte auch sein: Emanzipation.<br />

Die Wohlfahrtsverbände unterstützen grundsätzlich<br />

und auch ganz praktisch die stärkere Einbeziehung<br />

von MO in die Integrationspolitik. Eine stärkere Beteiligung<br />

von MO ist sinnvoll und Ziel führend.<br />

Miguel Vicente:<br />

Das Leben in der Migration ist in Deutschland, wie<br />

in anderen Einwanderungsländern, stets auch Anlass<br />

zur Selbstorganisation der Zugewanderten. <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

sind somit aus einem „natürlichen“<br />

Prozess erwachsen und stellen einen wichtigen Teil<br />

unserer Zivilgesellschaft dar. In Deutschland wurde<br />

die Bedeutung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> für die<br />

Gestaltung integrativer Prozesse lange Zeit von Politik<br />

und Gesellschaft übersehen. Ehemals als „ausländische<br />

Vereine“ bezeichnet, in denen Zuwanderer<br />

sich scheinbar abschotteten, wurde ihnen eher eine<br />

die Integration gefährdende Wirkung zugeschrieben.<br />

Unter diesen Umständen ist es umso eindrucksvoller,<br />

mit wie viel Engagement und Leidenschaft die<br />

„ausländischen Vereine“ über all die Jahrzehnte ihre<br />

Funktionsfähigkeit aufrechterhalten und weiterentwickeln<br />

konnten. Mittlerweile setzt sich doch verstärkt<br />

die Erkenntnis <strong>durch</strong>, dass <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

seit Jahrzehnten eine wichtige soziale und gesellschaftliche<br />

Funktion ausfüllen und dass sie bedeutsame<br />

Partner für eine zukünftige Integrationsarbeit<br />

sein können.<br />

So übernehmen sie wichtige Mittler- und Brückenfunktionen<br />

und tragen zur Identitätsstärkung ihrer<br />

Mitglieder bei. Das Engagement vieler <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

hilft Einwanderern, sich in die neue<br />

Gesellschaft einzuleben und soziale Netzwerke<br />

aufzubauen. Sie wirken <strong>durch</strong> ihre Aktivitäten und<br />

Dienstleistungen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft,<br />

zum Beispiel <strong>durch</strong> Vermittlung von wichtigem<br />

Alltagswissen, wie Hilfen bei der schulischen Integration.<br />

Sie sind auch für die politische Meinungs- und<br />

Willensbildung sowie für die soziale Orientierung der<br />

Zuwanderer maßgeblich und unterscheiden sich da<strong>durch</strong><br />

von vielen anderen Vereinen, weil sie stärker in<br />

den Lebensalltag wirken.<br />

Zu diesem Sinneswandel hat insbesondere eine Umkehr<br />

in der bisherigen Integrationspolitik beigetragen.<br />

Wurde in der Vergangenheit ausschließlich auf die<br />

Kompensation von tatsächlichen oder vermeintlichen<br />

Defiziten von Migranten gesetzt, so liegt der Fokus<br />

nunmehr auf dem Erkennen und Stärken von vorhandenen<br />

Potenzialen der zugewanderten Bevölkerung.<br />

Dieses Prinzip findet mehr und mehr Eingang in den<br />

meisten nationalen und europäischen Programmen,<br />

die einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgen<br />

und Migration als Potenzial für die Aufnahmegesellschaft<br />

verstehen.<br />

Die meisten <strong>Migrantenorganisationen</strong> haben längst<br />

ihre Bereitschaft signalisiert, mehr Verantwortung im<br />

Integrationsprozess zu übernehmen. Befragungen<br />

und Untersuchungen zeigen allerdings, dass <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

unter erschwerten Rahmenbedingungen<br />

wirken und sich mit besonderen Problemen<br />

konfrontiert sehen. So geben Aktive an, dass die<br />

vorhandenen, knappen finanziellen Ressourcen eine<br />

aktivere Rolle verhindern. Sie bemängeln, dass es ihnen<br />

an Unterstützung und Anerkennung seitens der<br />

Institutionen und der Politik fehlt, und benennen einen<br />

hohen Bedarf an fachlichen Unterstützung und Weiterbildungsangeboten.<br />

Um <strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure in Integrationsprozesse<br />

einzubinden, muss genau an dieser<br />

Stelle angesetzt werden. Sie brauchen Unterstützung<br />

in Form von Qualifizierung und Weiterbildung sowie<br />

eine Politik der Anerkennung und Wertschätzung.<br />

Ein Weg zur Unterstützung von Handlungskompetenzen,<br />

gleichberechtigter Mitgestaltung und Teilhabe<br />

ist die fachliche Begleitung hin zu professionellerer<br />

Verbands- und Vereinsarbeit, der Aufbau und Ausbau<br />

tragfähiger Organisationsstrukturen sowie gleichberechtigte<br />

Kooperations- und Netzwerkarbeit. Die kommunalen<br />

Integrations- und Ausländerbeiräte fördern<br />

seit vielen Jahren diese Entwicklung der <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />

Insbesondere die Landesverbände sowie<br />

der Bundesverband haben zahlreiche Programme<br />

aufgelegt, die dieses Ziel verfolgen. So wurden beispielsweise<br />

in Bayern, Brandenburg oder in Rheinland-Pfalz<br />

Qualifizierungsangebote entwickelt, die die<br />

Bedürfnisse der <strong>Migrantenorganisationen</strong> aufgreifen.<br />

Dazu gehört auch die Förderung der Netzwerkarbeit,<br />

als wichtigen Bestandteil der Verbandsarbeit.<br />

Die Zusammenarbeit in Netzwerken ist deshalb von<br />

Bedeutung, weil vorhandene Kompetenzen und Ressourcen<br />

der einzelnen Beteiligten gebündelt werden<br />

können und da<strong>durch</strong> effizienter und zielgerichteter an<br />

gemeinsamen Zielen gearbeitet werden kann. Dies<br />

BBE - Dokumentation 61


Talkrunde<br />

eröffnet <strong>Migrantenorganisationen</strong>, als aktive Dialogund<br />

Aktionspartner zu wirken. Netzwerke sind in der<br />

Regel informelle Sozialformen, in den sich die unterschiedlichsten<br />

Gruppen, Einrichtungen und Personen<br />

zueinander in Beziehung setzen können, ohne ihre<br />

jeweilige Eigenständigkeit aufgeben zu müssen. Sie<br />

sind daher besonders geeignet für Formen der Zusammenarbeit,<br />

die über traditionelle, bürokratische,<br />

politische oder kulturelle Grenzen hinausgehen. Sie<br />

beruhen auf der Bereitschaft ihrer Mitglieder, sich bei<br />

Bedarf die jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnisse gegenseitig<br />

zur Verfügung zu stellen, um gemeinsame<br />

Ziele zu verfolgen.<br />

Netzwerkarbeit in lokalen Bezügen ist gerade auch für<br />

kleinere, meist ehrenamtlich arbeitende <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />

von Bedeutung, weil da<strong>durch</strong> Kooperationen<br />

unter Partnern mit unterschiedlichem Grad<br />

an hauptamtlichen Strukturen möglich werden. Die<br />

Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> untereinander<br />

und mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren<br />

findet auf vielen Ebenen statt. Auf Bundes- und Landeseben,<br />

aber auch in den Kommunen gibt es bereits<br />

vielfältige Strukturen des politischen und zivilgesellschaftlichen<br />

Engagements, in denen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als aktive Partner beteiligt sind. Diese gilt<br />

es mit dem Ziel weiterzuentwickeln, <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

als elementaren Bestandteil von Kooperationsstrukturen<br />

zu etablieren, in denen es nicht nur<br />

um die Analyse von Bedarfen geht, sondern um die<br />

Erarbeitung von gemeinsamen Handlungs- und Lösungsstrategien.<br />

So kann eine Politik gelingen, die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />

partnerschaftlich in eine gemeinsam verantwortete<br />

Integrationsarbeit einbindet.<br />

Beiträge aus dem Plenum:<br />

Cemalettin Özer (MOZAIK gGmbH):<br />

Herrn Özer geht es um die Frage, was MO tun müssen,<br />

um politisch besser Gehör zu finden. Ein Grund<br />

für den bislang nur mäßigen Erfolg liege seines Erachtens<br />

im Fehlen internationaler, d.h. über ethnische<br />

Grenzen hinweg stattfindender MO-Bewegungen. Er<br />

sieht eine besondere Herausforderung in der Ausformulierung<br />

schriftlicher Handlungsempfehlungen zur<br />

Steigerung ihrer politischen Durchsetzungskraft, die<br />

dann auch von MO verschiedener ethnischer Herkunft<br />

unterschrieben werden müssen.<br />

Philip Egbune (Integrationsbeirat Nordhausen):<br />

Herr Egbune spricht das Thema des Bleiberechts von<br />

Flüchtlingen an und bemängelt, dass die laufenden<br />

bundesweiten Projekte – wenn auch mit gut gemeinter<br />

Absicht initiiert – zu spät gestartet seien. Eine erschwerende<br />

Grundlage seien die problematischen<br />

Formulierungen in politischen Absichtserklärungen<br />

der Bundesregierung wie dem Koalitionsvertrag,.<br />

Sein zweites Anliegen betrifft den Integrationsplan:<br />

Dessen Ausformulierung erachtet Herr Egbune auch<br />

auf kommunaler Ebene als unbedingt notwendig,<br />

während auf Bundesebene eine übergreifende politische<br />

Partizipationsstrategie erarbeitet werden müsse.<br />

Herr Egbune spricht sich für eine Fortsetzung der<br />

Tagungsreihe des BBE in einem ostdeutschen Bundesland<br />

aus.<br />

Tobias Klaus (Flüchtlingsrat Bayern):<br />

Herr Klaus berichtet kurz von seiner Tätigkeit im<br />

Flüchtlingsrat, insbesondere von Protestaktionen mit<br />

jungen Flüchtlingen. Er plädiert ausdrücklich dafür,<br />

die Flüchtlingsarbeit in die Arbeit des BBE mit einzubeziehen.<br />

Grundsätzlich hält er die kritische Reflexion<br />

einer paternalistischen Helferposition, die sich um<br />

die Belange der Flüchtlinge kümmert, für dringend<br />

notwendig.<br />

Antworten aus dem Podium:<br />

Behshid Najafi:<br />

Frau Najafi eröffnet die Antwortrunde. Sie konstatiert,<br />

dass sich die Rahmenbedingungen für migrationspolitische<br />

Belange in den letzten Jahren kaum verbessert<br />

haben. Da<strong>durch</strong> gestalte sich die Arbeit im<br />

lokalen Rahmen besonders schwierig. Hierzu gehöre<br />

unter anderem die Abschaffung der Residenzpflicht,<br />

die bisher nicht vorangeschritten sei. Die Arbeit der<br />

früheren Migrantennetzwerke, die sich zunächst in<br />

erster Linie als religiöse Netzwerke verstanden haben,<br />

war wenig effektiv. Bis zum heutigen Zeitpunkt<br />

hat sich eine vielfältigere Struktur der MO entwickelt.<br />

Für die Zukunft betont Frau Najafi die Notwendigkeit<br />

eines Bürgernetzwerkes von MO, in dem die verschiedenen<br />

Akzente und Anliegen der einzelnen ethnischen<br />

Gruppen akzeptiert werden, die jedoch alle<br />

zusammen gemeinsame Ziele vertreten und anvisieren<br />

müssen.<br />

Dr. Gerhard Timm:<br />

Herr Timm reagiert zunächst auf den Kommentar von<br />

Herrn Klaus mit dem Hinweis, dass Hilfe für Betroffene<br />

jenseits des Paternalismus weiterhin wichtig bleibe<br />

und auch wertgeschätzt werden sollte. Er sieht die<br />

dringlichste Aufgabe darin, Bedingungen zu schaffen,<br />

die die betreffenden Migranten davor bewahren, in<br />

eine entsprechende prekäre Lage zu geraten. Er nennt<br />

folgende Kriterien, die seines Erachtens entscheidend<br />

62 BBE - Dokumentation


Talkrunde<br />

für eine erfolgreiche Einflussnahme von MO sind: 1)<br />

zeitnahe Reaktionen, 2) konkrete Forderungen und 3)<br />

eine hohe Einstimmigkeit der einzelnen Organisationsmitglieder.<br />

Wichtig sei es daher, innerhalb eines relativ<br />

kurzfristigen Zeitraumes, etwa der nächsten zwei Monate,<br />

festzulegen, für was der von der neuen Bundesregierung<br />

im Koalitionsvertrag vorgesehene Integrationsvertrag<br />

gut sein könne und welche Aspekte dieser<br />

beinhalten solle. Die Ergebnisse dieser Überlegungen<br />

müsse man schriftlich formulieren.<br />

Margit Gottstein:<br />

Frau Gottstein spricht zunächst die positive Entwicklung<br />

der Wahrnehmung von MO innerhalb der letzten<br />

Jahre an: Lag das Augenmerk im Rahmen der Migrationsarbeit<br />

bis vor wenigen Jahren noch hauptsächlich<br />

auf der Arbeit der Wohlfahrtsverbände, können<br />

die MO mittlerweile in ihrer Arbeit möglicherweise<br />

sogar einen Wahrnehmungsvorsprung verzeichnen.<br />

Dissens bestünde immer noch vor allem bei der Vorstellungen<br />

zu erforderlichen Rahmenbedingungen für<br />

NGOs. Frau Gottstein stimmt zu, dass Forderungen<br />

von MO dann stärker wahrgenommen werden, wenn<br />

mehr MO hinter diesen stehen. Die Politik müsse wissen,<br />

wen sie ansprechen kann und muss. Frau Gottstein<br />

weist darauf hin, dass die Integrationsbeauftragte<br />

der Bundesregierung, Prof. Dr. Maria Böhmer, am<br />

14.12.2009 einen integrationspolitischen Dialog mit<br />

MO plane. Für Ende 2010 sei der 4. Integrationsgipfel<br />

geplant, in dessen Zentrum sich die Fortentwicklung<br />

des Integrationsplanes befindet.<br />

groß, müsse allerdings auch entsprechend genutzt<br />

werden. Eine Hürde sieht er im Problembewusstsein<br />

der MO, welches sich von dem der Vertreter aus der<br />

deutschen Trägerlandschaft unterscheide. Einen<br />

grundsätzlichen Verbesserungsbedarf sieht er in den<br />

Bereichen Steuerung, Moderation und Netzwerkbildung<br />

auf kommunaler Ebene.<br />

Dr. Ansgar Klein:<br />

Dr. Ansgar Klein macht deutlich, dass das BBE weiterhin<br />

seine im erfreulichem Maße von den MO angenommene<br />

Rolle als Plattform zur Vernetzung zu<br />

migrationspolitischen Belangen zur Verfügung stellen<br />

werde. Er verweist auf die Arbeitsgruppe 5 „Engagement<br />

von Migrantinnen und Migranten und die<br />

Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>“ des BBE und<br />

bittet die Tagungsteilnehmer um Kontaktierung der<br />

Ansprechpartner bei Interesse. Abschließend gibt er<br />

einen kurzen Überblick über das geplante organisatorische<br />

Vorgehen des Nationalen Forums für Engagement<br />

und Partizipation im Jahr 2010. Im Rahmen<br />

der einzelnen Dialogforen spricht er sich ausdrücklich<br />

für die Teilnahme von MO aus. Im Vorfeld sollte<br />

untereinander vereinbart werden, welche MO an welchem<br />

thematischen Forum je nach inhaltlicher Ausrichtung<br />

teilnimmt. Zuletzt verweist er auf das Thema<br />

der nachhaltigen Infrastrukturförderung, welches im<br />

Forum von besonderer Bedeutung ist.<br />

Dr. Ansgar Klein:<br />

Herr Dr. Klein fragt nach, ob grundsätzlich Ressourcen<br />

auf Bundesebene bestünden, um ein Bundesnetzwerk<br />

für MO zu entwickeln.<br />

Margit Gottstein:<br />

Frau Gottstein versichert, dass die Bereitschaft und<br />

das Interesse einer derartigen Entwicklung <strong>durch</strong>aus<br />

bestehen. Allerdings könne von Seiten der Integrationsbeauftragten<br />

nur eine projektbezogene, keine institutionelle<br />

Förderung erfolgen.<br />

Miguel Vicente:<br />

Herr Vicente gibt zu verstehen, dass viele MO immer<br />

noch auf lokaler Ebene exstieren und dass dort<br />

auch ein bedeutendes Wirkungsfeld für sie bestehe.<br />

Ein großes Problem sei die Strukturentwicklung der<br />

MO: Zwar gibt es zahlreiche Akteure, Gelder stehen<br />

allerdings bisher nur auf der Projektebene zu Verfügung.<br />

Ein großes Problem sieht er auch in der Vielzahl<br />

von nicht evaluierten, nicht abgestimmten und<br />

nicht koordinierten Aktionen. Die Chance von MO,<br />

sich politisches Gehör zu verschaffen, ist enorm<br />

BBE - Dokumentation 63


Arbeitsgruppe Migration/Integration des BBE<br />

1. Selbstverständnis und Anliegen der Arbeitsgruppe<br />

Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements<br />

von und mit Migrantinnen und Migranten<br />

muss als eine Querschnittsaufgabe sowohl der Engagementpolitik<br />

als auch der Arbeit des Bundesnetzwerks<br />

verstanden werden. Insofern findet das<br />

Thema Berücksichtigung in allen Arbeitsgruppen<br />

des Netzwerks. Es hat sich aber dennoch gezeigt,<br />

dass die Verankerung des Themas Migration/<br />

Integration als Querschnittthema im Sinne eines<br />

interkulturellen Mainstreaming in Politik und Praxis<br />

noch nicht weit fortgeschritten ist und daher<br />

eine eigenständige Arbeitsgruppe, die das Themengebiet<br />

„bürgerschaftliches Engagement in der<br />

Einwanderungsgesellschaft“ behandelt, weiterhin<br />

nötig ist, um die unterschiedlichen Facetten des<br />

Themenbereichs zu bündeln und gezielt Handlungs-<br />

und Förderstrategien zu entwickeln.<br />

2. Zentrale (Teil)Themen<br />

• Förderung des bürgerschaftlichen Engagements<br />

von und mit Migrantinnen und Migranten in Migrantenselbstorganisationen,<br />

Nichtregierungsorganisationen,<br />

Wohlfahrtsverbänden, Infrastruktureinrichtungen<br />

des Freiwilligensektors, sowohl in formellen<br />

wie in informellen und nicht-organisierten Gruppen<br />

oder Communities<br />

• Förderung der Wahrnehmung und Anerkennung des<br />

Engagements von Migrantinnen und Migranten, sowohl<br />

im Bereich der Migrantenselbstorganisationen<br />

als auch im traditionellen Freiwilligensektor<br />

• Erweiterung des Verständnisses und der Wissensbasis<br />

von bürgerschaftlichem Engagement unter<br />

Berücksichtigung der Lebenssituation von Migrantinnen<br />

und Migranten<br />

• Interkulturelle Öffnung der Freiwilligendienste<br />

• Weiterbildung, Qualifizierung und Unterstützung<br />

von Migrantenselbstorganisationen<br />

• Förderung der Vernetzung von Migrantenselbstorganisationen<br />

und anderen zivilgesellschaftlichen<br />

Akteuren vor allem auf kommunaler Ebene<br />

• Verzahnung der Arbeitsgruppenarbeit mit anderen<br />

Arbeitsgruppen des BBE<br />

3. Arbeitsweise und Struktur der Arbeitsgruppe<br />

Die Arbeitsgruppe Migration/Integration nahm im<br />

Mai 2003 ihre Arbeit auf und tagt seitdem viermal<br />

im Jahr. Sie ist sehr heterogen zusammengesetzt.<br />

Ihre Mitglieder vertreten Wohlfahrts-, Kultur- und<br />

Jugendverbände, <strong>Migrantenorganisationen</strong>, Stiftungen,<br />

Kommunen und Bundesländer, Vereine und<br />

Verbände in der praktischen Arbeit für/mit Migrantinnen<br />

und Migranten und wissenschaftliche Institute.<br />

Darüber hinaus nehmen je eine Vertreterin der<br />

Beauftragten der Bundesregierung für Migration,<br />

Flüchtlinge und Integration und des Bundesamts für<br />

Migration und Flüchtlinge an der Arbeitsgruppe teil.<br />

Da<strong>durch</strong> werden die unterschiedlichsten Perspektiven<br />

in die Arbeitsgruppe eingebracht. Die Arbeitsgruppe<br />

zählt derzeit 25 aktive Mitglieder und einen<br />

Verteiler von weiteren 20 Interessierten.<br />

Ansprechpartner:<br />

Sprecherin: Susanne Huth<br />

susanne.huth@inbas-sozialforschung.de<br />

Stellvertretende Sprecherin: Prof. Dr. Siglinde Naumann<br />

naumann@fh-nordhausen.de<br />

Stellvertretender Sprecher: Sebastian Beck<br />

sbeck@vhw.de<br />

64 BBE - Dokumentation


Weitere Materialien zum Thema<br />

Integrationsförderung <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>: Kompetenzen –<br />

Ressourcen – Potentiale und Förderkonzepte in Ost und West<br />

Dokumentation einer Fachtagung am 11. und 12. Oktober 2008<br />

Die dritte Fachtagung des BBE behandelte die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen<br />

und Ausgangslagen von MO in West- und Ostdeutschland und die<br />

sich daran anschließenden Bereiche für die Förderung.<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure der Zivilgesellschaft:<br />

Integrationsförderung <strong>durch</strong> Weiterbildung<br />

Dokumentation einer Fachtagung am 14. und 15. Dezember 2007 in Nürnberg<br />

Für das bürgerschaftliche Engagement von Migrantinnen und Migranten sind<br />

<strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO) von erheblicher Bedeutung. Wie können MO<br />

besser in die Lage versetzt werden, dieses Engagement zu entwickeln und<br />

zu fördern? Die Dokumentation einer Fachtagung des BBE zusammen mit<br />

Partnerorganisationen gibt Auskünfte.<br />

Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarfe von<br />

Migrantenselbstorganisationen<br />

Dokumentation eines Fachworkshop am 2. Dezember 2006 in Oberhausen<br />

Wie können die Weiterbildungsbedarfe von <strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO)<br />

gelöst werden, um ihre Rolle als Trägerstrukturen für das bürgerschaftliche<br />

Engagement von Migrantinnen und Migranten zu stärken? Die Dokumentation<br />

der BBE-Fachveranstaltung führt in die Diskussion ein und gibt<br />

Handlungsempfehlungen.<br />

Die Materialien können als PDF-Datei im Internet unter www.b-b-e.de/downloads.html abgerufen werden. Als<br />

Printversion sind die Materialien, solange der Vorrat reicht, auch über die Geschäftsstelle des BBE erhältlich:<br />

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement,<br />

Michaelkirchstr. 17/18<br />

10179 Berlin


ISBN 978-3-00-030964-9<br />

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