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Wir fliegen nur nachts, wie die Fledermäuse.

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6 Reportage Migros-Magazin 39, 27. September 2005<br />

«<strong>Wir</strong> <strong>fliegen</strong> <strong>nur</strong> <strong>nachts</strong>, <strong>wie</strong> <strong>die</strong> <strong>Fledermäuse</strong>.»<br />

Fliegender<br />

Nachtkurier<br />

Nachtschicht: Jeweils werktags bringt Pilot Marco Lorenzetti<br />

tonnenweise Pakete von Basel nach Köln.<br />

Mit dem Flugzeug. Das «Migros-Magazin» flog mit.


Migros-Magazin 39, 27. September 2005 Reportage<br />

Pilot Lorenzetti<br />

(rechts im<br />

Cockpit) fliegt<br />

<strong>nachts</strong> Pakete<br />

nach Köln.<br />

7


8 Reportage Migros-Magazin 39, 27. September 2005<br />

Der Euro-Airport Basel liegt im<br />

fahlen Abendlicht. Es ist später<br />

Nachmittag, 17 Uhr. Es haben<br />

sich kaum Passagiere eingefunden,<br />

denn es ist keine Ferienzeit. Der Tag<br />

ist ruhig. Und doch ist einiges los auf<br />

dem Tarmac, dem Vorfeld zwischen Flughafengebäude<br />

und Piste, wo es kräftig<br />

nach Kerosin riecht.<br />

Hier geht <strong>die</strong> private Post ab: Rechts<br />

das Flugzeug des Paketverteilers DHL,<br />

links Konkurrent Fedex. In der Mitte<br />

<strong>die</strong> Maschine der Farnair vomTypATR 72,<br />

eine zweimotorige Turboprop mit der<br />

Immatrikulation «HB-AFK» – in der Fliegersprache<br />

«Alfa, Foxtrott, Kilo». Die<br />

Turboprop ist eigentlich für 68 Personen<br />

bestimmt. Doch <strong>die</strong> Fenster sind zugeschweisst.<br />

Denn sie fliegt von Montag bis<br />

Freitag für den Paket<strong>die</strong>nst UPS zu dessen<br />

Verteilzentrum beim Flughafen Köln.<br />

Der Express<strong>die</strong>nst UPS<br />

70 Minuten hin, 60 zurück<br />

Auf der Piste röhrt <strong>die</strong> alte Tante JU-52<br />

vorbei. «Hey, das ist noch echtes Fliegen»,<br />

schwärmt der Flugzeugmechaniker<br />

Beny Ginder (42), der <strong>die</strong> Turboprop<br />

soeben startklar gemacht hat. 18.45 Uhr:<br />

Bevor sie zum Nachteinsatz starten, fährt<br />

der Pilot und Fluglehrer Marco Lorenzetti<br />

(37) mit seinem heutigen Copiloten Peter<br />

Schnetz (47) im Firmenwagen in <strong>die</strong><br />

Stadt. Im Restaurant Giardino stärken sie<br />

sich mit einer «Pizza FCBasel».<br />

Später, 21.30 Uhr: Während Lorenzetti<br />

seine Maschine mit einer Taschenlampe<br />

ableuchtet und auf ihre Flugtüchtigkeit<br />

checkt, sitzt Schnetz schon im<br />

Cockpit. «Wenn es jeden Tag gleich<br />

abläuft, wirds fast schon Routine. Dann<br />

muss man sich eigentlich <strong>nur</strong> noch ums<br />

22.00 Uhr: Das<br />

Flugzeug wird<br />

in Basel beladen.<br />

Für UPS sind 570 Flugzeuge (davon<br />

266 eigene Düsenflugzeuge) im Einsatz.<br />

Sie verbinden jeden Tag mit 2222 Flugbewegungen<br />

900 Flughäfen in aller Welt<br />

miteinander. Das Unternehmen mit<br />

Europa-Hauptsitz in Brüssel und einem<br />

Jahresumsatz von 36,6 Milliarden<br />

US-Dollar (2004) beschäftigt weltweit<br />

384 000 Personen. Es stellt täglich<br />

mehr als 14 Millionen Pakete und Dokumente<br />

zu.<br />

In der Schweiz beschäftigt UPS mehr<br />

als 500 Mitarbeiter und verfügt<br />

über eine Flotte von 150 Fahrzeugen. 22.10 Uhr:<br />

Allmählich füllt<br />

sich <strong>die</strong><br />

Wetter kümmern», versichern <strong>die</strong> beiden.<br />

Der Flug dauert voraussichtlich 70 Minuten<br />

hin, 60 Minuten zurück.<br />

22 Uhr: Mit dem Auto gehts aufs<br />

Rollfeld, das auf dem Territorium von<br />

Frankreich liegt; Passkontrolle, Sicherheitscheck.<br />

Zwei uniformierte Gendarmen<br />

warten mit Hund Usak neben dem<br />

Flugzeug. Der deutsche Schäfer schnüffelt<br />

herum, findet aber nicht einmal eine<br />

Salami. Bevor <strong>die</strong> beiden Päcklipiloten<br />

starten, ist noch ein Besuch der Toilette<br />

angesagt, denn im Frachter fehlt es an<br />

einem stillen Örtchen.<br />

Nachts spielt sich auf dem Flughafen<br />

der Paketverkehr ab. Wägeli um Wägeli<br />

Maschine.<br />

wird herangekarrt, <strong>die</strong> Pakete werden von<br />

zwei Helfern aufs Förderband gelegt.<br />

Hektik kommt auf, der Fahrplan ist dicht<br />

gedrängt. Um 22.35 Uhr ist das Flugzeug<br />

mit 5,8 Tonnen Paketen und Dokumenten<br />

in allen erdenklichen Grössen beladen.<br />

23 Uhr: Beny Ginder hat jetzt Feierabend.<br />

Für <strong>die</strong> Besatzung aber beginnt <strong>die</strong><br />

Arbeit. «<strong>Wir</strong> <strong>fliegen</strong> <strong>nur</strong> <strong>nachts</strong>, <strong>wie</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Fledermäuse</strong>», sagt Lorenzetti lachend,<br />

schaut, ob <strong>die</strong> Frachtklappe dicht ist, startet<br />

<strong>die</strong> Turbinen; Daumen hoch, Funkverkehr<br />

zum Tower, dann rollt das Flugzeug<br />

mit Ziel Köln los. Es brummelt und schüttelt<br />

und steigt bis auf 18 000 Fuss hoch,<br />

ungefähr 6000 Meter.


Migros-Magazin 39, 27. September 2005 Reportage<br />

23.00 Uhr:<br />

Abheben zum Start.<br />

Mitternacht, <strong>die</strong> Pistenbeleuchtung<br />

des Flughafens Köln-Bonn kommt in<br />

Sicht, Lorenzetti und Schnetz legen eine<br />

sanfte Landung hin – trotz miserabler<br />

Sicht. Regen peitscht an <strong>die</strong> vielen Kurierflugzeuge,<br />

<strong>die</strong> vor dem Europa-Umschlagplatz<br />

von UPS herumstehen. Jetzt könnten<br />

Pilot und Copilot eigentlich drei Stunden<br />

schlafen. «Aber meistens dösen wir <strong>nur</strong><br />

etwas vor uns hin, trinken Kaffee und plaudern»,<br />

sagt Lorenzetti.<br />

Auf dem Paketumschlagplatz<br />

Der Entladevorgang beginnt. Diplomlogistikerin<br />

Sabine Bitter (41) führt durch<br />

den Bau des Paketverteilzentrums, der<br />

auf einer Fläche von 30 000 Quadratmetern<br />

vollgestopft ist mit mehr als 300 PCs,<br />

computergesteuerten Förderbändern und<br />

mit Paketsäcken, <strong>die</strong> automatisch gefüllt<br />

und dann in <strong>die</strong> Maschinen geladen werden<br />

– für <strong>die</strong> europäischen Städte, für<br />

Asien, USA, Afrika. Von Montag bis<br />

Freitag werden hier jede Nacht durchschnittlich<br />

160 000 Sendungen verarbeitet<br />

– macht mehr als 41 Millionen im<br />

Jahr! Verrückt, was sich hier zur Nachtzeit<br />

abspielt. Zwischen zwei und vier Uhr<br />

startet alle paar Minuten ein Frachtflugzeug<br />

– es sind 32 pro Nacht.<br />

2 Uhr: Die Förderbänder stehen still,<br />

Feierabend für 1700 UPS-Mitarbeitende.<br />

0.15 Uhr: Auf dem Flughafen Köln herrscht Betrieb.<br />

1.15 Uhr. 160 000 Sendungen werden sortiert.<br />

1.55 Uhr. Bald Feierabend im Paket-Umschlagplatz.<br />

9<br />

Vor «HB-AFK» stehen Container. Generatoren<br />

röhren. Sie versorgen <strong>die</strong><br />

Maschinen mit Strom. Lademeister Helmut<br />

Vogel (38) ist seit sechs Jahren jede<br />

Nacht bis morgens um fünf – «wenn das<br />

letzte Flugzeug raus ist» – im Einsatz.<br />

Das liebt er, selbst dann, wenn ihm <strong>wie</strong><br />

heute ein eisiger Wind um <strong>die</strong> Ohren<br />

pfeift. «Hier pfuscht uns niemand in <strong>die</strong><br />

Arbeit rein. Und ich bin nie krank, nicht<br />

einmal im Winter», versichert er.<br />

«Helmut, noch eins für Zürich»<br />

3.12 Uhr. Pilot und Copilot gehen zur<br />

Maschine, <strong>die</strong> noch mit Flugpetrol betankt<br />

wird. Lorenzetti kontrolliert <strong>die</strong>


Migros-Magazin 39, 27. September 2005 Reportage<br />

Sensoren, <strong>die</strong> Sauerstoffversorgung des<br />

Cockpits, den Geschwindigkeitsmesser,<br />

<strong>die</strong> Radarabdeckung, den Reifendruck,<br />

Scheinwerfer, Positionslichter, Fahrwerk,<br />

Enteisungsanlage, den Zustand von Propeller<br />

und Querruder und, und, und…<br />

Um 3.35 Uhr meldet Lademeister Vogel:<br />

«Fertig, 6361 Kilogramm». Ein Helfer<br />

kommt noch angerannt: «Helmut, da ist<br />

noch ein Paket für Zürich.»<br />

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Die Fluggesellschaft Farnair<br />

Farnair mit rund 100 Beschäftigten operiert<br />

von Basel und Budapest aus. Das Unternehmen<br />

wurde 1984 gegründet. Es unterhält<br />

zwei Passagier- und elf Frachtmaschinen, mit<br />

denen pro Jahr 10 000 Flüge unternommen<br />

werden. Mit den Passagierflugzeugen transportiert<br />

es seit Jahren zweimal pro Woche<br />

Schweizer Kfor-Truppen in den Kosovo. Oder<br />

wenn in Frankreich <strong>die</strong> LKW-Fahrer streiken,<br />

4.20 Uhr: Die Turbinen springen an,<br />

Takeoff. Landung in Basel um 5.30 Uhr.<br />

Morgen ist Freitag, da bleibt <strong>die</strong> Maschine<br />

jeweils in Köln. Lorenzetti und sein Copilot<br />

fahren dann mit dem ICE um 4.40 Uhr<br />

in fünf Stunden nach Basel zurück. Am<br />

Montagabend beginne dort <strong>wie</strong>der <strong>die</strong><br />

tägliche Routine, sagt Lorenzetti. Langweilig<br />

werde es ihm allerdings nie – Routine<br />

hin oder her. Text Carl Bieler, Bilder Oliver Lang<br />

transportiert es zum Beispiel dringend<br />

benötigte Autobestandteile nach Spanien.<br />

Jetzt könnte <strong>die</strong> Firma einen ganz speziellen<br />

«sportlichen Auftrag» an Bord ziehen:<br />

Verhandlungen, um Spieler und Funktionäre<br />

des FC Thun am 17. Oktober zum Champions-<br />

League-Spiel nach Amsterdam und am<br />

6. Dezember nach Prag zu <strong>fliegen</strong>, stehen kurz<br />

vor dem Abschluss. 3.35 Uhr: Lademeister Helmut Vogel macht <strong>die</strong><br />

Endkontrolle und gibt sein Okay zum Abheben.<br />

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