26.05.2014 Aufrufe

Die Anzeigepflicht von Ärzten, Jugendwohlfahrtseinrichtungen und ...

Die Anzeigepflicht von Ärzten, Jugendwohlfahrtseinrichtungen und ...

Die Anzeigepflicht von Ärzten, Jugendwohlfahrtseinrichtungen und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>,<br />

<strong>Jugendwohlfahrtseinrichtungen</strong> <strong>und</strong><br />

Schulpädagogen bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung<br />

Dissertation<br />

Zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der<br />

Rechtswissenschaften<br />

an der Karl-Franzens-Universität Graz<br />

<strong>von</strong><br />

Mag. Monika Zenz<br />

Eingereicht bei:<br />

o. Univ. Prof. Dr. Peter J. SCHICK<br />

<strong>und</strong><br />

ao. Univ. Prof. DDr. Bernd WIESER<br />

Graz, im September 2009


Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig <strong>und</strong> ohne<br />

fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet <strong>und</strong><br />

die den benützten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche<br />

kenntlich gemacht habe.<br />

………………………………………………….<br />

Graz, im September 2009


VORWORT<br />

An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die mich bei der Erstellung dieser<br />

Dissertation unterstützt haben.<br />

Ich danke meinem Erstbegutachter, Herrn o. Univ. Prof. Dr. Peter J. Schick <strong>und</strong><br />

meinem Zweitbegutachter, Herrn ao. Univ. Prof. DDr. Bernd Wieser, dass sie es<br />

mir ermöglicht haben, über dieses Thema eine Arbeit zu verfassen, sowie für ihre<br />

Betreuung während dieser Zeit.<br />

Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Elisabeth Fandler, Psychologin <strong>und</strong> Leiterin<br />

der Kinderschutzgruppe Graz <strong>und</strong> Frau Dr. Andrea Huber-Zeyringer, Ärztin der<br />

Kinderschutzgruppe Graz, die mir wichtige Denkanstöße, Einblick in die tägliche<br />

Arbeit der Kinderschutzgruppe <strong>und</strong> wichtiges Informationsmaterial gegeben haben.<br />

In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Eduard Peter<br />

Leinzinger, Universitätsprofessor für Gerichtliche Medizin <strong>und</strong> Herrn Dr. Nikolaus<br />

Krebs, Mitglied der Kinderschutzgruppe Graz <strong>und</strong> Facharzt für Gerichtliche<br />

Medizin für ihre Informationen danken.<br />

Im Bereich der Jugendwohlfahrt gilt mein Dank insbesondere Frau Mag. Martina<br />

Koch-Uitz, Leiterin des Fachbereichs Jugendwohlfahrt/Recht am Amt für Jugend<br />

<strong>und</strong> Familie Graz, sowie Herrn Hofrat Dr. Helmut-Theobald Müller, Leiter der<br />

Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg <strong>und</strong> Frau Mag. Bettina Hutter-Zöhrer,<br />

Referatsleiterin der Rechtsfürsorge, Jugendwohlfahrt Deutschlandsberg. Sie<br />

haben mir viele Ideen <strong>und</strong> Hilfen geboten.<br />

Auch bei Herrn Mag. Christian Theiss, Leiter der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft<br />

Steiermark, Frau Krista Mittelbach, Psychotherapeutin der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft Steiermark, sowie bei Frau Gabriella Walisch,<br />

Fachbereichsleiterin des Kinderschutzzentrums Graz <strong>und</strong> bei Frau Susanne<br />

Pekler, Leiterin des Vereins NEUSTART Steiermark, möchte ich mich für die<br />

Möglichkeit persönlicher Gespräche bedanken.


Herrn Dr. <strong>Die</strong>ter Müller, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Steiermark <strong>und</strong><br />

Herrn Hofrat Dr. Peter Schweppe, Leiter der Rechtsabteilung, KAGes Steiermark<br />

gebührt mein Dank für ihre Unterstützung.<br />

Wesentliche Praxiseinblicke haben mir auch Frau Dr. Iris Klima, Lehrerin <strong>und</strong> Herr<br />

Dr. Klaus Kager, Arzt für Allgemeinmedizin gebracht.<br />

Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern <strong>und</strong> Großeltern bedanken, die mir<br />

einerseits das Studium ermöglicht haben <strong>und</strong> mir andererseits immer,<br />

insbesondere während der Erstellung dieser Arbeit, tatkräftig zur Seite gestanden<br />

sind. Auch meinen Fre<strong>und</strong>en möchte ich herzlich für ihre Anregungen,<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Hilfe danken.<br />

Graz, im September 2009<br />

Monika Zenz


Inhaltsverzeichnis<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

INHALTSVERZEICHNIS..................................................................................... I<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.........................................................................VI<br />

1. Einleitung............................................................................................... 1<br />

1.1. Ausgangspunkt <strong>und</strong> Fragestellung ...................................................... 1<br />

1.2. Ziel....................................................................................................... 2<br />

1.3. Aufbau ................................................................................................. 3<br />

2. Kindesmisshandlung............................................................................ 6<br />

2.1. Kindeswohl .......................................................................................... 6<br />

2.2. Erziehungsrecht als Rechtfertigung – Züchtigungsverbot.................... 8<br />

2.3. Definition der Kindesmisshandlung ................................................... 11<br />

2.4. Formen der Kindesmisshandlung...................................................... 12<br />

2.4.1. Körperliche Kindesmisshandlung ............................................... 13<br />

2.4.2. Seelische Kindesmisshandlung.................................................. 14<br />

2.4.3. Vernachlässigung....................................................................... 15<br />

2.5. Ursachen ........................................................................................... 16<br />

2.6. Internationale Verpflichtung zum Schutz des Kindeswohls................ 18<br />

3. Strafrechtsdogmatische Aspekte ...................................................... 19<br />

3.1. § 92 StGB Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder<br />

wehrloser Personen......................................................................... 21<br />

3.2. Körperverletzungsdelikte ................................................................... 33<br />

3.2.1. § 83 StGB Körperverletzung....................................................... 34<br />

3.2.2. § 84 StGB Schwere Körperverletzung........................................ 39<br />

3.2.3. § 85 StGB Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ............ 45<br />

3.2.4. § 86 StGB Körperverletzung mit tödlichem Ausgang.................. 48<br />

3.2.5. § 87 StGB Absichtliche schwere Körperverletzung .................... 49<br />

3.2.6. § 88 StGB Fahrlässige Körperverletzung ................................... 50<br />

3.3. § 75 Mord .......................................................................................... 51<br />

3.4. § 99 StGB Freiheitsentziehung.......................................................... 52<br />

I


Inhaltsverzeichnis<br />

3.5. §§ 105, 106 StGB (Schwere) Nötigung ............................................. 55<br />

3.6. § 107 StGB Gefährliche Drohung...................................................... 58<br />

3.7. § 107 b StGB Fortgesetzte Gewaltausübung .................................... 59<br />

3.8. § 199 StGB Vernachlässigung der Pflege, Erziehung oder<br />

Beaufsichtigung ............................................................................... 62<br />

3.9. § 196 StGB Vereitelung behördlich angeordneter<br />

Erziehungsmaßnahmen................................................................... 64<br />

3.10. § 312 Quälen oder Vernachlässigen eines Gefangenen ................... 65<br />

3.11. § 95 StGB Unterlassung der Hilfeleistung ......................................... 66<br />

4. <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen nach<br />

§ 78 StPO ............................................................................................. 68<br />

4.1. Allgemeines...................................................................................... 68<br />

4.2. Historische Entwicklung..................................................................... 68<br />

4.3. Aktuelle gültige Fassung des § 78 StPO ........................................... 73<br />

4.3.1. Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen ...................................... 74<br />

4.3.2. Gesetzmäßiger Wirkungsbereich ............................................... 79<br />

4.3.3. Weitere Elemente des § 78 StPO ............................................... 84<br />

4.3.4. Ausnahmen der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO......................... 85<br />

4.3.4.1. Vorliegen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses ...... 86<br />

4.3.4.2. Vorliegen schadensbereinigender Maßnahmen................. 88<br />

4.4. Rechtsfolgen bei Verletzung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO ...... 89<br />

4.5. Zusammenfassung der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststellen .................................................................................... 91<br />

4.6. Anzeigerecht nach § 80 StPO ........................................................... 92<br />

5. Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen........................................... 95<br />

5.1. Regelungen für Beamte des B<strong>und</strong>es................................................. 95<br />

5.2. Regelung für Vertragbedienstete des B<strong>und</strong>es................................... 98<br />

5.3. Regelungen für Beamte bzw Vertragbedienstete der Länder bzw der<br />

Gemeinden ...................................................................................... 99<br />

5.4. Anzeige- bzw Meldepflichten für Lehrer............................................. 99<br />

5.5. Meldepflichten iZm der Kinderbetreuung......................................... 101<br />

II


Inhaltsverzeichnis<br />

6. Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong>.................................................................... 102<br />

6.1. Allgemeines.................................................................................... 102<br />

6.2. Historische Entwicklung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> ..................... 103<br />

6.2.1. <strong>Die</strong> Regelung des § 359 StG.................................................... 105<br />

6.2.2. § 27 ÄrzteG 1984 ..................................................................... 106<br />

6.2.3 § 54 ÄrzteG 1998 ..................................................................... 111<br />

6.2.3.1. Ermächtigung zur Mitteilung............................................. 113<br />

6.2.3.2. <strong>Anzeigepflicht</strong>................................................................... 115<br />

6.3. Aktuelle, gültige Fassung des § 54 ÄrzteG...................................... 120<br />

6.3.1. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung <strong>und</strong><br />

sexuellem Missbrauch.............................................................. 125<br />

6.3.1.1. Volljährige Personen ........................................................ 126<br />

6.3.1.2. Minderjährige.................................................................... 126<br />

6.3.2. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei schwerer Körperverletzung.......................... 135<br />

6.3.2.1. Volljährige Personen ........................................................ 135<br />

6.3.2.2. Minderjährige Personen ................................................... 136<br />

6.3.3. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei leichter Körperverletzung............................. 137<br />

6.3.4. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Tod .............................................................. 138<br />

6.3.5. Wegfall der Ermächtigung zur Meldung.................................... 138<br />

6.4. Rechtsfolgen bei Verletzung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> .............. 140<br />

6.4.1. Disziplinarrechtliche Folgen...................................................... 140<br />

6.4.2. Verwaltungsstrafrechtliche Folgen ........................................... 143<br />

6.4.3. Strafrechtliche Folgen............................................................... 143<br />

6.5. Zusammenfassung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> ............................ 148<br />

6.6. Anzeigerecht des Arztes gem § 80 StPO ........................................ 152<br />

6.7. Weitere Regelungen im medizinischen Bereich .............................. 153<br />

6.7.1. Angehörige <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankenpflegeberufen....... 153<br />

6.7.2. Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten ...................................... 154<br />

6.7.3. Masseure.................................................................................. 154<br />

7. Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG, § 78 StPO <strong>und</strong><br />

§ 45 bzw § 53 BDG ............................................................................ 155<br />

7.1. Historischer Vergleich...................................................................... 155<br />

III


Inhaltsverzeichnis<br />

7.2. Vergleich des Adressatenkreises .................................................... 159<br />

7.3. Inhaltlicher Vergleich ....................................................................... 163<br />

8. Jugendwohlfahrt ............................................................................... 165<br />

8.1. Allgemeines..................................................................................... 165<br />

8.2. Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger ........................................ 167<br />

8.2.1. Meldepflicht nach § 37 JWG..................................................... 167<br />

8.2.2. Personenbezogene Datenerfassung gem § 2 Abs 4 JWG ....... 171<br />

8.3. <strong>Anzeigepflicht</strong> des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 78 StPO ......... 173<br />

8.4. Garantenpflicht nach § 2 StGB........................................................ 175<br />

8.4.1. Der Fall Martina......................................................................... 176<br />

8.4.2. Der Fall Luca............................................................................. 177<br />

8.5. Vorgehensweise des JWT............................................................... 178<br />

8.6. Exkurs: Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften..................................... 180<br />

8.7. Exkurs: Kinderschutzzentren........................................................... 182<br />

8.8. Exkurs: Bewährungshilfe ................................................................. 184<br />

9. Kinderschutzgruppen ....................................................................... 187<br />

9.1. Allgemeines..................................................................................... 187<br />

9.2. Kinderschutzgruppe der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz <strong>und</strong> der Univ. Klinik für Kinderchirurgie<br />

Graz............................................................................................... 189<br />

9.2.1. Zusammensetzung der Kinderschutzgruppe............................ 190<br />

9.2.2. Vorgehensweise im konkreten Einzelfall .................................. 191<br />

9.2.3. Statistik..................................................................................... 198<br />

10. Ehemalig geplante Neuregelung durch das<br />

2. Gewaltschutzgesetz...................................................................... 201<br />

10.1. Hintergründe des geplanten Gesetzesvorhabens – Gründe für die<br />

Erstattung einer Anzeige................................................................ 201<br />

10.2. Ehemalig geplante unbedingte <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong><br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen................................................................. 203<br />

10.3. Ehemalig geplante Erweiterung des Adressatenkreises................ 204<br />

IV


Inhaltsverzeichnis<br />

10.4. Argumente, die ein In-Kraft-Treten verhinderten............................ 206<br />

11. Schlussbetrachtung.......................................................................... 212<br />

11.1 Zusammenfassung der <strong>Anzeigepflicht</strong>en......................................... 213<br />

11.2. Verbesserungsvorschläge ............................................................. 218<br />

ANHANG ....................................................................................................... 221<br />

Zuweisung an die Kinderschutzgruppe..................................................... 221<br />

Dokumentation der Kinderschutzgruppe .................................................. 223<br />

Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger ................................................. 226<br />

Anzeige an die Polizei .............................................................................. 228<br />

LITERATURVERZEICHNIS........................................................................... 229<br />

GESPRÄCHSVERZEICHNIS ........................................................................ 237<br />

JUDIKATURVERZEICHNIS........................................................................... 239<br />

V


Abkürzungsverzeichnis<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

A<br />

aA .................................... andere Ansicht<br />

ABGB............................... Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch JGS 1811/946<br />

idF BGBl I 2009/52<br />

Abs................................... Absatz<br />

aF..................................... alte Fassung<br />

Anm ................................. Anmerkung<br />

Art .................................... Artikel<br />

ÄrzteG.............................. Ärztegesetz 1998 BGBl I 1998/169 idF BGBl I 2009/62<br />

AT .................................... Allgemeiner Teil<br />

B<br />

BDG................................. Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979 BGBl 1979/333 idF<br />

BGBl I 2009/77<br />

BewHG ............................ Bewährungshilfegesetz BGBl 1969/146 idF<br />

BGBl I 2009/52<br />

BGBl ................................ B<strong>und</strong>esgesetzblatt<br />

BlgNR .............................. Beilage(n) zu den stenographischen Protokollen des<br />

Nationalrates<br />

BM ................................... B<strong>und</strong>esminister/in, B<strong>und</strong>esministerium<br />

BMGFJ............................. BM für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend<br />

BMI .................................. BM für Inneres<br />

BMJ.................................. BM für Justiz<br />

BMJFG............................. Deutsches BM für Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

BMSK............................... BM für Soziales <strong>und</strong> Konsumentenschutz<br />

BMUKK ............................ BM für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />

BT .................................... Besonderer Teil<br />

B-VG................................ B<strong>und</strong>es-Verfassungsgesetz, BGBl 1930/1 idF<br />

BGBl I 2009/47<br />

bzw .................................. beziehungsweise<br />

VI


Abkürzungsverzeichnis<br />

D<br />

dh..................................... das heißt<br />

E<br />

EFSlg............................... Ehe- <strong>und</strong> familienrechtliche Entscheidungen<br />

EF-Z ................................ Zeitschrift für Ehe- <strong>und</strong> Familienrecht<br />

ErläutRV .......................... Erläuterungen zur Regierungsvorlage<br />

EvBl ................................. Evidenzblatt der Rechtmittelentscheidungen in ÖJZ<br />

F<br />

f........................................ <strong>und</strong> der/die folgende<br />

ff....................................... <strong>und</strong> der /die folgenden<br />

FN.................................... Fußnote<br />

FS .................................... Festschrift<br />

G<br />

G...................................... Gesetz<br />

gem.................................. gemäß<br />

2. GeSchG ....................... Zweites Gewaltschutzgesetz BGBl I 2009/40<br />

GP.................................... Gesetzgebungsperiode<br />

GuKG............................... Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankenpflegegesetz<br />

BGBG I 1997/108 idF BGBl I 2008/101<br />

H<br />

H ...................................... Heft<br />

hA .................................... herrschende Ansicht<br />

hL..................................... herrschende Lehre<br />

hM.................................... herrschende Meinung<br />

Hrsg ................................. Herausgeber<br />

I<br />

idF.................................... in der Fassung<br />

idR ................................... in der Regel<br />

VII


Abkürzungsverzeichnis<br />

idS.................................... in diesem Sinn<br />

idZ.................................... in diesem Zusammenhang<br />

ieS.................................... im enge(re)n Sinn<br />

iFamZ............................... Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht<br />

iS...................................... im Sinn<br />

iSd.................................... im Sinne des/der<br />

iSv.................................... im Sinne <strong>von</strong><br />

iVm................................... in Verbindung mit<br />

iwS ................................... im weite(re)n Sinn<br />

iZm................................... im Zusammenhang mit<br />

J<br />

JAB .................................. Justizausschussbericht<br />

JBl.................................... Juristische Blätter<br />

JGG ................................. Jugendgerichtsgesetz 1988 idF BGBl I 2009/52<br />

JUS-extra......................... Zeitschrift für Gesetzgebung, Judikatur <strong>und</strong> Literatur<br />

JWG................................. Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 BGBl I 1989/161 idF<br />

BGBl I 2007/41<br />

K<br />

KAKuG............................. Krankenanstalten- <strong>und</strong> Kuranstaltengesetz<br />

BGBl I 1997/1 idF BGBl I 2008/49<br />

KindRÄG.......................... Kindschaftrechts-Änderungsgesetz 2001<br />

BGBl I 2000/135 idF BGBl I 2003/29<br />

Komm .............................. Kommentar<br />

KRK ................................. Übereinkommen über die Rechte des Kindes<br />

BGBl 1993/7<br />

L<br />

LDG ................................. Landeslehrer-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz BGBl 1984/302 idF<br />

BGBl I 2009/76<br />

LGBl................................. Landesgesetzblatt<br />

LGZ.................................. Landesgericht für Zivilsachen<br />

VIII


Abkürzungsverzeichnis<br />

LReg ................................ Landesregierung<br />

M<br />

mE ................................... meines Erachtens<br />

ME ................................... Ministerialentwurf<br />

MMHmG .......................... Medizinischer Masseur- <strong>und</strong> Heilmasseurgesetz<br />

BGBl I 2002/169 idF BGBl I 2008/57.<br />

mwN................................. mit weiteren Nachweisen<br />

N<br />

Nr..................................... Nummer<br />

NRsp................................ Neue Rechtsprechung des OGH in ÖJZ<br />

O<br />

ÖA.................................... Der Österreichischer Amtsvorm<strong>und</strong>, Fachzeitschrift für<br />

Kindschaftsrecht, Familienrecht <strong>und</strong> Jugendwohlfahrt<br />

OGH................................. Oberster Gerichtshof<br />

ÖJZ.................................. Österreichische Juristen-Zeitung<br />

ÖJZ-LSK .......................... Leitsatzkartei der ÖJZ<br />

OLG ................................. Oberlandesgericht<br />

P<br />

PsychologenG.................. Psychologengesetz idF BGBl I 2001/98<br />

PsychotherapieG ............. Psychotherapiegesetz idF BGBl I 2001/98<br />

R<br />

RdM ................................. Recht der Medizin<br />

RGBl ................................ Reichsgesetzblatt<br />

RV.................................... Regierungsvorlage<br />

RZ.................................... Österreichische Richterzeitung<br />

Rz .................................... Randziffer<br />

IX


Abkürzungsverzeichnis<br />

S<br />

SchUG ............................. Schulunterrichtsgesetz BGBl 1986/472 idF<br />

BGBl I 2008/117<br />

SN.................................... Stellungnahme<br />

SPG ................................. Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566 idF<br />

BGBl I 2009/72<br />

sog................................... so genannt, -e, -er, -es<br />

SSt................................... Entscheidungen des OGH in Strafsachen<br />

StG................................... Strafgesetz 1945<br />

StGB ................................ Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 idF BGBl I 2009/52<br />

StJWG ............................. Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz 1991<br />

LGBl 1990/93 idF LGBl 2008/112<br />

StPO ................................ Strafprozessordnung 1975 BGBl 1975/631 idF<br />

BGBl I 2009/52<br />

StPRÄG 1993 .................. Strafprozessänderungsgesetz 1993 BGBl 1993/526<br />

StRÄG 1971..................... Strafrechtsänderungsgesetz 1971 BGBl Nr 273<br />

StRÄG 1987..................... Strafrechtsänderungsgesetz 1987 BGBl 1987/605<br />

SZ .................................... Entscheidungen des OGH in Zivilsachen<br />

U<br />

ua..................................... unter anderem<br />

usw .................................. <strong>und</strong> so weiter<br />

uU .................................... unter Umständen<br />

uv..................................... unveröffentlicht<br />

uvm.................................. <strong>und</strong> viele mehr<br />

V<br />

VBG ................................. Vertragsbedienstetengesetz 1948 BGBl 1948/86 idF<br />

BGBl I 2009/77<br />

VfGH................................ Verfassungsgerichtshof<br />

VfSlg ................................ Sammlung der Erkenntnisse <strong>und</strong> wichtigsten<br />

Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes<br />

vgl .................................... vergleiche<br />

X


Abkürzungsverzeichnis<br />

VwGH .............................. Verwaltungsgerichtshof<br />

W<br />

WMW ............................... Wiener Medizinische Wochenschritt<br />

Z<br />

Z....................................... Ziffer<br />

zB..................................... zum Beispiel<br />

ZVR.................................. Zeitschrift für Verkehrsrecht<br />

XI


„Das Kind wird nicht erst Mensch, es ist Mensch.“<br />

Janus Korczak


Einleitung<br />

1. Einleitung<br />

1.1. Ausgangspunkt <strong>und</strong> Fragestellung<br />

Auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong> dramatischen Fällen, die durch die Medien gegangen sind (Fall<br />

„Luca“ 1 , Fall „Amstetten“ 2 ), stellt sich die Frage nach einer Neuregelung der<br />

(ärztlichen) <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Kindesmisshandlungen bzw einer einheitlicheren<br />

Regelung bezüglich aller besonders betroffenen Berufsgruppen. Schlagzeilen wie<br />

„Zu ‚harmlos’ für eine Anzeige“ 3 , „Fall Luca: Ministerium beschuldigt Ärzte“ 4 ,<br />

„Misshandlung: Kinder untersuchen, statt Eltern anzeigen“ 5 , „Österreich: Immer<br />

mehr Kinder misshandelt“ 6 <strong>und</strong> eine Bürgerinitiative zur Verschärfung der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> 7 sind nur einige wenige Beispiele für die Brisanz des Themas. Ärzte<br />

<strong>und</strong> Lehrer 8 sind meist diejenigen, die am ehesten den Verdacht auf eine<br />

Kindesmisshandlung hegen, da sie mit Verletzungen bzw auffälligem Verhalten<br />

des Kindes konfrontiert werden.<br />

IdZ stellen sich folgende Fragen: Wer bzw welche Berufsgruppen unterliegen<br />

welchen rechtlichen Vorschriften bei Verdacht auf eine Kindesmisshandlung? Wie<br />

ist die rechtliche Situation <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>, Lehrern, Privatpersonen <strong>und</strong> dem<br />

Jugendwohlfahrtsträger zu sehen? Finden sich die jeweiligen Vorschriften<br />

einheitlich in die StPO oder in den einzelnen Berufsvorschriften? Was sind die Vorbzw<br />

Nachteile einer Inkorporierung der jeweiligen Vorschriften in der StPO oder in<br />

spezifischen Gesetzen? Welche Ursachen sind für die immer wieder auftretenden<br />

hitzigen Diskussionen verantwortlich? Sind die derzeitigen Regelungen<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

Der 17 Monate alte Luca verstarb 2007 an den Folgen des sexuellen Missbrauchs durch den<br />

damaligen Fre<strong>und</strong> der Mutter; <strong>Die</strong> Presse, 02.06.2009, 8; siehe Kapitel 8.4.2.<br />

Eine zu Beginn der Tat Minderjährige wurde 24 Jahre <strong>von</strong> ihrem Vater in einem Kellerverlies<br />

gefangen gehalten <strong>und</strong> missbraucht; LG St Pölten, 19.03.2009, 20 Hv 128/08z (uv).<br />

Kleine Zeitung, 30.04.2009, 30.<br />

<strong>Die</strong> Presse, 02.06.2009, 8.<br />

<strong>Die</strong> Presse,<br />

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/348947/index.do?from=suche.intern.portal<br />

(13.12.2007).<br />

<strong>Die</strong> Presse, 10.11.2007, 15.<br />

Bürgerinitiative „Gewalt in der Familie – Mehr Schutz für Kinder“, 9/BI 23. GP.<br />

Alle in dieser Dissertation verwendeten Berufs- <strong>und</strong> Tätigkeitsbezeichnungen wurden im<br />

Sinne der besseren Lesbarkeit geschlechtsneutral verwendet. <strong>Die</strong> Bezeichnungen sind in<br />

allen Fällen für weibliche <strong>und</strong> männliche Personen gleich zu verstehen<br />

1


Einleitung<br />

ausreichend oder sollte die <strong>Anzeigepflicht</strong> verschärft werden? Können dadurch<br />

mehr Fälle <strong>von</strong> Kindermisshandlungen verhindert oder frühzeitig(er) aufgedeckt<br />

werden bzw würden Änderungen der bestehenden Gesetze tatsächlich<br />

Verbesserungen mit sich bringen?<br />

Vor allem im Fall „Luca“ wird <strong>Ärzten</strong> ein falsches Verhalten vorgeworfen <strong>und</strong><br />

auch eine Sozialarbeiterin ist idZ in erster Instanz verurteilt worden. 9 Ist es <strong>Ärzten</strong><br />

zumutbar jeden Fall rechtlich abzuwägen <strong>und</strong> soziale Hintergründe zu<br />

recherchieren? Wie funktioniert die Handlungsweise der Kinderschutzgruppen, die<br />

an Krankenhäusern eingerichtet wurden, um dem Arzt Hilfestellung zu bieten? Gibt<br />

es diese Form <strong>von</strong> Unterstützung auch im Bereich anderer Berufsgruppen?<br />

1.2. Ziel<br />

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die derzeit geltende Rechtslage im<br />

Hinblick auf die <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht auf Kindesmisshandlung zu schaffen.<br />

Der Vergleich der gesetzlichen Regelungen mit der – an Hand <strong>von</strong> Gesprächen mit<br />

Experten <strong>und</strong> Betroffenen eruierten – Vorgehensweise in der Praxis, soll auf<br />

Mängel <strong>und</strong> Defizite hinweisen, sowie Verbesserungsvorschläge zum Schutz des<br />

Kindes aufzeigen. <strong>Die</strong> konkret betroffenen Berufsgruppen sind dabei in erster Linie<br />

Ärzte, Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt <strong>und</strong> Lehrer. Abschließend erfolgen kurze<br />

Überlegungen bezüglich der Effizienz einer Verschärfung der gesetzlich<br />

vorgeschriebenen <strong>Anzeigepflicht</strong> im Hinblick auf das Kindeswohl.<br />

9<br />

<strong>Die</strong> Presse, Fall Luca: Haft für die Mutter, 26.05.2009, 9.<br />

2


Einleitung<br />

1.3. Aufbau<br />

Am Beginn dieser Arbeit, die sich in erster Linie auf Kindesmisshandlungen im<br />

familiären Bereich bezieht, wird an Hand einer kurzen historischen Betrachtung<br />

erklärt, wie eine Kindesmisshandlung definiert ist, wann sie vorliegt <strong>und</strong> welche<br />

Formen auftreten. Dabei wird auf die Begriffe des Kindeswohls, des<br />

Züchtigungsverbotes <strong>und</strong> der Gefährdung des Kindeswohls eingegangen. Ein paar<br />

kurze Überlegungen zu den Ursachen <strong>von</strong> Kindesmisshandlungen <strong>und</strong> ein<br />

internationaler Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention r<strong>und</strong>en dieses eher<br />

einführende Kapitel ab.<br />

Im dritten Kapitel wird aufgezeigt, dass es im österreichischen Strafrecht kein<br />

Delikt der Kindesmisshandlung gibt, sondern, dass ein derartiges Handeln<br />

mehrere, verschiedene Straftatbestände erfüllen kann. Es wird erklärt, welche<br />

konkreten Handlungen unter welche Tatbestände des StGB subsumiert werden<br />

können <strong>und</strong> mit welcher Strafe zu rechnen ist. <strong>Die</strong>ser Überblick über die<br />

strafrechtlich relevanten Delikte dient dem besseren Verständnis bezüglich der<br />

Empfindlichkeit der Problematik.<br />

Um zu verhindern, dass Kindesmisshandlungen stattfinden bzw um<br />

frühestmöglich darauf aufmerksam zu werden, existieren verschiedene Melde- <strong>und</strong><br />

<strong>Anzeigepflicht</strong>en. Dabei handelt es sich um Verpflichtungen, die außenstehenden<br />

Personen auferlegt werden. <strong>Die</strong> zentrale Thematik der vorliegenden Arbeit ist,<br />

aufzuzeigen wie Personen, die vom Täter verschieden sind, handeln können bzw<br />

müssen, um dem Opfer zu helfen <strong>und</strong> welche Sanktionen im Falle eines Nicht-<br />

Einschreitens drohen. Kindesmisshandlungen hat es immer gegeben <strong>und</strong> wird es<br />

immer geben – aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es <strong>von</strong> besonderer Bedeutung diese Taten<br />

aufzudecken <strong>und</strong> dadurch die weitere Begehung durch den Täter zu verhindern.<br />

Zuerst wird in Kapitel vier die in der StPO verankerte <strong>Anzeigepflicht</strong> der<br />

Behörden <strong>und</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen – im historischen Wandel – betrachtet <strong>und</strong><br />

anschließend auf das im Gesetz verankerte Anzeigerecht eingegangen. Da vor<br />

allem für Beamte <strong>und</strong> Lehrer besondere <strong>Die</strong>nstrechtsvorschriften gelten, sind in<br />

3


Einleitung<br />

Kapitel fünf auch die Regelungen betreffend Melde- <strong>und</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong>en im BGD<br />

<strong>und</strong> VBG erwähnt.<br />

Kapitel Sechs beschäftigt sich mit der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>. Nach einer<br />

kurzen Einführung sind die einzelnen Versionen des ÄrzteG <strong>und</strong> die Folgen seiner<br />

Änderungen im Laufe der Jahre aufgezeigt. Auf die aktuelle Fassung des § 54<br />

ÄrzteG wird genauer eingegangen <strong>und</strong> vor allem auf die Möglichkeit des Absehens<br />

der Erstattung einer Anzeige – nämlich wenn sich der Verdacht einer<br />

Kindesmisshandlung gegen einen nahen Angehörigen richtet, es das Kindeswohl<br />

fordert <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger gegeben ist –<br />

wird ein Hauptaugenmerk gelegt. Dabei werden auch die Rechtsfolgen bei<br />

Zuwiderhandeln <strong>und</strong> die Berechtigung des Arztes zur Anzeige nach § 80 StPO<br />

angeführt. Abschließend wird dargelegt, dass auch für andere medizinische Berufe<br />

Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflichten existieren.<br />

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird klar, dass die gesetzlichen<br />

Bestimmungen über das Vorgehen bei einem Verdacht auf Kindesmisshandlung<br />

nicht ganz eindeutig sind <strong>und</strong> warum sie in der Praxis oft zu Verwirrung führen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird in Kapitel sieben das Verhältnis der verschiedenen<br />

Rechtsnormen <strong>und</strong> der verschiedenen Adressaten miteinander verglichen.<br />

Der Jugendwohlfahrt ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem ihre Tätigkeit<br />

im Falle eines Verdachts auf Kindesmisshandlung aufgezeigt wird. Dabei erschien<br />

mir auch ein kurzer Exkurs zu den Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften, den<br />

Kinderschutzzentren <strong>und</strong> der Bewährungshilfe <strong>von</strong> Bedeutung.<br />

In Kapitel neun möchte ich die Kinderschutzgruppen – speziell die<br />

Kinderschutzgruppe der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz <strong>und</strong> der<br />

Univ. Klinik für Kinderchirurgie Graz – vorstellen <strong>und</strong> ihre Handlungsweise<br />

beschreiben.<br />

4


Einleitung<br />

In Verbindung mit allgemeinen Gedanken zur <strong>Anzeigepflicht</strong> wird in Kapitel<br />

zehn auf das 2. GeSchG eingegangen, das in seinem Entwurf bereits eine<br />

Verschärfung der <strong>Anzeigepflicht</strong> vorsah, die jedoch auf Gr<strong>und</strong> massivstem<br />

Widerstand nicht in Kraft trat.<br />

<strong>Die</strong> Schlussbetrachtung beinhaltet eine Zusammenfassung der gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Handlungsweise der verschiedenen Berufsgruppen im Fall des<br />

Verdachts auf Kindesmisshandlung <strong>und</strong> lässt die Arbeit unter Vorbringen <strong>von</strong><br />

Verbesserungsvorschlägen mit der hoffnungsvollen Erwartung, in Zukunft mehr<br />

Fälle <strong>von</strong> Kindesmisshandlung aufzudecken <strong>und</strong> rechtzeitig(er) zu reagieren,<br />

enden.<br />

5


Kindesmisshandlung<br />

2. Kindesmisshandlung<br />

Um Kindesmisshandlung zu definieren, muss zuerst ein Blick auf das Kindeswohl<br />

geworfen werden. <strong>Die</strong>ses kann durch verschiedenste Handlungen gefährdet<br />

werden, wobei aber nicht immer zwingend eine Kindesmisshandlung vorliegen<br />

muss.<br />

2.1. Kindeswohl<br />

Das Kindeswohl ist das körperliche, geistige <strong>und</strong> seelische Wohlergehen des<br />

Kindes. 10 Aber auch Elternliebe, Fürsorge <strong>und</strong> Vermittlung <strong>von</strong> Geborgenheit sind<br />

Gr<strong>und</strong>lagen des Kindeswohls. 11 Dabei ist immer die Individualität des Einzelfalls<br />

mitzuberücksichtigen, dh Kriterien wie die soziale Stellung der Familie, die Kultur<br />

<strong>und</strong> Religion sowie materielle Aspekte sind zu beachten. 12<br />

Gem § 178 a ABGB sind bei der Beurteilung des Kindeswohls „die<br />

Persönlichkeit des Kindes <strong>und</strong> seine Bedürfnisse, besonders seine Anlagen,<br />

Fähigkeiten, Neigungen <strong>und</strong> Entwicklungsmöglichkeiten, sowie die<br />

Lebensverhältnisse der Eltern entsprechend zu berücksichtigen.“<br />

Eine Legaldefinition des Rechtsguts Kindeswohl gibt es allerdings nicht. Laut<br />

Schick 13 ist dies auch nicht notwendig, da es sich um ein umfängliches<br />

Interessensbündel handelt, welches nicht abschließend definiert werden kann. Vor<br />

allem im strafrechtlichen Sinn ist es nicht nötig ein überindividuelles Rechtsgut des<br />

Kindeswohls zu schaffen, da die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit,<br />

Freiheit, Ehre, Vermögen <strong>und</strong> sexuelle Integrität gleichermaßen für Kinder wie für<br />

erwachsene Personen gelten. Zusätzlich wird der Unwertgehalt einer Verletzung<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

OGH 24.06.1997, 1 Ob 2396/96a = EFSlg 84.218.<br />

OGH 22.10.1986, 1 Ob 628/86 = SZ 59/184.<br />

OGH 15.02.2000, 10 Ob 25/00z = EFSlg 93.097.<br />

Schick, Der strafrechtliche Schutz des Kindeswohls, in Rauch-Kallat/Pichler (Hrsg),<br />

Entwicklungen in den Rechten der Kinder im Hinblick auf das UN-Übereinkommen über die<br />

Rechte des Kindes (1994) 479 (486 f).<br />

6


Kindesmisshandlung<br />

des Kindeswohls durch die erhöhte Schutzbedürftigkeit <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> die<br />

sozialethische Verwerflichkeit <strong>von</strong> Angriffen auf Kinder, erhöht.<br />

Von einer Gefährdung des Kindeswohls wird bei Vorliegen einer objektiven<br />

Nichterfüllung der elterlichen Pflichten oder sonstigen wichtigen Gründen, die eine<br />

Änderung der Situation notwendig machen, gesprochen. Ein subjektives<br />

Verschulden bzw ein Missbrauch ist allerdings keine Voraussetzung hierfür. 14 Eine<br />

Gefährdung des Kindeswohls kann in einer schlichten Erziehungsunfähigkeit des<br />

Erziehungsberechtigten liegen. Das ist zB dann der Fall, wenn Eltern durch<br />

Alkoholismus, Debilität, manisch-depressives Verhalten oder psychiatrische<br />

Auffälligkeiten nicht in der Lage sind, ihre elterlichen Pflichten objektiv zu erfüllen.<br />

Sie ist umso mehr gegeben, wenn die elterlichen Pflichten grob vernachlässigt<br />

werden, wenn also die körperlichen, seelischen, oder geistigen Gr<strong>und</strong>bedürfnisse<br />

des Kindes nicht erfüllt werden. Beispiele dafür sind mangelhafte Pflege,<br />

Ernährung, Hygiene <strong>und</strong> medizinische Betreuung, unzureichende Beaufsichtigung,<br />

ein Mangel an Zuwendung <strong>und</strong> Geborgenheit, sowie eine mangelnde Förderung,<br />

die zu Entwicklungsrückständen führt. Schlussendlich stellt der Missbrauch der<br />

Erziehungsrechte eine Gefährdung des Kindeswohls dar. Dazu zählen vor allem<br />

sexueller Missbrauch, Misshandlungen, Überforderungen des Kindes 15 , häufige<br />

wörtliche <strong>und</strong> tätliche Auseinandersetzungen zwischen den<br />

Erziehungsberechtigten 16 oder die Anstiftung des Minderjährigen zu Straftaten. 17<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

OGH 04.11.1980, 4 Ob 547/80 = SZ 53/142 = EvBl 1981/82 = ÖA 1982, 36.<br />

LGZ Wien 23.10.1986, 43 R 632/86 = EFSlg 51.289.<br />

LGZ Wien 10.05.1988, 44 R 3213/88 = EFSlg 56.799.<br />

Wienerroither in Loderbauer (Hrsg), Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 (2004) 187 Rz 34.<br />

7


Kindesmisshandlung<br />

2.2. Erziehungsrecht als Rechtfertigung – Züchtigungsverbot<br />

Können Handlungen, die das Kindeswohl gefährden, durch<br />

Erziehungsmaßnahmen gerechtfertigt sein? Anderes gefragt, ab wann stellt eine<br />

konkrete Erziehungsmethode eine Kindesmisshandlung dar <strong>und</strong> ist strafbar? Wo<br />

sind die Grenzen zu ziehen? Welche Mittel <strong>und</strong> Ziele rechtfertigen einen Eingriff in<br />

die Sphäre eines Kindes? Erfüllen Erziehungsmethoden wie zB das Versetzen<br />

einer Ohrfeige, damit das Kind sein Zimmer aufräumt oder das Wegzerren des<br />

Kindes vom Fernseher <strong>und</strong> das an den Schreibtisch drücken, damit es seine<br />

Hausaufgaben erledigt, gesetzliche Straftatbestände? Wie ist ein Schütteln,<br />

Festhalten am Arm oder Anbrüllen zu bewerten? 18<br />

Bei der Beantwortung dieser Fragen muss vor allem auf pädagogische<br />

Gr<strong>und</strong>sätze abgestellt werden, die eine nicht immer leichte Interessenabwägung<br />

mit sich bringen. Rechtlich gesehen normiert § 137 Abs 1 ABGB, dass Eltern „für<br />

die Erziehung ihrer minderjährigen Kinder zu sorgen <strong>und</strong> überhaupt ihr Wohl zu<br />

fördern“ haben. In § 144 ABGB ist die gesetzliche Obsorge geregelt: „<strong>Die</strong> Eltern<br />

haben das minderjährige Kind zu pflegen <strong>und</strong> zu erziehen, sein Vermögen zu<br />

verwalten <strong>und</strong> es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten.“<br />

In den §§ 146 ff ABGB wird das zivilrechtliche Erziehungsrecht<br />

konkretisiert. Dabei umfasst die Pflege des Kindes gem § 146 Abs 1 ABGB vor<br />

allem „die Wahrnehmung des körperlichen Wohls <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heit sowie die<br />

unmittelbare Aufsicht.“ Mit Erziehung ist insbesondere „die Entfaltung der<br />

körperlichen, geistigen, seelischen <strong>und</strong> sittlichen Kräfte, die Förderung der<br />

Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen <strong>und</strong> Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes<br />

sowie dessen Ausbildung in Schule <strong>und</strong> Beruf“ gemeint. Gem § 146 Abs 2 ABGB<br />

dürfen dabei allerdings nicht die Lebensverhältnisse der Eltern außer Acht<br />

gelassen werden. Durch das KindRÄG 2001 19 wurde schließlich auch in § 146 Abs<br />

3 ABGB normiert, dass die Eltern auf den Willen des Kindes Rücksicht zu nehmen<br />

18<br />

19<br />

Maleczky, Zur Strafbarkeit der „G’s<strong>und</strong>n Watschn“, ÖJZ 1993, 625 (625); Maleczky,<br />

Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 (2003) 4.<br />

BGBl I 2000/135.<br />

8


Kindesmisshandlung<br />

haben. Darf bei all diesen Pflichten, die den Erziehungsberechtigten auferlegt<br />

werden, Gewalt angewendet werden?<br />

Ein historischer Blick zeigt, dass bis 1977 20 noch ein Züchtigungsrecht in der<br />

österreichischen Rechtsordnung verankert war. Bis 1989 war die diesbezügliche<br />

Rechtslage nicht ganz eindeutig. Unklar war, ob die Formulierung „Durchsetzung<br />

ihrer Anordnungen“ nicht doch eine gewisse Form <strong>von</strong> elterlicher Züchtigung<br />

zuließ. Erst durch das BGBl 1989/162 wurde in § 146 a ABGB ein ausdrückliches<br />

Züchtigungsverbot eingeführt. 21<br />

§ 146 a. Das minderjährige Kind hat die Anordnungen der Eltern zu<br />

befolgen. <strong>Die</strong> Eltern haben bei ihren Anordnungen <strong>und</strong> deren<br />

Durchsetzung auf Alter, Entwicklung <strong>und</strong> Persönlichkeit des Kindes<br />

Bedacht zu nehmen; die Anwendung <strong>von</strong> Gewalt <strong>und</strong> die Zufügung<br />

körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig.<br />

In erster Linie leitet sich aus dieser Bestimmung eine Gehorsamspflicht des<br />

Kindes gegenüber den Eltern ab. Weiters ist festzustellen, dass es den Eltern<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich frei steht, welche Erziehungsmethoden sie anwenden. Es ist<br />

allerdings auf gewisse Kriterien, wie Alter, Entwicklung <strong>und</strong> Persönlichkeit des<br />

Kindes Bedacht zunehmen. Ausdrücklich verboten sind aber die Anwendung <strong>von</strong><br />

Gewalt <strong>und</strong> die Zufügung körperlichen oder seelischen Leids. 22<br />

<strong>Die</strong>ses elterliche Züchtigungsverbot umfasst auch die „g´s<strong>und</strong>e Watschn“,<br />

sowie Schläge zur Durchsetzung erzieherischer Maßnahmen. <strong>Die</strong> Hintergründe<br />

sind darin zu sehen, dass Gewalt in der Familie <strong>von</strong> der Gesellschaft <strong>und</strong> der<br />

Rechtsordnung nicht mehr geduldet wird <strong>und</strong> sich der Gedanke der gewaltfreien<br />

Erziehung durchgesetzt hat. Der Gesetzgeber wollte mit der expliziten<br />

20<br />

21<br />

22<br />

BGBl 1977/403.<br />

Vgl ErläutRV 1556 BlgNR 20. GP 5; Maresch/Schick, Kindesmisshandlung aus<br />

gerichtsmedizinischer, kriminologischer <strong>und</strong> strafrechtlicher Sicht, Forensia 1988, 205 (214);<br />

Rotter/Schick, <strong>Die</strong> Kindesmisshandlung, in FS Maresch (1988) 67 (79); Jesionek, <strong>Die</strong><br />

rechtlichen Aspekte der Kindesmißhandlung, ÖA 1986, 35 (35 f); Maleczky, ÖJZ 1993, 626;<br />

Mottl, Alte <strong>und</strong> neue rechtliche Instrumente gegen Gewalt in der Familie, ÖJZ 1997, 542<br />

(550).<br />

Maleczky, ÖJZ 1993, 625 f; OGH 03.03.1993, 7 Ob 523/93 = EFSlg 71.846.<br />

9


Kindesmisshandlung<br />

Formulierung in § 146 a ABGB eine Rechtfertigung <strong>von</strong> Gewalt durch das<br />

Erziehungsrecht verhindern. Allerdings darf dabei nicht außer Acht gelassen<br />

werden, dass gewaltfreie Erziehung nicht mit konfliktfreier oder antiautoritärer<br />

Erziehung gleichgesetzt werden darf. 23<br />

Gewaltanwendungen, die präventiv erfolgen – nämlich um das Kind zu<br />

schützen <strong>und</strong> nicht zu strafen – werden vom Geltungsbereich des § 146 a ABGB<br />

allerdings nicht berührt. Sie sind uU sogar verpflichtend, wie zB das grobe<br />

Zurückreißen eines Kindes, das auf die Fahrbahn laufen will, um einen Unfall zu<br />

verhindern oder das Fernhalten eines neugierigen Kindes <strong>von</strong> der heißen<br />

Herdplatte. 24<br />

Somit kann der Gewaltbegriff des § 146 a ABGB so ausgelegt werden, dass<br />

nur Gewaltmaßnahmen iSv Züchtigung <strong>und</strong> Bestrafung, wie zB Schläge,<br />

Ohrfeigen, oder auch das Zufügen <strong>von</strong> seelischem Leid, da<strong>von</strong> erfasst sind <strong>und</strong><br />

eine zivilrechtlich unzulässige Handlungsweise darstellen. Alle Formen <strong>von</strong><br />

Gewalt <strong>und</strong> Misshandlung sind als Erziehungsmittel unzulässig, wobei aus einer<br />

einmaligen (leichten) Verfehlung eines uneingeschränkt einsichtigen Elternteils idR<br />

noch keine Kindeswohlgefährdung abgeleitet werden kann. 25 Wenn aber weiterhin<br />

zu erwarten ist, dass der Erziehungsberechtigte zu Gewalt greifen wird, um seine<br />

Erziehungsprinzipien durchzusetzen, oder der Vorfall gravierend war, dann ist ein<br />

Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers unerlässlich. 26 Strafbar machen sich<br />

Eltern dann, wenn sie einen gesetzlichen Straftatbestand erfüllen. 27 Zu den<br />

strafrechtlich relevanten Bestimmungen siehe Kapitel 3.<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26<br />

27<br />

Maleczky, ÖJZ 1993, 626; Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 8 f.<br />

Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 7 ff.<br />

OGH 12.06.1980, 7 Ob 596/80 = ÖA 1990, 52.<br />

OGH 24.06.1992, 1 Ob 573/92 = EvBl 1993/13 = JBl 1992, 639 = ÖA 1993, 26 = EFSlg<br />

68.800.<br />

Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 10; Mottl, ÖJZ 1997, 550.<br />

10


Kindesmisshandlung<br />

2.3. Definition der Kindesmisshandlung<br />

Es findet sich weder in der Lehre, noch in den österreichischen Gesetzen eine<br />

eindeutige rechtliche Definition der Kindesmisshandlung. Das StGB, die StPO, das<br />

ÄrzteG <strong>und</strong> alle weiteren Gesetze, die <strong>Anzeigepflicht</strong>en bei Verdacht auf eine<br />

Kindesmisshandlung enthalten, kennen den Begriff der Kindesmisshandlung nicht.<br />

Meist wird ganz allgemein auf das Vorliegen des Verdachts einer strafbaren<br />

Handlung abgestellt.<br />

1976 definierte das Kinderschutzzentrum Berlin den Begriff der<br />

Kindesmisshandlung mit der<br />

„Gesamtheit der Lebensbedingungen, der Handlungen <strong>und</strong><br />

Unterlassungen, die dazu führen, dass das Recht der Kinder auf Leben,<br />

auf Erziehung <strong>und</strong> wirkliche Förderung beschnitten wird. Das Defizit<br />

zwischen den Rechten <strong>und</strong> der tatsächlichen Lebenssituation der Kinder<br />

macht die Gesamtheit der Kindesmisshandlungen aus.“ 28<br />

Da diese Definition eine sehr breite Auslegung zulässt, versuchte der<br />

Diplomsoziologe Wittenhagen 29 vier Jahre später eine für die tägliche<br />

Kinderschutzarbeit geeignetere Definition zu formulieren:<br />

„Kindesmisshandlung ist eine nicht zufällige, bewusste oder unbewusste<br />

gewaltsame körperliche <strong>und</strong> seelische Schädigung, die in Familien oder<br />

Institutionen geschieht, <strong>und</strong> die zu Verletzungen <strong>und</strong><br />

Entwicklungshemmungen oder sogar zum Tode führt <strong>und</strong> die das Wohl<br />

<strong>und</strong> die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht.“<br />

28<br />

29<br />

Vgl Wittenhagen/Wolff in B<strong>und</strong>esministerium für Jugend, Familie <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit (Hrsg),<br />

Kindesmisshandlung – Kinderschutz (1980) 6.<br />

Wittenhagen/Wolff in BMJFG 7 ff; vgl auch Zaunschirm, Praktische Erfahrung mit<br />

Kinderschutzgruppen in Wien, ÖA 1999, 100 (100); B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit,<br />

Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Leitfaden für die<br />

Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 10.<br />

11


Kindesmisshandlung<br />

<strong>Die</strong> Formulierung „körperliche <strong>und</strong> seelische Schädigung“ ist so zu verstehen,<br />

dass alternativ sowohl körperliche als auch seelische Schädigungen vom Begriff<br />

Kindesmisshandlung erfasst sind <strong>und</strong> nicht, dass beide kumulativ vorliegen<br />

müssen. 30<br />

Verletzungen bzw Verletzungsmuster als Folgen elterlicher Gewalteinwirkung<br />

wurden erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts auch als solche erkannt.<br />

Der in Europa geborene Arzt Henry Kempe führte 1962 in den USA den Begriff<br />

des „battered child syndrome“ (Syndrom des misshandelten Kindes) in die<br />

Literatur ein <strong>und</strong> setzte damit einen weiteren Schritt zur Erkennung <strong>und</strong><br />

Vermeidung <strong>von</strong> Kindesmisshandlung. 31<br />

2.4. Formen der Kindesmisshandlung<br />

Zu Kindesmisshandlung iwS zählen:<br />

• Körperliche Kindesmisshandlung<br />

• Seelische Kindesmisshandlung<br />

• Vernachlässigung<br />

• Münchhausen by proxy Syndrom 32<br />

• Sexueller Kindesmissbrauch<br />

<strong>Die</strong>se Formen <strong>von</strong> Kindesmisshandlung kommen in den meisten Fällen<br />

verknüpft miteinander vor. So liegt nahezu bei jeder Art <strong>von</strong> Gewalt zusätzlich eine<br />

seelische Kindesmisshandlung vor. Auch die Kombination <strong>von</strong> körperlicher mit<br />

30<br />

31<br />

32<br />

Wittenhagen/Wolff in BMJFG 8.<br />

Rudas, Prävention <strong>und</strong> Schutz vor Gewalt – Nachbetreuung bei Gewalt gegen Kinder –<br />

Reaktion der Kinder auf Gewalt, in Rauch-Kallat/Pichler (Hrsg), Entwicklungen in den Rechten<br />

der Kinder im Hinblick auf das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1994) 445<br />

(448).<br />

Bei dieser Form <strong>von</strong> Gewalt versucht der Täter (in 90 % der Fällen ist das die Kindesmutter)<br />

die Aufmerksamkeit bzw Zuwendung – auf Kosten des Kindes – für sich zu bekommen. Dabei<br />

werden die Erkrankungszeichen vom Täter falsch angegeben, manipuliert oder<br />

hervorgerufen. Vgl BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 21.<br />

12


Kindesmisshandlung<br />

sexueller Gewalt ist häufig anzutreffen. 33<br />

chronische Zustände dar, die über Jahre hinweg andauern.<br />

Meist stellen Kindesmisshandlungen<br />

Weil die gesamte Erörterung aller Bereiche, den Umfang dieser Arbeit<br />

sprengen würde, werde ich meine wissenschaftliche Recherche auf die Gebiete<br />

der körperlichen <strong>und</strong> seelischen Kindesmisshandlung <strong>und</strong> der Vernachlässigung<br />

beschränken. Obwohl der Bereich der sexuellen Kindesmisshandlung ein in der<br />

Gesellschaft sehr häufig auftretendes Phänomen ist, werde ich darauf nur am<br />

Rande eingehen. Das Münchhausen by proxy Syndrom ist dagegen eine<br />

spezifische Besonderheit, die ich auf Gr<strong>und</strong> ihrer Seltenheit nicht näher vertiefen<br />

werde.<br />

2.4.1. Körperliche Kindesmisshandlung<br />

Zu den Formen körperlicher Misshandlung gehören vor allem Verletzungen am<br />

Körper <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen. Zur genauen Definition siehe Kapitel 3.2.1.<br />

In Frage kommen vor allem: 34<br />

• Folgen <strong>von</strong> Schlägen (durch Hände oder Gegenstände)<br />

• Frakturen<br />

• Innere Verletzungen<br />

• Augenverletzungen zB infolge <strong>von</strong> Erstickungsversuchen<br />

• Kopfverletzungen, vor allem im Säuglingsalter verursacht durch ein<br />

Schütteltrauma 35<br />

• Verbrennungen oder Verbrühungen (durch heiße Flüssigkeiten, wie zB zu<br />

heißes Badewannenwasser, oder durch heiße Gegenstände wie zB<br />

33<br />

34<br />

35<br />

BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 21.<br />

BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 14 f.<br />

Unter einem Schütteltrauma („Shaken Baby Syndrom“) wird ein gewaltsames <strong>und</strong> heftiges<br />

Hin- <strong>und</strong> Herschütteln eines Säuglings verstanden, dessen Kopf dadurch unkontrolliert vor<br />

<strong>und</strong> zurück geschleudert wird. Dadurch kommt es zu Hirnschwellungen, die zu schweren<br />

Hirnschädigungen <strong>und</strong> nicht selten zum Tod des Kindes führen. Vgl BMGFJ, Leitfaden für die<br />

Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 16 ff.<br />

13


Kindesmisshandlung<br />

Bügeleisen oder Kochtopf, durch Zigaretten, Strom usw) – sie können aus<br />

einer Vernachlässigung hervorgehen oder mit direktem Vorsatz zugefügt<br />

worden sein<br />

• Vergiftungen<br />

• Tötung<br />

2.4.2. Seelische Kindesmisshandlung<br />

Nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Misshandlung des Kindes<br />

stellt eine Kindesmisshandlung dar. Eine seelische Kindesmisshandlung liegt zB<br />

bei emotionaler Vernachlässigung oder miterlebter Partnerschaftsgewalt vor. 36<br />

Eine Definition ist jedoch kaum möglich, da diese Form der Gewalt ein zu breites<br />

Spektrum aufweist. 37<br />

Friedrich 38 unterteilt seelische Gewalt in drei Formen. Intellektuelle Gewalt<br />

lässt sich am Besten an Hand eines Beispiels erklären, bei dem ein achtjähriges<br />

Kind jeden Tag so lange seine Zähne geputzt hat, bis es wegen der Schmerzen,<br />

die der Verlust des Zahnschmelzes mit sich brachte, ins Krankenhaus kam. Dort<br />

wurde als Ursache für dieses zwanghafte Verhalten festgestellt, dass das Kind<br />

täglich einen Nachhilfelehrer bis 23 Uhr hatte, mit dem es „trainieren“ musste, da<br />

es in der zweiten Klasse Volksschule nur Sonderschulniveau hatte <strong>und</strong> die Eltern<br />

dies nicht ertragen konnten. Emotionale Gewalt liegt beim Abwenden <strong>von</strong> Liebe,<br />

Fürsorge, Wärme <strong>und</strong> Herzlichkeit vor <strong>und</strong> als dritte Form der Gewalt spricht<br />

Friedrich <strong>von</strong> sozialer Gewalt. Drunter versteht er das Nicht-Weitergeben der<br />

moralischen Urteilsfähigkeit bzw das Nicht-Wappnen für das Leben.<br />

36<br />

37<br />

38<br />

Kindler, Langzeitauswirkungen familiärer <strong>und</strong> partnerschaftlicher Gewalt, ÖA 2006, 69 (70);<br />

vgl auch LGZ Wien 10.05.1988, 44 R 3213/88 = EFSlg 56.799.<br />

BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 18.<br />

Friedrich, Kindesmisshandlung <strong>und</strong> Kindesmissbrauch, ÖA 2000, 5 (6).<br />

14


Kindesmisshandlung<br />

Ohne Zweifel fällt das Herabsetzen der Person des Kindes, das<br />

Lächerlichmachen, Beschimpfen oder dauerndes Kritisieren des Kindes unter den<br />

Begriff der seelischen Kindesmisshandlung. 39<br />

Sehr wahrscheinlich führt die seelische Gewalt beim Kind zu einer<br />

Veränderung des emotionalen Zustandes. Auch wenn diese Art der Gewalt schwer<br />

zu beweisen ist, da die äußerlichen Anzeichen nicht so leicht erkennbar sind,<br />

dürfen gewisse Reaktionen nicht übersehen werden. Zurückgezogenheit,<br />

Depressionen, Verhaltensauffälligkeiten, wie das Suchen <strong>von</strong> Aufmerksamkeit<br />

oder aggressives Verhalten, veränderte Beziehungen zu Gleichaltrigen,<br />

Entwicklungsverzögerungen, Schlafstörungen, Untergewicht oder andere<br />

körperlichen Auffälligkeiten, können Folgen einer seelischen Kindesmisshandlung<br />

sein. 40 2.4.3. Vernachlässigung<br />

Vernachlässigung ist eine passive Form der Kindesmisshandlung, wobei<br />

gr<strong>und</strong>legende körperliche <strong>und</strong> seelische Bedürfnisse des Kindes nicht oder nur<br />

unzureichend befriedigt werden. Es werden Handlungen unterlassen, die zur<br />

physischen <strong>und</strong> psychischen Versorgung des Kindes gehören <strong>und</strong> zu denen die<br />

Erziehungsberechtigten verpflichtet sind. Sie äußert sich in mangelnder<br />

Ernährung, körperlicher Pflege, Hygiene <strong>und</strong> medizinischer Versorgung sowie in<br />

mangelnder Aufsicht oder häufigem Alleinlassen. Aber auch mangelnde<br />

Anregungen für eine altersgemäße geistige, soziale <strong>und</strong> seelische Entwicklung<br />

stellen eine Vernachlässigung dar. 41<br />

Vernachlässigung tritt hauptsächlich bei Familien mit sozialen Problemen,<br />

wie Arbeitslosigkeit, materieller Not, Krankheit oder schlechten Wohnverhältnisse<br />

auf. Dabei können Hinweise auf eine Vernachlässigung zB mangelnde<br />

39<br />

40<br />

41<br />

Erhard, Gewalt gegen Kinder – Frauen als Täterinnen, ÖA 2005, 67 (70).<br />

BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 18.<br />

BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 20; Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft Steiermark (Hrsg), Broschüre Gewalt am Kind (2006) 4.<br />

15


Kindesmisshandlung<br />

Körperpflege, verschmutzte Kleidung, Unterernährung <strong>und</strong><br />

Entwicklungsrückstände sein. Aber auch in sozial höheren Schichten kann es<br />

durch Zeitmangel <strong>und</strong> fehlendem Beziehungsangebot zu Vernachlässigungen<br />

kommen, die sich dann in Essstörungen, Suchtverhalten <strong>und</strong><br />

Beziehungsstörungen äußern können. 42<br />

2.5. Ursachen<br />

Für die Ursachen einer Kindesmisshandlung spielen viele Faktoren eine Rolle. Bei<br />

der Analyse der Hintergründe sind vor allem auch die Lebensgeschichte der<br />

Eltern, die soziale Vererbung (Wurde der Täter selbst misshandelt?), die Stellung<br />

des Kindes (ungewollte, behinderte, schwierige oder chronisch kranke Kinder<br />

können Hintergr<strong>und</strong> einer Überforderung <strong>und</strong> Misshandlung sein) sowie die<br />

gesamte Familiensituation <strong>und</strong> die Stellung der einzelnen Familienmitglieder mit<br />

einzubeziehen. Wesentlich sind auch der materielle <strong>und</strong> soziale Stress, sowie die<br />

soziale Isolation einer Familie. 43<br />

Jesionek 44 unterscheidet vier Tätergruppen. Auf der einen Seite die Eltern,<br />

denen „einmal die Hand ausgerutscht ist“ <strong>und</strong> auf der anderen Seite die wohl am<br />

häufigsten als Täter einer Kindesmisshandlung in Frage kommenden Personen,<br />

nämlich diejenigen, die in ihrer Erzieherrolle überfordert sind. Sie kommen mit<br />

ihren alltäglichen Problemen <strong>und</strong> Frustrationen nicht zurecht <strong>und</strong> lassen dies am<br />

Schwächeren aus. In vielen dieser Fälle kann dem Opfer durch den Gr<strong>und</strong>satz<br />

„Helfen statt Strafen“ mehr gedient sein. Als dritte Gruppe sieht Jesionek<br />

Personen, die leichte körperliche Aggressionen gezielt <strong>und</strong> bewusst als<br />

Erziehungsmittel einsetzen <strong>und</strong> als vierte Tätergruppe schlussendlich jene<br />

Personen die ein Kind vorsätzlich quälen, verletzen oder töten.<br />

42<br />

43<br />

44<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft Steiermark, Broschüre Gewalt am Kind 4.<br />

Mangold, Gewalt gegen Kinder – Kinderschutzgruppen eine Antwort? ÖA 1999, 94 (94).<br />

Jesionek, ÖA 1986, 36.<br />

16


Kindesmisshandlung<br />

Ein Blick auf die Verurteilungsstatistik des § 92 StGB zeigt, dass Frauen im<br />

Durchschnitt gleichermaßen als Täter einer Kindesmisshandlung in Frage<br />

kommen, wie Männer. Erfasst sind in dieser Statistik allerdings auch Fälle, bei<br />

denen wehrlose volljährige Personen gequält oder vernachlässigt werden.<br />

Verurteilungen nach § 92 StGB (Quälen oder Vernachlässigen<br />

unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen) in<br />

Österreich<br />

Männer<br />

Frauen<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007<br />

Quelle: Statistik Austria<br />

17


Kindesmisshandlung<br />

2.6. Internationale Verpflichtung zum Schutz des<br />

Kindeswohls<br />

<strong>Die</strong> UN-Konvention über die Rechte der Kinder (KRK) wurde 1992 <strong>von</strong> Österreich<br />

ratifiziert <strong>und</strong> im BGBl 1993/7 k<strong>und</strong>gemacht. Sie ist ein umfassendes<br />

Übereinkommen, welches ausschließlich Rechts- <strong>und</strong> Schutzansprüche <strong>von</strong><br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, sowie Rechtspositionen des Kindes beinhaltet. 45<br />

Oberstes Gebot ist, bei allen staatlichen <strong>und</strong> privaten Maßnahmen, die<br />

Kinder betreffen, dem Gesichtspunkt des Kindeswohls den Vorrang einzuräumen.<br />

Vgl Art 3.1 KRK. Weiters legt die KRK den Vertragsstaaten die Pflicht auf, dass<br />

dem Strafgesetzgeber die Aufgabe obliegt, die körperliche Sicherheit, das Leben,<br />

das psychische Wohlbefinden <strong>und</strong> die geistige <strong>und</strong> körperliche Entwicklung der<br />

Kinder zu schützen, wobei das dahinterstehende Rechtsgut immer das Kindeswohl<br />

ist. 46 Neben dem Recht auf Leben (Art 6.1 KRK) ist vor allem Art 19 KRK<br />

heranzuziehen, wenn es um die Vermeidung <strong>von</strong> Kindesmisshandlungen geht. <strong>Die</strong><br />

Vertragsstaaten sind verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, „um das Kind vor jeder<br />

Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder<br />

Mißhandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter<br />

Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Mißbrauchs zu<br />

schützen…“ Den sexuellen Missbrauch betreffend sind in Art 34 KRK Regelungen<br />

normiert, welche die Kinder schützen sollen.<br />

45<br />

46<br />

Benzoni, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften Österreichs, ÖA 2001, 193 (193); Launsky-<br />

Tieffenthal, <strong>Die</strong> NÖ Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft <strong>und</strong> der Kinderschutz, ÖA 1999, 96 (97).<br />

Schick in Rauch-Kallat/Pichler 481.<br />

18


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3. Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Damit eine Kindesmisshandlung strafrechtlich verfolgt werden kann, muss sie<br />

zunächst einem Tatbild des StGB entsprechen. <strong>Die</strong> österreichische Rechtsordnung<br />

kennt allerdings keinen Tatbestand der Kindesmisshandlung, sondern beinhaltet<br />

verschiedene Delikte, die sowohl auf Volljährige als auch auf Kinder anzuwenden<br />

sind. 47 Ein Blick auf die Opferstatistik zeigt, dass österreichweit jährlich h<strong>und</strong>erte<br />

Fälle minderjähriger Opfer aufgedeckt werden. In der folgenden grafischen<br />

Darstellung sind bewusst nur Opfer bis zu einem Alter <strong>von</strong> 10 Jahren erfasst, da<br />

bei älteren Opfern – gerade im jugendlichen Alter – oft minderjährige Täter für die<br />

Handlungen verantwortlich sind, die häufig nicht als Kindesmisshandlung zu<br />

qualifizieren sind. 48<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

Österreichische Opferstatistik der 0 bis 10 Jährigen<br />

Delikte gegen Leib <strong>und</strong> Leben<br />

Delikte gegen die sexuelle Integrität <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />

Delikte gegen die Freiheit<br />

0<br />

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

Quelle: BMI<br />

47<br />

48<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es schwierig statistisches Material zu gewinnen. Es gibt zwar<br />

Bemühungen, Verfahren <strong>von</strong> Kindesmisshandlungen – unabhängig vom Delikt – automatisch<br />

mit der Bezeichnung „KMH“ zu erfassen, die jedoch noch in den Anfängen stecken <strong>und</strong><br />

deswegen noch keine verlässlichen Angaben zulassen. Vgl die Anfragebeantwortung des<br />

BMJ betreffend „Gewalt gegen Kinder – Kindesmisshandlung in Österreich“ 3951/AB 23. GP<br />

2.<br />

Nicht übersehen werden darf allerdings, dass Statistiken gr<strong>und</strong>sätzlich nur bekannt<br />

gewordenen Fälle erfassen <strong>und</strong> die Dunkelziffer der Fälle nicht berücksichtigen.<br />

19


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Im Folgenden soll nun ein Überblick gegeben werden, mit welchen<br />

strafrechtlichen Konsequenzen bei welchen Handlungen zu rechnen ist. Dabei wird<br />

die Darstellung auf die Tatbestandsmerkmale der Delikte beschränkt <strong>und</strong> nur<br />

sofern dies notwendig erscheint auch auf die Ebene der Rechtswidrigkeit, Schuld<br />

<strong>und</strong> Strafbarkeit eingegangen.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich stellt das StGB die Herbeiführung eines Erfolges unter Strafe.<br />

IZm § 2 StGB ist allerdings auch derjenige strafbar, der es unterlässt diesen Erfolg<br />

zu verhindern, obwohl er Garant ist <strong>und</strong> sein Verhalten einem Tun gleichzusetzen<br />

ist. Garant ist gem § 2 StGB der, der rechtlich für den Nicht-Eintritt des Erfolges<br />

einzustehen hat. 49<br />

Eine Garantenpflicht entsteht durch Rechtsvorschriften, Vertrag oder<br />

gefahrbegründendes Vorverhalten. Hauptanwendungsfall ist das Entstehen der<br />

Garantenpflicht durch Rechtsvorschriften, wie zB bei Eltern oder subsidiär bei<br />

Großeltern gegenüber ihren Kindern bzw Enkeln nach §§ 137, 144, 145, 146 <strong>und</strong><br />

166 ABGB, die sich zB nach §§ 2, 83 ff StGB strafbar machen können, wenn sie<br />

nicht verhindern, dass ein Dritter ihr Kind verletzt oder aber auch wenn sich das<br />

Kind selbst verletzt. Auch für den Jugendwohlfahrtsträger kann durch §§ 211, 213<br />

<strong>und</strong> 215 ABGB eine Garantenpflicht entstehen. Siehe dazu Kapitel 8.4. 50<br />

Wird ein Kind zB gequält <strong>und</strong> wird für die Behandlung der Folgen die<br />

Hinzuziehung eines Arztes unterlassen, können je nach Tatablauf, zeitlichem<br />

Zusammenhang <strong>und</strong> Vorsatz, ein oder mehrere Delikte verwirklicht sein <strong>und</strong><br />

nebeneinander bestehen. 51<br />

49<br />

50<br />

51<br />

Maleczky, <strong>Die</strong> Haftung des Sozialarbeiters in der Jugendwohlfahrt, ÖA 2005, 133 (135);<br />

Kienapfel/Höpfel, Gr<strong>und</strong>riss des Strafrechts, Allgemeiner Teil 13 (2009) Z 29 Rz 14.<br />

Maleczky, ÖA 2005, 135; Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 30; Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z<br />

30 Rz 6, 10.<br />

OGH 10.07.1984, 10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt 55/46; Kienapfel/Schroll, Gr<strong>und</strong>riss des<br />

Strafrechts, Besonderer Teil I 5 (2003) § 92 Rz 39.<br />

20


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.1. § 92 StGB Quälen oder Vernachlässigen unmündiger,<br />

jüngerer oder wehrloser Personen<br />

§ 92. (1) Wer einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut<br />

untersteht <strong>und</strong> der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat<br />

oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen<br />

Behinderung 52 wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zufügt,<br />

ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.<br />

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer seine Verpflichtung zur Fürsorge<br />

oder Obhut einem solchen Menschen gegenüber gröblich<br />

vernachlässigt <strong>und</strong> dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen<br />

Ges<strong>und</strong>heit oder dessen körperliche oder geistige Entwicklung<br />

beträchtlich schädigt.<br />

(3) Hat die Tat eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85)<br />

zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> sechs Monaten bis zu<br />

fünf Jahren, hat sie den Tod des Geschädigten zur Folge, mit<br />

Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.<br />

Bei diesem Delikt handelt es sich um die zentralste Bestimmung um der<br />

Misshandlung <strong>von</strong> Kindern entgegenzuwirken. Im Jahr 2008 wurden österreichweit<br />

167 Minderjährige – da<strong>von</strong> waren 73 Kinder unter 6 Jahre – Opfer des Quälens<br />

oder Vernachlässigens iSd Norm. 53<br />

<strong>Die</strong> Regelung geht auf den – durch das StRÄG 1971 eingeführten – § 412 a<br />

StG 54 zurück. <strong>Die</strong>ser wurde fast wortgleich in das StGB übernommen <strong>und</strong> um den<br />

Abs 2, der gröblichen Vernachlässigung der Verpflichtung zur Fürsorge oder<br />

Obhut, ergänzt. In beiden Fällen war eine Strafdrohung im Ausmaß <strong>von</strong> „bis zu<br />

zwei Jahren“ Freiheitsstrafe vorgesehen. Es wurden in § 92 Abs 3 StGB die<br />

52<br />

53<br />

54<br />

Das Wort „Schwachsinn“ wurde mit dem BGBl I 2009/40 durch „geistige Behinderung“ ersetzt.<br />

<strong>Die</strong> Daten ergeben sich aus der Opferstatistik des BMI.<br />

§ 412 a StG: „Wer vorsätzlich einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut untersteht <strong>und</strong><br />

das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit<br />

oder Schwachsinns wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zufügt, wird wegen<br />

Vergehens mit strengem Arrest bis zu zwei Jahren bestraft.“ Vgl Reissig (Hrsg), Das<br />

österreichische Strafgesetz (1971) 140.<br />

21


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Qualifikationen der schweren Körperverletzungen, Körperverletzungen mit<br />

Dauerfolgen <strong>und</strong> Körperverletzungen mit tödlichem Ausgang normiert, deren<br />

Strafrahmen sich nach den dafür vorgesehen Strafen richtete. 55<br />

1987 wurde die Gr<strong>und</strong>strafdrohung in § 92 Abs 1 <strong>und</strong> 2 StGB mit dem StRÄG<br />

1987 <strong>von</strong> „bis zu zwei“ auf „bis zu drei Jahren“ Freiheitsstrafe angehoben, die<br />

Qualifikation der schweren Körperverletzung aus § 92 Abs 3 StGB entfernt, sowie<br />

die Strafrahmen des § 92 Abs 3 StGB an die §§ 85, 86 StGB angeglichen. 56<br />

<strong>Die</strong> Anhebung der Strafrahmen sollte den Gerichten eine höhere auf den<br />

Einzelfall bezogene Strafzumessung vor allem bei schweren, besonders brutalen<br />

<strong>und</strong> rücksichtslosen Handlungsweisen, insbesondere auch bei länger<br />

andauernden Kindesmisshandlungen, ermöglichen. 57<br />

Auf Gr<strong>und</strong> in naher Vergangenheit bekannt gewordener Fälle schwerster<br />

Kindesmisshandlungen, die über Jahre hinweg angedauert haben, hat sich<br />

gezeigt, dass die vorhandenen Bestimmungen nicht ausreichend sind <strong>und</strong> es<br />

wurden die Rufe nach einer Anpassung des StGB laut. Mit 01.06.2009 wurde das<br />

Delikt der Fortgesetzen Gewaltanwendung in das StGB eingefügt. Siehe Kapitel<br />

3.7.<br />

§ 92 StGB ist keine Qualifikation der Körperverletzung nach § 83 StGB,<br />

sondern stellt ein eigenständiges Delikt 58 dar. Beide Begehungsformen des § 92<br />

StGB (Abs 1 <strong>und</strong> Abs 2) sind eigenhändige Sonderdelikte 59 , da unmittelbarer<br />

Täter nur jemand sein kann, dem die Fürsorge oder Obhut des Opfers obliegt. 60<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

59<br />

60<br />

ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg),<br />

Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (1992) § 92 Rz 1.<br />

Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 1; ErläutRV<br />

1971 30BlgNR 13. GP 223.<br />

Leukauf/Steininger, Kommentar zu Strafgesetzbuch 3 (1992) § 92 Rz 14; Hauptmann/Jerabek<br />

in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch 2 § 92 Rz 1.<br />

Delictum su generis vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 9 Rz 26.<br />

Eigenhändige Sonderdelikte setzten voraus, dass der Träger <strong>von</strong> bestimmten persönlichen<br />

Eigenschaften bzw besonderen Täterqualifikationen, die Tat unmittelbar, dh in eigener Person<br />

ausführt. Vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 E 7 Rz 28.<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 1 f; Kienapfel/Schroll,<br />

Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 4, 6; OGH 29.08.1995, 14 Os 104/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1867<br />

22


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Unter Fürsorge werden längerfristige rechtliche Verhältnisse, durch welche<br />

die Verpflichtung begründet wird, für das körperliche <strong>und</strong> seelische Wohl der<br />

geschützten Personen zu sorgen, subsumiert. 61 Dabei spielt es keine Rolle worauf<br />

sich die rechtliche Fürsorgepflicht stützt. Sie kann sich direkt aus dem Gesetz<br />

ergeben wie zB bei Eltern, Adoptiveltern 62 <strong>und</strong> Sachwaltern, sie kann aus einem<br />

behördlichen Auftrag entstehen wie zB bei Bewährungshelfern oder Lehrern, oder<br />

sie kann sich aus einem vertraglichen Verhältnis ergeben, wie es zB bei<br />

Pflegeeltern 63 der Fall ist. Zwischen Schwiegereltern <strong>und</strong> Schwiegerkindern<br />

besteht allerdings keine gesetzliche Fürsorgepflicht. 64<br />

Der Begriff der Obhut ist weiter gefasst <strong>und</strong> bezieht sich auf ein tatsächliches<br />

Schutz- oder Betreuungsverhältnisse in dem das Opfer – zumindest für kurze Zeit<br />

– der Beaufsichtigung, Betreuung <strong>und</strong> Überwachung des Täters unterliegt. Der<br />

Täter hat dabei die Aufsicht oder Betreuung übernommen (ein ausdrücklicher Akt<br />

des Anvertrauens ist nicht erforderlich), wie zB ein Babysitter, eine<br />

Haushaltsgehilfin, der im gemeinsamen Haushalt lebende Stiefvater, der<br />

Lebensgefährte der Mutter 65 , der zu Besuch weilende Verwandte, wie zB der<br />

Schwager 66 , eine Begleitperson bei Ausflügen, der hilfsbereite Nachbar oder der<br />

Sportkamerad. Den Täter trifft in all diesen Fällen eine Beistands- <strong>und</strong><br />

Beaufsichtigungspflicht. <strong>Die</strong> Obhutspflicht besteht unabhängig <strong>von</strong> einer eventuell<br />

bestehenden Fürsorgepflicht. Weiters kommt es auf die tatsächliche<br />

Pflichtübernahme an, dh ein Naheverhältnis durch Verwandtschaft allein genügt<br />

nicht um eine Obhutspflicht auszulösen. 67<br />

61<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

66<br />

67<br />

= SSt 62/61 = ÖJZ-LSK 1996/134; vgl auch Marschall/Salomon, <strong>Die</strong> neuen<br />

Quälereitatbestände II, ÖJZ 1972, 482 (482).<br />

Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 8.<br />

OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 9; Foregger/Fabrizy, Strafgesetzbuch<br />

Kurzkommentar 9 § 92 Rz 1 a; OGH 29.08.1995, 14 Os 104/95 = OGH JUS-extra<br />

1995/St/1867 = SSt 62/61 = ÖJZ-LSK 1996/134.<br />

OGH 29.08.1995, 14 Os 104/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1867 = SSt 62/61 = ÖJZ-LSK<br />

1996/134.<br />

OGH 12.03.1991, 14 Os 3/91 = OGH JUS-extra 1991/St/639.<br />

OGH 27.01.1998, 11 Os 175/97 (uv).<br />

OGH 31.12.1977, 12 Os 29/77 = SSt 48/29; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer,<br />

Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 8, 9; Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 10;<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 5.<br />

23


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

In § 92 StGB geht es um die Interessen besonders schützwürdiger Personen,<br />

wie Minderjährige 68 , also Personen unter 18 Jahren, oder wegen Gebrechlichkeit,<br />

Krankheit oder geistiger Behinderung Wehrlose. Es werden alle Minderjährigen<br />

geschützt, unabhängig da<strong>von</strong>, ob sie wehrlos sind oder nicht. 69<br />

Geschützte Rechtsgüter des § 92 Abs 1 StGB sind die körperliche <strong>und</strong> die<br />

seelische Integrität. Somit greift das Delikt nicht nur bei körperlicher, sondern auch<br />

bei seelischer Gewalt. 70 Es handelt sich um ein eigenständiges, vorsätzliches<br />

Begehungsdelikt, welches aber auch iVm § 2 StGB durch Unterlassen erfüllt sein<br />

kann. 71<br />

Gem § 92 Abs 1 StGB ist die Tathandlung das Zufügen <strong>von</strong> körperlichen<br />

oder seelischen Qualen. Mit Qualen sind „einen gewissen Zeitraum andauernde<br />

oder sich wiederholende heftige Schmerzen, Leiden aber auch Angstzustände, die<br />

mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen<br />

Wohlbefindens verb<strong>und</strong>en sind“ gemeint. 72<br />

Beispiele für die Erfüllung des Tatbestandes des § 92 Abs 1 StGB sind:<br />

• Das minderjährige Opfer steht unter der Obhut seines Schwagers, der ihm<br />

seelische <strong>und</strong> körperliche Qualen zufügt, indem er es zwingt sich auf ein<br />

Stockerl niederzuknien, ihm befiehlt, die Hose hinunterzuziehen <strong>und</strong> es<br />

dann mit einem Ledergürtel, einem Schlapfen, einem nassen Handtuch<br />

oder mit den Händen auf das Gesäß schlägt. 73<br />

68<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

73<br />

Vgl § 74 Abs 1 Z 3 StGB <strong>und</strong> auch § 21 Abs 2 ABGB.<br />

Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 92 Rz 1; Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 9.<br />

Wegscheider (Hrsg), Strafrecht, Besonderer Teil 2 (2006) 97.<br />

OGH 10.07.1984, 10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt 55/46; Zagler in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 10, 19;<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 2, 13; vgl auch<br />

Marschall/Salomon, ÖJZ 1972, 486.<br />

OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259; 29.07.1982, 12 Os 101, 102/82<br />

(uv); 27.01.1998, 11 Os 175/97 (uv); 07.07.1983, 13 Os 83/83 = EvBl 1984/59 = RZ 1983/75;<br />

Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 92 Rz 1; Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 15;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 92 Rz 8.<br />

OGH 27.01.1998, 11 Os 175/97 (uv).<br />

24


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

• § 92 Abs 1 iVm Abs 3 StGB ist erfüllt, wenn Eltern ihrer vier Jahre alten<br />

Tochter mit dem Vorsatz, sie zu misshandeln <strong>und</strong> zu quälen, wiederholt mit<br />

der Hand insbesondere auf den Kopf schlagen, ihr Verbrennungen zufügen<br />

<strong>und</strong> auch mit Riemen <strong>und</strong> Stöcken Schläge verletzen. <strong>Die</strong>se Handlungen<br />

führen bei der Minderjährigen zunächst zu schweren Verletzungen<br />

(Schädel-Hirntrauma) schlussendlich nach einer letzten Misshandlung zum<br />

Tod. 74<br />

Zusammenfassend lassen sich Qualen iSd § 92 Abs 1 StGB wie folgt einteilen:<br />

Körperliche Qualen können hervorgerufen werden durch: 75<br />

• Verletzungen<br />

• Misshandlungen<br />

• Freiheitsbeschränkungen<br />

• Hungern- bzw Durstenlassen 76<br />

Seelische Qualen können hervorgerufen werden durch: 77<br />

• verbale, gestische Bedrohungen<br />

• Beschimpfungen<br />

• Sonstige Erniedrigungen<br />

Es ist weder ein qualvoller Zustand noch das Vorliegen besonderer Qualen<br />

nötig um das Delikt zu verwirklichen. 78 Außerdem ist es nicht erheblich, ob der<br />

qualvolle Zustand unmittelbar durch Schläge oder Würgen herbeigeführt wird, oder<br />

ob er erst durch nachfolgende Handlungen herbeigeführt wird. 79 Sobald Qualen<br />

zugefügt werden ist der Tatbestand erfüllt – weitere Tatfolgen müssen nicht<br />

eintreten. 80 Allerdings müssen die Qualen opferbezogen sein. 81 Das bedeutet,<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

78<br />

79<br />

80<br />

OGH 12.03.1991, 14 Os 3/91 = OGH JUS-extra 1991/St/639.<br />

OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

OGH 17.02.1994, 15 Os 185/93 = OGH JUS-extra 1994/St/1430 = RZ 1995/27 = NRsp<br />

1994/180.<br />

OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

OGH 17.12.1987, 12 Os 70, 71/87 = NRsp 1988/94.<br />

OGH 07.07.1983, 13 Os 83/83 = EvBl 1984/59 = RZ 1983/75.<br />

Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 12; OGH<br />

16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

25


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

dass zB schon das vorübergehende Einsperren in einen finsteren Keller für einen<br />

4-Jährigen seelische Qualen bedeuten, was bei einem 15-Jährigen jedoch eher<br />

nicht anzunehmen ist. 82 Körperliche <strong>und</strong> seelische Qualen erleidet zB eine 15-<br />

Jährige, die 3 Jahre lang in einer sargähnlichen Kiste, die <strong>von</strong> außen verriegelt<br />

wird, übernachten muss 83 , oder ein 14-Jähriger, der mehrere St<strong>und</strong>en mit<br />

Handschellen an einen Tisch gefesselt wird. 84<br />

Wie erwähnt, kann das Delikt des § 92 Abs 1 StGB auch durch Unterlassen<br />

iVm § 2 StGB begangen werden. Ein Beispiel dafür ist das Unterlassen des<br />

rechtzeitigen Beiziehens eines Arztes 85 oder die Tatsche, dass ein Elternteil es<br />

zulässt, dass der andere Ehegatte ein gemeinsames Kind misshandelt. 86<br />

§ 92 Abs 2 StGB stellt einen eigenständigen Deliktsfall dar <strong>und</strong> ist als<br />

vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt konstruiert. 87<br />

<strong>Die</strong> Bestimmung schützt die Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> die körperliche sowie die<br />

seelische bzw geistige Entwicklungsfähigkeit dadurch, dass die<br />

Vernachlässigung der Pflicht zur Fürsorge oder Obhut unter Strafe gestellt<br />

wird. Sie soll unter gewissen Voraussetzungen dem Quälen gleichgestellt sein. Da<br />

eine Vernachlässigung der Fürsorge- oder Obhutspflicht bei Personen, die ihren<br />

Pflichten normalerweise einwandfrei nachkommen nicht immer auszuschließen ist,<br />

wurde die Strafbarkeit nach § 92 Abs 2 StGB an strengere Voraussetzungen<br />

geknüpft <strong>und</strong> die Kriterien der „Gröblichkeit“ der Pflichtverletzungen <strong>und</strong> des<br />

„beträchtlichen“ Schadens, der dem Opfer dadurch entsteht, als<br />

Tatbestandmerkmal hervorgehoben. 88<br />

81<br />

82<br />

83<br />

84<br />

85<br />

86<br />

87<br />

88<br />

Vgl OGH 16.10.2002, 13 Os 82/02 (uv).<br />

Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 16.<br />

OGH 28.04.1998, 14 Os 166/97 (uv).<br />

OGH 05.09.1984, 11 Os 108/84 = SSt 55/58.<br />

OGH 10.07.1984, 10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt 55/46.<br />

Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 17, 18 mwN; vgl OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 =<br />

SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 92 Rz 4; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 92 Rz 10; Wegscheider, Strafrecht BT 2 , 97; Hauptmann/Jerabek in<br />

Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 2.<br />

ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222; Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 19.<br />

26


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Eine Fürsorge- oder Obhutspflichtverletzung ist gröblich, wenn ein<br />

auffallendes, krasses – „geradezu auf einen Charaktermangel hinweisendes“ –<br />

Missverhältnis zwischen dem Vorgehen, welches unter den gegebenen<br />

Umständen allgemein erwartet wird <strong>und</strong> dem pflichtwidrigen Verhalten besteht.<br />

Dem Täter mangelt es also erheblich an der Bereitschaft, seinen Pflichten<br />

nachzukommen. 89 Das Vorliegen bestimmter Charaktermängel ist allerdings nicht<br />

erforderlich <strong>und</strong> bedarf deswegen auch keiner Urteilsfeststellung. Geistige oder<br />

körperliche persönliche Eigenschaften des Täters, sowie besonders verwerfliche<br />

Charaktermängel (wie zB Rache, Sadismus, Aggressionsentladung gegenüber<br />

Schwächeren, maßloser Egoismus, Vergnügungssucht) stellen somit keine<br />

Bedingung (kein Tatbestandsmerkmal) bei der Gröblichkeitsprüfung dar, können<br />

aber ein Indiz für die Gröblichkeit einer Pflichtverletzung sein. 90 Daraus ergibt sich,<br />

dass die Gröblichkeit der Pflichtverletzung ein objektives Tatbestandselement<br />

darstellt. 91<br />

Unterlässt es eine Mutter trotz Erkennen <strong>von</strong> akuten<br />

Kinderkrankheitssymptomen für eine medizinische Versorgung zu sorgen, liegt<br />

eine gröbliche Pflichtverletzung vor. 92 Genauso, wenn eine Mutter ihren Säugling<br />

nicht oder so mangelhaft ernährt, dass er verhungert bzw verdurstet. 93<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich wird bei einer gröblichen Vernachlässigung da<strong>von</strong><br />

ausgegangen, dass sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg zieht. Allerdings<br />

kann auch eine relativ kurze Pflichtverletzung durch eine besondere Schwere <strong>und</strong><br />

Bedeutung im Einzelfall gröblich sein. 94 Maleczky 95 stellt jedoch in Frage, ob der<br />

Begriff „Vernachlässigung“ nicht schon ein gewisses Dauerelement beinhalte.<br />

89<br />

90<br />

91<br />

92<br />

93<br />

94<br />

ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222; OGH 25.10.1983, 10 Os 159/83 = EvBl 1984/104 = SSt<br />

54/77; 17.02.1994, 15 Os 185/93 = OGH JUS-extra 1994/St/1430 = RZ 1995/27 = NRsp<br />

1994/180; 04.07.1995, 14 Os 63/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1850; Kienapfel/Schroll,<br />

Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 21.<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 15; Kienapfel/Schroll,<br />

Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 20, 22; OGH 04.07.1995, 14 Os 63/95 = OGH JUS-extra<br />

1995/St/1850.<br />

OGH 04.07.1995, 14 Os 63/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1850; Kienapfel/Schroll, Strafrecht<br />

BT I 5 § 92 Rz 20; Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 15.<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 92 Rz 10.<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 92 Rz 10; OGH 01.02.1985, 9 Os 189/84 (uv).<br />

Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 92 Rz 4; OGH 16.01.1979, 11 Os 166/78 = EvBl 1979/179 = RZ<br />

1979/22.<br />

27


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Es muss zumindest fahrlässig eine beträchtliche Ges<strong>und</strong>heitsschädigung<br />

oder beträchtliche Schädigung der körperlichen oder geistigen Entwicklung<br />

herbeigeführt worden sein. <strong>Die</strong> Abgrenzung, wann eine Ges<strong>und</strong>heitsschädigung<br />

oder eine Schädigung der körperlichen oder geistigen Entwicklung beträchtlich ist,<br />

ist nicht ganz leicht. Unerhebliche Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen sind nicht vom<br />

Schutzzweck der Nom erfasst. Nicht ganz unerhebliche Schädigungen stellen<br />

auch noch keine beträchtliche Schädigung dar. 96 <strong>Die</strong> hM geht da<strong>von</strong> aus, dass<br />

eine Schädigung <strong>von</strong> zumindest 14 Tagen das Erfordernis der Beträchtlichkeit<br />

erfüllt. Es wird dabei auf die Bestimmung des § 88 Abs 2 Z 2 bzw 3 StGB<br />

abgestellt. Nicht maßgeblich ist das Vorliegen einer schwere Körperverletzung iSd<br />

§ 84 Abs 1 StGB – es können auch weniger schwere Folgen genügen. 97<br />

Kienapfel/Schroll 98 sind jedoch der Meinung, dass die Dauer <strong>von</strong> 14 Tagen nicht<br />

erreicht werden muss, um <strong>von</strong> einer beträchtlichen Schädigung ausgehen zu<br />

können. ME muss die genaue Beurteilung in der Praxis jedoch <strong>von</strong> den<br />

Umständen des Einzelfalls abhängen.<br />

Durch die gröbliche Verletzung der Fürsorge- bzw Obhutspflicht gegenüber<br />

einem Minderjährigen wird das minderjährige Opfer entweder in seiner Ges<strong>und</strong>heit<br />

beträchtlich geschädigt, oder aber in seiner geistigen oder körperlichen<br />

Entwicklung gestört. Der in seiner geistigen Entwicklung, das ist die durch<br />

„Lernen“ im weitesten Sinn bedingte Entfaltung, Geschädigte ist derart gehemmt<br />

oder beeinträchtigt, dass er eindeutig hinter dem Bildungs- <strong>und</strong> Intelligenzniveau<br />

<strong>von</strong> Personen gleicher Entwicklungsstufe zurückbleibt. Bei der körperlichen<br />

Entwicklung wird auf das merkliche Zurückbleiben hinter dem Entwicklungsniveau<br />

Gleichaltriger abgestellt. 99<br />

95<br />

96<br />

97<br />

98<br />

99<br />

Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 55.<br />

ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222.<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 16;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 92 Rz 11; Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht,<br />

Besonderer Teil I 10 (2008) § 92 Rz 3; vgl auch ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222.<br />

Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 23.<br />

ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 222; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 92 Rz 15; Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 92 Rz 4; Kienapfel/Schroll,<br />

Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 23; Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2<br />

§ 92 Rz 17.<br />

28


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> konkrete Lebens- oder Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung ist jedoch nicht<br />

beträchtlich, wenn sie folgenlos geblieben ist. 100<br />

Auf der subjektiven Ebene der Delikte nach § 92 Abs 1 <strong>und</strong> Abs 2 StGB reicht<br />

bedingter Vorsatz. 101 Der Täter muss es im Fall des § 92 Abs 1 StGB ernstlich für<br />

möglich halten <strong>und</strong> sich damit abfinden, dass er dem Opfer körperliche oder<br />

seelische Qualen herbeiführt. Dabei muss sich der Vorsatz auf die Fürsorge- bzw<br />

Obhutspflicht, sowie auf die Minderjährigkeit des Opfers beziehen. Im Deliktsfall<br />

des § 92 Abs 2 StGB müssen die Pflichtwidrigkeit <strong>und</strong> die Umstände der<br />

gröblichen Vernachlässigung vom Vorsatz erfasst sein. Allerdings genügt in § 92<br />

Abs 2 StGB hinsichtlich der Schädigung der Ges<strong>und</strong>heit oder der körperlichen<br />

oder geistigen Entwicklung des Opfers sogar Fahrlässigkeit (vgl § 6 StGB). 102<br />

In § 92 Abs 3 StGB sind für beide Deliktsfälle Erfolgsqualifikationen 103<br />

normiert. Hat die Tat zu einer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen iSd<br />

§ 85 StGB geführt, wird der Strafrahmen der Freiheitsstrafe <strong>von</strong> „bis zu drei<br />

Jahren“ auf „sechs Monate bis zu fünf Jahren“ angehoben. Hat die Tat den Tod<br />

der geschädigten Person zur Folge wird der Strafrahmen der Freiheitsstrafe auf<br />

„<strong>von</strong> einem Jahr bis zu zehn Jahren“ erhöht. <strong>Die</strong>se Strafrahmen stimmen somit<br />

völlig mit denen der §§ 85 <strong>und</strong> 86 StGB überein. 104<br />

Lassen Eltern ihr Kleinkind tagelang unterversorgt – durch mangelnde<br />

Zuwendung <strong>und</strong> unzureichende Ernährung – <strong>und</strong> bringen es trotz offensichtlichem<br />

– für jedermann leicht erkennbaren – bedrohlichen Ges<strong>und</strong>heitszustand nicht zum<br />

100 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 25.<br />

101 Vgl § 5 Abs 1 2. Fall StGB – dolus eventualis; Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 15 Rz 1 <strong>und</strong> 11.<br />

102 OGH 25.10.1983, 10 Os 159/83 = EvBl 1984/104 = SSt 54/77; Hauptmann/Jerabek in<br />

Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 19, 20; Zagler in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 16.<br />

103 Bei erfolgsqualifizierten Delikten sieht das Gesetz eine schwerere Strafe vor, wenn durch die<br />

Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>delikts – zumindest fahrlässig (vgl § 7 Abs 2 StGB) – zusätzlich<br />

eine besondere Folge der Tat herbei geführt wird. Vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 9 Rz 10.<br />

104 Wegscheider, Strafrecht BT 2 , 97; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm<br />

zum StGB § 92 Rz 17; Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 92 Rz 4.<br />

29


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Arzt, was zum Tod des Kindes durch Verhungern <strong>und</strong> Verdursten führt,<br />

verwirklichen sie das Delikt des § 92 Abs 2 <strong>und</strong> Abs 3 zweiter Fall StGB. 105<br />

Bringen Eltern ein krankes Kind jedoch nicht zum Arzt, da sie denken, es sei<br />

kein Arzt nötig, fehlt ihnen der Vorsatz ihre Pflichten gröblich zu verletzen <strong>und</strong> sie<br />

machen sich nicht nach § 92 Abs 2 StGB strafbar. 106 Sie können jedoch uU nach<br />

§ 88 StGB strafbar sein.<br />

Das Erziehungsrecht stellt keinen Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> dar, da die<br />

Tathandlungen keine rechtmäßigen Erziehungsmaßnahmen sein können. 107 Vgl<br />

Kapitel 2.2.<br />

§ 92 Abs 1 <strong>und</strong> Abs 2 StGB stellen, wie bereits erläutert, eigenständige<br />

Deliktsfälle dar <strong>und</strong> schließen einander gr<strong>und</strong>sätzlich aus, wobei dem<br />

§ 92 Abs 1 StGB als lex specialis Vorrang zukommt, da schon die Tathandlung –<br />

das Quälen – einen besonders hohen Schuldgehalt beinhaltet, welcher dem<br />

Fehlen <strong>von</strong> besonderen Tatfolgen iSv § 92 Abs 2 entspricht. 108<br />

Realkonkurrenz 109 zwischen § 92 Abs 1 <strong>und</strong> § 92 Abs 2 StGB ist allerdings<br />

möglich, wenn zB durch das Zufügen <strong>von</strong> Qualen, Pflichtverletzungen verwirklicht<br />

werden, die zB in einer Verabsäumung des ärztlichen Hilfeholens liegen. Dadurch<br />

sind beide Tatbestände verwirklicht. 110<br />

105 OGH 17.02.1994, 15 Os 185/93 = OGH JUS-extra 1994/St/1430 = RZ 1995/27 = NRsp<br />

1994/180.<br />

106 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 92 Rz 3.<br />

107 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 28; Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener<br />

Komm zum StGB 2 § 92 Rz 23.<br />

108 Wegscheider, Strafrecht BT 2 , 97; OGH 10.07.1984, 10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt<br />

55/46; 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

109 Bei Realkonkurrenz hat der Täter durch mehrere selbständige Handlungen mehrere Delikte<br />

verwirklicht. Vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 E 8 Rz 44.<br />

110 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 24; OGH 10.07.1984,<br />

10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt 55/46; 19.03.1992, 12 Os 159/91 (uv).<br />

30


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> durchschnittliche Verurteilungsrate bei Fällen des Quälens oder<br />

Vernachlässigens eines Minderjährigen oder Wehrlosen betrug in den letzten<br />

Jahren österreichweit lediglich 12,9 %. 111<br />

In der folgenden Grafik sind sowohl Handlungen des Quälens oder<br />

Vernachlässigens gegenüber Minderjährigen als auch gegenüber volljährigen<br />

wehrlosen Personen erfasst.<br />

220<br />

200<br />

180<br />

160<br />

140<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Anzeigen <strong>und</strong> Verurteilungen nach § 92 StGB -<br />

Österreich<br />

Anzeigen Verurteilungen<br />

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

Quelle: Statistik Austria <strong>und</strong> Polizeiliche Kriminalstatistik des BMI<br />

Ursachen für die geringe Aufklärungsquote gibt es mehrere. Zum einen ergibt<br />

es sich schon aus der Opferqualität – ein Kind handelt anders als ein Erwachsener<br />

– zum anderen aus der Beschaffenheit des Tatortes – die meisten<br />

Kindesmisshandlungen finden zu Hause statt. Auch Tatzeugen – wenn es welche<br />

gibt – sind oft nicht sehr hilfreich, da sie idR in einem Nahe- bzw<br />

Abhängigkeitsverhältnis zum Täter stehen <strong>und</strong> die Gefahr der Verschleierung <strong>und</strong><br />

Bagatellisierung gegeben ist, wodurch eine objektive Aussage nicht zu erwarten<br />

ist. Das Interesse an der Verschleierung der Tatumstände wird oft durch die<br />

111 Der Wert ergibt sich aus der Verurteilungsstatistik <strong>von</strong> Statistik Austria <strong>und</strong> der polizeilichen<br />

Kriminalstatistik.<br />

31


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Garantenstellung nach § 2 StGB dieser Personen erhöht, wonach uU eine<br />

Bestrafung wegen Kindesmisshandlung durch Unterlassen zu befürchten wäre. 112<br />

Durch die dürftige Beweislage kommt nicht selten der Gr<strong>und</strong>satz „in dubio pro<br />

reo – Im Zweifel für den Angeklagten“ zu tragen <strong>und</strong> das Verfahren endet in einem<br />

Freispruch, durch den das minderjährige Opfer nicht nur mit der Tat, sondern auch<br />

mit dem Ablauf <strong>und</strong> dem Ausgang des Verfahrens fertig werden muss. 113<br />

112 Rotter/Schick in FS Maresch 70 f.<br />

113 Benzoni, ÖA 2001, 196; Schick in FS Moos 306.<br />

32


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.2. Körperverletzungsdelikte<br />

<strong>Die</strong> Körperverletzungsdelikte sind in den §§ 83 ff StGB geregelt. Der<br />

Gr<strong>und</strong>tatbestand <strong>von</strong> § 83 Abs 1 <strong>und</strong> Abs 2 StGB wird in den fortfolgenden<br />

Bestimmungen qualifiziert. Handelt der Täter absichtlich, wird das eigenständige<br />

Delikt des § 87 StGB herangezogen, dh § 83 StGB tritt als subsidiär zurück. 114<br />

Handelt der Täter fahrlässig, sind die Vorschriften des § 88 StGB zur maßgeblich.<br />

<strong>Die</strong> Opferstatistik <strong>von</strong> 2008 lässt erkennen, dass in Summe 129 Kinder unter<br />

sechs Jahren Opfer einer vorsätzlichen Körperverletzung waren. Minderjährige bis<br />

zum Alter <strong>von</strong> zehn Jahren wurden 346-mal Opfer einer vorsätzlichen<br />

Körperverletzung. Bei den zehn bis 14 Jährigen steigt die Zahl auf 1732 Fälle. Das<br />

ergibt in Summe 2207 unmündig minderjährige Opfer <strong>von</strong> vorsätzlichen<br />

Körperverletzungen in einem Jahr. Das weitere Ansteigen der Opferstatistik bei<br />

mündigen Minderjährigen auf 5487 Fälle im letzten Jahr lässt sich damit erklären,<br />

dass oft minderjährige Täter für die Handlungen verantwortlich sind, die häufig<br />

nicht als Kindesmisshandlung zu werten sind. 115<br />

Opfer unter 6 6 bis unter 10 10 bis unter 14 14 bis unter 18<br />

Jahre Jahre Jahre Jahre<br />

Delikt<br />

§ 83 StGB 115 344 1686 5051<br />

§ 84 StGB 10 2 43 403<br />

§ 85 StGB 2 0 1 4<br />

§ 86 StGB 0 0 0 0<br />

§ 87 StGB 2 0 2 29<br />

Gesamt 129 346 1732 5487<br />

Quelle: Opferstatistik BMI (2008)<br />

114 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 99.<br />

115 <strong>Die</strong> Daten ergeben sich aus der Opferstatistik des BMI.<br />

33


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

§ 92 StGB stellt ein eigenständiges Delikt dar, welches den § 83 ff StGB<br />

vorgeht <strong>und</strong> sie verdrängt. 116 Somit gelten Körperverletzungen iSd §§ 83 <strong>und</strong><br />

84 StGB als mitabgegolten. Kommt es durch die Tathandlung des § 92 StGB zu<br />

den Folgen des § 85 f StGB ist auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Exklusivität § 92 Abs 3 StGB<br />

anzuwenden. Kommt es allerdings zu einer vorsätzlichen Körperverletzung oder<br />

körperlichen Misshandlung, ohne dass dies zu Qualen iSd § 92 StGB führt, oder<br />

fehlen sonstige in § 92 StGB verlangte Voraussetzungen, sind allein die<br />

§§ 83 ff StGB maßgeblich. 117<br />

In Fällen, in denen keine gleiche Strafdrohung vorgesehen ist – nämlich bei<br />

absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 2 StGB – ist jedoch eine<br />

Idealkonkurrenz 118 zu § 92 StGB möglich. 119 § 83 StGB tritt auch gegenüber allen<br />

vorsätzlichen Tötungsdelikten als subsidiär zurück. 120<br />

3.2.1. § 83 StGB Körperverletzung<br />

§ 83. (1) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der<br />

Ges<strong>und</strong>heit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit<br />

Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.<br />

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper mißhandelt<br />

<strong>und</strong> dadurch fahrlässig verletzt oder an der Ges<strong>und</strong>heit schädigt.<br />

§ 83 Abs 1 <strong>und</strong> § 81 Abs 2 StGB stellen jeweils Gr<strong>und</strong>delikte der<br />

Körperverletzung dar, wobei die körperliche Unversehrtheit <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit<br />

des Menschen als geschützte Rechtsgüter anzusehen sind. <strong>Die</strong><br />

§§ 84, 85, 86 StGB stellen im Gegensatz zu § 87, der als eigenständiges Delikt<br />

konzipiert ist, unselbständige Qualifikationen dar. Es handelt sich bei<br />

116 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 40; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 99.<br />

117 Wegscheider, Strafrecht BT 2 , 97; Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 36, 37;<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 25.<br />

118 Bei Idealkonkurrenz hat der Täter durch eine Handlung mehrere Delikte gleichzeitig<br />

verwirklicht. Vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 E 8 Rz 43.<br />

119 Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 22.<br />

120 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 99.<br />

34


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

§ 83 Abs 1 <strong>und</strong> Abs 2 StGB um Allgemeindelikte 121 , was bedeutet, dass jeder<br />

Mensch, der vom Opfer verschieden ist, Täter sein kann. 122<br />

Der Tatbestand nach § 83 Abs 1 StGB ist erfüllt, wenn der Täter eine<br />

Verletzung am Körper oder eine Schädigung an der Ges<strong>und</strong>heit des Opfers<br />

herbeiführt. 123<br />

Verletzungen am Körper sind laut hM 124 <strong>und</strong> Judikatur Schnittw<strong>und</strong>en 125 ,<br />

Stichw<strong>und</strong>en 126 , Kratzw<strong>und</strong>en 127 , Schürfw<strong>und</strong>en 128 , Bissw<strong>und</strong>en 129 , Blutergüsse 130 ,<br />

Hautabschürfungen 131 , Schwellungen 132 , Verstauchungen 133 , Verrenkungen, 134<br />

Brüche 135 , Prellungen 136 , starkes Nasenbluten 137 , Verlust <strong>und</strong> Lockerung <strong>von</strong><br />

Zähnen 138 , Verbrühungen 139 , innere Verletzungen <strong>und</strong> sonstige Verletzungen 140 .<br />

Es handelt sich dabei um nicht ganz unerhebliche Eingriffe in die körperliche<br />

Integrität bzw um eine Substanzveränderung. 141<br />

121 Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 24 Rz 26.<br />

122 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 1 ff; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 27 f.<br />

123 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 5 mwN.<br />

124 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 6; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 83 Rz 5 f; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 83 Rz 46 ff.<br />

125 OGH 26.01.1978, 12 Os 184/77 = JBl 1978, 385 = EvBl 1978/184 = SSt 49/9 = RZ 1978/100<br />

(Anm Kienapfel).<br />

126 OGH 15.02.2007, 15 Os 131/06p (uv).<br />

127 OGH 21.06.2007, 15 Os 65/07h (uv).<br />

128 OGH 30.05.2006, 11 Os 35/06s (uv).<br />

129 OGH 30.01.2007, 14 Os 3/07h (uv).<br />

130 OGH 22.10.1992, 12 Os 94/92 (uv).<br />

131 OGH 05.11.1987, 12 Os 140/87 = EvBl 1988/70.<br />

132 OGH 05.11.1981, 12 Os 136/81 (uv); 22.05.1986, 13 Os 65/86 = ZVR 1987/59.<br />

133 OGH 10.11.1993, 13 Os 150/93 (uv).<br />

134 OGH 17.02.2005, 15 Os 159/04 (uv).<br />

135 OGH 10.11.1993, 13 Os 150/93 (uv). <strong>Die</strong> meisten Brüche erfüllen außerdem das Tatbild der<br />

an sich schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB. Siehe Kapitel 3.2.2.<br />

136 OGH 24.01.1979, 10 Os 170/78 = SSt 50/10 = EvBl 1979/146.<br />

137 OGH 20.05.1981, 11 Os 44/81 = SSt 52/28.<br />

138 OGH 06.09.1977, 11 Os 74/77 = SSt 48/62.<br />

139 OGH 05.09.2002, 15 Os 62/02 (uv).<br />

140 OGH 10.11.1993, 13 Os 150/93 (uv).<br />

141 OGH 05.11.1987, 12 Os 140/87 = EvBl 1988/70.<br />

35


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Nicht mehr geringfügig sind Beeinträchtigungen, wenn sie Schmerzen<br />

verursachen, eine Behandlung, einen Verband, ein Pflaster notwendig machen<br />

oder das Opfer bewusstlos wird. 142<br />

Im Gegensatz dazu sind unerhebliche Beeinträchtigungen zB bloße<br />

Hautrötungen, leichtes, kurzes Nasenbluten, eine kleine Hautabschürfung am<br />

Daumen usw, sowie bloße Beeinträchtigungen des Aussehens, wie das<br />

Anschmieren mit Farbe oder Angießen mit schmutzigem Wasser oder das<br />

Abschneiden <strong>von</strong> Haaren 143 , nicht <strong>von</strong> § 83 Abs 1 StGB erfasst. Auch bloße<br />

Misshandlungen am Körper, wie zB das Versetzen einer Ohrfeige, stellen noch<br />

keine Verletzung am Körper dar. 144<br />

Definiert wird eine Schädigung an der Ges<strong>und</strong>heit mit Herbeiführung oder<br />

Verschlimmerung einer Krankheit. Dabei geht es primär um eine Funktionsstörung.<br />

Auch geistig-seelische Leiden kommen – soweit sie Krankheitswert im<br />

medizinischen Sinne besitzen – in Betracht. Als Beispiele seien eine Ansteckung<br />

mit AIDS oder Hepatitis, Vergiftungen, schwere Rausch- <strong>und</strong><br />

Betäubungszustände, sowie Angstzustände, Schlafstörungen, Depressionen, die<br />

durch Mobbing am Arbeitsplatz/Lehrstelle, Telefon- oder sonstigen Psychoterror 145<br />

verursacht werden, angeführt. 146 Unterhalb der Schwelle liegen zB die<br />

Verabreichung eines gelinde wirkenden Abführmittels oder die heimliche Eingabe<br />

eines Schlafmittels <strong>und</strong> Einwirkungen bloß auf das seelische Wohlbefinden, wie zB<br />

Hervorrufen <strong>von</strong> Ekel durch Anspuken oder Anrempeln. 147<br />

142 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 83 Rz 2.<br />

143 OGH 16.10.1951, 5 Os 844/51 = SSt 22/79 = EvBl 1952/149.<br />

144 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 7; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 83 Rz 8.<br />

145 Allerdings kommt hier auch eine Strafbarkeit nach § 107 a StGB in Betracht.<br />

146 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 9 ff; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 83 Rz 9 f; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB §<br />

83 Rz 53 ff.<br />

147 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 59, 65.<br />

36


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> Begriffe „Verletzung am Körper“ <strong>und</strong> „Schädigung an der Ges<strong>und</strong>heit“<br />

überschneiden sich, weswegen eine genaue Abgrenzung nicht immer nötig ist. 148<br />

Auch das Vorliegen <strong>von</strong> Schmerzen muss nicht immer erfüllt sein, sie haben idR<br />

nur Indizfunktion, da es auf ein objektives Eingreifen in die körperliche Integrität<br />

<strong>und</strong> nicht auf das subjektive Befinden des Opfers ankommt. 149<br />

Bei der Abgrenzung zwischen Handlungen, die unter die Bagatellgrenze<br />

fallen, Verletzungen am Körper, Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen, <strong>und</strong> schweren<br />

Körperverletzungen, ist auf die Opferkomponente Rücksicht zu nehmen. Dh es ist<br />

der Verkehrskreis des Opfers zu berücksichtigen – so stellen ein Kratzer oder<br />

minimale Hautabschürfungen bei einem Kleinkind durch seine Empfindlichkeit<br />

wesentlich bedeutendere Beeinträchtigungen, als bei einem erwachsenen Mann<br />

dar. 150 Das Delikt der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB kann entweder durch<br />

physische oder psychische Einwirkungen, oder auch iVm § 2 StGB durch<br />

Unterlassen herbeigeführt werden. 151<br />

§ 83 Abs 2 StGB stellt, ein eigenständiges Gr<strong>und</strong>delikt dar, welches einen<br />

Auffangtatbestand gegenüber § 83 Abs 1 StGB enthält <strong>und</strong> das Misshandeln<br />

eines anderen unter Strafe stellt, wenn die Misshandlung eine Verletzung am<br />

Körper oder eine Ges<strong>und</strong>heitsschädigung hervorruft. Korrekterweise tritt § 83 Abs<br />

2 StGB bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 83 Abs 1 StGB als subsidiär<br />

zurück – in der Praxis ist eine fehlerhafte Zuordnung der beiden Absätze jedoch<br />

unerheblich. 152<br />

148 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 12 f;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 83 Rz 11; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 83 Rz 11, 52.<br />

149 OGH 28.02.1995, 14 Os 193/94 (uv); 25.02.1986, 11 Os 13/86 (uv); Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 50.<br />

150 Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 6.<br />

151 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 15 f;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 83 Rz 12; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 83 Rz 93 ff.<br />

152 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 22; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 83 Rz 2; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum<br />

Strafgesetzbuch § 83 Rz 11, 14; OGH 17.10.1978, 9 Os 209/77 = SSt 49/51 = EvBl 1979/71 =<br />

RZ 1979/4; 25.09.1984, 9 Os 137/84 = JBl 1985, 373.<br />

37


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Von diesem Tatbestand sind im Allgemeinen Einwirkungen <strong>von</strong> physischer<br />

Kraft auf den Körper erfasst, die das körperliche Wohlbefinden nicht ganz<br />

unerheblich beeinträchtigen 153 , wie zB Fußtritte 154 , Ohrfeigen 155 , Schläge ins<br />

Gesicht 156 , Umstoßen mit dem Fahrrad 157 , Zu-Boden-Werfen 158 oder ein längeres<br />

Untertauchen im Wasser 159 . Dabei muss allerdings die Erheblichkeitsschwelle<br />

beachtet werden. Dh es muss auf die Dauer, die Intensität der Handlung <strong>und</strong> die<br />

körperliche Verfassung des Opfers abgestellt werden. Ein Stoß gegen einen<br />

Säugling kann eine Misshandlung darstellen 160 , während ein Stoß gegen einen<br />

Polizisten bloß eine unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohls sein<br />

kann. 161 Psychische Beeinträchtigungen sind vom Misshandlungsbegriff des<br />

§ 83 Abs 2 StGB allerdings nicht erfasst. Hier kommt uU eine Strafbarkeit nach<br />

dem speziellern Delikt des § 92 StGB in Betracht. 162<br />

Als weiteres Tatbestandsmerkmal des § 83 Abs 2 StGB verlangt das Gesetz<br />

die durch die Misshandlung zumindest fahrlässige Herbeiführung einer Verletzung<br />

am Körper oder einer Schädigung an der Ges<strong>und</strong>heit. 163<br />

<strong>Die</strong> eingetretene Körperverletzung bzw Ges<strong>und</strong>heitsschädigung iSd<br />

§ 83 Abs 1 StGB muss kausal sein <strong>und</strong> einen Adäquanz- <strong>und</strong><br />

Risikozusammenhang aufweisen. Nach § 83 Abs 2 StGB stellt die<br />

Körperverletzung bzw Ges<strong>und</strong>heitsschädigung eine fahrlässige Folge der<br />

körperlichen Misshandlung dar, die dem Täter objektiv zurechenbar sein muss. 164<br />

153 OGH 07.04.1978, 13 Os 22/78 = SSt 49/27; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer,<br />

Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 39.<br />

154 OGH 21.06.1994, 14 Os 53/94 (uv).<br />

155 OGH 10.10.2006, 14 Os 93/06t (uv).<br />

156 OGH 19.02.2003, 13 Os 164/02 (uv).<br />

157 OGH 03.07.2007, 11 Os 67/07y (uv).<br />

158 OGH 05.08.2003, 14 Os 96/03 (uv).<br />

159 OGH 04.03.1986, 10 Os 123/85 = SSt 57/13.<br />

160 OGH 07.07.1977, 12 Os 112/76 = SSt 48/55 = EvBl 1977/259.<br />

161 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 42.<br />

162 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 23 f; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 44.<br />

163 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 26 ff;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 83 Rz 15.<br />

164 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 66 ff.<br />

38


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Auf der subjektiven Seite der Körperverletzung ist für die Erfüllung des § 83<br />

Abs 1 StGB (bedingter) Verletzungsvorsatz nötig. Im Falle des § 83 Abs 2 StGB<br />

genügt bei Misshandlungsvorsatz allerdings Fahrlässigkeit bezüglich der<br />

Verletzung am Körper oder der Ges<strong>und</strong>heitsschädigung. 165<br />

IZm der Rechtswidrigkeit kann der Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> eines<br />

Züchtigungsrechts ausgeschlossen werden, da das Gewaltverbot in § 146 a ABGB<br />

die Anwendung <strong>von</strong> Gewalt <strong>und</strong> die Zufügung <strong>von</strong> körperlichen oder seelischen<br />

Leid als Erziehungsmittel verbietet. 166 Eltern, die vorsätzliche Misshandlungen,<br />

welche fahrlässig zu leichten Körperverletzungen führen, als Erziehungsmethoden<br />

einsetzen, machen sich somit nach § 83 Abs 2 StGB strafbar. 167<br />

Auch die allgemeinen Entschuldigungsgründe wie zB entschuldigender<br />

Notstand kommen im Bereich der Kindesmisshandlung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht in<br />

Betracht. Nehmen Erziehungsberechtigte jedoch rechtswidrigerweise ein<br />

Züchtigungsrecht gegenüber ihren Kindern an, liegt ein Rechtsirrtum vor, der aber<br />

regelmäßig als vorwerfbar anzusehen sein wird. 168<br />

3.2.2. § 84 StGB Schwere Körperverletzung<br />

§ 84. (1) Hat die Tat eine länger als vier<strong>und</strong>zwanzig Tage dauernde<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist<br />

die Verletzung oder Ges<strong>und</strong>heitsschädigung an sich schwer, so ist der<br />

Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.<br />

(2) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn die Tat begangen worden ist<br />

1. mit einem solchen Mittel <strong>und</strong> auf solche Weise, womit in der Regel<br />

Lebensgefahr verb<strong>und</strong>en ist,<br />

165 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 17 f, 41, 44;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 83 Rz 16 f; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer,<br />

Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 69 ff.<br />

166 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 83 Rz 33 f; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 86; Siehe auch Kapitel<br />

2.2.<br />

167 OLG Wien, 27.08.1979, 27 Bs 303/79 = ÖJZ-LSK 1979/326.<br />

168 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 83 Rz 88 f.<br />

39


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

2. <strong>von</strong> mindestens drei Personen in verabredeter Verbindung,<br />

3. unter Zufügung besonderer Qualen oder<br />

4. an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen während oder<br />

wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner<br />

Pflichten.<br />

(3) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn er mindestens drei<br />

selbständige Taten ohne begreiflichen Anlaß <strong>und</strong> unter Anwendung<br />

erheblicher Gewalt begangen hat.<br />

Das Delikt der schweren Körperverletzung ist eine unselbständige<br />

Qualifikation des Gr<strong>und</strong>tatbestandes des § 83 Abs 1 oder § 83 Abs 2 StGB. 169<br />

§ 84 Abs 1 StGB beinhaltet drei Erfolgsqualifikationen, nämlich eine länger<br />

als 24 Tage dauernde Ges<strong>und</strong>heitsschädigung, eine länger als 24 Tage dauernde<br />

Berufsunfähigkeit oder eine an sich schwere Verletzung oder<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung.<br />

Zum Begriff der Ges<strong>und</strong>heitsschädigung siehe Kapitel 3.2.1. Der Begriff<br />

Beruf ist weit auszulegen <strong>und</strong> bezeichnet den Bereich, der dem Verletzen<br />

gesellschaftlich zum Tatzeitpunkt zukommt. Es sind also auch Schule, Studium<br />

<strong>und</strong> die Führung eines Haushalts da<strong>von</strong> erfasst. Auch die zum Tatzeitpunkt<br />

vorliegende Arbeitslosigkeit schließt eine Berufsunfähigkeit nicht aus.<br />

Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die wesentlichen Tätigkeiten des Berufes nicht<br />

oder nicht ohne unzumutbare Erschwernisse ausgeübt werden können. 170 Zu<br />

bejahen ist die Berufsunfähigkeit bei einem Schüler, der einen Gips am rechten<br />

Schultergelenk tragen muss <strong>und</strong> deswegen nicht schreiben kann 171 oder wenn der<br />

Verletzte den Weg <strong>von</strong> seiner Wohnung zum Arbeitsplatz durch die Verletzung<br />

bedingt nicht vornehmen kann. 172<br />

169 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 2 f; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 84 Rz 1; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 84 Rz 7 f.<br />

170 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 6 ff.<br />

171 OGH 22.09.1971, 11 Os 83/71 = ZVR 1972/162.<br />

172 OGH 28.02.1957, 5 Os 3/57 = SSt 28/16.<br />

40


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschädigung oder Berufsunfähigkeit muss länger als 24 Tage<br />

dauern, wobei nicht die Heilungsdauer maßgeblich ist, sondern der Fortbestand<br />

der pathologischen Veränderung des Körpers. Es kommt auch nicht auf die Dauer<br />

des Krankenhausaufenthaltes an oder darauf wie lange der Patient<br />

krankgeschrieben ist. 173 Eine Ges<strong>und</strong>heitsschädigung liegt zB so lange vor, als<br />

das Opfer einen Gipsverband tragen muss. 174<br />

Auch hier ist eine präzise Differenzierung zwischen an sich schweren<br />

Verletzungen bzw Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen nicht nötig. 175<br />

Bei einer Einstufung als „an sich schwer“ ist auf die Kriterien der Wichtigkeit<br />

des betroffenen Organs oder Körperteils, des Ausmaßes der<br />

Krankheitserscheinung (Schmerzen, Funktionseinschränkungen, Dauer), des<br />

Gefährlichkeitsgrades, der Heilungschancen, der Möglichkeit weiterer<br />

ges<strong>und</strong>heitsschädlicher Folgen, der jeweiligen konkreten Situation des Opfers<br />

(Alter, Ges<strong>und</strong>heitszustand) <strong>und</strong> auf den Stand der Medizin abzustellen. 176<br />

Beispiel für an sich schwere Verletzungen sind gr<strong>und</strong>sätzlich Knochenbrüche<br />

(mit Ausnahme <strong>von</strong> Brüchen kleiner Knochen mit geringer Bedeutung wie vor<br />

allem das Nasenbein) 177 , uU der Verlust <strong>von</strong> Zähnen 178 , Gehirnerschütterungen –<br />

allerdings nur, wenn sie mit einer längeren Bewusstlosigkeit, mehrfachem<br />

Erbrechen <strong>und</strong> Gedächtnisverlust verb<strong>und</strong>en sind. 179 Auch<br />

Weichteilverletzungen 180 sowie ein Bänderriss am Knöchel 181 können eine an sich<br />

schwere Verletzung darstellen.<br />

173 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 7; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 84 Rz 5; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 84 Rz 32.<br />

174 OGH 13.02.1969, 11 Os 233/68 = EvBl 1969/293.<br />

175 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 16; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 84 Rz 46.<br />

176 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 17 ff, 26;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 84 Rz 7; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 84 Rz 48; Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 84 Rz 3 ff; OGH 04.11.1981, 11 Os<br />

83/81 (uv).<br />

177 OGH 19.12.1989, 11 Os 127/89 (uv).<br />

178 OLG Wien 07.07.1981, 23 Bs 219/81 = ZVR 1982/40.<br />

179 OGH 22.05.1973, 10 Os 57/73 = EvBl 1973/285.<br />

180 OGH 13.08.1981, 13 Os 119/81 = EvBl 1981/215 = RZ 1982/23.<br />

181 OGH 19.05.1987, 11 Os 42/87 (uv).<br />

41


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Als an sich schwere Ges<strong>und</strong>heitsschädigungen werden <strong>von</strong> der Judikatur ein<br />

längerer Dämmerzustand iS einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung 182 <strong>und</strong> eine<br />

schwere Depression 183 gesehen.<br />

Bei der Beurteilung einer an sich schweren Verletzung oder<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung ist die Gesamtheit aller Beeinträchtigungen, die dem<br />

Opfer durch die Tat zugefügt wurden, heranzuziehen. Dh mehrere Verletzungen,<br />

die jede für sich bloß eine einfache Körperverletzung darstellen, können, wenn sie<br />

aus einer Tathandlung resultieren als an sich schwere Körperverletzung iSd<br />

§ 84 Abs 1 StGB eingestuft werden. 184<br />

Da es sich um eine Erfolgsqualifikation iSd § 7 Abs 2 StGB handelt, reicht es<br />

wenn der Täter bezüglich der Qualifikation des § 84 Abs 1 StGB fahrlässig handelt<br />

<strong>und</strong> der qualifizierende Erfolg dem Täter objektiv zuzurechnen ist – der<br />

Verletzungs- bzw Misshandlungsvorsatz des Gr<strong>und</strong>delikts nach § 83 StGB muss<br />

aber auf jeden Fall gegeben sein. 185<br />

§ 84 Abs 2 StGB enthält vier Verhaltensqualifikationen. Dh die Verletzung<br />

bzw Ges<strong>und</strong>heitsschädigung kann selbst auch leicht sein, da die Tathandlung an<br />

sich die Qualifikation auslöst <strong>und</strong> die Tat zu einer schweren Körperverletzung<br />

macht. 186<br />

§ 84 Abs 2 Z 1 StGB verlangt ein Handeln mit einem solchen Mittel <strong>und</strong> auf<br />

solche Weise, womit idR Lebensgefahr verb<strong>und</strong>en ist. Es muss auf der einen<br />

Seite ein abstrakt lebensgefährliches Mittel, wie zB Schuss 187 -, Hieb-,<br />

Stichwaffen 188 , Werkzeuge, Messer 189 , Gifte <strong>und</strong> Starkstrom 190 , sowie uU<br />

182 OGH 28.01.1986, 11Os176/85 = SSt 57/5.<br />

183 OGH 06.04.1999, 14 Os 15/99 = EvBl 1999/163.<br />

184 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 26; Foregger/Fabrizy,<br />

StGB 9 § 84 Rz 3.<br />

185 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 84 Rz 9 a f.<br />

186 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 39; Foregger/Fabrizy,<br />

StGB 9 § 84 Rz 24.<br />

187 OGH 03.08.1976, 10 Os 73/76 = SSt 47/40 = EvBl 1977/33 = RZ 1977/5 = RZ 1976/109.<br />

188 OGH 23.10.1979, 11 Os 124/79 = SSt 50/64 = EvBl 1980/79.<br />

189 OGH 14.01.1982, 13 Os 176/81 = EvBl 1983/24.<br />

190 OGH 18.05.1989, 12 Os 153/88 = EvBl 1989/178 = JBl 1990, 261.<br />

42


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Schraubenzieher 191 verwendet werden <strong>und</strong> auf der anderen Seite ein konkret<br />

lebensgefährlicher Einsatz dieses Mittels erfolgen. Kein geeignetes Mittel ist<br />

hingegen ein Besenstiel. 192 Es kommt darauf an, dass die Verletzungshandlung –<br />

ex ante betrachtet – lebensgefährlich ist, wobei es der Verletzungserfolg – ex post<br />

betrachtet – nicht sein muss. 193 Bertel/Schwaighofer 194 umschreiben den<br />

Tathergang so, dass zumindest einen Augenblick um das Leben des Opfers<br />

gefürchtet werden muss.<br />

§ 84 Abs 2 Z 3 StGB qualifiziert die Körperverletzung unter Zufügung<br />

besonderer Qualen. Besondere Qualen idS sind „starke körperliche oder<br />

seelische Schmerzen, die das Opfer nach Intensität <strong>und</strong> Dauer außergewöhnlich<br />

schwer treffen.“ Es wird eine Kombination <strong>von</strong> „erheblicher Intensität“ <strong>und</strong> einer<br />

„gewissen Dauer“ verlangt, die zu einer insgesamt außergewöhnlichen Belastung<br />

führt. 195 Länger fortgesetzte schwere Misshandlungen eines Kleinkindes erfüllen<br />

den Tatbestand ohne Zweifel. 196<br />

§ 84 Abs 2 Z 2 StGB (Verabredung <strong>von</strong> drei Personen) <strong>und</strong><br />

§ 84 Abs 2 Z 4 StGB (Körperverletzung eines Beamten, Zeugen oder<br />

Sachverständigen) können in dieser Arbeit vernachlässigt werden, da sie den<br />

Bereich der Kindesmisshandlung so gut wie nicht betreffen.<br />

Um die in § 84 Abs 2 StGB normierten Verhaltensqualifikationen zu erfüllen,<br />

muss zuerst ein Verletzungsvorsatz oder ein Misshandlungsvorsatz des<br />

Gr<strong>und</strong>delikts der einfachen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB<br />

vorliegen, sowie ein zusätzlicher Vorsatz auf die Qualifikation. 197<br />

191 OGH 05.03.1976, 11 Os 5/76 (uv).<br />

192 OGH 11.02.1982, 12 Os 187/81 (uv).<br />

193 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 41 ff; vgl<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 84 Rz 16; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 84 Rz 66 f; vgl OGH 03.08.1976, 10 Os 73/76 = SSt 47/40 = EvBl<br />

1977/33 = RZ 1977/5 = RZ 1976/109.<br />

194 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 84 Rz 8.<br />

195 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 52 ff;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 84 Rz 24; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 84 Rz 76; OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259.<br />

196 OGH 18.03.1965, 9 Os 13/65 = EvBl 1965/351.<br />

197 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 66.<br />

43


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

§ 84 Abs 3 StGB kommt dann zur Anwendung, wenn der Täter mindestens<br />

drei selbständige Körperverletzungen begeht, die ohne begreiflichen Anlass <strong>und</strong><br />

mit erheblicher Gewalt zugefügt werden. Obwohl die Bestimmung eingeführt<br />

wurde um einen aggressiven Tätertyp – „Rowdy“ zu treffen, 198 ist es mE nach sehr<br />

wohl möglich, Fälle <strong>von</strong> Kindesmisshandlung unter diese qualifizierte schwere<br />

Körperverletzung zu subsumieren. 199<br />

Als primäre Voraussetzung müssen drei selbständige Körperverletzungen,<br />

die ohne weiters auch „nur“ leicht sein können, vorliegen. Ob eine Handlung ohne<br />

begreiflichen Anlass geschieht, ist an Hand eines objektiv-normativen Maßstabes<br />

zu beurteilen. In erster Line werden darunter mutwillige Handlungen verstanden,<br />

für die der Täter kein verständliches oder ernst zu nehmendes Motiv hat. Da<strong>von</strong><br />

sind hauptsächlich Täter erfasst, die aus purerer Lust andere schlagen. <strong>Die</strong> Tat<br />

darf für einen rechtstreuen Menschen nicht begreiflich sein <strong>und</strong> muss unter<br />

Anwendung erheblicher Gewalt erfolgen. Tatbestandsmäßig ist eine beachtliche<br />

physische Kraft, die der Täter vehement einsetzt. Auch hier ist ein objektiver<br />

Maßstab anzulegen 200 , wobei die körperliche Beschaffenheit des Opfers<br />

berücksichtigt werden muss. Starke Faustschläge oder Fußtritte gegen Kopf <strong>und</strong><br />

Körper des Opfers entsprechen zweifelsohne dem Kriterium der erheblichen<br />

Gewalt. 201 Subjektiv gesehen muss der Täter mindesten drei Einzeldelikte der<br />

Körperverletzung mit Vorsatz begangen haben <strong>und</strong> zusätzlich die erhebliche<br />

Gewaltanwendung in seinem Vorsatz aufgenommen haben. 202<br />

198 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 81; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 84 Rz 31.<br />

199 Vgl Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 84 Rz 87; vgl<br />

OGH 21.09.2006, 12 Os 86/06y (uv), wo ein Ehemann mit mehrmaligen Angriffen seine<br />

Ehefrau misshandelt.<br />

200 In Österreich existiert ein dreistufiger Gewaltbegriff: „normale“, erhebliche <strong>und</strong> schwere<br />

Gewalt sind möglich. OGH 17.12.1991, 11 Os 129/91 = EvBl 1992/79.<br />

201 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 84 Rz 80 ff; OGH 23.01.2007,<br />

11 Os 136/06v (uv).<br />

202 Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 84 Rz 97.<br />

44


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.2.3. § 85 StGB Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen<br />

§ 85. Hat die Tat für immer oder für lange Zeit<br />

1. den Verlust oder eine schwere Schädigung der Sprache, des<br />

Sehvermögens, des Gehörs oder der Fortpflanzungsfähigkeit,<br />

2. eine erhebliche Verstümmelung oder eine auffallende Verunstaltung<br />

oder<br />

3. ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit des<br />

Geschädigten zur Folge,<br />

so ist der Täter mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> sechs Monaten bis zu fünf Jahren<br />

zu bestrafen.<br />

Auch in § 85 StGB sind unselbständige Qualifikationen des Gr<strong>und</strong>delikts<br />

der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB normiert. Es handelt sich<br />

dabei um Erfolgsqualifikationen nach § 7 Abs 2 StGB, wonach auf der subjektiven<br />

Ebene bereits Fahrlässigkeit genügt, um den Tatbestand zu erfüllen. 203<br />

§ 85 Z 1 StGB betrifft den Verlust oder die schwere Schädigung der<br />

Sprache, des Sehvermögens, des Gehörs <strong>und</strong> der Fortpflanzung. Unter<br />

Sprache wird die Fähigkeit zu artikuliertem Reden verstanden, deren Verlust oder<br />

schwere Schädigung auch psychisch bedingt möglich ist. Mit Sehvermögen ist die<br />

Fähigkeit, Dinge mit den Augen wahrzunehmen, gemeint. Gehör bedeutet<br />

artikulierte Laute zu verstehen. <strong>Die</strong> Fortpflanzungsfähigkeit erfasst die Beischlafs-,<br />

Zeugungs-, Empfängnis- <strong>und</strong> Gebärfähigkeit. 204<br />

Mit der in § 85 Z 2 StGB normierten erheblichen Verstümmelung sind der<br />

Verlust eines wesentlichen Körperteils vor allem <strong>von</strong> Gliedmaßen, wie Arm, Bein,<br />

203 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 2 ff; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 85 Rz 1, 9, 49;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 85 Rz 1, 20.<br />

204 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 5 ff; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 85 Rz 5 ff; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 85 Rz 26 ff.<br />

45


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Hand <strong>und</strong> Fuß gemeint. Aber auch der Verlust eines inneren Organs 205 erfüllt die<br />

Erfordernisse. Eine auffallende Verunstaltung – damit ist die erheblich<br />

nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung unter zu Bedachtnahme des<br />

ästhetischen Maßstabes, gemeint – ist, wenn sie die Aufmerksamkeit dritter<br />

Personen auf sich lenkt, tatbestandsmäßig. Bespiele dafür sind<br />

Beeinträchtigungen im Kopf- <strong>und</strong> Halsbereich, wie zB der Verlust eines Auges<br />

oder Narben durch Schnittw<strong>und</strong>en, Verbrennungen oder Verätzungen. Es sind<br />

aber auch Entstellungen <strong>von</strong> der Norm erfasst, die nur dann beim Tragen <strong>von</strong><br />

Badebekleidung sichtbar sind. 206<br />

Ein schweres Leiden nach § 85 Z 3 StGB stellt eine beeinträchtigende<br />

Ges<strong>und</strong>heitsstörung <strong>von</strong> langer Dauer für die gesamte Lebensführung des Opfers<br />

dar. Damit sind zB eine chronische Nierenerkrankung, ein schwerer<br />

Leberschaden, das Vollbild AIDS, eine halbseitige Lähmung 207 , eine<br />

Hirnverletzung mit epileptischen Folgen 208 <strong>und</strong> bei entsprechender Erheblichkeit<br />

auch psychische Leiden 209 gemeint. Siechtum liegt bei einer unbehebbaren <strong>und</strong><br />

mit Hinfälligkeit verb<strong>und</strong>enen Krankheit, wie dem Verlust der Fähigkeit<br />

Geschriebenes <strong>und</strong> Gesprochenes begrifflich aufzunehmen oder dauernder<br />

Pflegebedürftigkeit, vor. 210 Zur Berufsunfähigkeit siehe Kapitel 3.2.2.<br />

All diesen Qualifikationen ist gemeinsam, dass sie „für immer“ oder „für<br />

lange Zeit“ vorliegen müssen. „Für immer“ bedeutet, dass das Opfer die Folgen<br />

sein ganzes Leben lang tragen muss. „Für lange Zeit“ bemisst einen wesentlichen<br />

Teil der weiteren Lebensdauer des Opfers. <strong>Die</strong> Dauer muss sich zumindest<br />

deutlich <strong>von</strong> einer 24-tägigen Dauer der Ges<strong>und</strong>heitsschädigung oder<br />

Berufsunfähigkeit abheben. Eine Berufsunfähigkeit <strong>von</strong> voraussichtlich drei Jahren<br />

205 Zum Verlust der Milz vgl OGH 23.09.1981, 11 Os 102/81 = EvBl 1982/54 = RZ 1982/24 =<br />

ÖJZ-LSK 1982/1.<br />

206 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 11 ff; OGH 12.11.1969,<br />

12 Os 247/69 = EvBl 1970/120 = SSt 40/53; 03.04.1979, 9 Os 192/77 = SSt 50/22 = EvBl<br />

1979/178 = RZ 1979/53.<br />

207 OGH 30.11.1978, 13 Os 126/78 (uv).<br />

208 OGH 17.06.1980, 10 Os 77/80 (uv).<br />

209 OGH 31.07.1986, 13 Os 98/86 = SSt 57/56.<br />

210 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 14 ff; OGH 22.11.1972,<br />

11 Os 160/72 = SSt 43/47 = EvBl 1973/109 = RZ 1973/55; 31.07.1986, 13 Os 98/86 = SSt<br />

57/56.<br />

46


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

genügt bei einem 40-jährigen Mann nicht, um den Tatbestand des § 85 Z 3 StGB<br />

zu erfüllen. 211<br />

Wiederherstellende medizinische Behandlungen, die den Tathandlungserfolg<br />

nach relativ kurzer Zeit beseitigen, würden einer Erfüllung der Qualifikationen<br />

entgegenstehen. Deswegen wird zwischen Heilbehandlungen ieS, die zB den<br />

zunächst eingetretenen Verlust des Sehvermögens oder der<br />

Fortpflanzungsfähigkeit im Zuge der Behandlung wieder beseitigen <strong>und</strong><br />

medizinischen Handlungen nach Abschluss des eigentlichen Heilungsprozesses,<br />

wie zB kosmetische Operationen differenziert. Erstere verhindern eine Erfüllung<br />

des Tatbestands, im zuletzt genannten Fall vertritt die ältere Judikatur 212 die<br />

Meinung, dass diese kosmetischen Eingriffe dem Täter nicht zu Gute kommen<br />

sollen. AA ist aber die hL. Ist der Eingriff hinsichtlich der Schmerzen <strong>und</strong> Kosten<br />

zumutbar, ist es nach heutigem Recht nicht mehr argumentierbar, dem Täter die<br />

Folgen zuzurechnen, wenn sie durch einen medizinischen Eingriff nach relativ<br />

kurzer Zeit aufgehoben sind. 213<br />

211 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 17 ff;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 85 Rz 2; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 85 Rz 23 f; OGH 04.12.1978, 12 Os 173/78 = EvBl 1979/147 = RZ<br />

1979/39.<br />

212 OGH 17.08.1972, 13 Os 63/72 = SSt 43/34 = EvBl 1973/123 = RZ 1973/131; 28.11.1978, 11<br />

Os 161/78 = EvBl 1979/118.<br />

213 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 85 Rz 20 ff; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 85 Rz 40; Bertel/Schwaighofer,<br />

Strafrecht BT I 10 § 85 Rz 4; Leukauf/Steininger, StGB 3 § 85 Rz 4.<br />

47


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.2.4. § 86 StGB Körperverletzung mit tödlichem Ausgang<br />

§ 86. Hat die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge, so ist der<br />

Täter mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.<br />

Auch hierbei handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation iSd § 7 Abs 2 StGB<br />

zum Gr<strong>und</strong>delikt des § 83 Abs 1 oder § 83 Abs 2 StGB, wobei bereits<br />

Fahrlässigkeit genügt, um den Tatbestand zu verwirklichen. Es ist somit möglich<br />

eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang mit bloßem Misshandlungsvorsatz<br />

zu begehen. 214<br />

Wie bei allen Erfolgsqualifikationen müssen zusätzlich zur Erfüllung des<br />

Gr<strong>und</strong>deliktes der Kausalzusammenhang, der Adäquanzzusammenhang <strong>und</strong> der<br />

Risikozusammenhang erfüllt sein. Eine ca zwei Minuten dauernde Kompression<br />

des mit den Händen umfassten Kopfs eines drei Monate alten Kindes, löst eine<br />

Strafbarkeit nach § 86 aus. 215<br />

Dasselbe gilt, wenn der Tod des Opfers nicht unmittelbar, sondern durch die<br />

Folgen zB durch Ersticken am eingeatmeten Blut nach einer Trümmerfraktur des<br />

Nasenbeins 216 oder durch einen reflektorischen Herzstillstand infolge des Drucks<br />

eines Hirnnervs beim Würgen, eintritt. 217<br />

Der Täter begeht die Qualifikation fahrlässig. Sobald ein – wenn auch nur<br />

bedingter – Vorsatz vorliegt, kommen die Tötungsdelikte nach §§ 75 ff StGB zur<br />

Anwendung, die § 86 verdrängen. 218<br />

214 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 86 Rz 1 f; Foregger/Fabrizy,<br />

StGB 9 § 86 Rz 1.<br />

215 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 86 Rz 3 f; Messner in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 86 Rz 21 ff; OGH 07.07.1977,<br />

12 Os 112/76 = SSt 48/55 = EvBl 1977/259.<br />

216 OGH 17.01.1979, 10 Os 181/78 = SSt 50/7 = JBl 1979, 440.<br />

217 OGH 28.04.1987, 10 Os 11/87 (uv).<br />

218 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 86 Rz 7 f, 12, 15;<br />

Leukauf/Steininger, StGB 3 § 86 Rz 6, 9.<br />

48


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.2.5. § 87 StGB Absichtliche schwere Körperverletzung<br />

§ 87. (1) Wer einem anderen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs.<br />

1) absichtlich zufügt, ist mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu fünf Jahren<br />

zu bestrafen.<br />

(2) Zieht die Tat eine schwere Dauerfolge (§ 85) nach sich, so ist der<br />

Täter mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu zehn Jahren, hat die Tat den<br />

Tod des Geschädigten zur Folge, mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> fünf bis zu zehn<br />

Jahren zu bestrafen.<br />

Bei § 87 StGB handelt es sich um keine unselbständige, sondern um eine<br />

selbständige Qualifikation der Körperverletzung <strong>und</strong> somit um ein eigenständiges<br />

Delikt. 219<br />

Damit der objektive Tatbestand des § 87 Abs 1 StGB erfüllt ist, muss es sich<br />

um eine schwere Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB handeln. Der Täter muss<br />

dem Opfer entweder eine länger als 24 Tage dauernde Ges<strong>und</strong>heitsschädigung,<br />

eine Berufsunfähigkeit oder eine an sich schwere Verletzung oder<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung zugefügt haben. Das Wesentliche der absichtlichen<br />

schweren Körperverletzung ist das subjektive Element. Der Täter muss absichtlich<br />

handeln. Absichtlichkeit (dolus specialis) nach § 5 Abs 2 StGB liegt vor, wenn es<br />

dem Täter gerade darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen. 220<br />

Nach der Judikatur 221 setzt sich der Täter die Verwirklichung des<br />

tatbildmäßigen Unrechts direkt zum Ziel. Ob der Täter die geforderte Absicht hat,<br />

stellt eine Beweisfrage dar. Auch wenn an Hand der Tatbegehung gewisse<br />

Indizien ableitbar sind, kommt es doch auf die innere Seite des Täters an. 222<br />

219 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 87 Rz 2; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 87 Rz 1; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 87 Rz 6; Foregger/Fabrizy, StGB 9 § 87 Rz 1.<br />

220 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 87 Rz 3; Leukauf/Steininger,<br />

StGB 3 § 87 Rz 4; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB<br />

§ 87 Rz 22; Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 15 Rz 13.<br />

221 OGH 19.02.1976, 13 Os 180/75 = EvBl 1976/242 = SSt 47/11.<br />

222 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 87 Rz 5; Messner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 87 Rz 24.<br />

49


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Beispiele, die sehr auf eine Absichtlichkeit hindeuten, sind Stiche in die Brust<br />

mit einem messerähnlichen Werkzeug 223 , Schüsse in den Bauch 224 , das Losgehen<br />

mit einer Bierflasche gegen den Hals 225 , eine Vielzahl <strong>von</strong> Schnitten mit einem<br />

Fixiermesser <strong>und</strong> einem Rasiermesser in Gesicht <strong>und</strong> Hals 226 , das Überschütten<br />

mit siedend heißem Speiseöl 227 usw.<br />

§ 87 Abs 2 StGB enthält zwei Erfolgsqualifikationen, Fall 1 kommt zur<br />

Anwendung, wenn die absichtlich schwere Körperverletzung schwere Dauerfolgen<br />

gem § 85 StGB nach sich zieht, wobei bereits Fahrlässigkeit genügt <strong>und</strong> Fall 2<br />

beim Tod des Verletzten. Sobald jedoch Tötungsvorsatz vorliegt, greifen die<br />

Tötungsdelikte nach §§ 75 ff StGB <strong>und</strong> verdrängen § 87 StGB. 228<br />

Gegenüber § 83 StGB mit all seinen Qualifikationen geht § 87 StGB als lex<br />

specialis jedoch vor. 229<br />

3.2.6. § 88 StGB Fahrlässige Körperverletzung<br />

Fälle fahrlässiger Körperverletzung sind im Bereich der Kindesmisshandlung eher<br />

selten, da schon ein ernstlich für möglich halten <strong>und</strong> sich damit abfinden (dolus<br />

eventualis nach § 5 StGB) für eine Vorsatztat ausreicht. Beispiele im<br />

Zusammenhang mit der Erziehung eines Kindes sind das Erkälten eines Kindes<br />

durch „Strafstehen“ oder Magenbeschwerden, die das Kind vom Aufessen seiner<br />

Mahlzeit bekommen hat. <strong>Die</strong>ses Vorgehen ist zwar rechtswidrig, führt jedoch in<br />

den seltensten Fällen zu einer Strafbarkeit, da eine schwere<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung vorliegen muss oder wenn der Täter als Angehöriger nach<br />

§ 88 Abs 2 Z 1 StGB begünstigt wird, die Ges<strong>und</strong>heitsschädigung mindestens drei<br />

223 OGH 19.02.1976, 13 Os 180/75 = EvBl 1976/242 = SSt 47/11.<br />

224 OGH 21.09.2006, 12 Os 39/06m (uv).<br />

225 OGH 21.03.2007, 12 Os 17/07b (uv).<br />

226 OGH 21.06.1978, 10 Os 89/78 = SSt 49/37 = EvBl 1979/36.<br />

227 OGH 17.02.2005, 15 Os 152/04 (uv).<br />

228 Burgstaller/Fabrizy in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 87 Rz 9 ff.<br />

229 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 87 Rz 10.<br />

50


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Tage andauern muss. Auch die objektive Zurechenbarkeit, insbesondere der<br />

Adäquanz- <strong>und</strong> Risikozusammenhang, muss gegeben sein. 230<br />

3.3. § 75 Mord<br />

§ 75. Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> zehn bis zu<br />

zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.<br />

Jeder, der einen anderen Menschen tötet, macht sich nach § 75 StGB<br />

strafbar. <strong>Die</strong> Handlung kann in einem ursächlichen Tun oder auch in einem<br />

ursächlichen Unterlassen bestehen. So begehen Eltern, die ihr acht Monate altes<br />

Kind mit Vorsatz verhungern lassen, einen Mord. 231 Im Jahr 2008 wurden<br />

österreichweit drei unmündig Minderjährige <strong>und</strong> drei mündig Minderjährige Opfer<br />

eines Mordes nach § 75 StGB. 232<br />

Für die Erfüllung des Tatbestands reicht bedingter Vorsatz nach<br />

§ 5 Abs 1 2. Fall StGB. 233 <strong>Die</strong> Tat muss im Kausalzusammenhang zum Tod des<br />

Opfers stehen. Dh ob der Tod sofort oder erst mittelbar <strong>und</strong> später eintritt ist<br />

irrelevant. Dabei muss aber auch der Risikozusammenhang gegeben sein <strong>und</strong><br />

sich der Tod aus der besondern Gefährlichkeit der Tathandlung ergeben. 234<br />

Gegenüber § 75 StGB stellt § 92 StGB nach Kienapfel/Schroll 235 ein<br />

subsidiäres Durchgangsdelikt dar. AA ist sind jedoch Hauptmann/Jerabek 236 , die<br />

echte Idealkonkurrenz annehmen, da der eigenständige Unwert des Quälens oder<br />

Vernachlässigen nicht außer Acht gelassen werden darf. 237<br />

230 Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 10 f.<br />

231 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 75 Rz 3; Moos in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum<br />

StGB 2 § 75 Rz 11 f; OGH 08.11.1989, 14 Os 105/89 = EvBl 1990/71 = JBl 1990, 262 = SSt<br />

60/71.<br />

232 <strong>Die</strong> Daten ergeben sich aus der Opferstatistik des BMI.<br />

233 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 75 Rz 4 ff; Moos in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum<br />

StGB 2 § 75 Rz 13 f.<br />

234 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 75 Rz 1 f.<br />

235 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I 5 § 92 Rz 40.<br />

236 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 26.<br />

237 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 92 Rz 19.<br />

51


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Auf die Delikte § 76 StGB des Totschlages, § 79 StGB der Tötung eines<br />

Kindes bei der Geburt <strong>und</strong> §§ 80, 81 StGB der Fahrlässigen Tötung (unter<br />

besonders gefährlichen Umständen) wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher<br />

eingegangen, da die Erfüllung dieser Delikte idR nicht durch eine <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

<strong>von</strong> Dritten verhindert werden kann.<br />

3.4. § 99 StGB Freiheitsentziehung<br />

§ 99. (1) Wer einen anderen widerrechtlich gefangen hält oder ihm<br />

auf andere Weise die persönliche Freiheit entzieht, ist mit<br />

Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.<br />

(2) Wer die Freiheitsentziehung länger als einen Monat aufrecht erhält<br />

oder sie auf solche Weise, daß sie dem Festgehaltenen besondere<br />

Qualen bereitet, oder unter solchen Umständen begeht, daß sie für ihn<br />

mit besonders schweren Nachteilen verb<strong>und</strong>en ist, ist mit<br />

Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.<br />

Der Tatbestand der Freiheitsentziehung ist verwirklicht, wenn das Opfer<br />

gefangen gehalten wird oder ihm die Freiheit auf andere Weise entzogen wird.<br />

Dabei wird aber nicht auf jede unwesentliche Beschränkung der freien Bewegung<br />

abgestellt, sondern dem Opfer muss die Möglichkeit genommen werden – wenn<br />

auch nur vorübergehend – einen Raum oder einen anderen Ort nach seinem freien<br />

Willen zu verlassen. 238 Im letzten Jahr wurden 21 unmündig Minderjährige <strong>und</strong> 47<br />

mündige Minderjährige Opfer einer Freiheitsentziehung nach § 99 StGB. 239<br />

Mit freiem Willen ist die natürliche Fähigkeit eine willkürliche Ortsveränderung<br />

vornehmen zu können, gemeint – daraus ergibt sich, dass ein Säugling nicht<br />

Deliktsobjekt sein kann. 240<br />

238 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 3 f.<br />

239 <strong>Die</strong> Daten ergeben sich aus der Opferstatistik des BMI.<br />

240 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 2; Schwaighofer in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2<br />

§ 99 Rz 6; Vgl auch OGH 11.09.1984, 9 Os 121/84 (uv).<br />

52


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> Freiheitsentziehung muss die Elemente einer gewissen Dauer <strong>und</strong> einer<br />

gewissen Schwere bzw Ernstlichkeit beinhalten. Unter Gefangenhalten wird das<br />

Verhindern des Opfers einen Raum – das kann auch ein Fahrzeug sein – zu<br />

verlassen, verstanden. Tatbildlich für das Entziehen der persönlichen Freiheit auf<br />

andere Weise ist zB das Fesseln des Opfers, dessen Betäuben, das Anbinden des<br />

Opfers an einen Baum usw. 241 Wodurch die Freiheitsentziehung verursacht wird ist<br />

irrelevant, sie kann durch Einsperren, Gewaltanwendung, Drohungen oder<br />

Täuschungen erfüllt sein. 242<br />

Als Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> kommt vor allem das elterliche Erziehungsrecht<br />

nach den §§ 146, 146 a <strong>und</strong> 146 b ABGB in Betracht. Daraus ergibt sich allerdings<br />

nur, dass Eltern ihren Kindern begrenzte Freiheitsbeschränkungen auferlegen<br />

dürfen. 243 Sie dürfen zum Schutzzweck (zB das Verhindern des Verlassens des<br />

Hauses in der Nacht) <strong>und</strong> als Sanktion eingesetzt (zB Ausgehverbot) werden.<br />

<strong>Die</strong>se Maßnahmen dürfen jedoch keine schädigenden psychischen oder<br />

physischen Wirkungen haben <strong>und</strong> werden dann rechtswidrig, wenn sie<br />

unbegründet, unangemessen <strong>und</strong> ohne Beachtung des Kindeswohls erfolgen.<br />

Auch das Mittel zur Durchsetzung muss verhältnismäßig <strong>und</strong> im Einklang mit den<br />

guten Sitten stehen. Somit sind Fesseln mit Stricken oder Handschellen <strong>und</strong><br />

Ohrfeigen nicht rechtmäßig, wohl aber das Absperren einer Türe, solange es<br />

verhältnismäßig ist. 244<br />

§ 99 Abs 2 StGB beinhaltet eine Qualifikation, die eine strengere Strafe<br />

vorsieht, wenn die Freiheitsentziehung entweder länger als ein Monat gedauert<br />

hat oder mit besonderen Qualen verb<strong>und</strong>en war. Damit sind längerwährende,<br />

sehr erhebliche psychische oder physische Beeinträchtigungen des Opfers<br />

gemeint. Wird ein 15-jähriges Opfer auf solche Weise mehrere St<strong>und</strong>en mit<br />

Handschellen an einen Tisch gefesselt, dass damit erhebliche Schmerzen in der<br />

Hand <strong>und</strong> in der Schulter verb<strong>und</strong>en sind 245 oder wird das Opfer bei<br />

241 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 4, 5, 7.<br />

242 Schmoller in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 99 Rz 24 ff.<br />

243 Schwaighofer in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 99 Rz 35.<br />

244 Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 16.<br />

245 OGH 05.09.1984, 11 Os 108/84 = SSt 55/58.<br />

53


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Erstickungsgefahr in eine Truhe eingeschlossen, liegen die Voraussetzungen für<br />

eine strengere Strafdrohung vor. 246<br />

Wird die Freiheitsentziehung unter Umständen begangen, die für das Opfer<br />

besonders schwere Nachteile mit sich ziehen, wie zB schweres Leiden,<br />

Siechtum oder Tod ist die Qualifikation iSd § 99 Abs 2 StGB erfüllt. 247<br />

Auf der subjektiven Seite verlangt das Delikt Vorsatz – wobei bedingter<br />

Vorsatz genügt. 248<br />

Ist die Freiheitsentziehung nur Mittel zum Zweck, so tritt sie nach älterer<br />

Rechtssprechung gr<strong>und</strong>sätzlich als subsidiär zB gegenüber Körperverletzungen,<br />

zurück. 249 Eine Ausnahme besteht aber zB, wenn das andere Delikt mit einer<br />

geringeren Strafe bedroht ist. Da § 99 StGB aber eine relativ hohe<br />

Gr<strong>und</strong>strafdrohung aufweist, wird mittlerweile <strong>von</strong> einer Konsumtion bei einer<br />

Freiheitsentziehung als typische Begleittat ausgegangen. <strong>Die</strong> Freiheitsentziehung<br />

kann aber auch mit einer schweren Körperverletzung in echter (Real-)Konkurrenz<br />

stehen. 250 Auch zwischen § 99 StGB <strong>und</strong> § 92 StGB kann echte (Ideal-)<br />

Konkurrenz bestehen. 251<br />

246 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 19 ff; OGH 16.09.1986, 11Os89/86 = SSt 57/66 = JBl<br />

1987, 259.<br />

247 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 22 f.<br />

248 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 17.<br />

249 Vgl OGH 01.03.1967, 12 Os 202/66 = SSt 38/19 = EvBl 1968/167 = RZ 1967/101.<br />

250 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 99 Rz 26; Schwaighofer in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum<br />

StGB 2 § 99 Rz 44 ff; OGH 19.03.1995, 11 Os 28/85 = SSt 56/20.<br />

251 OGH 16.9.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259; 05.09.1984, 11 Os 108/84 = SSt<br />

55/58; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 23;<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 28.<br />

54


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.5. §§ 105, 106 StGB (Schwere) Nötigung<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich soll sich jede Person nach ihren eigenen Vorstellungen verhalten<br />

können. Von der Nötigung geschütztes Rechtsgut ist daher die persönliche<br />

Freiheit des Menschen. Dem willkürlichen Verhalten sind in der Gesellschaft<br />

jedoch Grenzen gesetzt – vor allem dem <strong>von</strong> Kindern. Gerade in der Erziehung<br />

sind Kinder vielfach nicht bereit ein bestimmtes gefordertes Verhalten freiwillig zu<br />

tätigen <strong>und</strong> es ist nötig, dass ihre Erziehungsberechtigten ihnen ein Verhalten<br />

aufzwingen <strong>und</strong> die Willensfreiheit in vernünftigen Grenzen einschränken. Dabei ist<br />

nur jenes Verhalten strafbar, das mit Gewalt oder gefährlicher Drohung gesetzt<br />

wird. Verstößt es nicht gegen die guten Sitten, ist es gem § 105 Abs 2 StGB nicht<br />

rechtswidrig. 252<br />

Nach § 105 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wer<br />

einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung,<br />

Duldung oder Unterlassung nötigt.<br />

Unter dem Begriff Gewalt wird eine erhebliche Einwirkung auf den Körper<br />

bzw der Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft verstanden. Somit sind<br />

Misshandeln, Stoßen, Schlagen, Ohrfeigen, das Wegzerren des Kindes vom<br />

Fernseher <strong>und</strong> an den Schreibtisch pressen um die Hausaufgaben zu erledigen<br />

sowie uU bloßes Festhalten vom Gewaltbegriff iSv § 105 StGB umfasst. Es muss<br />

jedoch eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten werden, die an Hand der<br />

konkreten Umstände, der Intensität <strong>und</strong> dem persönlichen Verhältnis des Opfers<br />

bemessen wird. 253<br />

<strong>Die</strong> gefährliche Drohung ist in § 74 Abs 1 Z 5 StGB mit „einer Drohung, die<br />

mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen, die geeignet ist,<br />

dem Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse <strong>und</strong> seine persönliche<br />

Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete<br />

Besorgnisse einzuflößen, ohne Unterschied, ob das angedrohte Übel gegen den<br />

252 Maleczky, ÖJZ 1993, 627.<br />

253 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 2 mwN; Maleczky, ÖJZ 1993, 627 f.<br />

55


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Bedrohten selbst, gegen dessen Angehörige oder gegen andere unter seinen<br />

Schutz gestellte oder ihm persönlich nahestehende Personen gerichtet ist“,<br />

definiert. <strong>Die</strong> Drohung einer Verletzung am Körper ist zB wenn der Täter nach dem<br />

Verabreichen einer Ohrfeige dem Opfer sagt „Ich mach dich fix <strong>und</strong> fertig“. <strong>Die</strong><br />

Androhung <strong>von</strong> Misshandlungen ist dann tatbestandsmäßig, wenn sie einen<br />

Verletzungserfolg iSv § 83 StGB befürchten lässt. Droht der Täter das Opfer so<br />

lange gefangen zu halten, bis es seine Forderungen erfüllt, liegt die Drohung der<br />

Verletzung der Freiheit vor. 254<br />

<strong>Die</strong> gefährliche Drohung muss geeignet sein beim Opfer begründete<br />

Besorgnis zu erregen, wobei alle konkreten Umstände des Einzelfalls – wie Alter,<br />

Milieu, Sprachgebrauch, frühere Vorfälle – zu berücksichtigen sind.<br />

Ausgehverbote, Taschengeldentzug <strong>und</strong> Fernsehverbote lösen diese Besorgnis<br />

allerdings nicht aus. 255 <strong>Die</strong> Drohung kann dabei ausdrücklich oder konkludent<br />

erfolgen. Es ist auch möglich, dass der Täter dem Opfer ein Übel für eine andere,<br />

ihm nahestehende Person (Sympathieperson) androht. Beispiele dafür sind, wenn<br />

der Vater dem Sohn droht, die Mutter zu würgen oder der Vater der Mutter droht,<br />

das gemeinsame Kind zu töten. 256<br />

<strong>Die</strong> Nötigung ist vollendet, wenn die vom Täter gewünschte Handlung,<br />

Duldung oder Unterlassung zumindest begonnen wird. Bekommt ein Kind oder ein<br />

Erwachsener völlig gr<strong>und</strong>los eine Ohrfeige – ohne dass der Täter damit ein<br />

bestimmtes Verhalten herbeiführen wollte – ist der Tatbestand der Nötigung nach<br />

§ 105 StGB nicht erfüllt. In Frage kommt dann ein anderes Delikt wie zB<br />

§ 107 StGB (Gefährliche Drohung). 257<br />

Gem § 105 Abs 2 StGB ist eine Nötigung nur dann strafbar, wenn entweder<br />

das Mittel oder der Nötigungszweck für sich allein den guten Sitten widerspricht.<br />

Eine Erziehungsmaßnahme ist sittenwidrig, wenn sie nicht dem Wohl des Kindes<br />

254 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 9.<br />

255 Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 18.<br />

256 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 10 ff; vgl OGH 28.06.1977, 11 Os 80/77 = SSt<br />

48/52 = EvBl 1977/272.<br />

257 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 15; Maleczky, ÖJZ 1993, 628.<br />

56


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

dient. Das Strafrecht soll dabei jedoch nur als ultima ratio greifen <strong>und</strong> nicht gleich<br />

bei jedem rechtswidrigen Verhalten zur Anwendung kommen. Dh nicht jedes<br />

zivilrechtlich rechtswidrige Handeln (zB eine Erziehung die nicht im Einklang mit<br />

§ 146 ff AGBG steht) ist als sittenwidrig iSv § 105 StGB anzusehen, vielmehr ist<br />

die Sozial(in)adäquanz der Gewaltausübung für das Strafrecht gesondert<br />

festzustellen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es möglich ist, dass<br />

ein Verhalten rechtswidrig ist, aber keinen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt <strong>und</strong><br />

der Täter somit nicht strafbar ist. Eine „g’s<strong>und</strong>e Watschn“ ist somit<br />

kindschaftsrechtlich unzulässig, ob sie aber auch strafrechtlich geahndet wird,<br />

kommt auf den Einzelfall, die konkreten Umstände <strong>und</strong> auf strafrechtliche Kriterien<br />

an. Nicht unter § 105 StGB fällt zB die Ohrfeige, die ein normalerweise gewaltlos<br />

erziehenden Vater einem 13-jährigen erteilt, um ihn zur Herausgabe <strong>von</strong><br />

verstecktem Haschisch zu bewegen. 258<br />

Um das Delikt der Nötigung zu erfüllen ist auf der subjektiven Tatseite<br />

zumindest bedingter Vorsatz nötig. 259<br />

Nötigungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit spezielleren Delikten<br />

stehen, werden vom spezielleren Delikt konsumiert. Umgekehrt werden leichte<br />

Verletzungen, die mit der Ausübung <strong>von</strong> Gewalt wodurch die Nötigung begangen<br />

wird, verb<strong>und</strong>en sind, <strong>von</strong> § 105 StGB konsumiert. 260<br />

Eine schwere Nötigung iZm einer Kindesmisshandlung begeht nach<br />

§ 106 StGB, unter anderem „wer mit dem Tod, mit einer erheblichen<br />

Verstümmelung oder einer auffallenden Verunstaltung, mit einer Entführung…“<br />

droht oder „die genötigte oder eine andere Person, gegen die sich die Gewalt oder<br />

gefährliche Drohung richtet, durch diese Mittel längere Zeit hindurch in einen<br />

qualvollen Zustand versetzt“ oder sonstige besonders „…wichtige Interessen der<br />

genötigten oder einer dritten Person verletzt.“ Der Strafrahmen sieht dabei eine<br />

Freiheitsstrafe <strong>von</strong> sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. In § 106 Abs 2 StGB ist<br />

eine Erfolgsqualifikation enthalten, die den Strafrahmen bei einem (versuchten)<br />

258 Maleczky, ÖJZ 1993, 629 ff; Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 19 f.<br />

259 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 23 f.<br />

260 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 105 Rz 30 ff.<br />

57


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Selbstmord des Opfers nach der Nötigung <strong>von</strong> „einem bis zu zehn Jahren“<br />

Freiheitsstrafe erhöht. 261<br />

3.6. § 107 StGB Gefährliche Drohung<br />

<strong>Die</strong> gefährliche Drohung nach § 107 StGB unterscheidet sich <strong>von</strong> der Nötigung<br />

dadurch, dass der Täter zwar seinem Opfer droht, er damit aber kein Verhalten<br />

erzwingen will, sondern ihn bloß in Frucht <strong>und</strong> Unruhe versetzen will. <strong>Die</strong><br />

Tathandlung besteht in der gefährlichen Drohung. Vgl Kapitel 3.5. <strong>und</strong> § 74 Abs 1<br />

Z 5 StGB. Bei der Prüfung des Delikts ist besonders auf die Besorgniseignung zu<br />

achten, die nicht überschätzt werden darf. Ernst zu nehmen ist die Drohung<br />

jedenfalls, wenn der Täter, der zwei junge Mädchen bereits einmal sexuell<br />

missbraucht hat, den beiden droht „Euch passiert noch was!“. 262<br />

Das Delikt ist vollendet, wenn die gefährliche Drohung dem Opfer<br />

zugekommen ist <strong>und</strong> <strong>von</strong> ihm zur Kenntnis genommen wurde. Auf der subjektiven<br />

Seite muss der Täter mit der Absicht handeln, sein Opfer in Frucht <strong>und</strong> Unruhe zu<br />

versetzen. Er muss den Bedrohten in einen peinvollen <strong>und</strong> nachhaltigen<br />

Angstzustand versetzen wollen. Im Gegensatz dazu reicht bei der Nötigung das<br />

Erregen <strong>von</strong> Besorgnis aus, um das Tatbild zu verwirklichen. 263<br />

Schlussendlich ist auch die gefährliche Drohung in § 107 Abs 2 <strong>und</strong> 3 StGB<br />

bei schwerwiegenden Drohungen <strong>und</strong> dem Versetzen des Opfers in einen<br />

qualvollen Zustand, qualifiziert.<br />

261 Vgl Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 106 Rz 1 ff<br />

262 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 107 Rz 1 ff.<br />

263 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT I 10 § 107 Rz 6.<br />

58


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.7. § 107 b StGB Fortgesetzte Gewaltausübung<br />

Mit dem 2. GeSchG wurde mit 1. Juli 2009 das Delikt der Fortgesetzen<br />

Gewaltausübung eingeführt.<br />

§ 107b. (1) Wer gegen eine andere Person eine längere Zeit hindurch<br />

fortgesetzt Gewalt ausübt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu<br />

bestrafen.<br />

(2) Gewalt im Sinne <strong>von</strong> Abs. 1 übt aus, wer eine andere Person am<br />

Körper misshandelt oder vorsätzlich mit Strafe bedrohte Handlungen<br />

gegen Leib <strong>und</strong> Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der<br />

strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 <strong>und</strong> 110 begeht.<br />

(3) Mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu<br />

bestrafen, wer<br />

1. die Tat gegen eine unmündige oder wegen Gebrechlichkeit,<br />

Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Person begeht<br />

oder<br />

2. durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens der<br />

verletzten Person herstellt oder eine erhebliche Einschränkung der<br />

autonomen Lebensführung der verletzten Person bewirkt.<br />

(4) Wer eine Tat nach Abs. 3 auf qualvolle Weise begeht oder im<br />

Rahmen einer fortgesetzten Gewaltausübung nach Abs. 3 wiederholt<br />

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung <strong>und</strong> Integrität begeht,<br />

ist mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. Hat<br />

eine Tat nach Abs. 3 eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen<br />

(§ 85) zur Folge oder wird die Gewalt nach Abs. 3 länger als ein Jahr<br />

ausgeübt, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe <strong>von</strong> fünf bis zu fünfzehn<br />

Jahren, hat sie aber den Tod der verletzten Person zur Folge, mit<br />

Freiheitsstrafe <strong>von</strong> zehn bis zu zwanzig Jahren zu bestrafen.<br />

(5) Der Täter ist nicht nach den vorstehenden Bestimmungen zu<br />

bestrafen, wenn die Tat nach einer anderen Bestimmung mit strengerer<br />

Strafe bedroht ist.<br />

59


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> unterstrichen hervorgehobenen Stellen sind im Gegensatz zum<br />

ursprünglichen Entwurf der Norm neu formuliert. Das zuerst vorgesehene Delikt<br />

der „Beharrlichen Gewaltausübung“ wurde in den Stellungnahmen abgelehnt.<br />

Ausgangspunkt für die Einführung dieses neuen Tatbestandes ins StGB war<br />

die Überlegung, dass die bis dahin geltende Rechtslage für länger andauernde<br />

Gewaltanwendungen nicht ausreichend war. <strong>Die</strong> bestehenden Delikte stellten nur<br />

Momentanaufnahmen dar, ohne auf die Situation des Opfers <strong>und</strong> die damit erlebte<br />

Unrechtserfahrung in ihrer Gesamtheit einzugehen. Durch den neuen<br />

§ 107 b StGB können über längere Zeit hindurch fortgesetzte Gewaltakte einer<br />

neuen strafrechtlichen Bewertung zugeführt werden, <strong>und</strong> das ohne Unterschied ob<br />

die Gewalt mit oder ohne familiären Kontext ausgeübt wurde. 264<br />

Geschütztes Rechtsgut ist die Freiheit des Einzelnen, ein gewaltfreies Leben<br />

führen zu können. 265<br />

Es handelt sich bei § 107 b StGB um ein Dauerdelikt 266 , das eine „längere<br />

Zeit hindurch fortgesetzte Gewaltausübung“ erfordert. Dabei ist auf die konkrete<br />

Tathandlung <strong>und</strong> die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen <strong>und</strong> eine<br />

wiederholte Tatbegehung erforderlich. Auf das Merkmal der Beharrlichkeit wurde –<br />

nach Widerspruch in den Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf – verzichtet. Um<br />

das Delikt zu verwirklichen genügt bedingter Vorsatz, der sich auf die notwendige<br />

Dauer, Zahl <strong>und</strong> Regelmäßigkeit der Handlungen beziehen muss. 267<br />

In § 107 b Abs 3 <strong>und</strong> 4 StGB ist die Tat unter bestimmten Voraussetzungen<br />

qualifiziert. In § 107 b Abs 5 StGB ist eine Subsidiaritätsklausel enthalten, die<br />

festsetzt, dass § 107 b StGB nur dann zur Anwendung kommt, wenn die<br />

Strafdrohung nicht in einem anderen Delikt strenger ist.<br />

264 Erläuterungen zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 6.<br />

265 Erläuterungen zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 20; kritisch dazu<br />

Kriminalitätsopferhilfe Weisser Ring 44/SN-193/ME 23. GP 5.<br />

266 Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 9 Rz 28.<br />

267 Roth/Egger, Zweites Gewaltschutzgesetz, EF-Z 2009/93, 125 (127).<br />

60


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Während die einen § 107 b StGB begrüßen 268 <strong>und</strong> andere ihn schlicht für<br />

überflüssig 269 empfinden, gibt es auch rege Kritik seitens der Stellungnahmen. Vor<br />

allem deswegen, weil die verwendeten Begriffe „eine längere Zeit hindurch“,<br />

„fortgesetzt“, „umfassende Kontrolle“, „erhebliche Einschränkung“ <strong>und</strong> „autonome<br />

Lebensführung“ nicht genauer definiert sind <strong>und</strong> die gesamte Bestimmung sehr<br />

viel Platz für Spielraum lässt, was vor allem im Strafrecht als ulitma ratio mit<br />

Vorsicht zu genießen ist. Auch die Einordnung der Bestimmung in den Bereich der<br />

Freiheitsdelikte ist unglücklich, da dadurch eine neue, erweiterte Auslegung des<br />

Begriffs der „Gewalt“ verwendet wird wodurch das gesamte StGB uneinheitlich<br />

erscheint. 270<br />

ME stellt sich insofern die Frage nach dem Zweck der neuen Bestimmung, da<br />

der maximale Strafrahmen, einer Freiheitsstrafe <strong>von</strong> „zehn bis zu zwanzig Jahren“<br />

gerade in besonders schweren Fällen wie zB „Amstetten“ 271 oder „Kampusch“ 272<br />

nach wie vor für nicht ausreichend erscheint. 273<br />

268 Amt der Wiener LReg 33/SN-193/ME 23. GP 4; BMSK 31/SN-193/ME 23. GP 4;<br />

Kooperationsforum Prozessbegleitung Wien 51/SN-193/ME 23. GP 4; Interventionsstellen<br />

<strong>und</strong> Gewaltschutzzentren Österreichs 15/SN-193/ME 23. GP 13 ff.<br />

269 Kert, Universität Wien 58/SN-193/ME 23. GP 1; Tipold, Universität Wien 2/SN-193/ME 23. GP<br />

3.<br />

270 OGH 28/SN-193/ME 23. GP 3 ff; Reindl-Krauskopf , Universität Wien 32/SN-193/ME 23. GP<br />

2; Österreichische Richtervereinigung 47/SN-193/ME 23. GP 3; Fuchs, Universität Wien<br />

54/SN-193/ME 23. GP 1; Kepler, Universität Linz 16/SN-193/ME 23. GP 2 ff.<br />

271 Eine zu Beginn der Tat Minderjährige wurde 24 Jahre <strong>von</strong> ihrem Vater in einem Kellerverlies<br />

gefangen gehalten <strong>und</strong> missbraucht. LG St Pölten, 19.03.2009, 20 Hv 128/08z (uv).<br />

272 Ein 10 jähriges Mädchen wurde entführt <strong>und</strong> anschließend acht Jahre gefangen gehalten. <strong>Die</strong><br />

Presse, Der Fall Natascha Kampusch, 28.04.2008, 2.<br />

273 Vgl auch OGH 28/SN-193/ME 23. GP 3, der feststellt, dass die, vor in Kraft-Treten des § 107<br />

b StGB, geltenden Strafsätze der infrage kommenden Tatbestände iZm dem<br />

Erschwerungsgr<strong>und</strong> nach § 33 Z 1 StGB, im Wesentlichen eine nicht niedrigere Strafdrohung,<br />

als die des neuen Tatbestandes der Fortgesetzen Gewaltausübung vorsehen.<br />

61


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.8. § 199 StGB Vernachlässigung der Pflege, Erziehung oder<br />

Beaufsichtigung<br />

§ 199. Wer die ihm auf Gr<strong>und</strong> eines Gesetzes obliegende Pflege,<br />

Erziehung oder Beaufsichtigung einer minderjährigen Person gröblich<br />

vernachlässigt <strong>und</strong> dadurch, wenn auch nur fahrlässig, deren<br />

Verwahrlosung bewirkt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder<br />

mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.<br />

Täter dieses Sonderdelikts 274 , kann nur jemand sein, dem auf Gr<strong>und</strong> eines<br />

Gesetzes die Pflege, Erziehung oder Beaufsichtigung einer minderjährigen Person<br />

obliegt. Darunter fallen Eltern, Großeltern, Wahleltern, Vormünder oder mit einer<br />

behördlich angeordneten Erziehungsmaßnahme betreuende Personen. Tatobjekt<br />

ist eine minderjährige Person. 275<br />

Tathandlung ist die zumindest bedingt vorsätzlich gröbliche Vernachlässigung<br />

der Pflege, Erziehung oder Beaufsichtigung, die zumindest fahrlässig eine<br />

Verwahrlosung bewirkt. Unter Vernachlässigung der Pflege, Erziehung oder<br />

Beaufsichtigung wird die mangelnde Erfüllung oder Verletzung dieser Pflichten<br />

verstanden. Dabei wird in Anlehnung an § 146 ABGB vor allem auf die Wahrung<br />

des körperlichen Wohls <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heit, die unmittelbare Aufsicht, auf die<br />

Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen <strong>und</strong> sittlichen Kräfte, die<br />

Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen <strong>und</strong> Entwicklungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> die Ausbildung abgestellt. Beispiele sind mangelhafte Ernährung, Hygiene,<br />

Erholung, körperliche Bewegung, ärztliche Betreuung sowie die Anleitung zum<br />

Rechtsbruch oder die Förderung <strong>von</strong> Alkohol <strong>und</strong> Drogemissbrauch. <strong>Die</strong><br />

Vernachlässigung muss gröblich sein, dh das Verhalten des Täters muss <strong>von</strong> den<br />

verlangten Pflichten der Pflege, Erziehung <strong>und</strong> Beaufsichtigung in erheblichem<br />

Maße abweichen <strong>und</strong> in einem auffallenden Missverhältnis dazu stehen. <strong>Die</strong><br />

Gröblichkeit beinhaltet ein qualitatives <strong>und</strong> quantitatives Element, dh es kann eine<br />

274 Sonderdelikte setzen beim unmittelbaren Täter bestimmte persönliche Eigenschaften bzw<br />

persönliche Täterqualifikationen voraus. Vgl Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z 24 Rz 27.<br />

275 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 199 Rz 2,4; Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2<br />

§ 199 Rz 3, 5.<br />

62


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

kurzzeitige, besonders wichtige Vernachlässigung genauso wie eine eher leichtere<br />

aber längere Zeit hindurch gehende Vernachlässigung der Pflichten den<br />

Tatbestand des § 199 StGB erfüllen. 276<br />

Eine gröbliche Vernachlässigung liegt zB vor, wenn eine Mutter ihr Kind im<br />

Schmutz verkommen lässt oder wenn sie ihren Säugling st<strong>und</strong>enlang<br />

unbeaufsichtigt zu Hause lässt ohne sich um seine Nahrung oder Reinlichkeit zu<br />

sorgen. 277<br />

Von einer Verwahrlosung wird dann gesprochen, wenn eine körperliche oder<br />

sittliche überdurchschnittliche Abweichung vom Durchschnittszustand eines<br />

Gleichaltrigen festzustellen ist. Durch eine asoziale Einstellung dh durch eine nicht<br />

nach den allgemein anerkannten Regeln des Gemeinschaftslebens wird ein<br />

Minderjähriger in einen unordentlichen Zustand gebracht, der an seinem äußeren<br />

Erscheinungsbild oder an seiner Lebensweise erkennbar ist. 278<br />

§ 199 StGB ist ein Auffangtatbestand zu § 92 StGB <strong>und</strong> soll leichte Fälle<br />

des § 92 StGB erfassen, da die verlangte Verwahrlosung eine Vorstufe zur<br />

Ges<strong>und</strong>heits- oder Entwicklungsschädigung ist, die in § 92 StGB verlangt wird.<br />

Sobald der Tatbestand des § 92 StGB erfüllt ist, geht dieser vor <strong>und</strong> konsumiert<br />

§ 199 StGB. 279<br />

276 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 199 Rz 5, 7; Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2<br />

§ 199 Rz 6 ff.<br />

277 Leukauf/Steininger, StGB 3 § 199 Rz 6.<br />

278 Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 56.<br />

279 Schick in Rauch-Kallat/Pichler 500; Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger<br />

Komm zum StGB § 92 Rz 24; ErläutRV 1971 30BlgNR 13. GP 338; Markel in Höpfel/Ratz,<br />

Wiener Komm zum StGB 2 § 199 Rz 18.<br />

63


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.9. § 196 StGB Vereitelung behördlich angeordneter<br />

Erziehungsmaßnahmen<br />

§ 196. (1) Wer eine minderjährige Person einer behördlich angeordneten<br />

Erziehungsmaßnahme entzieht, sie verleitet, sich einer solchen<br />

Maßnahme zu entziehen, oder ihr dazu Hilfe leistet, ist mit<br />

Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360<br />

Tagessätzen zu bestrafen.<br />

….<br />

In § 196 Abs 2 StGB ist klargestellt, dass es sich um ein Ermächtigungsdelikt<br />

handelt <strong>und</strong> § 196 Abs 3 StGB verweist auf § 195 Abs 5 StGB, der eine<br />

Straflosigkeit einer Person unter 16 Jahren vorsieht, wenn sie den Täter zu der Tat<br />

verleitet.<br />

Tatsubjekt des § 196 StGB kann gr<strong>und</strong>sätzlich jeder sein – auch die Eltern<br />

des Minderjährigen. Der Minderjährige selbst bleibt jedoch auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Verweises in § 196 Abs 3 StGB straffrei – nach hM auch wenn er über 16 Jahre<br />

ist. In diesem Fall hat der Gesetzgeber wohl eine Anpassung der verschiedenen<br />

Grenzen übersehen. Deliktsobjekt ist eine Minderjährige Person, die unter einer<br />

behördlich angeordneten Erziehungsmaßnahme steht. 280<br />

Maßgeblich für behördlich angeordnete Erziehungsmaßnahmen ist, dass<br />

sie gegen den Willen der Erziehungsberechtigten erfolgt sind. Dabei ist es<br />

unerheblich, ob sie <strong>von</strong> einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde erteilt<br />

wurden. 281<br />

In erster Linie sind damit Maßnahmen der vollen Erziehung gem § 30 JWG<br />

des Jugendwohlfahrtsträgers gemeint, wie zB die Pflege <strong>und</strong> Erziehung eines<br />

Minderjährigen in einem Heim, in einer Pflegefamilie oder in einer sonstigen<br />

280 Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 196 Rz 10 f.<br />

281 Ramsauer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 196 Rz 11;<br />

Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 196 Rz 2.<br />

64


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Einrichtung. Freiwillige Erziehungshilfen sind <strong>von</strong> § 196 StGB nicht erfasst. Weiters<br />

sind Maßnahmen, die vom Gericht nach § 176 ABGB bei einer Gefährdung des<br />

Kindeswohls erteilt werden können, tatbildlich nach § 196 StGB. 282<br />

<strong>Die</strong> Tathandlung besteht in einem Entziehen der behördlich angeordneten<br />

Erziehungsmaßnahme, in einem Verleiten zum Entziehen oder in einem<br />

Hilfeleisten zum Entziehen. Das Entziehen setzt ein aktives Tun, weswegen die<br />

bloße Nichtwahrnehmung <strong>von</strong> Beratungsterminen nicht vom Tatbestand erfasst ist,<br />

<strong>und</strong> eine gewisse Ortsveränderung, voraus. Durch die Entziehungshandlung, die<br />

die pädagogischen Bemühungen unterbrechen, verhindern oder umgehen, wird<br />

der Erfolg der Maßnahme ernstlich in Frage gestellt. 283<br />

Um § 196 StGB zu verwirklichen ist zumindest bedingter Vorsatz nötig. 284<br />

3.10. § 312 Quälen oder Vernachlässigen eines<br />

Gefangenen<br />

§ 92 StGB <strong>und</strong> § 312 StGB können einander überschneiden <strong>und</strong><br />

idealkonkurrierend wirken. Wobei aber beachtet werden muss, dass Täter nur ein<br />

Beamter sein kann <strong>und</strong> das Opfer ein Gefangener bzw ein Verwahrter sein muss –<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong> ist das Delikt des § 312 StGB im Rahmen einer<br />

Kindesmisshandlung vernachlässigbar. 285<br />

282 Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 196 Rz 3 ff; Ramsauer in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 196 Rz 12 ff.<br />

283 Ramsauer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 196 Rz 21 ff;<br />

Markel in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 196 Rz 12.<br />

284 Ramsauer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 196 Rz 30.<br />

285 Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 92 Rz 21;<br />

Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 28.<br />

65


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

3.11. § 95 StGB Unterlassung der Hilfeleistung<br />

IZm den verschiedenen Delikten, die durch eine Kindesmisshandlung erfüllt sein<br />

können, muss auch § 95 StGB erwähnt werden, der die Unterlassung einer<br />

Hilfeleistung unter Strafe stellt. In speziellen Fällen, in denen ein Dritter eine<br />

Kindesmisshandlung offensichtlich mitbekommt, ist er verpflichtet einzugreifen –<br />

unterlässt er es, macht er sich strafbar.<br />

§ 95. (1) Wer es bei einem Unglücksfall oder einer Gemeingefahr (§ 176)<br />

unterläßt, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes<br />

oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Ges<strong>und</strong>heitsschädigung<br />

offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu<br />

sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, wenn die<br />

Unterlassung der Hilfeleistung jedoch den Tod eines Menschen zur Folge<br />

hat, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360<br />

Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, daß die Hilfeleistung dem Täter<br />

nicht zuzumuten ist.<br />

(2) <strong>Die</strong> Hilfeleistung ist insbesondere dann nicht zuzumuten, wenn sie nur<br />

unter Gefahr für Leib oder Leben oder unter Verletzung anderer ins Gewicht<br />

fallender Interessen möglich wäre.<br />

Täter dieses echten Unterlassungsdelikts kann jeder sein, dem eine<br />

Hilfeleistung möglich ist. <strong>Die</strong> Handlungspflicht entsteht bei einem Unglücksfall oder<br />

einer Gemeingefahr. <strong>Die</strong> Situation einer Kindesmisshandlung lässt sich unter einen<br />

Unglücksfall subsumieren, da eine Gemeingefahr erst bei der Gefährdung <strong>von</strong> ca<br />

zehn Personen anzunehmen ist. 286<br />

Ein Unglücksfall ist ein plötzlich auftretendes Ereignis, welches einen<br />

erheblichen Schaden herbeiführt oder die (konkrete) Befürchtung eines Schadens<br />

aufkommen lässt. Dabei spielt es keine Rolle woraus der Unglücksfall resultiert. Es<br />

kann sich somit auch um die strafbare Handlung – wie es eine<br />

286 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 95 Rz 2 f.<br />

66


Strafrechtsdogmatische Aspekte<br />

Kindesmisshandlung zB nach § 83 StGB oder § 92 StGB wäre – die <strong>von</strong> einem<br />

Dritten herbeigeführt wird, handeln. 287<br />

Geschützte Rechtsgüter sind Leib <strong>und</strong> Leben, wobei eine konkrete Gefahr<br />

des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung bzw<br />

Ges<strong>und</strong>heitsschädigung vorliegen muss, die ex ante betrachtet sofortige<br />

Hilfemaßnahme erfordert. Bei der Beurteilung der Beträchtlichkeit sind die<br />

Umstände des Einzelfalls <strong>und</strong> nicht die Grenzen zwischen einfachen <strong>und</strong> schwere<br />

Körperverletzung nach §§ 83 f StGB entscheidend. 288<br />

<strong>Die</strong> Hilfeleistung muss offensichtlich erforderlich sein <strong>und</strong> kann in jeder<br />

Form der Abwendung der Gefahr geleistet werden. Sie muss jedoch möglichst<br />

rasch <strong>und</strong> zweckdienlich erfolgen. 289<br />

Als besonderen Entschuldigungsgr<strong>und</strong> sieht das Gesetz in § 95 Abs 2 StGB<br />

eine Leibes- oder Lebensgefahr des zur Hilfeleistung Verpflichteten, sowie die<br />

Unzumutbarkeit wegen Interessenskollision vor.<br />

287 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 95 Rz 4 f.<br />

288 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 95 Rz 11 ff.<br />

289 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 95 Rz 14 ff.<br />

67


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

4. <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen nach § 78 StPO<br />

4.1. Allgemeines<br />

In der StPO ist in § 78 eine <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> gerichtlich strafbaren Handlungen<br />

verankert. <strong>Die</strong>se gilt aber nicht für jedermann, sondern nur für Behörden <strong>und</strong><br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen. Speziellere Regelungen für verschiedene Berufsgruppen,<br />

wie zB Ärzte, finden sich in den diesbezüglichen Vorschriften. Siehe Kapitel 6.<br />

Privatpersonen unterliegen hingegen keiner <strong>Anzeigepflicht</strong>, haben aber die<br />

Berechtigung zur Erstattung einer Anzeige. Vgl Kapitel 4.6.<br />

4.2. Historische Entwicklung<br />

<strong>Die</strong> ursprüngliche, <strong>von</strong> 31. Dezember 1975 bis 31. Dezember 1993 geltende<br />

Fassung, sah in § 84 StPO 1975 290 eine strenge <strong>Anzeigepflicht</strong> vor.<br />

§ 84. (1) Alle öffentlichen Behörden <strong>und</strong> Ämter sind schuldig, die<br />

entweder <strong>von</strong> ihnen selbst wahrgenommenen oder sonst zu ihrer<br />

Kenntnis gelangten strafbaren Handlungen, die nicht bloß auf Begehren<br />

eines Beteiligten zu untersuchen sind, sogleich dem Staatsanwalte des<br />

zuständigen Gerichtes anzuzeigen.<br />

(2) Bei Gefahr im Verzuge kann die Anzeige einer verübten strafbaren<br />

Handlung auch an das Bezirksgericht erstattet werden, in dessen<br />

Sprengel sich die Behörde befindet.<br />

Der Adressatenkreis der <strong>Anzeigepflicht</strong> in dieser Fassung „Alle öffentlichen<br />

Behörden <strong>und</strong> Ämter“ wurde im Laufe der Zeit begrifflich leicht verändert. In der<br />

novellierten <strong>und</strong> der aktuell gültigen Fassung spricht das Gesetz <strong>von</strong> „Behörden<br />

<strong>und</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen“. Es handelt sich dabei aber zweifelsfrei bloß um<br />

290 BGBl 1975/631.<br />

68


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

eine terminologische <strong>und</strong> keine inhaltliche Änderung. Der Kreis der<br />

Normadressaten bleibt bei Vergleich der verschiedenen Fassungen somit<br />

unverändert. 291<br />

Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch in der Intensität <strong>und</strong> im Umfang der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> der unterschiedlichen Versionen zu erkennen. Während es in der<br />

heute gültigen Fassung gesetzliche Ausnahmetatbestände der <strong>Anzeigepflicht</strong> gibt,<br />

war § 84 StPO idF 1975 sehr streng <strong>und</strong> ohne Ausnahme konzipiert.<br />

<strong>Die</strong>se strenge uneingeschränkte <strong>Anzeigepflicht</strong> wurde mit der Zeit allerdings<br />

als problematisch angesehen, was schließlich zu einer umfassenden Novelle<br />

durch das StPRÄG 1993 führte. § 84 StPO aF war in dieser Form <strong>von</strong> 1. Jänner<br />

1994 bis 31. Oktober 2000 gültig.<br />

§ 84. (1) Wird einer Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle der Verdacht<br />

einer <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung bekannt,<br />

die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft, so ist sie zur Anzeige<br />

an eine Staatsanwaltschaft oder Sicherheitsbehörde verpflichtet.<br />

(2) Keine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1 besteht,<br />

1. wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde,<br />

deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf,<br />

oder<br />

2. wenn <strong>und</strong> solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen,<br />

die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch<br />

schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.<br />

(3) <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> der Sicherheitsbehörden bleibt unberührt.<br />

<strong>Die</strong> wesentlichste Neuerung bestand in der Durchbrechung der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> durch die Ausnahmeregelungen in § 84 Abs 2 StPO aF, die<br />

auch heute unverändert in § 78 StPO gelten.<br />

291 Schwaighofer in Fuchs/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung § 78 Rz 3;<br />

ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

69


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

§ 84 Abs 3 StPO aF stellt allerdings einen Unterschied dieser Version zur<br />

heute in Kraft stehenden <strong>Anzeigepflicht</strong> dar <strong>und</strong> setzte fest, dass die <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

der Sicherheitsbehörden <strong>von</strong> den Ausnahmetatbeständen in § 84 Abs 2 StPO aF<br />

nicht berührt wurde. <strong>Die</strong> Sicherheitsbehörden waren gem § 24 StPO aF<br />

verpflichtet, allen Verbrechen <strong>und</strong> Vergehen (mit Ausnahme der<br />

Privatanklagedelikte) nachzugehen <strong>und</strong> sie dem Staatsanwalt zu melden. 292 Es<br />

war Aufgabe des Staatsanwaltes <strong>und</strong> Gerichts die Strafbarkeit der Tat zu<br />

beurteilen. Andere Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen, die keine<br />

Sicherheitsbehörden sind, hatten <strong>und</strong> haben die Pflicht einer Vorprüfung bezüglich<br />

des Verdachts der strafbaren Tat. Ist das Organ da<strong>von</strong> überzeugt, dass durch die<br />

Tathandlung der Tatbestand eines Offizialdeliktes nicht verwirklicht wurde bzw die<br />

Strafbarkeit auf Gr<strong>und</strong> des Vorliegens eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es, eines<br />

Entschuldigungsgr<strong>und</strong>es oder eines Strafausschließungsgr<strong>und</strong>es nicht gegeben<br />

ist, besteht keine <strong>Anzeigepflicht</strong>. 293<br />

Es wurde eine Pflicht zur Interessenabwägung geschaffen, bei der auf ein<br />

persönliches Vertrauensverhältnis abgestellt werden muss. „Wenn eine<br />

gewissenhafte Interessensabwägung ergibt, dass ein überwiegendes öffentliches<br />

Interesse an der Strafverfolgung besteht, wird – insbesondere im Interesse des<br />

Schutzes gefährdeter Personen – dem öffentlichen Interesse an der<br />

Strafverfolgung Vorrang einzuräumen sein“, normiert ein Erlass des BMJ. 294<br />

Weiters hält dieser fest, dass Befürchtungen, wonach die neuen<br />

Ausnahmetatbestände zu einem Rückgang der Anzeigen führen hätten können,<br />

sich nicht bewahrheitet haben. Somit gab es keine nachteiligen Konsequenzen der<br />

neuen Regelung. 295<br />

292 Vgl ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

293 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 18, 32; Schwaighofer will die<br />

Ausnahmetatbestände auch heute – trotz Entfall der Bestimmung – gr<strong>und</strong>sätzlich nicht auf die<br />

Kriminalpolizei anwenden. Er begründet dies mit dem mangelnden schützenswerten<br />

Vertrauen gegenüber einem Organ der Sicherheitsbehörde.<br />

294 Erlass des BMJ GZ 578.018/2-II.3/2000, 14.<br />

295 Es darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass es eine vermehrte öffentliche<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> eine generell gestiegene Anzeigebereitschaft gegeben hat, weswegen<br />

nicht gesagt werden kann, ob die Novellierung des § 84 StPO ursächlich für ein Ansteigen der<br />

Anzeigezahl war. Vgl den Erlass des BMJ GZ 578.018/2-II.3/2000, 14 f.<br />

70


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Genau aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden auch die Vorschriften im <strong>Die</strong>nstrecht des<br />

B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Länder 296 , sowie das ÄrzteG 297 <strong>und</strong> das JWG 298 novelliert <strong>und</strong> an<br />

§ 84 StPO aF angepasst.<br />

Sechs Jahre später wurde ein neuer Abs 2a in § 84 StPO aF eingefügt. Der<br />

Justizausschussbericht 299 erklärte dazu, dass „unabhängig vom Bestehen eines<br />

Vertrauensverhältnisses <strong>und</strong> <strong>von</strong> der Wirksamkeit amtlicher Tätigkeit (Abs 2. Z 1)<br />

Anzeige zu erstatten ist, wenn der Schutz der Verletzen (des Opfers) oder einer<br />

anderen Person vor (weiterer) Gefährdung dies erforderlich macht.“<br />

<strong>Die</strong> sonst unverändert gebliebene Bestimmung 300 war <strong>von</strong> 1. November 2000<br />

bis 31. Dezember 2007 in Kraft.<br />

Der neue Abs 2a lautete:<br />

„<strong>Die</strong> Behörde oder öffentliche <strong>Die</strong>nststelle hat jedenfalls alles zu<br />

unternehmen, was zum Schutz des Verletzten oder anderer Personen<br />

vor Gefährdung notwendig ist; erforderlichenfalls ist auch in den Fällen<br />

des Abs. 2 Anzeige zu erstatten.“<br />

<strong>Die</strong>ser neu eingefügte Absatz, der auch in der heute gültigen Version im<br />

Gesetz enthalten ist, soll den Opferschutzgedanken verstärken <strong>und</strong> klarstellen,<br />

dass der Schutz des Verletzten <strong>und</strong> anderer Personen vor Gefährdung Vorrang<br />

gegenüber dem Vertrauensverhältnis, welches in § 84 Abs 2 StPO aF normiert ist,<br />

hat. Es ist somit Anzeige zu erstatten, wenn dies der einzige Weg ist, um<br />

ausreichenden Schutz zu erlangen. 301<br />

Kritisch betrachtet stellt sich die Frage, ob es überhaupt notwendig war, Abs<br />

2a einzufügen, da es sich im Prinzip um eine Ausnahme <strong>von</strong> der Ausnahme in<br />

§ 84 Abs 2 StPO aF handelt, welche bereits eine Interessenabwägung vorsah. <strong>Die</strong><br />

296 BGBl 1994/16.<br />

297 BGBl I 1998/169.<br />

298 BGBl I 1999/53.<br />

299 JAB 289 BlgNR 21. GP 3.<br />

300 BGBl 1975/631 idF BGBl I 2000/108.<br />

301 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 21; JAB 289 BlgNR 21. GP 3.<br />

71


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Antwort dazu gab ein Erlass des BMJ, der deutlich machte, dass „unabhängig <strong>von</strong><br />

einer Vertrauensstellung Anzeige zu erstatten ist, wenn dies der Schutz des<br />

Verletzten (des Opfers) oder einer anderen Person vor weiterer Gefährdung<br />

erforderlich macht. Damit soll ein deutliches Signal gesetzt werden, um zu<br />

verhindern, dass beratende <strong>und</strong> betreuende Einrichtungen – wie in Einzelfällen<br />

bekannt geworden ist – in Überschätzung ihrer Möglichkeiten <strong>und</strong> Fähigkeiten zur<br />

forensischen Beurteilung eine Anzeige unterlassen, obwohl diese erforderlich<br />

wäre, um weitere Gefährdungen des Verletzen abzuwenden.“ 302<br />

Durch diese Abschwächung des Ausnahmetatbestandes des persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses konnte im Prinzip wieder <strong>von</strong> einer eher generell<br />

bestehenden <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen – bei<br />

Verdacht einer strafbaren Handlung – sprechen.<br />

Entwicklung der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

§ 84 StPO 1975<br />

Streng <strong>und</strong> ohne<br />

Ausnahmen<br />

Lockerung<br />

durch<br />

Ausnahmen<br />

Neuer Abs 2 a<br />

Opferschutz<br />

Ausnahme<br />

der Ausnahme<br />

Umstrukturierung<br />

in aktuellen<br />

§ 78 StPO<br />

1975 Novelle<br />

1993<br />

Novelle<br />

2000<br />

Novelle<br />

2008<br />

302 Erlass des BMJ GZ 578.018/2-II.3/2000, 18.<br />

72


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

4.3. Aktuelle gültige Fassung des § 78 StPO<br />

Durch das Strafprozessreformgesetz 2008 wurde vor allem das Vorverfahren der<br />

StPO neu geregelt. Das BGBl I 2004/19, welches seit 1.1.2008 unbefristet gültig<br />

ist, bewirkte jedoch keine inhaltliche Änderung, sondern nur eine begriffliche<br />

Umstellung 303 der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen, die<br />

seit 1.1.2008 in § 78 StPO normiert ist. § 84 Abs 2a StPO aF wurde in der neuen<br />

Fassung ohne inhaltliche Änderung zu Abs 3 – der alte Abs 3 ist entfallen. 304 Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> werden in der vorliegenden Arbeit unter anderem auch Literatur <strong>und</strong><br />

Judikatur des § 84 StPO aF zitiert.<br />

§ 78. (1) Wird einer Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle der Verdacht<br />

einer Straftat bekannt, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft,<br />

so ist sie zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft<br />

verpflichtet.<br />

(2) Eine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1 besteht nicht,<br />

1. wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde,<br />

deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf,<br />

oder<br />

2. wenn <strong>und</strong> solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen,<br />

die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch<br />

schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.<br />

(3) <strong>Die</strong> Behörde oder öffentliche <strong>Die</strong>nststelle hat jedenfalls alles zu<br />

unternehmen, was zum Schutz des Opfers oder anderer Personen vor<br />

Gefährdung notwendig ist; erforderlichenfalls ist auch in den Fällen des<br />

Abs. 2 Anzeige zu erstatten.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 Abs 1 StPO verpflichtet alle Behörden oder<br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen bei Verdacht einer Straftat, die ihren gesetzmäßigen<br />

Wirkungsbereich betrifft, zu einer Anzeige an Kriminalpolizei oder<br />

Staatsanwaltschaft. Von dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> sind in<br />

303 Im folgenden Gesetzestext sind die Neuerungen durch die StPO-Reform 2008 unterstrichen.<br />

304 Vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 72.<br />

73


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

§ 78 Abs 2 StPO zwei Ausnahmen normiert, wobei der Gr<strong>und</strong>satz des<br />

Opferschutzes oder anderer Personen gem § 78 Abs 3 StPO immer oberste<br />

Priorität hat.<br />

Der Hintergr<strong>und</strong> <strong>von</strong> § 78 StPO ist darin zu sehen, dass kompetente<br />

Behörden oder öffentliche <strong>Die</strong>nststellen durch das Anzeigen des Verdachts einer<br />

strafbaren Handlung, die ihren Wirkungsbereich betreffen, Amtshilfe leisten sollen.<br />

Dh der Zweck dieser Regelung besteht in der Ermöglichung <strong>und</strong> Erleichterung der<br />

Strafverfolgung. 305 IdZ wird auch vom Gr<strong>und</strong>satz der Einheit der Vollziehung<br />

gesprochen. 306 Dem Staat obliegt als juristische Person eine Schutzaufgabe.<br />

Einerseits helfen ihm dabei die Staatsanwaltschaften, die Gerichte <strong>und</strong> die<br />

Sicherheitsbehörden <strong>und</strong> andererseits werden auch andere Behörden bzw<br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen als verlängerte Arme des Staates durch § 78 StPO in die<br />

Pflicht genommen, an der Durchsetzung des staatlichen<br />

Strafverfolgungsinteresses <strong>und</strong> des Offizialprinzips 307 mitzuwirken. 308<br />

4.3.1. Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Behörden sind laut hA „Organe des B<strong>und</strong>es, der Länder <strong>und</strong> der Gemeinden, die<br />

nach außen hin mit entscheidender <strong>und</strong> verfügender Gewalt („imperium“)<br />

ausgestattet, dauernd organisiert sind <strong>und</strong> innerhalb eines sachlich <strong>und</strong> örtlich<br />

festgesetzten Wirkungskreises die staatlichen Aufgaben der Verwaltung oder<br />

Rechtsprechung erfüllen.“ 309 Eine wesentliche Eigenschaft <strong>von</strong> Behörden ist die<br />

Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt. <strong>Die</strong>se äußert sich in der Erlassung <strong>von</strong> Urteilen<br />

oder Bescheiden oder in der Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- <strong>und</strong><br />

Zwangsgewalt. Auf Gr<strong>und</strong> dieser Definition zählen insbesondere die<br />

B<strong>und</strong>esministerien, die Landesregierungen, die Bezirksverwaltungsbehörden, die<br />

Sicherheits- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>espolizeidirektionen, die Finanzämter <strong>und</strong> -behörden,<br />

305 Schick, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> der Ärzte, in FS Moos zum 65. Geburtstag (1997) 309.<br />

306 Fabrizy, <strong>Die</strong> Österreichische Strafprozessordnung 10 (2008) § 78 Rz 4.<br />

307 Das Prinzip der amtswegigen Verfolgung ist in § 2 StPO verankert.<br />

308 In anderen Rechtsordnungen wie zB in Deutschland existiert keine derartige <strong>Anzeigepflicht</strong>.<br />

Vgl Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 1.<br />

309 OGH 31.08.1928, 5 Os 221/28 = SSt 8/105; Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur<br />

StPO § 78 Rz 4 mwN.<br />

74


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Bezirkshauptmannschaften, Zoll-, Militär-, Asyl-, Schulbehörden (wie zB der<br />

Landesschulrat), die Bürgermeister <strong>und</strong> andere Gemeindebehörden, Gerichte <strong>und</strong><br />

Staatsanwaltschaften, sowie Rektoren, Dekane, Akademische Senate,<br />

Fakultätskollegien <strong>und</strong> diverse mit Entscheidungsbefugnis ausgestatte<br />

Kommissionen wie zB Studien- oder Habilitationskommissionen, zu den Behörden<br />

iSd § 78 StPO. 310<br />

Aber auch Amtsärzte iSv § 41 Abs 1 ÄrzteG fallen darunter, da sie – in einem<br />

öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zu B<strong>und</strong>, Land oder Gemeinde stehend –<br />

als Organ einer Behörde hoheitlich tätig werden. 311<br />

Der Begriff der öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen wird <strong>von</strong> Schwaighofer/Steiner 312<br />

dem Begriff der „Ämter“ iSd § 84 aF gleichgesetzt. Definiert werden sie als<br />

„planmäßige, rechtlich geregelte, <strong>von</strong> einer physischen Person unabhängige<br />

Stellen, die zur Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben berufen sind, aber<br />

eben keine Befehls- bzw Zwangsgewalt, also kein „imperium“ haben.“ IdS meint<br />

Burgstaller, dass öffentliche <strong>Die</strong>nststellen bloß als subsidiäre Adressaten der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO angesehen werden, da alle öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststellen mit „imperium“, Behörden sind. 313 Der Begriff der <strong>Die</strong>nststelle bezieht<br />

sich auf institutionelle Aspekte, dh es werden damit jene Bereiche der Verwaltung<br />

gemeint, die in organisatorischer Hinsicht eine Einheit bilden. Für Behörden ist<br />

dagegen die Funktion <strong>und</strong> nicht die organisatorische Stellung im gesamten<br />

Verwaltungsapparat entscheidend. Daraus ergibt sich, dass viele <strong>Die</strong>nststellen<br />

zugleich auch Behörden sind. 314<br />

Beispielsweise war die Gendarmerie nicht als Veraltungsbehörde zu sehen,<br />

sondern Hilfsorgan einer Behörde, da ihre Angehörigen Exekutivorgane waren, die<br />

310 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 4; Schwaighofer/Steiner, <strong>Die</strong><br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> der Ärzte <strong>und</strong> Rechtsträger <strong>von</strong> Krankenanstalten, RdM 2000, 45 (46).<br />

311 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 38.<br />

312 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 46.<br />

313 Burgstaller, <strong>Anzeigepflicht</strong> der Notariatskammern gemäß § 84 StPO? JBl 1991, 341;<br />

Antoniolli/Koja sehen den Begriff „Amt“ als Oberbegriff für <strong>Die</strong>nststellen ohne „imperium“ <strong>und</strong><br />

<strong>Die</strong>nststellen mit der besonderen hoheitlichen Befugnis Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt<br />

auszuüben, in Allgemeines Verwaltungsrecht 3 (1996) 332.<br />

314 Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 (1987) 321; Antoniolli/Koja, Allgemeines<br />

Verwaltungsrecht 3 , 332.<br />

75


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

zunächst Befehle auszuführen hatten <strong>und</strong> keine Befugnis besaßen diese<br />

selbständig anzuordnen. 315 IdZ geben Fuchs/Ratz 316 Polizeikommanden,<br />

Polizeiinspektionen <strong>und</strong> Gemeindewachkörper als Beispiele einer öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststelle an. Stolzlechner 317 führt außerdem in Anlehnung an die RV 318 , Sozial-,<br />

Familien-, <strong>und</strong> Suchtgiftberatungsstellen, Schuldirektion, Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwälte, Schulärzte <strong>und</strong> Jugendämter an.<br />

Wesentlich für die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO ist, dass Stellen, denen<br />

öffentliche Aufgaben übertragen wurden <strong>und</strong> deren Tätigkeiten einer<br />

Gebietskörperschaft oder einem Gemeindeverband zugerechnet werden, vom<br />

Adressatenkreis dieser Bestimmung erfasst sind. Deswegen fallen auch die <strong>von</strong><br />

den Gebietskörperschaften eingerichteten juristischen Personen des<br />

öffentlichen Rechts 319 , wie zB öffentliche Schulen 320 <strong>und</strong> Universitäten 321 soweit<br />

ihnen öffentlich Aufgaben übertragen wurden, unter das Anwendungsgebiet der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO. 322<br />

Selbständige Wirtschaftskörper 323 – wobei sich der Staat zu Besorgung<br />

seiner Rechtsgeschäfte privatrechtlicher Rechtsformen bedient – fallen auf Gr<strong>und</strong><br />

der dort vorhandenen wirtschaftlichen <strong>und</strong> organisatorischen Trennung, wodurch<br />

keine staatliche Verwaltung mehr vorliegt 324 , nicht unter den Anwendungsbereich<br />

des § 78 StPO. Weiters sind juristische Personen des Privatrechts, (private<br />

315 OGH 16.12.1964, 12 Os 241, 242/64 = SSt 35/67.<br />

316 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 5.<br />

317 Stolzlechner, Überlegungen zur ärztlichen Verschwiegenheits-, Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflicht,<br />

RdM 2000, 67 (71).<br />

318 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

319 Juristische Personen des öffentlichen Rechts werden durch Gesetz, Verordnung oder einen<br />

Verwaltungsakt geschaffen <strong>und</strong> sind mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Dazu zählen<br />

vor allem der B<strong>und</strong>, die Länder, die Gemeinden, die Sozialversicherungsträger <strong>und</strong> die<br />

gesetzlichen Interessensvertretungen. Vgl Koziol/Welser, Gr<strong>und</strong>riss des bürgerlichen Rechts<br />

I 13 (2006) 70.<br />

320 OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117.<br />

321 Universitäten zählen seit dem UG 2002 zu juristische Personen des öffentlichen Rechts.<br />

322 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 46; Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 31.<br />

323 ZB <strong>von</strong> einer Gebietskörperschaft betriebene Elektrizitätswerke, die ÖBB, der ORF;<br />

Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47.<br />

324 Vgl OGH 20.05.1980, 10 Os 57/80 = SSt 51/23; 21.06.1983, 10 Os 67/83 = SSt 54/50.<br />

76


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Unternehmen oder private Vereine) sowie Privatpersonen nicht vom<br />

Adressatenkreis der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO erfasst. 325<br />

Eine öffentliche Krankenanstalt ist wegen der fehlenden Befehl- <strong>und</strong><br />

Zwangsgewalt keine Behörde. Adamovich/Funk 326 sehen die Tätigkeit der<br />

Errichtung <strong>und</strong> des Betriebs <strong>von</strong> öffentlichen (Kranken)Anstalten als schlichte<br />

Hoheitsverwaltung 327 (unselbständige Wirtschaftskörper). Darin lässt sich eine<br />

Zuordnung einer öffentlichen Krankenanstalt zum Adressatenkreis des § 78 StPO<br />

erkennen.<br />

Schwaighofer/Steiner 328 zählen öffentliche Krankenanstalten jedoch zu den<br />

selbständigen Wirtschaftskörpern, die wie erwähnt, keine öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen<br />

sind <strong>und</strong> somit nicht der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO unterliegen.<br />

Nach Stolzlechner 329 ist eine öffentliche Krankenanstalt jedoch<br />

möglicherweise unter den Begriff der öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle zu subsumieren. Er<br />

ist der Ansicht, dass nicht ausgegliederte Krankenanstalten als <strong>Die</strong>nststellen<br />

qualifiziert werden können. Damit sind Krankenanstalten, deren Ärzte als<br />

Landesbeamte bzw Landesvertragsbedienstete angestellt sind, gemeint. Nach der<br />

„Ausgliederung“ sind Ärzte normalerweise auf Gr<strong>und</strong> eines privatrechtlichen<br />

Vertrags bei der Krankenanstalt angestellt.<br />

Folgt man Stolzlechners Ansicht ist eine gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 78 StPO für öffentliche Krankenanstalten zu bejahen. Ein Hinweis dafür, dass<br />

öffentliche Krankenanstalten zu öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen zählen, ergibt sich auch<br />

aus der SN der Gewaltschutzzentren Österreichs 330 zum Entwurf des 2. GeSchG,<br />

325 Da<strong>von</strong> unberührt bleibt allerdings das Recht zur Anzeige nach § 80 StPO, welches jedermann<br />

zusteht. Vgl Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 6 ff;<br />

Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47. Siehe auch Kapitel 4.6.<br />

326 Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 146.<br />

327 Unter schlichter Hoheitsverwaltung wird ein Handeln verstanden, welches selbst nicht<br />

normativer Art ist, also keinen Rechtsakt darstellt, jedoch „im Zusammenhang mit“ der<br />

Hoheitsverwaltung erfolgt. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 (2009) Rz 699.<br />

328 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47.<br />

329 Stolzlechner, RdM 2000, 75 FN 45.<br />

330 Interventionsstellen/Gewaltschutzzentren Österreichs 15/SN-193/ME 23. GP 17.<br />

77


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

in der vorgeschlagen wird, den Begriff der öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen zu präzisieren<br />

<strong>und</strong> als Beispiel öffentliche Krankenanstalten angeführt werden.<br />

Von der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO sind Behörden <strong>und</strong> öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen erfasst, nicht aber einzelne Beamte, woraus folgt, dass sich die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> an den Leiter einer Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle richtet.<br />

Er hat die Letztverantwortung über die Anzeigenerstattung. Damit er diese Pflicht<br />

erfüllen kann, unterliegen die in der Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle tätigen<br />

Bediensteten dienstrechtlichen Meldepflichten. <strong>Die</strong>se Meldepflichten sind in den<br />

jeweiligen <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen der Beamten <strong>und</strong> Vertragsbediensteten des<br />

B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Länder normiert. 331 Siehe dazu Kapitel 5.<br />

Demnach hat ein Beamter oder Vertragsbediensteter unter gewissen<br />

Voraussetzungen die dienstrechtliche Pflicht, eine strafbare Handlung dem Leiter<br />

seines Amtes zu melden, damit dieser die Anzeige an die Kriminalpolizei oder<br />

Staatsanwaltschaft erstatten kann, oder sie iSd § 45 Abs 3 BDG bzw<br />

§ 5 b Abs 3 VBG der dazu berechtigten Stelle meldet. Einer Verpflichtung zur<br />

unmittelbaren Anzeige nach § 78 StPO unterliegt er nur, wenn er selbst Leiter des<br />

Amtes ist. 332<br />

Beispiele für <strong>Die</strong>nststellenleiter sind der Landesamtsdirektor, der<br />

Magistratsdirektor, der Bezirkshauptmann, der Rektor, der Schuldirektor sowie der<br />

Leiter einer Krankenanstalt. 333<br />

Der Kriminalpolizei selbst kommt, wenn sie <strong>von</strong> einer strafbaren Handlung<br />

erfährt gem §§ 18, 99 ff StPO über die bloße <strong>Anzeigepflicht</strong> hinausgehend die<br />

Aufgabe zu, Straftaten <strong>von</strong> Amts wegen aufzuklären. Das ergibt sich in erster Linie<br />

331 Kletecka-Pulker, <strong>Die</strong> neue Regelung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>, RdM 2001, 175 (180);<br />

Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 10; JMZ 415.003/31-II 3/1996,<br />

2.<br />

332 OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117; 11.02.2003, 11 Os 43/02 = EvBl<br />

2003/104.<br />

333 Vgl Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 10.<br />

78


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

aus dem in § 2 Abs 1 StPO verankerten Legalitätsprinzip 334 , aus ihren<br />

Organisationsbestimmungen <strong>und</strong> mittelbar auch aus § 100 Abs 2 StPO. <strong>Die</strong><br />

eigenständige Handlungsweise der Kriminalpolizei kann nicht mehr auf die Pflicht<br />

reduziert werden, eine Anzeige zu erstatten <strong>und</strong> dann im Auftrag <strong>von</strong><br />

Staatsanwaltschaft oder Gericht zu ermitteln beginnen. Deswegen ist eine<br />

ausdrückliche Reglung ihrer <strong>Anzeigepflicht</strong> an die Staatsanwaltschaft (iSv § 84<br />

Abs 3 StPO aF) entbehrlich. 335<br />

4.3.2. Gesetzmäßiger Wirkungsbereich<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> gem § 78 StPO beschränkt sich auf den gesetzmäßigen<br />

Wirkungsbereich der Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle. In erster Linie<br />

werden dadurch Straftaten erfasst, die <strong>von</strong> den Bediensteten der Behörden oder<br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen iZm ihrer Amtsstellung begangen werden. (Amtsdelikte<br />

sowie allgemeine Delikte iZm § 313 StGB). Weiters soll die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 78 StPO der Verpflichtung zur Leistung der Amtshilfe nach Art 22 B-VG<br />

entsprechen 336 <strong>und</strong> unter gewissen Umständen auch Straftaten, die <strong>von</strong><br />

Außenstehenden begangen wurden, erfassen. Damit sind solche Straftaten<br />

gemeint, die <strong>von</strong> den Bediensteten einer Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle in<br />

ihrer amtlichen Eigenschaft wahrgenommen werden. 337 IdZ führt die herrschende<br />

strafrechtliche Lehre 338 aus, dass die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO auf den<br />

334 <strong>Die</strong> Kriminalpolizei (sowie die Staatsanwaltschaft) trifft gr<strong>und</strong>sätzlich eine Verfolgungspflicht<br />

betreffend alle Straftaten, die ihr in ihrer amtlichen Eigenschaft bekannt geworden sind. Vgl<br />

Bertel/Venier, Strafprozessrecht 3 (2009) Rz 11.<br />

335 ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 72; Fabrizy, StPO 10 § 78 Rz 7; Pilnacek/Pleischl, Das neue<br />

Vorverfahren (2005) Rz 326.<br />

336 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20; Art 22 B-VG: „Alle Organe des B<strong>und</strong>es, der Länder <strong>und</strong> der<br />

Gemeinden sind im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen<br />

Hilfeleistung verpflichtet.“<br />

337 JMZ 415.003/31-II 3/1996, 3; Fellner (Hrsg), Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979, § 54 FN 4;<br />

Pilnacek, <strong>Anzeigepflicht</strong> der Jugendwohlfahrtsbehörden nach dem<br />

Strafprozeßänderungsgesetz 1993, ÖA 1994 H 3, 83.<br />

338 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 12; Fabrizy, StPO 10 § 78 Rz 3;<br />

Seiler, Strafprozessreform 2004 2 (2006) Rz 625; Mayerhofer/Hollaender (Hrsg), Das<br />

österreichische Strafrecht, Zweiter Teil Strafprozessordnung 5 (2004) § 84 Anm 2 a; JMZ<br />

415.003/31-II 3/1996, 3; Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47; AA jedoch Schick,<br />

Opferschutzrechte als Schutzrechte des Beschuldigten 1. Teil, RZ 1994, 208 (212 f).<br />

79


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Bereich der Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> der Gerichtsbarkeit beschränkt ist -<br />

hingegen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung nicht besteht.<br />

Unter Hoheitsverwaltung wird das Auftreten des Staates gegenüber dem<br />

Rechtsunterworfenen im Verhältnis einer Über- <strong>und</strong> Unterordnung verstanden. Der<br />

Staat nimmt dabei typische hoheitliche Akte vor, wie zB das Fällen eines Urteils,<br />

eines Beschlusses, eines Bescheids, das Erlassen einer Verordnung oder die<br />

Anwendung unmittelbarer behördlicher Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt. Ein weiterer<br />

Anhaltspunkt für das Handeln einer juristischen Person in einer behördlichen<br />

Funktion ist, die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf die<br />

betreffende Tätigkeit. 339<br />

Privatwirtschaftsverwaltung liegt hingegen vor, wenn der Staat anderen<br />

Rechtssubjekten gegenüber gleichgeordnet auftritt <strong>und</strong> mittels Rechtsformen des<br />

Privatrechts vor allem durch Verträge agiert. 340 So ist die Führung <strong>und</strong> Verwaltung<br />

<strong>von</strong> einer öffentlichen, durch eine Gebietskörperschaft betriebene Krankenanstalt,<br />

der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen. 341<br />

Strafbare Handlungen, <strong>von</strong> denen ein Beamter privat erfährt, begründen<br />

ohne Zweifel keine gesetzliche Pflicht zu Anzeige. Da<strong>von</strong> unberührt bleibt jedoch<br />

das Recht zur Anzeige gem § 80 StPO. 342<br />

339 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 13; Mayerhofer/Hollaender,<br />

StPO 5 § 84 E 7 a; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 23; Adamovich/Funk,<br />

Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 146; vgl VwGH 22.09.1995, 93/11/0221 = ÖA 1996, 67.<br />

340 Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 144 ff.<br />

341 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 14; Schwaighofer/Steiner, RdM<br />

2000, 47; Leukauf/Steininger, StGB 3 § 302 Rz 28.<br />

342 Seiler, Strafprozessreform 2004 2 Rz 625. Siehe auch Kapitel 4.6.<br />

80


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Kritik an dieser Interpretation des „Gesetzmäßigen Wirkungsbereichs“<br />

<strong>Die</strong>ser Einschränkung der <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 78 Abs 1 StPO auf den Bereich<br />

der Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> der Gerichtsbarkeit steht Schick 343 äußerst skeptisch<br />

gegenüber. Seiner Meinung nach ergibt die Ausnahmeregelung bezüglich einem<br />

Entfall der <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 78 Abs 2 Z 1 StPO keinen Sinn, wenn <strong>von</strong> einer<br />

Einschränkung der <strong>Anzeigepflicht</strong> auf den hoheitlichen Wirkungsbereich <strong>und</strong> der<br />

Gerichtsbarkeit ausgegangen wird. Gem § 78 Abs 2 Z 1 StPO kann <strong>von</strong> einer<br />

Anzeige, die nach Abs 1 zu erstatten wäre, Abstand genommen werden, wenn<br />

eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigt werden würde, deren Wirksamkeit eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. Darunter fallen nach hA in der<br />

Literatur auch Tätigkeiten <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nststellen, die keine Hoheitsgewalt, also kein<br />

„imperium“ besitzen, wie zB Sozial-, Familien-, Suchtgiftberatungsstellen,<br />

Situationen in denen Lehrer <strong>von</strong> Delikten ihrer Schüler erfahren oder<br />

Umweltberatungsstellen der Landesregierung. Schick fragt sich nun, wie für genau<br />

diese Bereiche, denen gerade keine Hoheitsgewalt zukommt, eine<br />

Ausnahmeregelung in § 78 Abs 2 Z 1 StPO bestehen kann, wenn die generelle<br />

Anwendbarkeit des § 78 StPO auf den Bereich der Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> der<br />

Gerichtsbarkeit beschränkt wird. Er ist der Meinung, dass der besondere Entfall<br />

der <strong>Anzeigepflicht</strong>, ein Bestehen der generellen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 Abs 1<br />

StPO voraussetzt. Deswegen empfindet Schick die Einschränkung der<br />

Interpretation des „gesetzmäßigen Wirkungsbereichs“ bloß auf den Bereich der<br />

Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> der Gerichtsbarkeit als unrichtig.<br />

Zu diesen Überlegungen führt Schwaighofer 344 aus, dass § 78 Abs 1 <strong>und</strong><br />

Abs 2 StPO „in eine vernünftige Beziehung zueinander gesetzt werden können“.<br />

Sind Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen im Einzelfall nicht hoheitlich, sondern<br />

bloß beratend oder im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht tätig, entfällt die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> seiner Meinung nach mangels gesetzmäßigen Wirkungsbereichs<br />

nach § 78 Abs 1 StPO. <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> besteht für Behörden <strong>und</strong> öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen, die neben ihrer hoheitlichen Tätigkeit auch andere Tätigkeiten<br />

343 Schick, RZ 1994, 212 f.<br />

344 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 15.<br />

81


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

durchführen, nur bezüglich der Ausübung ihrer hoheitlichen Funktion. Allerdings<br />

sind gleichzeitig die Ausnahmeregelungen nach § 78 Abs 2 StPO zu beachten.<br />

<strong>Die</strong>se Betrachtungsweise ist, wie bereits erläutert, vor allem dann bedeutsam,<br />

wenn eine Behörde nicht nur Sicherheitsbehörde ist, sondern auch andere<br />

Wirkungsbereiche hat – wenn beispielsweise einer Bezirksverwaltungsbehörde<br />

neben ihrer Tätigkeit als Sicherheitsbehörde auch die Aufgabe als<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde obliegt. Der gesetzmäßige Wirkungsbereich bei dem die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde hoheitlich tätig wird <strong>und</strong> somit für die <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

relevant ist, ist auf einen gewissen Bereich beschränkt. (zB im Bereich der<br />

Erziehungshilfe nach § 26 JWG) Wird die Jugendwohlfahrtsbehörde hingegen als<br />

Amtsvorm<strong>und</strong> tätig oder kommt sie einer Beratungstätigkeit nach, unterliegt sie<br />

<strong>von</strong> vorhinein nicht der <strong>Anzeigepflicht</strong>, da die Tätigkeit mangels Hoheitlichkeit nicht<br />

den gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Berührt eine Straftat allerdings, wie<br />

oben ausgeführt, den gesetzmäßigen Wirkungsbereich, besteht gr<strong>und</strong>sätzlich eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong>, die dann allerdings durch die in § 78 Abs 2 StPO normierten<br />

Ausnahmen durchbrochen ist. 345<br />

Für private Einrichtungen zur Betreuung oder Beratung scheidet die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> schon mangels Vorliegen einer Behörde oder öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nstsstelle aus. 346<br />

ME sprechen Schick <strong>und</strong> Schwaighofer idZ <strong>von</strong> unterschiedlichen Bereichen.<br />

Während Schwaighofer die Anwendung der <strong>Anzeigepflicht</strong> auf nicht hoheitliche<br />

Tätigkeiten, wie zB Beratungstätigkeiten schon nach § 78 Abs 1 StPO auf Gr<strong>und</strong><br />

des Fehlens der Hoheitlichkeit, die der Begriff „gesetzmäßiger Wirkungsbereich“<br />

seines Erachtens voraussetzt, ausschließt, ist Schick der Ansicht, dass der<br />

Anwendungsbereich des § 78 Abs 1 StPO auch solche – nicht hoheitliche –<br />

Beratungstätigkeiten (durch eine öffentliche <strong>Die</strong>nststelle) umfasst. Schwaighofer<br />

begründet seine Ansicht damit, dass die Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 78 Abs 2 Z 1 StPO nur dann zum Tragen kommt, wenn eine Anwendung nach<br />

Abs 1 gegeben ist <strong>und</strong> erklärt damit eine vernünftige Beziehung des Abs 1 <strong>und</strong> 2<br />

345 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 15.<br />

346 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 15.<br />

82


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

zueinander. <strong>Die</strong>se Erklärung hat mE aber nichts mit dem Problem zu tun, welches<br />

konkrete Handeln zum gesetzlichen Wirkungsbereich der Behörden <strong>und</strong><br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen gezählt wird – schließlich stimmen diesem Gedanken<br />

des Ausnahmetatbestandes die hL sowie auch Schick zu. Schick geht allerdings<br />

einen Schritt weiter <strong>und</strong> versucht durch den Ausnahmetatbestand des<br />

§ 78 Abs 2 Z 1 StPO zu erklären, warum er den „gesetzmäßigen Wirkungsbereich“<br />

für nicht bloß auf die Hoheitlichkeit <strong>und</strong> Gerichtsbarkeit beschränkt sieht. <strong>Die</strong>ser<br />

Überlegung ist durchaus zuzustimmen. Alleine deswegen, weil eine „<strong>Die</strong>nststelle“<br />

<strong>von</strong> der hL als Stelle ohne Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt definiert wird. (Siehe oben)<br />

Möglicherweise wurde die Problematik zu wenig aus der<br />

verwaltungsrechtlichen Sicht betrachtet. <strong>Die</strong> Meinung, dass sich der gesetzmäßige<br />

Wirkungsbereich nur auf die Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> die Gerichtsbarkeit bezieht,<br />

wurde uU auch durch den Gesetzgeber verstärkt:<br />

In einem Schreiben des BMJ 347 wird dazu folgendes ausgeführt: „<strong>Die</strong>jenigen<br />

Behörden, die einen beschränkten sachlichen Wirkungsbereich haben oder die<br />

neben ihrer Behördeneigenschaft auch andere Funktionen (etwa die einer<br />

Interessenvertretung) ausüben, sollen demnach nur im engeren Rahmen ihrer<br />

amtlichen Zuständigkeit zur Anzeigeerstattung verpflichtet sein.“ <strong>Die</strong>se Sichtweise<br />

wird auch in der RV des StPRÄG 1993 348 deutlich, <strong>und</strong> auch im Bericht des<br />

Justizausschusses 349 wird festgehalten, dass „Behörden <strong>und</strong> deren Organe, aber<br />

auch gesetzliche Interessensvertretungen eine <strong>Anzeigepflicht</strong> nur im Rahmen ihrer<br />

jeweiligen hoheitlichen Befugnisse trifft“.<br />

Es darf dabei aber nicht übersehen werden, dass in den eben angeführten<br />

Gesetzesmaterialien nur <strong>von</strong> Behörden die Rede ist. Nicht beachtet werden<br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen. Deswegen darf nicht der Schluss gezogen werden, dass<br />

alle Adressaten des § 78 StPO hoheitlich handeln müssen, um vom<br />

„gesetzmäßigen Wirkungsbereich“ erfasst zu sein.<br />

347 JMZ 415.003/31-II 3/1996, 3.<br />

348 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

349 JAB 1157 BlgNR 18. GP 8.<br />

83


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

In Bezug auf öffentliche Krankenanstalten, deren Tätigwerden zur<br />

Privatwirtschaftsverwaltung gezählt wird 350 , bedeutet dies, dass sie – auf Gr<strong>und</strong><br />

des eben Erläuterten – sehr wohl einer Verpflichtung zur Anzeige nach § 78 StPO,<br />

unterliegen – wenn da<strong>von</strong> ausgegangen wird, dass sie unter einer öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststelle zu subsumieren sind. Der Ansicht, dass eine öffentliche<br />

Krankensanstalt keinesfalls unter den Anwendungsbereich <strong>von</strong> § 78 StPO fällt, da<br />

der gesetzmäßige Wirkungsbereich einer Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle<br />

nur die Gerichtsbarkeit <strong>und</strong> die Hoheitsverwaltung beträfe, 351 ist nicht zu folgen.<br />

4.3.3. Weitere Elemente des § 78 StPO<br />

Nach dem derzeit gültigen Gesetzeswortlaut muss der Verdacht einer „Straftat“<br />

angezeigt werden. Vor der StPO-Reform bestand die <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht<br />

„einer <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung“. Laut RV 352 sollte<br />

die Bestimmung inhaltlich unverändert übernommen werden. Sie spricht iZm ihrer<br />

Erklärung warum der alte Abs 3 StPO entbehrlich ist, da<strong>von</strong>, dass der<br />

Kriminalpolizei die Aufgabe übertragen wird „eine <strong>von</strong> Amts wegen strafbare<br />

Handlung“ aufzuklären. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird die Literatur des alten § 84 StPO<br />

aF angewendet <strong>und</strong> auf die dortigen Ausführungen eingegangen. Daraus ist<br />

abzuleiten, dass alle Offizialdelikte aber auch Ermächtigungsdelikte 353 , bei<br />

denen bis zur Erhebung der Anklage oder bis zur Einleitung diversioneller<br />

Maßnahmen die Ermächtigung der gesetzlich berechtigten Person bzw des<br />

Verletzten einzuholen ist, der <strong>Anzeigepflicht</strong> unterliegen. Privatanklagedelikte 354 ,<br />

die nur auf Verlangen des Opfers zu verfolgen sind, sind somit <strong>von</strong> der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> ausgenommen. 355<br />

350 Vgl JMZ 415.003/31-II 3/1996, 4; vgl auch Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47 <strong>und</strong><br />

Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

351 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 47 <strong>und</strong> 49; Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

352 ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 72.<br />

353 Vgl § 92 StPO.<br />

354 Vgl § 71 StPO.<br />

355 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 16.<br />

84


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Von einem Verdacht spricht man, wenn auf Gr<strong>und</strong> bestimmter Tatsachen<br />

eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine <strong>von</strong> Amts wegen zu<br />

verfolgende Straftat begangen wurde. Dh es müssen konkrete Umstände<br />

vorliegen. Gerüchte oder bloße Vermutungen wie zB Herr X sei ein<br />

Kinderschänder, <strong>Die</strong>b usw reichen nicht aus. 356<br />

<strong>Die</strong> Anzeige gem § 78 StPO hat an die Kriminalpolizei oder<br />

Staatsanwaltschaft zu erfolgen. Dabei ist es unbeachtlich, ob es sich um die<br />

örtlich zuständige Stelle handelt. Gelangt die Anzeige nämlich bei einer örtlich<br />

unzuständigen Staatsanwaltschaft ein, muss sie an die zuständige weitergeleitet<br />

werden. 357 4.3.4.<br />

Ausnahmen der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 78 StPO gilt, wie anfangs schon erwähnt, nicht<br />

uneingeschränkt. In § 78 Abs 2 StPO sind zwei bedeutende Einschränkungen<br />

normiert.<br />

Gem § 78 Abs 2 Z 1 StPO besteht eine Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong>, „wenn<br />

die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit<br />

eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf“ <strong>und</strong> gem § 78 Abs 2 Z 2 StPO<br />

kann eine Anzeige unterbleiben, „wenn <strong>und</strong> solange hinreichende Gründe für die<br />

Annahme vorliegen, die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch<br />

schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.“<br />

In der alten Fassung des § 84 Abs 3 StPO war geregelt, dass die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> der Sicherheitsbehörden, <strong>von</strong> den in Abs 2 normierten<br />

Ausnahmetatbeständen nicht berührt wurde. Für sie galt nach wie vor eine<br />

uneingeschränkte Pflicht zur Anzeige. Mit dem Strafprozessreformgesetz 2008<br />

356 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 17.<br />

357 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 20.<br />

85


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

wurde diese Regelung gestrichen, sodass die Ausnahmetatbestände in der heute<br />

gültigen Fassung auch für die Sicherheitsbehörden gelten. 358<br />

4.3.4.1. Vorliegen eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses<br />

Der Ausnahmetatbestand in § 78 Abs 2 Z 1 StPO stellt auf ein persönliches<br />

Vertrauensverhältnis der betroffenen Person ab. <strong>Die</strong>s ist Gr<strong>und</strong>voraussetzung für<br />

jede effektive Beratung oder Betreuungstätigkeit. Das Vertrauensverhältnis wird<br />

insoweit geschützt, als dass eine Anzeige, die eine amtliche Tätigkeit<br />

beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines solchen persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf, unterbleiben kann. Das betrifft in erster Linie vor<br />

allem Beratungsstellen <strong>und</strong> öffentliche Einrichtungen, die sozialarbeiterisch <strong>und</strong><br />

pädagogisch tätig sind, wie zB Jugendämter, Sozial- <strong>und</strong><br />

Familienberatungsstellen, Suchtgiftberatungsstellen, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwälte,<br />

Lehrer <strong>und</strong> Schulärzte. 359<br />

Vor allem im Bereich der Kindesmisshandlung ist die Absicherung des<br />

Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> erheblicher Bedeutung. Besteht die Gefahr der<br />

Strafverfolgung, ist die Angst der Betroffenen meist zu groß, sodass die<br />

Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle oder Behörde unterbleibt, oder<br />

wesentliche Umstände verschwiegen werden. Aber auch für die Opfer ist eine<br />

vertrauliche Behandlung <strong>von</strong> Informationen unerlässlich, die nur sichergestellt ist,<br />

wenn es keine unbedingte (sofortige) Pflicht zu Anzeige gibt. Vor allem<br />

minderjährige Opfer <strong>von</strong> Sexualdelikten oder Misshandlungen neigen dazu,<br />

schwere Schuldgefühle <strong>und</strong> psychische Störungen zu entwickeln, insbesondere<br />

wenn die Tat innerhalb der Familie geschehen ist. Wird im Zuge der Aussage<br />

eines Opfers der Täter bzw Angehörige verhaftet <strong>und</strong> dadurch die ganze Familie<br />

auseinander gerissen, sowie uU in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, erfolgen<br />

nicht selten (Selbst-)Schuldzuweisungen. Es zeigt sich also, dass das<br />

358 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 2.<br />

359 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 22; vgl auch ErläutRV 924<br />

BlgNR 18. GP 20.<br />

86


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Unterbleiben oder Aufschieben einer (sofortigen) Anzeige in gewissen Fällen im<br />

Interesse des Opfers liegt. 360<br />

Somit besteht zB für Bedienstete der Jugendwohlfahrtbehörden eine<br />

beschränkte <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO. Wird ihnen der Verdacht einer<br />

Kindesmisshandlung bekannt, zB durch Meldung eines Arztes nach § 54 Abs 6<br />

Ärzte, durch die Meldung eines Schulleiters oder auf anderem Weg, gelten für sie<br />

die Ausnahmeregelung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 Abs 2 StPO. 361<br />

Aber auch bei Vorliegen der Voraussetzungen der <strong>Anzeigepflicht</strong> gem § 78<br />

StPO ist es nicht immer leicht, dem Gesetz zu entsprechen. Ob schlussendlich<br />

eine Anzeige zu erstatten ist oder nicht, hängt <strong>von</strong> einer Interessenabwägung ab.<br />

Dabei stellt § 78 Abs 3 StPO klar, dass den Interessen des Opfers oder<br />

anderer Personen am Schutz vor (weiterer) Gefährdung, Priorität zukommt. Eine<br />

unbedingte (sofortige) Pflicht zur Anzeige trotz Vorliegen eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses, welches einer Anzeige entgegenstehen würde, besteht<br />

nur, wenn ohne Anzeige eine erhebliche Gefahr besteht, dass es zu weiteren<br />

Angriffen auf die psychische <strong>und</strong> physische Integrität <strong>von</strong> Personen kommt. Dabei<br />

müssen die Schwere der Tat, die Schutzwürdigkeit des Opfers, ob <strong>und</strong> wie intensiv<br />

sich Schutzeinrichtungen bereits mit dem Fall befassen, welche<br />

(jugendwohlfahrtsrechtlichen) Maßnahmen bereits ergriffen worden sind <strong>und</strong><br />

schließlich auch die Konkretheit des Tatverdachts berücksichtigt werden. Ein<br />

Anknüpfungspunkt für das Anzeigen liegt vor, wenn Verdächtiger <strong>und</strong> Opfer<br />

weiterhin im selben Haushalt oder in einer Nahebeziehung leben <strong>und</strong> sich der<br />

Verdächtigte uneinsichtig zeigt <strong>und</strong> zB Therapieangebote ausschlägt. Besteht<br />

allerdings bloß eine allgemeine Gefahr der Begehung weiterer Straftaten, weil der<br />

Verdächtige aufgr<strong>und</strong> des Unterbleibens der Anzeige weiterhin in Freiheit bleibt,<br />

reicht dieses Risiko nicht zur Aufhebung der Ausnahmen nach § 78 Abs 2 StPO<br />

der <strong>Anzeigepflicht</strong>. 362<br />

360 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 23.<br />

361 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 24.<br />

362 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 25 f; JAB 289 BlgNR 21. GP 3.<br />

87


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Wenn die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes vorliegen, ist der<br />

Leiter der Behörde bzw der öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle nicht verpflichtet eine Anzeige<br />

zu erstatten.<br />

4.3.4.2. Vorliegen schadensbereinigender Maßnahmen<br />

Der Ausnahmetatbestand in § 78 Abs 2 Z 2 StPO normiert den Entfall der<br />

Strafbarkeit durch schadensbereinigende Maßnahmen binnen kurzer Zeit. Dh die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> entfällt, wenn die Schadensgutmachung durch tätige Reue nach<br />

§ 167 StGB erfolgt. Da dieser Strafaufhebungsgr<strong>und</strong> dem Verdächtigen jedoch nur<br />

bei gewissen Vermögensdelikten zugute kommen kann, ist diese Beschränkung<br />

der <strong>Anzeigepflicht</strong> gem § 78 Abs 2 Z 2 StPO bei Fällen der Kindesmisshandlung<br />

außer Acht zu lassen. 363<br />

363 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 28 f.<br />

88


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

4.4. Rechtsfolgen bei Verletzung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 78 StPO<br />

Bei Verletzung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO kann der Tatbestand des<br />

Amtsmissbrauchs durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) erfüllt sein. Allerdings ist<br />

die Garantenstellung des Beamten dafür Voraussetzung, deren Reichweite sehr<br />

umstritten ist. <strong>Die</strong> Judikatur tendiert dazu jeden anzeigepflichtigen Beamten bei<br />

Unterlassen der Anzeige zu bestrafen. Als Beispiel dazu wertet der OGH das<br />

Nicht-Anzeigen eines Leiters eines Jugendamtes, der in Erfahrung brachte, dass<br />

die Mutter seines unter Amtsvorm<strong>und</strong>schaft stehenden Kindes als Minderjährige<br />

<strong>von</strong> ihrem Stiefvater missbraucht worden war, als Amtsmissbrauch. 364 In einer<br />

weiteren Entscheidung 365 wurde ein Volksschuldirektor wegen Amtsmissbrauchs<br />

verurteilt, weil er ein vergangenes, unsittliches Verhalten eines Lehrers gegenüber<br />

einer Schülerin, nicht angezeigt hatte.<br />

Gegen diese Tendenz spricht sich zB Bertel 366 aus <strong>und</strong> meint, dass nur<br />

solche Beamte, deren Hauptaufgabe in der Strafverfolgung liegt – hauptsächlich<br />

Exekutivbeamte, bei Unterlassen einer Anzeige wegen Amtsmissbrauch zu<br />

bestrafen sind.<br />

Einen Mittelweg vertreten Medigovic 367 <strong>und</strong> Schwaighofer 368 , die auch dann<br />

einen Amtsmissbrauch annehmen, wenn die Behörde Garant für die Abwendung<br />

bestimmter Schäden ist <strong>und</strong> eine Anzeige dazu geeignet ist um diese Schäden zu<br />

verhindern. 369<br />

364 OGH 05.04.1990, 12 Os 14/90 (uv); Pilnacek, ÖA 1994 H 3, 83.<br />

365 OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117; siehe auch Medigovic,<br />

Unterlassung der Anzeige nach § 84 StPO – Amtsmißbrauch? JBl 1992, 420 (424) FN 24.<br />

366 Bertel in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 302 Rz 39 f.<br />

367 Medigovic, JBl 1992, 425 f.<br />

368 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 36.<br />

369 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 36.<br />

89


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, dass die strafbare Handlung auch ohne das Anzeigen des<br />

dazu verpflichteten Beamten zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft kommen kann,<br />

enthebt nicht <strong>von</strong> der <strong>Anzeigepflicht</strong>. 370<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> hat gegenüber der Verschwiegenheitspflicht des Beamten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch, dass der<br />

Vorrang der <strong>Anzeigepflicht</strong> nur bei den Behörden, welche die Aufklärung <strong>und</strong><br />

Verfolgung <strong>von</strong> Straftaten zu ihren Hauptaufgaben zählen, unbedingt gilt. Bei allen<br />

anderen Behörden ist eine Interessenabwägung zwischen der Wahrung der<br />

Amtsverschwiegenheit <strong>und</strong> dem Interesse der Strafverfolgung vorzunehmen. 371<br />

Das Delikt des Amtsmissbrauchs verlangt auf der subjektiven Seite einen<br />

wissentlichen Befugnismissbrauch mit Schädigungsvorsatz gegenüber dem<br />

Staat an Hoheitsrechten. 372 <strong>Die</strong>ser Schädigungsvorsatz wird mE nicht leicht<br />

nachzuweisen sein, vor allem bei einem Unterlassen einer Anzeige wegen<br />

Kindesmisshandlung, wenn das Nicht-Erstatten der Anzeige zum Wohl des Kindes<br />

unterbleibt.<br />

Zu weiteren möglichen Konsequenzen bei einem Verstoß gegen die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> vgl Kapitel 6.4.<br />

370 OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117.<br />

371 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 46; OGH 19.12.1985, 12 Os 154/84 = SZ 56/101 = JBl<br />

1986, 532 (Anm Liebscher); Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz<br />

34.<br />

372 Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil II 8 (2008) § 302 RZ 23 ff;<br />

Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 302 Rz 105 f.<br />

90


<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

4.5. Zusammenfassung der <strong>Anzeigepflicht</strong> für<br />

Behörden <strong>und</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Adressatenkreis im Laufe<br />

der Entwicklung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO unverändert geblieben ist. <strong>Die</strong><br />

Bestimmung richtet sich an Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen (Ämter), die im<br />

Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereichs <strong>von</strong> § 78 StPO erfasst sind.<br />

Bezüglich strafbarer Handlungen, die sich gegen das Kindeswohl richten,<br />

zählen vor allem Sicherheitsbehörden, Schulbehörden, Gerichte,<br />

Staatsanwaltschaften, Jugendwohlfahrtsträger, Sozial- bzw<br />

Familienberatungsstellen, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwälte, sowie Amtsärzte <strong>und</strong><br />

öffentliche Krankenanstalten zu den möglichen Adressaten <strong>von</strong> § 78 StPO. <strong>Die</strong><br />

konkrete Anwendung im Einzelfall richtet sich allerdings danach, ob die Straftat<br />

den gesetzmäßigen Wirkungsbereich der Behörde oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle<br />

betrifft.<br />

In der heute gültigen Fassung ist – eingeführt durch das StPRÄG 1993 – eine<br />

wesentliche Einschränkung der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen vorgesehen. Im Bereich der Kindesmisshandlung ist vor allem der<br />

Ausnahmetatbestand des § 78 Abs 2 Z 1 StPO <strong>von</strong> Bedeutung. Würde die<br />

Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen, deren Wirksamkeit eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, kann <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand<br />

genommen werden. <strong>Die</strong>ser Entfall der <strong>Anzeigepflicht</strong> ist vor allem für Beratungs<strong>und</strong><br />

Betreuungstätigkeiten unerlässlich. Gerade für minderjährige Opfer ist eine<br />

vertrauliche Behandlung der Informationen unerlässlich, die nur sichergestellt ist,<br />

wenn es keine (unbedingte) sofortige Pflicht zur Anzeige gibt. Auch die<br />

Kontaktaufnahme der Opfer zu Einrichtungen, die ihnen Unterstützung <strong>und</strong><br />

Hilfestellung bieten können, wurde erleichtert, da sie nicht gleich mit einer Anzeige<br />

rechnen müssen.<br />

Seit 2000 ist durch die Einführung des damaligen § 84 Abs 2 a StPO ein<br />

weiterer Schritt zu Stärkung des Opferschutzgedankens gesetzt worden. Heute<br />

91


Anzeigerecht nach § 80 StPO<br />

wird in § 78 Abs 3 StPO klargestellt, dass der Schutz des Verletzten <strong>und</strong> anderer<br />

Personen vor (weiterer) Gefährdung Vorrang gegenüber dem Vertrauensverhältnis<br />

hat.<br />

4.6. Anzeigerecht nach § 80 StPO<br />

In den bisherigen Ausführungen wurde nur die Pflicht zur Anzeige erläutert.<br />

Unabhängig da<strong>von</strong> steht jeder Peron ein gesetzliches in § 80 Abs 1 StPO<br />

verankertes Anzeigerecht zu.<br />

§ 80. (1) Wer <strong>von</strong> der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis<br />

erlangt, ist zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft<br />

berechtigt.<br />

Gem § 80 StPO ist gr<strong>und</strong>sätzlich jedermann berechtigt, strafbare<br />

Handlungen, die ihm zur Kenntnis gelangt sind, bei Kriminalpolizei oder<br />

Staatsanwaltschaft anzuzeigen, ohne sich dadurch dem Vorwurf der Verleumdung<br />

oder der Ehrenbeleidigung auszusetzen. 373<br />

Das Recht zur Anzeige steht jedermann zu, also in erste Linie<br />

Privatpersonen, aber auch Personen, die zwar gr<strong>und</strong>sätzlich anzeigepflichtig sind,<br />

wie zB Beamte, deren <strong>Anzeigepflicht</strong> aber durch Ausnahmen – vor allem in<br />

§ 78 Abs 2 StPO – beschränkt ist. Sie trifft eine Ermessensentscheidung, ob sie<br />

<strong>von</strong> ihrem Anzeigerecht Gebrauch machen oder nicht. 374<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Anzeigerechts ist die Kenntnis einer <strong>von</strong> Amts wegen zu<br />

verfolgenden Straftat. 375<br />

Ob diese Kenntnis auf eigenen Beobachtungen <strong>und</strong><br />

Wahrnehmungen oder auf Informationen <strong>von</strong> Dritten beruht, ist unbeachtlich. Es<br />

spielt keine Rolle, ob die zur Anzeige berechtigte Person unmittelbar <strong>von</strong> der<br />

373 ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 72; Fabrizy, StPO 10 § 80 Rz 1.<br />

374 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 2.<br />

375 Da<strong>von</strong> sind alle strafbaren Handlungen erfasst, also auch Privatanklagedelikte. Vgl<br />

Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 3.<br />

92


Anzeigerecht nach § 80 StPO<br />

strafbaren Handlung erfahren hat oder mittelbar durch eine Mitteilung <strong>von</strong> anderen<br />

Personen oder durch Berichterstattung in den Medien. Selbst wenn sich die<br />

Anzeige im Nachhinein als unbegründet herausstellt oder zu keiner Verurteilung<br />

des Angezeigten führt, drohen dem Anzeiger keine Nachteile. 376<br />

Teilt der Anzeiger den Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung einer<br />

bestimmten Person wahrheitsgetreu einer Behörde mit <strong>und</strong> stützt diesen hierbei<br />

auf entfernte Verdachtsgründe, so wird er durch § 80 StPO vor einer<br />

strafrechtlichen Verfolgung geschützt. Dh trotz eines nicht begründeten Verdachts<br />

<strong>und</strong> der objektiv wahrheitswidrigen Anzeige, braucht der Anzeiger keine negativen<br />

Konsequenzen für sich selbst fürchten. Im entgegengesetzten Fall käme es wohl<br />

aus Furcht, dass die berechtigte Anzeige doch falsch sein könnte, zu keiner<br />

Anzeigenerstattung. Das widerspräche dem Interesse des Staates an der<br />

Strafverfolgung. 377<br />

Der OGH 378 führt dazu folgendes aus: „Es sei dem Anzeiger nicht zuzumuten<br />

vor Erhebung der Anzeige eigene Nachforschungen anzustellen, um Umstände<br />

aufzuzeigen, die für eine objektive Richtigkeit der Anzeige sprechen. Allerdings<br />

unterliegt der Anzeiger dann einer Haftung, wenn er wider besseres Wissen <strong>und</strong><br />

vorsätzlich eine unbegründete Anzeige erstattet hat.“<br />

Dh, das soeben ausgeführte gilt nur für Anzeigen die im guten Glauben<br />

erfolgen – sie sind gr<strong>und</strong>sätzlich 379 rechtmäßig <strong>und</strong> ziehen keine zivil- oder<br />

strafrechtlichen Folgen nach sich. 380<br />

Hat der Anzeiger wissentlich iSv § 5 Abs 3 StGB eine falsche Anzeige<br />

erstattet, in der einem anderen eine gerichtlich strafbare Handlung vorgeworfen<br />

wird, weswegen dieser der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt wird,<br />

376 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 6.<br />

377 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 6 f.<br />

378 OGH 14.10.1955, 5 Os 1000,1001/55 = SSt 26/70.<br />

379 Ein höherer Standard gilt aber zB bei Rechtsanwälten, die sich auch bei bloß fahrlässigen<br />

Anzeigen gegen Kollegen bzw gegen Dritte disziplinär zu verantworten haben. Vgl<br />

Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 7, 11.<br />

380 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 6 f.<br />

93


Anzeigerecht nach § 80 StPO<br />

macht sich der Anzeiger der Verleumdung nach § 297 StGB strafbar. Wissentlich<br />

bedeutet, dass der Anzeiger wissen muss, dass die angezeigte Person die Tat, die<br />

ihm vorgeworfen wird, nicht begangen hat. 381<br />

Für gewisse Berufsgruppen gibt es jedoch im Hinblick auf die<br />

Verschwiegenheitspflicht Einschränkungen bezüglich des Rechts zur Anzeige. So<br />

unterliegt das Anzeigerecht eines Angehörigen eines rechtsberatenden Berufs, wie<br />

zB eines Rechtsanwalts einer gesetzlichen Beschränkung, wodurch es hinter die<br />

gesetzlich verankerte Verschwiegenheitspflicht zurücktritt. Nicht außer Acht<br />

gelassen werden darf jedoch, dass die Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht<br />

durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt sein kann. Nämlich dann, wenn die<br />

Anzeige das einzige <strong>und</strong> schonendste Mittel ist, um einen unmittelbar drohenden<br />

bedeutenden Nachteil abzuwenden, wie zB die unmittelbare Gefahr für Leib <strong>und</strong><br />

Leben einer Person. 382<br />

Privatpersonen steht gem § 80 StPO das Recht eine Anzeige zu erstatten zu,<br />

sie unterliegen jedoch, bei Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich 383 keiner gesetzlichen Verpflichtung zur Anzeige. 384 Nicht außer Acht<br />

gelassen werden darf jedoch die Verpflichtung zur Hilfeleistung nach § 95 StGB.<br />

Siehe Kapitel 3.11.<br />

381 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 8.<br />

382 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 12 ff.<br />

383 Vgl jedoch § 289 StGB, der die Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten<br />

Handlung unter Strafe stellt. Siehe Kapitel 6.4.3.<br />

384 Allerdings sind sie im Hinblick auf ihre Zeugenpflicht verpflichtet der Polizei oder dem Gericht<br />

gegenüber Auskunft zu geben oder Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Vgl §§ 111 <strong>und</strong> 154<br />

Abs 2 StPO; Fabrizy, StPO 10 § 78 Rz 12.<br />

94


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

5. Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

§ 78 StPO regelt, wie schon erwähnt, die <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong><br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen, nicht jedoch für einzelne Beamte. Für diese finden sich<br />

Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen. <strong>Die</strong> Regelungen betreffen ua Ärzte <strong>und</strong><br />

Lehrer. Es werden Beamte, die in einem öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zu<br />

B<strong>und</strong>, Ländern oder Gemeinden stehen <strong>und</strong> Vertragsbedienstete des B<strong>und</strong>es, der<br />

Länder <strong>und</strong> der Gemeinden, für die jeweils unterschiedliche gesetzliche<br />

Regelungen vorgesehen sind, unterschieden.<br />

5.1. Regelungen für Beamte des B<strong>und</strong>es<br />

<strong>Die</strong> Regelungen bezüglich einer <strong>Anzeigepflicht</strong> befinden sich in § 45 Abs 3 <strong>und</strong> 4<br />

BDG <strong>und</strong> lauten:<br />

(3) Wird dem Leiter einer <strong>Die</strong>nststelle in Ausübung seines <strong>Die</strong>nstes der<br />

begründete Verdacht einer <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich<br />

strafbaren Handlung bekannt, die den Wirkungsbereich der <strong>von</strong> ihm<br />

geleiteten <strong>Die</strong>nststelle betrifft, so hat er dies, sofern er nicht ohnehin<br />

gemäß § 109 Abs. 1 vorzugehen hat, unverzüglich der zur Anzeige<br />

berufenen Stelle zu melden oder, wenn er selbst hiezu berufen ist, die<br />

Anzeige zu erstatten. <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> richtet sich nach § 78 der<br />

Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631.“<br />

(4) Keine Pflicht zur Meldung nach Abs. 3 besteht,<br />

1. wenn die Meldung eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde,<br />

deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf,<br />

oder<br />

2. wenn <strong>und</strong> solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen,<br />

die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch<br />

schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.<br />

95


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

<strong>Die</strong>se besondere Melde- bzw <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 45 BDG verpflichtet den<br />

Leiter einer <strong>Die</strong>nststelle bei einem begründeten Verdacht einer <strong>von</strong> Amts wegen<br />

gerichtlich strafbaren Handlung, diesen unverzüglich der zur Anzeige berufenen<br />

Stelle zu melden oder selbst Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder<br />

Sicherheitsbehörde zu erstatten. Voraussetzungen sind, dass der<br />

„Wirkungsbereich der <strong>von</strong> ihm geleiteten <strong>Die</strong>nststelle“ betroffen ist <strong>und</strong> dass er<br />

nicht ohnehin nach § 109 Abs 1 BDG (Verdacht einer <strong>Die</strong>nstpflichtverletzung)<br />

vorzugehen hat. Keine Melde- bzw <strong>Anzeigepflicht</strong> besteht jedoch, wenn „die<br />

Meldung eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf“. 385 <strong>Die</strong>se Vorschrift richtet sich an<br />

alle beamteten Leiter einer B<strong>und</strong>esdienststelle – also uU auch an den ärztlichen<br />

Leiter eines B<strong>und</strong>esspitals, der in einem Beamtenverhältnis zu diesem steht. 386<br />

Da sich die Melde- bzw <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 45 Abs 3 BDG auf „<strong>von</strong> Amts<br />

wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlungen“ bezieht, die „den<br />

Wirkungsbereich der <strong>von</strong> ihm geleiteten <strong>Die</strong>nststelle“ betreffen, können nur<br />

Handlungen, <strong>von</strong> denen der <strong>Die</strong>nststellenleiter in seiner amtlichen Eigenschaft –<br />

sei es auf Gr<strong>und</strong> entsprechender Meldungen der ihm unterstellten Bediensteten<br />

oder durch eigene Wahrnehmung – erfahren hat, <strong>von</strong> den Bestimmungen erfasst<br />

sein. 387<br />

Durch die RV 388 zum BDG 1979 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass<br />

„die Pflicht des <strong>Die</strong>nststellenleiters zur Meldung oder Anzeige <strong>von</strong> ihm<br />

bekanntgewordenen strafgesetzwidrigen Handlungen auf § 84 Abs 1 StPO fußt“.<br />

Es wird also klargestellt, vor allem auch durch den direkten Verweis im<br />

Gesetzestext <strong>von</strong> § 45 Abs 3 BDG, dass die Beschränkungen der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

nach § 78 StPO auch im Bereich des Beamtendienstrechts anzuwenden sind.<br />

385 Auf die Ausnahme des § 45 Abs 4 Z 2 BDG wird nicht näher eingegangen, da sie im<br />

Bereich der Kindesmisshandlung nicht zur Anwendung kommt. Siehe Kapitel 4.3.4.2.<br />

386 Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

387 Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten (2003) 186; aA ist Stolzlechner,<br />

RdM 2000, 75, der da<strong>von</strong> ausgeht, dass strafbare Handlungen, die <strong>von</strong> „außenstehenden<br />

Personen“ begangen wurden, nicht <strong>von</strong> der <strong>Anzeigepflicht</strong> des § 45 Abs 3 BDG erfasst<br />

sind.<br />

388 ErläutRV 11 BlgNR 15. GP sowie AB 1387 BlgNR 18. GP abgedruckt in Fellner,<br />

Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979 § 45.<br />

96


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

<strong>Die</strong> Melde- bzw <strong>Anzeigepflicht</strong> des <strong>Die</strong>nststellenleiters nach § 45 Abs 3 BDG<br />

betrifft den „Wirkungsbereich der <strong>von</strong> ihm geleiteten <strong>Die</strong>nststelle“ <strong>und</strong> nicht nur den<br />

„gesetzmäßigen Wirkungsbereich“. Daher ist es in diesem Fall unumstritten, dass<br />

die <strong>Anzeigepflicht</strong> unabhängig da<strong>von</strong> besteht, ob der <strong>Die</strong>nststellenleiter hoheitlich<br />

oder privatwirtschaftlich tätig ist. 389<br />

Damit der Leiter einer Behörde oder <strong>Die</strong>nststelle auch die nötigen<br />

Informationen erhält, um der Melde- bzw <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 45 BDG<br />

nachzukommen, sind in den einschlägigen <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen Meldepflichten<br />

an den Leiter vorgesehen. 390<br />

§ 53. BDG (1) Wird dem Beamten in Ausübung seines <strong>Die</strong>nstes der<br />

begründete Verdacht einer <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich<br />

strafbaren Handlung bekannt, die den Wirkungsbereich der <strong>Die</strong>nststelle<br />

betrifft, der er angehört, so hat er dies unverzüglich dem Leiter der<br />

<strong>Die</strong>nststelle zu melden.<br />

(1a) Keine Pflicht zur Meldung nach Abs. 1 besteht, wenn die Meldung<br />

eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf.<br />

(1b) Der Leiter der <strong>Die</strong>nststelle kann aus<br />

1. in der Person, auf die sich die amtliche Tätigkeit bezieht, oder<br />

2. in der amtlichen Tätigkeit selbst<br />

gelegenen Gründen abweichend <strong>von</strong> Abs. 1a eine Meldepflicht verfügen.<br />

Auch hier sind dieselben Einschränkungen wie in § 78 StPO <strong>und</strong> § 45 BDG 391<br />

normiert. <strong>Die</strong> Meldepflicht eines Beamten nach § 53 BDG soll auf die Fälle<br />

beschränkt sein, „in denen die strafbare Handlung den Wirkungsbereich der<br />

<strong>Die</strong>nststelle betrifft, der der Beamte angehört“ <strong>und</strong> nicht ein „persönliches<br />

389 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 48; JMZ 415.003/31-II 3/1996, 4; Kucsko-Stadlmayer,<br />

Das Disziplinarrecht der Beamten, 186 f. Vgl Kapitel 4.3.2.<br />

390 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 48.<br />

391 <strong>Die</strong> Ausnahmetatbestände in § 45 Abs 4 BDG bzw § 53 Abs 1 a BDG wurden in<br />

Anlehnung der StPO-Novelle 1993, mit der auch § 84 StPO aF novelliert wurde,<br />

eingeführt <strong>und</strong> sind deswegen mit den Ausnahmetatbeständen des § 78 StPO ident. Vgl<br />

ErläutRV 1358 BlgNR 18. GP abgedruckt in Fellner, Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979<br />

§ 45.<br />

97


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

Vertrauensverhältnis“ entgegensteht <strong>und</strong> richtet sich an den <strong>Die</strong>nststellenleiter.<br />

Allerdings ist der <strong>Die</strong>nststellenleiter (zB der Schulleiter) in besonderen Fällen, zB<br />

im Interesse der Verhinderung oder Aufklärung <strong>von</strong> schweren Straftaten oder bei<br />

einem Missbrauch, gem § 53 Abs 1 b BDG berechtigt, die gesetzliche<br />

Beschränkung der Meldepflicht ganz oder teilweise – in personeller <strong>und</strong> auch<br />

sachlicher Hinsicht – aufzuheben. 392 Der Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser<br />

Ausnahmeregelung besteht darin, dass die Entscheidung über das Unterlassen<br />

oder Erstatten einer Anzeige (bzw einer Meldung an die zur Anzeige berufenen<br />

Stelle), dem Leiter der <strong>Die</strong>nststelle vorbehalten bleiben soll. 393<br />

<strong>Die</strong> Meldepflicht nach § 53 BDG richtet sich wiederum auf „<strong>von</strong> Amts wegen<br />

zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlungen“, die „den Wirkungsbereich der<br />

<strong>Die</strong>nststelle“ betreffen, weswegen nur Handlungen <strong>von</strong> denen der Beamte in<br />

seiner amtlichen Eigenschaft erfahren hat, <strong>von</strong> der Bestimmung erfasst sind.<br />

5.2. Regelung für Vertragbedienstete des B<strong>und</strong>es<br />

§ 5 b Abs 3 <strong>und</strong> 4 VBG regeln die Meldepflicht des Leiters einer <strong>Die</strong>nststelle bei<br />

Bekanntwerden einer strafbaren Handlung <strong>und</strong> sind ident mit den Regelungen in<br />

§ 45 Abs 3 <strong>und</strong> 4 BDG. Deswegen sind die oben erörterten Ausführungen analog<br />

auf Vertragsbedienstete anzuwenden. Dasselbe gilt für § 5 Abs 1 VBG, der auf die<br />

Anwendung des § 53 BDG verweist.<br />

Leiter einer <strong>Die</strong>nststelle nach § 5 b Abs 3 VBG kann zB ein ärztlicher Leiter<br />

einer Krankenanstalt sein, der in einem Vertragsbedienstetenverhältnis zum B<strong>und</strong><br />

steht.<br />

392 AB 1387 BlgNR 18. GP abgedruckt in Fellner, Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979 § 45;<br />

Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 48; Kletecka-Pulker, RdM 2001, 180.<br />

393 ErläutRV 1358 BlgNR 18. GP abgedruckt in Fellner, Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979<br />

§ 53. Selbst wenn der Beamte unmittelbar Anzeige erstattet, zB auf Gr<strong>und</strong>lage des<br />

§ 80 StPO, wonach jedermann das Recht zusteht, ist er nicht <strong>von</strong> seiner Meldepflicht an<br />

den <strong>Die</strong>nststellenleiter entb<strong>und</strong>en. Er ist an sich nicht berechtigt, an Stelle des allein<br />

handlungspflichtigen Funktionsträgers unmittelbar selbst beim Staatsanwalt Anzeige zu<br />

erstatten; vgl Fellner, Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979 § 53 FN 1 <strong>und</strong> § 45 E 20; VwSlg<br />

13561 A/1992; VwGH 4.9.2003, 2000/09/0166.<br />

98


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

5.3. Regelungen für Beamte bzw Vertragbedienstete der<br />

Länder bzw der Gemeinden<br />

Für Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen oder privaten <strong>Die</strong>nstverhältnis zu<br />

Land oder Gemeinde stehen, kommen hinsichtlich der Anzeige- <strong>und</strong><br />

Meldepflichten ähnliche Bestimmungen in Betracht. 394 Vgl §§ 32 Abs 3 a <strong>und</strong> 37<br />

Abs 1 a LDG.<br />

5.4. Anzeige- bzw Meldepflichten für Lehrer<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich sind Schulen Behörden <strong>und</strong> Lehrer Beamte. 395 Dadurch unterliegt<br />

der Leiter einer Schule der gesetzlichen Verpflichtung zur Anzeige nach<br />

§ 78 StPO. Für die einzelnen Lehrer gelten die jeweils einschlägigen<br />

<strong>Die</strong>nstrechtsvorschriften. Vgl Kapitel 5.1, 5.2 <strong>und</strong> 5.3.<br />

Wesentliche Bedeutung kommt der Ausnahmeregelung der <strong>Anzeigepflicht</strong> in<br />

§ 78 Abs 2 Z 1 StPO (bzw §§ 45 Abs 4 <strong>und</strong> 53 Abs 1 a BDG sowie<br />

§§ 5 b Abs 4 <strong>und</strong> § 5 Abs 1 VBG <strong>und</strong> §§ 32 Abs 3 a <strong>und</strong> 37 Abs 1 a LDG) zu, die<br />

ein Absehen der Anzeige – wenn sie eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen<br />

würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf –<br />

zulässt. <strong>Die</strong>ses Vertrauensverhältnis wird bei Lehrern meist zu bejahen sein.<br />

Bezüglich der Leiter <strong>von</strong> Schulen wird da<strong>von</strong> ausgegangen, dass sich das<br />

Vertrauensverhältnis auch auf sie erstreckt, obwohl sie hierarchisch bedingt<br />

entfernter <strong>von</strong> der täglichen Betreuungsarbeit sind. Somit obliegt dem Leiter einer<br />

Schule – in Anlehnung an § 78 Abs 3 StPO, dem Gr<strong>und</strong>satze des Vorrangs des<br />

Kindeswohls – die Entscheidung ob er eine Anzeige iSd § 78 StPO erstattet. 396<br />

394 Stolzlechner, RdM 2000, 76. Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 48 FN 25.<br />

395 OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117.<br />

396 Vgl B<strong>und</strong>esministerium für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur (Hrsg), Broschüre Sexueller<br />

Missbrauch – rechtliche Situation (2007) 10; Jesionek, Anzeige- <strong>und</strong> Aussageverhalten<br />

bei Kindesmissbrauch, in FS Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) 369 (372 f).<br />

99


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

Eine weitere Handlungspflicht ergibt sich für Lehrer aus § 37 Abs 1 JWG, der<br />

bei Verdacht auf Kindesmisshandlung eine Meldepflicht an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger vorschreibt. 397<br />

Schlussendlich beinhaltet das SchUG selbst Regelungen betreffend eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong>. In § 47 SchUG ist festgesetzt, dass die Schule an der Erziehung<br />

des Kindes mitwirkt, wobei sich in § 47 Abs 3 SchUG ein ausdrückliches<br />

Gewaltverbot für Lehrer findet. Bei Verdacht einer Kindesmisshandlung ist<br />

§ 48 SchUG heranzuziehen.<br />

§ 48. SchUG: Wenn es die Erziehungssituation eines Schülers erfordert,<br />

haben der Klassenvorstand oder der Schulleiter (der<br />

Abteilungsvorstand) das Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten<br />

zu pflegen. Wenn die Erziehungsberechtigten ihre Pflichten offenbar<br />

nicht erfüllen oder in wichtigen Fragen uneinig sind, hat der Schulleiter<br />

dies dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 37 des<br />

Jugendwohlfahrtsgesetzes, BGBl. Nr. 161/1989, in der jeweils geltenden<br />

Fassung, mitzuteilen.<br />

<strong>Die</strong>se schulrechtliche Verständigungspflicht ist aber durch die<br />

Formulierung „wenn es die Erziehungssituation einer Schülers erfordert“ relativiert.<br />

Das bedeutet wiederum, dass die Vorgehensweise der persönlichen Einschätzung<br />

des Lehrers <strong>und</strong> der Schulleitung obliegt. Dabei haben sie, um die konkrete<br />

Situation einzuschätzen, interne Gespräche mit dem Schüler zu führen <strong>und</strong><br />

Kontakt mit den Erziehungsberechtigten herzustellen. 398<br />

Um eventuelle Entscheidungshilfen bezüglich einer weiteren Vorgehensweise<br />

zu bekommen, kann sich ein Lehrer ohne weiters auch an bestehende<br />

Opferschutzeinrichtungen wenden. Es steht ihm die Möglichkeit offen<br />

Kinderschutzgruppen, Kinderschutzzentren oder Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaften zu kontaktieren.<br />

397 Vgl BMUKK, Broschüre Sexueller Missbrauch 9 f.<br />

398 Vgl BMUKK, Broschüre Sexueller Missbrauch 8 f.<br />

100


Meldepflichten in <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

5.5. Meldepflichten iZm der Kinderbetreuung<br />

Auch im Bereich der Tagesbetreuung bestehen für Personen bei Verdacht<br />

einer Kindesmisshandlung landesgesetzliche Meldepflichten an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger. ZB im Steiermärkischen Kinderbildungs- <strong>und</strong><br />

Kinderbetreuungsgesetz LGBl 2008/105. Dort ist in § 39 das besondere<br />

Verfahren bei Gefährdung <strong>von</strong> Kindern geregelt. <strong>Die</strong> Norm verpflichtet das<br />

Personal in den Kinderbetreuungseinrichtungen (Kinderkrippen, Kindergärten<br />

<strong>und</strong> Heilpädagogische Kindergärten, Horte <strong>und</strong> Heilpädagogische Horte,<br />

Kinderhäuser, Alterserweiterte Gruppen <strong>und</strong> Tagesmütter/Tagesväter) „bei<br />

Vermutungen <strong>von</strong> Gewalt <strong>und</strong> sexueller Misshandlung an Kindern das<br />

Einvernehmen mit der örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde<br />

herzustellen.“<br />

Abgesehen da<strong>von</strong>, besteht diese Meldpflicht auch nach § 37 Abs 1 JWG.<br />

Siehe Kapitel 8.2.1.<br />

101


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6. Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.1. Allgemeines<br />

Wie anfangs erwähnt, gibt es für gewisse Berufsgruppen eigene Normen, die eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> betreffen. Für Ärzte findet sich diese in § 54 ÄrzteG. Zur<br />

Abgrenzung bzw zum Vergleich der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>, der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

<strong>von</strong> Behörden <strong>und</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen <strong>und</strong> den Meldepflichten der<br />

Bediensteten bzw Beamten siehe Kapitel 7.<br />

Um die Relevanz <strong>und</strong> Problematik dieses sensiblen Bereichs aufzuzeigen,<br />

wird folgende Ausgangssituation angenommen: Ein Kind mit einigen blauen<br />

Flecken <strong>und</strong> einem gebrochenem Arm kommt zu einem Arzt, welcher auf Gr<strong>und</strong><br />

seiner Erfahrung den Verdacht hegt, dass das Kind möglicherweise misshandelt<br />

wurde, da die Erklärungen der Verletzungen nicht ganz lückenlos sind. Eine<br />

andere Situation, die einen Arzt stutzig werden lassen muss, ist der Fall, wenn ein<br />

Kind schon mehrmals mit ähnlichen Verletzungen beim Arzt bzw im Krankenhaus<br />

war oder aber auch weitere Symptome, die nicht körperlicher Natur sind, zeigt, wie<br />

zB verdächtiges soziales Verhalten.<br />

Wie sich schon abzeichnet, ist es auch für einen routinierten Arzt nicht leicht,<br />

wenn nicht sogar in vielen Fällen unmöglich, mit Sicherheit festzustellen, ob das<br />

Kind misshandelt wurde. Es gibt oft natürliche Erklärungen <strong>und</strong> besonders<br />

ungeschickte Zufälle, die zu vermeintlichen Misshandlungsverletzungen führen,<br />

wie zB Hämatome an den Streckseiten der Unterschenkel bei lebhaften, wenig<br />

schmerzempfindlichen Kindern. Weiters kann <strong>und</strong> darf der Arzt nicht sofort jeden<br />

der Begehung einer strafbaren Handlung, nämlich der Kindesmisshandlung<br />

verdächtigen. Und hier beginnen die Regeln der gesetzlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> ins<br />

Spiel zu kommen. Welches Verhalten ist – immer unter Bedachtnahme auf den<br />

Gr<strong>und</strong>satz des Kindeswohls – das Beste um das Kind zu schützen?<br />

102


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.2. Historische Entwicklung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Entwicklung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

VO bei<br />

unklaren<br />

Todesfällen<br />

§ 359 StG<br />

Strenge<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong><br />

im<br />

Strafrechtsgesetz<br />

Entkriminalisiert<br />

<strong>und</strong> unklar im<br />

ÄrzteG<br />

§ 10 a<br />

ÄrzteG<br />

§ 27<br />

ÄrzteG<br />

Lockere Fassung<br />

mit<br />

Ermächtigung<br />

in § 54 aF<br />

ÄrzteG<br />

Aktuelle<br />

Fassung<br />

grds streng<br />

in § 54<br />

ÄrzteG<br />

1975 1852 1975 1984 Novelle Novelle<br />

1998 2001<br />

<strong>Die</strong> Wurzeln der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> gehen bis ins Jahr 1808 zurück, als<br />

W<strong>und</strong>ärzte, bei „bedenklichen, zweideutigen oder gar tödlichen Verw<strong>und</strong>ungen“<br />

zur Anzeige verpflichtet waren, indem „sie gleich nach dem ersten Verbande der<br />

Polizeistelle, oder wo keine solche ist, der Ortsobrigkeit den Namen des<br />

Verw<strong>und</strong>eten <strong>und</strong> dessen Wohnung mit der Beschaffenheit der Verletzung<br />

anzuzeigen“ hatten. 399<br />

Durch eine Verordnung vom 28.01.1855 400 gab es eine etwas umfassendere<br />

Regelung betreffend unklare Todesfälle:<br />

„<strong>Die</strong> gerichtliche Todtenbeschau, das ist die Leichenschau <strong>und</strong><br />

Leichenöffnung, ist vor der Beerdigung eines Verstorbenen bei jedem<br />

unnatürlichen Todesfalle vorzunehmen, wenn nicht schon aus den<br />

Umständen mit Gewißheit erhellt, daß derselbe durch keine strafbare<br />

399 Maucher, Sistematisches Handbuch des österreichischen Strafgesetzes (1844) 255;<br />

Bauer, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes bei Sexualdelikten, ÖJZ 1986, 719.<br />

400 RGBl 1855/26.<br />

103


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Handlung, sondern durch Zufall oder Selbstentleibung herbeigeführt<br />

wurde. Ist die Leiche bereits beerdigt, so muss sie zu diesem Behufe<br />

unter den, für die Ges<strong>und</strong>heit der, an der gerichtlichen Todtenbeschau<br />

theilnehmenden Personen erforderlichen Vorsichten (§ 86 der<br />

Strafproceß-Ordnung) ausgegraben werden, vorausgesetzt, dass nach<br />

den Umständen nicht ein unerhebliches Ergebnis erwartet werden<br />

kann.“<br />

Zwei Jahre später wurde mittels einer weiteren Verordnung 401 die Vornahme<br />

der Leichenöffnung zu gerichtlichen oder sanitätspolizeilichen Zwecken<br />

konkretisiert:<br />

„Besteht bereits der Verdacht, dass ein unnatürlicher Todesfall in einer<br />

strafbaren Handlung seinen Gr<strong>und</strong> habe, oder erhellet doch aus der<br />

ersten Erhebung, <strong>und</strong> bei der vorläufigen äußeren Leichenbeschau<br />

durch die politische Behörde, nicht schon mit voller Gewissheit, daß der<br />

Tod durch bloßen Zufall oder durch Selbstentleibung herbeigeführt<br />

wurde, so hat die politische Behörde, sofern sie nicht nach § 13 der<br />

Strafproceß-Ordnung wegen Gefahr im Verzuge die Stelle des<br />

Untersuchungsgerichtes zu vertreten hat, die Leichenöffnung nicht<br />

vorzunehmen, sondern den Fall, gemäß § 2 der Verordnung vom 28.<br />

Jänner 1855, Nr 26 des Reichs-Gesetz-Blattes, unverzüglich dem<br />

competenten Strafgerichte zur Amtshandlung anzuzeigen.“<br />

Durch diese Verordnungen war der Arzt bei der Totenbeschau <strong>von</strong><br />

bedenklichen Todesfällen, die den Verdacht auf Fremdverschulden aufkommen<br />

ließen, zur Anzeige verpflichtet. 402 Daraus entwickelte sich § 359 StG, der über<br />

120 Jahre in Kraft war.<br />

401 RGBl 1857/73.<br />

402 ErläutRV 1587 BlgNR 13. GP 5.<br />

104


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.2.1. <strong>Die</strong> Regelung des § 359 StG<br />

Das StG <strong>von</strong> 1852 sah in § 359 StG erstmals eine strafrechtliche Verankerung der<br />

ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> vor.<br />

§ 359 StG 403 : „Ärzte, W<strong>und</strong>ärzte, Apotheker, Hebammen <strong>und</strong><br />

Totenbeschauer sind in jedem Falle, wo immer eine Krankheit, eine<br />

Verw<strong>und</strong>ung, eine Geburt oder ein Todesfall vorkommen, bei welchem<br />

der Verdacht eines Verbrechens, oder Vergehens, oder überhaupt einer<br />

durch andere herbeigeführte gewaltsamen Verletzung eintritt,<br />

verpflichtet, der Behörde da<strong>von</strong> unverzüglich die Anzeige zu machen.<br />

<strong>Die</strong> Unterlassung dieser Anzeige wird als Übertretung mit einer<br />

Geldstrafe bis zu 2.500 Schilling geahndet.“<br />

<strong>Die</strong>se Bestimmung war bis Ende 1974 gültig <strong>und</strong> sah eine sehr umfassende<br />

unverzügliche <strong>Anzeigepflicht</strong> vor, was zu einer großen Zahl an Anzeigen führte, da<br />

auch leichtgradige Verletzungen, bei denen der Verdacht eines Verbrechens oder<br />

Vergehens vorlag, angezeigt werden mussten. Ein Verstoß dagegen wurde<br />

gerichtlich geahndet. Bei einer <strong>von</strong> Bauer 404 erwähnten OGH Entscheidung aus<br />

dem Jahr 1904, brachte ein praktischer Arzt aus der Steiermark Kratzw<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

eine Rippenfraktur nach einem Raufhandel nicht zur Anzeige <strong>und</strong> wurde zu einer<br />

Geldstrafe <strong>von</strong> 10 Kronen verurteilt. Auch Verletzungen, die sich aus unfreiwilligen<br />

sexuellen Handlungen ergaben, wie zB der blutige Einriss des Hymens als Folge<br />

eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs gegen den Willen der Frau, waren<br />

anzeigepflichtig. 405<br />

403 Kaniak, Das österreichische Strafgesetz 6 (1969) § 359.<br />

404 Bauer, ÖJZ 1986, 719.<br />

405 Bauer, ÖJZ 1986, 719.<br />

105


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.2.2. § 27 ÄrzteG 1984<br />

Durch das StGB 1975 wurde die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> iSd § 359 StG aus der<br />

Materie des Strafrechts gestrichen, <strong>und</strong> deutlich reduziert in das Gebiet der<br />

ärztlichen Standespflichten verlagert. Zentrale Bestimmung war<br />

§ 27 Ärzte 1984 406 , der dem früheren § 10 a ÄrzteG 407 entsprach. 408<br />

<strong>Die</strong> Ursache dafür erklärte ein Erlass des BM für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Umweltschutz vom 28.01.1985 409 . <strong>Die</strong> alte Rechtslage sah in § 359 StG eine, wie<br />

bereits erwähnt, sehr umfassende <strong>Anzeigepflicht</strong> für Ärzte vor. Das führte zu einer<br />

überhäuften Zahl an Anzeigen. Seitens der Ärzteschaft <strong>und</strong> der Krankenanstalten<br />

wurden auch bloß geringfügige Verletzungen <strong>und</strong> Fälle, bei denen <strong>von</strong> vornherein<br />

keine Anzeichen für ein Fremdverschulden bestanden, angezeigt. Deswegen<br />

wurde die Bestimmung nicht ins StGB 1975 übernommen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> musste sichergestellt werden, dass es inhaltlich<br />

gleichzusetzende Regelungen gab. Bezüglich bedenklicher Todesfälle existierte<br />

auf b<strong>und</strong>esgesetzlicher Ebene die oben angesprochenen Verordnungen <strong>und</strong> auf<br />

landesgesetzlicher Ebene Bestimmungen über das Leichen- <strong>und</strong><br />

Bestattungswesen. Vor allem die Totenbeschau <strong>und</strong> die <strong>Anzeigepflicht</strong> der<br />

Totenbeschauer war iZm der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> Behörden <strong>und</strong> öffentlichen Ämtern<br />

in § 84 StPO aF geregelt. Für Verletzungen fehlte durch das Außerkrafttreten der<br />

Bestimmung nach § 359 StG eine gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige. Durch<br />

diesen Entfall war es nicht auszuschließen, dass eine Reihe <strong>von</strong> Handlungen,<br />

deren Verfolgung im Interesse der Strafrechtspflege geboten war, nicht mehr<br />

bekannt wurde. Es war nur daran zu denken, dass vor allem Fälle, bei denen eine<br />

enge Beziehung zwischen Täter <strong>und</strong> Opfer bestand, wie das zB bei Verletzungen,<br />

die im Rahmen eines familiären Umfelds begangen wurden, der Fall ist, nicht<br />

angezeigt wurden. Um dem vorzubeugen wurde eine der Regelung nach<br />

406 BGBl 1984/373 (Wiederverlautbarung des ÄrzteG).<br />

407 BGBl 1975/425.<br />

408 Bauer, ÖJZ 1986, 719.<br />

409 ZI.IV-51.101/32-2/84 in Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, Ärztegesetz mit<br />

Kommentar 3 (1988) 360.<br />

106


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

§ 359 StG entsprechende Bestimmung – allerdings auf schwerwiegende Fälle<br />

eingeschränkt 410 – ins ÄrzteG aufgenommen. <strong>Die</strong> ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> sollte<br />

sich auf schwerwiegende strafbare Handlungen gegen Leib <strong>und</strong> Leben iSd §§ 75<br />

bis 95 StGB beschränken. 411<br />

§ 27 ÄrzteG 1984, eingeführt durch BGBl 1984/373 <strong>und</strong> später durch<br />

BGBl I 1998/169 wieder aufgehoben lautete:<br />

„Jeder Arzt ist verpflichtet, wenn er in Ausübung seines Berufes<br />

Anzeichen dafür feststellt, dass durch eine gerichtlich strafbare<br />

Handlung der Tod oder die schwere Körperverletzung<br />

(§ 84 Abs. 1 Strafgesetzbuch - StGB, BGBl. Nr. 60/1974) eines<br />

Menschen herbeigeführt worden ist, oder dass durch das Quälen oder<br />

Vernachlässigen eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen<br />

(§ 92 StGB) dieser am Körper verletzt oder an der Ges<strong>und</strong>heit<br />

geschädigt worden ist (§ 83 Abs. 1 StGB), unverzüglich der<br />

Sicherheitsbehörde die Anzeige darüber zu erstatten.“<br />

<strong>Die</strong> entkriminalisierte Form des § 27 Ärzte 1984 verpflichtete jeden Arzt zu<br />

einer unverzüglichen Anzeige an die Sicherheitsbehörden, wenn ihm in Ausübung<br />

seines Berufs, Anzeichen für eine schwere Körperverletzung oder den Tod eines<br />

Menschen, oder das Quälen oder Vernachlässigen eines Unmündigen,<br />

Jugendlichen oder Wehrlosen, wodurch dieser am Körper verletzt oder an der<br />

Ges<strong>und</strong>heit geschädigt worden ist, bekannt wurde. 412<br />

410 In der ursprünglichen RV zur Ärztegesetznovelle 1975 (RV 1587 BlgNR 13. GP) lautete<br />

§ 10 a ÄrzteG: „Jeder Arzt ist verpflichtet, wenn er in Ausübung seines Berufs Anzeichen<br />

einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen Leib <strong>und</strong> Leben feststellt, unverzüglich der<br />

Sicherheitsbehörde die Anzeige darüber zu erstatten.“ <strong>Die</strong>se, nicht in Rechtskraft<br />

erwachsende RV, die auf alle gerichtlich strafbaren Handlungen abgestellt hatte, wurde<br />

vom parlamentarischen Ausschuss (AB 1660 BlgNR 13. GP) dahingehend<br />

eingeschränkt, dass nicht mehr alle strafbaren Handlungen gegen Leib <strong>und</strong> Leben <strong>von</strong><br />

der <strong>Anzeigepflicht</strong> erfasst wurden, sondern nur noch schwerwiegende Straftaten, an<br />

deren Verfolgung ein besonders öffentliches Interesse bestand. Vgl Pollak, <strong>Die</strong><br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 27 ÄrzteG, ÖÄZ 1985 H 17, 32 (32 f); Steiner, <strong>Anzeigepflicht</strong>,<br />

Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H 1, 15 (16).<br />

411 Vgl ErläutRV 1587 BlgNR 13. GP 5; Bauer, ÖJZ 1986, 720; Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 32.<br />

412 Schick in FS Moos 307.<br />

107


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Schwere Verletzungen <strong>und</strong> den Tod eines Menschen musste der Arzt ohne<br />

Ausnahme, unabhängig da<strong>von</strong>, aus welcher strafbaren Handlung (ob aus einem<br />

Fahrlässigkeits- oder Vorsatzdelikt usw) der Erfolg resultierte, anzeigen. Für<br />

leichte Verletzungen bestand im Unterschied zur vorigen Regelung nach<br />

§ 359 StG keine generelle <strong>Anzeigepflicht</strong>. 413<br />

Nicht ganz eindeutig war die Bestimmung allerdings bezüglich Unmündiger,<br />

Jugendlicher <strong>und</strong> Wehrloser. Hier wurde auf die Erfüllung der<br />

Tatbestandsmerkmale des § 92 StGB abgestellt. 414 Dabei war aber zu beachten,<br />

dass nach § 92 StGB nur Täter sein kann, wem die Fürsorge oder Obhut über den<br />

Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen obliegt. Somit unterlag der Arzt bei<br />

leichten Verletzungen eines besonders Schutzwürdigen nur dann der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 27 Ärzte 1984, wenn der Täter zum Opfer in einem<br />

Autoritätsverhältnis stand. Fehlte dieses Autoritätsverhältnis oder handelte es sich<br />

bei dem Opfer um einen Erwachsenen, nicht wehrlosen Menschen, bestand bei<br />

leichten Verletzungen keine Pflicht zur Anzeige für den Arzt. Weiters konnte<br />

daraus abgeleitet werden, dass andere leichte Verletzungen, die nicht dem<br />

Tatbestand des § 92 StGB entsprachen, sondern die zB aus einem Beischlaf mit<br />

Unmündigen oder aus dem Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses gem § 212<br />

StGB folgten, auch nicht der <strong>Anzeigepflicht</strong> unterlagen. 415<br />

<strong>Die</strong>se Unvollständigkeit wurde mit dem fehlenden öffentlichen Interesse<br />

erklärt, das der parlamentarische Ausschuss in seinem Bericht 416 fordert, um eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> auszulösen. Bagatellfälle sollten nunmehr <strong>von</strong> einer <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

ausscheiden. 417<br />

<strong>Die</strong>se Ansicht hinterfragte Bauer 418 zutreffend, indem er versuchte die Höhe<br />

der Strafdrohung als einen Gradmesser des erwähnten öffentlichen Interesses zu<br />

sehen. Er gibt als Beispiel für eine schwere Körperverletzung eine fahrlässig<br />

413 Bauer, ÖJZ 1986, 719; Schick in FS Moos 307.<br />

414 Siehe Kapitel 3.1.<br />

415 Bauer, ÖJZ 1986, 720; Schick in FS Moos 307.<br />

416 AB 1660 BlgNR 13. GP.<br />

417 Bauer, ÖJZ 1986, 720; Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H 1, 16.<br />

418 Bauer, ÖJZ 1986, 720.<br />

108


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

herbeigeführte Nasenbeinfraktur mit Verschiebung der Bruchstücke an, die als<br />

schwere Körperverletzung vom Arzt der Behörde anzuzeigen war <strong>und</strong> eine relativ<br />

geringe Strafdrohung (zum damaligen Zeitpunkt eine Freiheitsstrafe bis zu sechs<br />

Monaten) vorsah. Als leichte Körperverletzung führt er Verletzungen in Folge einer<br />

strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität <strong>und</strong> Selbstbestimmung nach<br />

dem XX Abschnitt des Besonderen Teils des StGB an, der wesentlich höhere<br />

Strafdrohungen vorsieht. Wenn es sich zB bei diesen leichten Verletzungen um<br />

eine Defloration einer Minderjährigen handelt, war auf Gr<strong>und</strong> der Tatsache, dass<br />

es keine schwere Verletzung war, kein öffentliches Interesse gegeben. Obwohl die<br />

Strafdrohung höher war, war der Arzt jedoch zu keiner Anzeige verpflichtet. Anders<br />

war die Situation allerdings, wenn zwischen Täter <strong>und</strong> Opfer ein<br />

Autoritätsverhältnis iSd § 92 StGB bestand oder die Tat eine schwere<br />

Körperverletzung zu Folge hatte – dann unterlag der Arzt sehr wohl einer<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong>.<br />

Somit konnte festgehalten werden, dass die Höhe der Strafdrohung kein<br />

ausreichender Gradmesser zur Definition des öffentlichen Interesses war.<br />

Deswegen stellte Bauer 419 zutreffend fest, dass nicht allein der Umfang des<br />

Schadens ausschlaggebend sein durfte, sondern auch unsichtbare Folgen <strong>und</strong> der<br />

hohe Unwertcharakter <strong>von</strong> Sexualdelikten berücksichtigt werden musste.<br />

Schließlich führt auch Schick 420 zutreffend an, dass § 27 ÄrzteG 1984 keine<br />

Norm war, die ausschließlich dem öffentlichen Interesse der Strafverfolgung<br />

verpflichtet war, sondern, dass der ursprünglich bedachte Schutzzweck der<br />

Norm 421 , nämlich die Gewährung der Sicherheit <strong>von</strong> Leben <strong>und</strong> körperliche<br />

Integrität auch <strong>von</strong> Relevanz war. § 27 ÄrzteG 1984 sollte den Arzt dazu<br />

verpflichten auch die körperliche Integrität <strong>und</strong> das Leben der Patienten zu<br />

schützen.<br />

419 Bauer, ÖJZ 1986, 720.<br />

420 Schick in FS Moos 308.<br />

421 § 359 StG war im 8. Hauptstück des BT geregelt, der „Von den Vergehen <strong>und</strong><br />

Übertretungen gegen die Sicherheit des Lebens“ handelte.<br />

109


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Insgesamt konnte jedoch <strong>von</strong> einer Einschränkung der gesetzlichen<br />

Verpflichtung des Arztes zur Anzeige <strong>von</strong> Verletzungen gesprochen werden.<br />

Bauer 422 ging soweit, dass er dem Gesetzgeber eine weitgehende – wenn auch<br />

unbewusste – Aufhebung der <strong>Anzeigepflicht</strong> im Bereich der Sexualdelikte vorwarf.<br />

<strong>Die</strong>sbezüglich sei aber nicht zu vergessen, dass durch die nicht vollständige<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> das Recht des Arztes (nach § 80 StPO), in jenen Fällen eine<br />

Anzeige zu erstatten, nicht ausgeschlossen war. 423 Wenn es auch einer<br />

erwachsenen Frau freigestellt sein soll, ob sie eine Vergewaltigung anzeigt, muss<br />

aber gerade bei besonders schutzwürdigen Personengruppen wie zB<br />

Minderjährigen darauf geachtet werden, dass in ihrem Wohl <strong>und</strong> zur Abwendung<br />

weiterer Gefahr gehandelt wird.<br />

Eine weitere Einschränkung erfuhr die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> dadurch, dass<br />

Anzeigen gem § 27 ÄrzteG 1984 nur noch an Sicherheitsbehörden (also nicht an<br />

Gerichte oder Staatsanwaltschaften) zu erstatten waren. 424 Dh der Arzt musste<br />

keinen Verdacht gegenüber einem bestimmten Täter hegen, sondern konnte es<br />

den Organen der Sicherheitsbehörden überlassen, dies herauszufinden um es erst<br />

nach einer sachlichen Überprüfung an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. 425<br />

<strong>Die</strong> Anzeige hatte unverzüglich zu erfolgen <strong>und</strong> war an keine<br />

Formvorschriften geb<strong>und</strong>en. Allerdings war es aus Beweisgründen<br />

empfehlenswert die Anzeige schriftlich zu erstatten. 426<br />

Zusammengefasst war die gr<strong>und</strong>sätzlich als streng gedachte <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

nach § 27 ÄrzteG 1984 nicht zufriedenstellend <strong>und</strong> war vor allem hinsichtlich<br />

Sexualdelikten <strong>und</strong> strafbaren Handlungen iZm Unmündigen, Jugendlichen <strong>und</strong><br />

Wehrlosen novellierungsbedürftig. Für den Arzt stellte sich das oft sehr schwierige<br />

Problem, einer juristischen Abwägung zwischen schwerer <strong>und</strong> leichter<br />

Körperverletzung, um dem Gesetz zu entsprechen. Allerdings brachte die<br />

422 Bauer, ÖJZ 1986, 720.<br />

423 Dabei darf allerdings die ärztliche Verschwiegenheit nicht außer Acht gelassen werden.<br />

424 Schwamberger, Ärztegesetz 1984 (1995) § 27 Anm I.<br />

425 Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, Ärztegesetz 3 , 126 iVm 360.<br />

426 Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 34, 37; Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H<br />

1, 15.<br />

110


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Gesetzesänderung auch eine Erleichterung mit sich, da nicht mehr jeder<br />

Bagatellfall zur Anzeige gebracht werden musste. 427 Auch die Sanktionen eines<br />

Verstoßes gegen die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> wiesen auf eine weniger strenge<br />

Handhabung hin, da dem Arzt ausschließlich disziplinäre Folgen drohten. Der Arzt<br />

sollte bei Nichterstattung einer Anzeige nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen<br />

rechnen müssen. 428 Erst ab 1996 sah das Gesetz, bei einem Verstoß gegen die<br />

ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong>, die Möglichkeit einer Verwaltungsstrafe vor.<br />

6.2.3 § 54 ÄrzteG 1998<br />

<strong>Die</strong> Bestimmung des § 27 ÄrzteG 1984 wurde 1998 aufgehoben <strong>und</strong> mit dem<br />

BGBl I 1998/169 in § 54 ÄrzteG 1998 im Rahmen der ersten ÄrzteG Novelle<br />

komplett erneuert.<br />

§ 54 ÄrzteG idF BGBl I 1998/169:<br />

(4) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der<br />

Verdacht, dass<br />

1. durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die<br />

Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt, oder<br />

2. ein Minderjähriger oder sonst eine Person, die ihre Interessen nicht<br />

selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt<br />

oder sexuell missbraucht worden ist, so ist er ermächtigt, hierüber<br />

persönlich Betroffenen oder Behörden oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen<br />

Mitteilung zu machen, sofern das Interesse an dieser Mitteilung das<br />

Geheimhaltungsinteresse überwiegt.<br />

(5) In den Fällen, in denen sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes<br />

der Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der<br />

Tod oder die schwere Körperverletzung eines Menschen<br />

herbeigeführt worden ist, hat der Arzt der Sicherheitsbehörde<br />

unverzüglich Anzeige zu erstatten, es sei denn, die Anzeige würde in<br />

427 Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 37.<br />

428 Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H1, 16; Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 33.<br />

111


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

den Fällen schwerer Körperverletzung eine therapeutische Tätigkeit<br />

beeinträchtigen, deren Wirksamkeit eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf; im letztgenannten Fall hat er die<br />

betroffene Person über bestehende anerkannte<br />

Opferschutzeinrichtungen zu informieren. <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> entfällt<br />

weiters nicht, wenn die schwere Körperverletzung im Rahmen der<br />

ärztlichen Tätigkeit eines anderen Arztes herbeigeführt worden ist.<br />

(6) In den Fällen des Abs. 4 Z 2 hat der Arzt, sofern dies zur<br />

Verhinderung einer weiteren erheblichen Gefährdung des Wohls der<br />

betroffenen Person erforderlich ist, Meldung zu erstatten:<br />

1. hinsichtlich Minderjähriger gegenüber dem zuständigen<br />

Jugendwohlfahrtsträger,<br />

2. hinsichtlich sonstiger Personen, die ihre Interessen nicht selbst<br />

wahrzunehmen vermögen, gegenüber dem Pflegschaftsgericht.<br />

Hintergr<strong>und</strong> für diese Gesetzesänderung war die Novellierung der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> in § 84 StPO aF, die eine wesentliche Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong>,<br />

nämlich bei Vorliegen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses, vorsah. <strong>Die</strong><br />

erneuerte ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 54 ÄrzteG 1998 war eine Angleichung an<br />

die StPO. 429<br />

In dieser Neuregelung differenzierte der Gesetzgeber zwischen einer in<br />

Abs 4 vorgesehenen Meldeerlaubnis <strong>und</strong> einer <strong>Anzeigepflicht</strong> nach Abs 5 <strong>und</strong> 6<br />

des § 54 ÄrzteG 1998.<br />

429 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 82, 95.<br />

112


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.2.3.1. Ermächtigung zur Mitteilung<br />

Ergab sich für den Arzt der Verdacht, dass durch eine gerichtlich strafbare<br />

Handlung der Tod oder eine Körperverletzung 430 eines Menschen herbeigeführt<br />

wurde, sowie der Verdacht, dass ein Minderjähriger oder eine Person, die ihre<br />

Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält,<br />

vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist, bestand nach<br />

§ 54 Abs 4 ÄrzteG 1998 eine Ermächtigung, persönlich Betroffenen oder<br />

Behörden oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen, Mitteilung zu machen. Voraussetzung<br />

war, dass dieses Mitteilungsinteresse gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse<br />

überwog.<br />

Bei den Begriffen „misshandeln“, „quälen“, „vernachlässigen“ oder „sexuell<br />

missbrauchen“ wurde nicht mehr akzessorisch auf die Straftatbestände des StGB<br />

abgestellt, auch wenn sie Anhaltspunkte für die Interpretation darstellten. So waren<br />

die Regelungen über das Quälen <strong>und</strong> Vernachlässigen nach § 92 StGB <strong>und</strong> die<br />

verschiedenen Bestimmungen hinsichtlich der sexuellen Integrität, vor allem §§<br />

206 <strong>und</strong> 207 StGB, <strong>von</strong> Relevanz. 431 Aber auch die RV 432 versuchte einen<br />

Anhaltspunkt zu geben <strong>und</strong> definierte Vernachlässigung mit der „Außerachtlassung<br />

der lebensnotwendigen Bedürfnisse des Minderjährigen“.<br />

Der Arzt war ermächtigt, bei Vorliegen der erwähnten Voraussetzungen,<br />

persönlich Betroffenen, Behörden oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen, Mitteilung<br />

über die Verletzung oder Misshandlung zu erteilen.<br />

Persönlich betroffene Personen sind zwar in erster Linie das Opfer <strong>und</strong> der<br />

Täter – sie konnten mit der Formulierung jedoch logischerweise nicht gemeint sein,<br />

da sie ohnehin Bescheid wissen. 433 Vielmehr waren Personen gemeint, die in<br />

430 Dabei war es unerheblich, ob es sich um eine leichte oder schwere Körperverletzung<br />

handelte. Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 71.<br />

431 Stolzlechner, RdM 2000, 71.<br />

432 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 96.<br />

433 Hochmayr/Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>,<br />

Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten beim Verdacht des sexuellen Kindesmissbrauchs,<br />

113


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

einem persönlichen Nahe- <strong>und</strong> Vertrauensverhältnis zur verletzten oder<br />

misshandelten Person standen. Darunter fielen gesetzliche Vertreter eines Kindes,<br />

wie zB seine Eltern, weitere Familienangehörige, wie zB Großeltern <strong>und</strong> sonstige<br />

Personen, wie zB Lebensgefährten eines Elternteils. 434 Hochmayr/Schmoller 435<br />

erweiterten den Begriff „persönlich Betroffene“ <strong>und</strong> bezogen auch dritte Personen,<br />

die kein Nahe- oder Vertrauensverhältnis zum Opfer haben, mit ein. Das konnte<br />

etwa dann der Fall sein, wenn der begründete Verdacht bestand, dass noch<br />

andere Opfer <strong>von</strong> den (sexuellen) Handlungen betroffen waren, die nicht zum<br />

familiären Umkreis gehörten.<br />

<strong>Die</strong> Ermächtigung zur Mitteilung bestand gegenüber Behörden <strong>und</strong><br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen. Zur diesbezüglichen Abgrenzung siehe Kapitel 4.3.1.<br />

<strong>Die</strong> Ermächtigung des Arztes zur Mitteilung bestand aber nur dann, wenn das<br />

Interesse an dieser Mitteilung gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse<br />

überwog, wobei diese Interessenabwägung im Ermessen des Arztes stand, der die<br />

Situation im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen hatte. Hochmayr/Schmoller 436 geben<br />

Hinweise, wann ein überwiegendes Mitteilungsinteresse anzunehmen war. Das<br />

war vor allem dann der Fall, wenn die Mitteilung zur Abwendung <strong>von</strong> Gefahren für<br />

höherwertige Rechtsgüter, wie zB Leib, Leben <strong>und</strong> die sexuelle Integrität <strong>von</strong><br />

Minderjährigen bzw Wehrlosen, erforderlich war. Aber auch wenn die Situation<br />

eines rechtfertigenden Notstandes vorlag, konnte ein Überwiegen des<br />

Mitteilungsinteresses angenommen werden. Dabei war jedoch nicht zu übersehen,<br />

dass der zu befürchtende Nachteil in der Situation eines rechtfertigenden<br />

Notstandes „unmittelbar“ drohen musste. <strong>Die</strong> Ermächtigung zur Mitteilung nach<br />

§ 54 Abs 4 ÄrzteG 1998 ging somit über Notstandsfälle hinaus, da der zu<br />

befürchtende Nachteil nicht unmittelbar drohen musste. Weiters war es auch<br />

möglich eine Mitteilung wegen öffentlicher Interessen, wie zB Interessen der<br />

Rechtspflege, zu erstatten.<br />

in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt (Hrsg), Sexueller Missbrauch <strong>von</strong> Kindern (2000) 15<br />

(18).<br />

434 Stolzlechner, RdM 2000, 71.<br />

435 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 18 FN 5.<br />

436 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 17 f.<br />

114


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Es stellt sich daher die berechtigte Frage, in welcher Form ein Opfer bzw<br />

misshandeltes Kind ein Interesse an der Geheimhaltung der wahren Ursache der<br />

Verletzung oder Misshandlung haben kann. Hochmayr/Schmoller 437 weisen<br />

diesbezüglich auf die möglicherweise negativen Konsequenzen einer Offenbarung<br />

iS einer öffentlichen Stigmatisierung des Kindes als Missbrauchs- bzw<br />

Misshandlungsopfers hin. Eine Geheimhaltung oder eine Mitteilung musste im<br />

Einzelfall durch die Interessen des Kindes selbst gerechtfertigt sein. So war es zB<br />

gerechtfertigt, wenn der Arzt einen Angehörigen zum Schutz des Kindes vor einer<br />

weiteren Misshandlung informiert. Es darf allerdings nicht außer Acht gelassen<br />

werden, dass in den Fällen, in denen gem § 54 Abs 6 ÄrzteG 1998 eine Meldung<br />

an den Jugendwohlfahrtsträger erstattet wurde, möglicherweise schon durch diese<br />

Verständigung dem Mitteilungsinteresse Rechung getragen wurde, <strong>und</strong> es nicht<br />

erforderlich war, weitere Personen zu informieren. Zu weiteren Überlegungen der<br />

Vor- <strong>und</strong> Nachteile einer Anzeigenerstattung siehe Kapitel 10.1. <strong>und</strong> 10.4.<br />

Generell war die Tendenz zu spüren, dass in erster Linie unterstützende<br />

öffentliche Einrichtungen <strong>und</strong> das gesellschaftliche Umfeld des Opfers informiert<br />

werden sollten <strong>und</strong> weniger die Sicherheitsbehörden. Es sollte verstärkt auf den<br />

Schutz des Kindes Rücksicht genommen werden. 438<br />

6.2.3.2. <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Zur unverzüglichen Anzeige an die Sicherheitsbehörden war der Arzt gem<br />

§ 54 Abs 5 ÄrzteG 1998 nur bei Verdacht, einer gerichtlichen strafbaren Handlung,<br />

die zum Tod eines Menschen geführt hatte, verpflichtet. Das wurde damit<br />

begründet, dass in diesen Fällen nicht <strong>von</strong> einem Vertrauensverhältnis zwischen<br />

Arzt <strong>und</strong> (verstorbenen) Patienten auszugehen war, welches durch eine<br />

Verschwiegenheitspflicht zu schützen wäre. 439<br />

437 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt, 18.<br />

438 Stolzlechner, RdM 2000, 72.<br />

439 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 95.<br />

115


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Unverzüglich ist eine Anzeige dann, wenn sie ohne begründeten Verzug<br />

erstattet wird. 440<br />

Bezüglich des Verdachts einer schweren Körperverletzung war der Arzt nur<br />

dann zur unverzüglichen Anzeige an eine Sicherheitsbehörde verpflichtet, „wenn<br />

die Anzeige nicht eine therapeutische Tätigkeit beeinträchtigt, deren Wirksamkeit<br />

eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf.“ Das galt unabhängig<br />

da<strong>von</strong>, ob das Opfer eine volljährige, eine minderjährige Person oder eine Person<br />

war, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen konnte. <strong>Die</strong>se Ausnahme der<br />

ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> war, wie erwähnt, auf die Novellierung der<br />

Strafprozessänderung 1993 zurückzuführen, die feststellte, dass Gr<strong>und</strong>lage jeder<br />

Beratungs- <strong>und</strong> Betreuungstätigkeit ein persönliches Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Arzt <strong>und</strong> Patient ist. In Fällen, bei denen eine Anzeige eine amtliche<br />

Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf, kann <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand genommen<br />

werden. Vgl § 84 Abs 2 Z 1 StPO idF BGBl 1993/526. Insbesondere ist dabei an<br />

psychosoziale Einrichtungen zu denken. <strong>Die</strong> RV 441 des StPRÄG 1993 führt dazu<br />

vor allem Mitarbeiter <strong>von</strong> Jugendwohlfahrtsbehörden, Sozial-, Familien-,<br />

Suchtgiftberatungsstellen, Lehrer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwälte <strong>und</strong> Schulärzte an.<br />

IdZ wurde erkannt, dass die Erforderlichkeit einer Intervention <strong>und</strong> der Erstattung<br />

einer Anzeige im Einzelfall in erster Linie eher an fachlich-therapeutischen als an<br />

juristischen Kriterien zu messen ist. Es ist nicht möglich eine strikte<br />

Handlungsanleitung zu geben, da sich jeder Fall vom anderen unterscheidet.<br />

Oberstes Ziel muss jedoch der Schutz der betroffenen Person, vor weiteren<br />

Angriffen auf ihre psychische oder physische Integrität, sein. 442<br />

Unabhängig da<strong>von</strong>, musste jede schwere Körperverletzung, die im Rahmen<br />

der ärztlichen Tätigkeit eines anderen Arztes herbeigeführt worden ist, angezeigt<br />

werden. 443<br />

440 Stolzlechner, RdM 2000, 72.<br />

441 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

442 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 95; vgl Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-<br />

Dahrenstaedt 19 f; Stolzlechner, RdM 2000, 72 f.<br />

443 Interessant ist hierbei, dass die <strong>Anzeigepflicht</strong> unbedingt bestehen bleibt, auch wenn der<br />

Arzt, der zB im Zuge eines Behandlungsfehlers eine schwere Körperverletzung<br />

116


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Bezüglich leichten Körperverletzungen unterlag der Arzt weder bei<br />

volljährigen noch bei minderjährigen Opfern bzw Personen, die ihre Interessen<br />

nicht selbst wahrnehmen konnten, einer Pflicht zur Anzeige.<br />

Eine besondere Regelung betreffend Minderjährige oder Personen, die ihre<br />

Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermögen, sah § 54 Abs 6 ÄrzteG 1998<br />

vor. Wenn nämlich eine dieser Personen misshandelt, gequält, vernachlässigt<br />

oder sexuell missbraucht wurde, musste der Arzt zur Verhinderung einer<br />

weiteren erheblichen Gefährdung des Wohls der betroffenen Person Meldung an<br />

den Jugendwohlfahrtsträger bzw an das Pflegschaftsgericht erstatten. <strong>Die</strong>se<br />

Meldepflicht war der Ersatz für die diesbezüglich entfallene <strong>Anzeigepflicht</strong> des<br />

Arztes. 444<br />

Dadurch war in Fällen des Verdachts einer Kindesmisshandlung erstmals<br />

eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger vorgesehen. <strong>Die</strong>se<br />

Vorgehensweise wurde für sinnvoller erachtet, um das Kindeswohl zu schützen,<br />

als sich an einem primären Strafverfolgungsinteresse zu orientieren. 445<br />

Bei schweren Verletzungen hatte der Arzt das Opfer gem<br />

§ 54 Abs 5 Ärzte 1998 über Opferschutzeinrichtungen zu informieren. Darunter<br />

werden die durch das Gewaltschutzgesetz (BGBl 1996/759) geschafften<br />

Einrichtungen, die auf der Basis des SPG vom Gewaltpräventionsbeirat im BMI<br />

anerkennt worden sind <strong>und</strong> uU auch gefördert werden, wie zB Interventionsstellen<br />

verstanden. 446<br />

herbeigeführt hat, zu einer schadensbereinigenden Maßnahme wie zB der Zahlung einer<br />

Entschädigung bereit ist <strong>und</strong> die verletzte Person dazu zustimmt. Wenn man<br />

diesbezüglich § 45 Abs 4 Z 2 BDG <strong>und</strong> § 84 Abs 2 Z 2 StPO vergleicht, stellt man fest,<br />

dass die dort normierte <strong>Anzeigepflicht</strong> entfallen kann, wenn hinreichend Gründe für die<br />

Annahme vorliegen, dass die Strafbarkeit binnen kurzem durch schadensbereinigende<br />

Maßnahmen entfallen wird. Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 73 FN 35; Stellamor/Steiner,<br />

Handbuch des österreichischen Arztrechts I (1999) 180.<br />

444 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 21; ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP<br />

82.<br />

445 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 96.<br />

446 Interventionsstellen sind private, öffentlich finanzierte Einrichtungen, die zur Beratung<br />

<strong>und</strong> entsprechender Soforthilfe für Gewaltopfer geschaffen worden sind <strong>und</strong> <strong>von</strong> sich aus<br />

tätig werden. Sie zeigen den Opfern die Möglichkeit zivil- <strong>und</strong> strafrechtlicher<br />

Vorgehensweisen auf <strong>und</strong> verbessern die Koordination der bestehenden<br />

Hilfseinrichtungen. Mottl, ÖJZ 1997, 548; Haller, Gewalt gegen Frauen <strong>und</strong> Kinder im<br />

117


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Zusammenfassend wird festgestellt, dass mit der 1. ÄrzteG Novelle 1998<br />

eine wesentliche Lockerung der <strong>Anzeigepflicht</strong> erreicht wurde <strong>und</strong> im Bereich der<br />

Kindesmisshandlung, abgesehen <strong>von</strong> schweren Körperverletzungen oder dem Tod<br />

als Folge, gr<strong>und</strong>sätzlich keine Verpflichtung zur Anzeige gegeben ist. Allerdings<br />

war erstmals eine Einbeziehung des Jugendwohlfahrtsträgers vorgesehen, die<br />

jedoch nicht zwingend, sondern nur im Interesse des Kindeswohls zu geschehen<br />

hatte. Konnte im Einzelfall eine Lösung im Interesse des Kindeswohls – ohne<br />

Einschaltung der Behörde erzielt werden <strong>und</strong> war eine Gefährdung des<br />

Kindeswohls nicht mehr zu befürchten, war es nicht auszuschließen, dass eine<br />

Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger uU kontraproduktiv sein konnte. In diesen<br />

Fällen sollte <strong>von</strong> einer Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger Abstand<br />

genommen werden. 447 Wurde Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger erstattet,<br />

musste dieser allerdings in Einklang mit § 84 Abs 1 <strong>und</strong> 2 StPO aF handeln,<br />

woraus sich uU eine Kollision der Handlungspflichten ergeben konnte.<br />

In einer Gerichtsaktenanalyse zeigt Pelikan 448 , dass die Änderung des<br />

ÄrzteG 1998 durchaus sinnvoll war. Durch einen österreichweiten Vergleich<br />

sämtlicher Akten aus dem Jahr 1998 vor der Gesetzesänderung <strong>und</strong> Akten aus<br />

dem Jahr 1999 nach der Novelle zeigte sich, dass der Prozentsatz der Anklagen<br />

der <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong> bei der Polizei angezeigten Fällen deutlich gestiegen ist. Dabei<br />

kamen im Jahr 1998 32% aller Anzeigen betreffend Kindesmisshandlung <strong>von</strong><br />

Personen aus den Ges<strong>und</strong>heitsberufen. Von diesen Anzeigen kam es bei 17 % zur<br />

Erhebung einer Anklage. Nach der Gesetzesnovelle kamen nur noch 20 % aller<br />

Anzeigen bezüglich Kindesmisshandlung <strong>von</strong> Personen aus den<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufen, was auf die Lockerung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

zurückzuführen war. <strong>Die</strong> Anklagequote dieser Anzeigen war 1999 mit 30 % aber<br />

fast doppelt so hoch. Pelikan begründet diese Veränderung mit der Abnahme <strong>von</strong><br />

Blickwinkel wissenschaftlicher Begleitforschung: Fünf Jahre Gewaltschutzgesetz in<br />

Österreich, ÖA 2002, 200 (202); ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 96;<br />

http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx (16.09.2009).<br />

447 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 82, 96.<br />

448 Pelikan, Über die Reform der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong> in Fällen <strong>von</strong><br />

Kindesmisshandlung <strong>und</strong> sexuellem Kindesmissbrauch, in Hanak (Hrsg), Phänomen<br />

Strafanzeige (Jahrbuch für Recht- <strong>und</strong> Kriminalsoziologie 2003) (2004) 207 (219 ff).<br />

118


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Routineanzeigen, die ohnehin in einer Verfahrenseinstellung enden würden <strong>und</strong><br />

der Konzentration auf gravierende Tatbestände.<br />

<strong>Die</strong>se Neuregelung in § 54 ÄrzteG 1998 wurde <strong>von</strong> einigen als Fortschritt <strong>und</strong><br />

<strong>von</strong> anderen als überschießend 449 angesehen. Mit 2001 erfolgte eine weitere<br />

Novellierung, die das Vertrauensverhältnis in den Hintergr<strong>und</strong> drängte <strong>und</strong> die<br />

Ermächtigung zur Mitteilung des Arztes an persönlich Betroffene oder Behörden<br />

strich. 450 <strong>Die</strong> RV 451 sah eine absolute <strong>Anzeigepflicht</strong> ohne Ausnahme vor. Durch<br />

einen Abänderungsantrag im Ges<strong>und</strong>heitsausschuss 452 wurde dann aber eine<br />

Durchbrechung der <strong>Anzeigepflicht</strong> unter bestimmten Voraussetzungen normiert.<br />

<strong>Die</strong> Novelle ist auf die Einführung des § 84 Abs 2 a StPO idF<br />

BGBl I 2000/108 zurückzuführen. <strong>Die</strong>ser Absatz, der in der heute gültigen Form<br />

des § 78 Abs 3 StPO den Opferschutzgedanken verstärkt <strong>und</strong> klarstellt, dass der<br />

Schutz des Verletzten <strong>und</strong> anderer Personen vor Gefährdung, Vorrang gegenüber<br />

einem Vertrauensverhältnis zwischen dem zur Anzeige Verpflichteten <strong>und</strong> dem<br />

Opfer hat, stellt sozusagen die Ausnahme <strong>von</strong> der Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

dar. Durch die Pflicht zur Anzeige zum Schutz des Opfers, auch wenn der<br />

Ausnahmetatbestand des § 84 Abs 2 StPO aF erfüllt war, wurde das<br />

Vertrauensverhältnis relativiert. <strong>Die</strong> Überschätzung der Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

Fähigkeiten der forensischen Beurteilung durch die beratenden <strong>und</strong> betreuenden<br />

Einrichtungen im Fall des Verdachts einer Kindesmisshandlung sollte minimiert<br />

werden. 453<br />

449 ErläutRV 629 BlgNR 21. GP 39.<br />

450 Aigner/Kierein/Kopetzki (Hrsg), Ärztegesetz 1998 3 (2007) § 54 FN 10.<br />

451 ErläutRV 629 BlgNR 21. GP 12 f.<br />

452 AB 689 BlgNR 21. GP 19; vgl Kletecka-Pulker, RdM 2001, 175.<br />

453 Erlass des BMJ GZ 578.018/2-II.3/2000, 18.<br />

119


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.3. Aktuelle, gültige Fassung des § 54 ÄrzteG<br />

Mit der 2. ÄrzteG Novelle 2001 wurde die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong>, ein weiteres Mal<br />

gr<strong>und</strong>legend erneuert <strong>und</strong> ist in dieser Form bis jetzt gültig. 454<br />

<strong>Die</strong> ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> ist in § 54 Abs 4 bis 6 ÄrzteG geregelt <strong>und</strong> lautet:<br />

(4) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht,<br />

dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine<br />

schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde, so hat der Arzt,<br />

sofern Abs. 5 nicht anderes bestimmt, der Sicherheitsbehörde<br />

unverzüglich Anzeige zu erstatten. Gleiches gilt im Fall des Verdachts,<br />

dass eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst<br />

wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder<br />

sexuell missbraucht worden ist.<br />

(5) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht,<br />

dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder<br />

sexuell missbraucht worden ist, so hat der Arzt Anzeige an die<br />

Sicherheitsbehörde zu erstatten. Richtet sich der Verdacht gegen<br />

einen nahen Angehörigen (§ 166 StGB), so kann die Anzeige so lange<br />

unterbleiben, als dies das Wohl des Minderjährigen erfordert <strong>und</strong> eine<br />

Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger <strong>und</strong><br />

gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an<br />

einer Krankenanstalt erfolgt.<br />

(6) In den Fällen einer vorsätzlich begangenen schweren<br />

Körperverletzung hat der Arzt auf bestehende Opferschutzeinrichtungen<br />

hinzuweisen. In den Fällen des Abs. 5 hat er überdies unverzüglich <strong>und</strong><br />

nachweislich Meldung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu<br />

erstatten.<br />

454 Durch das BGBl I 2006/122 wurde in Abs 4 „die schwere Körperverletzung“ in „eine<br />

schwere Körperverletzung“ geändert.<br />

120


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Mit dieser Gesetzesänderung wird die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> vor allem im<br />

Hinblick auf Fälle mit Todesfolge, schweren Körperverletzungen <strong>und</strong> im Bereich<br />

der Misshandlung, des Quälens, der Vernachlässigung <strong>und</strong> des sexuellen<br />

Missbrauchs <strong>von</strong> Minderjährigen <strong>und</strong> Personen, die ihre Interessen nicht selbst<br />

wahrnehmen können, neu geregelt.<br />

Zuerst einmal ist zu klären, für welchen Arzt die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 54 ÄrzteG gilt. § 54 ÄrzteG befindet sich im 3. Abschnitt des ÄrzteG, der<br />

„Gemeinsame Vorschriften für alle Ärzte“ beinhaltet. Gem § 1 Z 1 ÄrzteG bezieht<br />

sich das ÄrzteG „auf alle Ärzte, die über eine Berufsberechtigung als „Arzt für<br />

Allgemeinmedizin“, „approbierter Arzt“, „Facharzt“ oder „Turnusarzt“ verfügen.“ Es<br />

ist dabei unbeachtlich, ob der Arzt selbständig tätig ist oder seinen Beruf im<br />

Rahmen eines <strong>Die</strong>nstverhältnisses ausübt. 455<br />

Anders formuliert, sind sowohl niedergelassene Ärzte, Ärzte die in einem<br />

öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis oder in einem privatrechtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem sonstigen<br />

Krankenanstaltenträger wie zB einem Orden oder einer Stiftung, stehen,<br />

Adressaten des § 54 ÄrzteG. 456<br />

In B<strong>und</strong>esspitälern stehen Ärzte üblicherweise entweder in einem öffentlichrechtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis, für die das BDG gilt, oder in einem privatrechtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnis (Vertragsbedienstete) unter Anwendung des VBG zum B<strong>und</strong>. In<br />

Landesspitälern sind Ärzte als Landesbeamte oder als Landesvertragsbedienstete<br />

tätig. In Gemeindespitälern sind Ärzte entweder als Gemeindebeamte oder als<br />

Gemeindevertragsbedienstete beschäftigt. 457<br />

Schulärzte sind meist niedergelassene Ärzte, die selbstverständlich auch der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG unterliegen.<br />

455 Vgl Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H 1, 16; Pollak, ÖÄZ 1985 H<br />

17, 33.<br />

456 Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

457 Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

121


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Amtsärzte 458 sind jedoch gem § 41 Abs 4 ÄrzteG <strong>von</strong> der Anwendung des<br />

ÄrzteG ausgenommen, da sie behördliche Aufgaben vollziehen. Sie unterliegen<br />

der Verpflichtung zur Anzeige nach § 78 StPO. Üben sie jedoch neben ihrer<br />

Tätigkeit als Amtsärzte auch eine ärztliche Tätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin,<br />

approbierter Arzt oder Facharzt aus, so unterliegen sie hinsichtlich dieser Tätigkeit<br />

dem ÄrzteG. 459<br />

Ein Arzt unterliegt der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>, bezüglich der Kenntnisnahme<br />

einer strafbaren Handlung nur, soweit er sie in Ausübung seines Berufs<br />

wahrgenommen hat. Private Informationen fallen daher nicht in den<br />

Anwendungsbereich der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>. 460<br />

Von einem Verdacht kann ausgegangen werden, wenn ein Umstand vorliegt,<br />

„der nach menschlicher Erfahrung mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Begehung<br />

einer strafbaren Handlung schließen lässt“. 461<br />

Während in der heute gültigen Fassung ein „Verdacht“ des Arztes<br />

ausschlaggebend für eine Verpflichtung zur Anzeige ist, waren es in<br />

§ 27 ÄrzteG 1984 „Anzeichen“ bei denen die Tatbestandsmäßigkeit der Norm<br />

erfüllt war. Es war <strong>und</strong> ist für den Arzt nicht (immer) leicht, festzustellen, ob die<br />

Verletzung/der Tod aus einer gerichtlich strafbaren Handlung resultiert. Dazu<br />

wurde <strong>von</strong> der Disziplinarkommission für Oberösterreich <strong>und</strong> Salzburg (zu dem<br />

damals geltenden § 27 ÄrzteG 1984, der dem früheren § 10a ÄrzteG entsprach)<br />

Folgendes ausgeführt: „Wenn es für den Arzt nach der Art <strong>und</strong> dem<br />

Zustandekommen der Verletzung oder des Todes oder nach den sonst ihm<br />

bekanntgewordenen Umständen zweifelhaft bleibt, ob eine strafbare Handlung zur<br />

Verletzung oder zum Tod geführt hat, dann bilden die Tatsachen, die einen<br />

solchen Zweifel entstehen lassen, bereits Anzeichen iSd § 10a ÄrzteG, die den<br />

458 Amtsärzte sind gem § 41 Abs 1 ÄrzteG bei den Sanitätsbehörden hauptberufliche Ärzte,<br />

die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben. Es handelt sich dabei um in einem<br />

öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zu B<strong>und</strong>, Land oder Gemeinde stehende Ärzte, die<br />

als Organ einer Behörde hoheitlich tätig werden.<br />

459 Vgl Zahrl, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes, RdM 1998, 19 (19).<br />

460 Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 33; Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H 1,<br />

16.<br />

461 Stolzlechner, RdM 2000, 72; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 11.<br />

122


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Arzt zur Anzeige nach dieser Gesetzesstelle verpflichten. Andernfalls würde der<br />

mit der Gesetzesbestimmung angestrebte Zweck, durch entsprechende<br />

polizeiliche <strong>und</strong> gerichtliche Untersuchungsschritte die erforderliche Aufklärung<br />

des Falles <strong>und</strong> allenfalls die Bestrafung des Täters möglich zu machen, nicht<br />

erreicht werden, sofern nicht auf andere Weise die Verfolgungsbehörden Kenntnis<br />

<strong>von</strong> dem bestehenden Verdacht erlangen. Ob dabei die Anzeichen für eine<br />

gerichtlich strafbare Handlung durch die späteren Erhebungen bestätigt werden<br />

oder nicht, ist für die Frage der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach dem § 10a ÄrzteG <strong>und</strong> damit<br />

für die disziplinarrechtliche Ahndung der Verletzung dieser Berufspflicht ohne jede<br />

Bedeutung. Maßgeblich ist lediglich, ob solche Anzeigen dem behandelnden Arzt<br />

zur Kenntnis kamen. <strong>Die</strong>s allein löst die Verpflichtung zur Erstattung der<br />

Verletzungsanzeige aus.“ 462<br />

Auch Maurer 463 <strong>und</strong> Missliwetz/Ellinger 464 sind der Auffassung, dass es<br />

Wunsch des Gesetzgebers war, dass zunächst einmal jeder Zweifelsfall angezeigt<br />

wurde.<br />

ME ist diese Argumentation durchwegs auch für den heute gültigen<br />

§ 54 ÄrzteG zu gebrauchen – allerdings nicht in diesem Umfang. In § 54 Abs 4<br />

ÄrzteG ist normiert, dass der Arzt, wenn sich in Ausübung „seines Berufes der<br />

Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine<br />

schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde, der Arzt, sofern Abs. 5 nicht<br />

anderes bestimmt, der Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten hat“.<br />

Handelt es sich um eine schwere Körperverletzung oder den Tod eines<br />

Menschen ist bei jedem Verdacht auf eine gerichtlich strafbare Handlung – auch<br />

im Zweifelsfall – anzuzeigen. Das gilt jedoch nur, „sofern Abs 5 nicht anderes<br />

bestimmt“. § 54 Abs 5 ÄrzteG bestimmt, dass unter gewissen Voraussetzungen –<br />

nämlich wenn das Opfer minderjährig ist, der Täter ein naher Angehöriger ist, die<br />

462 Linko, Zur ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 10a Ärztegesetz, ÖÄZ 1982 H 18, 1089 f;<br />

Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 33.<br />

463 Maurer, Ärztliche Schweige- <strong>und</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> in bezug auf Verkehrsmedizin, ÖÄZ 1982<br />

H 1, 29.<br />

464 Missliwetz/Ellinger, Recht für Ärzte <strong>und</strong> Medizinstudenten 2 (1995) 140.<br />

123


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Vorgehensweise iSd Kindeswohls liegt <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem<br />

Jugendwohlfahrtsträger gewährleistet ist, <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand genommen<br />

werden kann. 465 Genau in diesem Punkt stellt sich die Frage: Kann der<br />

Gesetzgeber mit einem „Verdacht“ auch einen „Zweifelsfall“ meinen, bei dem<br />

unbedingt anzuzeigen ist, um auf diesem Wege Aufklärung des Verdachts zu<br />

bekommen? ME ist es zwar möglich den Begriff „Verdacht“ mit „Anzeichen“<br />

gleichzusetzen, es wäre aber verfehlt, den Schluss daraus zu ziehen, dass auch in<br />

der heutigen Rechtslage zunächst einmal jeder Zweifelsfall anzuzeigen ist. In<br />

vielen Fällen ist dem Kindeswohl eher mit einer Einbeziehung des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers gedient, als mit einer sofortigen Anzeige. Deswegen ist<br />

es in der heute gültigen Fassung möglich – bei Vorliegen gewisser<br />

Voraussetzungen – <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand zu nehmen. Damit ist die<br />

Aussage, dass in einem Zweifelsfall immer anzuzeigen ist, veraltert. In den Fällen<br />

in denen der Täter ein naher Angehöriger ist, die Vorgehensweise iSd<br />

Kindeswohls liegt <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

gewährleistet ist, kann auf anderem Wege als durch Anzeigen bei den<br />

Sicherheitsbehörden, eine Klärung <strong>und</strong> Lösung des Sachverhalts erzielt werden.<br />

Auch in der Praxis lässt der nicht näher definierte Begriff des „Verdachts“<br />

Interpretationsspielraum. So wird in Krankenanstalten erst bei einem „bestätigtem<br />

Verdacht“ durch die Kinderschutzgruppe angezeigt. Zur Kinderschutzgruppe siehe<br />

Kapitel 9.<br />

<strong>Die</strong> Anzeige hat an eine Sicherheitsbehörde zu erfolgen. Da nach dem<br />

Wortlaut des Gesetzes nicht die zuständige Sicherheitsbehörde verlangt wird,<br />

genügt es, wenn irgendeiner Sicherheitsbehörde angezeigt wird. Unter den Begriff<br />

Sicherheitsbehörden fallen als oberste Sicherheitsbehörde der B<strong>und</strong>esminister für<br />

Inneres, die ihm nachgeordneten Sicherheitsdirektionen, sowie die<br />

Bezirksverwaltungsbehörden <strong>und</strong> die B<strong>und</strong>espolizeidirektionen. Vgl Art 78 a B-VG<br />

<strong>und</strong> §§ 4 ff SPG. Nicht dazu gehören die Gerichte <strong>und</strong> Staatsanwaltschaften. 466<br />

465 Zu genaueren Ausführungen siehe Kapitel 6.3.1.2.<br />

466 Stolzlechner, RdM 2000, 72.<br />

124


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Besondere Formvorschriften zur Einbringung der Anzeige gibt es nicht. Gem<br />

§ 13 Abs 1 AVG können Anzeigen auch mündlich oder telefonisch eingebracht<br />

werden. Wird die Anzeige schriftlich erstattet, kann dies auch im Wege der zur<br />

Verfügung stehenden technischen Mittel (Fax, Email…) geschehen. 467<br />

6.3.1. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Misshandlung, Quälen,<br />

Vernachlässigung <strong>und</strong> sexuellem Missbrauch<br />

Im ÄrzteG selbst finden sich keine Begriffsdefinitionen <strong>von</strong> Misshandlung, Quälen,<br />

Vernachlässigung <strong>und</strong> sexuellem Missbrauch. Allerdings liegt es nahe die<br />

diesbezüglichen Bestimmungen des StGB heranzuziehen. Einerseits verweist<br />

§ 54 Abs 5 ÄrzteG mit der Formulierung „nahe Angehörige“ auf § 166 StGB,<br />

andererseits wurde auch in einer früheren Bestimmung des ÄrzteG 468 ausdrücklich<br />

auf die betreffenden Bestimmungen im StGB hingewiesen. 469<br />

Wie eingangs erörtert, ist eine Misshandlung iSd § 83 StGB „jede<br />

unangemessene Behandlung eines anderen, die das körperliche Wohlbefinden<br />

nicht ganz unerheblich beeinträchtigt, also Schmerzen oder Unbehagen<br />

hervorruft“. 470 Auf die Begriffe Quälen <strong>und</strong> Vernachlässigung wurde bei der<br />

genaueren Erläuterung des § 92 StGB eingegangen. Siehe Kapitel 3.1.<br />

Bestimmungen zum sexuellen Missbrauch finden sich vor allem in den §§ 206,<br />

207 StGB.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der relativ komplizierten Regelung des § 54 ÄrzteG wird zuerst im<br />

Hinblick auf das Misshandeln, Quälen, Vernachlässigen <strong>und</strong> sexuelle<br />

Missbrauchen zwischen Volljährigen Personen, minderjährigen Personen <strong>und</strong><br />

volljährigen Personen, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können,<br />

unterschieden.<br />

467 Vgl Pollak, ÖÄZ 1985 H 17, 34, 37; Steiner, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976<br />

H 1, 15.<br />

468 Vgl § 10 a ÄrzteG idF BGBl 1975/425 <strong>und</strong> § 27 ÄrzteG idF BGBl 1984/373.<br />

469 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 175.<br />

470 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 175; vgl Kapitel 3.2.1.<br />

125


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.3.1.1. Volljährige Personen<br />

Wurde eine volljährige Person misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />

missbraucht <strong>und</strong> wurde diese Person dadurch nicht verletzt oder an der<br />

Ges<strong>und</strong>heit geschädigt, trifft den Arzt keine <strong>Anzeigepflicht</strong> nach dem ÄrzteG. 471<br />

6.3.1.2. Minderjährige<br />

<strong>Die</strong> genaue Regelung bezüglich Minderjähriger findet sich in § 54 Abs 5 ÄrzteG.<br />

Hegt der Arzt in Ausübung seines Berufes den Verdacht, dass ein Minderjähriger<br />

misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht wurde, so hat er<br />

Anzeige an die Sicherheitsbehörden zu erstatten. 472 Daraus lässt sich eine<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes ableiten.<br />

Betreffend diese Regelungen ist der Handlungsunwert der Handlung<br />

maßgeblich. Dh „alleine“ das Misshandeln, Quälen, Vernachlässigen oder der<br />

sexuelle Missbrauch sind – unabhängig <strong>von</strong> ihrem Erfolg (Körperverletzung, Tod) –<br />

strafbar. 473<br />

Während das Gesetz heute <strong>von</strong> Minderjährigen spricht, war in der<br />

ursprünglichen Fassung <strong>von</strong> § 27 ÄrzteG 1984 die Rede <strong>von</strong> Unmündigen <strong>und</strong><br />

Jugendlichen. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Umformulierung – der<br />

Kreis der zu schützenden Personen bleibt unverändert – da Unmündige gem<br />

§ 74 Abs 1 Z 1 StGB, § 1 Z 1 JGG <strong>und</strong> § 21 Abs 2 ABGB das 14. Lebensjahr noch<br />

nicht vollendet haben <strong>und</strong> Jugendliche gem § 1 Z 2 JGG das 18. Lebensjahr noch<br />

nicht vollendet haben. Als Minderjährige werden gem § 74 Abs 1 Z 3 StGB <strong>und</strong><br />

§ 21 Abs 2 ABGB beide Personengruppen bezeichnet.<br />

471 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 176.<br />

472 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 175.<br />

473 Seiler, Strafrecht, Allgemeiner Teil (2007) Rz 5 <strong>und</strong> 283 f; Buchbauer, Rechtliche<br />

Probleme im Zusammenhang mit der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>, Psychologen <strong>und</strong><br />

Psychotherapeuten aus materieller <strong>und</strong> formeller Sicht (2003) 90 f.<br />

126


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

§ 54 Abs 5 Satz 2 ÄrzteG normiert allerdings eine Ausnahme dieser<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes. Er kann, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen<br />

vorliegen:<br />

• Der Verdächtige ein „naher Angehöriger“ des Opfers ist,<br />

• es das Wohl des Kindes erfordert<br />

• <strong>und</strong> wenn eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger sowie<br />

gegebenenfalls mit einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt<br />

erfolgt<br />

ausnahmsweise <strong>von</strong> einer Anzeige absehen. 474<br />

Nahe Angehörige<br />

Bei der Verwendung der Formulierung „nahe Angehörige“ verweist<br />

§ 54 Abs 5 ÄrzteG auf § 166 StGB (Begehung im Familienkreis). § 166 StGB<br />

spricht <strong>von</strong> „Angehörigen“, nämlich dem Ehegatten, Verwandten in gerade Linie<br />

(Eltern, Großeltern, Kinder, Enkelkinder), Bruder <strong>und</strong> Schwester, sowie <strong>von</strong><br />

„anderen Angehörigen“. Letztgenannte werden nur unter der Voraussetzung, dass<br />

sie mit dem Opfer in einer Hausgemeinschaft leben, begünstigt. Der Begriff „nahe<br />

Angehörige“ wird im Gesetz aber nicht verwendet. Im Gegensatz dazu ist die<br />

Bezeichnung „nahe Angehörige“ in den Kommentaren 475 aber sehr wohl üblich <strong>und</strong><br />

umfasst den Ehegatten, Verwandte in gerade Linie <strong>und</strong> Geschwister. 476<br />

Eine weitere Regelung bezüglich der Angehörigen findet sich in § 72 StGB,<br />

der den Begriff der Angehörigen definiert <strong>und</strong> festlegt, wer alles zum Kreis der<br />

474 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 176.<br />

475 Hauptmann/Jerabek in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 8 ff; Zagler in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 166 Rz 14 ff.<br />

476 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 176; Leukauf/Steininger, StGB 3 § 166 Rz 4 ff.<br />

127


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Angehörigen zu zählen ist. <strong>Die</strong>ser Begriff ist wesentlich weiter gefasst 477 , <strong>und</strong> stellt<br />

nicht auf die Voraussetzung, des „in einer Hausgemeinschaft Lebens“, ab.<br />

Wer fällt somit unter den Begriff „naher Angehöriger“ iSd § 54 Abs 5 ÄrzteG<br />

<strong>und</strong> rechtfertigt eine Ausnahme der ärztlichen Verpflichtung zur Anzeige?<br />

Wird da<strong>von</strong> ausgegangen, dass der Angehörigenbegriff des § 166 StGB (auf<br />

den ausdrücklich verwiesen wird) heranzuziehen ist, also die eingeschränkte<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> auch auf „andere Angehörige“, anzuwenden ist, muss die<br />

Voraussetzung erfüllt sein, dass sie mit dem Opfer in einer Hausgemeinschaft<br />

leben. Eine Hausgemeinschaft 478 liegt vor, wenn das Zusammenleben ein im<br />

engen Familienkreis entsprechendes Wohnen ist <strong>und</strong> ein „gemeinsames Zuhause“<br />

vorhanden ist. Auf Gr<strong>und</strong> der engen Beziehung liegt ein besonderes<br />

Vertrauensverhältnis vor. Das bloße Vorliegen eines Meldezettels oder das bloße<br />

Wohnen unter einem Dach genügt dazu idR nicht. 479<br />

Zu den „anderen Angehörigen“ iSd § 166 StGB zählen auch<br />

Lebensgefährten, sofern eine Lebensgemeinschaft vorliegt. Eine<br />

Lebensgemeinschaft 480 ist „eine auf Dauer angelegte, ihrem Wesen nach der<br />

Beziehung miteinander verheirateter Personen gleichkommende Wohnungs-<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Geschlechtsgemeinschaft“. Auch hier muss die Voraussetzung<br />

der Hausgemeinschaft erfüllt sein. 481<br />

477 § 72. (1) Unter Angehörigen einer Person sind ihre Verwandten <strong>und</strong> Verschwägerten in<br />

gerader Linie, ihr Ehegatte <strong>und</strong> dessen Geschwister, ihre Geschwister <strong>und</strong> deren<br />

Ehegatten, Kinder <strong>und</strong> Enkel, die Geschwister ihrer Eltern <strong>und</strong> Großeltern, ihre Vettern<br />

<strong>und</strong> Basen, der Vater oder die Mutter ihres unehelichen Kindes, ihre Wahl- <strong>und</strong><br />

Pflegeeltern, ihre Wahl- <strong>und</strong> Pflegekinder, ihr Vorm<strong>und</strong> <strong>und</strong> ihre Mündel zu verstehen.<br />

(2) Personen, die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, werden wie Angehörige<br />

behandelt, Kinder <strong>und</strong> Enkel einer <strong>von</strong> ihnen werden wie Angehörige auch der anderen<br />

behandelt.<br />

478 OGH 09.05.1984, 12 Os 64/84 = SSt 55/26; 09.04.1987, 13 Os 140/86 = SSt 58/27;<br />

21.06.1979, 13 Os 65/79 = EvBl 1980/34 = SSt 50/41 = RZ 1979/81 = JBl 1980, 104.<br />

479 OGH 20.08.1982, 9 Os 104/82 = SSt 53/49 = EvBl 1983/52, 187 = JBl 1983, 104; vgl<br />

Kirchbacher/Presslauer in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 92 Rz 15.<br />

480 OGH 17.09.1975, 9 Os 56/75 = SSt 46/45 = ÖJZ-LSK 1975/198; 18.04.1985, 13 Os<br />

39/85 = SSt 56/29.<br />

481 Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 166 Rz 15, 17 ff.<br />

128


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Wird angenommen, dass § 54 ÄrzteG alle Angehörigen iSd § 166 StGB<br />

umfasst, somit auch andere als Ehegatten, Verwandte in gerader Line <strong>und</strong><br />

Geschwister, sofern sie mit dem Opfer in einer Hausgemeinschaft leben, kann ein<br />

Arzt zB bei Verdacht einer Kindesmisshandlung durch den Lebensgefährten der<br />

Mutter, der mit dem Kind in einer Hausgemeinschaft lebt, zu einer Ausnahme der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> legitimiert sein <strong>und</strong> zumindest vorerst <strong>von</strong> einer Anzeige<br />

absehen. 482<br />

Da allein die theoretische Definition, wie eben aufgezeigt, nicht ganz<br />

eindeutig ist, liegt es auf der Hand, das sich die praktische Situation als äußerst<br />

schwierig gestaltet. Daraus kann sich eine andere Sichtweise des Wortlautes des<br />

§ 54 ÄrzteG ergeben. Es ergibt sich nämlich für den Arzt das schwer<br />

festzustellende Problem des Beweises. Es wird ihm nicht möglich <strong>und</strong> nicht<br />

zumutbar sein die genaue Angehörigeneigenschaft <strong>und</strong> die tatsächliche<br />

Wohnsituation des Opfers <strong>und</strong> des vermeintlichen Täters herauszufinden <strong>und</strong> zu<br />

überprüfen. Er ist auf die Aussagen der Beteiligten angewiesen. Aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Beweisproblematik wäre es nachvollziehbar, wenn mit dem Begriff des „nahen<br />

Angehörigen“ nach § 54 Abs 5 ÄrzteG doch nur Ehegatten, Verwandte in gerader<br />

Linie <strong>und</strong> Geschwister gemeint sind. 483<br />

Gegen diese Argumentation spricht jedoch, dass es nach wie vor primär um<br />

den Schutz des Kindeswohls geht. Gerät zB der Lebensgefährte, der schon seit<br />

Jahren mit Kind <strong>und</strong> Mutter im selben Haushalt lebt <strong>und</strong> vom Kind als Vater<br />

angesehen wird, unter Verdacht, hätte eine Anzeige die gleichen Folgen, wie eine<br />

Anzeige gegen den Vater eines Kindes. Es kann durch die Anzeige zu der<br />

Verhängung der Untersuchungshaft kommen, was das Kindeswohl gefährden<br />

könnte, unabhängig, ob der Verdächtigte der leibliche Vater oder eben „nur“ der<br />

Lebensgefährte der Mutter ist. Somit kann mE richtigerweise festgehalten werden,<br />

dass unter den Begriff der „nahen Angehörigen“ iSd § 54 Abs 5 Ärzte einerseits die<br />

explizit in § 166 StGB aufgezählten Angehörigen, nämlich Ehegatten, Verwandte in<br />

gerader Linie <strong>und</strong> Geschwister <strong>und</strong> andererseits alle anderen Angehörigen – vor<br />

482 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 176.<br />

483 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 176 f.<br />

129


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

allem iSd § 72 StGB –, sofern sie mit dem Opfer „gemeinsam in einer<br />

Hausgemeinschaft wohnen“, fallen. 484<br />

Unabhängig da<strong>von</strong>, wie der Wortlaut des § 54 ÄrzteG ausgelegt wird, führt es<br />

zu dem Problem, dass der Arzt die Familiensituation zwischen Opfer <strong>und</strong><br />

mutmaßlichem Täter prüfen muss. Es kann allerdings nicht verlangt werden, dass<br />

er aufwändige Nachforschungen anstellt, da seine Hauptpflicht in medizinischen<br />

Tätigkeiten liegt. 485 In der Praxis wird dieser Problematik jedoch nicht so große<br />

Bedeutung zugeschrieben, da diesbezüglich relativ selten Schwierigkeiten<br />

auftreten. 486 Vgl das Formular „Dokumentation der Kinderschutzgruppe“ im<br />

Anhang.<br />

Kindeswohl 487<br />

Eine weitere Voraussetzung für das Absehen einer Anzeige ist, dass das Wohl<br />

des Minderjährigen es erfordert. Das kann zB sein, wenn zu befürchten ist, dass<br />

das minderjährige Opfer große Schuldgefühle oder psychische Störungen<br />

entwickelt, wenn zB der verdächtigte Vater als Folge einer Anzeige plötzlich aus<br />

der Familie gerissen wird <strong>und</strong> in Untersuchungshaft gebracht wird. Eine<br />

unbedingte Anzeige kann die Situation oft noch verschlimmern, da dem Kind<br />

zusätzlicher Schaden <strong>und</strong> Schmerz zugefügt wird, was eine Heilung erschwert.<br />

Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt <strong>und</strong> Opfer wird dadurch erheblich<br />

erschüttert <strong>und</strong> eine weitere Zusammenarbeit wird abgelehnt. Das<br />

Unterbleibenlassen der Anzeige entspricht jedoch selbstverständlich nur dann dem<br />

Kindeswohl, wenn sichergestellt werden kann, dass es zu keinem neuerlichen<br />

Übergriff kommt, dh wenn das Kind <strong>von</strong> jenem Umfeld ferngehalten werden kann,<br />

in dem sich die vermuteten Misshandlungen ereignen. Beispiele sind, eine<br />

Therapieannahme des Täters, eine stationäre Aufnahme des Kindes für längere<br />

484 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177.<br />

485 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177.<br />

486 Persönliches Gespräch mit Dr. Elisabeth Fandler, Klinische- <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitspsychologin, Psychotherapeutin, Leiterin der Kinderschutzgruppe Graz<br />

(27.08.2009); Persönliches Gespräch mit Dr. Andrea Huber-Zeyringer, Ärztin an der<br />

Univ. Kinderklinik Graz, Mitglied der Kinderschutzgruppe Graz (26.08.2009).<br />

487 Zur genauen Definition des Kindeswohls siehe Kapitel 2.1.<br />

130


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Zeit, oder die Erzielung einer dem Kindeswohl entsprechende Lösung im<br />

familiären Umfeld. Das kann nur durch eine Vorgangsweise im Sinne der<br />

Möglichkeiten des § 54 Abs 6 ÄrzteG, nämlich durch Hinzuziehen einer<br />

Opferschutzeinrichtung geschehen, wodurch eine intensive Auseinandersetzung<br />

mit dem Fall weitere Erkenntnisse über das familiäre Umfeld hervorbringen kann.<br />

Durch diese Informationen kann in weiterer Folge eine Anzeige auf Basis <strong>von</strong><br />

möglicherweise wesentlich härteren Fakten erstatten werden. 488 Zu weiteren<br />

Überlegungen der Vor- <strong>und</strong> Nachteile einer Anzeigenerstattung siehe Kapitel 10.1<br />

<strong>und</strong> 10.4.<br />

Wie lange eine Anzeige unterbleiben kann, richtet sich nach dem<br />

Kindeswohl. So lange es die Unterlassung erfordert, solange kann sie<br />

unterbleiben. Dadurch kommt dem Arzt die Pflicht zu, die nicht überspannt werden<br />

darf, das Schicksal des Minderjährigen zu beobachten <strong>und</strong> zu überprüfen, ob das<br />

Kindeswohl einer Anzeige nach wie vor entgegensteht. Daraus kann sich uU das<br />

Problem der Verjährung ergeben. Unterbleibt die Anzeige nämlich auf Gr<strong>und</strong> des<br />

Kindeswohls so lange, dass die Verjährungsfristen abgelaufen sind, ist keine<br />

Anzeige mehr möglich. 489<br />

Allerdings ergibt sich aus der Formulierung „so lange“, dass ein dauerhaftes<br />

Unterlassen der Anzeige nicht in Betracht kommen darf. Spätestens bei Erreichen<br />

der Volljährigkeit, kann nicht mehr <strong>von</strong> einem „Wohl des Minderjährigen“<br />

ausgegangen werden. 490<br />

Eine wesentliche Hilfestellung für den Arzt bieten allerdings die<br />

Kinderschutzgruppen. Eine Einbeziehung dieser ist auch in § 54 Abs 5 ÄrzteG<br />

vorgeschrieben. Siehe dazu Kapitel 9.<br />

488 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 17;<br />

AB 689 BlgNR 21. GP 3.<br />

489 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177; Vgl §§ 57 <strong>und</strong> 58 StGB. Wobei bei einigen Delikten die<br />

Verjährungsfrist gem § 58 Abs 3 Z 3 StGB erst mit Volljährigkeit zu Laufen beginnt.<br />

490 Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 15 a.<br />

131


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

Auf alle Fälle hat der Arzt bei Verdacht einer Kindesmisshandlung gem<br />

§ 54 Abs 6 ÄrzteG unverzüglich <strong>und</strong> nachweislich 491 Meldung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten. Da<strong>von</strong> gibt es keine Ausnahmen. Der<br />

Jugendwohlfahrtsträger hat nach den Bestimmungen des JWG die Meldung<br />

personenbezogen zu erfassen <strong>und</strong> unverzüglich zu überprüfen. Vgl<br />

§ 2 Abs 4 JWG. Aufgr<strong>und</strong> dieser unbedingten Meldung des Arztes muss der<br />

Jugendwohlfahrtsträger, nach der Überprüfung des Falles entscheiden, ob eine<br />

Anzeige im Rahmen der <strong>Anzeigepflicht</strong> gem § 78 StPO zu erstatten ist. 492 Zur<br />

Vorgehensweise des Jugendwohlsfahrtsträgers vgl Kapitel 8.<br />

Nichtvorliegen einer Ausnahme iSd § 54 Abs 5 ÄrzteG<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten: Richtet sich der Verdacht nicht gegen einen<br />

nahen Angehörigen oder steht das Kindeswohl einer Anzeige nicht entgegen, so<br />

hat der Arzt eine Anzeige an die Sicherheitsbehörde zu erstatten. Gleiches gilt bei<br />

Zweifel über die Voraussetzungen der Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong>. Zusätzlich<br />

muss aber auch unverzüglich <strong>und</strong> nachweislich in jedem Fall des Verdachts einer<br />

Kindesmisshandlung eine Meldung gem § 54 Abs 6 ÄrzteG an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger erstattet werden. 493<br />

In § 54 Abs 5 ÄrzteG ist im Gegensatz zu § 54 Abs 4 ÄrzteG nicht<br />

vorgesehen, dass die Anzeige an die Sicherheitsbehörden unverzüglich erstattet<br />

werden muss. Das lässt sich am ehesten damit erklären, dass zuerst überprüft<br />

werden muss, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

vorliegen. 494 Allerdings kann die Anzeige bei einer schweren Körperverletzung<br />

491 Durch die in § 51 ÄrzteG geregelte Dokumentationspflicht, kann der geforderte Nachweis<br />

ohne Schwierigkeiten erbracht werden. Vgl auch das Formular im Anhang „Meldung an<br />

den Jugendwohlfahrtsträger über Gewalt an einem Kind oder Jugendlichen“.<br />

492 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177; Vgl auch Zahrl, Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> bei<br />

Fremdverschulden: Wem hilft sie wirklich? ÖÄZ 24/1997, 26 (26).<br />

493 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177.<br />

494 Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 14.<br />

132


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

eines Minderjährigen auch gem § 54 Abs 4 ÄrzteG unterbleiben, wenn die<br />

Voraussetzungen nach § 54 Abs 5 ÄrzteG vorliegen. Deswegen ist die Grenze<br />

zwischen unverzüglich <strong>und</strong> nicht unverzüglich zwischen Abs 4 <strong>und</strong> Abs 5 nicht<br />

ganz gelungen. Kletecka-Pulker ist der Meinung, dass die Grenze, wenn sie<br />

überhaupt erforderlich ist, zwischen Minderjährigen <strong>und</strong> Volljährigen gezogen hätte<br />

werden müssen. 495<br />

Ich schließe mich dieser Meinung an, da es immer darum geht, das Wohl des<br />

Kindes zu schützen. Deswegen ist bei Kindern, ohne Unterscheidung in welcher<br />

Form die Misshandlung erfolgt ist, immer abzuwägen ob eine sofortige Anzeige<br />

das Beste ist. Bei Erwachsenen hingegen ist eine unverzügliche Anzeige mE nach<br />

immer das Beste, um die Situation nachhaltig zu verbessern.<br />

Zum Begriff „unverzüglich“ führte das BM für Ges<strong>und</strong>heit, Sport <strong>und</strong><br />

Konsumentenschutz 496 aus, dass er auf die Notwendigkeit eines raschen<br />

Tätigwerdens hin deutet. Es soll ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen<br />

dem Feststellen <strong>von</strong> Anzeichen bzw dem Verdacht <strong>und</strong> dem Tätigwerden des<br />

Arztes durch Erstattung einer Anzeige gegeben sein. <strong>Die</strong>ser enge zeitliche<br />

Zusammenhang liegt laut BM für Ges<strong>und</strong>heit, Sport <strong>und</strong> Konsumentenschutz vor,<br />

wenn die Anzeige ohne einen unnötigen Aufschub im Rahmen seiner beruflichen<br />

<strong>und</strong> dienstlichen Gegebenheiten vom Arzt erstattet wird. Wie lange dieser<br />

Zeitraum in der Realität ist, hängt vom Einzelfall ab, wobei manchmal schon 24<br />

St<strong>und</strong>en zu lange sein können.<br />

495 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 178.<br />

496 Siehe GZ 21.101/7-II/A/14/91, womit allerdings die alte Bestimmung des § 27 ÄrzteG<br />

konkretisiert wurde.<br />

133


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.3.1.3. Volljährige Personen, die ihre Interessen nicht selbst<br />

wahrnehmen können<br />

Bei volljährigen Personen, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können,<br />

handelt es sich um Personen die zB an Gebrechlichkeit, Krankheit oder an einer<br />

geistigen Behinderung leiden. 497 Da sich die vorliegende Arbeit mit der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht auf Kindesmisshandlung befasst, wird auf diese<br />

Thematik nicht näher eingegangen. Gr<strong>und</strong>sätzlich besteht für den Arzt eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong>, wenn eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht<br />

wahrnehmen kann, Opfer des Verdachts der Misshandlung, des Quälens, der<br />

Vernachlässigung oder des sexuellen Missbrauchs ist. Es stellt sich allerdings die<br />

Frage ob es auch hier eine Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong> gibt. 498<br />

Gem § 54 Abs 5 Ärzte ist es nur möglich Abstand <strong>von</strong> einer Anzeige zu<br />

nehmen wenn, sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen richtet, es das<br />

Kindeswohl fordert <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

vorgesehen ist. Da zwei dieser Merkmale nur bei Minderjährigen zu tragen<br />

kommen, ist ein Absehen <strong>von</strong> einer Anzeige iSd § 54 Abs 5 ÄrzteG nur bei<br />

Minderjährigen möglich. 499<br />

Deswegen kann sich die Formulierung in § 54 Abs 4 Satz 2 ÄrzteG „gleiches<br />

gilt…..“ nicht auf den Verweis auf § 54 Abs 5 ÄrzteG beziehen <strong>und</strong> der Arzt ist<br />

ausnahmslos zur Anzeige verpflichtet, wenn sich für ihn in Ausübung seines<br />

Berufs der Verdacht ergibt, dass eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht<br />

selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />

missbraucht wird. 500 <strong>Die</strong> Anzeige muss entgegen den Fällen des<br />

§ 54 Abs 5 ÄrzteG unverzüglich erfolgen. 501<br />

497 Der Adressatenkreis ist somit weiter gefasst, als bei § 268 ABGB, der die<br />

Sachwalterschaft regelt. Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 71.<br />

498 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177.<br />

499 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 177 f.<br />

500 Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 13.<br />

501 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 178.<br />

134


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.3.2. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei schwerer Körperverletzung<br />

<strong>Die</strong> Differenzierung <strong>von</strong> schwerer <strong>und</strong> nicht schwerer Körperverletzung ergibt sich<br />

aus § 84 StGB. Es handelt sich um eine schwere Körperverletzung, wenn die<br />

Körperverletzung oder Ges<strong>und</strong>heitsschädigung länger als 24 Tage andauert oder<br />

die Körperverletzung an sich schwer ist. Dh es fallen auch seelische Leiden,<br />

soweit sie medizinischen Krankheitswert besitzen, darunter. 502 Vgl Kapitel 3.2.<br />

Auch bezüglich der Rechtsfolgen wird zwischen volljährigen <strong>und</strong><br />

minderjährigen Personen unterschieden. Allerdings wird dabei auf den<br />

Erfolgsunwert der Handlung abgestellt, dh es ist unbeachtlich, ob die schwere<br />

Verletzung aus einem Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt resultiert, weswegen<br />

auch Verkehrsunfälle mit Todesfolge bzw mit Folgen einer schweren<br />

Körperverletzung, angezeigt werden müssen. 503<br />

6.3.2.1. Volljährige Personen<br />

Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, dass eine<br />

volljährige Person, durch eine gerichtlich strafbare Handlung schwer verletzt<br />

wurde, ist er gem § 54 Abs 4 ÄrzteG ohne Ausnahme zur Anzeige verpflichtet. Wie<br />

eben erörtert kommt die in § 54 Abs 5 ÄrzteG erwähnte Ausnahme nur bei<br />

Minderjährigen in Betracht. Abgesehen <strong>von</strong> der unverzüglichen Anzeige, muss der<br />

Arzt das Opfer bei vorsätzlich begangen schweren Körperverletzungen gem<br />

§ 54 Abs 6 Satz 1 ÄrzteG auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinweisen. 504<br />

502 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 178; vgl auch Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-<br />

Dahrenstaedt, 20.<br />

503 Seiler, Strafrecht, AT Rz 4 <strong>und</strong> 283 f; Buchbauer, Rechtliche Probleme im<br />

Zusammenhang mit der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>, Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten<br />

aus materieller <strong>und</strong> formeller Sicht 90 f.<br />

504 Vgl Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 18.<br />

135


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Opferschutzeinrichtungen sind Einrichtungen, die auf Basis des SPG vom<br />

Gewaltpräventionsbeirat im BMI fachlich anerkannt wurden <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

auch gefördert werden. 505<br />

Wurde eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen<br />

kann, schwer verletzt, gilt das eben ausgeführte in gleichem Maße <strong>und</strong> der Arzt ist<br />

ausnahmslos zu einer Anzeige verpflichtet.<br />

6.3.2.2. Minderjährige Personen<br />

Wurde eine minderjährige Person schwer verletzt, so ist der Arzt zur<br />

unverzüglichen Anzeige verpflichtet. Eine Ausnahme besteht allerdings nach dem<br />

Gesetzeswortlaut, wenn die Voraussetzungen <strong>von</strong> § 54 Abs 5 ÄrzteG (Verdacht<br />

gegen nahen Angehörigen, Kindeswohl <strong>und</strong> Zusammenarbeit mit dem<br />

Jugendwohlfahrtsträger) vorliegen. 506 Fraglich ist, ob bei einer schweren<br />

Verletzung eines Minderjährigen eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

gem § 54 Abs 6 ÄrzteG verpflichtend ist, da sich diese Meldepflicht nur auf „Fälle<br />

des Abs 5“ bezieht. Bei Betrachtung des Hintergr<strong>und</strong>es der Meldung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger muss beachtet werden, dass es gerade auch im Fall des<br />

§ 54 Abs 4 ÄrzteG, wenn eine minderjährige Person eine schwere<br />

Körperverletzung aufweist, nötig ist, eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

zu erstatten. Aus § 2 Abs 4 JWG ergibt sich, dass der Gesetzgeber erreichen<br />

wollte, dass alle Meldungen an den Jugendwohlfahrtsträger, sei es auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

§ 37 JWG oder auf Gr<strong>und</strong> berufsrechtlicher Verpflichtungen, wie zB<br />

§ 54 Abs 6 ÄrzteG, personenbezogen erfasst <strong>und</strong> unverzüglich überprüft<br />

werden. 507 Dabei ist wesentlich, dass die örtlich zuständige Behörde alle, einen<br />

bestimmten Minderjährigen betreffenden Fälle, gesammelt erfasst. In der Situation,<br />

dass ein Kind mit einer schweren Körperverletzung ins Krankenhaus gebracht wird<br />

505 Dazu zählen vor allem die Interventionsstellen, siehe<br />

http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx (16.09.2009);<br />

Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 19.<br />

506 Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 12.<br />

507 Vgl Kapitel 8.<br />

136


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

<strong>und</strong> der Arzt aus Gründen, das Kindeswohl betreffend, (vorerst) auf die Anzeige<br />

verzichtet, kann der zuständige Jugendwohlfahrtsträger in der Zwischenzeit<br />

überprüfen, ob das Kind schon früher wegen einer Verletzung im Krankenhaus<br />

behandelt wurde. 508 Ich schließe mich der Meinung <strong>von</strong> Kletecka-Pulker an <strong>und</strong><br />

erachte auch in den Fällen einer schweren Körperverletzung eines Minderjährigen<br />

eine unverzügliche <strong>und</strong> nachweisliche Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger für<br />

sinnvoll <strong>und</strong> unbedingt notwendig. 509<br />

Auf alle Fälle ist auch bei schweren vorsätzlich begangenen Verletzungen an<br />

Minderjährigen gem § 54 Abs 6 ÄrzteG auf bestehende Opferschutzeinrichtungen<br />

hinzuweisen.<br />

6.3.3. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei leichter Körperverletzung<br />

Wurde eine Person, unabhängig da<strong>von</strong>, ob sie minderjährig oder volljährig ist, nur<br />

leicht verletzt, so trifft den Arzt keine <strong>Anzeigepflicht</strong> nach dem ÄrzteG. Ausnahme<br />

wiederum ist, wenn die leichte Verletzung die Folge einer Misshandlung, des<br />

Quälens, der Vernachlässigung oder des sexuellen Missbrauchs ist. 510 Dann gilt<br />

das in Kapitel 6.3.1. Ausgeführte.<br />

508 Beim sog Spitalstourismus wurde das betroffene Kind schon mehrmals in<br />

verschiedenen Krankenhäusern wegen ähnlichen Verletzungen behandelt. Wird dies<br />

vom Jugendwohlfahrtsträger, auf Gr<strong>und</strong> der Erstattung einer Meldung an ihn, bemerkt,<br />

können unverzüglich Maßnahmen, wie zB eine Anzeige an die Sicherheitsbehörden,<br />

ergriffen werden, um das Kind vor einer weiteren Gefährdung zu schützen. Vgl Kletecka-<br />

Pulker, RdM 2001, 179.<br />

509 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 178 f.<br />

510 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 179.<br />

137


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.3.4. <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Tod<br />

Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufs der Verdacht, dass durch eine<br />

gerichtlich strafbare Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt wurde, hat<br />

er immer – egal ob die Person minderjährig oder volljährig war – unverzüglich<br />

Anzeige an die Sicherheitsbehörden zu erstatten. 511 <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> gilt<br />

ausnahmslos, da bei Volljährigen die Ausnahme des § 54 Abs 5 ÄrzteG, wie oben<br />

erörtert, nicht zum Tragen kommt <strong>und</strong> es bei dem Tod eines Minderjährigen keinen<br />

Gr<strong>und</strong> gibt, die Anzeige wegen des Wohls des Minderjährigen unterbleiben zu<br />

lassen. 512 6.3.5.<br />

Wegfall der Ermächtigung zur Meldung<br />

Wie in Kapitel 6.2.3.1. erwähnt, war in § 54 Abs 4 ÄrzteG 1998 eine Erlaubnis des<br />

Arztes vorgesehen, persönlich Betroffenen bzw Behörden oder öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststellen, Mitteilungen bei Verdacht einer Kindesmisshandlung zu machen.<br />

<strong>Die</strong>se Ermächtigung wurde durch die Novelle 2001 beseitigt, da sie als<br />

überschießend galt. „<strong>Die</strong> Ermächtigung des Arztes, bestimmten Stellen<br />

Mitteilungen machen zu können, soll nicht <strong>von</strong> einer Interessenabwägung<br />

zwischen Mitteilungs- <strong>und</strong> Geheimhaltungsinteresse abhängen. <strong>Die</strong> Ermächtigung<br />

<strong>und</strong> die Verantwortung des Arztes sind vielmehr als völlig ausreichend zu<br />

betrachten.“ 513<br />

Bei einem Vergleich der Bestimmung aus dem ÄrzteG mit dem GuKG, findet<br />

sich in § 8 GuKG für Angehörige der Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Pflegeberufe nach wie vor<br />

die Ermächtigung, nach einer Interessenabwägung persönlich betroffenen<br />

Personen, Behörden oder öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen, wenn sich in Ausübung ihres<br />

511 Dabei wird auf den Erfolgsunwert der Handlung abgestellt <strong>und</strong> es ist unbeachtlich, ob der<br />

Tod aus einem Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt resultiert. Vgl Seiler, Strafrecht AT Rz<br />

4 <strong>und</strong> 283 f; Buchbauer, Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>, Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten aus materieller <strong>und</strong> formeller Sicht 90 f.<br />

512 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 179; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 12.<br />

513 ErläutRV 629 BlgNR 21. GP 39; Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 54 FN 10.<br />

138


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Berufes der Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtliche strafbare Handlung der<br />

Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt wurde, Mitteilungen<br />

zu erstatten. Das gilt ebenso, wenn ein Minderjähriger, oder eine Person, die ihre<br />

Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält,<br />

vernachlässigt oder sexuell missbraucht wurde. Daraus ergibt sich folgende<br />

Unstimmigkeit: Laut nunmehr geändertem ÄrzteG ist es dem Arzt nicht erlaubt,<br />

seine Schweigepflicht zu durchbrechen, um zB persönlich Betroffenen eine<br />

Mitteilung zu machen, wohl aber Angehörigen der Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Pflegeberufe,<br />

wie zB einer diplomierten Krankenschwester. <strong>Die</strong>se Differenzierung ist nach<br />

Kletecka-Pulker 514 durch nichts gerechtfertigt.<br />

514 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 179.<br />

139


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.4. Rechtsfolgen bei Verletzung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Bei einem Verstoß gegen die ursprüngliche ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> gem<br />

§ 359 StG waren gerichtliche Konsequenzen vorgesehen. Als sie jedoch ab dem<br />

Jahre 1975 in entkriminalisierter Form im ÄrzteG geregelt war, stellte der Verstoß<br />

gegen die ärztliche Verpflichtung zur Anzeige nach § 10a ÄrzteG aF bzw<br />

§ 27 ÄrzteG 1984 bloß ein disziplinäres Vergehen gegen die ärztlichen<br />

Standespflichten dar. 515 Ab 1996 wurde eine Verletzung der ärztlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> jedoch mit dem BGBl 1996/378 als Verwaltungsübertretung gem<br />

§ 108 Abs 3 ÄrzteG aF geahndet. 516 Durch die ÄrzteG Novelle 1998 wurde diese<br />

Änderung wieder zurückgenommen <strong>und</strong> darin wiederum eine bloß<br />

disziplinarrechtliche Sanktionierung bei einem Verstoß gegen die ärztliche<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> verankert.<br />

6.4.1. Disziplinarrechtliche Folgen<br />

Auf disziplinarrechtlicher Seite kommen die §§ 135 ff ÄrzteG zur Anwendung. Gem<br />

§ 135 Abs 1 ÄrzteG betreffen diese Regelungen Ärzte, die ordentliche<br />

Kammerangehörige 517 sind <strong>und</strong> Ärzte gem §§ 35, 36 <strong>und</strong> 37 ÄrzteG. Auch Ärzte,<br />

die über eine Bewilligung gem §§ 32 oder 33 ÄrzteG verfügen, unabhängig da<strong>von</strong>,<br />

ob sie ihre ärztliche Tätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eine<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnisses, ausüben zählen dazu.<br />

Allerdings sind gem § 136 Abs 4 ÄrzteG auf Ärzte, die ihren Beruf im<br />

Rahmen eines <strong>Die</strong>nstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer<br />

anderen Körperschaft öffentlichen Rechts mit eigenem Disziplinarrecht ausüben,<br />

515 ErläutRV 1587 BlgNR 13. GP 5; Maresch/Schick, Forensia 1988, 215 <strong>und</strong> Rotter/Schick<br />

in FS Maresch 81.<br />

516 Zahrl, RdM 1998, 19.<br />

517 Vgl VwSlg NF 4817 A.<br />

140


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

die disziplinarrechtlichen Vorschriften des ÄrzteG hinsichtlich ihrer dienstlichen<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Berufspflichten nicht anzuwenden. 518<br />

Für Ärzte, die in einem öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zum B<strong>und</strong><br />

stehen – zB als beamtete Spitalsärzte -, gelten hinsichtlich des Disziplinarrechts<br />

die Bestimmungen des Disziplinarrechts des BDG. Sie üben ihren Beruf mit<br />

„eigenem Disziplinarrecht“ aus <strong>und</strong> unterliegen den Bestimmung nach<br />

§§ 91 ff BDG <strong>und</strong> nicht den disziplinarrechtlichen Bestimmungen des ÄrzteG. Sehr<br />

wohl gelten für sie jedoch – wie schon am Beginn dieser Arbeit erörtert – die<br />

Vorschriften über die Berufspflichten, wie zB § 54 ÄrzteG. 519<br />

Wenn ein in einem B<strong>und</strong>esbeamtenverhältnis stehender Arzt die Vorschriften<br />

über die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG verletzt, ist nach den<br />

§§ 91 ff BDG vorzugehen. Nach § 91 BDG ist ein Beamter dann zur Verantwortung<br />

zu ziehen, wenn er schuldhaft eine <strong>Die</strong>nstpflichtenverletzung begeht. Damit sind in<br />

erster Linie Verstöße gegen die <strong>Die</strong>nstpflichten nach dem BDG (§§ 43 ff BDG)<br />

selbst gemeint. Bei genauer Betrachtung des § 43 Abs 1 BDG lässt sich jedoch<br />

erkennen, dass diese Norm Beamte verpflichtet, ihre dienstrechtlichen Aufgaben<br />

unter „Beachtung der geltenden Rechtsordnung“ zu erfüllen. Somit zählen dazu<br />

auch die Bestimmungen bezüglich der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG. 520<br />

Verletzt ein Arzt, der in einem Beamtenverhältnis zum B<strong>und</strong> steht, die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG, sind gegen ihn die disziplinarrechtlichen<br />

Vorschriften der §§ 91 ff BDG iVm § 43 Abs 1 BDG anzuwenden. 521<br />

Für Ärzte, die in einem öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zum Land<br />

oder zu einer Gemeinde stehen, kommen bei einer Berufspflichtverletzung die<br />

518 Ist ein Arzt, der in einem öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis steht, zB als beamteter<br />

Spitalsarzt, im Rahmen einer privaten Ordination auch als niedergelassener Arzt tätig, so<br />

sind hinsichtlich dieser Tätigkeit sehr wohl die disziplinarrechtlichen Bestimmungen des<br />

ÄrzteG auf ihn anzuwenden. Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 73.<br />

519 Stolzlechner, RdM 2000, 74.<br />

520 Stolzlechner, RdM 2000, 74.<br />

521 Stolzlechner, RdM 2000, 74.<br />

141


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

einschlägigen disziplinarrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen<br />

Landesbeamten- oder Gemeindebeamtendienstrechtsgesetz zur Anwendung. 522<br />

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Berufspflichten nach dem ÄrzteG<br />

für alle Ärzte (mit Ausnahme der Amtsärzte) gelten, die Ahndung der Verletzung<br />

einer dieser Berufspflichten jedoch unterschiedlich geregelt ist. 523<br />

Für Ärzte, die in einem Vertragsbedienstetenverhältnis zu einer<br />

Gebietskörperschaft stehen, kommen die Vertragsbedienstetenbestimmungen<br />

der jeweiligen Gebietskörperschaft zur Anwendung. Für sie gibt es kein eigenes<br />

Disziplinarrecht. Ein Arzt, der in einem Vertragbedienstetenverhältnis zu einer<br />

Gebietskörperschaft angestellt ist, übt seinen Beruf daher nicht „im Rahmen eines<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft<br />

öffentlichen Rechts mit eigenem Disziplinarrecht“ aus, weswegen er den<br />

Bestimmungen des ÄrzteG unterliegt <strong>und</strong> nicht gem § 136 Abs 4 ÄrzteG <strong>von</strong> deren<br />

Anwendung ausgenommen sind. Dasselbe gilt für niedergelassene Ärzte.<br />

Gem § 136 ÄrzteG macht sich ein Arzt eines Disziplinarvergehens schuldig,<br />

wenn er das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch sein Verhalten<br />

der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigt oder<br />

seine Berufspflichten verletzt, sowie, wenn er seinen Beruf ausübt, obwohl über<br />

ihn rechtskräftig die Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der<br />

Berufsausübung nach § 139 Abs 1 Z 3 ÄrzteG verhängt worden ist oder wenn er<br />

vorsätzlich eine strafbare Handlung begangen hat <strong>und</strong> deswegen zu einer<br />

Freiheitsstrafe <strong>von</strong> mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe <strong>von</strong><br />

zumindest 360 Tagessätzen verurteilt worden ist.<br />

Ein Verstoß gegen die Regelungen der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> wird als<br />

Verletzung einer Berufspflicht nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG gewertet. 524<br />

522 Stolzlechner, RdM 2000, 74.<br />

523 Stolzlechner, RdM 2000, 73.<br />

524 Aigner/Kierein/Kopetzki, Ärztegesetz 1998 3 § 136 FN 4.<br />

142


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Eine disziplinäre Verfolgung wird nach § 136 Abs 5 ÄrzteG auch dann nicht<br />

ausgeschlossen, wenn der dem angelasteten Disziplinarvergehen zugr<strong>und</strong>e<br />

liegende Sachverhalt einem gerichtlichen Straftatbestand oder einem<br />

Verwaltungsstraftatbestand entspricht.<br />

Als Folge eines Disziplinarvergehens kann dem Arzt eine einstweilige<br />

Maßnahme nach § 138 ÄrzteG drohen. Dh bis zum Abschluss des<br />

Disziplinarverfahrens kann dem Arzt unter Beachtung der Art <strong>und</strong> des Gewichts<br />

des ihm zur Last gelegten Vergehens, die Ausübung des ärztlichen Berufes<br />

untersagt werden.<br />

Als in Betracht kommenden Disziplinarstrafen sieht das Gesetz gem<br />

§ 139 ÄrzteG einen schriftlichen Verweis, eine Geldstrafe bis zum Betrag <strong>von</strong><br />

36 340 Euro, eine befristete Untersagung der Berufsausübung <strong>und</strong> die<br />

Streichung 525 aus der Ärzteliste, vor.<br />

6.4.2. Verwaltungsstrafrechtliche Folgen<br />

Verwaltungsstrafrechtlich wird ein Verstoß gegen die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

nach § 54 ÄrzteG nicht geahndet, da die Norm in den Strafbestimmungen des<br />

§ 199 ÄrzteG nicht aufgezählt ist. 526<br />

6.4.3. Strafrechtliche Folgen<br />

Strafrechtliche Folgen kommen dann in Betracht, wenn ein strafrechtlicher<br />

Tatbestand erfüllt ist. In Frage kommen uU die Unterlassung der Verhinderung<br />

einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 StGB, die Begünstigung gem<br />

§ 299 StGB oder ein Amtsmissbrauch nach § 302 StGB.<br />

525 <strong>Die</strong>se Form der Disziplinarstrafe wurde erst mit dem BGBl 1994/100 eingefügt.<br />

526 Stolzlechner, RdM 2000, 73.<br />

143


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Nach § 286 StGB handelt tatbestandsmäßig, wer es vorsätzlich unterlässt<br />

eine unmittelbar bevorstehende Vorsatztat, die mit einer einjährig übersteigenden<br />

Freiheitsstrafe bedroht ist, zu verhindern. Betreffend eine Kindesmisshandlung<br />

erfüllen vor allem Handlungen nach § 92 StGB, schwere Köperverletzungen, Fälle<br />

<strong>von</strong> sexuellem Missbrauch eines Kindes <strong>und</strong> tödlich ausgehende<br />

Kindesmisshandlungen die Voraussetzung des Strafrahmens. 527 Weiters muss die<br />

strafbare Handlung unmittelbar bevorstehen. Unmittelbar steht eine Handlung<br />

bevor, „wenn das Verhalten des Täters unter Berücksichtigung aller Umstände des<br />

konkreten Falles aus der Sicht eines Außenstehenden Dritten keinen Zweifel daran<br />

lässt, dass er seinen Tatplan unverzüglich oder doch innerhalb kürzester Zeit zu<br />

realisieren beginnen werde.“ 528 Aus den Tatbestandsmerkmalen ergibt sich, dass<br />

dieses Delikt nur in Ausnahmefällen für den Arzt zur Anwendung kommen wird.<br />

Der Arzt muss einerseits überzeugt sein, dass es innerhalb kürzester Zeit zu einer<br />

Misshandlung kommen wird <strong>und</strong> andererseits den Vorsatz darauf haben diese Tat<br />

nicht zu verhindern.<br />

Der Ausnahmetatbestand, der nach § 286 Abs 2 Z 3 StGB die<br />

Verschwiegenheit begünstigt, kommt hierbei nicht zur Anwendung, da das<br />

Interesse eine Kindesmisshandlung zu verhindern <strong>und</strong> das Interesse der Mitteilung<br />

dieses Verdachts gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse überwiegt, sodass<br />

sich gar keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht für den Arzt ergibt. 529<br />

Das Delikt der Begünstigung nach § 299 StGB erfüllt, wer „einen anderen,<br />

der eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat, der Verfolgung oder der<br />

Vollstreckung der Strafe oder vorbeugenden Maßnahme absichtlich ganz oder<br />

zum Teil entzieht“ <strong>und</strong> „ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit<br />

Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“<br />

<strong>Die</strong> Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale setzt voraus, dass der<br />

Täter jemanden begünstigt, der eine gerichtlich strafbare Handlung tatsächlich<br />

527 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 21 f.<br />

528 Hinterhofer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 286 Rz 12;<br />

vgl auch Plöchl in Höpfel/Ratz, Wiener Komm zum StGB 2 § 286 Rz 7.<br />

529 Hochmayr/Schmoller in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 22, 26.<br />

144


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

begangen hat <strong>und</strong> nicht bloß deswegen verdächtigt wird. Dadurch entzieht der<br />

Täter den Begünstigten der Strafverfolgung. Auf der subjektiven Seite verlangt das<br />

Delikt der Begünstigung eine Absichtlichkeit iSd § 5 Abs 2 StGB, bei dem es sich<br />

um den intensivsten Grad des Vorsatzes handelt <strong>und</strong> ein zielgerechtes Wollen<br />

verlangt wird. 530<br />

Es stellt sich nun die Frage, ob ein Arzt, der Kenntnis <strong>von</strong> einer<br />

Kindesmisshandlung hat <strong>und</strong> es trotz <strong>Anzeigepflicht</strong> unterlässt eine Anzeige zu<br />

erstatten, sich einer Begünstigung gem § 299 StGB strafbar macht. ME ist in<br />

diesen Fällen keine Strafbarkeit anzunehmen, da die geforderte Absichtlichkeit<br />

nicht vorliegen wird. Unterlässt ein Arzt die geforderte Anzeige bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung, dann aus Gründen des Kindeswohls <strong>und</strong> nicht um den Täter<br />

absichtlich vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu schützen.<br />

Das Delikt des Amtsmissbrauchs gem § 302 StGB fordert, dass ein<br />

Beamter, mit dem Vorsatz, einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine<br />

Befugnis, im Namen des B<strong>und</strong>es, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer<br />

Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes als deren Organ in<br />

Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht.<br />

Dass es sich dabei um ein Sonderdelikt handelt, ergibt sich aus dem<br />

Gesetzeswortlaut, der festsetzt, dass Täter nur ein österreichischer Beamter sein<br />

kein. Es handelt sich dabei um Personen, die in der Rechtssprechung oder<br />

Verwaltung tätig sind. 531 Nach § 74 Abs 1 Z 4 StGB ist ein Beamter jeder, der<br />

bestellt ist, im Namen des B<strong>und</strong>es, eines Landes, eines Gemeindeverbandes,<br />

einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes,<br />

ausgenommen einer Kirche oder Religionsgesellschaft, als deren Organ allein<br />

oder gemeinsam mit einem anderen Rechtshandlungen vorzunehmen, oder sonst<br />

mit Aufgaben der B<strong>und</strong>es-, Landes- oder Gemeindeverwaltung betraut ist.<br />

530 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT II 8 § 299 RZ 1 ff; Tipold in<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 299 Rz 17 <strong>und</strong> 31.<br />

531 Bertel/Schwaighofer, Strafrecht BT II 8 § 302 RZ 1.<br />

145


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Daraus ergibt sich, dass Ärzte gr<strong>und</strong>sätzlich keine Beamten iSd<br />

Bestimmung sind, da die Anwendung ärztlicher Behandlungsmethoden weder<br />

Rechtshandlungen noch B<strong>und</strong>es-, Landes- oder Gemeindeverwaltungsaufgaben<br />

darstellen. 532 Auch eine Anwendbarkeit des BGD oder VBG ändert nichts daran,<br />

da der Beamtenbegriff des § 74 Abs 1 Z 4 StGB funktionell-organisatorisch<br />

auszulegen ist. 533 Deswegen kommen Ärzte gr<strong>und</strong>sätzlich nicht als Täter des<br />

Amtsmissbrauchs nach § 302 StGB in Betracht.<br />

Eine Ausnahme stellen allerdings die Amtsärzte dar. Amtsärzte sind gem<br />

§ 41 Abs 1 ÄrzteG „bei den Sanitätsbehörden hauptberuflich tätige Ärzte, die<br />

behördliche Aufgaben zu vollziehen haben“. Weiters sind Arbeitsinspektionsärzte<br />

gemäß § 17 Abs 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 (BGBl. 1993/27),<br />

Polizeiärzte, die für eine B<strong>und</strong>espolizeidirektion, eine Sicherheitsdirektion oder das<br />

BMI auf Gr<strong>und</strong> einer vertraglichen Vereinbarung oder eines öffentlich-rechtlichen<br />

<strong>Die</strong>nstverhältnisses tätig werden <strong>und</strong> Militärärzte, die als Offiziere des<br />

militärmedizinischen <strong>Die</strong>nstes sowie, die auf Gr<strong>und</strong> eines Vertrages oder einer<br />

Einberufung zum Präsenz- oder Ausbildungsdienst beim B<strong>und</strong>esheer tätige Ärzte,<br />

dazuzuzählen.<br />

Wie in Kapitel 6.3. erwähnt, ist gem § 41 Abs 4 Ärzte, dieses nicht auf<br />

Amtsärzte hinsichtlich ihrer amtsärztlichen Tätigkeit anzuwenden. Somit<br />

unterliegen sie nicht der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG, sondern der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO. Zu den Folgen eines Verstoßes der gesetzlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> siehe Kapitel 4.4.<br />

UU kann der Arzt auch für ein fahrlässiges Handeln zur Verantwortung<br />

gezogen werden <strong>und</strong> sich nach § 80 oder § 88 StGB strafbar machen. Dabei ist<br />

allerdings zu beachten, dass er gegen eine allgemein verbindliche Sorgfaltsnorm –<br />

wie zB die Regelungen der <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 54 ÄrzteG – verstoßen muss, damit<br />

ihm dieser Erfolg objektiv zuzurechnen ist <strong>und</strong> subjektiv vorwerfbar ist. Objektiv<br />

zuzurechnen ist ihm der Erfolg, wenn das Verhalten ursächlich für den Erfolg war<br />

532 Nittel in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 74 Rz 27.<br />

533 Zagler in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Komm zum StGB § 302 Rz 32.<br />

146


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

(Kausalzusammenhang), wenn der Verlauf der Geschehnisse innerhalb des<br />

Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegt (Adäquanzzusammenhang) <strong>und</strong> jenes<br />

Risiko eingetreten ist, dem die Sorgfaltsnorm entgegenwirken sollte<br />

(Risikozusammenhang). Wäre der Erfolg trotz rechtmäßigem Alternativverhalten<br />

eingetreten, ist eine strafrechtliche Haftung zu verneinen. Für die subjektive<br />

Vorwerfbarkeit sind die geistigen <strong>und</strong> körperlichen Fähigkeiten maßgebend. 534<br />

534 Brandstetter/Zahrl, <strong>Die</strong> strafrechtliche Haftung des Arztes, RdM 1994, 17 (20 ff).<br />

147


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.5. Zusammenfassung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Im Laufe der Zeit, hat es immer wieder Änderungen der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

gegeben. Der Gesetzgeber ist <strong>von</strong> einer gr<strong>und</strong>sätzlich strengen ärztlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> in § 27 ÄrzteG 1984, nach einer Auflockerung der ärztlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> in § 54 ÄrzteG idF 1998, die eine Ermächtigung zur Mitteilung <strong>und</strong><br />

ein Absehen einer Anzeige bei Vorliegen eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses vorsah, wieder zu einer gr<strong>und</strong>sätzlich strengen ärztlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> zurückgekehrt. Einzige Ausnahme, für das Unterbleibenlassen der<br />

Anzeigen ist, wenn sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen richtet, es<br />

das Kindeswohl fordert <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

gewährleistet ist.<br />

Aber auch die aktuelle Version ist nicht gänzlich zufriedenstellend <strong>und</strong> die<br />

Verpflichtung der Ärzte, Fälle mit Verdacht auf Kindesmisshandlung anzuzeigen<br />

steht immer wieder im Mittelpunkt <strong>von</strong> Diskussionen, wie zuletzt bei der<br />

Ausarbeitung des 2. GeSchG. Siehe dazu Kapitel 10.<br />

Beim Vergleich der bisherigen Versionen der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> (§ 359<br />

StG, § 27 ÄrzteG 1984, § 54 ÄrzteG 1998 <strong>und</strong> § 54 ÄrzteG), lässt sich feststellen,<br />

dass bei jeder Novelle versucht wurde, die Regelung dem gesellschaftlichen<br />

Denken, unter Bedachtnahme auf den Schutz Minderjähriger, anzupassen.<br />

Bemühte sich der Gesetzgeber zunächst mittels strengen Regelungen zur Anzeige<br />

Gewalt gegen Kinder zu verhindern, stellte er bald fachlich-therapeutische Kriterien<br />

im Kampf gegen Kindesmisshandlung in den Vordergr<strong>und</strong>. Vor allem beim<br />

öffentlichen Bekanntwerden vermehrter Fälle <strong>von</strong> Kindesmisshandlung,<br />

Kindesmissbrauch <strong>und</strong> Vernachlässigung wurde der Forderung einer<br />

Gesetzesänderung Rechung getragen.<br />

Der Adressatenkreis der sich immer wieder geänderten Bestimmung blieb als<br />

einziges Tatbestandsmerkmal unverändert <strong>und</strong> umfasst, wie erwähnt, alle Ärzte<br />

mit Ausnahme der Amtsärzte.<br />

148


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

In der ursprünglichen Regelung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 359 StG<br />

musste die Anzeige bei Verdacht einer strafbaren Handlung an eine Behörde<br />

erfolgen. Seit sich die Bestimmung in § 27 ÄrzteG 1984 befindet war eine Anzeige<br />

nur noch an die Sicherheitsbehörden vorgesehen. Weiters war ab 1998 durch die<br />

1. ÄrzteG Novelle bei Fällen mit Verdacht auf Kindesmisshandlung, zur<br />

Verhinderung einer weiteren Gefährdung eine Einbeziehung des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers vorgesehen. In der heute gültigen Fassung muss bei<br />

jedem Verdacht auf Kindesmisshandlung, unabhängig <strong>von</strong> einer Anzeige an die<br />

Sicherheitsbehörden, ausnahmslos eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

erfolgen.<br />

Lagen die Voraussetzungen zur verpflichteten Erstattung einer Anzeige vor,<br />

war diese bis zur abgeschwächten Version des § 54 ÄrzteG 1998 immer<br />

unverzüglich zu erstatten. Mit § 54 ÄrzteG 1998 wurde erstmals die Möglichkeit<br />

eingeräumt bei Vorliegen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> einer<br />

Anzeige abzusehen. Dadurch konnte nicht mehr <strong>von</strong> einer unverzüglichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> ausgegangen werden. Auch in der derzeit in Kraft stehenden<br />

Regelung ist das Zuwarten (bzw Nichtanzeigen) unter gewissen Voraussetzungen<br />

gem § 54 ÄrzteG erlaubt.<br />

Auch inhaltlich gesehen hat es immer wieder andere Abgrenzungen<br />

gegeben. Unproblematisch seit jeher ist, dass jeder Todesfall, bei dem der<br />

Verdacht auf eine strafbare Handlung aufkommt, angezeigt werden muss.<br />

Bei Verletzungen <strong>und</strong> Misshandlungen zeigen sich aber schon einige<br />

Unterschiede. War anfangs in § 357 StG noch jede Verletzung, unabhängig ob<br />

leicht oder schwer oder ob die Verletzung aus einer Misshandlung oder einem<br />

sexuellen Missbrauch hervorging, anzuzeigen, lag in der Nachfolgerbestimmung<br />

des § 27 ÄrzteG eine ganz andere Situation vor. Schwere Körperverletzungen<br />

waren unabhängig vom Alter des Opfers ausnahmslos anzuzeigen. Im Bereich der<br />

Kindesmisshandlung wurde jedoch auf § 92 StGB abgestellt, wodurch die<br />

Regelung unüberschaubar wurde. So musste der Arzt die leichte Verletzung eines<br />

Kindes nur dann anzeigen, wenn der Täter in einem Autoritätsverhältnis zu dem<br />

149


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

Opfer stand. Weiters waren durch die Abstellung auf § 92 StGB viele Taten im<br />

Bereich der Sexualdelikte nicht <strong>von</strong> einer <strong>Anzeigepflicht</strong> erfasst.<br />

§ 54 ÄrzteG idF 1998 sah <strong>von</strong> vornherein eine sehr lockere Form der<br />

ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> vor. Der Arzt war zu einer Mitteilung ermächtigt, allerdings<br />

nur bei einem Tod zur ausnahmslosen Anzeige verpflichtet. Bei schweren<br />

Körperverletzungen, unabhängig ob das Opfer voll- oder minderjährig war, gab es<br />

zwar eine gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Anzeigepflicht</strong>, jedoch konnte der Arzt bei Vorliegen<br />

eines persönlichen Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> der Erstattung einer Anzeige<br />

absehen. Leichte Verletzungen waren nicht anzuzeigen. <strong>Die</strong> Einbeziehung des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers bei Fällen mit minderjährigen Opfern wurde für<br />

ausreichend angesehen.<br />

Mit der 2. ÄrzteG Novelle 2001 kehrte der Gesetzgeber zu einer strengen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> für Ärzte zurück <strong>und</strong> normierte in § 54 ÄrzteG eine gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

strenge <strong>Anzeigepflicht</strong> bei schweren Körperverletzungen, sowie bei<br />

Misshandlungen, Quälen, Vernachlässigen <strong>und</strong> bei sexuellem Missbrauch <strong>von</strong><br />

Minderjährigen. Lediglich unter gewissen Voraussetzungen (naher Angehöriger als<br />

Täter, Kindeswohl, Einbeziehung des Jugendwohlfahrtsträgers) ist ein Absehen<br />

<strong>von</strong> der Anzeige möglich. Weder eine <strong>Anzeigepflicht</strong> noch eine Meldepflicht<br />

besteht, bei leichten Körperverletzungen, die bei Minderjährigen nicht aus einer<br />

Misshandlung, Qual, Vernachlässigung oder aus einem sexuellen Missbrauch<br />

resultiert. Dasselbe gilt, wenn eine volljährige Person misshandelt, gequält oder<br />

vernachlässigt wird ohne dass ihr dabei eine Körperverletzung zugefügt wird. Bei<br />

jeder Kindesmisshandlung ist jedoch eine Einbeziehung des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers unerlässlich.<br />

Abschließend ist festzuhalten, dass dem Arzt heute wie auch früher ein<br />

großes juristisches Verständnis zugemutet bzw abverlangt wird. Er muss den<br />

genauen Sachverhalt klären, die Beziehung <strong>von</strong> Täter <strong>und</strong> Opfer, sowie dessen<br />

Alter eruieren, über die genaue Definition einer gerichtlich strafbaren Handlung<br />

informiert sein <strong>und</strong> unverzüglich über den Grad der Schwere einer<br />

Körperverletzung Auskunft geben können. Nur dann kann er feststellen, ob er der<br />

150


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

gesetzlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> unterliegt <strong>und</strong> wie er weiter vorzugehen hat, um alle<br />

seine Pflichten zu erfüllen <strong>und</strong> nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. 535<br />

535 Vgl Maurer, ÖÄZ 1982 H 1, 30.<br />

151


Anzeigerecht des Arztes<br />

6.6. Anzeigerecht des Arztes gem § 80 StPO<br />

Bei all diesen Überlegungen <strong>und</strong> historisch gesehen unterschiedlichen<br />

Regelungen darf jedoch nicht auf das Anzeigerecht nach § 80 StPO vergessen<br />

werden. Wie in Kapitel 4.6. erläutert, steht jedermann – also auch dem Arzt – das<br />

Recht zu, bei Kenntnis einer strafbaren Handlung eine Anzeige zu erstatten. 536<br />

ME ist nicht da<strong>von</strong> auszugehen, dass das Anzeigerecht bei Personen, die der<br />

gesetzlichen Verpflichtung zur Anzeigenerstattung unterliegen, eine bedeutende<br />

Rolle spielt. In den Fällen, in denen eine zur Anzeige verpflichtete Person <strong>von</strong> den<br />

gesetzlichen Ausnahmen dieser Verpflichtung Gebrauch macht, geht dieser<br />

Entscheidung eine schwierige Interessenabwägung voraus. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

wird sich die betroffene Person in dieser Situation nicht auf ihr Anzeigerecht<br />

stützen.<br />

Umgekehrt könnte jedoch argumentiert werden, dass der Gebrauch des<br />

Anzeigerechts eine rechtliche Absicherung in diesem sensiblen Bereich mit sich<br />

bringt <strong>und</strong> eine Möglichkeit der Umgehung der notwendigen Interessenabwägung<br />

darstellt.<br />

Wenn sich ein zur Anzeige verpflichteter Arzt der Interessenabwägung stellt<br />

<strong>und</strong> unter Anwendung des Ausnahmetatbestandes <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand<br />

nimmt, wird er sich dieser Handlungsweise jedoch vollständig bewusst sein <strong>und</strong><br />

die Verantwortung dafür auf sich nehmen bzw absolut da<strong>von</strong> überzeugt sein, dass<br />

diese Vorgehensweise das Beste für das Kind ist. Im gegenteiligen Fall würde der<br />

betroffene Arzt sicherlich nicht diesen Weg gehen, sondern – sei es aufgr<strong>und</strong><br />

seiner gesetzlichen Verpflichtung oder aufgr<strong>und</strong> des Anzeigerechts – Anzeige<br />

erstatten.<br />

536 Vgl Leinzinger, <strong>Anzeigepflicht</strong> gemäß § 27 Ärztegesetz 1984, ÖÄZ 1985 H 7, 66. <strong>Die</strong>sem<br />

Recht werden allerdings Grenzen durch die ärztliche Verschwiegenheitspflicht gesetzt.<br />

152


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.7. Weitere Regelungen im medizinischen Bereich<br />

Nicht nur für Ärzte, sondern auch für andere Berufsgruppen, wie zB Angehörige<br />

<strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Pflegeberufen, Psychologen, Psychotherapeuten <strong>und</strong><br />

Masseure gibt es gesetzliche Vorschriften, hinsichtlich der korrekten<br />

Vorgehensweise bei einem Verdachts auf eine strafbare Handlung.<br />

6.7.1. Angehörige <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankenpflegeberufen<br />

§§ 7 <strong>und</strong> 8 GuKG sind die relevanten Bestimmungen hinsichtlich der Anzeige- <strong>und</strong><br />

Meldepflicht bei Verdacht auf eine strafbare Handlung. Sie entsprechen dem<br />

§ 54 Abs 4 bis 6 ÄrzteG 1998 idF vor der 2. ÄrzteG Novelle 2001. Dh für<br />

Angehörige <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankenpflegeberufe gilt eine deutlich<br />

eingeschränkte Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflicht. Anscheinend hat sich der Gesetzgeber<br />

noch nicht veranlasst gefühlt, diese Bestimmungen anzupassen. Demnach<br />

unterliegen gem § 7 GuKG Angehörige <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

Krankenpflegeberufen einer <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht auf eine strafbare<br />

Handlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung herbeigeführt hat. In<br />

letzterem Fall ist das Absehen der Anzeige möglich, wenn die Anzeige eine<br />

Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf. Bei Verdacht, dass eine minderjährige Person<br />

oder eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen kann,<br />

misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht wurde, ist gem<br />

§ 8 GuKG eine Meldung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger bzw das<br />

zuständige Pflegschaftsgericht zu erstatten. Voraussetzung dabei ist, dass die<br />

Meldung zur Verhinderung einer weiteren Gefährdung der Person erforderlich<br />

ist. 537 Vgl Kapitel 6.3.5.<br />

537 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 43.<br />

153


Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

6.7.2. Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten<br />

Trotz der vermeintlich starken Verschwiegenheitspflicht in § 14 PsychologenG <strong>und</strong><br />

§ 15 PsychotherapieG sind auch diese Berufsgruppen zu Meldungen beim<br />

Verdacht einer Kindesmisshandlung verpflichtet.<br />

Gem § 37 Abs 2 JWG sind Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten, die in der<br />

Jugendwohlfahrt tätig oder beauftragt sind, zu einer Meldung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger verpflichtet, wenn sie den Verdacht der Misshandlung,<br />

Vernachlässigung, des Quälens oder sexuellen Missbrauchs <strong>von</strong> Minderjährigen<br />

hegen. Weiters erlaubt § 37 Abs 3 JWG eine Durchbrechung der<br />

Verschwiegenheitspflicht <strong>und</strong> rechtfertigt – genauso wie der rechtfertigende<br />

Notstand – eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger. 538<br />

6.7.3. Masseure<br />

Für freiberuflich tätige Heilmasseure sind in § 35 Abs 2 bis 4 MMHmG Vorschriften<br />

einer <strong>Anzeigepflicht</strong> enthalten, die den Regeln des § 54 Abs 4 bis 6 ÄrzteG voll<br />

entsprechen. Unselbständig tätige medizinische Masseure sind gem § 7 MMHmG<br />

zu einer unverzüglichen Meldung an den <strong>Die</strong>nstgeber verpflichtet, wenn sich in<br />

Ausübung ihres Berufs der Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare<br />

Handlung der Tod oder eine schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde oder<br />

ein Minderjähriger oder eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst<br />

wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />

missbraucht worden ist. 539<br />

538 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 44; Hochmayr/Schmoller in<br />

Schmoller/Holz-Dahrenstaedt 28 ff.<br />

539 Vgl Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 42.<br />

154


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

7. Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG,<br />

§ 78 StPO <strong>und</strong> § 45 bzw § 53 BDG<br />

Das Gesetz sieht eine berufsrechtliche <strong>Anzeigepflicht</strong> für Ärzte gem<br />

§ 54 ÄrzteG, eine strafrechtliche <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen nach § 78 StPO, eine dienstrechtliche <strong>Anzeigepflicht</strong> in<br />

§ 45 BDG, sowie Meldepflichten in den <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen vor. Es gilt zu klären,<br />

in welchem Verhältnis diese Bestimmungen zueinander stehen <strong>und</strong> inwieweit die<br />

Normen des § 78 StPO sowie die des § 45 Abs 3 BDG bzw § 5 b Abs 3 VBG<br />

(<strong>Anzeigepflicht</strong> des Leiters der <strong>Die</strong>nststelle) <strong>und</strong> § 53 BDG bzw § 5 Abs 1 VBG<br />

(Meldepflicht an den Leiter der <strong>Die</strong>nststelle) auch für Ärzte relevant sind. In<br />

weiterer Folge ist ein inhaltlicher Vergleich geboten, wobei auch die historische<br />

Betrachtungsweise eine enge Verbindung erkennen lässt.<br />

7.1. Historischer Vergleich<br />

Ursprünglich bestand neben der ersten Fassung der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden<br />

<strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen gem § 84 StPO idF 1975, die bis 1993 in Kraft <strong>und</strong><br />

ohne Ausnahmen konzipiert war, die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 10 a Ärzte, die<br />

in § 27 ÄrzteG 1984 wiederverlautbart wurde <strong>und</strong> <strong>von</strong> 1975 bis 1998 gültig war.<br />

<strong>Die</strong>se war ebenfalls sehr streng <strong>und</strong> ohne Ausnahmen konzipiert.<br />

1993 kam es zu einer Novelle des Strafprozessrechts, in dem die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 84 StPO idF 1975 erneuert bzw aufgelockert wurde. <strong>Die</strong><br />

novellierte Regelung für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen nach § 84 StPO<br />

idF 1993 wies eine sehr bedeutsame Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong> in Abs 2 Z 1<br />

auf: „Keine <strong>Anzeigepflicht</strong> besteht, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit<br />

beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf.“<br />

155


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

Somit galt die <strong>Anzeigepflicht</strong> für Ärzte in einem weiteren Umfang als für<br />

Behörden <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nststellen, da die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 27 ÄrzteG 1984<br />

weiterhin ohne Ausnahmen geregelt war. Auf Vertrauensverhältnisse wurde im<br />

ÄrzteG keine Rücksicht genommen. Aufgr<strong>und</strong> dieser zwei unterschiedlichen<br />

inhaltlichen Reichweiten gab es auch bezüglich einer Novellierung des ÄrzteG<br />

Handlungsbedarf. 540 Laut der RV 541 standen die zwei Bestimmungen zueinander<br />

nicht im Einklang.<br />

Vor Veranlassung einer Neuregelung, wurde jedoch versucht die vorliegende<br />

Situation praxisorientiert auszulegen. Dabei zeigten sich unterschiedliche<br />

Ansichten.<br />

<strong>Die</strong> RV 542 ging in Übereinstimmung mit dem BMJ da<strong>von</strong> aus, dass<br />

§ 84 StPO aF iVm den spezifischen Meldepflichten nach dem BDG gegenüber<br />

§ 27 ÄrzteG 1984 als speziellere Norm anzusehen war <strong>und</strong> dass die<br />

Ausnahmetatbestände der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 84 Abs 2 Z 1 StPO aF auch für<br />

Anwendungsfälle des § 27 ÄrzteG 1984 gelten sollten. 543 Das BMJ erklärte: 544 „Es<br />

kann dem Gesetzeber nicht zugesonnen werden, dass er einerseits Anzeige- <strong>und</strong><br />

Meldepflichten unter dem Gesichtspunkt des (vorrangigen) Erfolges öffentlicher<br />

Tätigkeit neu strukturiert <strong>und</strong> in wesentlichem Ausmaß lockert, diese Struktur <strong>und</strong><br />

die ihr zugr<strong>und</strong>eliegende Wertung aber dann verlässt, wenn es sich bei den<br />

Beamten um Ärzte handelt. (Andernfalls käme es zu paradox anmutenden<br />

Situation, etwa zu dem Fall, daß Sozialarbeiter <strong>und</strong> Leitung eines Jugendamts im<br />

Interesse eines Probanden auf Anzeige verzichten könnten, der im Rahmen einer<br />

therapeutischen Intervention zugezogene – private oder beamtete – Arzt jedoch<br />

nach § 27 ÄrzteG Anzeige erstatten müsste.)“<br />

AA ist hingegen Schick 545 , der <strong>von</strong> § 27 ÄrzteG 1984 als speziellere Norm<br />

ausging. Er begründete dies damit, dass das Zuwiderhandeln gegen die ärztliche<br />

540 Schwaighofer/Steiner, RdM 2000, 48.<br />

541 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 96.<br />

542 ErläutRV 1386 BlgNR 20. GP 96.<br />

543 JMZ 415.003/31-II 3/1996, 5; Mayerhofer/Hollaender, StPO 5 § 84 FN 3<br />

544 JMZ 415.003/31-II 3/1996, 5.<br />

545 Schick in FS Moos 309.<br />

156


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nur disziplinäre Folgen nach sich zog, während ein Verstoß nach<br />

§ 84 StPO aF strafrechtliche Konsequenzen wie zB einen Missbrauch der<br />

Amtsgewalt durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) hervorrufen konnte. Seine<br />

Schlussfolgerung daraus war, dass Ausnahmen einer Norm, deren Missachtung<br />

gerichtliche Folgen nach sich ziehen, auch auf mindere Pflichten anzuwenden<br />

sind. Theoretisch gäbe es keine Schwierigkeiten, die Ausnahmetatbestände des<br />

§ 84 Abs 2 Z 1 StPO aF auch auf § 27 ÄrzteG 1984 anzuwenden. Allerdings weist<br />

Schick darauf hin, dass die wesentliche Voraussetzung des<br />

Ausnahmetatbestandes, nämlich die Ausübung einer amtlichen Tätigkeit des<br />

Verpflichteten, gegeben sein musste. 546 Man könne nicht für kurativ tätige Ärzte,<br />

die der strengen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 27 Ärzte 1984 unterlagen, die gleichen<br />

Ausnahmen gelten lassen, wenn sie weder in den Adressatenkreis des<br />

§ 84 StPO aF fielen, noch eine amtliche Tätigkeit iSd § 84 Abs 2 Z 1 StPO aF<br />

ausübten, was jedoch Voraussetzung war, um <strong>von</strong> der Verpflichtung zur<br />

Anzeigerstattung nach § 84 StPO aF abzusehen. Schick sprach sich somit<br />

eindeutig gegen eine analoge Anwendung der Ausnahmetatbestände der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 84 StPO aF auf die ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> aus.<br />

<strong>Die</strong> damalige Rechtslage bezüglich der <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung war demnach alles andere als eindeutig <strong>und</strong> sorgte für viele<br />

Konflikte <strong>und</strong> Diskussionen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kam es schließlich, auch auf<br />

Empfehlung des BMJ 547 , zu einer Neugestaltung im Rahmen der ÄrzteG-Novelle<br />

1998, die sich in § 54 ÄrzteG aF niederschlug <strong>und</strong> <strong>von</strong> 1998 bis 2001 zur zweiten<br />

ÄrzteG Novelle gültig war.<br />

Somit war eine inhaltliche Annäherung der <strong>Anzeigepflicht</strong> des § 54 ÄrzteG<br />

idF 1998 an § 84 StPO aF sichergestellt. In beiden Bestimmungen war ein<br />

Absehen der Anzeige bei Vorliegen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses<br />

zulässig.<br />

546 <strong>Die</strong>ser Ansicht folgt auch Zahrl in RdM 1998, 20.<br />

547 JMZ 415.003/31-II 3/1996, 6.<br />

157


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

Mit 1. November 2000 wurde ein neuer Abs 2a in § 84 StPO aF eingefügt. Er<br />

ist bis heute in Kraft, jedoch seit 2007 in Abs 3 des heute gültigen § 78 StPO<br />

verankert. <strong>Die</strong>ser neue Absatz stellt den Schutz des Verletzten oder anderer<br />

gefährdeter Personen explizit in den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> verpflichtet auch in den<br />

Ausnahmefällen, in denen ein persönliches Vertrauensverhältnis besteht, zu einer<br />

Anzeige, wenn nur dadurch der Schutz des Opfers sichergestellt ist. Er normiert<br />

also eine Ausnahme <strong>von</strong> der Ausnahme der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong><br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen, womit im Prinzip wieder eine generell strenge<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> vorlag.<br />

Da es nun wieder zu einem inhaltlichen Widerspruch der generellen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen <strong>und</strong> der relativ lockeren<br />

ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> gekommen war, führte unter anderem diese neue<br />

Regelung in § 84 Abs 2a StPO aF zu einer weiterer Novellierung der ärztlichen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> im Jahre 2001. Entgegen dem Justizausschussbericht 548 kam es zu<br />

einer entsprechenden Angleichung des § 54 Abs 4, 5 <strong>und</strong> 6 ÄrzteG an die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> der StPO. Damit wurde versucht, ein Spannungsverhältnis zwischen<br />

den zwei Normen auszugleichen <strong>und</strong> es konnte wieder <strong>von</strong> einer relativ strengen<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> gesprochen werden.<br />

Historischer Vergleich der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach der StPO <strong>und</strong> dem ÄrzteG<br />

1975<br />

§ 84 StPO aF<br />

Streng <strong>und</strong><br />

ohne<br />

Ausnahmen<br />

1993<br />

§ 84 StPO<br />

Lockerung<br />

durch<br />

Ausnahmen<br />

2000<br />

Neuer Abs 2 a<br />

Opferschutz <br />

Strenge<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong><br />

? ?<br />

1975<br />

§ 27 ÄrzteG<br />

Streng <strong>und</strong> ohne<br />

Ausnahmen<br />

1998<br />

§ 54 ÄrzteG aF<br />

Lockerung <strong>und</strong><br />

Ermächtigung<br />

2001<br />

§ 54 ÄrzteG<br />

Strenge<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong><br />

548 Vgl JAB 289 BlgNR 21. GP 4, der ausdrücklich festlegt, dass § 84 Abs 2 a StPO aF andere<br />

Regelungen wie zB § 54 Abs 4 Z 2 <strong>und</strong> Abs 5 ÄrzteG aF nicht berührt.<br />

158


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

7.2. Vergleich des Adressatenkreises<br />

Wie erwähnt, wird zwischen folgenden <strong>Ärzten</strong> unterschieden, welche nicht immer<br />

nach den gleichen Rechtsvorschriften zu handeln haben:<br />

• Ärzte die in einem öffentlich-rechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einer<br />

Krankenanstalt des B<strong>und</strong>es, der Länder, der Gemeinden stehen (Beamte)<br />

• Ärzte, die in einem privatrechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einer<br />

Krankenanstalt des B<strong>und</strong>es, der Länder, der Gemeinden stehen<br />

(Vertragsbedienstete)<br />

• Ärzte, die in einem privaten <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einer privaten<br />

Krankenanstalt stehen<br />

• Niedergelassene Ärzte<br />

• Amtsärzte<br />

Es ist zu klären, in welchem Zusammenhang die betroffenen Regelungen<br />

stehen. Sind § 78 StPO, § 45 BDG <strong>und</strong> § 5 b VBG auch auf Ärzte anwendbar?<br />

Wenn ja, in welchem Umfang?<br />

Bekannt ist, dass die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO Behörden <strong>und</strong><br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen, bzw konkret den Leiter einer Behörde oder öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nststelle trifft. Daraus ergibt sich, dass die Regelung nicht für niedergelassene<br />

Ärzte oder für Ärzte, die in einem <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einem privaten<br />

Krankenanstaltenträger (zB einem Orden) stehen, gilt. 549 Wie in Kapitel 4.3.1.<br />

erörtert, ist eine Anwendung des § 78 StPO auf öffentliche Krankenanstalten<br />

durchaus möglich. Daraus ergibt sich, dass der Leiter einer öffentlichen<br />

Krankenanstalt der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO unterliegt. Dasselbe gilt für<br />

Amtsärzte. Einzelne angestellte Ärzte fallen jedoch nicht unter den<br />

Anwendungsbereich des § 78 StPO.<br />

549 Da sich weder der Adressatenkreis des § 84 StPO aF, der dem heutigen § 78 StPO<br />

entspricht, noch der der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> des ÄrzteG verändert hat, kann die<br />

Untersuchung im allgemeinen, dh auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>von</strong> früherer Literatur getroffen werden. Vgl<br />

auch Stolzlechner, RdM 2000, 75.<br />

159


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

<strong>Die</strong> Vorschriften der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG kommen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

für alle Ärzte (mit Ausnahme des Amtsarztes) zur Anwendung 550 , dabei ist jedoch<br />

das Verhältnis zu den Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflichten aus den <strong>Die</strong>nstrechtsgesetzen<br />

zu klären.<br />

Keine Probleme stellen sich diesbezüglich bei niedergelassenen <strong>Ärzten</strong> bzw<br />

Ärzte, die in einem privaten <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einem privaten Krankenhaus<br />

stehen. Sie sind nicht Adressaten des BDG oder des VBG, weswegen sie<br />

ausschließlich der <strong>Anzeigepflicht</strong> des § 54 ÄrzteG nachkommen müssen. 551<br />

Bleibt noch zu klären, wie Ärzte, die in einem öffentlich-rechtlichen oder<br />

privaten <strong>Die</strong>nstverhältnis zu einer Krankenanstalt der Gebietskörperschaften<br />

stehen 552 , im Falle des Verdachts einer gerichtlichen strafbaren Handlung<br />

vorzugehen haben. Sie unterliegen zusätzlich zum ÄrzteG auch den<br />

Meldepflichten des BDG <strong>und</strong> VBG. Ist der Arzt gleichzeitig auch Leiter der<br />

Krankenanstalt unterliegt er außerdem § 78 StPO. Beim Zusammentreffen dieser<br />

Normen stellt sich jedoch die Frage nach der genauen Vorgangsweise.<br />

Dazu folgendes Beispiel: Ein verletztes Kind wird mit Verdacht auf<br />

Misshandlung in ein B<strong>und</strong>esspital eingeliefert, indem es <strong>von</strong> einem in einem<br />

B<strong>und</strong>esbeamtendienstverhältnis stehenden Arzt behandelt wird. 553 <strong>Die</strong>ser muss in<br />

erster Linie den Vorschriften des § 54 ÄrzteG nachkommen. Bezüglich einer<br />

Meldepflicht an den Leiter der <strong>Die</strong>nststelle gem § 53 BDG, welchen wiederum eine<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> trifft, ist die Rechtslage jedoch nicht ganz eindeutig.<br />

IdS ist Stolzlechner 554 der Ansicht, dass der Arzt (da die strafrechtlich<br />

relevanten Tathandlungen <strong>von</strong> außerhalb der Krankenanstalt stehenden Personen<br />

getätigt wurden) ausschließlich nach § 54 ÄrzteG vorzugehen hat. Nicht in<br />

Betracht kommt seiner Meinung ein Handeln nach § 53 BDG, weil die Handlung<br />

550 Siehe Kapitel 6.3. Gem § 54 ÄrzteG ist „jeder Arzt“ unter gewissen Voraussetzungen zu einer<br />

Anzeige bei Verdacht einer strafbaren Handlung verpflichtet.<br />

551 Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

552 Da<strong>von</strong> sind auch Amtsärzte erfasst.<br />

553 Vgl Stolzlechner, RdM 2000, 74.<br />

554 Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

160


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

zwar eine <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgende strafbare Handlung ist, nicht aber den<br />

„Wirkungsbereich der <strong>Die</strong>nststelle“ betrifft. Nur wenn die Verletzung oder der Tod<br />

einer Person „intern“ verursacht wurde, zB durch einen Behandlungsfehler eines<br />

anderen Arztes, der „dem <strong>Die</strong>nststand der betroffenen Krankenanstalt angehört“,<br />

liegt seiner Meinung nach der Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung, die<br />

„den Wirkungsbereich der <strong>Die</strong>nststelle betrifft“ vor, worauf die Vorschriften des<br />

BDG heranzuziehen sind. 555<br />

AA ist jedoch Kucsko-Stadlmayer 556 , die nicht darauf abstellt, dass das Delikt<br />

in der betreffenden <strong>Die</strong>nststelle begangen wurde, sondern darauf, dass der<br />

Verdacht dem Beamten bzw dem Leiter „in Ausübung seines <strong>Die</strong>nstes“ bekannt<br />

geworden ist. <strong>Die</strong>ser Ansicht ist zu folgen, da die Formulierung „der<br />

Wirkungsbereich der <strong>Die</strong>nststelle“ nicht voraussetzt, dass die Handlung<br />

unmittelbar an der betroffenen <strong>Die</strong>nststelle begangen worden sein muss. Es<br />

genügt vielmehr, dass der Arzt die Verletzung in seiner Tätigkeit als beamteter Arzt<br />

bzw in seiner amtlichen Eigenschaft wahrgenommen hat, um – zusätzlich zur<br />

ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG – eine Anwendbarkeit der<br />

Bestimmungen des § 53 bzw § 45 Abs 3 BDG zu bejahen.<br />

Zur Abklärung des Verhältnisses der Bestimmungen des BDG zum ÄrzteG<br />

kommt Stolzlechner zu folgendem Schluss. Im Falle der Anwendbarkeit beider<br />

Gesetzesnormen, sieht er die Bestimmungen des BDG als leges speciales an, <strong>und</strong><br />

räumt ihnen der Vorrang gegenüber dem ÄrzteG ein. Ein Spitalsarzt hat im Fall der<br />

konkurrierenden Anwendbarkeit beider Normen gem § 53 BDG vorzugehen <strong>und</strong><br />

seinen Verdacht unverzüglich dem ärztlichen Spitalsleiter zu melden 557 , welcher<br />

wiederum gem § 45 Abs 3 BDG zur Meldung des Verdacht an die „zur Anzeige<br />

berufenen Stelle“, wie zB der Krankenanstaltenbehörde, verpflichtet ist, sofern<br />

nicht nach § 109 BDG vorzugehen <strong>und</strong> eine Disziplinaranzeige bei der<br />

555 Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

556 Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 186.<br />

557 Er ist als Arzt, der nicht Leiter der Krankenanstalt ist, nicht berechtigt eine unmittelbare<br />

Anzeige bei den Sicherheitsbehörden zu erstatten. Vgl VwSlg 13561 A/1992; VwGH 4.9.2003,<br />

2000/09/0166.<br />

161


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

<strong>Die</strong>nstbehörde zu erstatten ist. 558 Stolzlechner stellt idZ die Anwendbarkeit des<br />

§ 54 ÄrzteG hinter die speziellen Regelungen des BDG zurück.<br />

<strong>Die</strong>ser Annahme ist entgegen zu halten, dass die Anwendung des ÄrzteG<br />

ausschließlich auf Ärzte zugeschnitten ist. 559 Das BDG hingegen beinhaltet<br />

Regelungen für Angehörige unterschiedlichster Berufsgruppen. 560 Daraus ergibt<br />

sich, dass der Adressatenkreis des ÄrzteG wesentlich kleiner ist als der des BDG,<br />

sodass mE dem ÄrzteG als speziellere Norm der Vorrang einzuräumen ist.<br />

Ein ähnliches Abgrenzungsproblem stellt sich für (ärztliche) Leiter bezüglich<br />

der Anwendbarkeit <strong>von</strong> § 78 StPO <strong>und</strong> § 45 Abs 3 BDG. Welcher Norm ist in<br />

diesem Fall der Vorrang einzuräumen? Kucsko-Stadlmayer 561 hält die<br />

Verpflichtung zur Anzeige des <strong>Die</strong>nststellenleiters nach § 78 StPO jedenfalls für<br />

vorrangig, soweit keine internen Bestimmungen dazu vorhanden sind.<br />

In der Praxis stellt sich diese Problematik jedoch weniger, da ein Arzt ohnehin<br />

jeden Verdacht auf eine Kindesmisshandlung zu allererst seinem Vorgesetzen<br />

meldet, um dann eine gemeinsame Interessenabwägung bezüglich einer<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> vorzunehmen – wodurch allen relevanten Normen Rechnung<br />

getragen wird.<br />

Ärzte, die in einem Vertragsbedienstetenverhältnis zum B<strong>und</strong> stehen<br />

unterliegen einer ähnliche Rechtslage, da § 5 Abs 1 VBG bezüglich einer<br />

Meldepflicht des Einzelnen auf § 53 BDG verweist <strong>und</strong> § 5 b Abs 3 <strong>und</strong> 4 VBG, der<br />

die <strong>Anzeigepflicht</strong> für den Leiter einer <strong>Die</strong>nststelle regelt, mit § 45 Abs 3 <strong>und</strong><br />

4 BDG ident ist. 562<br />

558 Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

559 Vgl § 1 ÄrzteG.<br />

560 Vgl § 1 BDG bzw § 1 VBG, die normieren, dass das jeweilige Gesetz auf alle Bediensteten<br />

anzuwenden ist, die in einem öffentlich-rechtlichen bzw privatrechtlichen <strong>Die</strong>nstverhältnis zum<br />

B<strong>und</strong> stehen.<br />

561 Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 190.<br />

562 Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

162


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

Bezüglich der idZ stehenden Regelungen unterliegen Ärzte, die in einem<br />

öffentlich-rechtlichen oder privatem <strong>Die</strong>nstverhältnis zum Land oder zu einer<br />

Gemeinde stehen (Landesbeamte, Landesvertragsbedienstete, Gemeindebeamte,<br />

Gemeindevertragsbedienstete) den jeweiligen Landes- bzw<br />

Gemeindebeamtendienstrechtsvorschriften <strong>und</strong> den Landes- bzw<br />

Gemeindevertragsbedienstetenvorschriften. 563<br />

7.3. Inhaltlicher Vergleich<br />

<strong>Die</strong> Bestimmungen betreffend eine <strong>Anzeigepflicht</strong> sind in den einzelnen Gesetzen<br />

unterschiedlich formuliert <strong>und</strong> weisen dadurch einen abweichenden Umfang auf.<br />

Während § 54 ÄrzteG eine <strong>Anzeigepflicht</strong> für gerichtlich strafbare Handlungen, die<br />

sich gegen Leib <strong>und</strong> Leben richten, vorsieht, stellen § 78 StPO <strong>und</strong> §§ 45 Abs 3<br />

bzw 51 BDG auf das Vorliegen jeder <strong>von</strong> Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich<br />

strafbaren Handlung, die den (gesetzmäßigen) Wirkungsbereich trifft, ab.<br />

Sowohl § 54 ÄrzteG, als auch § 78 StPO sowie § 45 Abs 3 <strong>und</strong> § 52 BDG<br />

beinhalten Ausnahmen der <strong>Anzeigepflicht</strong>. Allerdings unter verschiedenen<br />

Voraussetzungen: Um <strong>von</strong> der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 ÄrzteG<br />

zumindest vorerst abzusehen können, muss es sich beim Täter um einen nahen<br />

Angehörigen handeln, es das Wohl des Kindes erfordern <strong>und</strong> eine<br />

Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger gewährleistet sein. Bei der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> gem § 78 StPO, sowie bei den Melde- <strong>und</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong>en nach<br />

§ 45 Abs 3 <strong>und</strong> § 53 BDG ist eine Ausnahme dann vorgesehen, wenn die amtliche<br />

Tätigkeit beeinträchtigt wird <strong>und</strong> ein Vertrauensverhältnis einer Anzeige entgegen<br />

steht. Dabei ist es unerheblich, ob das Opfer voll- oder minderjährig ist. 564<br />

Aus diesen unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> ergibt sich folgender Wertungswiderspruch. Ein Arzt ist sieht auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Ausnahmetatbestände des § 54 ÄrzteG <strong>von</strong> der Erstattung einer<br />

563 Stolzlechner, RdM 2000, 76.<br />

564 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 180.<br />

163


Verhältnis der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

Anzeige ab, muss aber sehr wohl eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

gem § 54 Abs 6 ÄrzteG erstatten. Durch die Anwendbarkeit des § 78 StPO auf den<br />

Jugendwohlfahrtsträger, kann auf Gr<strong>und</strong> der anders formulierten Ausnahme der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen der Fall eintreten, dass<br />

der Jugendwohlfahrtsträger verpflichtet ist eine Anzeige zu erstatten.<br />

Zusammenfassend bedeutet dies, dass der damalige Widerspruch <strong>von</strong><br />

§ 84 StPO aF <strong>und</strong> § 27 ÄrzteG 1984 wiederhergestellt ist. Schon damals war nicht<br />

klar, in welchem Verhältnis die beiden Bestimmungen zueinander standen.<br />

Kletecka-Pulker 565 führt zutreffend an, dass die Situation jetzt anderes sein muss,<br />

sonst hätte der Gesetzgeber wohl nicht die angeglichenen Ausnahmetatbestände<br />

wieder verworfen <strong>und</strong> durch inhaltlich andere Regelungen ersetzt <strong>und</strong> spricht idZ<br />

<strong>von</strong> einem Rückschritt des Gesetzgebers.<br />

Der Bereich der Kindesmisshandlung stellt nicht nur für Ärzte einen<br />

besonders sensiblen Bereich dar, in dem eine klare Gesetzeslage <strong>von</strong> Vorteil<br />

wäre. Das Finden der richtigen Entscheidung <strong>und</strong> Vorgehensweise im Einzelfall ist<br />

für Ärzte bereits schwierig <strong>und</strong> wird durch eine ständig neue, unübersichtliche,<br />

komplizierte <strong>und</strong> teilweise sich widersprechende Gesetzeslage zusätzlich<br />

erschwert.<br />

Auch der Versuch einer weiteren Novellierung der (ärztlichen) <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

im Rahmen des 2. GeSchG, ist gescheitert, da dieses schlussendlich ohne<br />

Regelungen zur ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> in Kraft trat. Siehe Kapitel 10.<br />

565 Kletecka-Pulker, RdM 2001, 180.<br />

164


Jugendwohlfahrt<br />

8. Jugendwohlfahrt<br />

8.1. Allgemeines<br />

<strong>Die</strong> Kompetenz der Jugendwohlfahrt ist zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern aufgeteilt.<br />

Gem Art 12 B-VG ist die Gesetzgebung über Gr<strong>und</strong>sätze B<strong>und</strong>essache <strong>und</strong> die<br />

Erlassung <strong>von</strong> Ausführungsgesetzen <strong>und</strong> die Vollziehung Landessache. Primäre<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lage ist das JWG, welches am 1. Juli 1989 in Kraft trat <strong>und</strong> in seinem<br />

ersten Teil (§§ 1-35 JWG) Gr<strong>und</strong>satzbestimmungen normiert, die durch<br />

Landesgesetze binnen einem Jahr auszuführen waren. In seinem zweiten Teil (§§<br />

36-41 JWG) ist unmittelbar anzuwendendes B<strong>und</strong>esrecht geregelt. <strong>Die</strong><br />

Ausführungsgesetze der Länder (L-JWG) 566 führen die Gr<strong>und</strong>sätze des ersten<br />

Teils des JWG näher aus <strong>und</strong> weichen naturgemäß geringfügig <strong>von</strong>einander ab,<br />

zB durch verschiedene Hilfeleistungen, die zur Förderung des Kindeswohls<br />

angeboten werden. Weitere einzelne Bestimmungen finden sich auch im ABGB –<br />

vor allem die §§ 211 ff ABGB sind für die Jugendwohlfahrt idZ <strong>von</strong> Bedeutung. 567<br />

<strong>Die</strong> Aufgabe der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist gem § 1 JWG neben der<br />

Mutterschafts- <strong>und</strong> Säuglingsfürsorge vor allem auch die Jugendfürsorge. <strong>Die</strong><br />

öffentliche Jugendwohlfahrt hat „die Entwicklung Minderjähriger zu fördern <strong>und</strong><br />

durch Gewährung <strong>von</strong> Erziehungsmaßnahmen zu sichern“.<br />

Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt sind gem § 4 JWG die Länder<br />

(Jugendwohlfahrtsträger). Dabei werden die Aufgaben <strong>von</strong> den Landesregierungen<br />

<strong>und</strong> den Bezirksverwaltungsbehörden (Bezirkshauptmannschaften <strong>und</strong> Magistrate<br />

in Städten mit eigenem Statut) vollzogen. IZm den Bezirksverwaltungsbehörden<br />

wird auch <strong>von</strong> „Jugendämtern“ oder „Jugendwohlfahrtsbehörden“ gesprochen. 568<br />

566 <strong>Die</strong> hier behandelten Bestimmungen sind im Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetz in<br />

§ 2 StJWG umgesetzt.<br />

567 Vgl Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 175 Rz 1.<br />

568 Vgl Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 177 Rz 1.<br />

165


Jugendwohlfahrt<br />

Freie Jugendwohlfahrtsträger sind Vereine oder Privatpersonen, zB<br />

Kinderschutzzentren oder der Verein NEUSTART, die zur Erfüllung <strong>von</strong><br />

bestimmten Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt herangezogen werden.<br />

§ 2 JWG regelt die Beziehung der Familie zur öffentlichen Jugendwohlfahrt.<br />

Primär obliegt die Pflege <strong>und</strong> Erziehung der Familie, wobei die öffentliche<br />

Jugendwohlfahrt dabei beratend <strong>und</strong> unterstützend tätig sein kann. (Gr<strong>und</strong>satz der<br />

Subsidiarität bzw der Gr<strong>und</strong>gedanke des Primats der Familienerziehung.) Wenn<br />

allerdings die Erziehungsberechtigten das Wohl des Minderjährigen nicht<br />

gewährleisten (können), hat die öffentliche Jugendwohlfahrt soweit als notwendig<br />

einzuschreiten. (Gr<strong>und</strong>satz des geringst möglichen Eingriffs). Gegen den Willen<br />

der Erziehungsberechtigten darf die öffentliche Jugendwohlfahrt nur im Falle einer<br />

gerichtlichen Entscheidung eingreifen. Eine Ausnahme da<strong>von</strong> besteht allerdings<br />

bei Gefahr im Verzug, wonach der Jugendwohlfahrtsträger die erforderlichen<br />

Sofortmaßnahmen vorläufig selbständig treffen darf. Vgl<br />

§ 215 Abs 1 Satz 2 ABGB. 569 Gewaltanwendung <strong>und</strong> die Zufügung <strong>von</strong><br />

körperlichem oder seelischem Leid stellen rechtswidrige Erziehungsmittel dar <strong>und</strong><br />

verpflichten den Jugendwohlfahrtsträger zum Eingreifen. Unter Gewaltanwendung<br />

fallen Misshandlungen <strong>und</strong> Züchtigungen. Unter dem Begriff des körperlichen<br />

Leids wird eine objektiv nicht indizierte schmerzhafte Heilbehandlung verstanden<br />

<strong>und</strong> seelisches Leid wird vor allem durch Liebesentzug oder herzloses Verhalten<br />

verursacht. 570<br />

569 § 215. (1) Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen<br />

erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr<br />

im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege <strong>und</strong> Erziehung vorläufig mit<br />

Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese Entscheidung<br />

unverzüglich, jedenfalls innerhalb <strong>von</strong> acht Tagen, zu beantragen. Im Umfang der getroffenen<br />

Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der Obsorge betraut.<br />

570 Vgl Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 176 Rz 3; ErläutRV 1556 BlgNR<br />

20. GP 5; Ent/Frischengruber (Hrsg), Jugendwohlfahrtsrecht (1992) § 2 FN 1 ff.<br />

166


Jugendwohlfahrt<br />

8.2. Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

Seit der ÄrzteG Novelle 1998 ist bei Fällen mit Verdacht auf Kindesmisshandlung,<br />

zur Verhinderung einer weiteren Gefährdung, eine Einbeziehung des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers vorgesehen. Dadurch kam es auch zu einer Novellierung<br />

des JWG durch das BGBl I 1999/53, wobei diesbezügliche Normen eingearbeitet<br />

wurden. 571 Siehe auch das Formular „Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

über Gewalt an einem Kind oder Jugendlichen“ im Anhang.<br />

8.2.1. Meldepflicht nach § 37 JWG<br />

<strong>Die</strong> relevante Bestimmung bezüglich der Vorgehensweise bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung lautet:<br />

§ 37. (1) Behörden, Organe der öffentlichen Aufsicht sowie<br />

Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht <strong>von</strong> Minderjährigen<br />

haben dem Jugendwohlfahrtsträger über alle bekannt gewordenen<br />

Tatsachen Meldung zu erstatten, die zur Vermeidung oder zur Abwehr<br />

einer konkreten Gefährdung eines bestimmten Kindes erforderlich sind.<br />

(2) Ergibt sich für in der Begutachtung, Betreuung <strong>und</strong> Behandlung<br />

Minderjähriger tätige Angehörige eines medizinischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufes sowie für in der Jugendwohlfahrt tätige oder<br />

beauftragte Personen, selbst wenn sie auf Gr<strong>und</strong> berufsrechtlicher<br />

Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, der Verdacht, daß<br />

Minderjährige mißhandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />

mißbraucht worden sind, haben sie, sofern dies zur Verhinderung einer<br />

weiteren erheblichen Gefährdung des Kindeswohles erforderlich ist, dem<br />

Jugendwohlfahrtsträger Meldung zu erstatten.<br />

(3) Soweit die Wahrnehmungen der in der Jugendwohlfahrt tätigen oder<br />

beauftragten Personen, die auf Gr<strong>und</strong> berufsrechtlicher Vorschriften zur<br />

Verschwiegenheit verpflichtet sind, drohende oder sonstige bereits<br />

571 ErläutRV 1556 BlgNR 20. GP 5.<br />

167


Jugendwohlfahrt<br />

eingetretene Gefährdungen des Kindeswohles betreffen, sind diese zur<br />

Mitteilung an den Jugendwohlfahrtsträger berechtigt, soweit die<br />

Wahrnehmungen Minderjährige betreffen <strong>und</strong> die Information der<br />

Abwendung oder Beseitigung der Gefährdung dient. Weitergehende<br />

Ausnahmen <strong>von</strong> bestehenden Verschwiegenheitspflichten bleiben<br />

unberührt.<br />

(4)….<br />

<strong>Die</strong> Mitteilungspflicht nach § 37 Abs 1 JWG ist in der heute gültigen Form<br />

seit dem BGBl I 2007/41 anzuwenden. Davor waren nur Behörden <strong>und</strong> Organe<br />

der öffentlichen Aufsicht vom Adressatenkreis erfasst. Da jedoch erkannt wurde,<br />

dass Gefährdungen des Kindeswohls sehr häufig in den einzelnen Schulen <strong>und</strong><br />

Betreuungseinrichtungen bekannt werden, wurde die Anwendung der Bestimmung<br />

auch auf Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht Minderjähriger<br />

ausgedehnt. 572 Dabei soll der Begriff Betreuung auch die Beratung mitumfassen.<br />

Lehrer <strong>und</strong> Erzieher haben, genauso wie Ärzte, unmittelbaren Kontakt zu Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> können dadurch Anzeichen einer Kindesmisshandlung, wie<br />

psychische oder physische Beeinträchtigungen am besten <strong>und</strong> oft als erstes<br />

wahrnehmen. 573<br />

Durch die enge Zusammenarbeit des Jugendwohlfahrtsträgers <strong>und</strong> den<br />

genannten Einrichtungen soll neben konkreten Maßnahmen iZm einer bereits<br />

eingetretenen Kindeswohlgefährdung auch Präventionsarbeit geleistet werden<br />

können. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind auch bloß drohende Gefährdungen <strong>von</strong> der<br />

Mitteilungspflicht nach § 37 Abs 1 JWG erfasst. Drohende<br />

Kindeswohlgefährdungen 574 liegen vor, wenn Fachleute über die bloße Vermutung<br />

hinausgehende, konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls<br />

annehmen. Als Beispiel für eine bloß drohende Gefährdung kann uU häufiges<br />

572 Es sind somit auch Lehrer gem § 37 JWG zu einer Meldung an den Jugendwohlsfahrtsträger<br />

verpflichtet. Vgl Kapitel 5.4.<br />

573 ErläutRV 87 BlgNR 23. GP 2.<br />

574 ErläutRV 1556 BlgNR 20. GP 9.<br />

168


Jugendwohlfahrt<br />

nicht nachvollziehbares Fernbleiben vom Unterricht angeführt werden. 575 Siehe<br />

auch § 48 SchUG <strong>und</strong> Kapitel 5.4.<br />

Nach § 37 Abs 2 JWG haben in der Begutachtung, Betreuung <strong>und</strong><br />

Behandlung Minderjähriger tätige Angehörige eines medizinischen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufes (Angehörige medizinisch-technischer <strong>Die</strong>nste, Hebammen)<br />

<strong>und</strong> für die Jugendwohlfahrt tätige oder beauftragte Personen (zB auch<br />

Psychologen, Psychotherapeuten), eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

zu erstatten, wenn sie den Verdacht einer Misshandlung, Vernachlässigung oder<br />

des sexuellen Missbrauchs hegen <strong>und</strong> dies zur Verhinderung einer weiteren<br />

erheblichen Gefährdung des Kindeswohls erforderlich ist.<br />

Ursprünglich waren nur Personen <strong>von</strong> der Mitteilungspflicht nach<br />

§ 37 Abs 2 JWG erfasst, die zu einer berufsrechtlichen Verschwiegenheit<br />

verpflichtet sind. Mit der Novelle 2007 wurde diese Bestimmung erweitert <strong>und</strong><br />

somit haben nun auch Berufsgruppen, die nicht auf Gr<strong>und</strong> berufsrechtlicher<br />

Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, im Falle des Verdachts einer<br />

Kindesmisshandlung oder eines Kindesmissbrauchs, dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

Meldung zu erstatten. 576<br />

Hintergr<strong>und</strong> dafür ist, dass die Weitergabe <strong>von</strong> Informationen, die eine<br />

Kindeswohlgefährdung betreffen, ohne eine Interessenabwägung möglich sein<br />

soll. Allerdings ist diese Weitergabe nur insoweit zulässig, als dass sie der<br />

Abwendung oder Beseitigung der Gefährdung des Kindeswohls dient. 577 Dh<br />

§ 37 Abs 2 JWG lässt (genauso wie § 37 Abs 1 JWG), wenn es nicht zur<br />

Verhinderung einer weiteren Gefährdung des Kindeswohls erforderlich ist, ein<br />

Unterbleibenlassen der Meldung zu. Eine unbedingte Meldepflicht bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung an den Jugendwohlfahrtsträger ergibt sich nur aus § 54 Abs<br />

6 ÄrzteG <strong>und</strong> gilt nur für Ärzte.<br />

575 ErläutRV 87 BlgNR 23. GP 2.<br />

576 ErläutRV 87 BlgNR 23. GP 2 f; Wollinger, Verbesserung des "Frühwarnsystems" im<br />

Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdungen, <strong>Die</strong> Jugendwohlfahrtsgesetz-Novelle 2007,<br />

iFamZ 2007, 273 (274).<br />

577 ErläutRV 1556 BlgNR 20. GP 9 f.<br />

169


Jugendwohlfahrt<br />

§ 37 Abs 3 JWG enthält eine Meldungsberechtigung hinsichtlich sonstiger<br />

Gefährdungen des Kindeswohls. Damit sind vor allem andere Gefährdungen als<br />

das Misshandeln, Quälen, Vernachlässigen, <strong>und</strong> des sexuellen Missbrauchs <strong>von</strong><br />

Minderjährigen gemeint. Für Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten ist damit eine<br />

Rechtfertigung ihrer Verschwiegenheitspflicht gesetzlich verankert. 578<br />

Wünschenswert wäre eine genauere Regelung bzw Auflistung der zur<br />

Meldung verpflichteten Berufsgruppen im JWG. Dadurch würden in der Praxis<br />

bestehende Unsicherheiten beseitigt werden <strong>und</strong> mehr Meldungen an die<br />

Jugendwohlfahrt erstattet werden. Auch der Vollzug der gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zufriedenstellenden Regelung könnte verbessert werden, wozu es konstruktiver<br />

Zusammenarbeit <strong>und</strong> mehr an gemeinsamer Information <strong>und</strong> Aufklärung seitens<br />

der betroffenen Institutionen bedarf. 579<br />

Vor allem im Bereich der niedergelassenen Ärzte gibt es in diesem<br />

Zusammenhang Zweifel. Es werden auffällig wenig Meldungen an die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörden seitens niedergelassener Ärzte erstattet. 580 <strong>Die</strong>s lässt<br />

sich am Ehestens damit erklären, dass wenige Misshandlungsopfer zum Hausarzt<br />

gebracht werden – die Täter ziehen die Anonymität eines Krankenhauses vor. In<br />

den Fällen, in denen ein freiberuflicher Arzt den Verdacht einer<br />

Kindesmisshandlung hegt, ist es für ihn bedeutend einfacher <strong>und</strong> mit weniger<br />

Risiko verb<strong>und</strong>en, sich an eine Krankenanstalt zu wenden. Sei es um sich selbst<br />

über die weitere Vorgehensweise zB bei einer Kinderschutzgruppe zu informieren<br />

oder das vermutliche Opfer zu einem Facharzt ins Krankenhaus zu überweisen. In<br />

letztgenanntem Fall ergeht selbstverständlich eine Benachrichtigung an die<br />

578 Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 182 Rz 20; vgl auch Schwaighofer in<br />

Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 80 Rz 18.<br />

579 Persönliches Gespräch mit Mag. Martina Koch-Uitz, Leiterin des Fachbereichs<br />

Jugendwohlfahrt/Recht am Amt für Jugend <strong>und</strong> Familie Graz (01.09.2009).<br />

580 Persönliches Gespräch mit Mag. Martina Koch-Uitz (01.09.2009); Persönliches Gespräch mit<br />

Dr. <strong>Die</strong>ter Müller, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Steiermark (01.09.2009);<br />

Persönliches Gespräch mit Hofrat Dr. Helmut-Theobald Müller, Leiter der<br />

Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg <strong>und</strong> Mag. Bettina Hutter-Zöhrer, Referatsleiterin<br />

der Rechtsfürsorge, Jugendwohlfahrt Deutschlandsberg (22.09.2009).<br />

170


Jugendwohlfahrt<br />

Krankenanstalt über den Verdacht der Kindesmisshandlung, wobei sich der Arzt<br />

durch eine Rückmeldung des Krankenhauses absichert. 581<br />

Für die Jugendwohlfahrt ist es jedoch unverständlich warum sich<br />

niedergelassene Ärzte vor direkten Meldungen <strong>und</strong> Anzeigen scheuen. Dem<br />

Argument, dass sich die Meldung bzw Anzeige in dem Ordinationsgebiet des<br />

niedergelassenen Arztes herumspricht <strong>und</strong> ein Vertrauensbruch stattgef<strong>und</strong>en<br />

hätte, ist entgegenzuhalten, dass die betroffene Familie, auch bei einer<br />

Überweisung an eine Krankenanstalt, die letztendlich Meldung an die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde erstatten wird, wissen wird, dass der niedergelassene<br />

Arzt für das Aufdecken der Misshandlungen verantwortlich war. Das Vertrauen der<br />

betroffenen Familie zu dem niedergelassenen Arzt wird in jedem Fall zerrüttet sein,<br />

jedoch kann dem Opfer mit einer direkten Meldung an die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde schneller geholfen werden. 582<br />

8.2.2. Personenbezogene Datenerfassung gem § 2 Abs 4 JWG<br />

Eine weitere zentrale Bestimmung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung ist<br />

§ 2 Abs 4 JWG.<br />

§ 2. (4) Der Jugendwohlfahrtsträger hat Meldungen über den Verdacht<br />

der Vernachlässigung, Mißhandlung oder des sexuellen Mißbrauchs <strong>von</strong><br />

Minderjährigen, welche gemäß § 37 oder auf Gr<strong>und</strong> berufsrechtlicher<br />

Ermächtigungen oder Verpflichtungen an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

erstattet werden, personenbezogen zu erfassen <strong>und</strong> unverzüglich zu<br />

überprüfen. <strong>Die</strong>se Daten sind nur zur Wahrnehmung <strong>von</strong> Aufgaben der<br />

öffentlichen Jugendwohlfahrt zu verarbeiten, zu benützen, zu übermitteln<br />

oder zu überlassen. Unrichtige Daten sind <strong>von</strong> Amts wegen zu löschen.<br />

581 Persönliches Gespräch mit Dr. Klaus Kager, Arzt für Allgemeinmedizin (18.09.2009).<br />

582 Persönliches Gespräch mit Hofrat Dr. Helmut-Theobald Müller <strong>und</strong> Mag. Bettina Hutter-Zöhrer<br />

(22.09.2009).<br />

171


Jugendwohlfahrt<br />

Ergeht eine Meldung auf Verdacht einer Kindesmisshandlung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger, so ist die Kenntnis da<strong>von</strong>, vor allem für vor Ort tätige<br />

Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt unerlässlich, um die erforderlichen Maßnahmen<br />

treffen zu können. Damit eine effiziente Erfüllung der Hilfestellung gewährleistet<br />

sein kann, müssen alle Informationen über den Verdacht der Vernachlässigung,<br />

Misshandlung oder des sexuellen Missbrauchs <strong>von</strong> Minderjährigen, bei der<br />

zuständigen Behörde personenbezogen erfasst <strong>und</strong> gesammelt werden. <strong>Die</strong> RV<br />

macht dabei deutlich, dass „das Land im Rahmen seiner Organisationskompetenz<br />

dafür Sorge zu tragen hat, dass durch verwaltungstechnische Abläufe bedingte,<br />

zeitliche Verzögerungen, die Beeinträchtigungen oder Gefährdungen des<br />

Kindeswohls bewirken, vermieden werden.“ Dabei steht es den B<strong>und</strong>esländern frei<br />

einen regelmäßigen Datenaustausch zu vereinbaren. 583 Weiters wird darauf<br />

hingewiesen, dass Mitteilungen, die an eine unzuständige Behörde ergehen,<br />

unverzüglich an die Zuständige weiterzuleiten sind. Dasselbe gilt, wenn sich der<br />

gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen ändert <strong>und</strong> dadurch eine andere<br />

Behörde örtlich zuständig wird. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen<br />

werden, dass die Weitergabe dieser Daten nur zur Wahrnehmung <strong>von</strong> Aufgaben<br />

der öffentlichen Jugendwohlfahrt zulässig ist <strong>und</strong> unrichtige Daten <strong>von</strong> Amts<br />

wegen zu löschen sind. 584<br />

Auch in § 215 a ABGB ist eine diesbezügliche Regelung vorgesehen, die<br />

besagt, dass der Jugendwohlfahrtsträger im Fall eines Aufenthaltwechsels des<br />

Minderjährigen in ein anderes B<strong>und</strong>esland, seine Aufgaben dem anderen<br />

Jugendwohlfahrtsträger mit dessen Zustimmung übertragen kann. Von Vorteil<br />

wäre es, wenn es eine klare gesetzliche Aufzählung gäbe, welche konkreten Daten<br />

jedenfalls weiterzugeben sind bzw weitergegeben werden dürfen. 585<br />

583 Das ist vor allem auch deswegen <strong>von</strong> Bedeutung, da dadurch dem sog Spitalstourismus<br />

vorgebeugt werden kann. Vgl FN 508.<br />

584 ErläutRV 1556 BlgNR 20. GP 5 f.<br />

585 Persönliches Gespräch mit Mag. Martina Koch-Uitz (01.09.2009).<br />

172


Jugendwohlfahrt<br />

8.3. <strong>Anzeigepflicht</strong> des Jugendwohlfahrtsträgers nach<br />

§ 78 StPO<br />

Wie schon mehrfach erwähnt, gehört der Jugendwohlfahrtsträger zum<br />

Adressatenkreis der in § 78 StPO normierten <strong>Anzeigepflicht</strong>. Bei etwas genauerer<br />

Betrachtungsweise ist jedoch festzustellen, dass eine genaue Zuordnung zu den<br />

Adressaten „Behörde“ <strong>und</strong> „öffentliche <strong>Die</strong>nststelle“ bzw Abgrenzung zwischen<br />

Hoheitsverwaltung <strong>und</strong> Privatwirtschaftsverwaltung im Bereich der öffentlichen<br />

Jugendwohlfahrt (vgl Art 12 Abs Z 1 B-VB <strong>und</strong> § 1 JWG) besonders schwierig <strong>und</strong><br />

eine zweifelsfreie Zuordnung der einzelnen Aufgaben kaum möglich ist. 586<br />

Jugendämter (Bezirksverwaltungsbehörden) treten im Bereich der<br />

öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege als Behörden mit Befehlsgewalt auf – im<br />

Rahmen ihrer Tätigkeit als Amtsvorm<strong>und</strong>, werden sie jedoch nicht als<br />

Verwaltungsbehörde, sondern als Vorm<strong>und</strong> bürgerlichen Rechts tätig. 587 Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> sind gewisse Tätigkeiten, wie zB Maßnahmen der Erziehungshilfe<br />

nach §§ 26 ff JWG, laut Pilnacek <strong>und</strong> Pelikan der Hoheitsverwaltung<br />

zuzuordnen. 588<br />

Pilnacek 589 spricht sich in Anlehnung an Antoniolli/Koja 590 dafür aus, dass die<br />

im Bereich der öffentlichen Jugendwohlfahrt geleistete Beratungstätigkeit als<br />

schlichte Hoheitsverwaltung anzusehen ist. Damit ist jener Bereich der<br />

Hoheitsverwaltung gemeint, bei dem der Einsatz der spezifischen Rechtsmacht<br />

des Staates ganz in den Hintergr<strong>und</strong> tritt. In der Jugendwohlfahrt ist es wesentlich,<br />

dass das „imperium“ in zurückhaltender Weise – sozusagen subsidiär ausgeübt<br />

wird. Es kommt erst dann zum Einsatz der Befehls- <strong>und</strong> Zwangsgewalt, wenn das<br />

Kindeswohl nicht mit anderen, gelinderen Mitteln geschützt werden kann.<br />

586 Pilnacek, ÖA 1994 H 3, 84.<br />

587 Vgl OGH 30.05.1979, 1 Ob 594/79 = SZ 52/88.<br />

588 Pilnacek, ÖA 1994 H 3, 84; VfSlg 11492; VfSlg 12073; Pelikan in Hanak 209; Überwiegender<br />

Weise ist die Tätigkeit der Jugendwohlfahrt jedoch der Privatwirtschaftsverwaltung<br />

zuzuordnen; vgl Ent/Frischengruber, Jugendwohlfahrtsrecht § 1 Anm 1.<br />

589 Pilnacek, ÖA 1994 H 3, 84.<br />

590 Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 3 , 25 f.<br />

173


Jugendwohlfahrt<br />

AA ist jedoch Wienerroither 591 , der Erziehungshilfen des<br />

Jugendwohlfahrtsträgers nicht der hoheitlichen Vollziehung, sondern der<br />

Privatwirtschaftsverwaltung zuordnet. Er ist der Auffassung, dass der<br />

Jugendwohlfahrtsträger nicht zu hoheitlichem Einschreiten iSv Erlassung <strong>von</strong><br />

Bescheiden oder der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls<strong>und</strong><br />

Zwangsgewalt, berechtigt ist.<br />

Ungeachtet dessen, sind die Jugendwohlfahrtsbehörden nur dann zu einer<br />

Anzeige nach § 78 StPO verpflichtet, wenn die Anzeige ihren „gesetzmäßigen<br />

Wirkungsbereich“ betrifft. Siehe Kapitel 4.3.2.<br />

Wie unter Kapitel 4.3.4. erörtert, ist die <strong>Anzeigepflicht</strong> in § 78 StPO durch<br />

Ausnahmeregelungen beschränkt. § 78 Abs 2 Z 1 StPO gibt vor, dass eine<br />

Anzeige unterlassen werden kann, „wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit<br />

beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses bedarf.“ Der Zweck dahinter ist, schon bestehende<br />

Vertrauensverhältnisse, wie auch die glaubwürdige Zusicherung der Vertraulichkeit<br />

für die Zukunft, zu erhalten <strong>und</strong> zu ermöglichen. <strong>Die</strong> Erfahrung hatte gezeigt, dass<br />

die Inanspruchnahme <strong>von</strong> Rat <strong>und</strong> Hilfe bei einer zwingenden <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

erschwert wurde. 592<br />

Ein weiterer Hintergr<strong>und</strong> der Schaffung dieses Ausnahmetatbestandes war<br />

die Überlegung der Verstärkung des Opferschutzes. Es wurde versucht eine<br />

sek<strong>und</strong>äre Viktimisierung durch ein zu voreiliges eingeleitetes Strafverfahren zu<br />

vermeiden. Muss ein minderjähriges Opfer unter Druck seine traumatischen<br />

Erlebnisse wiedergeben, kann das im Widerspruch zu einer Verarbeitung der<br />

Geschehnisse stehen <strong>und</strong> sich durchaus kontraproduktiv auswirken <strong>und</strong> dadurch<br />

dem Kindeswohl entgegenstehen. Durch die Regelung wurde den betroffenen<br />

Einrichtungen/Personen die Möglichkeit gegeben im Einzellfall die jeweils<br />

591 Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 181 Rz 19; vgl auch VwGH<br />

22.09.1995, 93/11/0221 = ÖA 1996, 67.<br />

592 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20.<br />

174


Jugendwohlfahrt<br />

erforderliche Maßnahme einzusetzen, um dem Kind einen bestmöglichen Schutz<br />

zu gewähren. 593<br />

Auch hier richtet sich die <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO nicht an alle<br />

Mitarbeiter des Jugendwohlfahrtsträgers, sondern an den Leiter der <strong>Die</strong>nststelle.<br />

Weiß der Leiter, dass er zu einer Anzeige verpflichtet wäre <strong>und</strong> unterlässt er sie<br />

zumindest bedingt vorsätzlich, kommt eine strafrechtliche Sanktionierung nach<br />

§ 302 StGB (Missbrauch der Amtsgewalt) in Betracht. 594 Vgl Kapitel 4.4.<br />

In der Praxis geht der Anzeigenerstattung eine Teamentscheidung voraus.<br />

Sozialarbeiter, Psychologen, Juristen <strong>und</strong> die Leitung des Amtes für Jugend <strong>und</strong><br />

Familie der Stadt Graz, vertreten durch den Jugendhilferefereten schätzen die<br />

Situation des konkreten Einzelfalls aus verschiednen Perspektiven ein, um<br />

gemeinsam die beste Lösung für das minderjährige Kind zu finden. 595<br />

8.4. Garantenpflicht nach § 2 StGB<br />

Durch §§ 211, 213 <strong>und</strong> 215 ABGB kann für den Jugendwohlfahrtsträger eine<br />

Garantenpflicht entstehen. Der Jugendwohlfahrtsträger handelt dann als<br />

besonderer gesetzlicher Vertreter unmittelbar auf Gr<strong>und</strong> des Gesetzes. Dabei wird<br />

er nicht hoheitlich tätig, sondern handelt privatwirtschaftlich. 596<br />

Ein Mitarbeiter des Jugendwohlfahrtsträgers kann somit nach vorsätzlichem<br />

oder fahrlässigem Verhalten bestraft werden, wenn ihn eine Garantenpflicht nach<br />

§ 2 StGB trifft <strong>und</strong> er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, den Minderjährigen<br />

vor einem Schaden zu bewahren. Voraussetzung ist jedoch, dass er die<br />

Umstände, die die Garantenpflicht auslösen (zB konkrete Gefährdung des<br />

Kindeswohls) in seinen zumindest bedingten Vorsatz aufnimmt, oder diese<br />

593 Pilnacek, ÖA 1994 H 3, 84.<br />

594 Maleczky, ÖA 2005, 134.<br />

595 Persönliches Gespräch mit Mag. Martina Koch-Uitz (01.09.2009).<br />

596 Maleczky, ÖA 2005, 135; Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht 3 , 32; Kienapfel/Höpfel, AT 13 Z<br />

30 Rz 6,10.<br />

175


Jugendwohlfahrt<br />

Umstände fahrlässig verkennt – dh er hätte sie bei sorgfältiger Vorgehensweise<br />

erkennen können müssen. Maßstab dabei ist ein vorwerfbares Fehlverhalten des<br />

Sozialarbeiters – hätte ein ordentlicher Sozialarbeiter in der konkreten Situation<br />

anders gehandelt bzw die konkrete Gefährdung des Wohls des Minderjährigen<br />

erkannt – ist Fahrlässigkeit anzunehmen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die<br />

erforderliche Handlung den eingetretenen Erfolg, wie zB die Körperverletzung des<br />

Minderjährigen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert<br />

hätte. 597<br />

Durch die folgenden Beispiele wird aufgezeigt, dass das Unterlassen eines<br />

Sozialarbeiters des Jugendwohlfahrtsträgers durchaus strafrechtliche<br />

Konsequenzen haben kann, wenn dadurch eine Verletzung oder der Tod eines<br />

Minderjährigen hervorgeht. Ein Vorwurf kann auch in einem Auswahlverschulden,<br />

wenn nämlich unfähige Personen bzw Institutionen für relevante Aufgaben<br />

herangezogen werden oder in einem Übernahmeverschulden liegen. Bei letzterem<br />

übernimmt ein Sozialarbeiter einen Fall, bei dem er auf Gr<strong>und</strong> seiner persönlichen<br />

Verhältnisse nicht in der Lage ist – zB durch mangelnde Ausbildung oder<br />

Überlastung – ordentlich tätig zu werden. 598<br />

8.4.1. Der Fall Martina<br />

Im Jahre 2004 verhungert ein 17-Jähriges Mädchen unter der Obhut ihrer Mutter.<br />

Der Fall war dem Jugendamt, das falsch bzw zu wenig reagierte, bekannt. Der mit<br />

der Angelegenheit betraute Sozialarbeiter wird der fahrlässigen Tötung unter<br />

besonders schweren Umständen gem § 81 StGB schuldig gesprochen <strong>und</strong><br />

rechtskräftig zu 5 Monaten bedingt auf eine Probezeit <strong>von</strong> 3 Jahren, sowie zu einer<br />

Geldstrafe <strong>von</strong> 180 Tagessätzen verurteilt. 599<br />

597 Maleczky, ÖA 2005, 135.<br />

598 Maleczky, ÖA 2005, 136.<br />

599 LG Steyr, 30.11.2005, 11 Hv 27/05h (uv).<br />

176


Jugendwohlfahrt<br />

8.4.2. Der Fall Luca<br />

Im Juli 2007 wird Luca im Alter <strong>von</strong> einem Jahr erstmals im Krankenhaus<br />

behandelt. In weiterer Folge kommen mehrer Krankenhausaufenthalte ua wegen<br />

Hämatomen <strong>und</strong> Brüchen hinzu. Bereits zu diesem Zeitpunkt weisen die<br />

Krankenhäuser auf den dringenden Verdacht einer Kindesmisshandlung durch den<br />

Lebensgefährten der Mutter hin, wobei eine gerichtsmedizinische Untersuchung<br />

jedoch keine eindeutigen Beweise für eine Gewalteinwirkung erbringt. Auch der<br />

leibliche Vater warnt die Behörden mehrmals erfolglos. Vonseiten der<br />

Jugendwohlfahrt heisst es, dass zu keiner Zeit das Gefühl bestand, dass das Kind<br />

aus der Situation herausgenommen werden muss. Der Lebensgefährte der Mutter<br />

wurde überprüft, wobei keine Anzeichen für aggressives Verhalten festgestellt<br />

werden können. Im Zuge einer Notaufnahme im Krankenhaus stirb Luca im<br />

Oktober 2007. <strong>Die</strong> Obduktion ergab eindeutig ein Fremdverschulden als<br />

Todesursache. 600<br />

Der minderjährige Luca verstarb an den Folgen massiver Misshandlungen<br />

<strong>und</strong> sexuellem Missbrauchs durch den Lebensgefährten seiner Mutter. <strong>Die</strong>ser<br />

wurde wegen schwerem sexuellen Missbrauchs <strong>von</strong> Unmündigen mit Todesfolge<br />

(§ 206 StGB) rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe <strong>und</strong> einer<br />

Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. <strong>Die</strong> Mutter<br />

des Opfers wurde gem § 92 StGB wegen gröblicher Vernachlässigung ihrer<br />

Fürsorgepflicht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe <strong>von</strong> einem Jahr verurteilt. 601<br />

Weiters kommt es zu einer (bis dato nicht rechtskräftigen) Verurteilung einer<br />

Sozialarbeiterin. <strong>Die</strong> mit dem Fall betraute Sozialarbeiterin wurde gem<br />

§§ 2, 84 StGB der fahrlässigen schweren Körperverletzung durch Unterlassen vom<br />

Gericht erster Instanz zu einer Geldstrafe verurteilt. 602<br />

600 <strong>Die</strong> Presse, Fall Luca: Chronologie der Ereignisse,<br />

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/345195/index.do?gal=345195&index=1&dir<br />

ect=500695&_vl_backlink=/home/panorama/oesterreich/500695/index.do&popup=<br />

(28.09.2009).<br />

601 <strong>Die</strong> Presse, Fall Luca: Haft für die Mutter (26.05.2009) 9.<br />

602 <strong>Die</strong> Presse, Fall Luca: Haft für die Mutter (26.05.2009) 9.<br />

177


Jugendwohlfahrt<br />

8.5. Vorgehensweise des JWT<br />

Wenn dem Jugendwohlfahrtsträger bekannt wird, dass ein Kind körperlich<br />

gezüchtigt wird, wird zunächst versucht den Erziehungsberechtigten die Folgen<br />

dieses Erziehungsstils klar zu machen. Das geschieht vor allem durch<br />

Beratungsgespräche. Erst bei wiederholter 603 körperlicher Züchtigung des Kindes<br />

<strong>und</strong> mangelnder Einsicht der Erziehungsberechtigten kommt es zu weiteren<br />

Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers – bis hin zur Abnahme des<br />

Minderjährigen gegen den Willen der Erziehungsberechtigten. 604<br />

Bei Gefahr im Verzug kann <strong>und</strong> muss der Jugendwohlfahrtsträger gem<br />

§ 215 ABGB selbst vorläufige Maßnahmen der Pflege <strong>und</strong> Erziehung treffen.<br />

Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn eine Sofortmaßnahme dringend notwendig<br />

ist <strong>und</strong> eine gerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden kann, um eine<br />

akute Kindeswohlgefährdung zu beseitigen. 605<br />

Solche Gründe können zB die fehlende Gewährleistung der<br />

Gr<strong>und</strong>bedürfnisse eines Neugeborenen, wie Nahrung, Pflege oder Hygiene durch<br />

die Erziehungsberechtigten sein. Auch eine krasse Vernachlässigung der<br />

Aufsichtspflicht wie zB st<strong>und</strong>enlanges Alleinlassen eines Neugeborenen in einer<br />

versperrten Wohnung oder unberechenbares Verhalten eines psychisch kranken<br />

oder geistig behinderten Erziehungsberechtigten machen ein sofortiges<br />

Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers notwendig. Natürlich erfordern auch ein<br />

(schweres) Misshandeln <strong>und</strong> sexueller Missbrauch eines Kindes<br />

Sofortmaßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers.<br />

Nicht selten ist es der Jugendwohlfahrtsträger gegen den bei öffentlichem<br />

Bekanntwerden <strong>von</strong> Kindesmisshandlungen Vorwürfe erhoben werden. Wie<br />

soeben erörtert, bilden die derzeitigen gesetzlichen Regelungen eine ausreichende<br />

603 OGH 12.06.1980, 7 Ob 596/80 = ÖA 1990, 52; Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendrecht 3 , 176.<br />

604 OGH 24.06.1992, 1 Ob 573/92 = JBl 1992, 639 = EvBl 1993/13 = ÖA 1993, 26; Wienerroither<br />

in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 176.<br />

605 Wienerroither in Loderbauer, Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht 3 , 185 Rz 29.<br />

178


Jugendwohlfahrt<br />

Gr<strong>und</strong>lage, um die den Jugendwohlfahrtsbehörden übertragenen Aufgaben zum<br />

Schutz des Kindeswohls zu erfüllen. <strong>Die</strong> Ursache für die immer wieder auftretende<br />

Missstände bzw Fehlentwicklungen in der Vorgehensweise der<br />

Jugendwohlfahrtsbehörden ist wohl weniger in den gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen als im<br />

Vollzug dieser zu sehen. <strong>Die</strong> vorhandene Schwierigkeit ist auf die Sensibilität <strong>und</strong><br />

Brisanz dieses Bereichs zurückzuführen. Ein einzelner Mitarbeiter der<br />

Jugendwohlfahrt hat zu entscheiden, wann Gefahr im Verzug besteht <strong>und</strong> es zu<br />

bedeutenden Eingriffen in das Familienleben einer betroffenen Familie kommt.<br />

<strong>Die</strong>se Entscheidung ist naturgemäß nicht leicht <strong>und</strong> fordert eine hochqualifizierte<br />

Ausbildung. Mängel in dieser <strong>und</strong> personelle Überforderung können zu einem<br />

Fehlverhalten führen. All diese Ausführungen machen deutlich, dass es große<br />

Anforderungen an die Sozialarbeiter im Rahmen der Jugendwohlfahrt gibt.<br />

179


Exkurs: Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften<br />

8.6. Exkurs: Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften<br />

Seit 1989 sind in § 10 JWG – basierend auf der UN-Kinderrechtskonvention – die<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften verankert. <strong>Die</strong>s sind Einrichtungen, die<br />

Minderjährige, Erziehungsberechtigte <strong>und</strong> gesetzliche Vertreter beraten <strong>und</strong> bei<br />

Meinungsverschiedenheiten <strong>und</strong> Auseinandersetzungen über die Pflege <strong>und</strong><br />

Erziehung helfend tätig werden. Den Ländern oblag die Ausführung dieser<br />

Vorschrift. Zwischen 1989 <strong>und</strong> 1995 sind in allen neun B<strong>und</strong>esländern Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaften entstanden. 606 Im Steiermärkischen<br />

Jugendwohlfahrtsgesetz finden sich die relevanten Bestimmungen in<br />

§§ 13, 13 a, 13 b StJWG.<br />

Merkmale der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften sind: 607<br />

• Weisungsfreiheit<br />

• Sorge um das Wohl des Kindes im Einzelfall (Ombudsstelle)<br />

• Vertretung der Kinderinteressen im Allgemeinen (Interessensvertretung)<br />

Eine der wichtigsten Aufgaben der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft ist es<br />

Empfehlungen zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen <strong>und</strong><br />

Entwicklungschancen <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen zu erarbeiten. Das wird<br />

hauptsächlich durch Begutachtung <strong>von</strong> Gesetzesbestimmungen <strong>und</strong> das<br />

Aufdecken <strong>von</strong> Missständen erwirkt. 608<br />

Als Ombudsstelle leisten die Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften Einzelfallhilfe<br />

<strong>und</strong> bieten Informationen, Beratungstätigkeiten, Vermittlung <strong>von</strong> Hilfsangeboten<br />

<strong>und</strong> Interventionshilfen bei Ämtern, Behörden <strong>und</strong> sonstigen Stellen an. Konkrete<br />

Vorgehensweisen sind Partei für das Kind zu ergreifen, die Situation aus der<br />

Perspektive des Kindes zu reflektieren, die Möglichkeiten aufzuzeigen <strong>und</strong> den<br />

weiteren Ablauf zu klären. 609<br />

606 Benzoni, ÖA 2001, 193.<br />

607 Benzoni, ÖA 2001, 194.<br />

608 Benzoni, ÖA 2001, 194.<br />

609 Benzoni, ÖA 2001, 194.<br />

180


Exkurs: Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften<br />

Bei Verdacht auf eine Kindesmisshandlung ist die Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft als Einrichtung zur Betreuung <strong>von</strong> Minderjährigen gem<br />

§ 37 Abs 1 JWG zu einer Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger verpflichtet. Da<br />

die Meldung nicht unverzüglich zu erfolgen hat, wird in vielen Fällen das<br />

Kinderschutzzentrum als Zwischenbetreuungsstelle vor der<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde kontaktiert. 610<br />

<strong>Die</strong> Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft ist idR nicht erste Anlaufstelle. Es gibt<br />

zwar häufig anonyme Anfragen, jedoch sind die meisten Fälle, die an die Kinder<strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft herankommen, der Jugendwohlfahrtsbehörde bereits<br />

bekannt. <strong>Die</strong>s <strong>und</strong> die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestands des Vorliegens<br />

eines persönlichen Vertrauensverhältnisses, welches der Erstattung einer Anzeige<br />

entgegensteht, sind wohl die Gründe dafür, dass es in der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft Steiermark bis dato noch keinen Fall einer direkten<br />

Anzeigenerstattung gegeben hat. <strong>Die</strong> Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft unterliegt<br />

als öffentliche <strong>Die</strong>nststelle zwar gr<strong>und</strong>sätzlich der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong><br />

öffentlichen <strong>Die</strong>nststellen nach § 78 StPO, dieser Umstand ist in der Praxis jedoch<br />

nicht <strong>von</strong> großer Bedeutung. 611<br />

Bei noch nicht amtsbekannten Verdachtsfällen warnt die Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft vor voreiligem Überreagieren <strong>und</strong> spricht sich für eine<br />

Interessenabwägung <strong>und</strong> Einzelfallentscheidung bezüglich der weiteren<br />

Maßnahmen – immer iSd Kindeswohls – aus. <strong>Die</strong> größten Probleme gibt es dann,<br />

wenn Verdachtsmomente nicht verifizierbar sind, das minderjährige Opfer einen<br />

Verdacht nicht bestätigt <strong>und</strong> zu keiner gerichtlich verwertbaren Aussage bereit ist.<br />

Dann ist eine strafrechtliche Verfolgung so gut wie aussichtslos. 612<br />

610 Persönliches Gespräch mit Mag. Christian Theiss, Leiter der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft<br />

Steiermark (02.09.2009).<br />

611 Persönliches Gespräch mit Mag. Christian Theiss (02.09.2009).<br />

612 Persönliches Gespräch mit Krista Mittelbach, Psychotherapeutin der Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft Steiermark (15.04.2008).<br />

181


Exkurs: Kinderschutzzentren<br />

8.7. Exkurs: Kinderschutzzentren<br />

Kinderschutzzentren sind gem § 8 JWG Einrichtungen der freien Jugendwohlfahrt.<br />

Sie sind private Vereine, deren Hauptaufgabe in der Beratung <strong>und</strong> Therapie für<br />

Kinder, Jugendliche, deren Familie oder anderer Bezugspersonen liegt. Ihr Ziel ist<br />

es potentiell gefährliche Situationen zu erkennen <strong>und</strong> möglichst bevor es zu<br />

Misshandlungen kommt, tätig zu werden. Aber auch wenn es schon zu Gewalt<br />

gegen Kinder gekommen ist, wird Hilfe für die betroffene Familie zur Verfügung<br />

gestellt. Es wird ein gewaltfreier Umgang mit Konflikten <strong>und</strong> Krisen angestrebt,<br />

wobei Freiwilligkeit, Vertraulichkeit <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>satz „Hilfe zur Selbsthilfe“ im<br />

Vordergr<strong>und</strong> stehen. Kinderschutzzentren sind vor allem für Kinder, Jugendliche,<br />

Eltern, Erziehungsberechtigte, Bezugspersonen <strong>und</strong> Mitarbeiter anderer (sozialer)<br />

Einrichtungen, Ansprechpartner. Dh auch, dass sehr viel Wert auf Kooperation mit<br />

Fachkräften anderer Berufsgruppen gelegt wird, da eine sinnvolle Hilfe bei Gewalt<br />

gegen Kinder nur dann funktionieren kann, wenn verschiedene Berufsgruppen <strong>und</strong><br />

Institute koordiniert zusammenarbeiten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind<br />

Kinderschutzzentren auch im Rahmen der Fortbildung <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

tätig. 613<br />

Da Kinderschutzzentren Beratungsstellen <strong>und</strong> weder Behörden noch<br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststellen sind, unterliegen sie nicht der <strong>Anzeigepflicht</strong> nach<br />

§ 78 StPO. Im Falle eines Verdachts sind sie allerdings zur Meldung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger gem § 37 JWG verpflichtet.<br />

<strong>Die</strong> Beratungstätigkeit eines Kinderschutzzentrums basiert in erster Linie auf<br />

Vertrauen, das die hilfesuchenden Personen den Mitarbeitern entgegen bringen.<br />

Dem Interessenskonflikt zwischen der Meldepflicht gegenüber dem Vertrauen <strong>und</strong><br />

den Verschwiegenheitspflichten wird in der Praxis aus dem Weg gegangen, indem<br />

versucht wird die betroffene Person da<strong>von</strong> zu überzeugen, sich selbst an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger zu wenden. Das funktioniert in den meisten Fällen sehr<br />

gut, weswegen es zumindest im Kinderschutzzentrum Graz sehr selten zu<br />

Meldungen ohne Einverständnis der Betroffenen kommt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> treten<br />

613 Kinderschutz-Zentrum Graz, Informationsbroschüre Kinderschutz plus, 05/2008, 10 ff.<br />

182


Exkurs: Kinderschutzzentren<br />

in der Praxis eher keine Probleme bezüglich der gesetzlichen Regelungen auf.<br />

Ganz idS wird auch argumentiert, dass eine Verschärfung der <strong>Anzeigepflicht</strong> – wie<br />

sie im 2. GeSchG geplant war – kontraproduktiv wäre, da sich Opfer <strong>von</strong> Gewalt<br />

aus Angst vor einer sofortigen Anzeige nicht mehr an das Kinderschutzzentrum<br />

wenden würden. 614 Siehe Kapitel 10.<br />

Das Kinderschutzzentrum Graz ist meist erste Anlaufstelle für hilfesuchende<br />

Jugendliche <strong>und</strong> Erwachsene, die hauptsächlich andere als Täter (vor allem <strong>von</strong><br />

sexuellem Kindesmissbrauch) vermuten oder aber auch selbst überfordert sind<br />

<strong>und</strong> im Laufe der Gespräche Gewalt zugeben. In diesen Fällen wird vom<br />

Kinderschutzzentrum versucht die Ursachen (Überforderung, Hilflosigkeit, Angst…)<br />

ausfindig zu machen <strong>und</strong> den Betroffenen wird klar gemacht, professionelle Hilfe in<br />

Anspruch zunehmen, die mit einer Wendung an die Jugendwohlfahrtsbehörde<br />

beginnt. Daraufhin wird ein gemeinsames Treffen mit dem Betroffenen,<br />

Mitarbeitern des Kinderschutzzentrums <strong>und</strong> des Jugendwohlfahrtsträgers<br />

organisiert, in dem gemeinsam die weitere Vorgehensweise besprochen wird,<br />

wobei der Jugendwohlfahrtsträger die Verantwortung trägt. Bei Fällen mit Gefahr<br />

im Verzug, wenn zB ein Mädchen mit Verletzungen in das Kinderschutzzentrum<br />

kommt, wird abgesehen <strong>von</strong> sonstigen Hilfsmaßnahmen, sofort der<br />

Jugendwohlfahrtsträger verständigt. 615<br />

Aber nicht nur hilfesuchende Opfer wenden sich an das<br />

Kinderschutzzentrum, sondern auch <strong>von</strong> den sich ständig ändernden Anzeige- <strong>und</strong><br />

Meldepflichten bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen, betroffenen Personen wie<br />

zB Ärzte, die sich nach einer genauen Vorgehensweise im Ernstfall erk<strong>und</strong>igen. 616<br />

614 Persönliches Gespräch mit Gabriella Walisch, Fachbereichsleiterin des Kinderschutzzentrums<br />

Graz (05.02.2009).<br />

615 Persönliches Gespräch mit Gabriella Walisch (05.02.2009).<br />

616 Persönliches Gespräch mit Gabriella Walisch (05.02.2009).<br />

183


Exkurs: Bewährungshilfe<br />

Schließlich wird auch <strong>von</strong> Seiten des Kinderschutzzentrums betont, dass eine<br />

Anzeige allein nicht ausreicht – es muss das ganze Umfeld des Kindes <strong>und</strong> der<br />

Familie, wie die finanzielle Situation, Arbeitslosigkeit, Überforderung usw,<br />

berücksichtigt werden. Im Fall eines Verdachts auf Kindesmisshandlung ist es<br />

effektiver nicht unüberlegt, als vorschnell zu reagieren. Es sollten Ansprechpartner<br />

gesucht werden <strong>und</strong> eine Wendung an Beratungsstellen erfolgen, die mit der<br />

Situation professionell umgehen. 617<br />

8.8. Exkurs: Bewährungshilfe<br />

Der Bereich der Bewährungshilfe obliegt dem Verein NEUSTART. Es handelt sich<br />

dabei um eine Organisation, deren Anfänge bis ins Jahr 1957 zurückgehen <strong>und</strong><br />

deren Ziel es ist, der Gesellschaft Hilfe <strong>und</strong> Lösungen zur Bewältigung <strong>von</strong><br />

Konflikten <strong>und</strong> Schutz vor Kriminalität <strong>und</strong> deren Folgen zu bieten. 618<br />

Im Hinblick auf eine <strong>Anzeigepflicht</strong> stellt sich die Frage nach der<br />

Anwendbarkeit des § 78 StPO auf den Verein NEUSTART. Der Verein<br />

NEUSTART kann zweifelsohne nicht unter den Begriff einer Behörde subsumiert<br />

werden, die Frage nach der Zuordnung zu einer öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle gestaltet<br />

sich allerdings schwieriger.<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lage bildet das Bewährungshilfegesetz. Gem § 24 BewHG kann<br />

der BM für Justiz die Besorgung der Aufgaben der Bewährungshilfe, einer privaten<br />

Vereinigung übertragen, die in der Bewährungshilfe tätig <strong>und</strong> zur Mitarbeit bereit<br />

ist. Daraus ergibt sich, dass der Verein in die Pflicht des BMJ genommen wurde<br />

<strong>und</strong> es sich um einen sog „beliehenen“ Verein handelt. 619<br />

Als Indiz für die Annahme einer öffentlichen <strong>Die</strong>nststelle könnte<br />

§ 19 Abs 5 BewHG herangezogen werden, der festsetzt, dass ehrenamtlich tätige<br />

617 Persönliches Gespräch mit Gabriella Walisch (05.02.2009); vgl Kinderschutz-Zentrum Graz,<br />

Informationsbroschüre Kinderschutz plus, 04/2006, 5.<br />

618 Neustart, Organisation <strong>und</strong> Kontakte, Wien 2005, 3 ff.<br />

619 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 9.<br />

184


Exkurs: Bewährungshilfe<br />

Bewährungshelfer bei der Ausübung ihres Amtes einem Beamten iSd<br />

§ 74 Z 4 StGB gleichstehen. <strong>Die</strong>se Gleichstellung muss umso mehr auch für<br />

hauptamtliche Bewährungshelfer gelten. Weiters ist iZm dem Ausnahmetatbestand<br />

des § 78 Abs 2 Z 1 StPO immer auch <strong>von</strong> Bewährungshelfern die Rede, die bei<br />

Vorliegen eines Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand nehmen<br />

können. Dabei setzt eine Anwendung des Ausnahmetatbestands die Zugehörigkeit<br />

zum Adressatenkreis des § 78 StPO voraus. 620<br />

<strong>Die</strong>ser Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich diese<br />

beispielhafte Aufzählung der Bewährungshelfer aus den Erläuterungen der RV<br />

zum StPRÄG 1993 ergibt. Zu dieser Zeit existierten in der Steiermark iZm der<br />

Bewährungshilfe noch <strong>Die</strong>nststellen des B<strong>und</strong>es, die eine Anwendbarkeit der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen rechtfertigten. Seit 1999<br />

sind jedoch b<strong>und</strong>esweit alle Geschäftsstellen der Bewährungshilfe in das System<br />

des privaten Vereins NEUSTART eingegliedert. 621<br />

Aus diesen Überlegungen kann abgeleitet werden, dass Bewährungshelfer<br />

bzw die Leiter der Bewährungshilfestellen nicht zum Adressatenkreis der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 78 StPO zählen, da der Verein NEUSTART nicht als<br />

öffentliche <strong>Die</strong>nststelle zu qualifizieren ist. 622<br />

Entsteht in der Praxis ein Verdacht auf Kindesmisshandlung, wird in einem<br />

ersten Schritt die Abteilungsleitung informiert <strong>und</strong> der Fall mit einem<br />

sozialarbeiterischen Expertenteam besprochen <strong>und</strong> bearbeitet, wobei er ab diesem<br />

Zeitpunkt unter besonderer Beobachtung steht. Lässt sich der Verdacht nicht<br />

entkräften, wird die zuständige Jugendwohlfahrtsbehörde in die Bearbeitung<br />

einbezogen. Dadurch existiert einerseits eine weitere Kontrollschiene, andererseits<br />

besteht die Möglichkeit weiterer Unterstützungsangebote für den Betroffenen <strong>und</strong><br />

die gesamte Familie. Im Rahmen <strong>von</strong> Helferkonferenzen, bei denen durchaus<br />

auch konfrontative <strong>und</strong> deliktsorientierte Arbeitsweisen gesetzt werden, erfolgt ein<br />

620 ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 20; vgl auch Stolzlechner, RdM 2000, 71 <strong>und</strong> Schwaighofer in<br />

Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 22.<br />

621 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 5.<br />

622 Schwaighofer in Fuchs/Ratz, Wiener Komm zur StPO § 78 Rz 5.<br />

185


Exkurs: Bewährungshilfe<br />

Aufzeigen der Unterstützungsmöglichkeiten des Betroffenen. Bei der gesamten<br />

Vorgangsweise gibt es einen klaren Fokus auf das Kindeswohl, wodurch in<br />

manchen Fällen auch die Einbeziehung <strong>von</strong> weiteren Betreuungseinrichtungen wie<br />

zB dem Kinderschutzzentrum <strong>und</strong> die Organisation <strong>von</strong><br />

Familienbegleitungsmaßnahmen, wie einer Psychotherapie notwendig<br />

erscheinen. 623<br />

623 Persönliches Gespräch mit Susanne Pekler, Leiterin des Vereins NEUSTART Steiermark<br />

(25.09.2009).<br />

186


Kinderschutzgruppen<br />

9. Kinderschutzgruppen<br />

1991 entstand an der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendchirurgie Graz die<br />

österreichweit erste Kinderschutzgruppe. Seit 2004 sind Kinderschutzgruppen gem<br />

§ 8 e KAKuG in allen Kinderkliniken <strong>und</strong> Kinderkrankenhäusern gesetzlich<br />

vorgeschrieben.<br />

In einer <strong>von</strong> Thun-Hohenstein 624 in Auftrag gegebenen Studie verfügten 2005<br />

68% aller Kinderspitäler <strong>und</strong> 100% aller Kinderchirurgien in Österreich über eine<br />

Kinderschutzgruppe. Mit dieser Dichte, die mittlerweile fast flächendeckend ist,<br />

befindet sich Österreich an europaweiter Spitze.<br />

9.1. Allgemeines<br />

Ärzte, deren primäre Aufgabe die Behandlungspflicht ist, sind in vielen Fällen die<br />

Ersten, die den Verdacht einer Kindesmisshandlung hegen. Sie müssen reagieren<br />

<strong>und</strong> dagegen vorgehen. Um bei dieser schwierigen, komplizierten <strong>und</strong> oft unklaren<br />

Situation kompetente Unterstützung zu erhalten, wurden Kinderschutzgruppen<br />

eingerichtet, die den Arzt beraten bzw notwendige weitere Schritte unternehmen.<br />

Denn im Fall einer Kindesmisshandlung ist das Kindeswohl nicht alleine durch die<br />

ärztliche Behandlung wieder hergestellt. Es sind vielmehr die Analyse der<br />

Ursachen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit <strong>und</strong> ein koordiniertes Vorgehen<br />

<strong>von</strong> essentieller Notwendigkeit. Dabei versucht geschultes psychologisches <strong>und</strong><br />

sozialarbeiterisch tätiges Personal, gemeinsam mit dem medizinischen Wissen<br />

des Arztes <strong>und</strong> unter Einbeziehung der zuständigen Jugendwohlfahrtsbehörde,<br />

das Beste für das Kindeswohl zu erarbeiten. 625<br />

<strong>Die</strong> Hauptaufgaben einer Kinderschutzgruppe sind somit vor allem die<br />

Früherkennung <strong>von</strong> Gewalt am Kind, eine interdisziplinäre Beratung der<br />

624 Thun-Hohenstein, Kinderschutzgruppenarbeit in Österreich, WMW 2005, 155/15-16, 365<br />

(365).<br />

625 Schick in FS Moos 306; BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen<br />

3.<br />

187


Kinderschutzgruppen<br />

behandelnden Kollegen/Ärzte, die Empfehlung der einschlägigen Vorgehensweise<br />

<strong>und</strong> die Aus- bzw Fortbildung aller beteiligten Berufsgruppen. 626<br />

Als rechtliche Gr<strong>und</strong>lage ist § 8 e KAKuG heranzuziehen:<br />

(1) Der Landesgesetzgeber hat die Träger der nach ihrem Anstaltszweck<br />

<strong>und</strong> Leistungsangebot in Betracht kommenden Krankenanstalten zu<br />

verpflichten, Kinderschutzgruppen einzurichten. Für Krankenanstalten,<br />

deren Größe keine eigene Kinderschutzgruppe erfordert, können<br />

Kinderschutzgruppen auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten<br />

eingerichtet werden.<br />

(2) Der Kinderschutzgruppe haben jedenfalls als Vertreter des ärztlichen<br />

<strong>Die</strong>nstes ein Facharzt für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e oder ein<br />

Facharzt für Kinderchirurgie, Vertreter des Pflegedienstes <strong>und</strong><br />

Personen, die zur psychologischen Betreuung oder<br />

psychotherapeutischen Versorgung in der Krankenanstalt tätig sind,<br />

anzugehören. <strong>Die</strong> Kinderschutzgruppe kann, gegebenenfalls auch im<br />

Einzelfall, beschließen, einen Vertreter des zuständigen<br />

Jugendwohlfahrtsträgers beizuziehen.<br />

(3) Der Kinderschutzgruppe obliegt insbesondere die Früherkennung<br />

<strong>von</strong> Gewalt an oder Vernachlässigung <strong>von</strong> Kindern <strong>und</strong> die<br />

Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für Gewalt<br />

an Kinder.<br />

Rechtlich gesehen ist eine Kinderschutzgruppe ein beratendes Gremium,<br />

welches im Auftrag der zuweisenden stationsführenden Ärzte eine Anamnese <strong>und</strong><br />

einen Bef<strong>und</strong> erhebt, eine Diagnose stellt <strong>und</strong> eine Einschätzung der<br />

Gesamtsituation abgibt. <strong>Die</strong> Kinderschutzgruppe gibt weiterhin einen<br />

abschließenden Bef<strong>und</strong>bericht, der einem Gutachten entspricht <strong>und</strong> unterstützt<br />

den Arzt schlussendlich auch bei der Entscheidung ob eine Anzeige erstattet<br />

626 Thun-Hohenstein, WMW 2005, 155/15-16, 366.<br />

188


Kinderschutzgruppen<br />

werden muss – die Letztverantwortung trägt jedoch der fachärztliche Leiter, dem<br />

die Kinderschutzgruppe untersteht. 627<br />

Alle anderen Mitglieder einer Kinderschutzgruppe sind als gleichwertig<br />

anzusehen <strong>und</strong> nicht hierarchisch tätig. <strong>Die</strong> Kinderschutzgruppe sollte in<br />

regelmäßigen Abständen zusammentreffen, um alle Verdachtsfälle zu bearbeiten<br />

<strong>und</strong> zu erörtern, sie sollte aber auch in Krisensituation akut einberufen werden<br />

können. Wesentlich ist in ihrer Arbeit auch die Dokumentation 628 der<br />

Ergebnisse. 629<br />

9.2. Kinderschutzgruppe der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz <strong>und</strong> der Univ. Klinik für<br />

Kinderchirurgie Graz<br />

Bis 2006 gab es in der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz <strong>und</strong> in<br />

der Univ. Klinik für Kinderchirurgie Graz eine gemeinsame Kinderschutzgruppe am<br />

Landeskrankenhaus Graz. Seit nunmehr fast vier Jahren existieren zwei<br />

Kinderschutzgruppen, die intern getrennt handeln <strong>und</strong> nur noch nach außen hin<br />

einheitlich auftreten. 630<br />

627 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 29; Thun-Hohenstein,<br />

WMW 2005, 155/15-16, 366; Persönliches Gespräch mit Hofrat Dr. Peter Schweppe, Leiter<br />

der Rechtsabteilung, KAGes Steiermark (04.09.2009).<br />

628 Zur Erleichterung wurden standarisierte Formulare erarbeitet. Siehe Anhang.<br />

629 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 29.<br />

630 Persönliches Gespräch mit Dr. Elisabeth Fandler (27.08.2009).<br />

189


Kinderschutzgruppen<br />

9.2.1. Zusammensetzung der Kinderschutzgruppe<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich stützt sich eine Kinderschutzgruppe auf drei Säulen: 631<br />

• Medizinisches Personal<br />

• Psychologie<br />

• Jugendwohlfahrt<br />

Dabei besteht das interdisziplinäre Team der Kinderschutzgruppe aus<br />

Fachärzten der Pädiatrie <strong>und</strong>/oder der Kinderchirurgie, Psychologen <strong>und</strong><br />

Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Krankenschwestern <strong>und</strong> Pflegern. Als<br />

außerordentliche Mitglieder der Kinderschutzgruppe Graz sind eine Fachärztin für<br />

Gynäkologie <strong>und</strong> eine Fachärztin für Gerichtsmedizin anzuführen. 632<br />

Das Mitwirken <strong>von</strong> Gerichtsmedizinern in der Grazer Kinderschutzgruppe ist<br />

in Österreich einzigartig. 633 Gerichtsmedizinische Bef<strong>und</strong>e sind hochfachliche,<br />

neutrale ärztliche Gutachten, die in erster Linie die Verletzungsursachen eruieren<br />

können <strong>und</strong> in weitere Folge dadurch die Verletzungsgeschichte/Anamnese, die<br />

<strong>von</strong> den Opfern bzw Erziehungsberechtigten geschildert wird, überprüfen können.<br />

<strong>Die</strong> Bef<strong>und</strong>e können eine Misshandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigen<br />

oder ausschließen. 634<br />

<strong>Die</strong> Kinderschutzgruppen der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e<br />

Graz <strong>und</strong> der Univ. Klinik für Kinderchirurgie Graz beraten getrennt <strong>von</strong>einander<br />

einmal pro Woche, in Krisenfällen jedoch findet ein Zusammentreffen innerhalb<br />

631 Thun-Hohenstein, WMW 2005, 155/15-16, 366.<br />

632 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 30; vgl auch<br />

http://www.gs<strong>und</strong>.net/cms/beitrag/10114454/2875326/ (29.06.2009).<br />

633 Dabei handelt es sich um eine Wiedereinführung des „Grazer Modells“, welches einige Jahre<br />

an der Grazer Kinderklinik existierte. Bis zum Jahr 1994 haben Gerichtsmediziner den <strong>Ärzten</strong><br />

die „lästige <strong>Anzeigepflicht</strong>“ angenommen. Schick in FS Moos 306; vgl auch Maresch/Schick,<br />

Forensia 1988, 215; Rotter/Schick in FS Maresch 81 f; Persönliches Gespräch mit Univ. Prof.<br />

Dr. Eduard Peter Leinzinger, Universitätsprofessor für Gerichtliche Medizin (03.09.2009).<br />

634 Persönliches Gespräch mit Dr. Nikolaus Krebs, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig<br />

Boltzmann Instituts für Klinisch-Forensische Bildgebung, Mitglied der Kinderschutzgruppe<br />

Graz (01.09.2009).<br />

190


Kinderschutzgruppen<br />

<strong>von</strong> 24 St<strong>und</strong>en statt. Zusätzlich findet einmal pro Monat ein gemeinsames Treffen<br />

beider Kinderschutzgruppen statt. 635<br />

9.2.2. Vorgehensweise im konkreten Einzelfall<br />

Es sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass die Kinderschutzgruppe auf der<br />

einen Seite in schwierigen <strong>und</strong> emotional stark belasteten Situationen zur<br />

Entlastung des stationsführenden Arztes tätig wird <strong>und</strong> auf der anderen Seite<br />

durch die Arbeit des interdisziplinären Teams eine sehr rasche Abklärung des<br />

Verdachts möglich ist. Wesentlich dafür sind die berufliche Erfahrung <strong>und</strong> das<br />

standardisierte Vorgehen bei Verdachtsfällen. 636<br />

<strong>Die</strong> Kinderschutzgruppe gibt Hilfestellung bei fachlichen Anforderungen, wie<br />

zB bei gerichtsmedizinischen oder gynäkologischen Untersuchungen,<br />

psychosozialen Betreuung oder auch bei rechtlichen Fragen, wie der Anzeige an<br />

die Polizei, Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger, Dokumentationspflichten, der<br />

Einvernahme usw. 637<br />

Nicht zuletzt sind verbesserte Möglichkeiten zum Kontakt zu anderen<br />

Einrichtungen, die sich um das Wohl des Kindes bemühen, wie<br />

Jugendwohlfahrtsträger, Kinderschutzzentren, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften,<br />

Kinderpsychiatrie, Gerichtsmedizin, andere Kinderschutzgruppen, <strong>und</strong> Polizei <strong>und</strong><br />

Gericht möglich. 638<br />

Der Leitfaden des B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend<br />

<strong>von</strong> 2008 gibt Hinweise auf verdächtige Vorgehensweisen <strong>von</strong> minderjährigen<br />

Patienten bzw ihren gesetzlichen Vertretern. Bei folgenden Feststellungen <strong>und</strong><br />

Informationen sollten Ärzte besonders hellhörig werden: 639<br />

635 Persönliches Gespräch mit Dr. Elisabeth Fandler (27.08.2009).<br />

636 Thun-Hohenstein, WMW 2005, 155/15-16, 366; BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit<br />

in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 30.<br />

637 http://www.gs<strong>und</strong>.net/cms/beitrag/10114454/2875326/ (29.06.2009).<br />

638 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 30.<br />

639 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 14.<br />

191


Kinderschutzgruppen<br />

o Verletzungen, die auf das Alter <strong>und</strong> die Lokalisation bezogen, inadäquat<br />

sind<br />

o Erklärungen, die nicht zum Verletzungsmuster passen<br />

o Deutliche Verzögerung zwischen Verletzungszeit <strong>und</strong> Aufsuchen des Arztes<br />

o Sich ändernde Beschreibungen des Verletzungsherganges<br />

o Verweigerung bzw Ärger bei genauerer Exploration<br />

o Erklärungen, die nicht zum Entwicklungsalter des Kindes passen<br />

o Klagen über Überforderung bei der Kinderbetreuung<br />

o Hinweise auf unzureichendes Erziehungsvermögen, wie zB die Anwendung<br />

inadäquater Erziehungsmethoden<br />

o Gewalt in der Familie zB zwischen den (Ehe-)Partnern<br />

o Häufiger Wechsel der Betreuungseinrichtungen zB auch durch<br />

Übersiedelungen bedingt<br />

o Spontane Erzählungen über eigene belastende Kindheit der<br />

Erziehungsberechtigten<br />

Der Arzt sollte bei einem Kind mit Verdacht auf Misshandlung auch beachten,<br />

ob das Kind in der Vergangenheit schon öfters mit ähnlichen Symptomen<br />

vorgestellt wurde. Der sog Spitalstourismus kann ein Indiz für eine<br />

Kindesmisshandlung sein. Deswegen sollte auch Kontakt mit anderen<br />

medizinischen Versorgungseinrichtungen, wie zB dem Hausarzt Kontakt<br />

aufgenommen werden. 640<br />

Bei einem konkreten Verdacht auf Kindesmisshandlung erfolgt anfangs eine<br />

genaue Dokumentation <strong>und</strong> Untersuchung des Kindes. Der Verdacht wird dabei<br />

meist <strong>von</strong> dem Ambulanz- oder Stationsarzt festgestellt, der eine stationäre<br />

Aufnahme sowie die Zuweisung zur Kinderschutzgruppe veranlasst. Siehe auch<br />

das Formular „Zuweisung an die Kinderschutzgruppe“ im Anhang. 641 Bereits zu<br />

diesem Zeitpunkt müssen die Eltern über die Zuweisung zur Kinderschutzgruppe<br />

informiert werden. In weiterer Folge kommt es zu einer ersten Beratung der<br />

Kinderschutzgruppe, die ihre konsiliarische Empfehlung an den behandelnden Arzt<br />

640 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 38.<br />

641 <strong>Die</strong>ses Formular wird auch <strong>von</strong> niedergelassenen <strong>Ärzten</strong> verwendet.<br />

192


Kinderschutzgruppen<br />

weitergibt. <strong>Die</strong>se Empfehlungen haben rein informativen Charakter <strong>und</strong> eine<br />

Befolgung liegt im Ermessen des Arztes. Schlussendlich, wenn genug<br />

Informationen vorhanden sind, kommt es zu einer Entscheidung über die<br />

Bestätigung des Verdachts der Kindesmisshandlung. Dabei beurteilt die<br />

Kinderschutzgruppe eine Gewalt am Kind mit „unwahrscheinlich“, „bleibt offen“<br />

oder „wahrscheinlich“. 642<br />

Ist eine Kindesmisshandlung als unwahrscheinlich einzustufen, folgt ein<br />

Elterngespräch <strong>und</strong> das Kind wird, wenn sich keine neuen Informationen ergeben,<br />

entlassen, wobei ein Termin zur ambulanten Kontrolle vereinbart wird. Auch in den<br />

beiden anderen Fällen kommt es zu einem Gespräch mit den Eltern/Angehörigen –<br />

dem sog Konfrontationsgespräch – wenn sich der Verdacht gegen einen<br />

Familienangehörigen richtet. Dabei wird die betroffene Person direkt mit dem<br />

Verdacht konfrontiert <strong>und</strong> auch über eine Kontaktaufnahme zur<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde sowie die rechtliche Situation informiert. Auch über die<br />

weitere Vorgehensweise wird gesprochen. 643<br />

Ist der Verdacht auf eine Kindesmisshandlung <strong>von</strong> der Kinderschutzgruppe<br />

offengeblieben oder bestätigt worden, wird die Jugendwohlfahrtsbehörde über die<br />

konkrete Situation informiert. Das erfolgt schriftlich durch ein standardisiertes<br />

Formular. Siehe Anhang „Gefährdungsmeldung an die Jugendwohlfahrt“. <strong>Die</strong>se<br />

Meldung iSd § 54 Abs 6 ÄrzteG iVm § 37 Abs 2 JWG ist <strong>von</strong> der<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde unverzüglich zu überprüfen. Gleichzeitig wird ein<br />

Gesprächstermin (Vernetzungsgespräch bzw Helferkonferenz) im Krankenhaus<br />

vereinbart. Bei diesem Gespräch sind Sozialarbeiter, Psychologen, Eltern bzw<br />

Angehörige, Vertreter des Jugendwohlfahrtsträgers, bislang involvierte Betreuer,<br />

behandelnde Ärzte, die Stationsleitung <strong>und</strong> Vertreter der Kinderschutzgruppe<br />

selbst anwesend. Dabei wird gemeinsam der weitere Vorgehensplan besprochen,<br />

sowie auf die Betreuung durch andere Einrichtungen nach Entlassung des Kindes<br />

aus dem Krankenhaus Bezug genommen. <strong>Die</strong>ses Vernetzungsgespräch wird<br />

642 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 34.<br />

643 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 34 f.<br />

193


Kinderschutzgruppen<br />

dokumentiert <strong>und</strong> die endgültige Entscheidung über die weitere Betreuung <strong>und</strong><br />

Therapie obliegt dem Obsorgeträger. 644<br />

Auf Gr<strong>und</strong> des Verletzungsgrades, der Therapiebereitschaft <strong>und</strong> der<br />

psychosozialen Situation der Familie wird entschieden, ob gleich eine Anzeige<br />

erfolgen soll oder sie auf Gr<strong>und</strong> der besonderen Voraussetzungen nach<br />

§ 54 Abs 5 ÄrzteG (Verdacht gegen nahen Angehörigen, Zusammenarbeit mit dem<br />

Jugendwohlfahrtträgen <strong>und</strong> Kindeswohl) unterbleiben kann. 645 <strong>Die</strong> Anzeige wird<br />

schriftlich mittels standarisiertem Formulars an die Polizei erstattet. Gleichzeitig<br />

wird eine Kopie an die ärztliche Direktion/Anstaltsleitung geschickt. 646 Siehe das<br />

Formular „Anzeige an die Polizei“ im Anhang.<br />

Ist der mutmaßliche Täter bereit eine Therapie zu machen, wird auch hierbei<br />

<strong>von</strong> der Kinderschutzgruppe Unterstützung geboten. Ein weiteres Vorgehen wird<br />

gemeinsam ausgearbeitet, wobei die nachsorgenden Institute miteinbezogen<br />

werden. 647<br />

Ist allerdings Gefahr im Verzug, muss unverzüglich die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde informiert werden, damit die notwendigen Verfügungen<br />

auch gegen den Willen der Eltern erfolgen können. 648<br />

Am Ende des Tätigwerdens der Kinderschutzgruppe erfolgt ein<br />

Übergabegespräch, in dem noch einmal zusammengefasst wird, was das Beste für<br />

das Kind ist. Mit diesem Gespräch wird weiters klargestellt, dass die<br />

Verantwortlichkeit der Kinderschutzgruppe bzw des Krankenhauses ab diesem<br />

Zeitpunkt beendet ist <strong>und</strong> die Zuständigkeit des Falles, sowie die Kontrolle der<br />

Vereinbarungen <strong>und</strong> die Koordination bei der zuständigen<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde liegt. Zur Qualitätssicherung hat es sich in der Praxis<br />

bewährt, ambulante Nachkontrollen durch die Kinderschutzgruppe durchzuführen.<br />

644 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 34 ff.<br />

645 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 35.<br />

646 Persönliches Gespräch mit Dr. Elisabeth Fandler (27.08.2009).<br />

647 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 35.<br />

648 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 35.<br />

194


Kinderschutzgruppen<br />

Dabei muss das gesamte Vorgehen der Kinderschutzgruppe stets ausführlich<br />

dokumentiert werden. 649 <strong>Die</strong> dafür relevanten Formulare sind im Anhang<br />

abgedruckt.<br />

In den folgenden Grafiken ist eine schematische Übersicht zur<br />

Vorgehensweise der Kinderschutzgruppe bei Verdacht auf eine<br />

Kindesmisshandlung dargestellt. „Intramural“ bedeutet dabei, dass sich die<br />

Tätigkeit auf die jeweiligen Stationsärzte bezieht <strong>und</strong> „extramural“ bezieht sich auf<br />

die Tätigkeiten externer Institutionen. „KSG“ steht dabei für die Aktivitäten der<br />

Kinderschutzgruppe.<br />

649 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 36.<br />

195


Kinderschutzgruppen<br />

Abbildung aus B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg),<br />

Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 32.<br />

196


Kinderschutzgruppen<br />

Abbildung aus B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg),<br />

Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 33.<br />

197


Kinderschutzgruppen<br />

9.2.3. Statistik<br />

Laut dem Jahresbericht der Kinderschutzgruppe der Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz <strong>und</strong> in der Univ. Klinik für Kinderchirurgie Graz gab es vom<br />

Jahr 2001 bis zum Jahr 2006 insgesamt 476 Patienten in der Kinderschutzgruppe.<br />

Das waren jährlich 56 bis 111 Fälle. Knapp zwei Drittel (296) der aufgenommenen<br />

Kinder waren weiblich <strong>und</strong> 180 Patienten waren männlich. 650<br />

Durchschnittlich erfolgte fast die Hälfte aller Zuweisungen an die<br />

Kinderschutzgruppe auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Verdacht auf körperlicher Misshandlung<br />

(47 %). Der Verdacht auf Vernachlässigung war in einem Viertel der Fälle der<br />

Gr<strong>und</strong> für eine stationäre Aufnahme. R<strong>und</strong> 28 % wurden auf Gr<strong>und</strong> eines<br />

Verdachts auf sexuelle Misshandlung der Kinderschutzgruppe zugewiesen. Nicht<br />

erfasst sind allerdings bloß seelische Misshandlungen, da bloß seelisch<br />

misshandelte Kinder idR nicht ins Krankenhaus gebracht werden.<br />

Zuweisungsgr<strong>und</strong> an die Grazer Kinderschutzgruppe<br />

47%<br />

Misshandlung<br />

25%<br />

Vernachlässigung<br />

28%<br />

Missbrauch<br />

Quelle: Jahresbericht der Kinderschutzgruppe Graz 2001 bis 2006<br />

650 Kinderschutzgruppe Graz, Jahresbericht 2001 – 2006.<br />

198


Kinderschutzgruppen<br />

Nach der Bearbeitung <strong>und</strong> Betreuung der Fälle durch die Kinderschutzgruppe<br />

stellte sich allerdings in den meisten Fällen des Verdachts auf Vernachlässigung<br />

heraus, dass zusätzlich eine körperliche Misshandlung oder ein sexueller<br />

Missbrauch vorlag. Das Resultat war, dass fast zwei Drittel – 60 % – der<br />

betroffenen Kinder wegen körperlichen Misshandlung, 36 % wegen sexuellen<br />

Missbrauchs <strong>und</strong> nur 5 % aller Fälle auf Gr<strong>und</strong> <strong>von</strong> bloßer Vernachlässigung<br />

stationär in die Kinderschutzgruppe aufgenommen werden.<br />

Beurteilung nach Bearbeitung/Betreuung<br />

60%<br />

Misshandlung<br />

Vernachlässigung<br />

5%<br />

36%<br />

Missbrauch<br />

Quelle: Jahresbericht der Kinderschutzgruppe Graz 2001 bis 2006<br />

70 % der körperlich misshandelten Kinder, die stationär in der<br />

Kinderschutzgruppe aufgenommen wurden, waren jünger als 10 Jahre <strong>und</strong> 40 %<br />

waren jünger als 4 Jahre alt. 651<br />

Nach Beratung, Betreuung <strong>und</strong> Klärung der Ursachen der Verletzungen gab<br />

es folgende Abklärung der Fälle. In 60 % der Fälle mit Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung konnte der Verdacht bestätigt werden. In 11 % konnte der<br />

Verdacht nicht bestätigt werden <strong>und</strong> in 29 % blieb die tatsächliche Situation unklar.<br />

651 Kinderschutzgruppe Graz, Jahresbericht 2001 – 2006.<br />

199


Kinderschutzgruppen<br />

Abklärung des Verdachts<br />

60%<br />

Bestätigt<br />

Nicht bestätigt<br />

11%<br />

29% Unklar<br />

Quelle: Jahresbericht der Kinderschutzgruppe Graz 2001-2006<br />

Alle bestätigten <strong>und</strong> unklaren Verdachtsfälle wurden ordnungsgemäß nach<br />

§ 54 Abs 6 Ärzte <strong>und</strong> § 37 Abs 2 JWG bei der Jugendwohlfahrtsbehörde gemeldet.<br />

In 40 % der Fälle wurde zusätzlich eine polizeiliche Anzeige erstattet.<br />

Schwierigkeiten sind vor allem dort zu sehen, wo sich der Verdacht einer<br />

Kindesmisshandlung nicht erhärtet, sondern die Verletzungen tatsächlich nur<br />

unfallsbedingt entstanden sind. Zu unrecht verdächtigte Eltern reagieren sehr<br />

empfindlich auf falsche Anschuldigungen <strong>und</strong> sind über das Vorgehen der<br />

Kinderschutzgruppe entsetzt.<br />

200


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

10. Ehemalig geplante Neuregelung durch das<br />

2. Gewaltschutzgesetz<br />

Durch das 2. GeSchG 652 gab es eine Reihe <strong>von</strong> Änderungen bestehender<br />

Normen, um einen besseren Schutz für Opfer <strong>von</strong> Gewalt zu erreichen.<br />

Abgesehen vom neuen Tatbestand des § 107 b StGB der Fortgesetzten<br />

Gewaltausübung (siehe Kapitel 3.7.) wollte der Gesetzgeber auch die<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> in der StPO neu regeln. <strong>Die</strong> vorgesehenen Neuregelungen der<br />

§§ 78 Abs 3 <strong>und</strong> 78 a StPO-Entwurf sahen eine massive Verschärfung der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> vor <strong>und</strong> waren sehr umstritten. Heftige Kritik sorgte dafür, dass sie<br />

schlussendlich nicht in Kraft getreten sind. 653<br />

10.1. Hintergründe des geplanten Gesetzesvorhabens –<br />

Gründe für die Erstattung einer Anzeige<br />

Der dramatische Fall des kleinen Luca sorgte gerade im Bereich der Ärzteschaft<br />

<strong>und</strong> der Politik für heftige Diskussionen. Es wurde Handlungsbedarf gesehen um<br />

solche Fälle in Zukunft zu verhindern. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sollte die Gesetzeslage<br />

hinsichtlich der <strong>Anzeigepflicht</strong> neu gestaltet werden.<br />

Da sich der Entwurf eindeutig für eine Verschärfung der <strong>Anzeigepflicht</strong><br />

aussprach, werden an dieser Stelle die Gründe für eine Anzeigenerstattung betont.<br />

Unbestritten <strong>und</strong> Hauptargument ist, dass eine Anzeige in gewissen Fällen<br />

unerlässlich ist, da es durch die dadurch eingeleiteten Schritte, einer eventuellen<br />

Verhaftung oder Wegweisung des Beschuldigten, zu einem Ende der<br />

Misshandlungen kommt. <strong>Die</strong>se Vorgehensweise schützt nicht nur das betroffene<br />

652 BGBl I 2009/40.<br />

653 Vgl Pesendorfer, Das 2. Gewaltschutzgesetz, iFamZ 2008, 238 (239); vgl <strong>Die</strong> Presse,<br />

17.06.2008, 35.<br />

201


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Opfer, sondern verhindert auch das Gefährden <strong>von</strong> weiteren Personen, zB<br />

Geschwistern. 654<br />

Abgesehen vom Ende der Gewalt sind die positiven Auswirkungen einer<br />

Anzeige für das Opfer in der Möglichkeit, sich gegen das erlittene Unrecht zu<br />

wehren <strong>und</strong> in einer besseren Bewältigung der Geschehnisse, zu sehen. 655<br />

Weites hat eine Anzeigenerstattung nicht nur individuelle Auswirkungen,<br />

sondern auch generalpräventive Wirkung. So wird das Bewusstsein der<br />

Gesellschaft sensibilisiert <strong>und</strong> andere potentielle Täter werden dadurch<br />

abgeschreckt. 656<br />

Eine strafrechtliche Anzeige ist in Fällen einer Kindesmisshandlung die letzte<br />

Konsequenz um den Unwert der Tat aufzuzeigen. Opfer sollten ermutigt <strong>und</strong><br />

ermächtigt werden zum erlittenen Unrecht zu stehen <strong>und</strong> es mit allen ihnen zur<br />

Verfügung stehenden Mittel zu überwinden – dh Opferschutzeinrichtungen,<br />

Behörden <strong>und</strong> Justiz müssen Hilfe bieten. <strong>Die</strong> Zurückhaltung einer Anzeige wäre<br />

der falsche Weg <strong>und</strong> würde dem Täter die fatale Botschaft signalisieren, dass die<br />

Tat nicht strafwürdig ist. 657<br />

Aber nicht immer ist eine (sofortige) Anzeige das Beste für das misshandelte<br />

Kind. Siehe Kapitel 10.4. <strong>Die</strong>sen Aspekt hatte der Gesetzgeber jedoch übersehen,<br />

als er im geplanten Entwurf des 2. GeSchG gleich zwei massive Verstärkungen<br />

der <strong>Anzeigepflicht</strong> veranlasste. Zum einen sollte eine <strong>Anzeigepflicht</strong> unbedingt<br />

bestehen <strong>und</strong> zum anderen sollte sie auf alle betroffenen Personen ausgeweitet<br />

werden.<br />

654 Benzoni, ÖA 2001, 196.<br />

655 Benzoni, ÖA 2001, 196.<br />

656 Benzoni, ÖA 2001, 196.<br />

657 Interventionsstellen <strong>und</strong> Gewaltschutzzentren Österreichs 15/SN-193/ME 23. GP 19 ff.<br />

202


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

10.2. Ehemalig geplante unbedingte <strong>Anzeigepflicht</strong> für<br />

Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen<br />

Von der <strong>Anzeigepflicht</strong> für Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen kann gem<br />

§ 78 Abs 2 Z 1 StPO <strong>von</strong> einer Anzeige abgesehen werden, wenn die Anzeige<br />

eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. § 78 Abs 3 StPO stellt klar, dass der<br />

Schutz des Verletzten <strong>und</strong> anderer Personen vor Gefährdung Vorrang gegenüber<br />

dem in § 78 Abs 2 StPO geschützten Vertrauensverhältnisses hat. Veranlasst<br />

durch in der Praxis geschehene Fehleinschätzungen bei der Anwendung dieser<br />

Vorschrift wollte der Gesetzgeber 2009 die <strong>Anzeigepflicht</strong> in der StPO neuerlich<br />

ändern <strong>und</strong> Behörden <strong>und</strong> öffentliche <strong>Die</strong>nststellen bei einer konkreten Gefahr für<br />

das Opfer – unabhängig <strong>von</strong> der Verpflichtung zur Wahrung des<br />

Vertrauensverhältnisses – unverzüglich zur Erstattung einer Anzeige verpflichten,<br />

wenn der Schutz des Opfers nur dadurch gewährt ist. Dadurch sollte der Vorrang<br />

des Schutzes des Opfers gegenüber dem Vertrauensverhältnis nochmals<br />

eindeutig klargestellt sein. 658 Nach dem Entwurf träfe Behörden oder öffentliche<br />

<strong>Die</strong>nststellen auch in den Ausnahmefällen des § 78 Abs 2 Z 1 StPO eine<br />

unbedingte <strong>Anzeigepflicht</strong>.<br />

§ 78 (3) <strong>Die</strong> Behörde oder öffentliche <strong>Die</strong>nststelle hat auch in den Fällen<br />

des Abs. 2 Z 1 alles zu unternehmen was zum Schutz des Opfers oder<br />

anderer Personen vor Gefährdung notwendig ist <strong>und</strong> Anzeige zu<br />

erstatten, insbesondere soweit die konkrete Gefahr besteht, dass eine<br />

Person neuerlich Opfer einer im § 65 Z 1 lit. a bezeichneten Tat wird.<br />

658 Erläuterungen zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 5.<br />

203


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

10.3. Ehemalig geplante Erweiterung des<br />

Adressatenkreises<br />

Gesetzliche Verpflichtungen zur Anzeige bzw Meldung bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung bestehen für unterschiedlichste Berufsgruppen Persönlich<br />

Betroffene, wie Eltern, Großeltern, Fre<strong>und</strong>e, Tanten, Onkel usw sind jedoch nicht<br />

verpflichtet den Misshandlungen eines Kindes ein Ende zu setzen. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> wollte der Gesetzgeben die <strong>Anzeigepflicht</strong> auf einen umfangreicheren<br />

Personenkreis auszudehnen.<br />

Oft sind es Mütter, die einfach wegschauen, anstatt zu handeln. Hintergründe<br />

für das Nicht-Anzeigen bzw Untätigbleiben dieser Angehörigen bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung sind in erster Linie finanzielle Abhängigkeit der Familie<br />

gegenüber dem Täter. Aber auch eine emotionale Abhängigkeit der Mutter zum<br />

Täter ist ausschlaggebend für ein Untätigbleiben. Schlussendlich können auch<br />

Überlegungen wie „es ist doch nur der alte Opa, der ein bisschen gegrapscht hat“<br />

oder „es ist doch nur der nette Nachbar, der uns immer beim Haus hilft“ <strong>und</strong><br />

„außerdem es wird doch schon nicht so tragisch gewesen sein, schließlich ist es<br />

mir auch passiert“, Motivationen sein, um einfach wegzusehen. 659<br />

Um ein „Wegschauen“ <strong>von</strong> Personen, die die Verantwortung für das<br />

körperliche <strong>und</strong> seelische Wohl des Kindes tragen, sollten dem Gesetzesentwurf<br />

zufolge alle Personen, denen die Pflege <strong>und</strong> Erziehung oder die sonstige Sorge für<br />

die körperliche <strong>und</strong> seelische Integrität des Minderjährigen obliegt, zu einer<br />

Anzeigenerstattung verpflichtet sein. Damit waren Eltern, Pflegeeltern,<br />

Kindergärtner <strong>und</strong> Ärzte, sowie Erzieher gemeint. 660<br />

§ 78 a (1) Besteht auf Gr<strong>und</strong> bestimmter Tatsachen der Verdacht, dass<br />

ein Minderjähriger Opfer einer im § 65 Z 1 lit. a bezeichneten Tat<br />

geworden sein könnte, so haben Personen denen die Pflege <strong>und</strong><br />

Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische<br />

659 Friedrich, ÖA 2000, 8; Jesionek, ÖA 1986, 37.<br />

660 Erläuterungen zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 5, 24.<br />

204


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Integrität des Minderjährigen obliegt, unverzüglich Anzeige an<br />

Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten.<br />

(2) Keine Anzeige hat zu erstatten, wer<br />

1. durch die Anzeige sich oder einen Angehörigen der Gefahr<br />

strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde,<br />

2. <strong>von</strong> der Tat ausschließlich durch eine Mitteilung Kenntnis erhalten hat,<br />

die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist.<br />

<strong>Die</strong> Erklärung des Gesetzgebers für diese umfangreiche Formulierung war,<br />

dass die Funktion der Anzeige als Schutzmaßnahme für das Kind stärker betont<br />

werden sollte. Es sollte zu einer sehr strengen <strong>Anzeigepflicht</strong> zurückgekehrt<br />

werden, weswegen weder die Möglichkeit einer Bedachtnahme auf ein<br />

bestehendes Vertrauensverhältnis noch eine Einschränkung der <strong>Anzeigepflicht</strong> iSd<br />

Kindeswohls möglich sein sollte. Dem Argument, dass ein Strafverfahren<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht geeignet sei, die kindliche Psyche zu respektieren oder eine<br />

Retraumatisierung zu verhindern, wurde seitens der RV entgegengestellt, dass<br />

dies seit der Verstärkung der Opferrechte <strong>und</strong> Maßnahmen 661 zum Schutz <strong>und</strong><br />

sensiblen Umgangs mit kindlichen Opfern nicht mehr zuträfe. Schließlich gäbe es<br />

seit 2006 662 die Einrichtungen der psychosozialen <strong>und</strong> juristischen<br />

Prozessbegleitung, wodurch die Rechte einer schonenden <strong>und</strong> würdevollen<br />

Behandlung des Kindes sichergestellt seien. <strong>Die</strong> verstärkte Pflicht zur Anzeige<br />

wurde auch damit begründet, dass Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Kriminalpolizei nur<br />

dann für einen ausreichenden Schutz des Opfers sorgen könnten, wenn sie<br />

genügend Informationen über den Verdacht der Kindesmisshandlung – durch eine<br />

Anzeigenerstattung – erhalten haben. 663<br />

661 Damit ist in erster Linie die mit dem StPRÄG 1993 eingeführte kontradiktorische <strong>und</strong><br />

schonende Vernehmung gemeint.<br />

662 Eingeführt durch das BGBl I 2005/119.<br />

663 Erläuterungen zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 5, 24.<br />

205


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

10.4. Argumente, die ein In-Kraft-Treten verhinderten<br />

<strong>Die</strong> durchgehend negativen Stellungnahmen bzw erheblichen Bedenken zu den<br />

geplanten Gesetzesänderungen führten schließlich dazu, dass der Entwurf einer<br />

Neuregelung bzw der Verschärfung der <strong>Anzeigepflicht</strong> nicht in Kraft trat.<br />

Von 60 Stellungnahmen zum 2. GeSchG gab es nur fünf, die keine Bedenken<br />

gegen die Neuregelung der <strong>Anzeigepflicht</strong> hegten 664 , sechs weitere, die nicht auf<br />

die Problematik eingingen 665 <strong>und</strong> den OGH der den neuen § 78 a StPO begrüßen<br />

würde. 666<br />

<strong>Die</strong> 48 überwiegenden Stellungnahmen stellten klar, dass die geplante<br />

Neuregelung in keiner Weise dem Kindeswohl dient <strong>und</strong> führten einheitlich<br />

folgende Argumente der Ablehnung der geplanten Änderung an:<br />

Da das Verhältnis zwischen dem geplanten § 78 Abs 3 StPO <strong>und</strong> dem<br />

bestehenden § 78 Abs 2 StPO nicht geregelt wurde, musste da<strong>von</strong> ausgegangen<br />

werden, dass auch in der Ausnahme des § 78 Abs 2 StPO eine absolute<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> gelten sollte. <strong>Die</strong>s <strong>und</strong> eine unbedingte <strong>Anzeigepflicht</strong> für alle<br />

Personen, denen die Pflege <strong>und</strong> Erziehung oder sonst die Sorge für die<br />

körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt, dh für Ärzte,<br />

Lehrer, Bedienstete in Beratungs- <strong>und</strong> Betreuungseinrichtungen der<br />

Jugendwohlfahrt (zB in Kriseninterventionszentren, Gewaltschutzzentren,<br />

Erziehungs- <strong>und</strong> Familienberatungsstellen oder in Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaften), in erster Linie dazu führen, dass die Betroffenen<br />

(Erziehungsberechtigten, Familienangehörigen usw) sich nicht mehr oder weniger<br />

häufig an Betreuungseinrichtungen <strong>und</strong> Stellen, an denen Hilfe geboten wird,<br />

wenden würden. Das gleiche gilt für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe.<br />

664 Altkatholische Kirche Österreichs 3/SN-193/ME 23. GP; BMI 7/SN-193/ME 23. GP 5;<br />

Rechnungshof 17/SN-193/ME 23.GP; B<strong>und</strong> Österreichischer Frauenvereine 24/SN-193/ME<br />

23. GP; Evangelische Kirche in Österreich 45/SN-193/ME 23. GP.<br />

665 Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen <strong>und</strong> Staatsanwälte 6/SN-193/ME 23. GP;<br />

Mieterschutzverband Österreichs 8/SN-193/ME 23. GP; Reindl-Krauskopf, Universität Wien<br />

32/SN-193/ME 23. GP; Flora, Universität Innsbruck 34/SN-193/ME 23. GP; BM für Finanzen<br />

35/SN-193/ME 23. GP; ARGE Daten 60/SN-193/ME 23. GP.<br />

666 OGH 28/SN-193/ME 23. GP 6.<br />

206


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Womöglich würden misshandelte Minderjährige nicht mehr zum Arzt gebracht<br />

werden – aus Angst vor einer Anzeige. <strong>Die</strong> schwerwiegende Folge wäre, dass<br />

nicht mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden, sondern die Dunkelziffer der<br />

misshandelten Kinder steigen würde. 667<br />

Wenn sich betroffene Personen an hilfebietende Stellen wenden, ist das<br />

Aufbauen <strong>von</strong> Vertrauen zu Jugendwohlfahrtsträger <strong>und</strong> Beratungs- <strong>und</strong><br />

Hilfeeinrichtungen unerlässlich, was im Fall einer sofortigen Anzeige unmöglich<br />

wäre. <strong>Die</strong> Kooperationsbereitschaft würde erheblich sinken <strong>und</strong> die erforderliche<br />

Abklärung der Situation erschweren. 668 Mangelnde Kooperationsbereitschaft<br />

würde zu einer schwierigeren <strong>und</strong> gefährlicheren familiäre Situation für das Kind<br />

führen, wenn es nach der Anzeigenerstattung in die gleichen Verhältnisse<br />

zurückkehren muss, in denen ihm die Misshandlung widerfahren ist. 669<br />

<strong>Die</strong> Jugendwohlfahrt, die seit Jahren als Drehscheibe <strong>und</strong> zentrale<br />

Schnittstelle bei Fällen mit Verdacht auf Kindesmisshandlung fungiert, würde durch<br />

eine Verschärfung der <strong>Anzeigepflicht</strong> komplett ausgehebelt <strong>und</strong> übergangen<br />

werden. Zurzeit besteht eine Meldeverpflichtung nach § 37 JWG, die eine<br />

Einbeziehung des Jugendwohlfahrtsträgers gewährleistet. <strong>Die</strong>s ist absolut<br />

unerlässlich, denn eine ausnahmslose Pflicht zur Anzeige stellt nämlich keinen<br />

Ersatz für die Gefährdungsabschätzung dar. Bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung ist zu allererst eine Abklärung der Gesamtsituation nötig, um<br />

das Gefährdungspotential einschätzen zu können. Der Jugendwohlfahrtsträger hat<br />

die Zusammenhänge zu erkennen <strong>und</strong> im Interesse des Kindeswohls die richtigen<br />

(Ab)Hilfen anzubieten <strong>und</strong> die nächsten Schritte einzuleiten. Hier sind vor allem<br />

eine Gesprächsbasis, eine Kommunikationsbereitschaft <strong>und</strong> Fachpersonal bzw<br />

667 Fachgruppe für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e 1/SN-193/ME 23. GP 2; Amt der Tiroler LReg<br />

26/SN-193/ME 23. GP 2 f; Amt der Wiener LReg 33/SN-193/ME 23. GP 6; Amt der<br />

Salzburger LReg 42/SN-193/ME 23. GP 7; BMGFJ 39/SN-193/ME 23. GP 5;<br />

Volksanwaltschaft 55/SN-193/ME 23. GP 4; Österreichische Ärztekammer 20/SN-193/ME 23.<br />

GP 2; Kriseninterventionszentrum für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche 4/SN-193/ME 23. GP 1 f;<br />

Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Jugendwohlfahrt 40/SN-193/ME 23. GP 4 f.<br />

668 Amt der Kärntner LReg 9/SN-193/ME 23. GP 4; Österreichischer B<strong>und</strong>esverband für<br />

Psychotherapie 21/SN-193/ME 23. GP 2; Berufsverband Österreichischer Psychologinnen<br />

<strong>und</strong> Psychologen 50/SN-193/ME 23. GP 3; Caritas Haus für Mutter <strong>und</strong> Kind 19/SN-193/ME<br />

23. GP 1; Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Jugendwohlfahrt 40/SN-193/ME 23. GP 4;<br />

Kinderschutzzentrum Linz 37/SN-193/ME 23. GP 2 ff.<br />

669 Amt der Tiroler LReg 26/SN-193/ME 23. GP 2; BMGFJ 39/SN-193/ME 23. GP 4.<br />

207


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Experten, welche in Bereichen <strong>von</strong> Gewalt am Kind tätig sind, <strong>von</strong> Nöten. <strong>Die</strong>se<br />

nächsten Schritte umfassen selbstverständlich auch die Frage nach der Erstattung<br />

einer Anzeige, wobei ein allfälliges Absehen da<strong>von</strong> schriftlich begründet werden<br />

muss. Der Jugendwohlfahrtsträger versucht sich am Kindeswohl zu orientieren <strong>und</strong><br />

so gut es geht auf die Bedürfnisse der Minderjährigen einzugehen, die in den<br />

meisten Fällen darin liegen, dass die Kinder weder ihr Zuhause noch die Bindung<br />

zu den Eltern verlieren möchten. <strong>Die</strong>ses System würde durch eine zwingende<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> zerstört werden <strong>und</strong> die Problematik würde auf die Polizei <strong>und</strong><br />

Staatsanwaltschaft überwälzt werden, die diesen Aufgaben mit den ihnen zur<br />

Verfügung stehen Mitteln nicht gerecht werden könnten. 670<br />

<strong>Die</strong> gleiche Situation würde bei einer Verpflichtung zur unverzüglichen<br />

Anzeigenerstattung auftreten. Der Druck einer sofortigen Anzeige hätte eine<br />

weitere Traumatisierung des Kindes zur Folge. Gerade sehr junge Opfer sind zum<br />

Tatzeitpunkt noch nicht in der Lage über ihre Ängste zu sprechen, geschweige<br />

denn vor einem Richter auszusagen, vor allem weil sie eine starke emotionale<br />

Bindung zum Täter haben <strong>und</strong> oft ein vehementer Druck zur Geheimhaltung auf<br />

sie ausgeübt wird. <strong>Die</strong> Herstellung einer Vertrauensbasis ist unerlässlich um<br />

tatsächlich gezielt helfen <strong>und</strong> eingreifen zu können. In vielen Fällen sind nach<br />

einem Verdacht weitere Recherchen <strong>und</strong> Schutzmaßnahmen, wie zB eine<br />

Fremdunterbringung des Kindes, nötig, die später womöglich zu höheren<br />

Verurteilungschancen führen. Dh eine entsprechende Vorbereitung <strong>und</strong> die<br />

Abwägung der Erfolgsaussichten eines Strafverfahrens sind unentbehrlich, um<br />

eine Retraumatisierung <strong>und</strong> Loyalitätskonflikte beim Opfer zu verhindern. 671<br />

In der derzeitigen Rechtslage ist es dem Jugendwohlfahrtsträger möglich<br />

durch das Erstellen alternativer Möglichkeiten, wie zB Hilfestellungen iSv<br />

Therapien, Anti-Gewalttraining usw, iSd Kindeswohls <strong>von</strong> einer Anzeige<br />

abzusehen. Dabei kann uneinsichtigen Tätern die Möglichkeit einer Anzeige vor<br />

670 Amt der Steiermärkischen LReg 12/SN-193/ME 23. GP 4; Amt der Salzburger LReg 42/SN-<br />

193/ME 23. GP 4 f; Prozessbegleitung für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche 51/SN-193/ME 23. GP 6.<br />

671 Amt der Steiermärkischen LReg 12/SN-193/ME 23. GP 3; Amt der Salzburger LReg 42/SN-<br />

193/ME 23. GP 7; BMGFJ 39/SN-193/ME 23. GP 4 ff; Kinderschutzzentrum Linz 37/SN-<br />

193/ME 23. GP 3.<br />

208


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Augen geführt werden, um sie so <strong>von</strong> der Notwendigkeit einer Kooperation zu<br />

überzeugen. 672<br />

Durch eine Erweiterung des Adressatenkreises der <strong>Anzeigepflicht</strong> auf alle<br />

involvierten Personen, könnte es – aus Angst vor den Folgen des Nicht-Anzeigens<br />

– zu einer Anzeigenflut 673 kommen, da auch vage Verdächtigungen vorschnell<br />

angezeigt werden würden, was wiederum die Gefahr des vorschnellen Agierens<br />

<strong>und</strong> die Gefahr des Bagatellisierens aus Angst vor unberechtigten<br />

Verdächtigungen <strong>und</strong> Verleumdungsklagen massiv steigern würde. 674 <strong>Die</strong>se<br />

Situation wäre mit einem übertriebenen Spitzelunwesen zu vergleichen. 675<br />

Auch Großeltern <strong>und</strong> volljährige Geschwister würden zu einer<br />

Anzeigenerstattung verpflichtet sein <strong>und</strong> könnten bei einem Nichtanzeigen zur<br />

Verantwortung gezogen werden. 676 Vgl auch Kapitel 3.11.<br />

Mehr Anzeigen bedeutet allerdings nicht, dass es dadurch auch mehr<br />

Verurteilungen geben würde, da vor allem durch das unverzügliche Anzeigen<br />

da<strong>von</strong> auszugehen sein wird, dass es wenig bis gar keine oder unsichere Beweise<br />

gibt. Im Gegenteil: Da sich das minderjährige Opfer bei einer unverzüglichen<br />

absoluten <strong>Anzeigepflicht</strong> übergangen <strong>und</strong> nicht richtig verstanden, hilflos <strong>und</strong> in<br />

der Erwachsenenwelt verraten fühlt, könnte es sich zurückziehen <strong>und</strong> nicht mehr<br />

zu einer Aussage vor dem Richter bereit sein. Dadurch könnte es zu vermehrten<br />

Verfahrenseinstellungen <strong>und</strong> Freisprüchen kommen, wobei berücksichtigt werden<br />

muss, dass der Täter dann wieder (ungestraft) in die Familie zurückkehrt <strong>und</strong> uU<br />

seine Misshandlungen fortsetzten würde. 677 In diesen Fällen ist es fachlicher<br />

Standard <strong>und</strong> rechtlicher Auftrag, dass eine mögliche weitere Hilfeplanung das<br />

minderjährige Kind betreffend, während der Haft des Täters <strong>und</strong> notwendigerweise<br />

672 Amt der Tiroler LReg 26/SN-193/ME 23. GP 2; Amt der Salzburger LReg 42/SN-193/ME 23.<br />

GP 8.<br />

673 Eine Anzeigenflut würde laut den Erläuterungen des Entwurfes zum 2. GeSchG nur<br />

anfänglich auftreten <strong>und</strong> längerfristig gesehen wieder abschwächen. Vgl Erläuterungen zum<br />

Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 1.<br />

674 BMGFJ 39/SN-193/ME 23. GP 5; vgl auch Mangold, ÖA 1999, 93.<br />

675 Maresch/Schick, Forensia 1988, 215; Rotter/Schick in FS Maresch 81.<br />

676 B<strong>und</strong>esarbeiterkammer 43/SN-193/ME 23. GP 2; BMUKK 53/SN-193/ME 23. GP 1.<br />

677 Amt der Tiroler LReg 26/SN-193/ME 23. GP 3; Amt der Salzburger LReg 42/SN-193/ME 23.<br />

GP 6; BMGFJ 39/SN-193/ME 23. GP 4 f.<br />

209


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

auch nach Freilassung des Täters, im Focus der Jugendwohlfahrt bleibt. <strong>Die</strong><br />

konkreten fachlichen Hilfe – <strong>und</strong> Unterstützungsangebote sind vom individuellen<br />

Einzelfall abhängig. 678<br />

Bei geringeren Verstößen gegen das Züchtigungsverbot erscheint eine<br />

unbedingte <strong>Anzeigepflicht</strong> als unzweckmäßig – da zB auch das Versetzen einer<br />

Ohrfeige eine absolute <strong>Anzeigepflicht</strong> auslösen würde. Unumstritten ist, das<br />

solche Methoden als Erziehungsmittel untauglich sind, allerdings muss auf die<br />

Verhältnismäßigkeit abgestellt werde. In solchen Fällen ist wohl eher mit<br />

gelinderen Maßnahmen geholfen als mit der Einleitung eines Strafverfahrens, vor<br />

allem da die Wahrscheinlichkeit einer Verfahrenseinstellung aus Mangelwürdigkeit<br />

hoch ist. Überzeugungsarbeit, Hilfsangebote <strong>und</strong> die Arbeit mit dem<br />

Misshandelnden wäre eine bessere Alternative. 679<br />

Auch in den Fällen, in denen eine Misshandlung nicht offenbar bzw als nicht<br />

erwiesen scheint, wäre eine <strong>Anzeigepflicht</strong> eher kontraproduktiv. 680<br />

Schlussendlich würde die Schaffung einer absoluten <strong>Anzeigepflicht</strong> in der<br />

StPO, wie sie im Entwurf des 2. GeSchG vorgesehen war mit allen anderen diese<br />

Thematik betreffenden in Kraft stehenden Regelungen (§ 78 Abs 2 Z 1 StPO,<br />

§ 53 Abs 1 a BDG, § 45 Abs 4 BDG <strong>und</strong> die entsprechenden Regelungen der<br />

Landesdienstrechtsgesetzen sowie § 54 ÄrzteG) im Widerspruch stehen,<br />

wodurch es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit käme. <strong>Die</strong> Schaffung einer<br />

unbedingten <strong>Anzeigepflicht</strong> für einen weiteren Personenkreis, wie Landeslehrer,<br />

B<strong>und</strong>eslehrer, Kindergärtner, Erzieher in Horten, die in einem <strong>Die</strong>nstverhältnis zu<br />

einer Gebietskörperschaft stehen, würde einen Widerspruch zu ihren<br />

dienstrechtlichen Vorschriften auslösen. In vielen Fällen sind diese Personen nicht<br />

befugt selbständig Anzeige zu erstatten, sondern müssen eine Meldung an ihren<br />

<strong>Die</strong>nstvorgesetzten erstatten, dem das weitere Vorgehen obliegt. Eine<br />

678 Persönliches Gespräch mit Mag. Martina Koch-Uitz (01.09.2009).<br />

679 Amt der Kärntner LReg 9/SN-193/ME 23. GP 4; Amt der Steiermärkischen LReg 12/SN-<br />

193/ME 23. GP 3; Amt der Salzburger LReg 42/SN-193/ME 23. GP 10; Österreichische<br />

Arbeitsgemeinschaft für Jugendwohlfahrt 40/SN-193/ME 23. GP 3.<br />

680 Amt der Kärntner LReg 9/SN-193/ME 23. GP 4.<br />

210


Ehemalig geplante Neuregelungen durch das 2. GeSchG<br />

Neuregelung idS würde in verfassungswidriger Weise in die<br />

<strong>Die</strong>nstrechtskompetenz der Länder nach Art 21 B-VG eingreifen. 681<br />

681 Amt der Tiroler LReg 26/SN-193/ME 23. GP 5 f; Amt der Salzburger LReg 42/SN-193/ME 23.<br />

GP 8; Österreichische Ärztekammer 20/SN-193/ME 23. GP 2; Bertel/Schwaighofer/Venier,<br />

Universität Innsbruck 5/SN-193/ME 23. GP 4 ff.<br />

211


Schlussbetrachtung<br />

11. Schlussbetrachtung<br />

Es gibt immer wieder heftige Debatten zur <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht auf<br />

Kindesmisshandlung. Auffallend dabei ist, dass in erster Linie die ärztliche<br />

Vorgehensweise kritisiert wird <strong>und</strong> auf andere Berufsgruppen nicht bzw wenig<br />

eingegangen wird.<br />

Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zumindest bei sehr jungen<br />

Opfern meist Ärzte die ersten sind, die einen Verdacht auf eine mögliche<br />

Kindesmisshandlung hegen, vor allem wenn ein Säugling/Kleinkind zu ihnen zur<br />

Behandlung gebracht wird. <strong>Die</strong>se Berufsgruppe ist die erste, die entsprechende<br />

Vorfälle wahrnimmt <strong>und</strong> kann dadurch möglichst schnell weitere Misshandlungen<br />

verhindern <strong>und</strong> das Kind schützen. 682<br />

Trotz der leider nicht nur für Juristen unüberschaulichen Rechtslage gilt es<br />

als oberste Priorität das Kindeswohl zu fördern. Was allerdings in der Praxis im<br />

Einzellfall genau dem Kindeswohl entspricht, ist, auch wenn alle nur das Beste für<br />

das Kind <strong>und</strong> (weitere) Misshandlungen verhindern wollen, wohl eine der<br />

heikelsten Fragen <strong>und</strong> sollte nicht nur <strong>Ärzten</strong> allein gestellt werden. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> haben sich im ärztlichen Bereich bereits sehr gut funktionierende<br />

Kinderschutzgruppen entwickelt. Überlegenswert wäre es, diese Form <strong>von</strong><br />

Unterstützung auch in anderen Berufsgruppen einzurichten, um zB Lehrer – mittels<br />

in der Schule eingegliederten Sozialarbeitern – in Schulen die Umgangsweise mit<br />

diesem sensiblen Thema zu erleichtern.<br />

Dadurch zeigt sich auch, dass eine umfassende Zusammenarbeit zwischen<br />

schützenden Einrichtungen (Gericht, Sozialbehörden) <strong>und</strong> Therapiemaßnahmen<br />

besonders wichtig sind. Der Wandel der Zeit lässt erkennen, dass vom Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Bestrafung immer mehr zum Prinzip des Helfens übergegangen wird. Es<br />

682 Schick in FS Moos 304.<br />

212


Schlussbetrachtung<br />

wurde erkannt, dass ein ursachenorientiertes, problemangemessenes Handeln ein<br />

effizientes Ergänzungsmittel zur Bestrafung ist. 683<br />

Im Rahmen der Diskussion um eine Änderung <strong>und</strong> Verschärfung der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> durch das 2. GeSchG zeigten sich nahezu alle Stellungnahmen mit<br />

der derzeitigen Gesetzeslage zufrieden <strong>und</strong> sehen – trotz Komplexität – keine<br />

Notwendigkeit sie zu ändern. Sie fordern jedoch, dass die personellen <strong>und</strong><br />

finanziellen Ressourcen ausgeweitet werden, um den ständig steigenden<br />

Anforderungen gerecht zu werden. 684<br />

11.1 Zusammenfassung der <strong>Anzeigepflicht</strong>en<br />

Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflichten bezüglich des Verdachts auf Kindesmisshandlung<br />

finden sich in den verschiedensten berufsspezifischen Gesetzen, sowie etwas<br />

umfassender normiert in der StPO. Durch diese unterschiedlichen Normen fehlt es<br />

an Übersichtlichkeit <strong>und</strong> es taucht die Forderung nach einer einheitlichen<br />

Vorgehensweise für alle betroffenen Berufsgruppen auf. <strong>Die</strong> Erläuterungen des<br />

Entwurfes vom 2. GeSchG begründen die derzeit bestehende differenzierte<br />

Gesetzeslage damit, dass der Schwerpunkt auf die StPO – durch ihre zentrale<br />

Stellung – den verstärkten Schutz <strong>von</strong> Kindern zum Ausdruck bringen soll. 685 ME<br />

mag es zwar für einen Außenstehenden etwas unüberschaulich erscheinen, dass<br />

für jede Berufsgruppe andere Vorschriften existieren, für den Einzelnen ist eine<br />

Regelungen zur <strong>Anzeigepflicht</strong> in den Gesetzen zu seinem Beruf allerdings zu<br />

begrüßen, da er dadurch keine Bestimmungen aus anderen ihn sonst weniger<br />

betreffenden Gesetzen befolgen muss. Wünschenswert wäre allerdings eine<br />

Vereinheitlichung der einzelnen Bestimmungen.<br />

683 Mangold, ÖA 1999, 87 ff.<br />

684 Vgl zB Fachgruppe für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e 1/SN-193/ME 23. GP 2; Amt der Tiroler<br />

LReg 26/SN-193/ME 23. GP 3; Österreichischer B<strong>und</strong>esverband für Psychotherapie 21/SN-<br />

193/ME 23. GP 3; Kinderschutzzentrum WIGWAM 13/SN-193/ME 23. GP 2.<br />

685 Erläut zum Entwurf des 2. GeSchG 193/ME 23. GP 1.<br />

213


Schlussbetrachtung<br />

Für Ärzte, die nach dem BDG oder VBG bei einer Krankenanstalt des<br />

B<strong>und</strong>es, der Länder oder der Gemeinden angestellt sind, gilt in erster Linie das<br />

ÄrzteG wonach sie zu einem Handeln nach § 54 ÄrzteG verpflichtet sind. Dh es<br />

herrscht gr<strong>und</strong>sätzlich eine sehr strenge <strong>Anzeigepflicht</strong>, <strong>von</strong> der jedoch in<br />

Ausnahmefällen – nämlich wenn der Täter ein naher Angehöriger ist, es das Wohl<br />

des Kindes fordert <strong>und</strong> eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger<br />

gewährleistet ist – das Absehen der Anzeige gestattet ist. Daraus ist ersichtlich,<br />

dass ein Hinzuziehen des Jugendwohlfahrtsträgers bei jedem Fall des Verdachts<br />

einer Kindesmisshandlung unerlässlich ist. Zusätzlich unterliegt der bei einer <strong>von</strong><br />

einer Gebietskörperschaft geführten Krankenanstalt angestellte Arzt<br />

dienstrechtlichen Meldepflichten an den Leiter, wie zB nach § 53 BDG oder<br />

§ 5 Abs 1 VBG. Ist ein bei einer Krankenanstalt der Gebietskörperschaften<br />

angestellter Arzt auch Leiter der Krankenanstalt, so hat er zusätzlich auch die<br />

Regelung des § 78 StPO zu befolgen. Der leider bis dato nicht beseitigte<br />

Widerspruch der Ausnahmetatbestände der unterschiedlichen Regelungen bleibt<br />

nach wie vor erhalten. Nach der StPO sowie nach dem BDG <strong>und</strong> VBG ist ein<br />

Absehen der Anzeige nämlich nur bei Entgegenstehen eines persönlichen<br />

Vertrauensverhältnisses möglich. Dh der angestellte Arzt hat – auch wenn er sich<br />

entschließt unter den Voraussetzungen nach § 54 Ärzte <strong>von</strong> einer Anzeige<br />

Abstand zu nehmen – die dienstrechtliche Pflicht nach § 53 BDG bzw<br />

§ 5 Abs 1 VBG den Verdacht an den Leiter der Krankenanstalt zu melden. Der<br />

Leiter hat wiederum auch § 78 StPO zu befolgen – der auf Gr<strong>und</strong> seiner anderen<br />

Formulierung jedoch eine Pflicht zur Anzeigenerstattung vorsehen kann.<br />

Für Ärzte, die in privaten Krankenanstalten angestellt sind <strong>und</strong><br />

niedergelassene Ärzte entfällt dieser Widerspruch, da sie ausschließlich der<br />

<strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 54 Ärzte unterliegen.<br />

Schulärzte unterliegen, wie gr<strong>und</strong>sätzlich alle Ärzte, der Verpflichtung zur<br />

Anzeige nach § 54 ÄrzteG. Bezüglich weiterer dienstrechtlicher Vorschriften<br />

kommt es auf die genaue Beschäftigungsart des Schularztes an.<br />

214


Schlussbetrachtung<br />

Amtsärzte sind in erster Linie Adressaten des § 78 StPO <strong>und</strong> unterliegen<br />

nicht dem ÄrzteG. Sie trifft eine <strong>Anzeigepflicht</strong>, <strong>von</strong> der nur bei Vorliegen eines<br />

persönlichen Vertrauensverhältnisses abgesehen werden darf. In der Praxis erfolgt<br />

die Anzeigenerstattung im dienstlichen Weg, da der bei der<br />

Bezirkshauptmannschaft bzw Magistrat beschäftigte Amtsarzt dem<br />

Bezirkshauptmann/Leiter der <strong>Die</strong>nststelle untergeordnet ist. 686<br />

Alle Ärzte, die in der Begutachtung, Betreuung <strong>und</strong> Behandlung<br />

Minderjähriger tätig sind, haben auch gem § 37 Abs 2 JWG die Pflicht, eine<br />

Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten, wenn sie den Verdacht<br />

einer Misshandlung, Vernachlässigung oder des sexuellen Missbrauchs hegen <strong>und</strong><br />

dies zur Verhinderung einer weiteren erheblichen Gefährdung des Kindeswohls<br />

erforderlich ist.<br />

Für Angehörige <strong>von</strong> Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Krankenpflegeberufe gilt eine<br />

eingeschränkte Anzeige- <strong>und</strong> Meldepflicht. Gem §§ 7 <strong>und</strong> 8 GuKG unterliegen sie<br />

einer <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Verdacht einer strafbare Handlung, die den Tod oder eine<br />

schwere Körperverletzung herbeigeführt hat. Im letzteren Fall ist das Absehen der<br />

Anzeige möglich, wenn die Anzeige eine Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren<br />

Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. Bei Verdacht,<br />

dass eine minderjährige Person oder eine volljährige Person, die ihre Interessen<br />

nicht selbst wahrnehmen kann, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />

missbraucht wurde, ist gem § 8 GuKG iVm § 37 Abs 2 JWG eine Meldung an den<br />

zuständigen Jugendwohlfahrtsträger bzw an das zuständige Pflegschaftsgericht zu<br />

erstatten. Voraussetzung dabei ist, dass die Meldung zur Verhinderung einer<br />

weiteren Gefährdung der Person erforderlich ist.<br />

Auch Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten sind trotz ihrer vermeintlich<br />

starken Verschwiegenheitspflicht in § 14 PsychologenG <strong>und</strong> § 15 PsychotherapieG<br />

zur Meldung beim Verdacht einer Kindesmisshandlung verpflichtet. Gem<br />

§ 37 Abs 2 JWG müssen auch sie Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

686 Persönliches Gespräch mit Dr. <strong>Die</strong>ter Müller, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer<br />

Steiermark (01.09.2009).<br />

215


Schlussbetrachtung<br />

erstatten, wenn sie den Verdacht einer Misshandlung, Vernachlässigung oder des<br />

sexuellen Missbrauchs hegen <strong>und</strong> dies zur Verhinderung einer weiteren<br />

erheblichen Gefährdung des Kindeswohls erforderlich ist.<br />

Freiberuflich tätige Heilmasseure unterliegen einer <strong>Anzeigepflicht</strong>, die<br />

derjenigen der Ärzte voll entspricht. Vgl § 35 Abs 2 bis 4 MMHmG. Unselbständig<br />

tätige medizinische Masseure sind gem § 7 MMHmG zu einer unverzüglichen<br />

Meldung an den <strong>Die</strong>nstgeber verpflichtet, wenn sich in Ausübung ihres Berufs der<br />

Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine<br />

schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde, eine volljährige Person, die ihre<br />

Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält,<br />

vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist oder ein Minderjähriger<br />

misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist.<br />

Lehrer müssen den Verdacht einer strafbaren Handlung im <strong>Die</strong>nstweg ihrem<br />

Vorgesetzen melden, der dann die Regelung des § 78 StPO zu befolgen hat <strong>und</strong><br />

nur im Falle des Vorliegens eines persönlichen Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> einer<br />

Anzeige absehen kann. Weiters haben Lehrer die Pflicht nach § 37 Abs 1 JWG<br />

Meldung über alle bekannt gewordenen Tatsachen zu erstatten, die zur<br />

Vermeidung oder zur Abwehr einer konkreten Gefährdung eines bestimmten<br />

Kindes erforderlich sind.<br />

Mitarbeiter <strong>von</strong> Kinderbetreuungseinrichtungen haben abgesehen <strong>von</strong> der<br />

Meldepflicht nach § 37 Abs 1 JWG auch landesgesetzliche Regelungen zu<br />

befolgen.<br />

Für Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt kommt § 78 StPO mit samt seinen<br />

Ausnahmetatbeständen zur Anwendung. Allerdings müssen auch dienstrechtliche<br />

Vorschriften beachtet werden.<br />

Mitarbeiter der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwälte haben § 78 StPO zu befolgen.<br />

Jedoch wird in den meisten Fällen im Zuge des Ausnahmetatbestandes des<br />

Vorliegens eines persönlichen Vertrauensverhältnisses <strong>von</strong> einer Anzeige Abstand<br />

216


Schlussbetrachtung<br />

genommen werden können. <strong>Die</strong> Verpflichtung einer unbedingten Meldung an den<br />

Jugendwohlfahrtsträger ist in § 37 JWG verankert.<br />

Betreuer sozialer Beratungsstellen wie zB des Kinderschutzzentrums<br />

unterliegen gem § 37 JWG einer bloßen Meldepflicht an die<br />

Jugendwohlfahrtsbehörde.<br />

Bewährungshelfer unterliegen weder einer gesetzlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> noch<br />

einer Meldepflicht bei Verdacht auf Kindesmisshandlung.<br />

Privatpersonen unterliegen keiner gesetzlichen Pflicht zur Anzeige oder<br />

Meldung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung – weder nach der StPO, noch nach<br />

dem JWG oder einem sonstigen Gesetz. Nicht außer Acht gelassen werden darf<br />

jedoch § 95 StGB, der das Unterlassen der Hilfeleistung unter Strafe stellt.<br />

217


Schlussbetrachtung<br />

11.2. Verbesserungsvorschläge<br />

Statt einer Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen sollte in erster Linie eine<br />

Vereinheitlichung dieser angestrebt werden, sowie zusätzliche Maßnahmen in<br />

Erwägung gezogen werden. Dabei wäre vor allem eine umfassende Ausweitung<br />

<strong>von</strong> Präventionsmaßnahmen <strong>und</strong> Schulungen für Personen, die mit Kindern<br />

zusammenarbeiten, wünschenswert.<br />

<strong>Die</strong> Einführung einer verpflichtenden, regelmäßigen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsvorsorgeuntersuchung, um den Zustand der Kinder kontrollieren <strong>und</strong><br />

präventiv Gewalt verhindern zu können, wäre eine hilfreiche Alternative zur<br />

absoluten <strong>Anzeigepflicht</strong>. 687<br />

Ein weiterer Vorschlag ist die gesetzliche Miteinbeziehung <strong>von</strong><br />

Gerichtsmedizinern bei der Arbeit <strong>von</strong> Kinderschutzgruppen. Wie sich in Graz<br />

zeigt, ist die neutrale Ursachenfeststellung der Verletzungen ein bedeutender<br />

Vorteil, da der Verletzungsvorgang dadurch in vielen Fällen besser geklärt werden<br />

kann <strong>und</strong> die Entscheidung der Anzeigenerstattung leichter getroffen werden<br />

kann. 688<br />

Mit dieser Forderung unvermeidlich ist auch die Forderung nach mehr<br />

Personal in der Jugendfürsorge, um einen bestmöglichsten Schutz für<br />

Minderjährige zu gewähren.<br />

Um die Ziele, den Schutz <strong>und</strong> das Wohl des Kindes aufrecht zu erhalten oder<br />

herzustellen, die Gewährung der Kinderrechte, die Ursachenabklärung <strong>von</strong> Gewalt<br />

am Kind <strong>und</strong> die Entscheidung einer Anzeigenerstattung, sowie die Verhinderung<br />

<strong>von</strong> sek<strong>und</strong>ären Traumatisierungen, ist eine regelmäßige Vernetzung aller mit<br />

Gewalt am Kind befassten Einrichtungen unerlässlich. Dabei müssen<br />

Jugendwohlfahrt, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften, Kinderschutzzentren,<br />

687 Amt der Tiroler LReg 26/SN-193/ME 23. GP 3; Fachgruppe für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e<br />

1/SN-193/ME 23. GP 2<br />

688 Persönliche Gespräche mit Dr. Elisabeth Fandler (27.08.2009), Dr. Nikolaus Krebs<br />

(01.09.2009) <strong>und</strong> Univ. Prof. Dr. Eduard Peter Leinzinger (03.09.2009).<br />

218


Schlussbetrachtung<br />

Opferorganisationen, Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Psychologen,<br />

Therapeuten, Ärzte, Sachverständige, Gerichtsmediziner, Beratungsstellen,<br />

Pädagogen uvm kooperieren. 689<br />

Ein österreichweit elektronisches Netzwerk, das die gesamte Jugendfürsorge<br />

verbindet, wäre in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> Vorteil <strong>und</strong> könnte mehr Fälle <strong>von</strong><br />

Kindesmisshandlung aufdecken bzw könnten dadurch betroffenen Familien im<br />

Falle eines Umzuges weiter betreut werden.<br />

Ein weiterer bedeutender, nicht zu unterschätzender Punkt ist die sek<strong>und</strong>äre<br />

Belastung des misshandelten Kindes durch die Medien. Nicht nur die Opfer, auch<br />

die betreuenden Einrichtungen haben mit dieser Problematik zu kämpfen. Für den<br />

konkreten Einzelfall stellt die Medienberichterstattung in jeder Hinsicht – auch für<br />

den Täter – einen Nachteil dar, der wiederum auf das Kind zurückfällt.<br />

Damit all diese Bereiche erweitert, die Forderungen konkretisiert <strong>und</strong> die<br />

Ergebnisse bestmöglich verarbeitet werden können, sollte sich eine ständig<br />

eingerichtete, österreichweite Arbeitsgruppe mit dem Thema <strong>Anzeigepflicht</strong> bei<br />

Verdacht auf Kindesmisshandlung befassen.<br />

Abgesehen da<strong>von</strong> ist an eine Bewusstseinsänderung der Personen, die<br />

einschreiten könnten, um unnötiges Kindesleid zu vermeiden, wie Eltern,<br />

Angehörige, Augen- <strong>und</strong> Ohrenzeugen der Gewaltanwendung, Mitarbeiter <strong>von</strong><br />

pädagogischen Einrichtungen (Schulen, Kindergarten, Kindergruppen, Horten),<br />

Tagesmütter, Pflegeeltern, Mitarbeiter im Ges<strong>und</strong>heitssystem (Ärzte <strong>und</strong> andere<br />

Mitarbeiter) <strong>und</strong> Mitarbeitern in Heimen <strong>und</strong> Kinderdörfern 690 , zu appellieren.<br />

Schon seit über 20 Jahren fordern Maresch/Schick 691 , dass sich am<br />

Anzeigeverhalten der Bevölkerung etwas ändern muss. ME geht es jedoch nicht<br />

darum möglichst viele Fälle der Polizei zu melden <strong>und</strong> zu überlassen, sondern um<br />

das Einleiten überlegter Schritte – wie zB das Informieren einer Beratungsstelle –<br />

689 BMGFJ, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen 50.<br />

690 Neumayer, Kinderschutz <strong>und</strong> Kinderschutzgruppen aus der Sicht der Jugendwohlfahrt in<br />

Niederösterreich, ÖA 1999, 98 (98).<br />

691 Maresch/Schick, Forensia 1988, 215; vgl auch Rotter/Schick in FS Maresch 81.<br />

219


Schlussbetrachtung<br />

um bei einem Veracht auf Kindesmisshandlung erfahrenen Experten die weitere<br />

Handlungsweise zu überlassen. Kinderschutz sollte nie <strong>von</strong> einer Einzelperson<br />

abhängig sein – ein Einzelner wäre selbst bei größtmöglicher Kompetenz <strong>und</strong><br />

Erfahrung fachlich <strong>und</strong>/oder emotional überfordert. 692<br />

692 http://www.gs<strong>und</strong>.net/cms/beitrag/10114454/2875326/ (29.06.2009); Kinder- <strong>und</strong><br />

Jugendanwaltschaft Steiermark, Broschüre Gewalt am Kind, 5.<br />

220


ANHANG<br />

ANHANG<br />

Zuweisung an die Kinderschutzgruppe<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong> Jugendliche,<br />

Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 71; www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

221


ANHANG<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 71;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

222


ANHANG<br />

Dokumentation der Kinderschutzgruppe<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 72;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

223


ANHANG<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 73;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

224


ANHANG<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 73;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

225


ANHANG<br />

Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 78;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

226


ANHANG<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Ges<strong>und</strong>heitsberufen (2008) 78;<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

227


ANHANG<br />

Anzeige an die Polizei<br />

Quelle: Univ. Klinik für Kinder- <strong>und</strong> Jugendheilk<strong>und</strong>e Graz<br />

228


Literaturverzeichnis<br />

LITERATURVERZEICHNIS<br />

Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Wien 1987<br />

Aigner/Kierein/Kopetzki (Hrsg), Ärztegesetz 1998, 3. Auflage, Wien 2007<br />

Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Wien 1996<br />

Bauer, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes bei Sexualdelikten, ÖJZ 1986, 719<br />

Benzoni, Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaften Österreichs, ÖA 2001, 193<br />

Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 10. Auflage,<br />

Wien 2008<br />

Bertel/Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 8. Auflage,<br />

Wien 2008<br />

Bertel/Venier, Strafprozessrecht, 3. Auflage, Wien 2009<br />

Brandstetter/Zahrl, <strong>Die</strong> strafrechtliche Haftung des Arztes, RdM 1994, 17<br />

Buchbauer, Rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Ärzten</strong>, Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten aus materieller <strong>und</strong> formeller<br />

Sicht, Graz 2003<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Familie <strong>und</strong> Jugend (Hrsg), Gewalt gegen<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in<br />

Ges<strong>und</strong>heitsberufen, 2008<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Kultur (Hrsg), Broschüre Sexueller<br />

Missbrauch – rechtliche Situation, 2007<br />

229


Literaturverzeichnis<br />

Burgstaller, <strong>Anzeigepflicht</strong> der Notariatskammern gemäß § 84 StPO? JBl 1991,<br />

341<br />

Ent/Frischengruber (Hrsg), Jugendwohlfahrtsrecht, Wien 1992<br />

Erhard, Gewalt gegen Kinder – Frauen als Täterinnen, ÖA 2005, 67<br />

Fabrizy, <strong>Die</strong> Österreichische Strafprozessordnung, Kurzkommentar, 10. Auflage,<br />

Wien 2008<br />

Fellner (Hrsg), Beamten-<strong>Die</strong>nstrechtsgesetz 1979, Wien, Loseblattsammlung<br />

52. Ergänzungslieferung März 2009<br />

Foregger/Fabrizy, Strafgesetzbuch, StGB samt ausgewählten Nebengesetzen:<br />

Kurzkommentar, 9. Auflage, Wien 2006<br />

Friedrich, Kindesmisshandlung <strong>und</strong> Kindesmissbrauch, ÖA 2000, 5<br />

Fuchs/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung, Wien,<br />

Loseblattsammlung Stand März 2009<br />

Haller, Gewalt gegen Frauen <strong>und</strong> Kinder im Blickwinkel wissenschaftlicher<br />

Begleitforschung: Fünf Jahre Gewaltschutzgesetz in Österreich, ÖA 2002,<br />

200<br />

Hochmayr/Schmoller, Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong>,<br />

Psychologen <strong>und</strong> Psychotherapeuten beim Verdacht des sexuellen<br />

Kindesmissbrauchs, in Schmoller/Holz-Dahrenstaedt (Hrsg), Sexueller<br />

Missbrauch <strong>von</strong> Kindern, Wien 2000, 15<br />

Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Wien,<br />

Loseblattsammlung 54. Lieferung 2009<br />

230


Literaturverzeichnis<br />

Jesionek, <strong>Die</strong> rechtlichen Aspekte der Kindesmißhandlung, ÖA 1986, 35<br />

Jesionek, Anzeige- <strong>und</strong> Aussageverhalten bei Kindesmissbrauch, in Festschrift<br />

Platzgummer, Wien 1995, 369<br />

Kaniak, Das österreichische Strafgesetz, 6. Auflage, Wien 1969<br />

Kienapfel/Höpfel, Gr<strong>und</strong>riss des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 13. Auflage, Wien<br />

2009<br />

Kienapfel/Schroll, Gr<strong>und</strong>riss des Strafrechts: Besonderer Teil, Band I: Delikte<br />

gegen Personenwerte, 5. Auflage, Wien 2003<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft Steiermark (Hrsg), Broschüre Gewalt am Kind,<br />

2006<br />

Kinderschutz-Zentrum Graz, Informationsbroschüre Kinderschutz plus, 04/2006<br />

Kinderschutz-Zentrum Graz, Informationsbroschüre Kinderschutz plus, 05/2008<br />

Kindler, Langzeitauswirkungen familiärer <strong>und</strong> partnerschaftlicher Gewalt, ÖA<br />

2006, 69.<br />

Kletecka-Pulker, <strong>Die</strong> neue Regelung der ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong>, RdM 2001,<br />

175<br />

Koziol/Welser, Gr<strong>und</strong>riss des bürgerlichen Rechts, Band I, 13. Auflage, Wien<br />

2006<br />

Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 3. Auflage, Wien 2003<br />

Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, Ärztegesetz mit Kommentar, 3. Auflage,<br />

Wien 1988<br />

231


Literaturverzeichnis<br />

Launsky-Tieffenthal, <strong>Die</strong> NÖ Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft <strong>und</strong> der<br />

Kinderschutz, ÖA 1999, 96<br />

Leinzinger, <strong>Anzeigepflicht</strong> gemäß § 27 Ärztegesetz 1984, ÖÄZ 1985 H 7, 66<br />

Leukauf/Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage, Eisenstadt<br />

1992<br />

Linko, Zur ärztlichen <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 10a Ärztegesetz, ÖÄZ 1982 H 18,<br />

1089<br />

Loderbauer (Hrsg), Kinder- <strong>und</strong> Jugendrecht, 3. Auflage, Wien 2004<br />

Maleczky, <strong>Die</strong> Haftung des Sozialarbeiters in der Jugendwohlfahrt, ÖA 2005, 133<br />

Maleczky, Erziehung <strong>und</strong> Strafrecht, 3. Auflage, Wien 2003<br />

Maleczky, Zur Strafbarkeit der „G’s<strong>und</strong>n Watschn“, ÖJZ 1993, 625<br />

Mangold, Gewalt gegen Kinder – Kinderschutzgruppen eine Antwort? ÖA 1999,<br />

94<br />

Maresch/Schick, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer,<br />

kriminologischer <strong>und</strong> strafrechtlicher Sicht, Forensia 1988, 205<br />

Marschall/Salomon, <strong>Die</strong> neuen Quälereitatbestände II, ÖJZ 1972, 482<br />

Maucher, Sistematisches Handbuch des österreichischen Strafgesetzes, Wien<br />

1844<br />

Maurer, Ärztliche Schweige- <strong>und</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> in bezug auf Verkehrsmedizin,<br />

ÖÄZ 1982 H 1, 29<br />

232


Literaturverzeichnis<br />

Mayerhofer/Hollaender (Hrsg), Das österreichische Strafrecht, Zweiter Teil<br />

Strafprozessordnung, 5. Auflage, Wien 2004<br />

Medigovic, Unterlassung der Anzeige nach § 84 StPO – Amtsmißbrauch? JBl<br />

1992, 420<br />

Missliwetz/Ellinger, Recht für Ärzte <strong>und</strong> Medizinstudenten, 2. Auflage, Wien 1995.<br />

Mottl, Alte <strong>und</strong> neue rechtliche Instrumente gegen Gewalt in der Familie, ÖJZ<br />

1997, 542<br />

Neumayer, Kinderschutz <strong>und</strong> Kinderschutzgruppen aus der Sicht der<br />

Jugendwohlfahrt in Niederösterreich, ÖA 1999, 98<br />

Neustart, Organisation <strong>und</strong> Kontakte, Wien 2005<br />

Pelikan, Über die Reform der <strong>Anzeigepflicht</strong> <strong>von</strong> <strong>Ärzten</strong> in Fällen <strong>von</strong><br />

Kindesmisshandlung <strong>und</strong> sexuellem Kindesmissbrauch, in Hanak (Hrsg),<br />

Phänomen Strafanzeige (Jahrbuch für Recht- <strong>und</strong> Kriminalsoziologie 2003),<br />

Baden-Baden 2004, 207<br />

Pesendorfer, Das 2. Gewaltschutzgesetz, iFamZ 2008, 238<br />

Pilnacek, <strong>Anzeigepflicht</strong> der Jugendwohlfahrtsbehörden nach dem<br />

Strafprozeßänderungsgesetz 1993, ÖA 1994 H 3, 83<br />

Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren, Wien 2005<br />

Pollak, <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> nach § 27 ÄrzteG, ÖÄZ 1985 H 17, 32<br />

Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Wien 2009<br />

Reissig (Hrsg), Das österreichische Strafgesetz, Wien 1971<br />

233


Literaturverzeichnis<br />

Roth/Egger, Zweites Gewaltschutzgesetz, EF-Z 2009/93, 125<br />

Rotter/Schick, <strong>Die</strong> Kindesmisshandlung, in Festschrift Maresch, Graz 1988, 67.<br />

Rudas, Prävention <strong>und</strong> Schutz vor Gewalt – Nachbetreuung bei Gewalt gegen<br />

Kinder – Reaktion der Kinder auf Gewalt in Rauch-Kallat/Pichler (Hrsg),<br />

Entwicklungen in den Rechten der Kinder im Hinblick auf das UN-<br />

Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Wien 1994, 445<br />

Schick, Der strafrechtliche Schutz des Kindeswohls, in Rauch-Kallat/Pichler<br />

(Hrsg), Entwicklungen in den Rechten der Kinder im Hinblick auf das UN-<br />

Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Wien 1994, 479<br />

Schick, Opferschutzrechte als Schutzrechte des Beschuldigten 1. Teil, RZ 1994,<br />

208<br />

Schick, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> der Ärzte, in Festschrift Moos, Wien 1997, 303<br />

Schwaighofer/Steiner, <strong>Die</strong> <strong>Anzeigepflicht</strong> der Ärzte <strong>und</strong> Rechtsträger <strong>von</strong><br />

Krankenanstalten, RdM 2000, 45<br />

Schwamberger, Ärztegesetz 1984, Wien 1995<br />

Seiler, Strafprozessreform 2004, Ergänzungsband zum Lehrbuch<br />

Strafprozessrecht, 2. Auflage, Wien 2006<br />

Seiler, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Wien 2007<br />

Steiner, <strong>Anzeigepflicht</strong>, Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 1976 H 1, 15<br />

Stellamor/Steiner, Handbuch des österreichischen Arztrechts Band I, Wien 1999<br />

234


Literaturverzeichnis<br />

Stolzlechner, Überlegungen zur ärztlichen Verschwiegenheits-, Anzeige- <strong>und</strong><br />

Meldepflicht, RdM 2000, 67<br />

Thun-Hohenstein, Kinderschutzgruppenarbeit in Österreich, WMW 2005, 155/15-<br />

16, 365<br />

Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), Salzburger Kommentar zum<br />

Strafgesetzbuch, Wien 1992, Loseblattsammlung 20. Lieferung 2009<br />

Wegscheider (Hrsg), Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Auflage, Wien 2006<br />

Wollinger, Verbesserung des "Frühwarnsystems" im Zusammenhang mit<br />

Kindeswohlgefährdungen, <strong>Die</strong> Jugendwohlfahrtsgesetz-Novelle 2007,<br />

iFamZ 2007, 273<br />

Zahrl, Ärztliche <strong>Anzeigepflicht</strong> bei Fremdverschulden: Wem hilft sie wirklich? ÖÄZ<br />

24/1997, 26<br />

Zahrl, Zur <strong>Anzeigepflicht</strong> des Arztes, RdM 1998, 19<br />

Zaunschirm, Praktische Erfahrung mit Kinderschutzgruppen in Wien, ÖA 1999,<br />

100<br />

235


Literaturverzeichnis<br />

Verzeichnis der Quellen aus dem Internet<br />

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/348947/index.do?from=suche.i<br />

ntern.portal (13.12.2007)<br />

http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx (16.09.2009)<br />

http://www.gs<strong>und</strong>.net/cms/beitrag/10114454/2875326/ (29.06.2009).<br />

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/345195/index.do?gal=345195&i<br />

ndex=1&direct=500695&_vl_backlink=/home/panorama/oesterreich/500695/<br />

index.do&popup= (28.09.2009)<br />

www.kinderrechte.gv.at (16.09.2009)<br />

http://www.kinderrechte.gv.at/home/upload/70%20service/zuweisung_an_ks<br />

g_1-2.pdf (16.09.2009)<br />

http://www.kinderrechte.gv.at/home/upload/70%20service/dokumentation_d<br />

er_ksg_1-3.pdf (16.09.2009)<br />

http://www.kinderrechte.gv.at/home/upload/70%20service/meldung_an_jw_<br />

1-2.pdf (16.09.2009)<br />

236


Gesprächsverzeichnis<br />

GESPRÄCHSVERZEICHNIS<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft Steiermark<br />

Mag. Christian Theiss, Leiter der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft Steiermark<br />

(02.09.2009)<br />

Krista Mittelbach, Psychotherapeutin der Kinder- <strong>und</strong> Jugendanwaltschaft<br />

Steiermark (15.04.2008)<br />

Kinderschutzzentrum Graz<br />

Gabriella Walisch, Fachbereichsleiterin des Kinderschutzzentrums Graz<br />

(05.02.2009)<br />

Kinderschutzgruppe Graz<br />

Dr. Elisabeth Fandler, Klinische- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspsychologin,<br />

Psychotherapeutin, Leiterin der Kinderschutzgruppe Graz (27.08.2009).<br />

Dr. Andrea Huber-Zeyringer, Ärztin an der Univ. Kinderklinik Graz, Mitglied<br />

der Kinderschutzgruppe Graz (26.08.2009)<br />

Dr. Nikolaus Krebs, Facharzt für Gerichtliche Medizin, Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Klinisch-Forensische<br />

Bildgebung, Mitglied der Kinderschutzgruppe Graz (01.09.2009)<br />

o. Univ.-Prof. Dr. Eduard Peter Leinzinger, Universitätsprofessor für Gerichtliche<br />

Medizin, Allgemein beeideter <strong>und</strong> gerichtlich zertifizierter Sachverständiger<br />

(Gerichtliche Medizin <strong>und</strong> Serologie), Vizepräsident der Österreichischen<br />

Gesellschaft für Gerichtliche Medizin (03.09.2009)<br />

Jugendwohlfahrt<br />

Mag. Martina Koch-Uitz, Leiterin des Fachbereichs Jugendwohlfahrt/Recht am<br />

Amt für Jugend <strong>und</strong> Familie Graz (01.09.2009)<br />

Hofrat Dr. Helmut-Theobald Müller, Leiter der Bezirkshauptmannschaft<br />

Deutschlandsberg (22.09.2009)<br />

Mag. Bettina Hutter-Zöhrer, Referatsleiterin der Rechtsfürsorge,<br />

Jugendwohlfahrt Deutschlandsberg (22.09.2009)<br />

237


Gesprächsverzeichnis<br />

Ärztekammer Steiermark<br />

Dr. <strong>Die</strong>ter Müller, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Steiermark (01.09.2009)<br />

Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft<br />

Hofrat Dr. Peter Schweppe, Leiter der Rechtsabteilung, KAGes Steiermark<br />

(04.09.2009)<br />

BRG Korösistraße Graz<br />

Dr. Iris Klima, Lehrerin (04.09.2009)<br />

Niedergelassener Arzt<br />

Dr. Klaus Kager, Arzt für Allgemeinmedizin (18.09.2009)<br />

Verein NEUSTART<br />

Susanne Pekler, Leiterin des Vereins NEUSTART Steiermark (25.09.2009)<br />

238


Judikaturverzeichnis<br />

JUDIKATURVERZEICHNIS<br />

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes<br />

OGH 31.08.1928, 5 Os 221/28 = SSt 8/105<br />

OGH 16.09.1951, 5 Os 844/51 = SSt 22/79 = Evbl1952/149<br />

OGH 01.07.1955, 5 Os 558/55 = SSt 26/44 = EvBl 1956/117<br />

OGH 14.10.1955, 5 Os 1000,1001/55 = SSt 26/70<br />

OGH 28.02.1957, 5 Os 3/57 = SSt 28/16<br />

OGH 16.12.1964, 12 Os 241, 242/64 = SSt 35/67<br />

OGH 18.03.1965, 9 Os 13/65 = EvBl 1965/351<br />

OGH 01.03.1967, 12 Os 202/66 = SSt 38/19 = EvBl 1968/167 = RZ 1967/101<br />

OGH 13.02.1969, 11 Os 233/68 = EvBl 1969/293<br />

OGH 12.11.1969, 12 Os 247/69 = EvBl 1970/120 = SSt 40/53<br />

OGH 22.09.1971, 11 Os 83/71 = ZVR 1972/162<br />

OGH 17.08.1972, 13 Os 63/72 = SSt 43/34 = EvBl 1973/123 = RZ 1973/131<br />

OGH 22.11.1972, 11 Os 160/72 = SSt 43/47 = EvBl 1973/109 = RZ 1973/55<br />

OGH 22.05.1973, 10 Os 57/73 = EvBl 1973/285<br />

OGH 17.09.1975, 9 Os 56/75 = SSt 46/45 = ÖJZ-LSK 1975/198<br />

OGH 19.02.1976, 13 Os 180/75 = EvBl 1976/242 = SSt 47/11<br />

OGH 05.03.1976, 11 Os 5/76 (uv)<br />

OGH 03.08.1976, 10 Os 73/76 = SSt 47/40 = EvBl 1977/33 = RZ 1977/5 = RZ<br />

1976/109<br />

OGH 7.04.1977, 10 Os 43/77 = SSt 48/41<br />

OGH 28.06.1977, 11 Os 80/77 = SSt 48/52 = EvBl 1977/272<br />

OGH 07.07.1977, 12 Os 112/76 = SSt 48/55 = EvBl 1977/259<br />

OGH 06.09.1977, 11 Os 74/77 = SSt 48/62<br />

OGH 31.12.1977, 12 Os 29/77 = SSt 48/29<br />

OGH 26.01.1978, 12 Os 184/77 = JBl 1978,385 = EvBl 1978/184 = SSt 49/9 = RZ<br />

1978/100 (Anm Kienapfel)<br />

OGH 07.04.1978, 13 Os 22/78 = SSt 49/27<br />

OGH 21.06.1978, 10 Os 89/78 = SSt 49/37 = EvBl 1979/36<br />

OGH 17.10.1978, 9 Os 209/77 = SSt 49/51 = EvBl 1979/71 = RZ 1979/4<br />

239


Judikaturverzeichnis<br />

OGH 28.11.1978, 11 Os 161/78 = EvBl 1979/118<br />

OGH 30.11.1978, 13 Os 126/78 (uv)<br />

OGH 04.12.1978, 12 Os 173/78 = EvBl 1979/147 = RZ 1979/39<br />

OGH 16.01.1979, 11 Os 166/78 = EvBl 1979/179 = RZ 1979/22<br />

OGH 17.01.1979, 10 Os 181/78 = SSt 50/7 = JBl 1979, 440<br />

OGH 24.01.1979, 10 Os 170/78 = SSt 50/10 = EvBl 1979/146<br />

OGH 03.04.1979, 9 Os 192/77 = SSt 50/22 = EvBl 1979/178 = RZ 1979/53<br />

OGH 30.05.1979, 1 Ob 594/79 = SZ 52/88.<br />

OGH 21.06.1979, 13 Os 65/79 = EvBl 1980/34 = SSt 50/41 = RZ 1979/81 = JBl<br />

1980, 104<br />

OGH 23.10.1979, 11 Os 124/79 = SSt 50/64 = EvBl 1980/79<br />

OGH 20.05.1980, 10 Os 57/80 = SSt 51/23<br />

OGH 21.06.1983, 10 Os 67/83 = SSt 54/50<br />

OGH 12.06.1980, 7 Ob 596/80 = ÖA 1990, 52<br />

OGH 17.06.1980, 10 Os 77/80 (uv)<br />

OGH 04.11.1980, 4 Ob 547/80 = SZ 53/142 = EvBl 1981/82 = ÖA 1982, 36<br />

OGH 20.05.1981, 11 Os 44/81 = SSt 52/28<br />

OGH 13.08.1981, 13 Os 119/81 = EvBl 1981/215 = RZ 1982/23<br />

OGH 23.09.1981, 11 Os 102/81 = EvBl 1982/54 = RZ 1982/24 = ÖJZ-LSK 1982/1<br />

OGH 04.11.1981, 11 Os 83/81 (uv)<br />

OGH 05.11.1981, 12 Os 136/81 (uv);<br />

OGH 14.01.1982, 13 Os 176/81 = EvBl 1983/24<br />

OGH 11.02.1982, 12 Os 187/81 (uv)<br />

OGH 20.08.1982, 9 Os 104/82 = SSt 53/49 = EvBl 1983/52 = JBl 1983, 104<br />

OGH 29.07.1982, 12 Os 101, 102/82 (uv)<br />

OGH 07.07.1983, 13 Os 83/83 = EvBl 1984/59 = RZ 1983/75<br />

OGH 25.10.1983, 10 Os 159/83 = EvBl 1984/104 = SSt 54/77<br />

OGH 09.05.1984, 12 Os 64/84 = SSt 55/26<br />

OGH 05.09.1984, 11 Os 108/84 = SSt 55/58<br />

OGH 25.09.1984, 9 Os 137/84 = JBl 1985, 373<br />

OGH 10.07.1984, 10 Os 106/84 = EvBl 1985/18 = SSt 55/46<br />

OGH 05.09.1984, 11 Os 108/84 = SSt 55/58<br />

OGH 11.09.1984, 9 Os 121/84 (uv)<br />

240


Judikaturverzeichnis<br />

OGH 01.02.1985, 9 Os 189/84 (uv)<br />

OGH 18.04.1985, 13 Os 39/85 = SSt 56/29<br />

OGH 19.12.1985, 12 Os 154/84 = SZ 56/101 = JBl 1986,532 (Anm Liebscher)<br />

OGH 28.01.1986, 11Os176/85 = SSt 57/5<br />

OGH 25.02.1986, 11 Os 13/86 (uv)<br />

OGH 04.03.1986, 10 Os 123/85 = SSt 57/13<br />

OGH 22.05.1986, 13 Os 65/86 = ZVR 1987/59<br />

OGH 31.07.1986, 13 Os 98/86 = SSt 57/56<br />

OGH 16.09.1986, 11 Os 89/86 = SSt 57/66 = JBl 1987, 259<br />

OGH 22.10.1986, 1 Ob 628/86 = SZ 59/184<br />

OGH 09.04.1987, 13 Os 140/86 = SSt 58/27<br />

OGH 28.04.1987, 10 Os 11/87 (uv)<br />

OGH 19.05.1987, 11 Os 42/87 (uv)<br />

OGH 05.11.1987, 12 Os 140/87 = EvBl 1988/70<br />

OGH 17.12.1987, 12 Os 70, 71/87 = NRsp 1988/94<br />

OGH 18.05.1989, 12 Os 153/88 = EvBl 1989/178 = JBl 1990, 261<br />

OGH 08.11.1989, 14 Os 105/89 = EvBl 1990/71 = JBl 1990, 262 = SSt 60/71<br />

OGH 19.12.1989, 11 Os 127/89 (uv)<br />

OGH 05.04.1990, 12 Os 14/90 (uv)<br />

OGH 12.03.1991, 14 Os 3/91 = OGH JUS-extra 1991/St/639<br />

OGH 17.12.1991, 11 Os 129/91 = EvBl 1992/79<br />

OGH 19.03.1992, 12 Os 159/91 (uv)<br />

OGH 24.06.1992, 1 Ob 573/92 = EvBl 1993/13 = JBl 1992, 639 = ÖA 1993, 26 =<br />

EFSlg 68.800<br />

OGH 22.10.1992, 12 Os 94/92 (uv)<br />

OGH 03.03.1993, 7 Ob 523/93 = EFSlg 71.846<br />

OGH 10.11.1993, 13 Os 150/93 (uv)<br />

OGH 17.02.1994, 15 Os 185/93 = OGH JUS-extra 1994/St/1430 = RZ 1995/27 =<br />

NRsp 1994/180<br />

OGH 21.06.1994, 14 Os 53/94 (uv)<br />

OGH 28.02.1995, 14 Os 193/94 (uv)<br />

OGH 19.03.1995, 11 Os 28/85 = SSt 56/20<br />

OGH 04.07.1995, 14 Os 63/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1850<br />

241


Judikaturverzeichnis<br />

OGH 29.08.1995, 14 Os 104/95 = OGH JUS-extra 1995/St/1867 = SSt 62/61 =<br />

ÖJZ-LSK 1996/134<br />

OGH 24.06.1997, 1 Ob 2396/96a = EFSlg 84.218<br />

OGH 27.01.1998, 11 Os 175/97 (uv)<br />

OGH 28.04.1998, 14 Os 166/97 (uv)<br />

OGH 06.04.1999, 14 Os 15/99 = EvBl 1999/163<br />

OGH 15.02.2000, 10 Ob 25/00z = EFSlg 93.097<br />

OGH 05.09.2002, 15 Os 62/02 (uv)<br />

OGH 16.10.2002, 13 Os 82/02 (uv)<br />

OGH 11.02.2003, 11 Os 43/02 = EvBl 2003/104<br />

OGH 19.02.2003, 13 Os 164/02 (uv)<br />

OGH 05.08.2003, 14 Os 96/03 (uv)<br />

OGH 17.02.2005, 15 Os 152/04 (uv)<br />

OGH 30.05.2006, 11 Os 35/06s (uv)<br />

OGH 21.09.2006, 12 Os 39/06m (uv)<br />

OGH 21.09.2006, 12 Os 86/06y (uv)<br />

OGH 10.10.2006, 14 Os 93/06t (uv)<br />

OGH 30.01.2007, 14 Os 3/07h (uv)<br />

OGH 15.02.2007, 15 Os 131/06p (uv)<br />

OGH 21.03.2007, 12 Os 17/07b (uv)<br />

OGH 21.06.2007, 15 Os 65/07h (uv)<br />

OGH 03.07.2007, 11 Os 67/07y (uv)<br />

Entscheidungen der Oberlandesgerichte<br />

OLG Wien 27.08.1979, 27 Bs 303/79 = ÖJZ-LSK 1979/326<br />

OLG Wien 07.07.1981, 23 Bs 219/81 = ZVR 1982/40<br />

Entscheidungen der Landesgerichte<br />

LG St Pölten, 19.03.2009, 20 Hv 128/08z (uv)<br />

LG Steyr, 30.11.2995, 11 Hv 27/05h (uv)<br />

LGZ Wien 23.10.1986, 43 R 632/86 = EFSlg 51.289<br />

242


Judikaturverzeichnis<br />

LGZ Wien 10.05.1988, 44 R 3213/88 = EFSlg 56.799<br />

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes<br />

VfGH 08.10.1987, G47/87 = VfSlg 11492<br />

VfGH 19.06.1989, B1874/88 = VfSlg 12073<br />

Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes<br />

VwGH 20.11.1958, Z 1782/55 = VwSlg NF 4817 A<br />

VwGH 16.01.1992, 1991/09/0182 = VwSlg 13561 A/1992<br />

VwGH 22.09.1995, 93/11/0221 = ÖA 1996, 67<br />

VwGH 04.09.2003, 2000/09/0166<br />

243

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!