Pfarrbrief 04/2013 öffnen/herunterladen - St. Servatius Siegburg
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„Aus dir wird nichts!“<br />
Einblicke in die Gefängnisgemeinde in der JVA <strong>Siegburg</strong><br />
Immer wieder treffe ich im Gefängnis auf<br />
Menschen, die ähnliches erlebt haben:<br />
Herr K., 36 Jahre alt, berichtet: „Meine Eltern hatten<br />
ein kleines Taxi-Unternehmen. Meine Mutter ist tagsüber<br />
gefahren, mein Vater nachts. Wenn wir – mein<br />
jüngerer Bruder und ich – sie mal gesehen haben,<br />
waren sie gestresst und wollten Ruhe vor uns haben,<br />
weil sie ausschlafen wollten und das Geschäft vorging.“<br />
Die Kindererziehung übernahm ein Kindermädchen;<br />
mit den Eltern etwas zusammen zu unternehmen war<br />
unmöglich. „Mit uns hat nie jemand für die Schule<br />
gelernt. Ich hatte dort riesige Probleme. Aber das hat<br />
meine Eltern nicht interessiert!“ Regelmäßig wird er<br />
von seinem Vater vorgeführt.<br />
Um seinem Vater zu beweisen, dass er kein nutzloser<br />
Esser ist, hilft er sehr früh auf einem Bauernhof<br />
aus und lernt, mit Landmaschinen umgehen. Der<br />
Vater ist zunächst beeindruckt, weil er Geld nach Hause<br />
bringt.<br />
Per Zufall erfährt Herr K., dass er mit drei Jahren von<br />
seinem Vater adoptiert wurde. Für ihn bricht eine<br />
Welt zusammen. Er weiß nicht mehr, wo er hingehört.<br />
Ihm wird klar, warum sein <strong>St</strong>iefvater ihn immer gedemütigt<br />
hat, warum er seinen leiblichen Sohn häufig<br />
bevorzugt hat.<br />
Zur Schule ist er kaum noch gegangen, meist hat er auf<br />
dem Bauernhof gearbeitet. „Und wenn ich nach Hause<br />
kam, habe ich eine drüber gekriegt. Mein Vater hat mir<br />
immer wieder vorgehalten: Du landest sowieso im<br />
Gefängnis! Aus dir wird nichts! Du bist ein Trottel!<br />
Meine Mutter hat ihm immer die <strong>St</strong>ange gehalten.<br />
Keiner wollte sehen, dass ich auch etwas schaffte.“<br />
Er war der Außenseiter in der Familie. Nach dem<br />
Abschluss der Schule begann er eine Lehre als <strong>St</strong>raßenbauer.<br />
Sein <strong>St</strong>iefvater arbeitete, nachdem er sein<br />
Taxiunternehmen aufgelöst hatte, als Maschinist in<br />
der gleichen Firma. „Da war die Kontrolle natürlich<br />
noch stärker, weil er es regelte, dass ich bei ihm in der<br />
Kolonne arbeitete. Er wollte seinen Arbeitskollegen<br />
natürlich zeigen, dass ich arbeiten kann. Konnte ich<br />
auch. Aber ich konnte ihm kaum etwas recht machen.<br />
Er hat mich über Feiertage arbeiten lassen. Wenn es<br />
kalt war, haben alle im Bauwagen gesessen, ich war<br />
ja der Lehrling und musste arbeiten. Wenn dann was<br />
falsch gelaufen ist, habe ich das zu Hause zu spüren<br />
bekommen!“<br />
Herr K. beendet seine Lehre eine Woche vor der Gesellenprüfung<br />
und zieht zu Hause aus. Als seine Freundin<br />
ihn auf die <strong>St</strong>raße setzt, nimmt er zum ersten Mal Drogen.<br />
Als er seine Drogensucht nicht mehr finanzieren<br />
kann, wird er straffällig und wird zu einer Gefängnisstrafe<br />
verurteilt. Mittlerweile hat er 12 Jahre seines<br />
Lebens in Gefängnissen verbracht.<br />
Nach solchen Lebensberichten frage ich mich oft: Wie<br />
sollen Menschen mit einem familiären Background, in<br />
dem sie kaum Liebe, Vertrauen und Zuwendung erfahren<br />
haben, Selbstvertrauen entwickeln? Wie sollen sie<br />
gefestigt durchs Leben gehen? Wie können sie lernen,<br />
anderen zu vertrauen? Wie sollen sie an einen guten<br />
Vater-Gott glauben und ihm vertrauen, wenn ihr eigener<br />
Vater nie für sie da oder eine Katastrophe war?<br />
Werner Kaser,<br />
Pfarrer an der JVA <strong>Siegburg</strong><br />
Familie<br />
PFARRBRIEF 4 | <strong>2013</strong> 11