LandtagsNachrichten - Landtag Mecklenburg Vorpommern
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G a s t k o l u m n e<br />
Nichtwählen<br />
tut der Demokratie<br />
nicht gut<br />
Foto: SVZ<br />
Parteien dienen der politischen Willensbildung. Parlamente<br />
und die von ihnen getragenen Regierungen sollen Gesellschaft<br />
gestalten. Doch wer hat ihnen dafür eigentlich das<br />
Mandat erteilt? Repräsentieren die Parlamente tatsächlich<br />
die ganze Gesellschaft, oder bleibt nicht vielmehr ein Teil<br />
der Bevölkerung permanent ausgesperrt?<br />
Am 22. September war die Freude groß über die leicht gewachsene<br />
Wahlbeteiligung. Doch die Beteiligung im Osten<br />
Deutschlands hinkte wie immer seit 1990 dem Bundesschnitt<br />
hinterher. In M-V noch deutlicher als in Brandenburg.<br />
So muss man konstatieren, dass im Nordosten rund<br />
ein Drittel der Wahlberechtigten zuhause blieb. Das ist deren<br />
gutes Recht, aber es tut der Demokratie nicht gut.<br />
Leider gibt es keine verlässlichen Angaben darüber, wie<br />
sich die „Partei der Nichtwähler“ zusammensetzt. Gewiss<br />
sind ein Teil davon bewusste Verweigerer aus traditionellen<br />
Wählermilieus, die sich nicht mehr wiederfinden. Also etwa<br />
Konservative, denen die Merkel-CDU zu sozialdemokratisiert<br />
scheint. Oder SPD-Anhänger, denen die Agenda 2010<br />
als Verrat am Proletariat, also an der Sozialdemokratie, gilt.<br />
Oder Grünen-Anhänger, denen die Öko- und Bürgerrechtspartei<br />
zu sehr Teil des Establishments geworden ist.<br />
Man darf jedoch unterstellen, dass sich Nichtwähler nicht<br />
unwesentlich auch aus jenen sozialen Kreisen rekrutieren,<br />
die den Eindruck haben, dass sich Parteien ohnehin nicht<br />
für sie interessierten, dass sie sowieso immer am kürzeren<br />
Hebel säßen, dass sich ihre Lebenssituation ohnehin in keinem<br />
Partei- oder gar Wahlprogramm wiederfinde. Menschen<br />
also, die womöglich nach großen Hoffnungen zu<br />
Zeiten des Mauerfalls resigniert haben und der Politik nichts<br />
mehr zutrauen. Und die sich deshalb mit keiner Faser (mehr)<br />
für politische Wirk- und Beteiligungs-Mechanismen interessieren.<br />
Noch weniger vermag selbst ein durchschnittlich<br />
politisch interessierter Bürger wiederzugeben, wofür welche<br />
Partei tatsächlich programmatisch steht. Das Phänomen<br />
beschrieb zwar Anfang der 1920er-Jahre auch schon<br />
der gute Tucholsky in seinem Stück „Ein älterer, leicht besoffener<br />
Herr“. Das macht es nicht tröstlicher: Viele Menschen<br />
wählen bestenfalls eine Ahnung von Politik – oder lassen es<br />
von vornherein sein. Die Enttäuschung über die politische<br />
Wirklichkeit ist da geradezu zwangsläufig.<br />
Michael Seidel ist seit Anfang 2013 Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung.<br />
Er war seit 1992 lange Jahre <strong>Landtag</strong>s-Berichterstatter und bis 2006 Vorstandsmitglied<br />
der Landespressekonferenz MV.<br />
Nach jeder Wahl versprechen wir uns, neue, interessantere,<br />
bürgernähere Formen von Politik zu finden. Doch der geschäftsmäßige<br />
Politikbetrieb frisst schnell den guten Vorsatz.<br />
Fraktionssitzungen in der Region oder Bürgersprechstunden<br />
des Ministerpräsidenten zeigen guten Willen, lösen aber<br />
letztlich nicht das Problem. Wer vertritt die Interessen derer,<br />
die sich an den Rand gedrängt fühlen oder es tatsächlich<br />
sind? Wehe uns, wenn diese Menschen wählen gingen! Welcher<br />
Parteien-Ortsverein möchte eigentlich, dass frische, unverstellte<br />
Menschen mitmachen? Was tun Parteimitglieder<br />
dafür, dass sie an der Basis so attraktiv sind, dass bisher nicht<br />
organisierte Menschen dazu gehören und mitmachen wollen?<br />
Wer ermuntert Menschen in abgelegenen Regionen,<br />
sich fürs Gemeinwohl zu engagieren? Wer wirkt als Person<br />
oder als Gruppe gegen all die Klischees, die der Bürger von<br />
„der Politik“ und „den Politikern“ hat?<br />
„ Wer vertritt die Interessen derer,<br />
die sich an den Rand gedrängt<br />
fühlen? „<br />
Wer meint, ein Drittel Nichtbeteiligung sei verschmerzbar, da<br />
doch zwei Drittel immerhin gewählt hätten, verkennt zweierlei:<br />
Niemand vermag zu sagen, wie viele derer, die gewählt<br />
haben, wussten, was sie mit ihrem Votum bewirken. Und<br />
zweitens folgen dieser Bundestagswahl bald Kommunalund<br />
<strong>Landtag</strong>swahlen mit erfahrungsgemäß deutlich niedrigerer<br />
Wahlbeteiligung. So steht das Grundproblem bald<br />
wieder auf der Tagesordnung.<br />
Michael Seidel<br />
<strong><strong>Landtag</strong>sNachrichten</strong> <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong> 7/2013 3