Programmheft - Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende ...
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Frauenliebe<br />
Ein Lied‐Projekt<br />
mit Szene <strong>und</strong> Figurentheater<br />
Sonntag, 5. Januar 2014, 17 Uhr, Kammermusiksaal<br />
Dienstag, 7. Januar 2014, 19 Uhr, Kammermusiksaal<br />
Donnerstag, 23. Januar 2014, 20 Uhr, Kulturzentrum Dieselstrasse<br />
Esslingen
2<br />
Die Ausgangsposition dieses Abends bildet der Zyklus Frauenliebe <strong>und</strong><br />
Leben von Robert Schumann, in dem eine junge Frau nicht nur Verliebt‐<br />
Sein, Heirat, Schwangerschaft <strong>und</strong> Mutterschaft, sondern auch den Tod<br />
des geliebten Mannes erlebt.<br />
Adelbert von Chamisso — den französischen Revolutionswirren nach<br />
Deutschland entflohen — schrieb den Text 1830.<br />
Junge Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstler aus zwei Kontinenten, die an den<br />
<strong>Musik</strong>hochschulen Luzern, Salzburg, Köln <strong>und</strong> Stuttgart Komposition<br />
studieren, entwickeln aus dem Kern des Projektes heraus neue<br />
musikalische <strong>und</strong> inhaltliche Gedanken, die sich dem Stoff annähern,<br />
ihn kontrastieren <strong>und</strong> neu beleuchten. Wir werden dabei erleben, wie<br />
junge internationale Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstler von heute einem<br />
Frauenbild von 1830 aus Europa begegnen.<br />
Das Kunstlied mit seiner Besetzung von Stimme <strong>und</strong> Klavier stellt dabei<br />
<strong>für</strong> zeitgenössische Komponisten sicher eine besondere<br />
Herausforderung dar. Ist es möglich, in den Grenzen von Besetzung <strong>und</strong><br />
Tradition wirklich Neues zu schaffen? In der Intimität des Raumes <strong>und</strong><br />
der Darstellung scheinen Möglichkeiten verborgen. Denn noch mehr als<br />
in Oper <strong>und</strong> Konzert ist es hier möglich, sich als Sänger mit allen<br />
Facetten vokalen Reichtums — auch jenseits des Belcanto‐Tones —<br />
auszudrücken. Aber auch der sogenannte »Liedbegleiter« verlässt<br />
gewohntes Terrain. Neben der traditionellen Spielweise entlocken die<br />
Pianistin <strong>und</strong> der Pianist des Abends auch perkussiv, streichend oder<br />
zupfend dem mit unterschiedlichsten Materialien präparierten Flügel‐<br />
Inneren neue Klänge.<br />
Studierende des 1. Jahrgangs im Studiengang Figurentheater an der<br />
<strong>Musik</strong>hochschule Stuttgart entwickeln aus Text <strong>und</strong> <strong>Musik</strong> eine weitere<br />
bildhafte Ebene, in der über die Fragmentierung <strong>und</strong> Rekonstruktion<br />
von Körpern <strong>und</strong> Objekten das immer wiederkehrende Thema<br />
menschlicher Beziehungen seinen Ausdruck findet. In der<br />
Verschränkung mit den szenisch agierenden Sängerinnen <strong>und</strong> Sängern<br />
<strong>und</strong> den Pianisten aus der Liedklasse unserer <strong>Hochschule</strong> entstehen<br />
musiktheatralische Bilder aus Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart, aus<br />
Realität <strong>und</strong> Surrealität.<br />
Prof. Angelika Luz
Programm<br />
OLE HÜBNER (*1993)<br />
3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«)<br />
(Erich Fried)<br />
show <strong>für</strong> gesangsquartett (sopran, alt, tenor, bass) mit instrument<br />
<strong>und</strong> pianisten mit kassettenrekorder (2012)<br />
song nr. 1 (»aber wieder«)<br />
Roman Melish Tenor, Viktoriia Vitrenko Melodika<br />
Roland Hagemann Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN (1810‐1856)<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
Acht Lieder <strong>für</strong> eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (1840/1843)<br />
1. Seit ich ihn gesehen<br />
(Fassung des Autographs, Juli/August 1840)<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
MARIUS SCHÖTZ (*1989)<br />
Briefe an…<br />
I. Zwischen den Kaffeehaustischen<br />
(Franz Kafka)<br />
<strong>für</strong> präpariertes Klavier <strong>und</strong> Bariton (2013)<br />
Pascal Zurek Bariton, Roland Hagemann Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
2. Er, der Herrlichste von allen<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
3
ALEXANDER L. BAUER (*1993)<br />
lunacy and its consequences<br />
<strong>für</strong> vier Frauenstimmen (2013)<br />
Teil I<br />
Semi Kim, Olga Polyakova, Viktoriia Vitrenko Sopran<br />
Armine Ghukasyan Mezzosopran<br />
DANIELA ACHERMANN (*1972)<br />
Zu gut, um wahr zu sein<br />
(Adelbert von Chamisso / Claudia Schumacher)<br />
<strong>für</strong> Frauenstimme <strong>und</strong> Klavier (2013)<br />
Viktoriia Vitrenko Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
MICHELE LEISIBACH (*1990)<br />
Gleich den Göttern<br />
(Sappho, Deutsch von Theodor Kock)<br />
<strong>für</strong> Mezzosopran <strong>und</strong> präpariertes Klavier (2013)<br />
Armine Ghukasyan Mezzosopran, Bohyun Kim Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
3. Ich kann’s nicht fassen, nicht glauben<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
ASIJA AHMETŽANOVA (*1992)<br />
Donec gratus eram tibi<br />
(Horaz)<br />
<strong>für</strong> tiefe Frauenstimme <strong>und</strong> Klavier (2013)<br />
Armine Ghukasyan Mezzosopran, Bohyun Kim Klavier<br />
4<br />
SARA WÜEST (*1977)<br />
Männerliebe<br />
<strong>für</strong> Klavier (2013)<br />
Roland Hagemann Klavier
STEFANIE ERNI (*1990)<br />
Frauenleben <strong>und</strong> ‐hass<br />
(Franz Kafka)<br />
<strong>für</strong> Klavier, Bariton, Frauenstimme <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>dose (2013)<br />
Marius Schötz Bariton, Viktoriia Vitrenko Sopran <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>dose<br />
Bohyun Kim Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
4. Du Ring an meinem Finger<br />
5. Helft mir, ihr Schwestern<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
VALENTIN OBERSON (*1986)<br />
Le senti… ment!<br />
(Valentin Oberson)<br />
<strong>für</strong> Sopran, Tenor, Bariton, Triangel <strong>und</strong> 3 Stimmgabeln (2013)<br />
Viktoriia Vitrenko Sopran, Roman Melish Tenor, Marius Schötz Bariton<br />
OLE HÜBNER<br />
3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«)<br />
(Erich Fried)<br />
song nr. 2 (»du«)<br />
song nr. 3 (»dann«)<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Viktoriia Vitrenko Sopran <strong>und</strong> Melodika<br />
Roman Melish Tenor, Pascal Zurek Bariton<br />
Roland Hagemann Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
6. Süßer Fre<strong>und</strong>, du blickest mich verw<strong>und</strong>ert an<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
5
YEN‐NING CHIU (*1988)<br />
In tiefer Nacht<br />
(Yan‐Tsen‐Tsai, Deutsch von Hans Heilmann)<br />
<strong>für</strong> Tenor <strong>und</strong> Klavier (2013)<br />
Yosuke Asano Tenor, Bohyun Kim Klavier<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
7. An meinem Herzen, an meiner Brust<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
ALEXANDER L. BAUER<br />
lunacy and its consequences<br />
<strong>für</strong> vier Frauenstimmen (2013)<br />
Teil II<br />
Semi Kim, Olga Polyakova, Viktoriia Vitrenko Sopran<br />
Armine Ghukasyan Mezzosopran<br />
VICTOR ALEXANDRU COLȚEA (*1986)<br />
Zori (Morgendämmerung)<br />
<strong>für</strong> 2 Soprane <strong>und</strong> 2 Klaviere (2013)<br />
Semi Kim, Olga Polyakova Sopran<br />
Roland Hagemann, Bohyun Kim Klavier<br />
Cornelis Witthoefft musikalische Leitung<br />
ROBERT SCHUMANN<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42<br />
(Adelbert von Chamisso)<br />
8. Nun hast du mir den ersten Schmerz getan<br />
(Fassung des Autographs, Juli/August 1840)<br />
Karlīne Cīrule Sopran, Roland Hagemann Klavier<br />
6<br />
Alle Werke mit Kompositionsjahr 2013 sind Auftragskompositionen <strong>für</strong> dieses Programm<br />
<strong>und</strong> gelangen bei der Premiere am 5. Januar 2014 zur Uraufführung.
Komponistinnen <strong>und</strong> Komponisten:<br />
Daniela Achermann, Asija Ahmetžanova, Victor Alexandru Colțea,<br />
Stefanie Erni, Michele Leisibach, Valentin Oberson, Sara Wüest<br />
(alle: Klasse Prof. Dieter Ammann, <strong>Hochschule</strong> Luzern — <strong>Musik</strong>),<br />
Alexander L. Bauer<br />
(Klasse Univ.Prof. Mag. Christian Ofenbauer, Universität Mozarteum Salzburg)<br />
Yen‐Ning Chiu<br />
(Klasse Univ.Prof. Reinhard Febel, Universität Mozarteum Salzburg),<br />
Ole Hübner<br />
(Klasse Prof. Johannes Schöllhorn <strong>und</strong> Prof. Michael Beil,<br />
<strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> Tanz Köln)<br />
Marius Schötz<br />
(Klasse Michael Reudenbach,<br />
<strong>Staatliche</strong> <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Darstellende</strong> Kunst Stuttgart)<br />
Mitwirkende:<br />
Karlīne Cīrule Sopran (Klasse Prof. Frank Wörner)<br />
Semi Kim Sopran (Klasse Prof. Turid Karlsen)<br />
Olga Polyakova Sopran (ehemals Klasse Prof. Francisco Araiza)<br />
Viktoriia Vitrenko Sopran <strong>und</strong> Einstudierung (Bauer) (Klasse Yasuko Kozaki)<br />
Armine Ghukasyan Mezzosopran (Klasse Prof. Bernhard Jaeger‐Böhm)<br />
Yosuke Asano Tenor (Klasse Master Lied Prof. Cornelis Witthoefft / Prof. Turid Karlsen)<br />
Roman Melish Tenor (als Gast)<br />
Marius Schötz Bariton (Klasse Prof. Frank Wörner)<br />
Pascal Zurek Bariton (Klasse Prof. Frank Wörner)<br />
Bohyun Kim <strong>und</strong> Roland Hagemann Klavier<br />
(Klasse Master Lied Prof. Cornelis Witthoefft)<br />
Robert Buschbacher, Anika Herzberg, Tanja Höhne,<br />
Carmen Jung, Julia Jung, Sarah Wissner<br />
Studierende des 1. Jahrgangs Figurentheater<br />
Betreuung Figurengestaltung: Sylvia Wanke<br />
Licht: Chris Beckett<br />
Künstlerische Mitarbeit: Petra Stransky<br />
Dramaturgie <strong>und</strong> musikalische Einstudierung:<br />
Prof. Angelika Luz <strong>und</strong> Prof. Cornelis Witthoefft<br />
Regie: Prof. Angelika Luz <strong>und</strong> Prof. Stephanie Rinke<br />
7
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben.<br />
Zur Text‐, Kompositions‐ <strong>und</strong> Aufführungsgeschichte<br />
Cornelis Witthoefft<br />
Der Begriff »Frauenliebe« ist wohl von Martin Luther in die deutsche Sprache eingeführt worden. In<br />
seiner Bibelübersetzung lässt er in 2. Sam. 1, 26 David zu Jonathan sprechen: »Deine liebe ist mir<br />
sonderlicher gewesen denn Frawenliebe ist« (Ausgabe 1545), <strong>und</strong> zu der Stelle Spr. 10, 31 (»Wem<br />
ein tugentsam weib bescheret ist, die ist viel edler, denn die köstlichsten perlen«) dichtete er als<br />
Randglosse die Verse: »Nichts liebers ist auf erden, / denn frauenlieb, wems kan werden« 1 . In der<br />
Folge scheint sich der Begriff jedoch nicht recht eingebürgert zu haben. Der <strong>für</strong> seine Zeit<br />
maßgebliche »Adelung« bezeichnet ihn Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts als »ein veraltetes Wort […],<br />
welches noch einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt« <strong>und</strong> kennt ihn nun in beiden<br />
Bedeutungen, als »die Liebe gegen das weibliche Geschlecht, oder die Liebe des weiblichen gegen<br />
das männliche« 2 . Ausschließlich in letzterer Bedeutung, nun aber an prominenter Stelle als<br />
Romantitel, wurde diese Wortprägung erst Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wieder in der Literatur<br />
verwendet.<br />
»Ich habe mich nicht in das Gewebe trüber Widersprüche eingesponnen, die Fäden schlossen über<br />
mir zusammen; kann ich da<strong>für</strong>, dass die Sonne hineinfiel? Soll ich sagen, das Licht sey nicht Licht,<br />
weil ich es früher nicht kannte?« Mit dieser leidenschaftlichen, selbstbewussten Rede reagiert die<br />
Protagonistin Klara in dem Roman FrauenLiebe (1818) von Caroline de la Motte Fouqué (1773‐1831)<br />
auf Widerstände gegen ihre Entscheidung, aus der Verlobung mit dem biederen Lothar zugunsten<br />
des unsteten Richard auszubrechen. Sie rechtfertigt dabei ihre Haltung mit dem Verweis auf <strong>für</strong><br />
Frauen geltende, quasi naturgesetzliche Gr<strong>und</strong>sätze: »Ehe es Menschen gab, ehe die Welt war«,<br />
argumentiert sie, »herrschte Liebe, sie bauete sich ihren stillen Heerd in der Brust der Frauen, sie<br />
sollen die heilige Flamme hüten, dahin darf die Welt nicht dringen wollen.« 3 Ihre Mutter belehrt sie<br />
darauf warnend, wohl zu unterscheiden zwischen der Liebe der Frauen <strong>und</strong> der Liebe der Männer:<br />
»Die große Hauptsache unsers Lebens, Klara, was wir so ernst <strong>und</strong> wichtig nehmen, was uns den<br />
Weg zur Seeligkeit öffnet, es ist nicht der Weg, den die Männer gehen; in ihnen gestalten sich die<br />
schönsten Gefühle anders, sie dringen nach Außen, da wollen, da sollen sie etwas, das tiefere<br />
Geheimnis des Daseyns entgehet ihnen entweder ganz, oder sie geben es frühe auf, daran viel zu<br />
rühren, weil sie alles dunkel Abziehende in der einmal erfassten Thätigkeit so leicht stöhrt.« 4 Schon<br />
zuvor, als Klara davon geschwärmt hat, »so ganz in einem in dem geliebtesten Wesen zu leben«,<br />
hat ihre »erfahrne« Fre<strong>und</strong>in Wanda sie vor der Illusion bewahren wollen, ihre Sichtweise als Frau<br />
ohne Weiteres auf den Mann zu projizieren, denn »die Lebenselemente beider Geschlechter sind<br />
sehr verschieden! was <strong>für</strong> uns Gesetz wie Bedingung des Daseyns ist, ist bei den Männern nichts als<br />
fabelhafte Erinnerung eines Feenreichs, dem sie entwachsen sind. Manch einer liebkoset diese<br />
Erinnerungen <strong>und</strong> tändelt sich in ihnen bis zum spätesten Alter hinauf. Andere schließen sie wie das<br />
Stekkenpferd in die Polterkammer wüster Jünglingsspiele ein, dem Besten werden sie eine<br />
angenehme Zugabe, keinem Einzigen Quell <strong>und</strong> Zwek des Lebens!« 5<br />
1 Karl Goedeke (Hg.), Dichtungen von D. Martin Luther, Leipzig: Brockhaus 1883, S. 145, m. Anm. 15. — Alle Zitate<br />
sind in der originalen Rechtschreibung gesetzt.<br />
2 Johann Christoph Adelung, Grammatisch‐kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen M<strong>und</strong>art, Zweyter Theil, von F‐<br />
L, Leipzig: Breitkopf 2 1796, Sp. 273.<br />
3 Caroline Baronin de la Motte Fouqué, FrauenLiebe. Ein Roman, Nürnberg: Schrag 1818, Bd. 1, S. 154.<br />
4 ebd. S. 154f.<br />
5 ebd., S. 76. Der Erstdruck enthält den Druckfehler »Manch eines« statt »Manch einer«.<br />
8
Stets aufs Neue wird in diesem Roman die Handlung anhand einer zu der Zeit <strong>für</strong> naturgegeben<br />
erachteten Geschlechterdifferenz 6 reflektiert, mit der sich die Autorin bereits in der Schrift Briefe<br />
über Zweck <strong>und</strong> Richtung weiblicher Bildung (1811) theoretisch auseinandergesetzt hatte.<br />
Bedeutsam <strong>für</strong> die heute erklingenden Lieder Robert Schumanns auf Gedichte Adelbert von<br />
Chamissos wird die zitierte Charakterisierung der »Frauenliebe« durch den Umstand, dass Caroline<br />
de la Motte Fouqué, zusammen mit ihrem Ehemann Friedrich, zum engsten Fre<strong>und</strong>eskreis Adelbert<br />
von Chamissos gehörte, in dem die bestimmenden Themen der Epoche lebhaft diskutiert wurden.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der persönlichen Beziehung zwischen dem Schriftsteller <strong>und</strong> der Schriftstellerin kann es<br />
als wahrscheinlich gelten, dass Chamisso Titel <strong>und</strong> Leitidee des Romans <strong>für</strong> seinen 12 Jahre später<br />
entstandenen Gedichtzyklus Frauenliebe <strong>und</strong> Leben von Fouqué übernommen hat, möglicherweise<br />
sogar in der Absicht, gleichsam eine komprimierte lyrische Entsprechung zu ihrem annähernd 500‐<br />
seitigen Roman zu schaffen.<br />
Während Fouqués FrauenLiebe als ein literarischer Anknüpfungspunkt <strong>für</strong> Chamissos Texte gedient<br />
haben wird, ist die Entscheidung des Dichters, in seinem neunteiligen Gedichtzyklus, nach den<br />
erwartbaren <strong>und</strong> gesellschaftlich konventionellen Stationen der ersten Begegnung, Erwählung,<br />
Verlobung, Heirat <strong>und</strong> des ersten Kindes, im achten Gedicht den Tod des Ehemanns in das Leben<br />
der jungen Frau einbrechen zu lassen, dichterischer Reflex eigenen Erlebens. In einem insgesamt<br />
von depressiven Zuständen gekennzeichneten Brief aus dem Frühjahr 1814, der resümiert »Ich<br />
welke hin Blatt <strong>für</strong> Blatt <strong>und</strong> habe keine Frucht angesetzt <strong>und</strong> treibe kein frisches Reis mehr«,<br />
berichtet der damals 33‐jährige Dichter: »Ein Fre<strong>und</strong> ist mir hier vor kurzem gestorben, der mein<br />
Leben sehr erheiterte <strong>und</strong> verschönte, ein wackerer lieber Mann, an den ich späte gekommen, ein<br />
gewisser Kaufmann Müller, der mit einer schönen lieben Frau in der schönsten Ehe lebte, die […]<br />
ich je gesehen, — nun lebt auch diese junge Wittwe nach anderthalb Jahre Glück, selbst weltlich<br />
von den Worten zu dem Thun belehrt.« In einem Notizheft aus der Zeit vermerkte Chamisso dazu<br />
das Zitat »Das ist der erste Schmerz, den Du mir gemacht hast, aber der trifft« als »Viduae Caroli<br />
Mülleri ipsissima verba post illius obitum« 7 , zu Deutsch »authentische Worte der Witwe Karl<br />
Müllers nach dessen Tod« 8 . Bis in den Wortlaut der ersten Zeilen hinein hat Chamisso also 16 Jahre<br />
später in Frauenliebe <strong>und</strong> Leben die jähe Wende seines Zyklus nach einer wahren, selbst erlebten<br />
Begebenheit gestaltet.<br />
Auch bei Robert Schumann Entschluss, diesen Zyklus in <strong>Musik</strong> zu setzen, griffen unmittelbares<br />
Erleben <strong>und</strong> Schaffensprozess ineinander 9 : Skizzen <strong>und</strong> erste Niederschrift dieser Lieder gehen<br />
parallel mit den Vorbereitungen der Hochzeit mit Clara Wieck, die nach langer, nun gewonnener<br />
juristischer Auseinandersetzung am 12. September 1840, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag,<br />
endlich vollzogen werden konnte. Wie durch die Datierung im Notentext <strong>und</strong> die Eintragung im<br />
Haushaltbuch dokumentiert, begann Schumann am 11. Juli 1840 mit der Komposition; am Tag<br />
6 vgl. hierzu ausführlich den folgenden Artikel »Frauenliebe <strong>und</strong> Leben«. Zum Frauenbild des Biedermeier von Lea<br />
Roller, S. 17‐20.<br />
7 Adelbert von Chamisso, Brief an Louis de La Foye vom Frühjahr 1814, in: Julius Eduard Hitzig (Hg.), Leben <strong>und</strong><br />
Briefe von Adelbert von Chamisso, erster Teil, Berlin: Weidmann 5 1864 [Adelbert von Chamisso’s Werke, 5.<br />
vermehrte Auflage, Bd. 5], S. 388.<br />
8 Adelbert von Chamisso, Sämtliche Werke in zwei Bänden, München: Winkler 1975, Bd. 1, S. 799.<br />
9 »Es ist bei Schumann nicht oft der Fall, daß das Schaffen eines Kunstwerkes direkt durch äußere Lebensumstände<br />
veranlaßt wird. Der Liederzyklus Frauenliebe <strong>und</strong> Leben op. 42 aber scheint unmittelbare Resonanz der<br />
Gemütsbewegung des Komponisten zu sein.« (Kazuko Ozawa, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben. Acht Lieder nach Adelbert von<br />
Chamisso <strong>für</strong> eine Singstimme <strong>und</strong> Klavier op. 42, in: Helmut Loos (Hg.), Robert Schumann. Interpretationen seiner<br />
Werke, Bd. 1, Laaber: Laaber 2005, S. 274‐280; 274).<br />
9
zuvor hatte das junge Paar damit begonnen, sich »sehr fröhlich u. guter Dinge« 10 eine gemeinsame<br />
Wohnung zu suchen.<br />
Zu diesem Zeitpunkt war Chamissos Frauenliebe <strong>und</strong> Leben in Deutschland schon lange literarisches<br />
<strong>und</strong> auch komponiertes Allgemeingut; viel zitiert ist die bereits 1832 geäußerte, enthusiastische<br />
Einschätzung des Dichters selbst: »Das Volk singt meine Lieder, man singt sie in den Salons, die<br />
Componisten reißen sich danach, die Jungen deklamieren sie in den Schulen, mein Portrait<br />
erscheint nach Goethe, Tieck <strong>und</strong> Schlegel, als das vierte in der Reihe der gleichzeitigen deutschen<br />
Dichter, <strong>und</strong> schöne junge Damen drücken mir fromm die Hand, oder schneiden mir Haarlocken<br />
ab.« 11 Im selben Jahr prophezeite ein ungenannter Rezensent, dass »jeder Jünger Eratos 12 , hat er<br />
die Gedichte erst einmal zur Hand, sogleich damit beginnen wird, diesen poetischen Kranz mit<br />
seinen musikalischen Blüten zu zieren.« 13 Und bereits sechs Jahre später stellte ein Rezensent, der<br />
die Gedichte gleichfalls <strong>für</strong> »wohl geeignet« hielt, »zur musikalischen Bearbeitung anzuregen«, bei<br />
der Besprechung der Vertonung von Carl Loewe (1796‐1869) fest: »Uns sind bereits fünf oder sechs<br />
Compositionen dieses herrlichen Liederkranzes bekannt« 14 .<br />
Während im heutigen Programm elf neue Kompositionen im Wechsel mit Schumanns Liedern diese<br />
neu beleuchten werden, mögen im Folgenden, quasi spiegelbildlich, kurzgefasste Bemerkungen zu<br />
zwei ausgewählten Vertonungen des Zyklus vor Schumann im historischen Rückblick die Eigenart<br />
von dessen Auffassung erhellen.<br />
Chamissos Frauenliebe <strong>und</strong> Leben umfasst neun Gedichte. Obwohl Loewe im September 1836<br />
sämtliche Gedichte komponierte, entschied er sich bei der Veröffentlichung, die Reihe mit dem<br />
gekürzten Titel Frauenliebe <strong>und</strong> der Gattungsbezeichnung »Liederkranz« mit dem siebten Lied, dem<br />
Mutterglück, abzuschließen <strong>und</strong> damit bewusst eine Harmonisierung des narrativen Verlaufs <strong>und</strong><br />
des Gesamtbilds vorzunehmen. Eine Sonderstellung nimmt seine Vertonung auch durch die<br />
Komposition <strong>für</strong> die Altstimme ein. Schumann hat Loewes Version mit Sicherheit gekannt; sie<br />
wurde im November 1837 in der von ihm herausgegebenen Neuen Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> von Oswald<br />
Lorenz, dem späteren Widmungsträger seiner eigenen Vertonung op. 42, positiv im Hinblick auf die<br />
»tiefpoetisch[e] Auffassung <strong>und</strong> vollendet[e] Ausführung« besprochen 15 . Es ist gut denkbar, dass<br />
Schumann seine eigene dramaturgische Konzeption derjenigen des seinerzeit berühmteren, älteren<br />
Kollegen ausdrücklich entgegensetzen wollte; eine anonyme Notiz in seiner Zeitung anlässlich der<br />
Trauerfeier <strong>für</strong> den am 21. August 1838 verstorbenen Chamisso enthält, trotz Lorenz’<br />
anerkennender Loewe‐Rezension, geradezu eine Aufforderung zur Neukomposition: »Chamissos<br />
herrlicher Liederkranz ›Frauenliebe <strong>und</strong> Leben‹ bietet immer noch eine schöne Aufgabe <strong>für</strong> einen<br />
Gesangscomponisten, da diese Gedichte unsers Wissens noch nie recht erschöpfend in <strong>Musik</strong><br />
gesetzt worden sind.« 16<br />
10 Gerd Nauhaus (Hg.), Robert Schumann, Tagebücher, Bd. III: Haushaltbücher. Teil 1, 1837‐1847, Frankfurt a. M.:<br />
Stroemfeld / Roter Stern 1982, S. 155 (Eintragungen vom 10. <strong>und</strong> 11. Juli 1840).<br />
11 Adelbert von Chamisso, Brief an Louis de La Foye vom 2. Juni 1832, in: Julius Eduard Hitzig (Hg.), Leben <strong>und</strong> Briefe<br />
von Adelbert von Chamisso, zweiter Teil, Berlin: Weidmann 5 1864 [Adelbert von Chamisso’s Werke, 5. vermehrte<br />
Auflage, Bd. 6], S. 231.<br />
12 Erato ist eine der neun Musen der griechischen Mythologie, der Liebeslyrik <strong>und</strong> dem Gesang zugeordnet.<br />
13 Blätter <strong>für</strong> Haus <strong>und</strong> Salon 2 (1832), S. 67, zit. n.: Heinrich W. Schwab, Carl Loewes Vertonung von Adelbert von<br />
Chamissos Gedichtzyklus »Frauenliebe <strong>und</strong> Leben«.[…], in: Konstanze Musketa (Hg.), Carl Loewe 1796‐1869: Bericht<br />
über die wissenschaftliche Konferenz anläßlich seines 200. Geburtstages […], Halle a. d. S. 1997, S. 15‐51; 15.<br />
14 H—*, Erschienene Compositionen <strong>und</strong> Werke über <strong>Musik</strong> [Rezension zu Carl Loewe, Frauenliebe op. 60], in:<br />
Hamburger <strong>Musik</strong>alische Zeitung 3 (1838), Nr. 3 vom 17. Januar 1838, Sp. 23.<br />
15 Neue Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> 4 (1837), Nr. 36 vom 3. November 1837, S. 142.<br />
16 Neue Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> 5 (1838), Nr. 22 vom 14. September 1838, S. 90.<br />
10
Besonders bemerkenswert ist <strong>für</strong> die musikalische Rezeptionsgeschichte dieses Zyklus, dass dessen<br />
Erstveröffentlichung in Buchform zuerst im Rahmen einer Vertonung im Notendruck erschien,<br />
nämlich als »<strong>Musik</strong>alischer Anhang« des 1830 veröffentlichten Skizzenbuchs von Franz Kugler 17<br />
(s. Abb. 1 u. 2). Kugler (1808‐1858), ein Zeitgenosse Robert Schumanns, Kunstgeschichtler, Maler,<br />
Dichter <strong>und</strong> Komponist in einer Person, <strong>und</strong> als Dichter u. a. von Carl Loewe 18 <strong>und</strong> Johannes<br />
Brahms vertont, war mit dem fast 30 Jahre älteren Adelbert von Chamisso (1781‐1838) persönlich<br />
befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> erhielt von diesem die kurz zuvor entstandenen Gedichte offensichtlich persönlich<br />
<strong>und</strong> noch handschriftlich zur Vertonung. Kugler, der sämtliche neun Gedichte in <strong>Musik</strong> setzte,<br />
vergalt es dem Dichter, indem er ihm sein Skizzenbuch, ein Gesamtkunstwerk aus Gedichten,<br />
Illustrationen <strong>und</strong> Liedern, zueignete <strong>und</strong> ihn in dem Widmungsgedicht mit Zeilen pries wie »Du<br />
bist mit den verborgnen Falten / Des Menschenherzens wohl vertraut« <strong>und</strong> »In Deinen Liedern<br />
spricht lebendig / Der Mensch in seiner Menschlichkeit« 19 .<br />
Abb. 2: Franz Kugler, Skizzenbuch,<br />
Berlin: Reimer 1830,<br />
Zwischentitel nach S. 168, Ausschnitt.<br />
Abb. 1: Franz Kugler, Skizzenbuch,<br />
Berlin: Reimer 1830, Titelblatt<br />
17 Franz Kugler, Skizzenbuch, Berlin: Reimer 1830. Kuglers Skizzenbuch erschien im selben Jahr wie die<br />
Veröffentlichung von Frauenliebe <strong>und</strong> Leben im Musenalmanach auf das Jahr 1831 (August 1830).<br />
18 Als dessen ehemaliger Kompositionsschüler machte Kugler Loewe womöglich auf diesen Stoff aufmerksam.<br />
19 wie Anm. 17, S. 3f.<br />
11
Die Lieder Kuglers zeichnen sich »durch ungemeine Einfachheit <strong>und</strong> Schlichtheit in Melodie <strong>und</strong><br />
Harmonie aus <strong>und</strong> gewinnen dadurch den Charakter des Volkstümlichen« 20 , orientieren sich also<br />
stilistisch an den ästhetischen Vorgaben der sog. Berliner Liederschule, die bis auf das Jahr 1753<br />
zurückgeht, im dem Christian Gottfried Krause in der Schrift Von der musikalischen Poesie erstmals<br />
die <strong>für</strong> das Lied seither von konservativer Seite <strong>für</strong> elementar erachteten Eigenschaften der<br />
schlichten Sangbarkeit, Popularität <strong>und</strong> Strophigkeit forderte, <strong>und</strong> stellen von daher ein Beispiel <strong>für</strong><br />
den Umstand dar, dass auch um 1830 noch <strong>für</strong> den Typus des Liedes ›beym Clavier zu singen‹<br />
komponiert wurde. »Man hört sie nicht in den Salons«, heißt es in einer Würdigung von Kuglers<br />
Liedern aus dem Jahr 1867, »aber wer Hausmusik liebt, der singt sie.« 21<br />
Kuglers Strophenlieder nehmen, so schlicht sie auch strukturiert sind, in ihrem eindeutig<br />
zugeordneten Affektgehalt zum Teil schon die zehn Jahre späteren Vertonungen Schumanns<br />
voraus. Ob Schumann Kuglers Lieder kannte, lässt sich nicht mehr feststellen; auffallend ist aber<br />
etwa, dass beide Komponisten <strong>für</strong> das Verlobungslied »Du Ring an meinem Finger« denselben, im<br />
Klavier unisono mit der Singstimme geführten Liedtypus wählen 22 <strong>und</strong> mit einem identischen<br />
Melodieverlauf zu den Worten »Du Ring« anheben lassen. Ein Vergleich beider Vertonungen kann<br />
beispielhaft den hohen Reflexionsgrad der Komposition Schumanns zeigen. Während Kugler sich<br />
auf eine nur stützende Begleitformel in den Gr<strong>und</strong>harmonien I <strong>und</strong> V beschränkt <strong>und</strong> die zweite<br />
Zeile zur Tonika zurückführt (s. Notenbeispiel 1),<br />
Notenbeispiel 1: Franz Kugler, Frauen Liebe <strong>und</strong> Leben (1830), Beginn von Nr. 4<br />
sind Schumanns kompositorische Mittel, bei aller Ähnlichkeit der Lieder, avancierter, <strong>und</strong> zwar im<br />
Dienste der Textdeutung: er führt eine kontrapunktische Mittelstimme ein, moduliert schon im<br />
dritten Takt in die dritte Stufe nach Moll <strong>und</strong> führt dort in Singstimme <strong>und</strong> Bass ein chromatisch<br />
fallendes Lamento‐Motiv ein, in dem, wie öfters in dem Zyklus, zugleich die unruhvolle Zeit des<br />
Wartens der jungen Frau auf diesen Augenblick noch nach‐ <strong>und</strong> das schmerzliche Ende bereits<br />
anklingt (s. Notenbeispiel 2).<br />
20 Leopold Hirschberg, Franz Kugler als Liedkomponist, in: Die <strong>Musik</strong> 2 (1903), H. 8, S. 106‐116; 107.<br />
21 Friedrich Eggers, Franz Theodor Kugler. Eine Lebensskizze, in: Franz Kugler’s Handbuch der Geschichte der Malerei,<br />
[…], Bd. 1, Leipzig: Duncker & Humblot 3 1867, S. 3‐34; 24. — 1853 erschien in dem Stuttgarter Verlag Ebner <strong>und</strong><br />
Seubert diese erste Vertonung von Frauenliebe <strong>und</strong> Leben erneut innerhalb der fünfbändigen Ausgabe der<br />
Liederhefte Kuglers mit Porträts des Dichters aus der Feder des Komponisten.<br />
22 Louis Ehlert spricht im Vorwort einer 1862 erschienenen »Pracht‐Ausgabe« von Frauenliebe <strong>und</strong> Leben bei<br />
Schumann von einem »Anflug altdeutschen Colorits« (Frauenliebe <strong>und</strong> Leben. Dichtung von A. von Chamisso. <strong>Musik</strong><br />
von Rob. Schumann. Mit einem Vorwort von L. Ehlert, Leipzig: Gustav Heinze 1862, S. V).<br />
12
Notenbeispiel 2: Robert Schumann, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben (1840/43), Beginn von Nr. 4<br />
Bemerkenswert ist Kuglers Strategie <strong>für</strong> die zyklische R<strong>und</strong>ung seines Liederkreises. Im neunten,<br />
abschließenden Gedicht (»Traum der eignen Tage, / Die nun ferne sind«) blickt die Protagonistin als<br />
gealterte Frau auf ihr Leben zurück <strong>und</strong> erteilt ihrer Enkeltochter in deren Brautzeit schließlich den<br />
»Segensspruch«: »Muß das Herz dir brechen, / Bleibe fest dein Muth, / Sei der Schmerz der Liebe /<br />
Dann dein höchstes Gut.« Den Rückblick der Witwe verwirklicht Kugler musikalisch, indem das<br />
letzte Lied als Variation des ersten auf dieses zurückverweist (s. Notenbeispiele 3 u. 4).<br />
Notenbeispiel 3: Franz Kugler, Frauen Liebe <strong>und</strong> Leben (1830), Beginn von Nr. 1, Singstimme<br />
Notenbeispiel 4: Franz Kugler, Frauen Liebe <strong>und</strong> Leben (1830), Beginn von Nr. 9, Singstimme<br />
Schumann verfährt analog, jedoch ästhetisch sublimer: Anstelle der Vertonung des neunten<br />
Gedichts, in dem Erinnerung sprachlich artikuliert ist (»Bin wie du, gewesen / Jung <strong>und</strong> wonnereich,<br />
/ Liebte, wie du liebest, / Ward, wie du, auch Braut«) lässt er zum Beschluss des achten Lieds, nach<br />
einer entrückenden Modulation von A‐ nach B‐Dur, der Tonart des Beginns, das eröffnende Lied<br />
nochmals erklingen, jedoch nur vom Klavier vorgetragen. Chamissos »Schmerz der Liebe« wird so<br />
zu wortloser <strong>Musik</strong>; diese »fungiert als letzte Rettung angesichts der Sprachlosigkeit des<br />
Schmerzes« (Susanne Kogler). Jedoch: »Da nun auch das Fehlen der gleichsam in der Abwesenheit<br />
anwesenden Stimme Klang geworden ist, ist die <strong>Musik</strong> nicht mehr dieselbe wie zu Beginn. An die<br />
Stelle von Ungewissheit <strong>und</strong> Schrecken tritt nun das Bewußtsein der Verlorenheit des damaligen<br />
Augenblicks. […] Die ehemalige Sprachlosigkeit angesichts eines überwältigenden Ereignisses ist zur<br />
Stummheit angesichts des Todes geworden. Geblieben ist das Klangbild des Tastens, der ziellosen<br />
Anfangs‐ <strong>und</strong> Schlussformeln, das Schweben der Klänge […].« 23 (s. Notenbeispiele 5 u. 6)<br />
23 Susanne Kogler, Momente der Sprachlosigkeit. Zu Robert Schumanns Chamisso‐Zyklus »Frauenliebe <strong>und</strong> Leben«<br />
op. 42 <strong>und</strong> Wolfgang Rihms Günderrode‐Liedern »Das Rot« (1990), in: Otto Kolleritsch (Hg.), »O Wort, du Wort, das<br />
mir fehlt!“. Zur Verwobenheit von Klang <strong>und</strong> Denken in der <strong>Musik</strong>, Wien / Graz: Universal Edition 1999 [Studien zur<br />
Wertungsforschung; Bd. 36], S. 230‐251; 237.<br />
13
Notenbeispiel 5: Robert Schumann, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben, Beginn von Nr. 1 (Fassung des Autographs)<br />
Notenbeispiel 6: Robert Schumann, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben, Nr. 8, Beginn des Klaviernachspiels<br />
(Fassung des Autographs)<br />
Bei diesen zyklischen Formkonzeptionen erscheint eine direkte Beeinflussung Schumanns durch<br />
Kugler unwahrscheinlich; vielmehr folgten beide Komponisten, je auf ihre Art, jenem Verfahren,<br />
das seit Beethovens An die ferne Geliebte op. 98 (1816) gebot, »gegen das Ende, eben wie beym<br />
Dichter«, das »erste Lied selbst wieder anklingen« zu lassen, um »das Ganze, als einen wahrhaften<br />
Lieder‐Kreis, vollkommen befriedigend« abzuschließen, wie es der Rezensent der Allgemeinen<br />
musikalischen Zeitung als hervorragendes Merkmal dieses epochemachenden Liederzyklus<br />
hervorgehoben hatte 24 .<br />
Eigenartigerweise <strong>und</strong> aus unbekannten Gründen hat Schumann bei der Veröffentlichung von<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben, drei Jahre nach der Komposition, die Gattung des Zyklus, die sich durch die<br />
an Beethovens op. 98 anschließende Reprisenform so überdeutlich ausprägt, nicht eigens im Titel<br />
hervorgehoben. Während das Werk dort lediglich als »Acht Lieder <strong>für</strong> eine Singstimme mit<br />
Begleitung des Pianoforte« bezeichnet wird (s. Abb. 3),<br />
24 Allgemeine musikalische Zeitung 19 (1817), Nr. 4 vom 22. Januar 1817, Sp. 75; Hervorhebung original.<br />
14
Abb. 4: Robert Schumann, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben,<br />
Titel in der autographen Niederschrift,<br />
Staatsbibliothek zu Berlin,<br />
Sign. Mus. ms. autogr. R. Schumann 16, 2; S. 112.<br />
Abb. 3: Robert Schumann, Frauenliebe <strong>und</strong> Leben,<br />
Erstdruck Leipzig: Whistling 1843 25<br />
lautet der Untertitel in der ersten Niederschrift 26 unmissverständlich »Cÿclus in acht Liedern«<br />
(s. Abb. 4) 27 .<br />
Diese, mit etlichen eigenhändigen Korrekturen versehene erste Niederschrift enthält eine Vielzahl<br />
von musikalischen Formulierungen, harmonischen Wendungen, textlichen Deklamationen sowie<br />
formale Konzepte, die jenen in der veröffentlichten, in diesen Hinsichten geglätteten Version<br />
überlegen scheinen. Das erste <strong>und</strong> das letzte Lied von Frauenliebe <strong>und</strong> Leben in ihrer Gesamtheit<br />
sowie ausgewählte Einzelstellen in den übrigen Liedern werden daher, entgegen (vielleicht allzu)<br />
vertrauten Hörwartungen, an dem heutigen Abend der Uraufführungen in der Fassung dieses<br />
Autographs zu hören sein.<br />
25 Der Erstdruck enthält, wie öfters damals <strong>und</strong> heute, beim Vornamen des Dichters die Fehlschreibung »Adalbert«<br />
statt »Adelbert«.<br />
26 Staatsbibliothek zu Berlin, Sign. Mus. ms. autogr. R. Schumann 16, 2; S. 112‐130.<br />
27 Offensichtlich stand also <strong>für</strong> Schumann von vorn herein auch die Auslassung des neunten Gedichts fest. Noch<br />
anlässlich der Revision von Frauenliebe <strong>und</strong> Leben 1843 spricht Schumann im Haushaltbuch von »Liederkreis« (»den<br />
Chamisso’schen Liederkreis in Ordnung gebracht«) (Robert Schumann, Tagebücher, Bd. III (wie Anm. 10), S. 250,<br />
Eintragung vom 7. Mai 1843).<br />
15
Der Rückblick auf Franz Kuglers Kompositionen hat gezeigt, dass der soziale Ort dieser vertonten<br />
Chamisso‐Gedichte zunächst der intime, nicht öffentliche Bereich des Hauses war. Doch auch noch<br />
nach Schumanns Tod, 1856, wurden auch dessen Vertonungen der Hausmusik zugewiesen. 1861<br />
riet der 17‐jährige Friedrich Nietzsche, der sich zu dieser Zeit der Komposition seiner ersten<br />
Klavierlieder zuwandte, seiner Schwester Elisabeth, sich doch eine Ausgabe dieses Zyklus von den<br />
Eltern zu Weihnachten schenken zu lassen, denn Frauenliebe <strong>und</strong> Leben hielt er <strong>für</strong> Schumanns<br />
»schönst[e] Lieder überhaupt« <strong>und</strong> <strong>für</strong> seine 15‐jährige Schwester »sehr passend« 28 . Offensichtlich<br />
wurde das Klavierlied von dem Mädchen damals noch singend <strong>und</strong> Klavier spielend zugleich<br />
gepflegt, denn Nietzsche spricht nicht davon, dass er seine Schwester zu den Liedern ›begleiten‹<br />
wolle. Als ein Jahr später eine »Pracht‐Ausgabe« des Zyklus erschien 29 , meinte ein Kritiker, sie<br />
dürfte wegen der »glänzenden Ausstattung« <strong>und</strong> des »bequemen […] Formates […] besonders<br />
Sängerinnen beim Liedervortrage in engeren <strong>und</strong> weiteren Kreisen willkommen sein«, <strong>und</strong> empfahl<br />
sie als »geschmackvolles Damengeschenk«. 30 Dass noch Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts das häusliche<br />
Singen ›beym Clavier‹ gängige Praxis war, bestätigt auch eine Bemerkung im Vorwort dieser<br />
Neuausgabe. Louis Ehlert sieht sich dort bei der pianistisch anspruchsvollen Nr. 5 des Zyklus zu dem<br />
Rat veranlasst: »Der Sänger spiele es nicht selbst. Wie viele unserer schönsten Lieder würden zu<br />
ewigem Schweigen verurtheilt sein, kämen den Sängern nicht solche Klavierspieler zu Hülfe, welche<br />
an andere Aufgaben als die selig entschlafenen Guitarrenpassagen gewöhnt sind.« 31<br />
Die Frage, ob Frauenliebe <strong>und</strong> Leben lieber in »engeren« oder »weiteren Kreisen« vorgetragen<br />
werden sollte, erregte noch lange die Gemüter. Ein Rezensent formulierte 1879, anlässlich einer<br />
Leipziger Aufführung, das Dilemma so: »Diese Lieder […] sind fast zu schön <strong>für</strong> den Concertvortrag,<br />
<strong>und</strong> doch möchte man andererseits wieder, dass die ganze Welt zuhöre <strong>und</strong> Theil habe an diesem<br />
seelischen Hochgenusse.« 32 Ein anderer Kritiker wollte, bei einer Hamburger Aufführung,<br />
zumindest die Stationen Schwangerschaft, Stillen des Kindes <strong>und</strong> Tod des Ehemannes (Nr. 6 bis 8)<br />
von der Bühne verbannt sehen; er hielt entschieden da<strong>für</strong>, »dass nur Nr. 1 bis 5 dieser Lieder <strong>für</strong><br />
den Concertsaal sich eignen, <strong>und</strong> dass, wenn der Rest der Hausmusik überlassen wird, die Sängerin<br />
im Concert ihren Zuhörern einen noch größeren Reichthum musikalischer Ausdrucksweisen<br />
vorführen kann. Serien <strong>und</strong> Reihenfolgen mag man componiren, nur nicht im Concert vortragen.« 33<br />
Und bereits 1869 fragte ein Leipziger Rezensent: »Sind diese Lieder <strong>für</strong> den Konzertsaal? kann eine<br />
Künstlerin diese innigsten <strong>und</strong> heiligsten Mysterien der Frauenliebe zu Gatten <strong>und</strong> Kind vor einem<br />
grossen Publikum mit vollem Vertrauen singen? wird sie nicht immer die Empfindung haben, dass<br />
sich selbst die künstlerisch vollendetste Schilderung des innersten weiblichen Gemüthslebens in<br />
seiner Jungfräulichkeit entweder, dramatisch, auf der Bühne nur darstellen lässt, wo die<br />
selbständige gesonderte Erscheinungswelt <strong>und</strong> die Situation das rechtfertigt, oder aber in die<br />
engen <strong>und</strong> verschwiegenen Räume des Hauses sich flüchten muss?« 34<br />
Die musiktheatralische Darbietung von Liedern, wie sie in diesem Programm mit Schumanns<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben im Kontext zeitgenössischer Lieder erprobt werden soll, lag damals noch<br />
jenseits der Vorstellungskraft.<br />
28 Friedrich Nietzsche, Brief an Elisabeth Nietzsche von Ende November 1861, in: Giorgio Colli <strong>und</strong> Mazzino<br />
Montinari (Hg.), Friedrich Nietzsche, Briefe, Kritische Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 1, Berlin <strong>und</strong> New York 1974, S. 187.<br />
Nietzsche fügte hinzu: »Der Text ist gleichfalls w<strong>und</strong>erschön.« (ebd.)<br />
29 wie Anm. 22; Anzeige in: Signale <strong>für</strong> die musikalische Welt 23 (1865), Nr. 23 vom 8. Dezember 1865, S. 955.<br />
30 Neue Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> 29 (1862), Nr. 9 vom 29. August 1862, S. 80.<br />
31 wie Anm. 22, S. V.<br />
32 Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 14 (1879), Nr. 6 vom 5. Februar 1879, Sp. 93.<br />
33 Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 13 (1878), Nr. 2 vom 9. Januar 1878, Sp. 29.<br />
34 Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 4 (1869), Nr. 12 vom 24. März 1869, S. 93.<br />
16
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben.<br />
Zum Frauenbild des Biedermeier<br />
Lea Roller<br />
»Wer schreibt einen neuen Text zu Schumanns op. 42?« Diese provokative Frage stellt Marius<br />
Flothuis 1975 in der Maiausgabe der Zeitschrift Musica 1 . Aber warum eigentlich? Sind es nicht<br />
ehrliche Liebesbek<strong>und</strong>ungen, die die weibliche Protagonistin ihrem Geliebten singt? Ist das nicht<br />
wahre romantische Liebe, wenn die Liebende erst im Geliebten ihre Erfüllung findet?<br />
Dieser Standpunkt wird bezüglich des Zyklus Frauenliebe <strong>und</strong> Leben auf die Lyrik von Adelbert von<br />
Chamisso von 1830 nur noch selten bezogen, eine Entwicklung, die vor allem in der Reflexion des<br />
Frauenbildes des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts begründet ist — einer Zeit, in der Frauen des Bürgertums nichts<br />
anderes übrig blieb, als ihre Erfüllung in der Ehe zu finden.<br />
Dieses Frauenbild war zunächst von einer Entwicklung geprägt, die, anstatt von nur einem<br />
Geschlecht auszugehen – dem Mann <strong>und</strong> einem unvollständigen Mann —, nun zwei Geschlechter<br />
anerkannte — den Mann <strong>und</strong> die Frau. Mit dieser Entwicklung einher gingen vor allem auch<br />
biologische Erkenntnisse bezüglich der Geschlechter, die sich aber schnell in geschlechtsspezifische<br />
Eigenschaften <strong>und</strong> Bereiche verkehrten. Dabei entstand die Idee zweier getrennter,<br />
komplementärer Sphären, die den naturbedingten unterschiedlichen Charaktereigenschaften,<br />
Bedürfnissen <strong>und</strong> Fähigkeiten von Männern <strong>und</strong> Frauen — <strong>für</strong> beide einschränkend <strong>und</strong><br />
unterdrückend — gerecht werden sollten. Kurz: »Dem Mann der Staat, der Frau die Familie.« 2<br />
Dem Manne also, der <strong>für</strong> Stärke, Rationalität, Entscheidungskraft, aber auch Triebhaftigkeit stand,<br />
kam der öffentliche Bereich zu, der schwächeren, irrationalen, unselbstständigen, emotionaleren<br />
<strong>und</strong> reinen Frau hingegen die private, häusliche Sphäre. Denn sie ist »mehr geeignet <strong>für</strong> das innere<br />
Leben, das Leben des Gefühls <strong>und</strong> des Herzens, als <strong>für</strong> das äußere, mehr <strong>für</strong> die stillen <strong>und</strong> sanften<br />
Tugenden, die Andere beglücken, als <strong>für</strong> glänzende <strong>und</strong> heroische Thaten, die die Welt in Erstaunen<br />
setzen, mehr zum Gefallen als zum Beherrschen, mehr <strong>für</strong> die Gewalt des Herzens als <strong>für</strong> die des<br />
Verstandes; durch alles dieses aber vorzüglich empfänglich <strong>für</strong> die Himmelstugenden: Liebe,<br />
Glaube, Hoffnung <strong>und</strong> Treue.« 3<br />
Die Frau wurde zum reinen, häuslichen Engel stilisiert, der mit Herzenswärme <strong>und</strong> dem Talent der<br />
selbstlosen Fürsorge gesegnet ist — ein Wesen, das seine Erfüllung nur über andere erreichen<br />
kann: durch die Sorge <strong>für</strong> Ehemann, Haushalt <strong>und</strong> Kind.<br />
In diesem Sinne erreicht auch die Protagonistin in Adelbert von Chamissos Texten, die Robert<br />
Schumann 1840 in op. 42 vertonte, nicht nur Erfüllung durch Ehe <strong>und</strong> Fürsorge, vielmehr noch —<br />
<strong>und</strong> das ist wohl der wirklich kritische Punkt — beginnt nicht nur die »Frauenliebe«, sondern das<br />
»Frauenleben« mit dem Auftritt des künftigen Ehemanns, verstärkt durch die endgültige<br />
Verabschiedung der kindlichen Fre<strong>und</strong>innen, <strong>und</strong> endet mit dessen Tod. Zu bedenken ist hier, dass<br />
der Titel des Zyklus eigentlich Frauenliebe <strong>und</strong> Leben (nicht Frauenliebe <strong>und</strong> ‐leben) hieß <strong>und</strong> somit<br />
nicht zwangsläufig die einzig relevanten Stationen eines gesamten »Frauenlebens« dokumentieren<br />
will, sondern möglicherweise die unterschiedlichen Zustände von Liebe. Eine Deutung, die<br />
sicherlich auch in Bezug auf den emotionalen Ausdrucksgehalt von Schumanns Kompositionen in<br />
Betracht gezogen werden kann. Trotz allem bleibt in Anbetracht des passiv‐devoten Frauenbildes<br />
1 Marius Flothuis, <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> Realität oder Wer schreibt einen neuen Text zu Schumanns op. 42?, in: Musica 29<br />
(1975), H. 3, S. 213‐215.<br />
2 Artikel »Frauenfrage«, in: Meyers Konversations‐Lexikon, 5. Auflage, Bd. 6, Leipzig / Wien: Bibliographisches<br />
Institut 1894, S. 822.<br />
3 Friedrich August von Ammon (Hg.), Darwin’s <strong>und</strong> Hufeland’s Anleitung zur physischen <strong>und</strong> moralischen Erziehung<br />
des weiblichen Geschlechtes, zweite deutsche neu bearbeitete Auflage, Leipzig: Brockhaus 1852, S. 2.<br />
17
der Zeit, das sich eben auch im Text widerspiegelt, die Beschränkung der Frau auf Ehemann <strong>und</strong><br />
Ehe bestehen. Vielmehr scheint der eigentliche Protagonist des Zyklus nicht die Ich‐Erzählerin,<br />
sondern der Ehemann zu sein, an dessen Auftreten, Verhalten <strong>und</strong> Ableben diese sich orientiert. So<br />
ist unter diesem Gesichtspunkt die Bek<strong>und</strong>ung, dem Geliebten zu dienen, die »niedre Magd« 4 des<br />
»Herrlichsten« 5 , des »hohen Sternes« 6 , der »Sonne« 7 zu sein, schwerlich einzig im Sinne einer<br />
romantischen Liebeserklärung zu werten.<br />
»Ich will ihm dienen, ihm leben,<br />
Ihm angehören ganz,<br />
Hin selber mich geben <strong>und</strong> finden<br />
Verklärt mich in seinem Glanz.« 8<br />
In der Lyrik Chamissos stecken kaum die Emotionen einer Frau, sondern vielmehr die Ideen eines<br />
Mannes von den Emotionen einer Frau <strong>und</strong> ihrem Leben, ganz im Sinne des Frauenbildes der Zeit.<br />
Dadurch wird das Bild der Unterordnung in Fürsorge <strong>und</strong> selbstloser Hingabe <strong>für</strong> die Ehe bekräftigt.<br />
Die Texte des Zyklus bestärken somit die klar <strong>und</strong> vermeintlich naturgegebenen Tugenden einer<br />
Frau, denn jedes abweichende Verhalten wurde als potenziell krankhaft <strong>und</strong> pathologisch<br />
angesehen — ein Vorbote der sich im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts noch etablierenden,<br />
vornehmlich weiblichen Nervenkrankheit der Hysterie, unter deren Deckmäntelchen<br />
untugendhaftes Verhalten, schöpferische Fantasie <strong>und</strong> Kreativität sowie der Wunsch nach sexueller<br />
Befriedigung genauso erdrückt wie kuriert werden sollte. Denn insbesondere weibliche Sexualität<br />
war stark tabuisiert: die tugendhafte Frau war engelsgleich rein, eine liebende Bürgersfrau, die mit<br />
Triebhaftigkeit rein gar nichts gemein hat. Weibliche Sexualität war, wenn überhaupt, dann passiv<br />
(<strong>und</strong> falls doch nicht, dann pathologisch), wobei als einziger natürlicher Beruf der Frau die<br />
Fortpflanzung angesehen wurde. Diese Erfüllung weiblicher Pflichten, die kaum mit einer sexuellen<br />
Handlung konnotiert ist, spiegelt sich auch in den Texten der beiden Lieder »Süßer Fre<strong>und</strong>, du<br />
blickest« <strong>und</strong> »An meinem Herzen, an meiner Brust« wider, in denen die Protagonistin durch<br />
Schwangerschaft <strong>und</strong> Geburt erst die wahre Höhe der weiblichen Erfüllung erreicht.<br />
Diese Idealvorstellung von Ehe <strong>und</strong> Familie als eigentlich einzig akzeptiertem weiblichem<br />
Lebensentwurf verdeutlicht sich besonders in zwei Gegenkonzepten <strong>und</strong> den Reaktionen darauf:<br />
zum einen die unverheiratete <strong>und</strong> somit unglückliche Frau, die ihrer Berufung der <strong>für</strong>sorglichen<br />
Mutter <strong>und</strong> Ehefrau zum eigenen Leidwesen nicht nachkommen kann, <strong>und</strong> zum anderen die<br />
verruchte, selbstdarstellerische, möglicherweise gar erotische, potenzielle femme fatale, häufig in<br />
Form einer sich unschicklicherweise selbst ausdrückenden <strong>und</strong> somit in die eigentlich Männern<br />
vorbehaltene öffentliche Sphäre vordringenden Künstlerin.<br />
Als Beispiel <strong>für</strong> ersteres lässt sich die Göttinger Bürgerstochter Julie Pott (1802‐1840) wählen, die<br />
unverheiratet <strong>und</strong> kinderlos blieb <strong>und</strong> ihre mitunter auf diesen Sachverhalt bezogene Melancholie<br />
in zahlreichen Briefen an Familienmitglieder belegte. Ihr Leben, das eben nicht durch die<br />
gesellschaftlich vorgesehene Rolle der Ehefrau <strong>und</strong> Mutter erfüllt war, galt als Problemsituation,<br />
die Julie Pott erkennt, aber als Vorwurf gegen die Gesellschaft richtet. Pott stellt somit nicht — wie<br />
damals üblich — sich selbst, die unerfüllte »alte« Jungfer, sondern die Gesellschaft als krank dar,<br />
4 Nr. 2, »Er, der Herrlichste von allen«, in: Adelbert von Chamisso, Sämtliche Werke in zwei Bänden, München:<br />
Winkler 1975, Bd. 1, S. 150.<br />
5 ebd., S. 149, Rechtschreibung des Originals: »der herrlichste«.<br />
6 ebd., S. 150.<br />
7 Nr. 5, »Helft mir, ihr Schwestern«, ebd., S. 152.<br />
8 Nr. 4, »Du Ring an meinem Finger«, ebd., S. 151. Die Originallesart bei Chamisso lautet: »Ich werd ihm dienen«.<br />
18
doch eben diese scharfzüngige Kritik sowie ihre melancholisch verdrossene Flucht in Isolation <strong>und</strong><br />
häusliche Arbeit gelten als Symptome <strong>für</strong> <strong>und</strong> bestätigen somit ihre krankhafte Unerfülltheit 9 . Julie<br />
Potts Fall zeigt, dass ihr untypischer Lebenswandel, unabhängig von ihrer eigenen Haltung,<br />
zwangsläufig als krankhaft ausgelegt wurde. Somit wird auch Pott, die dem Frauenbild nicht<br />
entspricht, in exakt dieses Frauenbild gezwängt <strong>und</strong> ihre Kritik sowie sie selbst als traurige<br />
Konsequenz des Abweichens gedeutet.<br />
Als Beispiel <strong>für</strong> die untugendhafte öffentliche Frau, wie beispielsweise die Künstlerin, kann die<br />
Sängerin Wilhelmine Schröder‐Devrient (1804‐1860) gesehen werden. Schröder‐Devrient gilt als<br />
eine der größten <strong>und</strong> vor allem leidenschaftlich dramatischen Sängerinnen ihrer Zeit. Unter den<br />
Verehrern ihrer Kunst finden sich nicht nur Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber <strong>und</strong><br />
Richard Wagner, der sie als Prototyp <strong>für</strong> seinen deutschen dramatischen Gesang wählte, sondern<br />
auch Robert Schumann, der ihr seinen Zyklus Dichterliebe op. 48 widmete. Interessant hierbei ist,<br />
dass dieser heute meist von einem Mann interpretierte Zyklus nicht die einzige männlich<br />
konnotierte Partie <strong>für</strong> Schröder‐Devrient ist. Sie verkörperte die Rolle des Romeo in Bellinis I<br />
Capuleti e i Montecchi, <strong>für</strong> die Schröder‐Devrient nach eigener Aussage in eine <strong>für</strong> eine Frau<br />
durchaus unschickliche Haltung schlüpfen musste: »die Künstlerin hat daher die ungeheuere<br />
Aufgabe, ihr Geschlecht vergessen zu machen <strong>und</strong> in Haltung, Bewegung, Stellung einen feurigen,<br />
von der ersten Liebesglut durchdrungenen Jüngling darzustellen. Nichts darf ihr Geschlecht<br />
verrathen« 10 . Wagner schrieb nicht nur die Hosenrolle des Adriano in Rienzi <strong>für</strong> sie, sondern auch<br />
die Venus in Tannhäuser, die Verkörperung von Sinnlichkeit <strong>und</strong> Erotik. So spricht Wagner von der<br />
»dämonische[n] Wärme«, die Schröder‐Devrients »menschlich‐ekstatische Leistung« ausströme 11 .<br />
In diesem Sinne wurde Schröder‐Devrient nicht nur <strong>für</strong> ihre Kunst verehrt: sie war drei Mal<br />
verheiratet, zwei Ehen wurden geschieden, eine davon wegen Schröder‐Devrients Ehebruch, sie<br />
führte mehrere illegitime Beziehungen <strong>und</strong> mit der posthumen, allerdings fälschlichen<br />
Zuschreibung der Autorschaft des erotisch‐pornographischen Romans Aus den Memoiren einer<br />
Sängerin dürfte das bisherige Frauenbild vollkommen ad absurdum geführt wirken. Doch im<br />
Gr<strong>und</strong>e bestätigt Schröder‐Devrients Reputation dieses Frauenbild erneut, denn die<br />
hemmungslose, egoistische, verantwortungslose <strong>und</strong> »dämonische« Schröder‐Devrient bewegt sich<br />
gänzlich abseits moralisch‐bürgerlicher Werte <strong>und</strong> gefährdet <strong>und</strong> verführt dadurch zugleich das<br />
Patriarchat, ist aber gesellschaftlich auch ohne weiteres als ehrlos abzutun. Schließlich, so lässt sich<br />
aus diversen zeitgenössischen Darstellungen ablesen, wollte sie nicht nur nicht auf sexuelle<br />
Erfüllung verzichten, sondern zeigte auch die Bereitschaft, ihre Bedürfnisse in <strong>für</strong> damalige<br />
Verhältnisse unverhohlener Weise auszuleben. So wird ihr nicht ganz konventioneller privater<br />
Lebenswandel in nur kurz nach ihrem Tod erschienenen Biographien als von Enttäuschungen,<br />
Einsamkeit <strong>und</strong> Verlusten überschattet dargestellt. Dieser <strong>für</strong> Bühnendarstellerinnen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
als nicht untypisch erachtete pathologische <strong>und</strong> untugendhafte Lebenswandel ist durch männliche<br />
Charaktereigenschaften wie berufliche Zielstrebigkeit, materielle Unabhängigkeit,<br />
Selbstbestimmung <strong>und</strong> sexuelle Erfüllung geprägt. Wie zu erwarten, kann eine Frau auf diesem<br />
Wege daher nicht die echte weibliche Erfüllung finden — erneut traurige Konsequenz des<br />
Abweichens.<br />
9 vgl. Birgit Panke‐Kochinke, Die anständige Frau. Konzeption <strong>und</strong> Umsetzung bürgerlicher Moral im 18. <strong>und</strong> 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, Pfaffenweiler: Centaurus‐Verlagsgesellschaft 1991, S. 68‐73.<br />
10 Alfred Freiherr von Wolzogen, Wilhelmine Schröder‐Devrient. Ein Beitrag zur Geschichte des musikalischen<br />
Dramas, Leipzig: Brockhaus 1863, S. 227.<br />
11 Martin Gregor‐Dellin (Hg.), Richard Wagner, Mein Leben, München: List 1963, S. 49.<br />
19
In diesem Kontext muss wohl Clara Schumann (1819‐1896) beleuchtet werden, der es<br />
erstaunlicherweise gelang, Tugend <strong>und</strong> Moral mit männlich konnotierten Charaktereigenschaften<br />
zu verknüpfen: sie war eine öffentliche Person, die selbstständig agierte, materiell unabhängig war<br />
<strong>und</strong> trotzdem auf moralischer Ebene nie ins Abseits geriet, wenngleich durchaus Anstoß an ihrer<br />
forschen, selbstbestimmten Art genommen wurde. Möglicherweise konnte dies gelingen, da ihr<br />
privater Lebenswandel durch Ehe <strong>und</strong> Geburt von acht Kindern als tugendhaft gelten konnte. Sie<br />
entsprach Roberts <strong>und</strong> den gesellschaftlichen Vorstellungen einer Ehefrau <strong>und</strong> stellte zumindest <strong>für</strong><br />
die Zeit der Ehe ihre künstlerische Karriere hintan. So fordert Robert trotz künstlerischer<br />
Zugeständnisse das klassische Frauenideal durchaus ein: »Das erste Jahr unsrer Ehe sollst Du die<br />
Künstlerin vergeßen, sollst nichts als Dir u. Deinem Haus <strong>und</strong> Deinem Mann leben, <strong>und</strong> warte Du<br />
nur, wie ich Dir die Künstlerin vergeßen machen will — nein das Weib steht doch noch höher als die<br />
Künstlerin, <strong>und</strong> erreichte ich nur das, daß Du gar nichts mehr mit der Oeffentlichkeit zu thun<br />
hättest, so wäre mein innigster Wunsch erreicht. Deshalb bleibst Du doch immer die Künstlerin, die<br />
Du bist.« 12 Auch wenn Clara Schumann ihre künstlerischen Tätigkeiten nie aufgab, auch nicht<br />
während ihrer Ehe, willigte sie quasi in die bestehende Konvention der Frau als Unterstützerin des<br />
Ehemannes ein. Eine Unterstützerin, die ihre weiblich <strong>für</strong>sorglichen Pflichten als treue Ehefrau <strong>und</strong><br />
Mutter nicht vernachlässigte. Dadurch konnte sie sich eine unbefleckte Reputation sichern, anders<br />
als ihre gute Bekannte Wilhelmine Schröder‐Devrient, die zwar ebenfalls große künstlerische<br />
Anerkennung genoss, aber privat als ehrlos galt.<br />
All diese Frauenleben zeigen — wenn auch auf vollkommen unterschiedliche Weise —, dass das im<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>ert favorisierte Idealbild der an Haus, Mann <strong>und</strong> Kind geb<strong>und</strong>enen Frau eine große<br />
Bedeutung hatte <strong>und</strong> weibliche Lebensgestaltung konkret beeinflusste. Dieses auf vermeintlich<br />
geschlechtergeb<strong>und</strong>ene Charaktereigenschaften beruhende Idealbild kann als glücklicherweise<br />
nicht mehr gültige, wenngleich noch immer nicht gänzlich verschw<strong>und</strong>ene Restriktion <strong>für</strong> Frauen<br />
wie <strong>für</strong> Männer gewertet werden <strong>und</strong> spiegelt sich, wie erläutert, in den Texten des Zyklus<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben wider.<br />
Brauchen wir nun einen neuen Text <strong>für</strong> op.42?<br />
Wohl kaum. Was wir aber brauchen, ist ein Bewusstsein <strong>für</strong> die erläuterte Problematik. Ein<br />
Bewusstsein, das, wie im heutigen Programm, durch das Kontrastieren <strong>und</strong> Konterkarieren des<br />
Zyklus mit anderen, mit neuen Stücken, Texten <strong>und</strong> musikalischen wie inhaltlichen Gedanken sowie<br />
mit darstellerischen Mitteln erreicht werden kann.<br />
Lea Roller, geboren 1987 in Stuttgart, 2008‐2013 Studium der Schulmusik an der <strong>Musik</strong>hochschule<br />
Stuttgart mit Hauptfach Querflöte (Antje Langkafel) <strong>und</strong> Leistungsfach Gesang (Sylvia Koncza), seit<br />
2012 Studium der Anglistik an der Universität Stuttgart, seit 2013 Studium Master<br />
<strong>Musik</strong>wissenschaft an der <strong>Musik</strong>hochschule Stuttgart; Mitwirkung bei diversen musikalischen<br />
Projekten wie den Ludwigsburger Schlossfestspielen, Mitglied im Württembergischen Kammerchor<br />
unter Leitung von Dieter Kurz, Tätigkeit als Instrumentalpädagogin.<br />
12 Robert Schumann, Brief an Clara Wieck vom 13. Juni 1839, in: Anja Mühlenweg (Hg.), Briefwechsel von Clara <strong>und</strong><br />
Robert Schumann, Bd. II: September 1838 bis Juni 1839 [Schumann Briefedition, Serie I, Bd. 5], Köln: Dohr 2013,<br />
S. 544.<br />
20
Zu den neuen Kompositionen dieses Programms<br />
Ole Hübner, 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«)<br />
In einem meiner neueren Stücke, 3 neue love pop‐songs (»dann aber wieder du«) <strong>für</strong><br />
Gesangsquartett, Klavier <strong>und</strong> Kassettenrekorder, habe ich der neuen <strong>Musik</strong> quasi einen reinen,<br />
kritiklosen »Beobachterstatus« verliehen […]. In den drei Songs von jeweils etwa vier Minuten Länge<br />
arbeite ich jeweils in einer Art »Bausteinsystem« mit Formen, Floskeln <strong>und</strong> Klanglichkeiten aus der<br />
Popmusik. Auch die Art <strong>und</strong> Weise, wie die Gesangsstimmen geführt werden — etwa in Backgro<strong>und</strong>‐<br />
Vocals oder verschiedenen Sprechgesangsarten — ist entfernt an die Einsatzmöglichkeiten der<br />
Stimme in der Popmusik angelehnt. Ich bediene mich also all dieser Parameter <strong>und</strong> Eigenschaften<br />
der Popmusik (das heißt: der »gesellschaftskonstituierendsten« aller <strong>Musik</strong>en), in diesem Fall aber,<br />
ohne sie mitsamt dem hinter ihr stehenden <strong>und</strong> an ihr verdienenden Apparat zu kritisieren. Diese<br />
<strong>Musik</strong> ist also weder moralisierend noch umfassend reflektierend, sondern sie betrachtet — auf eine<br />
gewissermaßen »naive« Weise — eine kleine Auswahl von Eigenschaften einer kleinen Auswahl von<br />
Popmusikstilen <strong>und</strong> setzt sie neu zu einer stark abstrahierten »Meta‐Popmusik« zusammen. Die<br />
Trilogie der drei Songs betrachte ich als eine Art »Show«; nach dem zweiten Song, der nach einem<br />
langen, an ein Fadeout erinnernden Loop plötzlich abbricht, ist ein mit »showpause (gläschen<br />
flüssigkeit trinken)« überschriebenes Intermezzo <strong>für</strong> Kassettenrekorder solo eingefügt, das nahtlos<br />
in den dritten Song überleitet — ebenso, wie bei einem Popkonzert die Band zwischen zwei Songs<br />
einfache Patterns oder Akkordflächen spielt, um die Pause zu überbrücken <strong>und</strong> Erwartungen an den<br />
nächsten Song aufzubauen. Andere meiner Stücke verhalten sich deutlich kritischer, mitunter<br />
satirisch. 1 Ole Hübner<br />
Marius Schötz, Briefe an…, I. Zwischen den Kaffeehaustischen<br />
»Ein Pfeil bedeutet einen Wechsel zwischen zwei Zuständen, in diesem Fall zwischen ü <strong>und</strong> ö.« So<br />
beginnt die Erklärung <strong>für</strong> den Sänger <strong>und</strong> den Pianisten in der Legende zu Zwischen den<br />
Kaffeehaustischen. »Es fällt mir ein, dass ich mich an Ihr Gesicht in keiner bestimmten Einzelnheit<br />
erinnern kann« — so der Beginn des Textes nach Briefen von Franz Kafka. Im Dazwischen von vager<br />
Erinnerung <strong>und</strong> klarer Vorstellung bewegt sich die Komposition von Marius Schötz mit ihren<br />
verhauchten, gepfiffenen oder verknarrten Klängen des Sängers, die sich im gemeinsamen Flüster‐<br />
Wort‐Feld von Pianist <strong>und</strong> Sänger verlieren <strong>und</strong> wieder finden. Eine Alu‐Folie, ein Kamm sowie ein<br />
Fingerhut auf den Wirbeln der Saiten des Flügels verunklaren die Tonhöhen <strong>und</strong> führen mit Hör‐<br />
Ergebnissen zwischen Klang <strong>und</strong> Geräusch zum situativen Kern der Komposition. AL<br />
Alexander L. Bauer, lunacy and its consequences<br />
Der Zusammenklang solistischer Frauenstimmen hat eine lange Tradition. Von den drei Damen aus<br />
W. A. Mozarts Zauberflöte bis zum berühmten Terzett in Richard Strauss’ Rosenkavalier, in dem sich<br />
die Stimmen der Marschallin, der Sophie <strong>und</strong> des Oktavian in überschwänglichen Kantilenen<br />
vereinigen, reicht der Bogen. In seinem Werk ¿Donde estas, hermano? <strong>für</strong> vier Frauenstimmen von<br />
1982 eröffnet Luigi Nono eine neue Perspektive. Die Vertonung eines Textes hindert den<br />
Komponisten nicht daran, die Stimmen in stehenden Klängen ganz <strong>und</strong> gar instrumental zu<br />
behandeln. Alexander L. Bauer scheint diesen Weg fortzusetzen. Der Text ist abhanden gekommen.<br />
Vibratolos auf dem Vokal I haben sich die Akkorde ins Zentrum der Tonhöhe d 2 verdichtet. In<br />
mikrotonalen Spannungen dehnt sich der Klang aus, zieht sich zusammen <strong>und</strong> zerbricht. AL<br />
1 aus: Ole Hübner, Meine Unsicherheiten — »Statement« in sieben Kapiteln, in: <strong>Musik</strong>Texte. Zeitschrift <strong>für</strong> neue <strong>Musik</strong><br />
138, August 2013.<br />
21
Daniela Achermann, Zu gut, um wahr zu sein<br />
Als »ironisch postmodern« könnte die ästhetische Position von Daniela Achermanns Szene <strong>für</strong><br />
Frauenstimme <strong>und</strong> Klavier beschrieben werden. Die Collage — auf textlicher Ebene von zwei Frauen‐<br />
Monologen des Verliebt‐Seins aus den Jahren 1830 <strong>und</strong> 2013 — wird auch zum stilistischen Prinzip<br />
der Komposition erhoben: Rhythmisch erinnerte gestische Fragmente aus Schumann/Chamissos<br />
Frauenliebe <strong>und</strong> Leben stehen, in entsprechend überzeichneter Klanggebung in Stimme <strong>und</strong> Klavier,<br />
nahtlos neben akustischen Fetzen aus der heutigen Unterhaltungs‐ <strong>und</strong> Technikwelt: ein funkelndwitziges<br />
Kaleidoskop aus »Romantik« <strong>und</strong> »Moderne«. CW<br />
Michele Leisibach, Gleich den Göttern<br />
Dieses Lied <strong>für</strong> Mezzosopran <strong>und</strong> präpariertes Klavier nach einem Text der Sappho stellt die<br />
Eifersucht <strong>und</strong> die Frustration einer Frau dar, die ihre Liebe zu einem jungen Mädchen nicht äußern<br />
darf. Das Stück ist dreiteilig. Im ersten Teil beobachtet die Frau das Mädchen zusammen mit dem<br />
Mann aus der Ferne. Sie darf nicht zu laut sprechen <strong>und</strong> versucht daher, ihre Stimme mit der Hand<br />
zu dämpfen. Der zweite Teil lässt uns die unterdrückten Gefühle der Frau erleben, wir hören sie<br />
quasi aus ihrem Inneren. Der dritte Teil zeigt die fatalistische Resignation der liebenden Frau.<br />
Das musikalische Material kann als Klang‐Geräusch‐Modulation verstanden werden. Die gesungene<br />
Stimme der Frau verwandelt sich langsam in Geräusche <strong>und</strong> unbestimmte Tonhöhen. Im Zentrum<br />
des Lieds werden wir, quasi in ihrem Kopf, von den harten, geräuschhaften Klängen des mit<br />
Knetgummi präparierten Klaviers <strong>und</strong> der Stimme wie gestochen. Am Schluss beruhigt sich die<br />
Atmosphäre wieder. Kompositorisch ist das Lied einerseits auf einer Zwölftonreihe aufgebaut, die im<br />
ersten Teil in der Stimme <strong>und</strong> letzten Teil in der Stimme <strong>und</strong> im Klavier vollständig erklingt, <strong>und</strong><br />
andererseits auf einer Schichtung von Quintklängen. Zu Beginn werden parallele Quinten eingesetzt,<br />
um die im Text ausgedrückte Distanz zu erzeugen, im Mittelteil bilden Töne G‐D‐A die Fixpunkte<br />
inmitten der geräuschhaften Umgebung, am Ende wird im Klavier die Zwölftonreihe mit einer<br />
Quintschichtung von Kontra‐Es bis as 4 verb<strong>und</strong>en. Michele Leisibach<br />
Asija Ahmetžanova, Donec gratus eram tibi<br />
Archaische Wucht prägt diese musikalische Studie des Begehrens nach einem lateinischen Text aus<br />
den Oden des Horaz. Ein wiederkehrendes Glockenmotiv im Klavier verleiht der Komposition<br />
beschwörenden Charakter <strong>und</strong> strukturiert den frei deklamierten, psalmodierenden Vortrag der<br />
Sängerin. Der zwei Jahrtausende alte Text wird dabei als Affekt‐Material bedingungsloser Liebe<br />
benutzt, indem er aus seiner wohlgesetzten Form gelöst <strong>und</strong>, bis in einzelne Silben hinein,<br />
fragmentiert <strong>und</strong> so in neue Unmittelbarkeit überführt wird. Ursprünglich als Liebesduett in Strophe<br />
des Mannes <strong>und</strong> Gegenstrophe der Frau angelegt, wird der Text allein aus der erinnernden<br />
Perspektive der Frau erlebt, bis er ihr, nach einer emphatischen Kadenz, auf den Lippen erstirbt. CW<br />
Sara Wüest, Männerliebe<br />
Mixturartig geschärfte Klänge, parallele, jedoch ungleichzeitig wellenförmig geführte Intervallketten,<br />
improvisierender Gestus <strong>und</strong> die Kontrastierung von Passagen in höchster Lage (»sweet, light«) mit<br />
der Kraft tiefster Bassregionen (»getting darker«, »heavy, harsh«) sind die vorherrschenden<br />
kompositorischen Mittel des einzigen Instrumentalstücks dieses Programms. Das latente tonale<br />
Zentrum D wird erst am Schluss der Komposition offenbar, der den Beginn des letzten Liedes, in d‐<br />
Moll, von Schumanns Frauenliebe <strong>und</strong> Leben zitiert. CW<br />
Stefanie Erni, Frauenleben <strong>und</strong> ‐hass<br />
Im Mittelpunkt von Franz Kafkas Erzählung Der Heizer, dem ersten Kapitel seines unvollendeten<br />
Romans Der Verschollene, steht »der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern<br />
nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt <strong>und</strong> ein Kind von ihm<br />
22
ekommen hatte«. Diese Verführung erweist sich jedoch aus der Perspektive Karls, der »keine<br />
Gefühle <strong>für</strong> jenes Mädchen« hatte, als Vergewaltigung: sie »führte ihn«, heißt es unmittelbar bevor<br />
der Text dieser Szene einsetzt, »unter Grimassen seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte.«<br />
Erni verteilt den Erzähltext auf einen Sänger (Karl) <strong>und</strong> eine erzählende Sängerin, der eine, von der<br />
Komponistin selbst hergestellte <strong>Musik</strong>dose als sirenenhaftes, Unschuld vortäuschendes Instrument<br />
der Verlockung beigesellt ist. Das in der <strong>Musik</strong>dose enthaltene <strong>und</strong> nach <strong>und</strong> nach abgespielte<br />
musikalische Material wird zuerst im Klavierpart exponiert, im Verlauf der Szene durchführungsartig<br />
verarbeitet <strong>und</strong> einem ostinat wiederholten, rhythmisch‐aggressiven Motiv entgegengesetzt. CW<br />
Valentin Oberson, Le senti… ment!<br />
Ein Triangel ist Zentrum <strong>und</strong> gleichzeitig Symbol dieser tragikomisch klassischen Dreiecksgeschichte<br />
zwischen Ehefrau, Ehemann <strong>und</strong> Liebhaber. Mit Stimmgabeln bewaffnet bewegen sich die drei<br />
Akteure im Gefängnis ihres Dreiecks <strong>und</strong> versuchen die Fäden zu ziehen. Doch Marionetten gleich<br />
entgehen sie nicht der Strafe <strong>für</strong> böses Tun: ein Röcheln beendet den hübschen Gesang in diesem<br />
buffonesken Intermezzo à trois. AL<br />
Yen‐Ning Chiu, In tiefer Nacht<br />
Franz Kafka war, wie viele Literaten, auch ein passionierter Briefschreiber. Zu Beginn seiner<br />
schließlich scheiternden Beziehung mit Felice Bauer schrieb er ihr in einem Brief, »zum Beweis<br />
dessen, dass die Nachtarbeit überall, auch in China[,] den Männern gehört«, »ein kleines<br />
chinesisches Gedicht« ab: Ein Mann verbringt die Nacht lieber mit seinem Buch als mit seiner<br />
Fre<strong>und</strong>in, die ihm schließlich zornig die Leselampe entreißt. So spielerisch dieses Gedicht auch im<br />
Brief eingeführt wird: Kafka benutzt es in der weiteren Korrespondenz als archetypisches Symbol<br />
nicht nur seiner selbst als Schriftsteller, sondern der Unvereinbarkeit der Geschlechter überhaupt<br />
<strong>und</strong> interpretiert schließlich die Schlusswendung des Gedichts nicht als Sieg, sondern als<br />
»Selbsttäuschung der Frau«. In ihrer Vertonung konzentriert sich Yen‐Ning Chiu mit rotierenden<br />
Figuren <strong>und</strong> impressionistischen Akkordschichtungen ganz auf die magische Anziehungskraft, die das<br />
Buch auf den Mann ausübt. CW<br />
Victor Alexandru Colțea, Zori (Morgendämmerung)<br />
Das Lied von der Pinie <strong>und</strong> das Lied der Morgendämmerung sind zwei der ältesten Begräbnisgesänge<br />
aus Rumänien. Sie haben ihren Ursprung in vorchristlicher Zeit; das Lied der Morgendämmerung<br />
stammt aus dem Volk der Daker, wobei die Morgendämmerung als die »Schwestern der Sonne«<br />
verstanden wird.<br />
Das Lied der Morgendämmerung hat als Begräbnisgesang die Funktion, die Verstorbenen ins Jenseits<br />
zu geleiten. Die Sänger riefen die Verstorbenen bei ihrem Namen <strong>und</strong> bereiteten sie auf ihr Dasein<br />
im Jenseits vor. Vor dem Begräbnis, in der Morgendämmerung, pflegten einige alte Frauen zu den<br />
Toten von draußen durch das Fenster, danach aus dem Inneren des Hauses zu singen, wobei sie sich<br />
gen Osten wandten.<br />
Bei Begräbnissen von jungen <strong>und</strong> unverheirateten Männern oder Frauen war es Brauch, eine Pinie<br />
zu schmücken, die den imaginären Ehepartner darstellen sollte. Junge Männer suchten im Wald<br />
nach der Pinie des Verstorbenen. Es herrschte der Glaube, dass jeder Mensch seine eigene Pinie<br />
habe, die irgendwo im Wald verborgen sei, die erkannt <strong>und</strong> zu dem Grab des Jungverstorbenen<br />
gebracht werden müsse, da dieser sonst nicht in Frieden ruhen könne. Sobald die Pinie in den Hof<br />
des Verstorbenen gebracht war, begannen die Frauen das Lied von der Pinie zu singen <strong>und</strong><br />
schmückten den Baum mit Süßigkeiten, Früchten, Bändern, Tüchern <strong>und</strong> anderen Utensilien. Danach<br />
wurde die Pinie zum Friedhof getragen <strong>und</strong>, in der Nähe des Kreuzes, auf das Grab gepflanzt zum<br />
Zeichen, dass der Jungverstorbene in das Jenseits eingegangen ist. Victor Alexandru Colțea<br />
23
Kurzbiographien der Komponistinnen <strong>und</strong> Komponisten<br />
Daniela Achermann<br />
Daniela Achermann, geboren 1972, absolviert zurzeit, nach einer pianistischen Ausbildung an der<br />
<strong>Musik</strong>hochschule Basel <strong>und</strong> einem umfassenden Studium der klassischen indischen <strong>Musik</strong> in Basel<br />
<strong>und</strong> den USA, ein Studium in Orgel‐Performance <strong>und</strong> Komposition an der <strong>Hochschule</strong> Luzern —<br />
<strong>Musik</strong>.<br />
Asija Ahmetžanova<br />
Asija Ahmetžanova wurde 1992 in Riga geboren. Im Jahr 2010 absolvierte sie die E. Dārziņš<br />
Spezialmusikschule bei I. Treija <strong>und</strong> L. Paula (Klavier) <strong>und</strong> I. Zemzaris (Komposition). Von 2010 bis<br />
2012 studierte sie in Estland Klavier bei Prof. Aleksandra Juozapénaité‐Eesmaa. Seit 2012 studiert sie<br />
an der <strong>Hochschule</strong> Luzern — <strong>Musik</strong> Klavier bei Prof. Konstantin Lifschitz <strong>und</strong> Komposition bei Prof.<br />
Dieter Ammann.<br />
Alexander L. Bauer<br />
Alexander L. Bauer wurde 1993 in München geboren. Er erhielt ab seinem fünften Lebensjahr<br />
Klavier‐ <strong>und</strong> Orgelunterricht. 2003 begann er ein Frühstudium an der Universität Mozarteum<br />
Salzburg im Fach Orgel bei Prof. Hannfried Lucke, seit 2012 studiert er Komposition bei Prof.<br />
Christian Ofenbauer. Er ist Preisträger mehrerer Orgelwettbewerbe.<br />
Yen‐Ning Chiu<br />
Yen‐Ning Chiu wurde 1988 in Taiwan geboren. Sie erwarb 2011 den Bachelor in Komposition an der<br />
National Taiwan Normal University bei Prof. Mao‐Shuen Chen <strong>und</strong> Prof. Ching‐Yu Hsiao <strong>und</strong> 2013<br />
den Master in Komposition an der Universität Mozarteum Salzburg bei Prof. Reinhard Febel. Derzeit<br />
setzt sie ihr Studium an der Universität Mozarteum Salzburg im Studiengang Postgraduate /<br />
Komposition bei Prof. Reinhard Febel fort.<br />
Victor Alexandru Colțea<br />
Victor Alexandru Colțea, geboren 1986 in Rumänien, erhielt seinen ersten <strong>Musik</strong>unterricht im Alter<br />
von drei Jahren bei seinem Vater, Vasile Colțea, einem Gitarristen. 2009 beendete er sein<br />
<strong>Musik</strong>studium an der <strong>Musik</strong>universität in Bukarest in der Klasse von Dan Dediu, <strong>und</strong> im 2011 sein<br />
Masterstudium an der <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> Hamburg in der Klasse von Prof. Fredrik Schwenk.<br />
Zurzeit studiert er in der Klasse von Prof. Dieter Ammann an der <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> in Luzern.<br />
Bereits 2008 gewann er den Ersten Preis beim Nationalen Kompositionswettbewerb Stefan<br />
Niculescu <strong>und</strong> 2009 den Sonderpreis des George Enescu Museums beim International Composition<br />
Contest George Enescu mit seinem Klavierkonzert. Anfang 2012 erhielt er ein Stipendium an der Cité<br />
Internationale des Artes, Paris.<br />
Colțeas Werke wurden bereits bei bedeutenden Festspielen in Rumänien aufgeführt (Internationale<br />
Woche <strong>für</strong> Neue <strong>Musik</strong>; George Enescu International Festival; Innerso<strong>und</strong> International Festival;<br />
ISCM – Rumänien) sowie in Deutschland (Komponieren Heute — KLANG!) <strong>und</strong> Österreich <strong>und</strong> in<br />
verschiedenen Konzertsälen u.a. in Deutschland, Frankreich <strong>und</strong> in der Schweiz.<br />
Stefanie Erni<br />
Die 1990 geborene Sopranistin studiert zurzeit bei Barbara Locher an der <strong>Hochschule</strong> Luzern —<br />
<strong>Musik</strong> Master of Arts in <strong>Musik</strong>pädagogik <strong>und</strong> Komposition. Neben Erfahrungen im <strong>Musik</strong>theater<br />
(Luzerner Theater) singt <strong>und</strong> komponiert sie <strong>für</strong> die <strong>Musik</strong>gruppe »Maulwurf«.<br />
24
Ole Hübner<br />
Ole Hübner, geboren 1993, studierte als Frühstudent bei Benjamin Lang <strong>und</strong> Joachim Heintz an der<br />
HMTM Hannover <strong>und</strong> seit 2011 bei Prof. Johannes Schöllhorn <strong>und</strong> Prof. Michael Beil an der HfMT<br />
Köln. Er arbeitet(e) u.a. mit dem Theater Aachen, dem Studio <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> neues<br />
<strong>Musik</strong>theater Stuttgart, mam.manufaktur <strong>für</strong> aktuelle musik, Xenon‐Saxophonquartett <strong>und</strong><br />
Ensemble Garage zusammen. Er war von 2011 bis 2013 Stipendiat des Landes Nordrhein‐Westfalen<br />
<strong>und</strong> bloggt mit weiteren KomponistInnen auf »couldn’t find a bomb«.<br />
www.olehuebner.wordpress.com | www.couldntfindabomb.net<br />
Michele Leisibach<br />
Michele Leisibach wurde 1990 in Balerna (Kanton Tessin / Schweiz) geboren. Schon bald erkannte er<br />
seine große Leidenschaft <strong>für</strong> die <strong>Musik</strong>, sodass er bereits im Jahr 2005 das »Conservatorio della<br />
Svizzera italiana« in Lugano besuchte. Dort erhielt er Saxophon‐, Klavier‐, Theorie‐ <strong>und</strong><br />
Harmonieunterricht.<br />
Nach der erfolgreich abgelegten Matura im Jahre 2009 studierte er klassisches Saxophon an der<br />
<strong>Hochschule</strong> Luzern — <strong>Musik</strong> bei Beat Hofstetter <strong>und</strong> Sascha Armbruster. Im Sommer 2012 erwarb er<br />
den »Bachelor in Arts of Music« mit Auszeichnung <strong>und</strong> befindet sich zurzeit in Luzern im<br />
Studiengang »Master of pedagogy«.<br />
Das Komponieren ist <strong>für</strong> Michele eine sehr wichtige Tätigkeit, die <strong>für</strong> ihn vom Anfang an eine<br />
bedeutende Rolle gespielt hat. Seit 2012 besucht er zusätzlich den Kompositionsunterricht bei Josef<br />
Kost.<br />
Valentin Oberson<br />
Valentin Oberson, geboren 1986, kam schon als kleiner Junge mit <strong>Musik</strong> in Kontakt. In der<br />
<strong>Musik</strong>schule seines Dorfes erlernte er im Alter von 6 Jahren das Flötenspiel. Dann ging er bei Michel<br />
Weber, einem Jazzer, in den ersten Saxophonunterricht <strong>und</strong> später bei Philippe Savoy — beide<br />
Lehrer am Conservatoire de Fribourg —, welcher ihm das klassische Saxophonspiel näher brachte.<br />
2009 wurde Valentin Oberson in die Saxophonklasse von Prof. Beat Hofstetter <strong>und</strong> Sascha<br />
Armbruster an der <strong>Hochschule</strong> Luzern — <strong>Musik</strong> aufgenommen. Seit 2011 studiert er Komposition<br />
bei Prof. Dieter Ammann.<br />
Marius Schötz<br />
Marius Schötz studierte von 2010 bis 2012 Schulmusik an der <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Darstellende</strong> Kunst Frankfurt. Er wechselte 2012 an die <strong>Musik</strong>hochschule Stuttgart <strong>und</strong> begann dort<br />
seinen Bachelor in Komposition mit dem Hauptfach Gesang. Zu seinen Lehrern gehörten unter<br />
anderem Claus Kühnl, Prof. Caspar Johannes Walter <strong>und</strong> Michael Reudenbach sowie Prof. Henriette<br />
Meyer‐Ravenstein <strong>und</strong> Prof. Frank Wörner in Gesang. Zusätzlich nimmt er an Aufführungen <strong>und</strong><br />
Produktionen des Studios <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> Neues <strong>Musik</strong>theater teil.<br />
Sara Wüest<br />
Sara Wüest wurde 1977 geboren. Sie spielt E‐Bass, E‐Gitarre <strong>und</strong> klassische Gitarre. Nach dem<br />
Bachelorstudium Jazz an der <strong>Hochschule</strong> Luzern — <strong>Musik</strong> studiert sie dort seit 2012 Komposition. Sie<br />
spielte in diversen Jazz‐, Pop‐ <strong>und</strong> Rockformationen mit <strong>und</strong> konzentriert sich jetzt auf das<br />
Komponieren, vor allem im Bereich Contemporary Music.<br />
25
Studio <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> Neues <strong>Musik</strong>theater<br />
an der <strong>Staatliche</strong>n <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Darstellende</strong> Kunst Stuttgart<br />
Die Stadt, in der wir leben <strong>und</strong> arbeiten, ist wie kein anderer Ort prädestiniert <strong>für</strong> eine Institution<br />
Neuen <strong>Musik</strong>theaters mit dem Schwerpunkt: der Mensch mit seiner Stimme im theatralischen<br />
Raum.<br />
Denn Stuttgart weist in seiner Geschichte nach 1945 eine außerordentliche Vielfalt an<br />
Entwicklungen Neuer <strong>Musik</strong> mit dem Schwerpunkt Stimme auf.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Ausstattung der <strong>Hochschule</strong> mit der einzigartigen Kombination des Lehrangebots von<br />
Neuer Vokalmusik, Gesang, Liedklasse, Institut <strong>für</strong> Sprechkunst, Schauspiel, Opernschule <strong>und</strong><br />
Figurentheater neben anderen Studiengängen wie den Instrumentalfächern, dem Studio <strong>für</strong> Neue<br />
<strong>Musik</strong>, dem Elektronischen Studio oder auch dem Studio <strong>für</strong> Alte <strong>Musik</strong> können sich hier<br />
Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstler quer durch die Fakultäten, Studierende <strong>und</strong> Dozenten jenseits aller<br />
Hierarchien gemeinsam an kreativen Prozessen beteiligen. Eine solche interaktive Entwicklung von<br />
<strong>Musik</strong>, Theater <strong>und</strong> Raum ist spannend, voller Energie <strong>und</strong> immer wieder überraschend.<br />
Mit dem Ziel Ausführende heranzubilden, die den komplexen Anforderungen Neuen <strong>Musik</strong>theaters<br />
gewachsen sind, betreuen die Leiterin des Studios, Prof. Angelika Luz, <strong>und</strong> Prof. Frank Wörner die<br />
Studiengänge Master <strong>und</strong> Konzertexamen Neue <strong>Musik</strong>/Gesang. Bernd Schmitt ergänzt das Team in<br />
den Bereichen Dramaturgie <strong>und</strong> Szene.<br />
Seit der Gründung des Studios <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> Neues <strong>Musik</strong>theater 2011 entstanden in der<br />
Zusammenarbeit mit Galerien, mit Bibliotheken, mit Kirchen <strong>und</strong> Veranstaltern in Stuttgart <strong>und</strong> in<br />
der Region zahlreiche Programme vom szenischen Lied über <strong>Musik</strong>theater bis zur Performance.<br />
Nach der <strong>Musik</strong>theaterproduktion 2012 Die drei Tode des Narziss mit fünf Uraufführungen im<br />
Wilhelmspalais <strong>und</strong> der zweiten <strong>Musik</strong>theaterproduktion mit der Uraufführung die fette seele beim<br />
Kirchenmusikfestival in Schwäbisch Gmünd 2013 folgt nun das Lied‐Projekt mit Szene <strong>und</strong><br />
Figurentheater Frauenliebe mit <strong>Musik</strong> von Robert Schumann <strong>und</strong> Uraufführungen von<br />
Kompositionsstudierenden aus den kooperierenden <strong>Hochschule</strong>n Luzern, Salzburg <strong>und</strong> Stuttgart.<br />
Die Produktion Aventures I Spiel I Nouvelles Aventures von G. Ligeti <strong>und</strong> S. Beckett in Kooperation<br />
mit der <strong>Musik</strong>hochschule Saarbrücken <strong>und</strong> tonArt Esslingen findet am 13. Februar 2014 in der<br />
Dieselstrasse in Esslingen statt. Die szenische Leitung übernimmt Prof. Frank Wörner.<br />
Die Anmeldungen von Teilnehmern aus allen Kontinenten <strong>für</strong> die jährlich stattfindenden<br />
Meisterkurse <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> Neues <strong>Musik</strong>theater — in diesem Jahr vom 17. bis 21. Februar —<br />
bestätigen das außergewöhnliche Profil dieser Studio‐Einrichtung an der <strong>Staatliche</strong>n <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Musik</strong> <strong>und</strong> <strong>Darstellende</strong> Kunst Stuttgart.<br />
Prof. Angelika Luz<br />
26
Studiengang Figurentheater<br />
MISSION STATEMENT<br />
BRÜCHIGE KÖRPER<br />
Verkörperungen, Entkörperungen im zeitgenössischen Kontext<br />
Wir spielen als Figurenspieler mit Konstruktionen <strong>und</strong> Dekonstruktionen von Körperbildern:<br />
Fremdkörper, Kunstkörper, Objektkörper. Puppenkörper sind Körperabbildungen, Körperbilder.<br />
Neben der handwerklichen Fähigkeit, durch Animation eine Illusion zu erwecken, wollen wir in der<br />
Ausbildung den Aspekt der Körperverhandlungen im Puppen‐ <strong>und</strong> Figurenspiel herausstellen. Eine<br />
der Herausforderungen <strong>für</strong> das Figurentheater heute ist, sich auf das weite Feld der Körperdiskurse<br />
zu beziehen. Reaktionen auf die zeitgenössische Erfahrung einer brüchigen Körperlichkeit, wie sie<br />
bereits seit den 1990er Jahren in verschiedenen Körperdiskursen thematisiert wurde, rühren an den<br />
Wesenskern dieser Kunstform.<br />
Diese Voraussetzungen stellen dem Figurentheater neue Fragen <strong>und</strong> fordern auf, Position zu<br />
beziehen. Wir möchten Figurentheater nicht mehr nur als Synthese von Bildender <strong>und</strong> <strong>Darstellende</strong>r<br />
Kunst verstehen, sondern versuchen, es neu zu verorten innerhalb der Spannbreite zwischen der<br />
Theatralisierung der Bildenden Kunst <strong>und</strong> der Performance Kunst. Dass junge Figurenspieler sich vor<br />
diesem Hintergr<strong>und</strong> neu behaupten, ist eine wesentliche Zielsetzung unserer Ausbildung.<br />
Prof. Stephanie Rinke — Prof. Julika Mayer — Prof. Florian Feisel<br />
Master Lied <strong>für</strong> Sänger <strong>und</strong> Pianisten<br />
Der viersemestrige Studiengang Master Lied an der <strong>Staatliche</strong>n <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Musik</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Darstellende</strong> Kunst Stuttgart ist <strong>für</strong> Studierende der Fächer Gesang <strong>und</strong> Klavier gleichermaßen bzw.<br />
<strong>für</strong> Liedduos konzipiert <strong>und</strong> wird von Prof. Cornelis Witthoefft geleitet. Im Verlauf ihres Studiums<br />
erwerben Studierende beider Disziplinen, über die Beherrschung ihres jeweiligen Instruments<br />
hinaus, neben Kenntnissen in der Einordnung <strong>und</strong> Aneignung des sehr großen, zur Verfügung<br />
stehenden <strong>und</strong> vom Barock bis zur zeitgenössischen <strong>Musik</strong> stilistisch äußerst vielgestaltigen<br />
Repertoires in verschiedenen Sprachen, Fähigkeiten im Verständnis des gesungenen Textes <strong>und</strong> im<br />
Erkennen des Verhältnisses von Text <strong>und</strong> <strong>Musik</strong>, in der Erarbeitung gr<strong>und</strong>legender<br />
Interpretationshaltungen, in der Bühnenpräsentation <strong>und</strong> im kammermusikalischen Zusammenspiel,<br />
mit dem Ziel der Herausbildung einer künstlerischen Persönlichkeit auf der Gr<strong>und</strong>lage von<br />
handwerklicher Beherrschung <strong>und</strong> des Bewusstseins <strong>für</strong> das historisch gewordene Kunstwerk <strong>und</strong><br />
die eigene Individualität. Spezifische Beachtung erfährt <strong>für</strong> Gesangsstudierende die Verbindung von<br />
Gesang <strong>und</strong> Sprache im Vortrag, <strong>für</strong> Pianistinnen <strong>und</strong> Pianisten die Ausbildung der Klangqualität <strong>und</strong><br />
die Textinterpretation im Klavierpart. Die so erworbenen Kompetenzen können in den Disziplinen<br />
Gesang <strong>und</strong> Klavier wiederum auf andere Bereiche übertragen werden.<br />
Über turnusmäßige Vortragsabende hinaus entstehen <strong>für</strong> die Studierenden durch Kooperationen<br />
mit verschiedenen Veranstaltern außerhalb <strong>und</strong> Nachbareinrichtungen innerhalb der <strong>Hochschule</strong>,<br />
wie dem Institut <strong>für</strong> Sprechkunst <strong>und</strong> dem Studio <strong>für</strong> Stimmkunst <strong>und</strong> Neues <strong>Musik</strong>theater,<br />
vielfältige Auftritts‐ <strong>und</strong> Erfahrungsmöglichkeiten zur Erweiterung ihres künstlerischen Spektrums.<br />
Aus der Klasse sind im Laufe von fast zehn Jahren in den Fächern Gesang <strong>und</strong> Klavier zahlreiche<br />
Preisträger <strong>und</strong> Erste Preisträger internationaler Wettbewerbe hervorgegangen.<br />
Prof. Cornelis Witthoefft<br />
Redaktion des <strong>Programmheft</strong>s: Cornelis Witthoefft<br />
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