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Petron: Satyricon - Literaturwissenschaft-online

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Ringvorlesung im Sommersemester 2007<br />

Hauptwerke der Weltliteratur II<br />

<strong>Petron</strong>: <strong>Satyricon</strong><br />

Thorsten Burkard<br />

17. 7. 2007


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Gliederung<br />

1. Der antike Roman<br />

2. <strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

3. Die Cena Trimalchionis und das Vulgärlatein<br />

4. Drei weitere Textbeispiele:<br />

Enkolps Rede gegen die Deklamatoren<br />

Der Knabe von Pergamon<br />

Die Witwe von Ephesos


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der Roman in der antiken Gattungshierarchie<br />

• Epos<br />

• Tragödie<br />

• Lyrik<br />

• Elegie<br />

• Komödie<br />

• Geschichtsschreibung<br />

• Rede<br />

• Fachschriften<br />

• Roman = fabulae (Milesiae)) (?)


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Beispiele für f r den antiken Roman<br />

• Longos, Daphnis und Chloe<br />

• Heliodor, Aithiopika<br />

• Chariton, Kallirhoe<br />

• Xenophon von Ephesos, Ephesiaka<br />

• Achilleus Tatios, Leukippe und Kleitophon


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der antike Roman – ein Definitionsversuch<br />

• Dominanz von Prosapassagen<br />

• fiktionale Handlung<br />

• Hauptpersonen sind i.d.R. nicht aus Mythos,<br />

Geschichte oder Politik bekannt<br />

• weitgehend reale Szenerie<br />

• größerer Umfang


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der antike Roman – das Gattungsschema<br />

• Trennung des Liebespaares<br />

• Motiv der Irrfahrt > exotische Länder, L<br />

zumeist im<br />

Osten des Reiches<br />

• Abfolge von Abenteuern (Gefangenschaft, Piraten,<br />

Schiffbruch)<br />

• ewige Treue der Liebenden<br />

• Walten einer Gottheit<br />

• Anlehnung an den Plot der homerischen Odyssee<br />

• idealisierende Darstellung


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der Autor des <strong>Satyricon</strong><br />

• wohl T.(?) <strong>Petron</strong>ius Arbiter, , ein Höfling H<br />

des Kaisers<br />

Nero (reg. 54-68)<br />

• erzwungener Selbstmord im Jahre 66 (stilisierte<br />

Darstellung bei Tacitus)<br />

• pikantes ‚Erbe‘ für r den Kaiser<br />

• <strong>Petron</strong>s Autorschaft ist nicht gänzlich g<br />

gesichert


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der Titel <strong>Satyricon</strong><br />

• Titel gewählt als Parodie auf Ephesiaka, Aithiopika<br />

und ähnliche Titel von Romanen und<br />

Geschichtswerken<br />

• abzuleiten von satira/satura oder Satyrspiel (oder<br />

Anspielung auf beides)<br />

• Satyrn hier verstanden als in den Tag hinein<br />

lebende, lüsterne l<br />

Wesen<br />

• Satura Menippea = aus Vers und Prosa gemischte<br />

Gattung


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Das Subgenre des <strong>Satyricon</strong><br />

• sog. komisch-parodistischer Roman:<br />

Schelmenroman (vgl. Simplicissimus, Felix<br />

Krull)<br />

• Richard Heinze: „Dutzendlump“<br />

• „Im Leben gibt’s s die Bösen B<br />

und die Guten.<br />

Und die dazwischen, das sind die Bagaluten.“


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der Inhalt des erhaltenen <strong>Satyricon</strong><br />

• nur Teile aus den Büchern B<br />

14-16 16 mit Sicherheit<br />

erhalten<br />

• Dreiecksgeschichte: Enkolp (Ich-Erz<br />

Erzähler),<br />

Askyltos,<br />

Giton (Knabe)<br />

• außerdem:<br />

Eumolp (heruntergekommener Dichter),<br />

Agamemnon (Rhetor)<br />

• Zorn des Gottes Priap<br />

• uns erkennbare Handlung spielt im unteritalischen<br />

Raum<br />

• eingelegte Geschichten (Novellen)<br />

• Verseinlagen (Eroberung(<br />

Trojas, Bürgerkrieg) ) ><br />

Parodien?<br />

• literaturkritische Passagen


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Die Cena Trimalchionis<br />

Videris mihi, Agamemnon, dicere: ‚Quid iste argutat molestus?‘<br />

Quia tu, qui potes loquere, non loquis. Non es nostrae fasciae, et<br />

ideo pauperorum verba derides. Scimus te prae litteras fatuum<br />

esse. Quid ergo est? Aliqua die te persuadeam, ut ad villam venias<br />

et videas casulas nostras?<br />

Agamemnon, ich habe den Verdacht, dass du dir denkst: ‚Was<br />

quatscht diese Nervensäge da?‘ Weil du, der reden kann, nicht<br />

redest. Du hast nicht unser Kaliber, und deswegen verspottest du<br />

dem Volk seine Worte. Ich weiß genau, dass du vor lauter Bildung<br />

dumm bist. Wie sieht’s also aus? Werde ich dich eines Tages dazu<br />

bewegen können, meinen Landsitz aufzusuchen und unsere Buden<br />

zu sehen?


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Et iam tibi discipulus crescit cicaro meus. […] Nam quicquid illi vacat, caput<br />

de tabula non tollit. […] Emi ergo nunc puero aliquot libra rubricata, quia<br />

volo illum ad domusionem aliquid de iure gustare. Habet haec res panem.<br />

Nam litteris satis inquinatus est. Quod si resilierit, destinavi illum artificium<br />

docere, aut tonstrinum aut praeconem aut certe causidicum, quod illi<br />

auferre non possit nisi Orcus. Ideo illi cotidie clamo: Primigeni, crede mihi,<br />

quicquid discis, tibi discis.“<br />

Und schon wächst dir ein Schüler heran, mein kleiner Bagalut. Denn immer<br />

wenn er Zeit hat, steckt er die Nase in die Bücher. Ich habe dem Bub jetzt<br />

einige juristische Bücher gekauft, weil ich will, dass er zum Hausgebrauch<br />

etwas von der Rechtskunde kostet. Diese Sache ist keine brotlose Kunst.<br />

Denn mit Bildung ist er zur Genüge bekleckert. Wenn er nun abspringt, so<br />

habe ich beschlossen, ihn ein Handwerk lernen zu lassen, Friseur, Ausrufer<br />

oder zumindest Anwalt, was ihm halt niemand, nur der Sensenmann wieder<br />

wegnehmen kann. Daher rufe ich ihm täglich zu: Primigenius, glaube mir,<br />

alles, was du lernst, lernst du für dich.


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Vos rogo, amici, ut vobis suaviter sit. Nam ego quoque tam fui, quam vos<br />

estis, sed virtute mea ad hoc perveni. Corcillum est, quod homines facit,<br />

cetera quisquilia omnia. Bene emo, bene vendo; alius alia vobis dicet.<br />

Felicitate dissilio. Tu autem, sterteia, etiamnum ploras? Iam curabo fatum<br />

tuum plores. Sed ut coeperam dicere, ad hanc me fortunam frugalitas mea<br />

perduxit. […] Scitis, quid dicam: taceo, quia non sum de gloriosis.<br />

Macht’s euch bitte bequem, meine Freunde. Denn auch ich war früher so<br />

wie ihr jetzt, aber durch meine Tüchtigkeit habe ich es so weit gebracht.<br />

Das Köpfchen macht den Menschen, alles andere ist Schnickschnack. ‚Gut<br />

kaufen, gut verkaufen!‘ lautet die Devise. Da kann euch einer sagen, was er<br />

will. Ich ertrinke im Erfolg. Du aber, Schnarchnase, weinst du immer noch?<br />

Wart nur, ich werde dir einen Grund zum Weinen geben. Aber wie ich<br />

gerade sagen wollte, zu diesem Glück hat mich meine Sparsamkeit<br />

gebracht. Ihr wisst, was ich meine: ich schweige, weil ich nicht zu denen<br />

gehöre, die groß daher reden.


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Enkolps Rede gegen die Deklamation<br />

*** Num alio genere Furiarum declamatores inquietantur, qui<br />

clamant: ‚Haec vulnera pro libertate publica excepi; hunc oculum<br />

pro vobis impendi‘ […] Haec ipsa tolerabilia essent, si ad<br />

eloquentiam ituris viam facerent. Nunc et rerum tumore et<br />

sententiarum vanissimo strepitu hoc tantum proficiunt ut, cum in<br />

forum venerint, putent se in alium orbem terrarum delatos. Et ideo<br />

ego adulescentulos existimo in scholis stultissimos fieri, quia nihil<br />

ex his, quae in usu habemus, aut audiunt aut vident, sed piratas<br />

cum catenis in litore stantes, sed tyrannos edicta scribentes,<br />

quibus imperent filiis, ut patrum suorum capita praecidant […]<br />

Pace vestra liceat dixisse, primi omnium eloquentiam perdidistis.<br />

[…] Nondum iuvenes declamationibus continebantur, cum<br />

Sophocles aut Euripides invenerunt verba, quibus deberent loqui.<br />

Nondum umbraticus doctor ingenia deleverat […]


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

*** Werden die Deklamatoren etwa von einer anderen Art von Furien<br />

gehetzt, wenn sie schreien: ‚Diese Wunden hier habe ich mir für f r die<br />

allgemeine Freiheit schlagen lassen; dieses Auge habe ich für f r euch<br />

geopfert!‘ Dies wäre w<br />

an sich noch erträglich, wenn es denjenigen, die<br />

zur Beredsamkeit gelangen wollen, den Weg bereiten würde. w<br />

Nun<br />

machen sie durch den Schwulst der Gedanken und das hohle Geklingel<br />

el<br />

der Sentenzen nur so weit Fortschritte, dass sie glauben, sie seien in<br />

eine andere Welt versetzt worden, sobald sie auf das Forum kommen.<br />

Und ich glaube, dass deswegen die jungen Männer M<br />

in den Schulen<br />

völlig verdummen, weil sie nichts von dem hören h<br />

oder sehen, was wir<br />

in der Praxis finden, sondern an der Küsten K<br />

stehende Piraten in<br />

Ketten, Tyrannen, die Söhnen S<br />

befehlen, ihren Vätern V<br />

den Kopf<br />

abzuhauen. Ohne euch verärgern rgern zu wollen, darf man wohl sagen: Ihr<br />

habt als erste die Rhetorik zugrundegerichtet. Noch nicht wurden die<br />

jungen Männer M<br />

in den engen Grenzen der Deklamationen gehalten, als<br />

Sophokles und Euripides die angemessenen Wörter W<br />

fanden; noch nicht<br />

hatte der weltfremde Lehrer die Talente zerstört.<br />

rt.


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Die Antwort des Rhetors Agamemnon<br />

Non est passus Agamemnon me diutius declamare in porticu, quam ipse<br />

in schola sudaverat, sed: „Adulescens“, inquit, „quoniam sermonem<br />

habes non publici saporis et, quod rarissimum est, amas bonam mentem,<br />

non fraudabo te arte secreta. Nil nimirum, si in his exercitationibus<br />

doctores peccant, qui necesse habent cum insanientibus furere.“<br />

Agamemnon wollte es nicht hinnehmen, dass ich länger in der<br />

Säulenhalle deklamierte, als er selbst im Hörsaal geschwitzt hatte,<br />

sondern sagte: „Junger Mann, da du über eine nicht gewöhnliche<br />

Redeweise verfügst und, was recht selten ist, den gesunden<br />

Menschenverstand zu schätzen weißt, will ich dich nicht um die<br />

Geheimnisse unserer Kunst betrügen. Es ist nicht verwunderlich, wenn<br />

die Lehrer in diesen Übungen Fehler begehen, wo sie doch<br />

notwendigerweise mit Verrückten wahnsinnig sein müssen.“


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Der Knabe von Pergamon (eine Erzählung des Eumolp)<br />

Cum ob hanc offensam praeclusissem mihi aditum, quem feceram,<br />

iterum ad licentiam redii. Interpositis enim paucis diebus […] ut intellexi<br />

stertere patrem, rogare coepi ephebum, ut reverteretur in gratiam<br />

mecum, id est ut pateretur satis fieri sibi […]. At ille plane iratus nihil<br />

aliud dicebat nisi hoc: „Aut dormi aut ego iam dicam patri.“ Nihil est<br />

tam arduum, quod non improbitas extorqueat. Dum dicit: „Patrem<br />

excitabo“, irrepsi tamen et male repugnanti gaudium extorsi. At ille non<br />

indelectatus nequitia mea eqs.<br />

Obwohl ich mir durch diesen Affront den bereits geöffneten Zugang<br />

wieder verschlossen hatte, wollte ich wieder von der früheren<br />

Freizügigkeit Gebrauch machen. Denn nach wenigen Tagen, als ich<br />

merkte, dass sein Vater schnarchte, fing ich an, den Jungen zu bitten,<br />

sich mit mir auszusöhnen, dass er sich also befriedigen lassen sollte.<br />

Aber er war recht wütend und sagte nur: „Schlaf oder ich sag’s gleich<br />

dem Vater.“ Nichts ist für Skrupellosigkeit zu schwierig. Als er sagte:<br />

„Ich werde den Vater wecken“, habe ich mich dennoch eingeschlichen<br />

und ihm, der sich nur schwach wehrte, Freuden beschert. Aber er war<br />

durchaus angetan von meinem Schurkenstück usw.


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Interposita minus hora pungere me manu coepit et dicere:<br />

„Quare non facimus?“ Tum ego toties excitatus plane<br />

vehementer excandui et reddidi illi voces suas: „Aut dormi,<br />

aut ego iam patri dicam.“<br />

Nach weniger als einer Stunde begann er, mich mit der<br />

Hand anzustoßen und zu sagen: „Warum machen wir es<br />

nicht?“ Da wurde ich, den er schon so oft wieder geweckt<br />

hatte, zornesrot und gab ihm seine Worte zurück: „Schlaf<br />

oder ich sag’s gleich dem Vater!“


Die Witwe von Ephesos (eine Erzählung des Eumolp)<br />

<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Mulier non minus misericors quam pudica: „Ne istud“, inquit, „dii<br />

sinant, ut eodem tempore duorum mihi carissimorum hominum duo<br />

funera spectem. Malo mortuum impendere quam vivum occidere.“<br />

Secundum hanc orationem iubet ex arca corpus mariti sui tolli atque<br />

illi, quae vacabat, cruci affigi.<br />

Die Frau, die nicht weniger mitleidig als sittenstreng war, sagte zu<br />

ihm: „Die Götter sollen es nicht zulassen, dass ich gleichzeitig zwei<br />

Bestattungen zweier Menschen, die ich liebe, miterleben soll. Ich<br />

will lieber den Toten hingeben als den Lebenden töten.“ Danach ließ<br />

sie den Leichnam des Ehemannes aus dem Sarg holen und an das<br />

leere Kreuz schlagen.


<strong>Petron</strong>s <strong>Satyricon</strong><br />

Usus est miles ingenio prudentissimae feminae,<br />

posteroque die populus miratus est, qua ratione<br />

mortuus isset in crucem.<br />

Der Soldat machte Gebrauch von dem genialen Einfall<br />

der schlauen Frau, und am folgenden Tage fragten sich<br />

die Leute verwundert, wie denn der Tote an das Kreuz<br />

gekommen sei.


Luchino Visconti: Tod in Venedig<br />

Klassiker des 21. Jahrhunderts (WS 2007/08)<br />

Beginn: 30. Oktober 2007<br />

Dan Brown: Sakrileg (The Da Vinci Code)<br />

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt<br />

Walter Moers: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär<br />

Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg<br />

Tim Mälzer: Born to Cook 1/2<br />

Susanne Fröhlich: Moppel-Ich<br />

Alexander von Schönburg: Die Kunst des stilvollen Verarmens<br />

Michael Moore: Stupid White Men<br />

Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod<br />

J. K. Rowling: Harry Potter and the Deathly Hallows<br />

Schotts Sammelsurium<br />

Benedikt XVI: Jesus von Nazareth

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