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- Cottbuser Bühnen<br />
Cottbuser Bühnen Gesehen , Gehört, Gespräche<br />
Ja, in Cottbus gibt es ein Soundlab, ein Klanglabor.<br />
Nein, gemeint sind keine jungen Musiker a la „Elektrobär“,<br />
umgeben von Computern, elektronischen<br />
Geräten und Kabelsalat.<br />
Wobei - möglicherweise sollte man Evan Christ<br />
und die ´Bären´ mal zusammenbringen. Denn die<br />
Soundlab-Komponisten <strong>de</strong>s Cottbuser Generalmusikdirektors<br />
sind kaum älter als die Kreativen <strong>de</strong>r<br />
Elektro-Kultband.<br />
Die Band, mit <strong>de</strong>r Evan Christ probt, umfasst 74<br />
Instrumentalisten. Es ist das Philharmonische Orchester<br />
<strong>de</strong>s Staatstheaters Cottbus. Und ihr Labor<br />
ist entsprechend groß, die Orchesterprobenbühne<br />
Lausitzer Straße.<br />
Seit Jahren schon ist die mo<strong>de</strong>rne Musik eines <strong>de</strong>r<br />
wichtigen Anliegen <strong>de</strong>s GMD. In je<strong>de</strong>m Philharmonischen<br />
Konzert stellt Evan Christ ein neues Werk<br />
vor. In aller Regel sind es Uraufführungen, die extra<br />
für Cottbus entstan<strong>de</strong>n. „Composers in resi<strong>de</strong>nce“<br />
war eines <strong>de</strong>r auch überregional vielbeachteten Formate,<br />
die die Basis bil<strong>de</strong>ten. Zirka einen Monat lang<br />
waren dafür Komponisten vor Ort, hier bei uns in<br />
Cottbus, um Eindrücke <strong>de</strong>r Region zu gewinnen und<br />
Anregungen für musikalische I<strong>de</strong>en zu erhalten. Wie<strong>de</strong>r<br />
zu Hause entstan<strong>de</strong>n dann die Kompositionen.<br />
Nun, bei <strong>de</strong>r Verlängerung <strong>de</strong>s Vertrages mit Evan<br />
Christ um weitere drei Jahre, stellte er sich die Frage,<br />
wie sich die erreichten Grundlagen mo<strong>de</strong>rner Musik<br />
weiter vertiefen ließen. Denn die Beschäftigung mit<br />
neuer Musik bereicherte nicht nur die Konzerte, son<strong>de</strong>rn<br />
trug wesentlich dazu bei, dass das Orchester die<br />
heutige Klasse und Reife erreichte.<br />
Evan Christ hierzu im Soundlab-Pressetermin: „Man<br />
muss auch beachten, es gibt Orchester, die sind nur<br />
auf Neue Musik spezialisiert, die machen nichts an<strong>de</strong>res<br />
und kennen diese Spieltechniken, die sich vom<br />
klassischen Orchester doch sehr unterschei<strong>de</strong>n. Und<br />
wir hier haben ein klassisches Orchester, da musste<br />
sehr viel ganz neu erlernt wer<strong>de</strong>n. Mit durchaus<br />
ganz beson<strong>de</strong>ren Problemen, wie ´ungreifbaren´ Tönen,<br />
die offenbar ganz beson<strong>de</strong>rs große Hän<strong>de</strong> erfor<strong>de</strong>rn.“<br />
Und die mo<strong>de</strong>rne Musik hat eine weitere Herausfor<strong>de</strong>rung:<br />
Die bisherige Notenschrift kennt für viele<br />
<strong>de</strong>r vom Komponisten gewünschten speziellen Klänge<br />
schlicht keine Zeichen.<br />
Wie sich herausstellte, war das, was das Orchester<br />
anhand <strong>de</strong>r Partituren mit einiger Mühe erarbeitete<br />
COTTBUS SOUNDLAB<br />
dann teils nicht das, was <strong>de</strong>r Komponist wollte.<br />
Genau hier hatte Evan Christ die I<strong>de</strong>e für das<br />
Soundlab: Die Komponisten reisen nicht ab, son<strong>de</strong>rn<br />
erarbeiten das Stück direkt mit <strong>de</strong>n Dirigenten und<br />
<strong>de</strong>m Orchester: <strong>de</strong>n Cottbuser Klang.<br />
Nach <strong>de</strong>m neuen Konzept entstehen pro Woche acht<br />
Takte neuer Musik. Dann geht es in <strong>de</strong>n Probenraum,<br />
die Komposition wird vorgestellt und diskutiert. Und<br />
wie es scheint, geht die I<strong>de</strong>e auf. Nach kurzem Zögern<br />
wur<strong>de</strong> dieser Workshop-Charakter bei<strong>de</strong>rseits<br />
rege angenommen.<br />
Musiker Matthias Schella (Viola) dazu: „Für uns ist es<br />
ganz wichtig, mal direkt vom Komponisten zu hören,<br />
welche Intentionen er hat. Sonst bekommt man etwas<br />
vorgesetzt und kennt <strong>de</strong>n Hintergrund zu wenig.<br />
Es hat viel gebracht und war gegenseitig sehr wichtig.<br />
Auch <strong>de</strong>r Komponist lernt etwas, beispielsweise<br />
über eine besser zu interpretieren<strong>de</strong> Notation.“<br />
Und zum Thema <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> klassischer und<br />
mo<strong>de</strong>rner Musik ergänzt sein Kollege Steffen Picl:<br />
„Auch die jetzigen Komponisten wollen Emotionen<br />
ausdrücken. Sie versuchen zum Beispiel Umweltgeräusche<br />
einzubringen. Je<strong>de</strong>r hat jedoch diesen gewaltigen<br />
Rucksack einiger Jahrhun<strong>de</strong>rte bisheriger<br />
Musik im Gepäck. Um nun neue Klänge darzustellen,<br />
reicht aber die bisherige Notation nicht aus, es ist<br />
also schwer, <strong>de</strong>n Klang schriftlich zu übermitteln.<br />
Das Soundlab bringt da viel, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Komponist<br />
kann uns einfach beschreiben, welchen Klang er<br />
möchte, und wir können ihm sagen, wie man dies<br />
besser in Notensprache bringt.“<br />
Es war für die Orchestermusiker sehr spannend, unmittelbar<br />
an <strong>de</strong>n Emotionen <strong>de</strong>s Komponisten teilzuhaben<br />
und sich neue Klänge und neue Spielarten zu<br />
eigen zu machen.<br />
Evan Christ: „Der Lernprozess war enorm. Jedoch inzwischen<br />
ist es auch oft Stolz, was man gemeinsam<br />
schafft. Früher gab es bei neuen Partituren häufiger<br />
sofort die Einwürfe: ´Herr Christ, das geht nicht.´,<br />
nun gibt es oft die Reaktion, als erster eine Lösung<br />
anbieten zu können.“<br />
Auch zwei Komponisten sind anwesend und kommen<br />
nun zu Wort, Atli Ingólfsson aus Island: Der Komponist<br />
war häufig frustriert über das Ergebnis <strong>de</strong>s Orchesters.<br />
Es gab nur sehr wenige Proben, dann musste<br />
das laufen. Zeit zu haben, nun beim Soundlab, ist<br />
nicht einfach eine quantitative Frage, „ Das Orchester<br />
ist ein Theater <strong>de</strong>s Klanges“, erläutert er, „Zeit ist die<br />
Möglichkeit etwas gemeinsam zu entwickeln und<br />
<strong>de</strong>n Musikern die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Stückes zu vermitteln.“<br />
Das Stück wird Teil <strong>de</strong>s Bewusstseins <strong>de</strong>r Musiker,<br />
so, wie man es sonst nur von einem Schauspieler<br />
kennt, <strong>de</strong>r lange Zeit hat, um sich in eine Rolle zu<br />
versetzen: „Es hat mich sehr stolz gemacht, zu hören,<br />
wie das Orchester sich mein Stück zu eigen gemacht<br />
hat. Sie wussten, was sie tun und waren vom Stück<br />
überzeugt, das Publikum merkt das.“<br />
Luís Antunes Pena (Portugal) meint: „Das Wesentliche<br />
am Soundlab ist die Begegnung mit einem<br />
Klangkörper, <strong>de</strong>r gewohnt ist, klassische Musik zu<br />
spielen. Und es hat sich gezeigt, dass dieser Austausch<br />
mit <strong>de</strong>n Musikern soweit geht, dass ich beim<br />
Komponieren schon ein konkretes Gesicht eines Musikers<br />
vor mir sehe, <strong>de</strong>r diesen Ton spielen wird.“<br />
Matthias Schella dazu: „Wir sind schon gerne Werkzeug,<br />
sind gerne Interpreten, wir wollen uns aber<br />
auch ungern psychologisch überlisten lassen. Dass<br />
man also etwas ´unspielbar´ notiert, damit es dann<br />
im Klang hektisch wird. Besser ist, man sagt uns, das<br />
soll jetzt hektisch klingen, dann spielen wir das aus<br />
Überzeugung.“<br />
Steffen Picl lacht: „Ja, es ergaben sich auch Situationen,<br />
wo man <strong>de</strong>n Komponisten fragen musste:<br />
´Willst du wirklich das, was du hier geschrieben<br />
hast?´, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n entstehen<strong>de</strong>n Klang konnten wir<br />
nicht nachvollziehen. Durch <strong>de</strong>n Austausch wur<strong>de</strong><br />
dann das beabsichtigte Ergebnis möglich.“<br />
Genug <strong>de</strong>r Theorie. Die Presserun<strong>de</strong> wird nach nebenan<br />
gebeten, in <strong>de</strong>n Probensaal.<br />
Die Musiker haben am Morgen ganz neue Noten erhalten.<br />
Und Evan Christ schlägt vor, die ersten Takte<br />
erst einmal völlig kommentarlos durchzuspielen.<br />
Atli Ingólfsson steht mal beim Dirigenten, geht mal<br />
durch <strong>de</strong>n Raum, schließt die Augen und lässt die<br />
Klänge auf sich wirken. Danach, quasi Ton für Ton,<br />
Instrument für Instrument geht es an die Erarbeitung<br />
<strong>de</strong>r Details und Klänge. Evan Christ erklärt<br />
Tempi und Dynamiken, dann braucht es hier einen<br />
Dämpfer, eine Rassel dort, eine Vibration entsteht,<br />
doch nun ist <strong>de</strong>r Ton zu hoch, muss also tiefer, als<br />
notiert gespielt wer<strong>de</strong>n. Der Dialog hierzu ist dreisprachig:<br />
Deutsch-Englisch-Musik.<br />
Wie <strong>de</strong>r Staubsauger-Schlauch mit <strong>de</strong>r Posaune genutzt<br />
wer<strong>de</strong>n soll erklärt Atli Ingólfsson dann direkt<br />
am Instrument. Die praktische Umsetzung sorgt für<br />
viel Heiterkeit im Orchester und sicher später auch<br />
im Publikum.<br />
Sehr schnell wird klar, dass es für all die „Zusatzgeräte“<br />
und <strong>de</strong>ren Spielweise einfach keine Nie<strong>de</strong>rschrift<br />
in normalen Noten geben kann. „Spielt Löwe“,<br />
steht in <strong>de</strong>n Blättern, o<strong>de</strong>r „spielt Waldteufel“, auch<br />
„sehr variierte Lautstärke“ - Erklärung <strong>de</strong>s GMD dazu:<br />
„Die Dynamik ist nach Belieben und alle beginnen<br />
sofort, je<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Takt, in <strong>de</strong>m er will - und dann<br />
immer wie<strong>de</strong>rholen.“<br />
„Sehr gut, auch psychologisch“, meint Atli Ingólfsson<br />
nun auf Deutsch, um Englisch fortzufahren, seine<br />
I<strong>de</strong>e weiter zu erklären: „Es sind nur Geräusche, aber<br />
kontrollierte Geräusche mit vielen Gemeinsamkeiten.“<br />
- „Super, sofort zu verstehen.“, sagt er nach<br />
<strong>de</strong>m nächsten Durchlauf.<br />
Weiter geht die Probe mit verschie<strong>de</strong>nen Fassungen<br />
<strong>de</strong>r nächsten vier Takte. Sekun<strong>de</strong> für Sekun<strong>de</strong> wird<br />
erarbeitet. Die Entscheidung zwischen <strong>de</strong>n Fassungen<br />
fällt per Abstimmung im gesamten Orchester.<br />
„D“ gewinnt, und weiter geht es mit Anregungen, Fragen<br />
- dann <strong>de</strong>r nächste Komponist.<br />
Jens Pittasch, Foto: Marlies Kross, Soundlab-Logo Gestaltung:<br />
Andreas Klose