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Bis zum 19. Jahrhundert wurde in Theorie und Praxis ... - pharma4u

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Arzneimittel der komplementären Mediz<strong>in</strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

AROMATHERAPIE<br />

<strong>Bis</strong> <strong>zum</strong> <strong>19.</strong> <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong> <strong>wurde</strong> <strong>in</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong> der Mediz<strong>in</strong><br />

dem Geruchss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> den Gerüchen größte Bedeutung zugemessen.<br />

Man schrieb Gerüchen <strong>und</strong> Aromen außergewöhnlich krankmachende,<br />

tödliche aber auch heilende Kräfte zu. Herstellungs- <strong>und</strong> Anwendungstechniken<br />

für ätherische Öle bzw. pflanzliche Duftstoffe f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> unterschiedlichsten<br />

Epochen <strong>und</strong> Kulturen (z.B. Mesopotamien, Ägypten,<br />

Griechenland, Römisches Reich, Byzanz, Indien, Tibet, Ch<strong>in</strong>a, Nord- <strong>und</strong><br />

Südamerika, Australien <strong>und</strong> Polynesien, Islam, mittelalterliche europäische<br />

Mediz<strong>in</strong>). Zu solchen Zubereitungen <strong>und</strong> Anwendungen gehören Balsame,<br />

Hydrolate, Badezusätze, Wickel, Kompressen, Massageöle, E<strong>in</strong>reibungen<br />

bei Skarifizierungen, Schröpftechniken, Inhalationen, Vernebelungen, Räucherungen,<br />

Raumaromatisierung. Gleichfalls vorbeugend <strong>und</strong> therapeutisch<br />

außerordentlich bedeutsam war die Verwendung pflanzlicher Duftstoffe <strong>in</strong><br />

der Ernährung sowie bei Getränken.<br />

Auch <strong>wurde</strong>n Gerüche als Mittel <strong>zum</strong> Nachweis, zur Bestimmung aber<br />

auch Abgrenzung von Krankheiten herangezogen. Hippokrates etwa propagierte<br />

unter anderem die olfaktorische Diagnose: demnach verbreiten<br />

Pocken Zwiebelgeruch, Flechten e<strong>in</strong>en Katzengeruch, Wahns<strong>in</strong>n den Geruch<br />

von Mäusen oder wilden Tieren. Noch im 18. <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong> <strong>wurde</strong>n detaillierte<br />

Klassifizierungen erstellt, die jeder Krankheit e<strong>in</strong>en spezifischen<br />

Geruch zuordneten. Krankheit selbst <strong>wurde</strong> teilweise als schlechter Geruch<br />

verstanden. Gerüche <strong>und</strong> deren postulierte Bedeutungen <strong>wurde</strong>n über längere<br />

Zeiträume sogar zu e<strong>in</strong>er Krankheitslehre (Nosologie). Wie der Geruch<br />

<strong>in</strong> ätiologischer <strong>und</strong> diagnostischer H<strong>in</strong>sicht als spezifisch <strong>und</strong> konstituierend<br />

galt, so erhielten gezielte Geruchse<strong>in</strong>wirkungen, das heißt die therapeutische<br />

aber auch präventive Verwendung von ausgewählten Aromen,<br />

therapeutische Bedeutung. Teilweise <strong>wurde</strong>n angenehme, gute Gerüche mit<br />

Ges<strong>und</strong>heit gleichgesetzt.<br />

E<strong>in</strong>e str<strong>in</strong>gente Folge der olfaktorischen Auffassung von Krankheit waren<br />

die Aromatherapie <strong>und</strong> die mit ihr verwandten Behandlungsformen. Sie<br />

<strong>wurde</strong>n dementsprechend auch zu Hauptmitteln im Kampf gegen Epidemien.<br />

Die <strong>Praxis</strong>, aromatische Substanzen gegen Luft- <strong>und</strong> Körperfäulnis<br />

e<strong>in</strong>zusetzen, ist seit der ägyptischen Mediz<strong>in</strong> dokumentiert. So s<strong>in</strong>d auch<br />

die Scheiterhaufen aus Hölzern während der grossen Epidemie im Athen<br />

des fünften vorchristlichen <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong>s zu verstehen, die wohlriechende<br />

<strong>und</strong> <strong>zum</strong> Teil auch berauschende Düfte verströmten.<br />

• AROMATHERAPIE


Arzneimittel der komplementären Mediz<strong>in</strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

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• AROMATHERAPIE<br />

Auch dem Theriak des Altertums <strong>und</strong> Mittelalters, dem polypragmatischen,<br />

aromatischen Vielstoffgemisch von bis zu 60 Pflanzen <strong>und</strong> anderen<br />

Bestandteilen lag durchaus auch e<strong>in</strong> olfaktorisches Krankheitsverständnis<br />

zugr<strong>und</strong>e. Als e<strong>in</strong> W<strong>und</strong>ermittel <strong>in</strong> schwierigen <strong>und</strong> oft unklaren Situationen<br />

musste er e<strong>in</strong> komplexes Duftgemisch ausstrahlen. Hier bestehen enge<br />

Zusammenhänge zwischen e<strong>in</strong>er phänomenologischen Betrachtung polysymptomatischer<br />

Krankheiten <strong>und</strong> Behandlungsanlässe e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der<br />

Anwendung komplex zusammengesetzter Therapiemittel (u.a. Vielstoffkomb<strong>in</strong>ationen<br />

bzw. gezielter Auswahl von Vielstoffgemischen) andererseits.<br />

Insgesamt <strong>wurde</strong>n <strong>in</strong> dieser Zeit die Behandlungsstrategien durch Wohlgerüche<br />

perfektioniert: Aromatische Pulver, Elixiere, Sirupe, Duftkästchen,<br />

Duftäpfel sollten die Widerstandskraft des Organismus erhöhen, e<strong>in</strong>e<br />

Schutzbarriere zwischen der »Pestilenz« der Luft <strong>und</strong> der Haut bilden <strong>und</strong><br />

Beschwerden <strong>zum</strong><strong>in</strong>dest l<strong>in</strong>dern. Im 17. <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong> entwickelte sich e<strong>in</strong>e<br />

zusätzliche Mode der scharfen Dünste. Schwefeldämpfe, Salpeterdämpfe,<br />

Schießpulverdämpfe. Kontroversen kamen auf: die »weiche« Mediz<strong>in</strong> der<br />

lieblichen Düfte <strong>und</strong> die »harte« Mediz<strong>in</strong> der beißenden Gerüche.<br />

Noch zu Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong>s waren Campher <strong>und</strong> Aloe aromatische<br />

W<strong>und</strong>er- <strong>und</strong> Allheilmittel, der Campher <strong>wurde</strong> als »kle<strong>in</strong>e Taschenapotheke«<br />

gepriesen. Dann allerd<strong>in</strong>gs verschwand die Aromatherapie aus<br />

der professionalisierten Mediz<strong>in</strong>, bis sie im 20. <strong>Jahrh<strong>und</strong>ert</strong> erneut, allerd<strong>in</strong>gs<br />

reflektiert <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>sam mit <strong>Theorie</strong>n <strong>und</strong> Praktiken von moderner<br />

Schulmediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> Komplementärmediz<strong>in</strong> sowie der Pflegepraxis sich wieder<br />

<strong>in</strong> Teilen der Mediz<strong>in</strong> etablieren konnte. In der Bevölkerung allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist die Verwendung von Düften <strong>und</strong> Aromen stets lebendig geblieben.<br />

AROMATHERAPIE HEUTE<br />

Mit dem Begriff der Aromatherapie werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er umfassenden <strong>und</strong> sehr<br />

allgeme<strong>in</strong>en Def<strong>in</strong>ition verschiedene Ansätze der gezielten Anwendung<br />

ätherischer Öle bei Krankheitszuständen zusammengefasst. Der Begriff <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er modernen Form <strong>wurde</strong> vom französischen Chemiker René Maurice<br />

Gattefossé aufgr<strong>und</strong> von Beobachtungen über aseptische Wirkungen <strong>und</strong><br />

das Hautdurchdr<strong>in</strong>gungsvermögen von ätherischen Ölen 1936 als Buchtitel<br />

geprägt. Die allgeme<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition umfasst auch die speziellen <strong>in</strong>halativen<br />

bzw. olfaktorischen Anwendungsbereiche, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engeren S<strong>in</strong>n für<br />

nach wie vor zahlreiche Therapeuten <strong>und</strong> viele Ärzte die Aromatherapie<br />

ausmachen. Für diese Anwendungen hat Buchbauer (1996) den Begriff<br />

Aromatherapie folgendermassen e<strong>in</strong>geschränkt: »Aromatherapie ist die Anwendung<br />

von Duftstoffen zur Heilung oder L<strong>in</strong>derung oder Verhütung von<br />

Krankheiten, Infektionen oder Unwohlse<strong>in</strong> lediglich durch Inhalation dieser<br />

Substanzen.«<br />

Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>t die Anzahl der Anwender zuzunehmen, die Aromatherapie<br />

umfassender verstehen. Hier s<strong>in</strong>d auch gewisse kulturelle Unterschiede


TABELLE 26 • BEGRIFFE IN DER AROMATHERAPIE<br />

Aromatherapie<br />

Therapeutische Verwendung unverdünnter,<br />

<strong>zum</strong>eist jedoch verdünnter natürlicher<br />

ätherischer Öle <strong>und</strong> natürlicher Duftstoffe<br />

(z.B. <strong>in</strong>halativ, topisch, oral)<br />

Anwendung zur Heilung oder L<strong>in</strong>derung<br />

oder Verhütung von Krankheiten, Infektionen<br />

oder Unwohlse<strong>in</strong> sowie zur Pflege<br />

→ Teilgebiet der Phytotherapie als Anwendung<br />

von Pflanzen bzw. pflanzlichen Produkten<br />

→ Therapieverfahren im Rahmen von Naturheilk<strong>und</strong>e,<br />

Erfahrungsmediz<strong>in</strong>, Komplementärmediz<strong>in</strong>,<br />

Ganzheitsmediz<strong>in</strong><br />

Aromatologie<br />

Gr<strong>und</strong>lagenwissen über natürliche ätherische<br />

Öle <strong>und</strong> Duftstoffe (Anbau, Herstellung,<br />

Zusammensetzung, Pharmakologie,<br />

Toxikologie, Anwendung)<br />

Aromachologie – Aromakologie<br />

Anwendung chemisch def<strong>in</strong>ierter Duftstoffe<br />

zur Erzielung psychischer Wirkungen<br />

durch Stimulation olfaktorischer Zentren<br />

(Wechselbeziehungen zwischen Düften<br />

<strong>und</strong> psychischem Bef<strong>in</strong>den, z.B. Stimmungsänderungen)<br />

Verwendung natürlicher oder synthetischer<br />

Riechstoffe<br />

Osmologie<br />

Traditionelles <strong>und</strong>/oder wissenschaftliches<br />

Wissen über die Wirkungen von Düften<br />

aufgr<strong>und</strong> des Riechens (v.a. auf Psyche,<br />

Nervensystem)<br />

Osmotherapie – Duftheilk<strong>und</strong>e<br />

Therapeutische Anwendung osmologischer<br />

Kenntnisse<br />

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• AROMATHERAPIE<br />

Arzneimittel der komplementären Mediz<strong>in</strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

festzustellen. In der Französisch sprechenden Mediz<strong>in</strong> wird ganz allgeme<strong>in</strong><br />

die gezielte therapeutische Anwendung ätherischer Öle unter Aromatherapie<br />

verstanden. Dementsprechend ist <strong>zum</strong> Beispiel die mikrobiologisch begründete<br />

topische Anwendung ausgewählter ätherischer Öle bei Infektionen<br />

durch Bakterien oder Pilze selbstredend e<strong>in</strong>e Form der Aromatherapie. In<br />

der deutschsprachigen Mediz<strong>in</strong> ist der Begriff Aromatherapie noch häufig<br />

auf die olfaktorischen Wirkungen beschränkt. Für die wissenschaftliche<br />

aber auch die praxisorientierte Diskussion ist es notwendig, jeweils zu<br />

klären, um welche Aspekte bzw. Formen der Aromatherapie es sich handelt.<br />

Neben der Bezeichnung Aromatherapie werden <strong>in</strong> der wissenschaftlichen<br />

aber auch <strong>in</strong> der praxisorientierten Literatur verschiedene Begriffe gebraucht,<br />

um spezielle Aspekte der Beforschung bzw. Anwendung ätherischer<br />

Öle zu def<strong>in</strong>ieren (Tab. 26). Wenngleich ätherische Öle mittlerweile<br />

<strong>in</strong> vielen Bereichen der modernen Mediz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Rolle spielen, so ist die Aromatherapie<br />

als die Verwendung pflanzlicher Vielstoffgemische e<strong>in</strong> Teilgebiet<br />

der Phytotherapie. Zum Teil tritt <strong>in</strong> diesen Def<strong>in</strong>itionsversuchen der Aspekt<br />

<strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>, dass Düfte <strong>und</strong> damit auch ätherische Öle unter anderem<br />

Informationen <strong>und</strong> Formen chemischer Kommunikation s<strong>in</strong>d.


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• AROMATHERAPIE<br />

ZUM BEGRIFF VON ÄTHERISCHEN ÖLEN<br />

Durch die bereits traditionell gewachsene <strong>und</strong> mittlerweile weit verbreitete<br />

Verknüpfung von Aromatherapie mit Naturheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Komplementärmediz<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene therapeutische Bevorzugung natürlicher<br />

Substanzen <strong>und</strong> Substanzgemische gew<strong>in</strong>nen die Def<strong>in</strong>itionen des Begriffsfeldes<br />

»ätherische Öle« <strong>und</strong> natürliche Duftstoffe e<strong>in</strong>e große Bedeutung.<br />

Ätherische Öle s<strong>in</strong>d flüchtige, schlecht wasserlösliche, stark riechende<br />

Stoffgemische von ölartiger Konsistenz. In der »klassischen« Aromatherapie<br />

werden nur natürliche ätherische Öle bzw. Duftstoffe aus Pflanzen angewendet.<br />

Aromatherapie bezieht sich auf Aroma, das heißt Düfte <strong>und</strong><br />

Gerüche <strong>und</strong> damit den olfaktorischen Gesamte<strong>in</strong>druck flüchtiger Stoffe.<br />

Soweit der Geruch ätherischer Öle für die Wirkungen entscheidend ist,<br />

können Krankheiten bzw. Störungen des Riechorgans die Aromatherapie<br />

entscheidend bee<strong>in</strong>flussen (z.B. Hyposmie, Anosmie, Parosmie, Kakosmie,<br />

verschiedene Arzneimittel, Schwangerschaft). Die Qualität der ätherischen<br />

Öle hängt entscheidend von den Anbaubed<strong>in</strong>gungen der entsprechenden<br />

Pflanzen, den Herstellungsbed<strong>in</strong>gungen sowie von Vertrieb <strong>und</strong> Aufbewahrung<br />

ab. Bei unsachgemäßer Lagerung können ätherische Öle durch Oxidation<br />

altern <strong>und</strong> dadurch ihr Spektrum erwünschter, unerwünschter <strong>und</strong> toxischer<br />

Wirkungen verändern. Aus diesen Gründen muss auch die begrenzte<br />

Haltbarkeit beachtet werden, wenn die Org<strong>in</strong>alverpackungen angebrochen<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Im Zuge der weiteren Verbreitung der Aromatherapie werden, nicht zuletzt<br />

aus Kostengründen, vermehrt künstliche ätherische Öle angeboten <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>gesetzt. Hierbei s<strong>in</strong>d naturidentische ätherische Öle von synthetischen ätherischen<br />

Ölen zu unterscheiden: Naturidentische ätherische Öle s<strong>in</strong>d künstliche<br />

ätherische Öle, die mit pflanzlichen (phytogenen) ätherischen Ölen<br />

stofflich (weitgehend) identisch s<strong>in</strong>d. Synthetische ätherische Öle f<strong>in</strong>den<br />

<strong>zum</strong> Beispiel Verwendung <strong>in</strong> Duftkompositionen (Parfüms) <strong>und</strong> anderen<br />

Kosmetika. Solche Produkte enthalten häufig teils natürliche, teils künstliche<br />

ätherische Öle. Wiederholte Qualitätsuntersuchungen von ätherischen<br />

Ölen zeigen, dass erstaunliche Fälschungen <strong>und</strong> Verfälschungen vorkommen.<br />

Für die therapeutische Anwendung muss die Qualität der verwendeten<br />

Produkte gewährleistet se<strong>in</strong>. Immer wieder wird auch von Anwendern<br />

nicht zwischen natürlichen <strong>und</strong> künstlichen Ölen differenziert.<br />

WIRKUNGEN UND WIRKSAMKEIT DER AROMATHERAPIE<br />

Die Anwendung ätherischer Öle ist auch <strong>in</strong> der wissenschaftlichen Betrachtung<br />

e<strong>in</strong>e außerordentlich komplexe Therapie mit vielfältigen Aspekten, die<br />

bei jeder Evaluation berücksichtigt werden müssen. Die Wirkungsmodalitäten<br />

lassen sich <strong>in</strong> vier Bereiche e<strong>in</strong>teilen (Abb. 22): pharmakologische,<br />

psychosomatische <strong>und</strong> semantische Gesichtspunkte sowie Aspekte von zu-


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Arzneimittel der komplementären Mediz<strong>in</strong>, REICHLING, MÜLLER-JAHNCKE, BORCHARDT (HRSG.), © 2001 Govi-Verlag , Eschborn<br />

Psychosomatische Modalitäten<br />

• Abhängig von (<strong>in</strong>dividueller) Erwartungshaltung<br />

(z.B. fördernd, schädlich, <strong>in</strong>different)<br />

• Erfahrungen <strong>in</strong> bestimmten Lebensituationen<br />

• Speicherung von Dufterfahrungen <strong>und</strong> Emotionen<br />

• Meist niedrige Konzentrationen/Dosierungen<br />

• Ke<strong>in</strong>e systematischen Beziehungen zwischen Intensität<br />

<strong>und</strong> Wirkungen<br />

• Konditionierungsmöglichkeiten<br />

(auch für physiologische Reaktionen)<br />

Pharmakologische Modalitäten<br />

• Physikalisch-chemische Substanzeigenschaften<br />

• Substanzspezifischer Wirkungsmechanismus<br />

• Wirkungen konzentrationsabhängig<br />

• Dosierungen teilweise niedriger als <strong>in</strong> üblicher Pharmakotherapie<br />

• Verallgeme<strong>in</strong>barkeit von Wirkungen<br />

Aromatherapie<br />

Spezifität – Intensität<br />

Personenbezogenheit – Kontextbezogenheit<br />

Modalitäten von Lust <strong>und</strong> Unlust<br />

• Gefühle von Lust-Unlust (angenehm – unangenehm)<br />

• Personen- bzw. Gruppenbezug<br />

• Graduelle Abhängigkeit der Reaktionen<br />

• Zentrale Erfahrungen affektiver Zustände<br />

• Vielfältige kognitive <strong>und</strong> verhaltensbezogene Reaktionsmöglichkeiten<br />

Semantische Modalitäten<br />

• Primär ke<strong>in</strong>e Substanzspezifität<br />

• Primär ke<strong>in</strong>e Konzentrationsabhängigkeit<br />

• Wirkung von Gerüchen/Düften als (<strong>in</strong>dividuelle)<br />

Zeichen<br />

ABBILDUNG 22 • MODALITÄTEN UND BEURTEILUNGSASPEKTE DER AROMATHERAPIE<br />

• AROMATHERAPIE


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• AROMATHERAPIE<br />

meist <strong>in</strong>dividueller Lust <strong>und</strong> Unlust. Jeder dieser Bereiche weist spezifische<br />

Gesichtspunkte auf, deren Bedeutung je nach therapeutischen Zielen unterschiedlich<br />

gewichtet werden muss. So treten <strong>zum</strong> Beispiel bei Anwendung<br />

von ätherischen Ölen <strong>in</strong> der Lokalbehandlung von bakteriellen Haut<strong>in</strong>fektionen<br />

die pharmakologischen Gesichtspunkte ganz <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Die antibakteriellen Wirkungen hängen ausschließlich von den physikalisch-chemischen<br />

Eigenschaften <strong>und</strong> der verwendeten Konzentration ab.<br />

Der Wirkungsmechanismus ist substanzspezifisch <strong>und</strong> die Wirkungen lassen<br />

sich zwanglos verallgeme<strong>in</strong>ern. Semantische <strong>und</strong> psychosomatische Gesichtspunkte<br />

spielen, von der <strong>in</strong>dividuellen Geruchsverträglichkeit eventuell<br />

abgesehen, ke<strong>in</strong>e Rolle für die Wirksamkeit. Ganz anders ist die Situation,<br />

wenn es darum geht, beispielsweise die Stimmung bei e<strong>in</strong>em Patienten zu<br />

heben. Hier können <strong>in</strong>dividuell oder auch bezogen auf bestimmte Gruppen<br />

von Patienten semantische <strong>und</strong>/oder psychosomatische Modalitäten die<br />

pharmakologischen Gesichtspunkte weitestgehend <strong>in</strong> den therapeutischen<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> treten lassen. Dies ist auch bei der therapeutischen Forschung<br />

<strong>und</strong> der entsprechenden Methodenauswahl zu berücksichtigen. Selbstverständlich<br />

gibt es zahlreiche Situationen, <strong>in</strong> denen sowohl die Methoden der<br />

üblichen pharmakologischen Forschung wie auch die Methoden qualitativer<br />

Forschung zur Evaluation s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> gegebenenfalls notwendig s<strong>in</strong>d.<br />

Die offensichtliche Mehrdimensionalität der Wirkungen macht es verständlich,<br />

dass zahlreiche Anwendungen der Aromatherapie als ganzheitliche,<br />

das heißt mehrdimensionale <strong>und</strong> personenzentrierte Therapieansätze<br />

betrachtet <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gesetzt werden. In e<strong>in</strong>er reflektierten Aromatherapie müssen<br />

patienten- <strong>und</strong> situationsorientiert <strong>in</strong>dividuelle personenzentrierte <strong>und</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>e krankheitszentrierte Gesichtspunkte ausbalanciert werden. E<strong>in</strong>e<br />

unmittelbare Übertragung von gruppenbezogenen Forschungsergebnissen<br />

(z.B. »antidepressives« oder »sedierendes« ätherisches Öl) <strong>in</strong> die Behandlung<br />

e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Patienten kann bereits aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten<br />

unangemessen se<strong>in</strong>.<br />

Diese differenzierte Situation <strong>und</strong> die vielfältigen Möglichkeiten der Aromatherapie<br />

spiegeln sich auch im breiten Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> deren möglichen Ausweitung wider (Tab. 27). Über längere<br />

Zeit beruhten die mitgeteilten Erfahrungen hauptsächlich auf Fallbeobachtungen.<br />

In den letzten Jahren <strong>wurde</strong>n jedoch e<strong>in</strong>e Reihe von kontrollierten<br />

kl<strong>in</strong>ischen Studien <strong>und</strong> nachvollziehbaren Anwendungsbeobachtungen <strong>und</strong><br />

vor allem qualitative Studien durchgeführt. Nicht zuletzt dadurch hat die<br />

Aromatherapie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Behandlungssituationen ihren Platz gef<strong>und</strong>en.<br />

E<strong>in</strong>e relativ große Rolle spielen Aromatherapie <strong>und</strong> Duftanwendungen<br />

auch <strong>in</strong> der Gestaltung des Alltags <strong>und</strong> der besseren Bewältigung<br />

von Alltagsaufgaben. Auch <strong>in</strong> der Arbeitsmediz<strong>in</strong> wird immer wieder geprüft,<br />

ob aromatherapeutische Ansätze s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong> könnten.<br />

Derzeit werden ätherische Öle wie auch andere Formen von Duftanwendungen<br />

umfangreich daraufh<strong>in</strong> untersucht, ob sich dadurch neue Arzneimittel<br />

bzw. so genannte »Life-style-Mittel« f<strong>in</strong>den bzw. entwickeln lassen.


TABELLE 27 • VIELFÄLTIGE GEGENWÄRTIGE UND KÜNFTIGE VERWENDUNGEN VON<br />

DÜFTEN<br />

(THERAPEUTISCHE BEOBACHTUNGEN, STUDIEN UND EXPERIMENTE; AUSWAHL)<br />

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Therapieversuche<br />

Entspannung – Beruhigung – Belebung<br />

L<strong>in</strong>derung von Stress – L<strong>in</strong>derung von<br />

Ängsten<br />

Bee<strong>in</strong>flussung des Immunsystems<br />

Verbesserung der Gemütsverfassung<br />

Antidepressive Wirkungen<br />

Bee<strong>in</strong>flussung der Schmerzwahrnehmung<br />

Bee<strong>in</strong>flussung von Wirkungen <strong>und</strong> Nebenwirkungen<br />

im Rahmen von Tumortherapien<br />

Verbesserung des subjektiven Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />

Anwendung im Rahmen (körperorientierter)<br />

Psychotherapieverfahren <strong>und</strong> psychosomatischer<br />

Behandlungskonzepte<br />

Verbreitete mediz<strong>in</strong>ische Anwendungen<br />

Geburtsvorbereitung – Geburt – Wochenbett<br />

Palliativtherapie (z.B. Tumorpatienten)<br />

Sterbephase (z.B. Hospize)<br />

Intensivmediz<strong>in</strong> – Intensivpflege<br />

Geriatrie (z.B. desorientierte, ängstliche,<br />

depressive Patienten)<br />

Neurologische Patienten<br />

Pädiatrie<br />

Erkältungskrankheiten<br />

Alltag<br />

Steuerung des Tagesablaufs durch Gerüche<br />

(E<strong>in</strong>schlafen, Schlaf, Aufwachen, Aktivierung,<br />

Schlaf-Wach-Rhythmus)<br />

Bee<strong>in</strong>flussung von Konzentration, Wahrnehmung,<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion<br />

Leistungssteigerung bei körperlichen<br />

<strong>und</strong>/oder geistigen Aufgaben<br />

Odorphone <strong>zum</strong> Wachhalten – Anwendung<br />

beim jetlag<br />

Duftmanipulationen zur Bee<strong>in</strong>flussung<br />

der Psyche<br />

Charakterisierung von E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten<br />

z.B. bei Erschöpfung, Kopfschmerzen,<br />

Migräne, Depressionen, Angst, Psychosen,<br />

Essstörungen, Arrhythmien<br />

Suche nach »aromatischen« Entspannungsmitteln,<br />

Schlafmitteln, Stimulanzien,<br />

Antidepressiva <strong>und</strong> Schmerzmitteln<br />

(potentielle Marktgröße)<br />

Konditionierung von Wirkungen (Gerüche<br />

bei Testsituationen)<br />

Konsum<br />

Duftmanipulationen zur Bee<strong>in</strong>flussung des<br />

Konsums<br />

Auswahl von D<strong>in</strong>gen des täglichen Lebens<br />

entsprechend emotionalen Bedürfnissen<br />

(Parfümierung)<br />

Raumparfümierung bei Verkäufen<br />

Parfümierung bzw. Aromatisierung der Bekleidung<br />

Backgerüche<br />

Ätherische Öle beim Immobilienverkauf<br />

Ätherische Öle <strong>in</strong> Hotels<br />

Duftorgeln, Duftverteiler-Computer<br />

(Musik, Rhythmus)<br />

• AROMATHERAPIE


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• AROMATHERAPIE<br />

Systematische Ansätze der Verwendung ätherischer Öle s<strong>in</strong>d im Zusammenhang<br />

mit Versuchen zur Verkaufsförderung zu f<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong>e Reihe von ätherischen Ölen werden mit üblichen pharmakologischen<br />

Methoden tierexperimentell <strong>und</strong> an Probanden auf therapeutisch bedeutsame<br />

allgeme<strong>in</strong>e Wirkungen untersucht, <strong>zum</strong> Beispiel Lavendelöl zur<br />

Sedierung. In experimentellen Arbeiten zeigte <strong>zum</strong> Beispiel Buchbauer an<br />

Mäusen (mit <strong>und</strong> ohne Vorbehandlung mit Coffe<strong>in</strong>) e<strong>in</strong>e Abnahme der lokomotorischen<br />

Aktivität durch Inhalation von Lavendelöl <strong>und</strong> dessen beiden<br />

Haupt<strong>in</strong>haltsstoffen. Dies lässt sich als H<strong>in</strong>weis auf sedierende Wirkungen<br />

<strong>in</strong>terpretieren. In kl<strong>in</strong>ischen Experimenten ließ sich zeigen, dass die Inhalation<br />

von Lavendelöl zu Veränderungen des Hautwiderstandes führte<br />

wie sie auch nach Sedativ-Hypnotika beobachtet <strong>wurde</strong>n. Die Ergebnisse<br />

<strong>wurde</strong>n als H<strong>in</strong>weise auf sedierende <strong>und</strong> gewisse sympathikusdämpfende<br />

Effekte gedeutet. In die Richtung sedierender Wirkungen weisen auch<br />

Hirnstrommessungen <strong>und</strong> Ergebnisse aus zerebralen Blutflussmessungen<br />

mittels Xenon-Positronen-Emissions-Tomographie.<br />

Auch für andere ätherische Öle (z.B. Eucalyptusöl, Jasm<strong>in</strong>öl, Orangenöl,<br />

Pfefferm<strong>in</strong>zöl, Rosenöl, Rosmar<strong>in</strong>öl, Sandelholzöl oder Zitronenöl) s<strong>in</strong>d<br />

aufgr<strong>und</strong> kl<strong>in</strong>isch-experimenteller Bef<strong>und</strong>e therapeutische Wirkungen postuliert<br />

worden, <strong>zum</strong> Beispiel gedächtnisfördernde, aktivierende oder desaktivierende,<br />

stressl<strong>in</strong>dernde, konzentrationsfördernde Effekte oder auch H<strong>in</strong>weise<br />

auf immunaktivierende Wirkungen. Als Untersuchungsmethoden<br />

<strong>wurde</strong>n Messungen der elektrodermalen Aktivität, EEG-Messungen, Pupillometrie,<br />

Herzfrequenzanalysen, Speichelanalysen, Schlaflabormessungen<br />

oder die Bewältigung von Lernaufgaben e<strong>in</strong>schließlich computergestützter<br />

Testserien verwendet. Wenngleich sich durchaus gruppenbezogene Eigenschaften<br />

experimentell f<strong>in</strong>den lassen, so ist doch weiterh<strong>in</strong> unklar, <strong>in</strong> welchem<br />

Ausmaß diese Ergebnisse die bisherige <strong>in</strong>dividualisierte aromatherapeutische<br />

<strong>Praxis</strong> ersetzen könnten.<br />

WIRKUNGSMECHANISMEN<br />

Derzeit ist nicht abschließend geklärt, wie die Wirkungen ätherischer Öle<br />

<strong>in</strong> der Aromatherapie im engeren S<strong>in</strong>ne vermittelt se<strong>in</strong> könnten. Als mögliche<br />

Wirkungsmechanismen werden konzentrationsabhängige stofflich vermittelte<br />

Wirkungen nach Resorption (z.B. <strong>in</strong>halativ, cutan, enteral) diskutiert.<br />

Möglich ist auch e<strong>in</strong>e Wirkung auf das Bef<strong>in</strong>den direkt über den<br />

Geruchss<strong>in</strong>n <strong>und</strong> das Riechhirn (Stimulation olfaktorischer Zentren) nach<br />

nasaler bzw. pulmonaler Resorption. Hier könnten sowohl unmittelbare<br />

reflektorische Wirkungen durch e<strong>in</strong>en Duftreiz wie auch physiologischpharmakologische<br />

Wirkungen nach systemischer Resorption von Duftmolekülen<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Buchbauer weist darauf h<strong>in</strong>, dass entsprechend<br />

diesen Möglichkeiten unterschiedliche Forschungsgebiete <strong>in</strong> der Aufklärung<br />

des Wirkungsmechanismus e<strong>in</strong>e Rolle spielen könnten: Soweit es


um Effekte durch Stimulation olfaktorischer Zentren geht, die Aromachologie,<br />

soweit es sich um Reaktionen nach systemischer Resorption handelt,<br />

die Aromatherapie. Allerd<strong>in</strong>gs wird bislang ke<strong>in</strong>eswegs immer <strong>in</strong> dieser<br />

Form zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Forschungsbereichen unterschieden. Zudem<br />

spielen sicher auch psychische Wirkungen sowie Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong> Assoziationen<br />

bei den Geruchswirkungen e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Außerdem f<strong>in</strong>den sich mittlerweile <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Untersuchungen<br />

<strong>und</strong> Studien e<strong>in</strong>deutige experimentelle <strong>und</strong> kl<strong>in</strong>ische H<strong>in</strong>weise auf konzentrationsabhängige<br />

direkte analgetische, antiphlogistische, adstr<strong>in</strong>gierende,<br />

choleretische, karm<strong>in</strong>ative, spasmolytische, hyperämisierende, <strong>und</strong> vor allem<br />

bakterizide, fungistatische <strong>und</strong> antivirale Wirkungen.<br />

161<br />

• AROMATHERAPIE<br />

PHARMAKOKINETISCHE GESICHTSPUNKTE<br />

BEI DER ANWENDUNG ÄTHERISCHER ÖLE<br />

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Die pharmakok<strong>in</strong>etische Betrachtung von Vielstoffgemischen ist außerordentlich<br />

komplex. Bereits aus praktischen <strong>und</strong> methodologischen Gründen<br />

liegen, wenn überhaupt, <strong>zum</strong>eist nur für e<strong>in</strong>ige wenige Substanzen Daten<br />

von Patienten vor. Aufgr<strong>und</strong> von bisherigen Untersuchungen <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Analogiebetrachtungen ist davon auszugehen, dass die mehr<br />

oder m<strong>in</strong>der ausgeprägt lipophilen Inhaltsstoffe der ätherischen Öle über<br />

Haut <strong>und</strong> Schleimhäute rasch <strong>und</strong> <strong>in</strong> relativ hohem Ausmaß resorbiert werden<br />

(auch bei balneologischen Anwendungen). Für das Ausmaß der Resorption<br />

spielen e<strong>in</strong>e Reihe von Faktoren e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle (siehe »Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Gesichtspunkte« <strong>in</strong> Tab. 28). Häufig unterschätzt wird die Bedeutung<br />

des Vehikels für die Verfügbarkeit des ätherischen Öls am Ort der Resorption<br />

(z.B. Übertritt der Inhaltsstoffe des ätherischen Öls aus dem Vehikel<br />

<strong>in</strong> die Haut). E<strong>in</strong>e beispielhafte Abschätzung der Menge des systemisch<br />

verfügbaren ätherischen Öls nach cutaner Applikation im Zusammenhang<br />

mit e<strong>in</strong>er Massage ist <strong>in</strong> Tabelle 28 zusammengefasst. Ebenfalls mit rascher<br />

<strong>und</strong> hoher Resorption ist nach <strong>in</strong>halativer Anwendung zu rechnen.<br />

Die Stoffe verteilen sich rasch im Organismus, aufgr<strong>und</strong> ihrer <strong>zum</strong> Teil<br />

sehr hohen Lipophilie auch im peripheren <strong>und</strong> zentralen Nervensystem.<br />

Anteile des peripheren Nervensystems <strong>in</strong> der Haut werden auch durch »Diffusion«<br />

der Inhaltsstoffe nach topischer Auftragung direkt stimuliert, e<strong>in</strong> Effekt,<br />

der <strong>zum</strong> Beispiel <strong>in</strong> der topischen Schmerztherapie ausgenutzt wird.<br />

E<strong>in</strong>e Metabolisierung kann <strong>in</strong> zahlreichen Geweben erfolgen, wesentliche<br />

Stoffwechselorte s<strong>in</strong>d die verschiedenen Enzymsysteme der Leber. Die Ausscheidung<br />

der Inhaltsstoffe bzw. ihrer Stoffwechselprodukte erfolgt über die<br />

Nieren (wasserlösliche Metaboliten), <strong>zum</strong> Teil auch über Haut <strong>und</strong><br />

Schleimhäute sowie über die Lungen <strong>und</strong> die Faeces. Je nach physikalischchemischen<br />

Eigenschaften ist e<strong>in</strong> Übertritt <strong>in</strong> die Muttermilch möglich.<br />

Auch aus Düften erfolgt über die Nase e<strong>in</strong>e außerordentliche rasche Resorption.<br />

Sowohl der Nervus olfactorius wie auch <strong>in</strong>tranasale Anteile des


162<br />

TABELLE 28 • RESORPTION BZW. AUFNAHME<br />

VON ÄTHERISCHEN ÖLEN ÜBER DIE HAUT<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Gesichtspunkte<br />

Primäre Faktoren<br />

Sek<strong>und</strong>äre Faktoren<br />

• AROMATHERAPIE<br />

Konzentration bzw. Verdünnung<br />

Menge des ätherischen Öls<br />

Anwendungsfläche (Hautareal)<br />

Art des ätherischen Öls<br />

Vehikel (meist fettes Öl)<br />

Behandelter Körperteil<br />

Temperatur <strong>und</strong> Feuchtigkeit der Haut<br />

Integrität bzw. Verletzung der Haut<br />

Resorptionskapazität der Haut (u.a. Durchblutung)<br />

Abdeckung bzw. Okklusion<br />

Zeitpunkt des nächsten Waschens<br />

Cutane Resorption<br />

am Beispiel e<strong>in</strong>er Massage mit e<strong>in</strong>em ätherischen Öl (Aromamassage)<br />

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Cutane Resorptionsquoten: 4–25 %<br />

Übliche Verdünnungen bei cutaner Auftragung: 3– 4 %<br />

Übliche Mengen des verdünnten Öls:<br />

5–25 ml<br />

Gleichmässige, dünne Verteilung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>malige Auftragung mit Massage pro Tag<br />

Schätzung der Aufnahme an ätherischem Öl entsprechend diesen Annahmen<br />

Verdünnungsrahmen: 1 bzw. 5 %<br />

Systemisch verfügbar: 0,002 ml – 0,3 ml bzw. @ 1/20–6 Tropfen<br />

Nervus trigem<strong>in</strong>us <strong>und</strong> das (postulierte) vomeronasale Organ werden dabei<br />

direkt erreicht <strong>und</strong> stimuliert. Dadurch werden die entsprechenden sensorisch<br />

vermittelten Effekte nahezu unmittelbar ausgelöst. Sowohl diese<br />

Strukturen wie auch weitere Anteile des ZNS werden auch nach systemischer<br />

Verfügbarkeit der Bestandteile erreicht.<br />

Die komplexen Verhältnisse der Resorptionsmöglichkeiten nach verschiedenen<br />

Applikationsarten <strong>und</strong> die Wege der Verteilung im Organismus <strong>und</strong><br />

zu den Zielorganen sowie die Ausscheidungsmöglichkeiten s<strong>in</strong>d schematisch<br />

<strong>in</strong> Abbildung 23 zusammengefasst. Man sieht, dass <strong>zum</strong> Beispiel nach<br />

topischer Auftragung nicht nur lokale Wirkungen <strong>und</strong> systemische Effekte<br />

nach Resorption auftreten können, sondern auch ZNS-vermittelte Wirkungen<br />

aufgr<strong>und</strong> der olfaktorischen Stimulation nach E<strong>in</strong>atmen.


Ätherisches Öl<br />

163<br />

Flüssig<br />

Dampf<br />

Oral<br />

M<strong>und</strong>höhle<br />

Magen<br />

Dünndarm<br />

Dermal<br />

Haut<br />

Subcutis<br />

Muskulatur<br />

Atemwege<br />

Lunge<br />

PNS<br />

Inhalativ<br />

Nase<br />

ZNS<br />

Limb. System<br />

Hypothalamus<br />

• AROMATHERAPIE<br />

Dickdarm<br />

Gelenke<br />

Blut<br />

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Faeces<br />

Durchblutete Organe<br />

Gewebe<br />

Leber-Galle<br />

Niere<br />

Ableitende Harnwege<br />

Haut<br />

ABBILDUNG 23 • PHARMAKOKINETIK ÄTHERISCHER ÖLE<br />

(PNS: PERIPHERES NERVENSYSTEM, ZNS: ZENTRALES NERVENSYSTEM)<br />

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN DER AROMATHERAPIE<br />

Lunge<br />

Ätherische Öle können wie alle arzneilich gebrauchten Substanzen <strong>und</strong><br />

Substanzgemische e<strong>in</strong>e Reihe unerwünschter Wirkungen <strong>und</strong> Allergien<br />

verursachen. Bei topischer Anwendung treten wesentlich mehr <strong>und</strong> häufiger<br />

unerwünschte Wirkungen auf, wenn ätherische Öle <strong>in</strong> hohen<br />

Konzentrationen oder gar unverdünnt aufgetragen werden. Für viele, auch


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164<br />

• AROMATHERAPIE<br />

die antimikrobiell geplanten Anwendungen genügen niedrige Konzentrationen,<br />

<strong>zum</strong> Beispiel 1 – 5 % – (10 %). Bei großflächiger Auftragung<br />

<strong>und</strong>/oder Verwendung hoher Konzentrationen können durchaus systemische<br />

unerwünschte Wirkungen bis h<strong>in</strong> zu Toxizität auftreten. Zu hohen<br />

systemisch verfügbaren Mengen tragen resorptionssteigernde Faktoren bei<br />

(Tab. 28). Vor allem bei Säugl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern ist hier Vorsicht geboten.<br />

Es gibt durchaus ätherische Öle mit e<strong>in</strong>em erheblichen toxischen<br />

Potential, die nicht <strong>in</strong> der Aromatherapie verwendet werden sollten (z.B.<br />

die ätherischen Öle aus Artemisia abs<strong>in</strong>thium, Artemisia vulgaris, Hyssopus<br />

offic<strong>in</strong>alis, Mentha pulegium, Ruta graveolens oder Thuja occidentalis).<br />

Verschiedene ätherische Öle besitzen potenziell hautreizende Inhaltsstoffe<br />

(z.B. C<strong>in</strong>namomum ceylanicum, C<strong>in</strong>namomum cassia, Syzygium<br />

aromaticum, Oreganum vulgaris, Satureja spec., Thymus vulgaris). Insgesamt<br />

sche<strong>in</strong>t die potenzielle Toxizität ätherischer Öle mit steigendem Phenolgehalt<br />

zuzunehmen.<br />

Auch bei <strong>in</strong>halativer Anwendung <strong>und</strong> bei der Aromatherapie als Duftanwendung<br />

können, wenngleich bei korrekter Anwendung selten, unerwünschte<br />

Wirkungen auftreten. Es s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen auch aerogene Allergien<br />

beschrieben.<br />

Auch unter dem Gesichtspunkt der unerwünschten Wirkungen ist es<br />

s<strong>in</strong>nvoll, sich auf ausgewählte ätherische Öle <strong>in</strong> dokumentierter Qualität zu<br />

beschränken <strong>und</strong> sich die notwendigen Daten zu erarbeiten.<br />

Die semantischen <strong>und</strong> psychosomatischen Modalitäten (siehe Abb. 22)<br />

weisen darauf h<strong>in</strong>, dass auch die <strong>in</strong>dividuell falsche Auswahl von ätherischen<br />

Ölen <strong>in</strong> der Aromatherapie zu unter Umständen erheblichen unerwünschten<br />

Wirkungen führen kann.<br />

Die orale Anwendung ätherischer Öle sollte nur durch Ärzte bzw. Therapeuten<br />

erfolgen, die das jeweilige ätherische Öl <strong>in</strong> allen therapierelevanten<br />

<strong>und</strong> toxikologischen Aspekten (v.a. auch der Dosierung) genau kennen.<br />

ANWENDUNGSFORMEN VON ÄTHERISCHEN ÖLEN<br />

Ätherische Öle werden <strong>in</strong> der Regel verdünnt verabreicht, oft als Düfte <strong>und</strong><br />

Aerosole e<strong>in</strong>schließlich der Verwendung <strong>in</strong> Duftlampen, <strong>in</strong> Form von Ganz<strong>und</strong><br />

Teilbädern, als Kompressen <strong>und</strong> Wickel, im Zusammenhang mit<br />

Massagen sowie <strong>in</strong> Form oral e<strong>in</strong>zunehmender Präparate (Tab. 29). Unverdünnte<br />

Anwendungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel nicht angebracht.<br />

Neben den re<strong>in</strong> geruchsbezogenen Wirkungen spielen je nach Anwendungsform<br />

auch andere Effekte der ätherischen Öle bzw. e<strong>in</strong>zelner Bestandteile<br />

nach <strong>in</strong>halativer, percutaner oder oraler Resorption <strong>und</strong> Verteilung im<br />

Organismus e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Häufig ist die Aromatherapie e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation mehrerer Therapiemodalitäten,<br />

<strong>zum</strong> Beispiel Berührung (»touch for health«), Massagewirkungen<br />

(»Aromamassagen«), thermische E<strong>in</strong>flüsse, Hydrotherapie, Phytotherapie


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TABELLE 29 • AUSWAHL VON ANWENDUNGSTECHNIKEN IN DER AROMATHERAPIE<br />

Ausgewählte Techniken<br />

Lokale bzw. topische<br />

Anwendungen<br />

Orale Anwendungen<br />

Anwendung als Düfte<br />

Beispiele<br />

Abreibungen<br />

E<strong>in</strong>reibungen<br />

Auflagen (z.B. Wickel, Kompressen), E<strong>in</strong>lagen<br />

Dämpfe bzw. Bedampfungen<br />

(z.B. Gesicht, Körper, Unterleib)<br />

Inhalationen (trocken – feucht; z.B. Nasen-/Rachenraum,<br />

tiefe Atemwege)<br />

Spülungen (z.B. M<strong>und</strong>, Nase, Ohren, Scheide)<br />

Vollbäder<br />

Teilbäder (z.B. Hand, Arm, Fuss, Sitz)<br />

Massagen (Ganzkörper, Teilmassagen, Klassische Massage,<br />

verschiedene Reflexmassagen)<br />

Waschungen (Ganzkörper, Teilwaschungen)<br />

Z.B. ger<strong>in</strong>ge Mengen unverdünnt (z.B. verkapselt),<br />

Verdünnungen, Aufgüsse, <strong>in</strong> Form verarbeiteter Produkte<br />

(z.B. T<strong>in</strong>kturen, Sirupe, We<strong>in</strong>e)<br />

Z.B. Kissen, Lampen, Räucherungen, Vernebelungen<br />

<strong>und</strong> Geruchswirkungen (e<strong>in</strong>schließlich <strong>in</strong>dividueller Wohlgerüche). Ebenso<br />

ist die Aromatherapie häufig Bestandteil e<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ationstherapie.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus spielt auch das »Behandlungssett<strong>in</strong>g« e<strong>in</strong>e große Rolle:<br />

Entspannung, Relaxation, Musik, phantasievolle Erwartung <strong>und</strong> bestimmte<br />

Rituale der Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung. Viele Aspekte der Aromatherapie<br />

werden von Patienten selbst durchgeführt, allerd<strong>in</strong>gs wird vor allem zu<br />

Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er solchen Behandlung <strong>zum</strong><strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Beratung von Aromatherapeuten<br />

<strong>in</strong> Anspruch genommen. Wenngleich der Begriff der Aromatherapie<br />

die stofflichen Bezüge zu ätherischen Ölen <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> stellt,<br />

sollten die Fähigkeiten <strong>und</strong> die jeweilige Persönlichkeit des Therapeuten<br />

oder der Therapeut<strong>in</strong> nicht unterschätzt werden. E<strong>in</strong>e konventionelle, re<strong>in</strong><br />

pharmakologische Beurteilung der Aromatherapie beleuchtet nur e<strong>in</strong>en<br />

Teilaspekt dieses komplexen Therapieansatzes.<br />

165<br />

• AROMATHERAPIE


166<br />

• AROMATHERAPIE<br />

PRAKTISCHES VORGEHEN IN DER AROMATHERAPIE<br />

In Planung <strong>und</strong> Durchführung der Aromatherapie müssen sowohl die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Gesichtspunkte des Patienten wie auch die pharmakologischen<br />

Eigenschaften der verwendeten ätherischen Öle berücksichtigt werden<br />

(Tab. 30). Die genaue Absprache mit dem Patienten ist <strong>in</strong>sofern besonders<br />

wichtig, da Geruchse<strong>in</strong>drücke zu den am längsten gespeicherten sensorischen<br />

E<strong>in</strong>drücken <strong>und</strong> Erfahrungen gehören <strong>und</strong> häufig mit anderen Erfahrungen<br />

gekoppelt s<strong>in</strong>d. Unangenehme Vorerfahrungen e<strong>in</strong>es Patienten mit<br />

e<strong>in</strong>em ätherischen Öl können durchaus pharmakologisch evaluierte allgeme<strong>in</strong>e<br />

Wirkungen dieses Öls (z.B. antidepressive Wirkungen) konterkarieren.<br />

Umweltbed<strong>in</strong>gungen wie etwa Temperatur <strong>und</strong> Luftfeuchtigkeit können<br />

das Riechorgan <strong>und</strong> damit auch die Wirksamkeit der Aromatherapie bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Die Evaluation der Erfahrungen mit der basalen Stimulation (siehe<br />

Abb. 24) weist darauf h<strong>in</strong>, dass für e<strong>in</strong>e andauernde Wirksamkeit vielfach<br />

ke<strong>in</strong> gleich bleibender e<strong>in</strong>heitlicher Raumgeruch aufgebaut werden sollte<br />

(gleich bleibendes »Feld«). Es sche<strong>in</strong>t durch e<strong>in</strong> über längere Zeit gleich<br />

bleibendes Feld von Gerüchen zu Adaptationen <strong>und</strong> möglicherweise auch<br />

zu e<strong>in</strong>er Art von Toleranzentwicklung kommen zu können.<br />

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DOSIERUNGEN IN DER AROMATHERAPIE<br />

Gerade wenn die geruchsbezogenen Wirkungen der Aromatherapie im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen, müssen die Modalitäten berücksichtigt werden (siehe Abb.<br />

22). Es können mitunter außerordentlich niedrige Konzentrationen angemessen<br />

se<strong>in</strong>. Für andere Anwendungsformen s<strong>in</strong>d Dosierungsh<strong>in</strong>weise <strong>in</strong> Tabelle<br />

31 zusammengefasst. Diese Dosierungsh<strong>in</strong>weise s<strong>in</strong>d nicht systematisch evaluiert<br />

sondern Erfahrungswerte, die e<strong>in</strong>e Orientierung ermöglichen sollen.<br />

TABELLE 30 • PRAKTISCHES VORGEHEN IN DER AROMATHERAPIE<br />

Sorgfältige Planung<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>äre Absprache<br />

Absprache mit PatientIn<br />

Formulierung von<br />

Behandlungszielen<br />

Auswahl e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividuell<br />

geeigneten ätherischen Öls<br />

Induviduelle<br />

Geruchsprobe (positiv, negativ)<br />

Prüfung der Verträglichkeit<br />

Geeignete Dosiswahl<br />

Beobachtung des/r PatientIn


TABELLE 31 • AROMATHERAPIE – DOSIERUNGSBEISPIELE<br />

Bäder<br />

Feuchte Anwendungen<br />

Vollbäder (5 bis 10 Trpf.)<br />

3 bis 4 Trpf.<br />

Sitzbäder (4 bis 5 Trpf.)<br />

Wickel <strong>und</strong> Auflagen<br />

Hand- <strong>und</strong> Fußbäder<br />

3 bis 5 Trpf.<br />

Raumaromatisierung<br />

Kalte Kompressen<br />

Duftschalen<br />

1 bis 3 Trpf.<br />

1 bis 6 Trpf., 2- bis 3-mal pro Tag<br />

Heisse Kompressen<br />

Tongefässe<br />

1 bis 3 Trpf.<br />

1 bis mehrere Trpf.<br />

Heilerdeauflagen<br />

Aerosolgeräte<br />

1 bis 3 Trpf.<br />

5 bis 20 M<strong>in</strong>uten, mehrmals pro Tag<br />

Quarkauflagen<br />

Duftlampen<br />

3 bis 5 Trpf.<br />

2 bis 5 bis 10 Trpf., mehrmals pro Tag<br />

167<br />

• AROMATHERAPIE<br />

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ABBILDUNG 24 •<br />

KONZEPT<br />

DER BASALEN<br />

STIMULATION<br />

TherapeutIn<br />

stimuliert<br />

TherapeutIn<br />

spürt<br />

PatientIn spürt<br />

PatientIn reagiert<br />

ATEMSTIMULIERENDE EINREIBUNG UND BASALE STIMULATION<br />

Atemstimulierende E<strong>in</strong>reibung (ASE) (Tab. 32) <strong>und</strong> basale Stimulation (siehe<br />

Abb. 24) s<strong>in</strong>d differenzierte Spezialformen der Aromatherapie, die mittlerweile<br />

<strong>in</strong> der Pflege bzw. <strong>in</strong> der Intensivpflege etabliert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> für die e<strong>in</strong>e<br />

Reihe qualitativer Untersuchungen vorliegen. Gerade die Methode bzw.<br />

das Konzept der basalen Stimulation, die derzeit weit verbreitet <strong>und</strong> offensichtlich<br />

erfolgreich bei bewusstlosen Patienten <strong>in</strong> der Intensivpflege angewendet<br />

wird, zeigt die Aspekte e<strong>in</strong>er mehrdimensionalen, »ganzheitlichen«<br />

Aromatherapie: E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e komplexe Therapie, Ausnutzung der


168<br />

• AROMATHERAPIE<br />

TABELLE 32 • ATEMSTIMULIERENDE EINREIBUNG (ASE) MIT ÄTHERISCHEN ÖLEN<br />

Ziele<br />

Förderung der Atmung<br />

Förderung des E<strong>in</strong>schlafens<br />

Beruhigende Wirkungen<br />

Orientierende Wirkungen<br />

Anwendungsbereiche<br />

Atemprobleme<br />

E<strong>in</strong>schlafstörungen<br />

Unruhe<br />

Emotionale Belastungen<br />

Verwirrtheitszustände<br />

sensorischen Möglichkeiten olfaktorischer Stimulationen <strong>und</strong> auch gustatorischer<br />

E<strong>in</strong>flüsse (Komb<strong>in</strong>ation von Riechen <strong>und</strong> Schmecken), Rückgriff<br />

auf die Biographie des Patienten mit der Auswahl e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividuell angenehmen<br />

bzw. anregenden Geruchs (etwa aufgr<strong>und</strong> von Information durch Angehörige),<br />

sensorische Reize des ätherischen Öls auf der Haut <strong>und</strong> möglicherweise<br />

tiefer gelegener Strukturen, pflegende Wirkungen des ätherischen<br />

Öls (u.a. auch als Prävention vor Druckgeschwüren, Infektionen).<br />

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ESOTERISCHE FORMEN DER AROMATHERAPIE<br />

In vor allem esoterischen Teilen der Aromatherapie (Dufttherapie mittels<br />

E<strong>in</strong>atmen bzw. Inhalation von Duftmolekülen; Anwendung u.a. auch <strong>in</strong><br />

Form cutaner Auftragungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>reibungen) wird davon ausgegangen,<br />

dass jede Pflanze, vor allem aber jede Heilpflanze, e<strong>in</strong>e Art Energiepotenzial<br />

besitzt, das mit dem typischen Duft (ätherische Öle als Duftstoffe) auf<br />

Menschen <strong>und</strong> Patienten übertragen werden kann. Dadurch sollen Selbstregulationskräfte<br />

bzw. Selbstheilungskräfte im Organismus des Behandelten<br />

angeregt oder aktiviert <strong>und</strong> das Gleichgewicht zwischen Körper <strong>und</strong> Seele<br />

gefördert bzw. hergestellt werden. Zumeist wird postuliert, dass zur Erzielung<br />

der erwünschten Wirkungen der jeweilige Duft <strong>zum</strong> persönlichen<br />

Empf<strong>in</strong>den passen müsse. Zum Teil werden die e<strong>in</strong>zelnen Öle bzw. Duftkomb<strong>in</strong>ationen<br />

def<strong>in</strong>ierten ges<strong>und</strong>heitlichen Problemen zugeordnet (z.B. <strong>in</strong><br />

Form von »Heilpflanzen-Steckbriefen«). Weitere <strong>in</strong>tendierte Wirkungen zielen<br />

auf e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>flussung des »Stoffwechsels« <strong>und</strong> der glatten Muskulatur<br />

(u.a. E<strong>in</strong>wirken auf unwillkürliche Funktionen des Organismus). Dementsprechend<br />

s<strong>in</strong>d Hauptanwendungsbereiche dieser Form von Aromatherapie<br />

Steigerung des Wohlbef<strong>in</strong>dens <strong>und</strong> Unterstützung bei Verhütung <strong>und</strong> Heilung<br />

von Krankheiten. Für die re<strong>in</strong> esoterischen Anteile der Aromatherapie<br />

liegen ke<strong>in</strong>e systematischen Evaluationen vor. E<strong>in</strong>e Mehrdimensionalität des<br />

Behandlungsansatzes wird beansprucht. Häufig wird die Aromatherapie <strong>in</strong><br />

diesem Kontext mit vergleichbaren Therapieansätzen komb<strong>in</strong>iert (z.B.<br />

Farbtherapien).


ORALE ANWENDUNGEN DER AROMATHERAPIE<br />

Von e<strong>in</strong>er zurzeit zunehmenden Anzahl von Therapeuten wird auch die orale<br />

Anwendung von ätherischen Ölen, <strong>zum</strong> Beispiel bei chronisch rezidivierenden<br />

Harnwegs<strong>in</strong>fekten oder manchen cutanen bzw. <strong>in</strong>test<strong>in</strong>alen Pilz<strong>in</strong>fektionen<br />

der Aromatherapie zugerechnet (u.a. »Darmsanierung«). Teilweise<br />

werden Zubereitungen mit ätherischen Ölen auch rektal oder vag<strong>in</strong>al (z.B.<br />

als Apothekenzubereitungen) e<strong>in</strong>gesetzt (z.B. bei Vulvovag<strong>in</strong>itis). Für e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von ätherischen Ölen liegen zwar experimentelle H<strong>in</strong>weise auf antimikrobielle<br />

Effekte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelfallschilderungen solcher Anwendungen vor,<br />

umfängliche kl<strong>in</strong>ische Untersuchungen s<strong>in</strong>d zurzeit aber nicht verfügbar.<br />

Häufig werden solche E<strong>in</strong>satzgebiete unter Phytotherapie subsumiert. Entsprechend<br />

gibt es e<strong>in</strong>e Reihe von Fertigarzneimittel zur oralen Anwendung,<br />

die ätherische Öle enthalten <strong>und</strong> mittlerweile auch <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischen Untersuchungen<br />

bzw. vergleichenden Studien geprüft s<strong>in</strong>d (z.B. zur Behandlung<br />

von Erkältungskrankheiten, Dyspepsie, Reizdarmsyndrom).<br />

169<br />

• AROMATHERAPIE<br />

AUSBLICK<br />

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Wie <strong>in</strong> anderen therapeutischen Bereichen spielen <strong>in</strong> dem vielfältigen Bereich<br />

der Aromatherapie Trends <strong>und</strong> Moden e<strong>in</strong>e Rolle. Es ist jedoch zu erwarten,<br />

dass sich die Aromatherapie sowohl mit ihren duftgeb<strong>und</strong>enen Wirkungen<br />

wie auch mit e<strong>in</strong>er Anzahl konzentrations- <strong>und</strong> substanzgeb<strong>und</strong>ener<br />

Wirkungen weiter etablieren wird. Zu den letzteren Anwendungsmöglichkeiten<br />

werden aller Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nach die topischen Applikationen<br />

gehören. Die Wirkungen gegenüber Bakterien, Pilzen <strong>und</strong> Viren bef<strong>in</strong>den<br />

sich zur Zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiven Beforschung. Ebenso ist zu erwarten,<br />

dass die Bedeutung der Aromatherapie <strong>in</strong> der Pflege weiter zunehmen wird.

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