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9. Perspektiven und Entwicklungslinien der luxemburgischen ...

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<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong><br />

Jugendberichterstattung<br />

Die Institutionalisierung einer regelmäßigen Jugendberichterstattung für Luxemburg durch das Gesetz<br />

vom 4. Juli 2008 hat mit dem vorliegenden Gesamtbericht ihren Auftakt gemacht. Entsprechend <strong>der</strong> Zielsetzung<br />

ist er als ein Bericht zur Situation <strong>der</strong> Jugend lichen in Luxemburg konzipiert, <strong>der</strong> Politikern, Verwaltungsfachleuten,<br />

Professionellen <strong>und</strong> Wissenschaftlern in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen<br />

auf möglichst umfassende Art <strong>und</strong> Weise empirische Daten zu zentralen Fragen jugendlichen Lebens<br />

in Luxemburg vorlegt. Insofern handelt es sich hier um einen ersten substanziellen Be richt zur Lage <strong>der</strong><br />

Jugendlichen in Luxemburg. Zugleich jedoch ist dieser Jugendbericht auch eine Art Pilotprojekt. Nachdem<br />

eine konzeptionell-inhaltliche Diskussion, eine for schungsorientierte Gr<strong>und</strong>lagenplanung <strong>und</strong> eine organisatorische<br />

Strukturdebatte zur Ju gendberichterstattung in Luxemburg bislang nicht stattgef<strong>und</strong>en haben,<br />

ist es auch zur Aufgabe dieses Berichtes geworden, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> gemachten Erfahrungen konzeptionelle,<br />

forschungsorientierte <strong>und</strong> organisatorische <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>und</strong> <strong>Perspektiven</strong> für die luxemburgische<br />

Jugendberichterstattung aufzuzeigen. Daher sollen hier einige Aspekte dargestellt werden, die sich aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> inhaltlichen Diskussionen, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Recher che <strong>und</strong> Analyse von Daten <strong>und</strong> auch aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> zur Verfügung stehenden Ressourcen <strong>und</strong> Strukturen bei <strong>der</strong> Arbeit am vorliegenden <strong>luxemburgischen</strong><br />

Jugendbericht ergeben haben.<br />

<strong>9.</strong>1. Die Integration <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung<br />

Während die Berichterstattung zur Lage <strong>der</strong> Jugend schon in vielen Län<strong>der</strong>n seit Jahren ein wichtiges<br />

Instrument politisch-administrativer Planung <strong>und</strong> Analyse ist (in Deutsch land etwa seit den 1960er<br />

Jahren) hat es verhältnismäßig lange gedauert, bis auch die Kin<strong>der</strong> in den Fokus <strong>der</strong> Berichterstattung<br />

gekommen sind. Die Gründe für diese verspä tete Aufmerksamkeit für die beson<strong>der</strong>en Belange auch <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> dürften vielfältig sein. So wie im politischen Diskurs die Jugendpolitik lange Zeit als ein nicht eigens<br />

genannter Teil <strong>der</strong> Familienpolitik, allenfalls noch <strong>der</strong> Schulpolitik, angesehen wurde, so hat auch die<br />

Kindheitsthematik Jahrzehnte gebraucht, bis sie sich durch die Entwicklung einer eigenständigen Kindheitsforschung<br />

entsprechend systematisch für den gesamten Bereich des Aufwachsens in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Gesellschaft zuständig fühlte. Dabei spielen sicher lich fehlende gesellschaftliche Sensibilisierungen für<br />

Kindheitsthemen als eigenständige Problem- <strong>und</strong> Diskursfel<strong>der</strong> ebenso eine Rolle wie die fehlende interdisziplinäre<br />

Zusam menarbeit zwischen soziologischer, pädagogischer <strong>und</strong> entwicklungspsychologischer<br />

For schung, die das Feld lange Zeit prägte. Erst seit den 1990er Jahren mehren sich Formen <strong>der</strong> Berichterstattung,<br />

die systematisch Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche in den Blick nehmen. Dies ist sicherlich mit beeinflusst<br />

durch die UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention, die Ende <strong>der</strong> 1980er Jahre entwickelt wurde <strong>und</strong> in den 1990er<br />

Jahren in einer Vielzahl von europäi schen Staaten, so auch in Luxemburg, ratifiziert wurde. Zugleich<br />

ist dies das Jahrzehnt, in dem sich in Europa eine eigenständige, als Spezialdisziplin ausdifferenzierte<br />

315


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

sozialwis senschaftliche Kindheitsforschung entwickelt hat, durch die eine konzeptionelle wie auch empirische<br />

Gr<strong>und</strong>lage für eine entsprechende Berichterstattung erst gelegt wurde.<br />

Heute haben wir sowohl auf europäischer Ebene, wie auch auf nationaler, regiona ler <strong>und</strong> kommunaler<br />

Ebene deutliche Tendenzen einer Integration <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Ju gendberichterstattung. Dies ist nicht<br />

nur Ausdruck einer verstärkten Sensibilisierung für Kindheitsthemen son<strong>der</strong>n trägt zugleich <strong>der</strong> Tatsache<br />

Rechnung, dass sich in <strong>der</strong> sozialen Situation <strong>und</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Wahrnehmung <strong>und</strong> Strukturierung<br />

<strong>der</strong> Kindheits phase einiges verän<strong>der</strong>t hat:<br />

––<br />

angesichts <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung familialer Lebensformen <strong>und</strong> Lebensstile (Scheidungen, Wie<strong>der</strong>verheiratung,<br />

Patchworkfamilien, Einelternfamilien);<br />

––<br />

angesichts <strong>der</strong> Verschiebung zwischen elterlicher Betreuung <strong>und</strong> außerfamilialer Betreuungs- <strong>und</strong><br />

Erziehungsarbeit;<br />

––<br />

angesichts <strong>der</strong> zunehmenden For<strong>der</strong>ung nach vorschulischer Bildungsarbeit im Klein kindalter;<br />

––<br />

angesichts <strong>der</strong> gestärkten gesellschaftlichen Rechte <strong>und</strong> Partizipationsaufgaben für Kin<strong>der</strong>.<br />

All dies weist darauf hin, dass Kindheit als eine soziale Ordnung (Honig, 2009) sich in den letzten Jahrzehnten<br />

deutlich verän<strong>der</strong>t hat. Damit aber haben sich nicht nur die institutionellen Aufgaben <strong>und</strong> Zuständigkeiten<br />

verän<strong>der</strong>t (z. B. Bildungsaufgaben <strong>der</strong> „Maisons relais pour enfants“), son<strong>der</strong>n auch die spezifischen<br />

Entwicklungsaufgaben, mit denen Kin<strong>der</strong> heute konfrontiert sind, <strong>und</strong> die Herausfor<strong>der</strong>ungen, die sie<br />

bewälti gen müssen. Dies drückt sich am stärksten aus in dem neuen Bild vom Kind als kompetenten sozialen<br />

Akteur, das ein Mitspracherecht <strong>und</strong> damit eine gewisse Mitver antwortung für die Gestaltung seines<br />

Lebensumfeldes bekommt. Aus diesen Gründen ist eine systematische Integration <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung<br />

dringend geboten.<br />

Zugleich ist darauf zu achten, dass eine Vernetzung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichter stattung auch mit<br />

an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Berichterstattung stattfindet.<br />

Die Beschreibung von Kontexten <strong>und</strong> Strukturen <strong>der</strong> Jugendentwicklung in Luxem burg stellt eine<br />

wichtige Ausgangslage für die nachhaltige Planung <strong>und</strong> Gestaltung sozial- <strong>und</strong> erziehungspolitischer Maßnahmen<br />

in vielen Bereichen dar. Eine solche Planung hat jedoch auch dem Umstand Rechnung zu tragen,<br />

dass Jugendentwicklung stets in einem erweiterten sozioökologischen Kontext stattfindet <strong>und</strong> daher nicht<br />

losgelöst von weiteren Entwicklungen <strong>der</strong> Gesellschaft zu betrachten ist. Als prominente Phänomene, von<br />

denen auch Luxemburg betroffen ist, sind hier <strong>der</strong> demografische Wandel <strong>und</strong> die zunehmende wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> kulturelle Globalisierung zu nennen. Als direkte Konsequenz einer kontinuierlich sinkenden Geburtsrate<br />

<strong>und</strong> einer kontinuierlich ansteigenden Lebenserwar tung stellen sich Probleme <strong>der</strong> nachhaltigen<br />

Finanzierbarkeit des Sozialstaates. Damit sind alle Bereiche einer Sozialpolitik angesprochen – von Bildung<br />

<strong>und</strong> Erziehung über Arbeit <strong>und</strong> Ökonomie bis hin zu Ges<strong>und</strong>heitsversorgung <strong>und</strong> Pflege. Damit wird eine<br />

Perspektive eröffnet, die auch das Verhältnis zwischen den Generationen anspricht. Hier könnte eine integrative<br />

Sicht angestrebt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Versuch unternommen werden, gesell schaftliche Aufgaben <strong>und</strong> Fragestellungen<br />

nicht nur aus <strong>der</strong> Perspektive einer Zielgruppe zu bearbeiten. 1 Die Beziehungen zwischen Generationen<br />

werden sowohl in <strong>der</strong> sozialwis senschaftlichen Forschung wie auch in dem sozialpolitischen Diskurs<br />

unter <strong>der</strong> Optik <strong>der</strong> Solidarität beschrieben. Nicht zuletzt hat auch die Europäische Kommission 2005 eine<br />

neue Solidarität zwischen den Generationen zur Bewältigung <strong>der</strong> Effekte des demografischen Wandels gefor<strong>der</strong>t.<br />

Es steht außer Frage, dass eine Diskussion von intergenerationellen Beziehungen – insbeson<strong>der</strong>e<br />

unter dem Aspekt <strong>der</strong> Solidarität <strong>und</strong> Gerechtigkeit – nur auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von differenzierten Fragestellungen<br />

<strong>und</strong> Analysen erfolgen sollte. Eine Verknüpfung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung mit einer<br />

Generationenbericht erstattung wird daher eine große Herausfor<strong>der</strong>ung aus wissenschaftlicher wie auch<br />

1 Ein rezentes Beispiel hierfür stellt z. B. <strong>der</strong> Schweizer Generationenbericht zu „Generationen – Strukturen <strong>und</strong> Beziehungen“<br />

von Perrig-Chiello, Höpflinger <strong>und</strong> Suter (2008) dar.<br />

316


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

aus sozialpolitischer Sicht, da letztlich nur in einer solch integralen Perspektive gesamtge sellschaftliche<br />

Fragen zu beantworten <strong>und</strong> Aufgaben zu bearbeiten sind.<br />

<strong>9.</strong>2. Evaluation <strong>und</strong> Wirkungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

Ein zentrales Anliegen je<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> zielgruppenorientierten Sozialberichterstattung (Kin<strong>der</strong>, Jugendliche,<br />

Familie, alte Menschen) ist es Auskunft zu geben über die sozia le Situation <strong>und</strong> Lebenslage <strong>der</strong> betroffenen<br />

Menschen. Sozialberichterstattung hat sich seit jeher zum Ziel gesetzt, durch eine regelmäßige<br />

<strong>und</strong> wissenschaftlich informierte Form <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> sozioökonomischen Lage <strong>der</strong> Menschen<br />

eine Gr<strong>und</strong>lage zu legen für die Verbesserung des Wohlstands <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lebensqualität <strong>der</strong> Menschen durch<br />

geeig nete politische Strategien, Interventionen <strong>und</strong> Hilfestellungen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> gewinnt das<br />

Konzept <strong>der</strong> Lebenslage als zentrales wissenschaftliches Konzept <strong>der</strong> Sozi alberichterstattung eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung. Das Konzept <strong>der</strong> Lebenslage bezeichnet ganz allgemein jene Umstände <strong>und</strong> Strukturen,<br />

unter denen soziale Gruppen in unserer Gesellschaft leben <strong>und</strong> sich hinsichtlich ihrer Verwirklichungschancen<br />

<strong>und</strong> -möglichkeiten unterscheiden (Sen, 2007). Es umfasst dabei mehrere Dimensionen, z. B. die<br />

Famili ensituation, die Arbeitssituation, den Bildungsstand, aber auch die Einkommens- <strong>und</strong> Vermögenslage,<br />

den Ges<strong>und</strong>heitszustand sowie die Wohnsituation <strong>der</strong> Menschen. Insbe son<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> soziologischen<br />

Fassung des Lebenslagenkonzeptes (Weisser, 1978; Esser, 1993) wird darauf hingewiesen, dass neben<br />

mikrosoziologischen Faktoren (wie soziales, ökonomisches, kulturelles Kapital <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e individuelle<br />

Ressourcen wie Talent, In teressen, Leistungsvermögen) die Lebenslage des Menschen auch durch eine<br />

Reihe von strukturellen Faktoren geprägt ist. Dazu zählen neben Aspekten <strong>der</strong> sozialen Ungleich heit, des<br />

Arbeitsmarktes, <strong>der</strong> Segregation insbeson<strong>der</strong>e auch die sozial- <strong>und</strong> wohlfahrts staatlichen Strategien <strong>und</strong><br />

Politiken des Staates. Diese haben mit ihren verteilungspo litischen <strong>und</strong> hilfeorientierten Ansätzen einen<br />

großen Einfluss auf die Lebenslage <strong>und</strong> Lebenssituation <strong>der</strong> Menschen, indem sie auf soziale Risiken <strong>und</strong><br />

Problemlagen, sowie auf beson<strong>der</strong>e Bedarfe reagieren.<br />

Neben den allgemeinen Sozialleistungen <strong>und</strong> den familienbezogenen Leistungen zählen insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Angebote <strong>und</strong> Leistungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe zu den wich tigen sozialpolitischen Rahmenbedingungen,<br />

die für eine umfassende Bestimmung <strong>der</strong> kindlichen <strong>und</strong> jugendlichen Lebenssituation von<br />

zentraler Bedeutung sind (siehe dazu Willems et al., 2009). Insofern wird für die weitere Entwicklung <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Ju gendberichterstattung in Luxemburg auch die kontinuierliche, systematische Beschrei bung<br />

<strong>und</strong> Analyse <strong>der</strong> Angebote, Leistungen <strong>und</strong> Effekte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe eine zentrale Rolle spielen<br />

müssen. Wir haben in diesem Bericht – wo immer es not wendig <strong>und</strong> möglich war – auch diese Aspekte<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen <strong>und</strong> staatlichen Hilfe- <strong>und</strong> Unterstützungsstrukturen für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche in<br />

unsere Darstellung miteinbezogen. Eine systematische Beschreibung <strong>und</strong> Analyse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

war nicht für diesen Bericht vorgesehen; zum einen weil viele Strukturen, Angebote <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

zur Zeit im Umbau o<strong>der</strong> im Neuaufbau sind; zum an<strong>der</strong>en aber auch weil insbeson<strong>der</strong>e zur Nutzung<br />

<strong>und</strong> Wirksamkeit dieser Angebote bislang nur wenige Daten zur Verfügung stehen. Für die zukünftige Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> - <strong>und</strong> Jugendberichterstattung sollte die Beschreibung <strong>und</strong> Analyse <strong>der</strong> Familien-,<br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe aber ins Zentrum gerückt werden. Dies setzt freilich voraus, dass auch eine<br />

entsprechende Forschungsanstrengung zur systematischen Begleitung <strong>und</strong> Evaluati on dieser „Policies“<br />

<strong>und</strong> Maßnahmen ausgebaut wird, da nur so die notwendigen Daten verfügbar gemacht werden können.<br />

<strong>9.</strong>3. Transnationale Bezüge <strong>und</strong> GroSSregion als Bezugsrahmen<br />

Mo<strong>der</strong>ne Gesellschaften kennzeichnen sich mehr <strong>und</strong> mehr dadurch, dass sie im Hinblick auf die Menschen,<br />

die sie umfassen <strong>und</strong> auf <strong>der</strong>en Handlungen <strong>und</strong> Interaktionen sie sich beziehen, nicht an den<br />

317


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

nationalstaatlich definierten räumlichen, politischen, recht lichen <strong>und</strong> kulturellen Grenzen aufhören son<strong>der</strong>n<br />

eine Vielzahl von transnationalen <strong>und</strong> globalen Bezügen entwickeln. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für ein<br />

Land wie Luxemburg, das aufgr<strong>und</strong> seiner global aufgestellten Wirtschaft, seiner europapolitischen Funktionen<br />

<strong>und</strong> seiner Mehrsprachigkeit in vielfacher Weise global <strong>und</strong> europäisch vernetzt ist. Es gilt aber auch<br />

deshalb beson<strong>der</strong>s für Luxemburg, weil Luxemburg im Zentrum einer euro päischen Großregion gelegen<br />

ist, die zunehmend die Lebensverhältnisse, Lebensstile <strong>und</strong> Lebenschancen <strong>der</strong> Menschen beeinflusst:<br />

––<br />

durch eine zunehmende berufliche Mobilität <strong>der</strong> Menschen in <strong>der</strong> Großregion, ins beson<strong>der</strong>e das<br />

Phänomen <strong>der</strong> Grenzpendler nach Luxemburg;<br />

––<br />

durch eine Tendenz zur Verlagerung des Wohnortes jenseits <strong>der</strong> Grenzen bei lu xemburgischen<br />

Staatsbürgern;<br />

––<br />

durch einen grenzüberschreitenden Lebens-, Freizeit- <strong>und</strong> Konsumstil <strong>der</strong> Men schen in <strong>der</strong><br />

Großregion;<br />

––<br />

durch eine verstärkte politische, kulturelle <strong>und</strong> institutionelle Zusammenarbeit.<br />

All diese Austauschbeziehungen schaffen mehr <strong>und</strong> mehr den transnationalen Raum einer europäischen<br />

Großregion, <strong>der</strong> für die Menschen in den verschiedensten Bereichen ihres Alltagslebens von Bedeutung ist.<br />

Im Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendbereich gibt es heute bereits<br />

––<br />

Kin<strong>der</strong> von Grenzpendlern, die in Luxemburg die Kin<strong>der</strong>krippen besuchen;<br />

––<br />

eine bildungsbezogene Mobilität von Schülern, Studenten <strong>und</strong> Lehrlingen in <strong>der</strong> Großregion;<br />

––<br />

Zusammenarbeit im Bereich <strong>der</strong> Bildung, <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe, <strong>der</strong> Ju gendarbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Arbeit mit Migranten.<br />

Diese Aspekte einer sich herausbildenden Großregion werden zukünftig mehr noch als bisher das Leben<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen in Luxemburg bestimmen. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> wird die Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

Jugendberichterstattung in Luxemburg diesen trans nationalen Aspekt zukünftig systematisch mit in den<br />

Blick nehmen müssen, wenn sie den Lebensverhältnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> auch den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Institutionen Rechnung tragen will.<br />

<strong>9.</strong>4. Entwicklung einer kontinuierlichen Datengr<strong>und</strong>lage<br />

Die Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung ist wie jede an<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Sozialbericht erstattung auf eine<br />

solide Datengr<strong>und</strong>lage angewiesen, will sie mehr sein als ein bloßes Abbild von Meinungen <strong>und</strong> Diskursen<br />

zu aktuellen Fragen. Definiert man die Aufgabe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung als eine<br />

regelmäßige, systematische Beschrei bung <strong>und</strong> Analyse <strong>der</strong> Lebenslagen, <strong>der</strong> Probleme, <strong>der</strong> Hilfsangebote<br />

<strong>und</strong> ihrer Wir kungen zum Zweck einer Verbesserung politischer, institutioneller <strong>und</strong> professioneller<br />

Entscheidungsfindung <strong>und</strong> Steuerung, so wird man in <strong>der</strong> Konsequenz festhalten müssen, dass dies<br />

ohne den Aufbau einer entsprechenden Datengr<strong>und</strong>lage nicht möglich ist. Die gegenwärtige Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />

Jugendberichterstattung in verschiedenen Län<strong>der</strong>n basiert ih re Analysen stets systematisch auf empirischen<br />

Daten, wenngleich in unterschiedlicher Form:<br />

––<br />

So hat <strong>der</strong> österreichische Jugendbericht von 2008 als empirische Gr<strong>und</strong>lage die Daten eines umfangreichen<br />

Jugendsurveys genommen, <strong>der</strong> speziell zu diesem Zweck durchgeführt wurde.<br />

––<br />

Der schweizer Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendbericht von 2008 konnte auf die umfangreichen wissenschaftlichen<br />

Forschungsergebnisse zurückgreifen, die im Rahmen einer 2003 eigens gestarteten Forschungsför<strong>der</strong>ung<br />

des „Nationalen Forschungsprogramms 52“ in insgesamt 29 Forschungsprojekten<br />

318


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

zum Thema „Kindheit, Jugend <strong>und</strong> Genera tionenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel“ erarbeitet<br />

wurden.<br />

––<br />

Die deutschen Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichte, in denen umfassende Gesamtberichte zur Situation <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen mit Spezialberichten zu unterschied lichen Schwerpunktthemen wie Bildung<br />

o<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Ju gendlichen abwechseln, können in <strong>der</strong> Regel einerseits<br />

auf die Fülle an wissen schaftlichen Forschungsarbeiten zu Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen an den vielen<br />

Uni versitäten <strong>und</strong> Fachhochschulen zurückgreifen (umfangreiche Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugend surveys, Entwicklungsdaten,<br />

Längsschnittdaten usw.), sowie an<strong>der</strong>erseits auf die amtlichen Statistiken, an <strong>der</strong>en<br />

Aufbereitung <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äranalytischen Auswer tung verschiedene Institute <strong>und</strong> Wissenschaftler<br />

seit langem arbeiten (z. B. DJI-Jugendhilfesurvey).<br />

––<br />

Der europäische „EU Youth Report 2009“, <strong>der</strong> eine Auswahl von jugendbezoge nen Themen bearbeitet,<br />

die von beson<strong>der</strong>er Bedeutung für die Entwicklung einer europäischen Jugendpolitik sind,<br />

konnte vor allem auf Eurostat-Daten zurückgrei fen (z. B. die „Enquête sur les forces de travail“, <strong>der</strong><br />

„European Union Survey on Income and Living conditions“), aber auch auf Daten des „European<br />

Knowledge Center on Youth Policy“, des Eurobarometer o<strong>der</strong> des „European Social Survey“.<br />

Auch für diesen <strong>luxemburgischen</strong> Jugendbericht haben wir auf eine Fülle von empirischen Daten zurückgegriffen,<br />

um die Lebenslage <strong>und</strong> Probleme <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendli chen zu beschreiben. Diese<br />

entstammten zum Teil wissenschaftlichen Forschungsprojek ten, wurden zum Teil aber auch aus offiziellen<br />

Statistiken gewonnen. Dabei standen zwei zentrale Probleme im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>: Zum einen war es schwierig<br />

sich die Informationen darüber zu beschaffen, wo <strong>und</strong> in welcher Art Forschung zu Jugendlichen in Luxemburg<br />

gemacht wird <strong>und</strong> in welcher Form entsprechende Daten zugänglich sind (siehe dazu auch Kapitel<br />

1.4). Zudem entspringen die verwendeten Daten unterschiedlichen Forschungs projekten mit divergenten<br />

Zielsetzungen, so dass die Brauchbarkeit dieser Daten für die Jugendberichterstattung immer wie<strong>der</strong> neu<br />

diskutiert werden musste.<br />

Zum zweiten gibt es keinen systematischen Überblick zu offiziellen Statistiken <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit sowie an<strong>der</strong>er für die Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugend berichterstattung relevanter Institutionen.<br />

Ebensowenig gibt es eine systematische Auf arbeitung <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äranalytische Auswertung <strong>und</strong> Bereinigung<br />

dieser Daten, die ja in <strong>der</strong> Regel als Arbeitsstatistiken geführt werden <strong>und</strong> von daher nicht einfach als<br />

Gr<strong>und</strong> lage einer systematischen Populationsbeschreibung dienen können. So fehlen in vielen Statistiken<br />

schlicht altersspezifische Differenzierungen; o<strong>der</strong> es werden ganz unterschied liche Altersabgrenzungen<br />

benutzt, die einen systematischen Vergleich <strong>der</strong> Daten sehr schwierig machen. Von daher waren wir im<br />

Rahmen des vorliegenden Jugendberichtes nicht nur auf eigenständige Recherche <strong>und</strong> Informationsbeschaffung<br />

zu den vorhandenen Daten <strong>und</strong> Forschungsergebnissen angewiesen son<strong>der</strong>n mussten wir in <strong>der</strong><br />

Regel auch die verfügbaren Daten neu aufbereiten, bereinigen <strong>und</strong> gezielt auswerten. Dies ist nicht nur<br />

extrem zeitaufwendig <strong>und</strong> eigentlich im Rahmen eines Berichterstattungsprojektes kaum zu leisten; es ist<br />

auch aus methodischen <strong>und</strong> datentechnischen Gründen oft kaum durch führbar, weil die dazu notwendigen<br />

Informationen über die Erhebungsverfahren <strong>und</strong> ihre Beson<strong>der</strong>heiten oft nicht verfügbar sind. Daher<br />

ist für eine nachhaltige Entwicklung ei ner soliden Datengr<strong>und</strong>lage des Systems <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung<br />

in Luxemburg von Bedeutung,<br />

––<br />

dass eine systematische Dokumentation <strong>und</strong> Archivierung <strong>der</strong> spezifischen For schungsarbeiten,<br />

Datenbanken, Statistiken <strong>und</strong> Publikationen ermöglicht wird;<br />

––<br />

dass die Harmonisierung <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äranalytische Bearbeitung <strong>der</strong> offiziellen Sta tistiken vorangetrieben<br />

wird;<br />

––<br />

dass durch eine konzertierte Forschungsför<strong>der</strong>ung (evtl. in Kooperation mit dem „Fonds National<br />

de la Recherche Luxembourg“) die Gr<strong>und</strong>lage für eine kontinu ierliche <strong>und</strong> gezielte Forschung in<br />

diesen Bereichen gelegt wird.<br />

319


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

<strong>9.</strong>5. Entwicklung eines Indikatorensystems<br />

Die Entwicklung geeigneter Indikatoren gehört zu den zentralen Aufgaben <strong>und</strong> Her ausfor<strong>der</strong>ungen je<strong>der</strong><br />

Form <strong>der</strong> Sozialberichterstattung (Hoffman-Nowotny, 1977). In dikatoren sind Messinstrumente, mit denen<br />

die Sozialwissenschaften die Lebenslagen, die Lebensqualität sowie die Probleme einer Gesellschaft<br />

o<strong>der</strong> aber verschiedener ihrer Teilgruppen wie z. B. Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlicher beschreiben. Sie sollen zuverlässig<br />

<strong>und</strong> objektiv Verän<strong>der</strong>ungen in den untersuchten Gegenstandsbereichen in <strong>der</strong> Zeit darstellen können<br />

<strong>und</strong> zugleich durch internationale Vergleiche eine Gr<strong>und</strong>lage für die Einschät zung <strong>und</strong> Interpretation<br />

<strong>der</strong> Daten liefern. Bei <strong>der</strong> Entwicklung eines Indikatorensystems sind freilich einige zentrale Aspekte zu<br />

berücksichtigen.<br />

Erstens bedarf es stets einer theoretischen Ableitung bzw. Begründung des Indika tors, d.h die Suche<br />

nach geeigneten Indikatoren etwa zur Lebenslage von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen geht von wissenschaftlichen<br />

Theorien <strong>und</strong> Modellvorstellungen aus, die die ses Konzept adäquat beschreiben. Aussagekräftige<br />

Indikatoren werden somit von theo retischen Konstrukten abgeleitet <strong>und</strong> entsprechend ausformuliert <strong>und</strong><br />

operationalisiert („theory driven approach“). Dieser Ansatz erweist sich aus theoretischer Sicht als geboten,<br />

stößt aber in <strong>der</strong> Umsetzung nicht selten auf praktisch unüberwindbare Hürden <strong>und</strong> Probleme, da<br />

diese Methode eine bereits vorhandene, gut strukturierte <strong>und</strong> wissenschaftlich erarbeitete Datengr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>und</strong> Forschungsarbeit voraussetzt. Ist diese Gr<strong>und</strong>lage nicht gegeben so besteht die Gefahr, dass man Indikatoren<br />

definiert, für die keine Datenbasis vorhanden ist. In dem Fall kann das vorhandene theoretische<br />

Modell nicht o<strong>der</strong> nur partiell abgebildet werden. In <strong>der</strong> Praxis ist die Sozialberichterstattung <strong>und</strong> auch die<br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung in <strong>der</strong> Regel darauf angewiesen, ange sichts fehlen<strong>der</strong> systematischer<br />

Forschungen zu den zu beschreibenden Gegenständen auf bereits bestehende wissenschaftliche Datensätze<br />

<strong>und</strong> verfügbare amtliche Statistiken zurückzugreifen. Hier geben somit die vorhandenen Daten vor, welche<br />

Konzepte ope rationalisierbar <strong>und</strong> welche Indikatoren brauchbar sind („data driven approach“). Die Gefahr<br />

dieser Vorgehensweise besteht darin, dass Indikatoren gebildet werden, die sich ausschließlich an <strong>der</strong> vorhandenen<br />

Empirie <strong>und</strong> damit an <strong>der</strong> Machbarkeit orientieren, dass aber theoretische Modelle ausgeblendet<br />

werden o<strong>der</strong> nur unzureichend abgebildet werden können. Eine solche datenorientierte Strategie sollte<br />

daher nur als ultima ratio o<strong>der</strong> zu einer punktuellen <strong>und</strong> orientierenden Erstberichterstattung Verwendung<br />

finden. Sie ist nicht geeignet theoretische Konzepte <strong>und</strong> wissenschaftliche o<strong>der</strong> politische Fra gestellungen<br />

systematisch <strong>und</strong> zuverlässig abbilden zu können, <strong>und</strong> bietet auch für eine nachhaltige Berichterstattung,<br />

die Entwicklungen <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen interessieren<strong>der</strong> Sachverhalte über die Zeit beschreiben will, keine<br />

zuverlässige Gr<strong>und</strong>lage.<br />

Zweitens muss sich die Entwicklung eines geeigneten Indikatorensystems an den Gü tekriterien wissenschaftlicher<br />

Messinstrumente orientieren. Die Indikatoren sollten ob jektiv, reliabel <strong>und</strong> valide sein. Dies<br />

setzt voraus, dass die Indikatoren nicht ad hoc entwickelt <strong>und</strong> angewendet werden son<strong>der</strong>n sich durch<br />

häufige Erprobung <strong>und</strong> Verwen dung als Messinstrumente bewährt haben.<br />

Drittens schließlich sollen die Indikatoren so ausgerichtet sein, dass sie eine nachhaltige Berichterstattung<br />

zu Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Trends ermöglichen. Dies bedeutet, dass die Indikatoren so konstruiert sein<br />

sollten, dass sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch in die unmittelbare Zukunft hinein als zuverlässige<br />

<strong>und</strong> valide Instrumente zur Abbildung <strong>der</strong> Lebenslage <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen brauchbar sind.<br />

Viertens sollte die Entwicklung eines Indikatorensystems so ausgerichtet sein, dass internationale Vergleiche<br />

o<strong>der</strong> Vergleiche mit europäischen Daten ermöglicht werden.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Komplexität <strong>und</strong> Problematik dieser Aufgaben war die Entwicklung eines eigenen, systematischen,<br />

nachhaltigen <strong>und</strong> zuverlässigen <strong>luxemburgischen</strong> Indika torensystems im Rahmen dieser Berichterstattung<br />

nicht zu leisten. Hierzu bedarf es vielmehr einer eigenen Entwicklungsarbeit, die möglichst<br />

vor dem nächsten Berichtszeit raum im Jahr 2015 abgeschlossen sein sollte. Die Ausarbeitung dieses Indikatorensystems<br />

sollte gemeinsam von Wissenschaftlern, Experten <strong>der</strong> verschiedenen Fel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><strong>und</strong><br />

Jugendarbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe sowie von Vertretern <strong>der</strong> Politik <strong>und</strong> Administration<br />

320


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

geleistet werden. Diese transsektorale <strong>und</strong> interdisziplinäre Kooperation ist deshalb von großer Bedeutung,<br />

weil hier mit Blick auf eine nachhaltige Berichterstat tung ein Konsens erzielt werden muss über jene<br />

Kernthemen <strong>und</strong> Kernindikatoren, die für eine Darstellung von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Entwicklungen notwendig<br />

sind.<br />

<strong>9.</strong>6. Die Weiterentwicklung des partizipativen Ansatzes des <strong>luxemburgischen</strong><br />

Jugendberichtes<br />

Der vorliegende luxemburgische Jugendbericht hat sich in seiner Vorgehensweise <strong>und</strong> Methodologie insofern<br />

ein eigenes Profil bzw. eine eigene Konzeption erarbeitet, als hier (neben einer wissenschaftlichen<br />

Aufbereitung <strong>und</strong> Analyse von Forschungsergebnissen <strong>und</strong> offiziellen Statistiken) mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />

einer zusätzlichen Forschungsstrategie ein eigenständiges, methodologisches Element in die Berichterstattung<br />

integriert wurde. Im Kern handelt es sich dabei um den wissenschaftlich kontrollierten Einsatz<br />

von qualita tiven Forschungsmethoden (insbeson<strong>der</strong>e von Gruppendiskussionen/Fokusgruppen sowie Experteninterviews).<br />

Sie wurden im Prozess <strong>der</strong> Berichterstellung zielgerichtet eingesetzt um professionelle<br />

Diskurse <strong>und</strong> das erfahrungsgesättigte Wissen <strong>der</strong> vielen Experten aus unterschiedlichen Bereichen mit in<br />

die Berichterstattung aufnehmen <strong>und</strong> integrieren zu können. Dies betrifft insbeson<strong>der</strong>e die Identifikation<br />

von relevanten Themen <strong>und</strong> Fra gestellungen für den Jugendbericht („agenda setting“), die Identifikation,<br />

Analyse <strong>und</strong> Interpretation von Daten in den unterschiedlichen Bereichen sowie schließlich die Identifikation<br />

von Handlungsbedarf <strong>und</strong> zielführenden Handlungsstrategien. Auch wenn dieser Einsatz einer<br />

qualitativen Methodologie im Rahmen <strong>der</strong> Berichterstellung in ihrer gr<strong>und</strong> legenden Nützlichkeit für die<br />

Berichterstattung zur Zeit noch nicht abschließend bewertet werden kann, so hat doch diese partizipative<br />

Forschungsstrategie eine Reihe von positiven Effekten, die Ausgangspunkt für eine kritische Diskussion<br />

sein könnten. Die partizipative Strategie<br />

––<br />

öffnet den Prozess <strong>der</strong> Berichterstattung für eine Vielzahl von wissenschaftlichen Disziplinen/Fachdisziplinen<br />

<strong>und</strong> <strong>Perspektiven</strong> (Interdisziplinarität) <strong>und</strong> legt so die Gr<strong>und</strong>lage auch für eine transsektorale<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> Akzeptanz des Berich tes;<br />

––<br />

ermöglicht eine Kooperation von Wissenschaft, Administration <strong>und</strong> Praxis <strong>und</strong> eine Anerkennung<br />

außerwissenschaftlicher Wissens- <strong>und</strong> Erfahrungsbestände, <strong>und</strong> erweitert damit die Funktion <strong>der</strong><br />

Berichterstattung über die Politikberatung hinaus in das Feld <strong>der</strong> Praxisberatung;<br />

––<br />

integriert in den Prozess <strong>der</strong> Berichterstattung ein erkenntnistheoretisches <strong>und</strong> -praktisches Element<br />

<strong>der</strong> Reflexion <strong>und</strong> des kritischen Dialogs <strong>und</strong> nimmt damit die Erzeugung von „Evidenz“<br />

(„evidence based decision making“) als einen Prozess <strong>der</strong> interaktiven Generierung <strong>und</strong> intersubjektiven<br />

Absicherung von Wissen durch Wissenschaftler <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Experten ernst.<br />

Auch wenn <strong>der</strong> unmittelbare Nutzen <strong>und</strong> Gewinn dieser partizipativen Strategie im vor liegenden Bericht<br />

vielleicht nicht immer deutlich genug wird, so kann doch festgehalten werden, dass in allen Phasen <strong>der</strong><br />

Berichterstellung Informationen, Anregungen, Ergän zungen <strong>und</strong> Interpretationen durch die externen Experten<br />

in den Bericht mit eingeflossen sind. Von daher würde sich aus heutiger Sicht die Weiterentwicklung<br />

dieser partizipativen Methode als ein erkenntinisleitendes Prinzip in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung<br />

durchaus lohnen. Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob <strong>und</strong> ggf. wie<br />

diese partizipative Methode durch Einbeziehung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen selbst ausgeweitet werden<br />

könnte.<br />

321


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

<strong>9.</strong>7. Forschungsdesi<strong>der</strong>ata<br />

Die Arbeiten zu dem vorliegenden <strong>luxemburgischen</strong> Jugendbericht haben insbeson<strong>der</strong>e auf ein Defizit<br />

aufmerksam gemacht, das vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer angestrebten wissen schaftlichen Gr<strong>und</strong>legung <strong>der</strong><br />

Berichterstattung beson<strong>der</strong>s ins Gewicht fällt: das Fehlen einer systematischen Forschungspraxis in einer<br />

Reihe von relevanten Fel<strong>der</strong>n. Angesichts einer lange Zeit nur schwach ausgeprägten institutionellen Basis<br />

für eine systematische Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendforschung in Luxemburg <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong> nur begrenzten<br />

Über tragbarkeit internationaler Expertisen ist ein solches Defizit an Studien <strong>und</strong> Forschungs ergebnissen<br />

zur Situation <strong>und</strong> Befindlichkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen in Luxemburg zwar nachvollziehbar, stellt<br />

aber dennoch die Berichterstattung vor große Probleme. Von daher sollen hier einige Forschungsdesi<strong>der</strong>ata<br />

angesprochen werden, die mit Blick auf die zukünftige Weiterentwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichterstattung<br />

in Luxemburg <strong>und</strong> mit Blick auf die Qualität politischer <strong>und</strong> professioneller Interventionsstrategien<br />

von zentraler Bedeutung sind:<br />

––<br />

Die Entwicklung eines repräsentativen Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendsurveys, mit dem in regelmäßigen Abständen<br />

(4 bis 5 Jahre) zentrale Aspekte <strong>der</strong> Lebenslage, <strong>der</strong> Ver haltensweisen <strong>und</strong> Probleme <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen auf repräsentativer Basis abgebildet werden können. Die entsprechenden<br />

Daten würden eine zentrale Basis für die Berichterstattung in Luxemburg bilden (ähnlich wie dies<br />

in Deutschland, <strong>der</strong> Schweiz, Österreich bereits gute Praxis ist) <strong>und</strong> würden in diesem Bereich zugleich<br />

die Anschlussfähigkeit <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendforschung an die internationale<br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendforschung sicherstellen.<br />

––<br />

Die Entwicklung einer Längsschnittstudie zum Verlauf von Transitionsprozessen in Luxemburg.<br />

Eine solche Studie ist gerade angesichts <strong>der</strong> auch in Luxemburg schwieriger gewordenen<br />

Übergänge zwischen dem Bildungs- <strong>und</strong> Berufssystem <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong> Unklarheit über tatsächliche<br />

Transitionswege <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> die Wirksamkeit <strong>und</strong> Nützlichkeit <strong>der</strong> vielen<br />

Qualifizierungsmaßnahmen <strong>und</strong> Hilfsangebote überfällig.<br />

––<br />

Die systematische För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Forschung zur bildungsbezogenen, beruflichen, sozialen, kulturellen<br />

<strong>und</strong> politischen Integration <strong>und</strong> Partizipation von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen aus Migrantenfamilien.<br />

Diese Erkenntnisse sind von großer Be deutung für ein Land, das wie kaum ein an<strong>der</strong>es<br />

europäisches Land schon in den nächsten Jahrzehnten dringend auf die Leistungsfähigkeit, die Kreativität<br />

<strong>und</strong> das Engagement <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> angewiesen<br />

sein wird.<br />

––<br />

Der Aufbau einer systematischen Forschung zu Strukturen, Entwicklungen <strong>und</strong> Strategien <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendhilfe mit einer beson<strong>der</strong>en Konzentration auf die Evaluations- <strong>und</strong> Wirkungsforschung.<br />

Dazu gehört auch die kontinuierliche Aufbereitung <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äranalytische Auswertung<br />

<strong>der</strong> amtlichen Statistiken <strong>und</strong> <strong>der</strong> Daten, die in den verschiedenen Praxisfel<strong>der</strong>n erhoben werden.<br />

Neben diesen zentralen Forschungsdesi<strong>der</strong>ata, bestehen auch noch in den vielen thema tischen Bereichen,<br />

die in diesem Jugendbericht angesprochen werden, Forschungslücken, die in den Schlussfolgerungen <strong>der</strong><br />

einzelnen Kapitel erwähnt werden.<br />

322


<strong>9.</strong> <strong>Perspektiven</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungslinien</strong> <strong>der</strong> <strong>luxemburgischen</strong> Jugendberichterstattung<br />

<strong>9.</strong>8. Organisation <strong>und</strong> Management<br />

Die Ausarbeitung eines Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichtes setzt eine klare Aufgabenbeschrei bung, eine konkrete<br />

Bestimmung <strong>der</strong> zeitlichen <strong>und</strong> finanziellen Ressourcen <strong>und</strong> klare Strukturen <strong>und</strong> konzeptionelle Richtlinien<br />

voraus.<br />

Die inhaltliche Verantwortung für die Ausarbeitung des Berichtes sollte durch eine interdisziplinäre<br />

Kommission von Wissenschaftlern <strong>und</strong> Experten aus den verschie denen Praxisfel<strong>der</strong>n verantwortet <strong>und</strong><br />

geleistet werden. Sie bestimmen sowohl die inhaltlich-fachliche Ausgestaltung des Auftrags wie auch die<br />

konkrete Vorgehens weise.<br />

––<br />

Die geschäftsführende Leitung des Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichtes sollte an einen wis senschaftlich<br />

ausgewiesenen Experten o<strong>der</strong> eine Einrichtung <strong>der</strong> Kindheits- <strong>und</strong> Jugendforschung in Luxemburg<br />

vergeben werden. Sie ist für die Ressourcenver waltung, die interne <strong>und</strong> externe Kommunikation,<br />

die Umsetzung <strong>der</strong> Kommis sionsentscheidungen <strong>und</strong> die Kooperation mit externen Experten (Anhörungen,<br />

Expertisen usw.) verantwortlich.<br />

––<br />

Zur Sicherstellung <strong>der</strong> Unterstützung <strong>und</strong> Kooperation durch Behörden, Ministeri en, Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendarbeit usw. bedarf es <strong>der</strong> Einsetzung ei nes Koordinierungsgremiums, durch<br />

das <strong>der</strong> Zugang zu benötigten Informationen, Daten, Statistiken <strong>und</strong> Dokumenten sichergestellt<br />

<strong>und</strong> organisiert werden kann. Im Sinne einer vorausschauenden Planung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendberichte<br />

(durch systematische Organisation <strong>und</strong> Aufbereitung von Daten usw.) wäre eine kontinuierliche<br />

Arbeit einer solchen interministeriellen Koordinierungsstelle vorteilhaft.<br />

323

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