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Personalpronomen und Wackernagelposition

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Prof. Dr. Peter Gallmann Jena, Winter 2009/10<br />

<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong><br />

Gr<strong>und</strong>lage<br />

Cardinaletti, Anna / Starke, Michal (1999): «The Typology of Structural Deficiency: On the<br />

three Grammatical Classes». In: van Riemsdijk, Henk (ed.) (1999): Clitics in the Languages<br />

of Europe. Berlin / New York: Mouton de Gruyter (= Empirical Approaches to Language<br />

Typology / Eurotyp 20-5). Seiten 145–233.<br />

Übersicht<br />

Normale<br />

NP<br />

<strong>Personalpronomen</strong><br />

voll<br />

defektiv<br />

schwach<br />

(1) Morphologisch reduziert nein nein ja ja<br />

(2) Mit Kasusäquivalent kombinierbar ja ja nein nein<br />

(3) Beschränkung auf [+ menschlich]; vgl. aber (11), (12) nein ja nein nein<br />

(4) Koordinierbar ja ja nein nein<br />

(5) Mit Fokuspartikel modifizierbar; vgl. auch (9) ja ja nein nein<br />

(6) Kann an Theta-Position stehen ja ja nein nein<br />

(7) Periphere Positionen möglich ja ja nein nein<br />

(8) Diskursprominentes Antezedens vorausgesetzt nein nein ja ja<br />

(9) Nicht fokussierbar; vgl. auch (5) nein nein ? ?<br />

(10) Als Expletiv verwendbar nein nein ja ja<br />

(11) Unpersönlicher Gebrauch, immer [+ menschlich]; vgl. (5) nein nein ja ja<br />

(12) Generischer Gebrauch, immer [+ menschlich]; vgl. (5) ja ja ja ja<br />

(13) Als Dativus ethicus verwendbar nein nein ja ja<br />

(14) Prosodische Rekonstruktion nein nein ja ja<br />

(15) Verdoppelung nein nein nein ja<br />

(16) Verschmelzungen mehrerer Pronomen nein nein nein ja<br />

(17) 1./2. Pers. Akk. kombinierbar mit 3. Pers. Dativ (PCC) ja ja nein nein<br />

klitisch<br />

Eine dritte Variante von defektivem Pronomen wird leider nicht behandelt: Nullpronomen<br />

(erscheinen vor allem als Nullsubjekte, zum Beispiel im Latein <strong>und</strong> im Italienischen). Hypothese:<br />

Nullpronomen verhalten sich wie schwache Pronomen.<br />

Präferenz bei der Pronomenwahl: Wähl das defektivste Pronomen. (Oder als Beschränkung:<br />

Vermeide auffällige Pronomen.)


<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong> 2<br />

Die Formen<br />

Nominativ Akkusativ Dativ<br />

1. Person Singular ich mich mir<br />

2. Person Singular du dich dir<br />

1. Person Plural wir uns<br />

2. Person Plural ihr euch<br />

3. Person Singular Maskulinum er ihn ihm<br />

3. Person Singular Neutrumum es ihm<br />

3. Person Singular Femininum sie ihr<br />

3. Person Plural sie ihnen<br />

Anmerkungen <strong>und</strong> Beispiele<br />

(1) Morphologische Reduktion<br />

a. Wie geht es dir? → Wie geht’s dir?<br />

b. Was haben S’ denn da? (Österreichisch)<br />

(2) Mit Kasusäquivalent kombinierbar: zum Beispiel Dativpräposition im Italienischen.<br />

a. L’ho dato a Giovanni. L’ho dato agli studenti.<br />

b. L’ho dato a LUI. L’ho dato a LORO.<br />

c. Gliel’ho ho dato. L’ho dato loro.<br />

Entsprechungen in oberdeutschen Dialekten (Beispiele verhochdeutscht):<br />

d. Ich gebe es in der Schwester.<br />

e. Ich gebe es in dir.<br />

f. Ich gebe es der.<br />

Zwei Originalbeispiele mit betonten Pronomen:<br />

g. da chaascht am aagee, wo d Hose mit dr Bisszange zuetuet, aber nid i miir<br />

(Das kannst du einem angeben, der die Hose mit der Beißzange zutut,<br />

aber nicht *in mir.)<br />

http://www.badische-heimat.de/landesk<strong>und</strong>e/rhein/volksk<strong>und</strong>e/dialekte/alemannisch.pdf; Mai 2009<br />

h. Gäbet doch die alti Hütte, i öis als Zunftlokal<br />

(Gebt doch die alte Hütte *in uns als Zunftlokal)<br />

www.braentezunft.ch/de/internet/verse-details---0--0--0----268--2--2005.html; Mai 2009<br />

Dasselbe bei NPs mit nominalem Kern:<br />

i. Si gliicht i de Krysta taylor<br />

(Sie gleicht *in der Krysta Taylor)<br />

basel.usgang.ch/picture.php?n=71535&p=294330; Juni 2007<br />

j. ja t brülle isch scho hammergeil, a wemm ghört ächt die?<br />

(Ja, die Brille ist schon hammergeil, *an wem gehört wohl die?)<br />

www.speak2us.ch/index.php?module=S2U_Gallery&func=display&pid=36768; Juni 2007<br />

k. Au e Gruäss allne Lehrer <strong>und</strong> i de Frau Vonwyl!!<br />

(Auch einen Gruß allen Lehrern <strong>und</strong> *in der Frau Vonwyl!)<br />

www.oz-mariahilf.ch/component/option,com_easybook/Itemid,148/startpage,112; Mai 2009


<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong> 3<br />

(3) Beschränkung der vollen Formen auf [+ menschlich]; vgl. aber auch (11) <strong>und</strong> (12):<br />

a. SIE ist kaputt. (Kann nur eine Person gemeint sein)<br />

b. Sie ist kaputt. (Kann auch eine Vase sein.)<br />

(4) Koordinierbarkeit:<br />

a. Sie <strong>und</strong> Anna stehen dort.<br />

b. *Sie <strong>und</strong> der Wäschetrockner stehen dort. (sie = Waschmaschine)<br />

(5) Kombinierbarkeit mit Partikeln wie nur, sogar, selbst; vgl. auch (9):<br />

a. Sogar sie ist da (ausgeschlossen: sie = Waschmaschine)<br />

b. Auch er ist defekt (ausgeschlossen: er = Getränkeautomat)<br />

(6) Stellung an der Theta-Position (= Position, an der NPs die Theta-Rolle erhalten, also für<br />

Akkusativobjekte beispielsweise die Komplementposition in der VP):<br />

a. Wenn Anna ihrem Fre<strong>und</strong> das Buch gibt, …<br />

b. *Wenn Anna ihrem Fre<strong>und</strong> es gibt, …<br />

c. Stattdessen <strong>Wackernagelposition</strong>: Wenn es Anna ihrem Fre<strong>und</strong> gibt …<br />

(7) Periphere Position. Von Cardinaletti/Starke genannt:<br />

a. Cleft, zum Beispiel: Maria, che è bella. Lei, che è bella.<br />

b. Left-Dislocation, zum Beispiel: Maria, lei è bella. Lei, lei è bella.<br />

c. Right-Dislocation: Arriverà presto, Maria. Arriverà presto, lei.<br />

d. Isolation: Chi è bella? – Maria. Chi è bella? – Lei.<br />

e. Wer kommt? – Sie!<br />

→ (6) <strong>und</strong> (7) werden bei Cardinaletti/Starke mit der folgenden Hypothese zu erklären versucht:<br />

Defektive <strong>Personalpronomen</strong> müssen an »besonderen Stellen« stehen: schwache in<br />

der Spec-Position einer funktionalen Kategorie FP, klitische in F°; dabei ist aber SpecCP<br />

ausgeschlossen (deutsche Verbzweitsätze mit »gerader« Wortstellung werden in diesem<br />

Ansatz als reine IPs bestimmt):<br />

a. *Es habe ich auch beobachtet.<br />

b. Es ist mir auch aufgefallen.<br />

→ Die Erscheinungen (8) bis (13) werden von Cardinaletti/Starke auf die besonderen Referenzeigenschaften<br />

der vollen <strong>und</strong> defektiven Pronomen zurückgeführt.<br />

(8) Diskursprominentes Antezedens vorausgesetzt → Deiktische Lesart ausgeschlossen:<br />

a. Deiktische Lesart ausgeschlossen: Sie hat niemandem etwas gesagt.<br />

b. Deiktische Lesart möglich SIE hat niemandem etwas gesagt.<br />

(9) [Diskussion von Kontrastintonation bei schwachen Pronomen: übersprungen]


<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong> 4<br />

(10) Expletiv: entweder Platzhalter oder unpersönliches Subjekt:<br />

a. Es fehlen drei Schrauben.<br />

b. Es regnet.<br />

Problem für Cardinaletti/Starke:<br />

c. Wie hältst du es mit der Religion?<br />

d. Sie trieben es allzu bunt.<br />

Platzhalter (Duden-Grammatik 2009) oder Verdoppelungskonstruktion?<br />

e. Mich stört es, dass Otto so plump gähnt.<br />

f. Ich hasse es, am Schalter anstehen zu müssen.<br />

(11) Existenzieller Gebrauch (Cardinaletti/Starke: »Impersonalia«), ausgeschlossen bei Anhebung<br />

aus Objektposition (→ Block H). Sprecher ist referenziell ausgeschlossen.<br />

a. Schon gehört? Sie haben in Jena die Post überfallen!<br />

(12) Generischer Gebrauch. Sprecher kann mitgemeint sein.<br />

a. Sie haben in Jena keine Möbelgeschäfte im Stadtzentrum.<br />

b. Wenn du den Schalterraum betrittst, stehen sicher schon zwanzig Personen vor dir.<br />

(13) Dativus ethicus:<br />

a. Dass du mir je keine Grippe kriegst!<br />

b. Das war dir ein Lärm in der Stadt!<br />

(14) Prosodische Rekonstruktion = Auflösung der Wortgrenzen. Unter anderem Liaison <strong>und</strong><br />

Unterlassung der Auslautverhärtung:<br />

a. Mes sœurs, elles ont toujours raison.<br />

b. Gib ihn mir! Lies es genau! Das hab’ich auch gehört.<br />

(15) Verdoppelung (eines der verdoppelten Elemente muss offenbar ein Klitikum sein, das<br />

heißt defektiv im allgemeinen Sinn genügt nicht):<br />

a. Italienisch (regional): Gliel’ho dato loro. (Ich habe es ihnen gegeben.)<br />

b. Bairisch: Wenn-st en duu sichst, …<br />

c. Schweizerdeutsch: Wenn t en duu gseesch, …<br />

d. Thüringisch: Ich geb’s dir’s<br />

(16) Verschmelzungen mehrerer Pronomen:<br />

a. Italienisch: gli + lo → glielo: Glielo darò. (Ich werde es ihm/ihr geben.)<br />

b. Italienisch: ti + lo → te lo: Te lo darò. (Ich werde es dir geben.)<br />

(17) 1./2. Pers. Akk. kombinierbar mit 3. Pers. Dativ. Beschränkung auch in der deutschen<br />

Umgangssprache nachweisbar, also entgegen Cardinaletti/Starke nicht auf Klitika beschränkt.<br />

Erscheinung in der Fachliteratur als Person Case Constraint (PCC) diskutiert.<br />

a. ? Als dich mir Anna vorstellte, … (beide Pronomen unbetont)<br />

b. Als dich Anna mir vorstellte, …<br />

c. Als mir Anna dich vorstellte, …<br />

d. Als Anna mir dich vorstellte, …


<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong> 5<br />

Zur <strong>Wackernagelposition</strong> im Deutschen<br />

Duden-Grammatik (2009: Randziffern 1356–1360; leicht gekürzt <strong>und</strong> ergänzt)<br />

1356<br />

Tendenz:<br />

(1) Schwach betonte Personal- <strong>und</strong> Reflexivpronomen stehen unmittelbar nach<br />

der linken Satzklammer.<br />

Beispiele:<br />

(2) a. [Morgen] will [Anna] [der Chefin] [den Bericht] übergeben.<br />

b. → [Morgen] will [sie] [der Chefin] [den Bericht] übergeben.<br />

c. → [Morgen] will [ihr] [Anna] [den Bericht] übergeben.<br />

d. → [Morgen] will [ihn] [Anna] [der Chefin] übergeben.<br />

Zwischen linker Satzklammer <strong>und</strong> den schwach betonten Pronomen kann nur das Subjekt,<br />

nicht aber ein anderes Satzglied stehen:<br />

(2) e. [Morgen] will [Anna] [ihr] [den Bericht] übergeben.<br />

f. [Morgen] will [Anna] [ihn] [der Chefin] übergeben.<br />

g. *[Morgen] will [den Bericht] [sie] [der Chefin] übergeben.<br />

h. *[Morgen] will [der Chefin] [sie] [den Bericht] übergeben.<br />

Siehe dazu auch die folgenden Beispiele, bei denen die linke Satzklammer von einer Subjunktion<br />

besetzt ist. In (a) <strong>und</strong> (b) ist [die Kinder] Subjekt, während [den Kindern] in (c) <strong>und</strong><br />

(d) Dativobjekt ist:<br />

(3) a. … weil [es] [die Kinder] lieben.<br />

b. … weil [die Kinder] [es] lieben.<br />

c. … weil [es] [den Kindern] gefällt.<br />

d. *… weil [den Kindern] [es] gefällt.<br />

Anmerkung: Falsifizierungsversuche des Autors der Duden-Grammatik im Internet mit<br />

Sequenzen des Typs Subjunktion + thematisches Temporal- oder Lokaladverbiale + es<br />

erbrachten Belege in niedrigster Anzahl (davon auffällig viele, bei denen man Schreiber mit<br />

Deutsch als Zweitsprache vermuten kann). Eher Muttersprachler als Schreiber, Originalorthographie:<br />

1357<br />

(4) a. Ich wollte damit mal zeigen, daß heute es einfach nicht mehr reicht, wenn Eltern<br />

ihre Pornos oder so gründlich wegschließen, …<br />

www.uni-protokolle.de/foren/viewt/157476,0.html; Mai 2009<br />

b. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Lamentos, dass in Deutschland es in den naturwissenschaftlichen<br />

Fächern zu wenig Studierende bzw. Absolventen gebe ist die<br />

Tatsache bemerkenswert, dass …<br />

http://www.reticon.de/nachrichten/deutschland-fehlen-junge-lehrer-_1929.html; Mai 2009<br />

Wenn mehrere schwach betonte Pronomen an der Wackernagel-Position stehen, gilt in der<br />

Standardsprache eine etwas andere Abfolge als für normale Nominalphrasen.<br />

(5) Tendenz bei schwach betonten Pronomen:<br />

Nominativ > Akkusativ > Dativ (> da)


<strong>Personalpronomen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wackernagelposition</strong> 6<br />

Auffällig ist, dass hier entgegen der sonstigen Tendenz Pronomen im Akkusativ vor solchen<br />

im Dativ stehen:<br />

(6) a. [Anna] will [der Chefin] [den Bericht] [morgen] übergeben.<br />

b. → *[Anna] will [ihr] [ihn] [morgen] übergeben.<br />

c. → [Anna] will [ihn] [ihr] [morgen] übergeben.<br />

In regionalen Varietäten des Deutschen gilt zum Teil die umgekehrte Abfolge Dativ > Akkusativ.<br />

Das Pronomen es, zumal in der Kurzform s oder ’s, kann aber auch standardsprachlich<br />

nach einem Dativ-Pronomen stehen:<br />

1358<br />

(7) a. … weil [Otto] [seinem Kollegen] [das korrekte Vorgehen] gezeigt hat.<br />

b. … weil [Otto] [es] [ihm] gezeigt hat.<br />

c. … weil [Otto] [ihm] [es] gezeigt hat.<br />

d. … weil [Otto] [ihm] [’s] gezeigt hat.<br />

Wenn es ein Prädikativ vertritt, verhält es sich stellungsmäßig wie ein Objektspronomen (siehe<br />

auch § 1366):<br />

1359<br />

(8) a. … weil [Anna] [leider] [noch immer nicht] [Chefin] ist.<br />

b. → … weil [sie] [es] [leider] [noch immer nicht] ist.<br />

Das Reflexivpronomen sich kann auch unbetont im Innern des Mittelfelds stehen:<br />

(9) a. Als [sich] [Otto] [den Anwesenden] [gestern] vorstellte, …<br />

b. Als [Otto] [sich] [den Anwesenden] [gestern] vorstellte, …<br />

c. Als [Otto] [den Anwesenden] [sich] [gestern] vorstellte, …<br />

d. Als [Otto] [den Anwesenden] [gestern] [sich] vorstellte, …<br />

Bei den übrigen Reflexivpronomen wird die Stellung unmittelbar nach dem Subjekt vorgezogen:<br />

1360<br />

(10) a. Als [wir] [uns] [den Anwesenden] [gestern] vorstellten, …<br />

b. ?Als [wir] [den Anwesenden] [uns] [gestern] vorstellten, …<br />

c. ?Als [wir] [den Anwesenden] [gestern] [uns] vorstellten, …<br />

Betonte Pronomen können an denselben Stellen stehen wie gewöhnliche Nominalphrasen. Zu<br />

Beschränkungen beim Pronomen es § 364.<br />

(11) a. … weil [Anna] [gestern] [sogar ihren Fre<strong>und</strong>] überzeugen konnte.<br />

b. → … weil [Anna] [gestern] [sogar ihn] überzeugen konnte.<br />

c. … dass [dieses Buch] [auch Otto] [gerne] lesen würde.<br />

d. → … dass [dieses Buch] [auch er] [gerne] lesen würde.

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