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zungsrisiko verbunden. Der Druck auf Leo und mich wurde größer,<br />

je besser das Wetter wurde. Redakteur, Kameramann und Tonmann<br />

– alle waren schon sehr gespannt, wie wir das noch hinbekommen<br />

wollten. Dunkle Wasserstreifen zogen die Wand hinunter, nur unsere<br />

Route hatte vom Regen der Vortage nichts abbekommen. Die Kamera<br />

war schnell in Position, alles wartete nur noch auf die Show der<br />

Akteure. Die Taktik wurde uns nun von den zeitlichen Umständen<br />

diktiert. Zuerst eine Seillänge auschecken, dann sofort frei klettern<br />

und weiter zur nächsten. Mit dem Auschecken klappte es in der ersten<br />

Länge noch ganz gut, nur mit dem frei durchklettern nicht mehr.<br />

Kurz unter dem Stand stürzte ich mit verkrampften Unterarmen. Wir<br />

entschlossen uns gleich die nächste anzugehen und die erste später<br />

nachzuholen, unter dem Aspekt »bei Verlust verdoppeln«. Gleich mit<br />

einem anständigen Negativerlebnis ins Rennen zu gehen, baut nicht<br />

gerade auf, und während sich unten auf der Hütte wieder mal die<br />

Freunde für das bevorstehende abendliche Fest einfanden, kämpften<br />

Leo und ich in den Überhängen um Fass, Fest und Ehre. Die Kletterei<br />

machte unter diesen Bedingungen nicht besonders viel Spaß,<br />

obwohl sich der Blassen-Pfeiler zu einem richtigen Freikletterjuwel<br />

herausputzte. Juwele müssen aber erst einmal poliert werden, bevor<br />

sie glänzen, und bis zu diesem Zeitpunkt war die Schlüsselseillänge<br />

noch technisch. Als ich sie anging, war meine Nervosität so groß wie<br />

beim ersten Rock-Master-Wettbewerb in Arco. Es wurde empfindlich<br />

kühl und nach wenigen Metern spürte ich meine Fingerkuppen nicht<br />

mehr. Normalerweise macht es unter diesen Voraussetzungen wenig<br />

Sinn weiterzuklettern, doch in diesem Fall war es erstaunlicherweise<br />

ein Vorteil. Hätte ich gefühlt, wie winzig klein manche Griffe waren,<br />

hätte ich wohl erst gar nicht versucht mich daran festzuhalten. So<br />

aber krallte und schnappte ich jede Leiste an und hätte am liebsten<br />

in die mickrigste Felsunebenheit hineingebissen. Jeder Griff brachte<br />

mich der Erlösung ein kleines bisschen näher und kurz unter dem<br />

Standplatz wusste ich, das das Fass zum Greifen nahe war. Meine<br />

Unterarme waren derart verkrampft, dass ich am Standplatz beide<br />

8<br />

Hände benötigte, um den Schnapper am Karabiner zu öffnen. Ich<br />

plumpste in meine Selbstsicherung und hing eine Zeitlang einfach<br />

nur regungslos am Stand.<br />

Die Hauptschwierigkeiten lagen hinter uns, das Problem war fast<br />

gelöst, bis auf die erste Seillänge – die war nun entscheidend. Teilweise<br />

am laufenden Seil kletternd, hasteten wir den oberen Wandteil<br />

hinauf. Es war schon später Nachmittag, als wir wieder am Einstieg<br />

standen.<br />

Ich war zwar schon ganz schön angezählt, aber ich hatte den »Tiger<br />

in den Augen«, als ich noch einmal in den Ring stieg. Jede Bewegung<br />

zählte ich mit, überkletterte die Stelle, an der ich am Morgen noch<br />

gescheitert war und hatte nur noch Angst, dass ein Griff ausbrechen<br />

könnte. Noch drei Züge, noch zwei, einer ... ozapft is!<br />

Mit dieser tiefen Befriedigung, wie ich sie nur nach großer mentaler<br />

und körperlicher Anstrengung empfinde, liefen wir im letzten Sonnenlicht<br />

zur Reintalangerhütte hinunter. Aus einer Bierlaunenidee<br />

war für mich ein unvergessliches Erlebnis geworden, das mir ganz<br />

besonders in Erinnerung bleiben sollte. Das lag auch daran, dass sich<br />

alle mit mir freuten: Leo, Werner, das Kamerateam und die Kumpels,<br />

die schon gespannt auf der Hütte mit Zapfhahn und Hammer in der<br />

Hand auf die Erfolgsnachricht warteten. An dieser Stelle möchte ich<br />

den Vorhang über die nachfolgenden Ereignisse schließen, nur so viel<br />

sei verraten: Es wurde ein kompromiss- und gnadenloses Fest. Man<br />

kann sagen: es war erfolgreich.<br />

STEFAN GLOWACZ (*22.3.1967), Werkzeugmacher, Profibergsteiger<br />

und erfolgreichster Wettkampfkletterer in Deutschland, erste Klettertouren<br />

Anfang der achtziger Jahre im Oberreintal, danach zahlreiche<br />

Erstbegehungen und ungewöhnliche Expeditionen in aller Welt, dreimaliger<br />

Rockmaster und 1993 Vizeweltmeister in Innsbruck, Buchautor,<br />

Vorträge und Filmdarsteller<br />

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