Brigitte Pothmers Rede zur Verleihung des Elisabeth-Preises
Brigitte Pothmers Rede zur Verleihung des Elisabeth-Preises
Brigitte Pothmers Rede zur Verleihung des Elisabeth-Preises
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<strong>Rede</strong> <strong>Brigitte</strong> Pothmer anlässlich der <strong>Verleihung</strong> <strong>des</strong> 3.<strong>Elisabeth</strong>-Preis am 09.12.2011<br />
Sehr geehrter Herr Dr Marcus,<br />
Sehr geehrte Frau Fangmeyer,<br />
Liebe Preisträgerinnen und Preisträger<br />
Liebe WettbewerbsteilnehmerInnen,<br />
Liebe Jury-Mitglieder,<br />
Frau Vollmer<br />
Herr Büscher<br />
und Herr Fink<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
liebe Gäste,<br />
als ich gefragt wurde, ob ich in die Jury <strong>des</strong> 3. <strong>Elisabeth</strong>-<strong>Preises</strong> gehen würde, habe ich<br />
sofort zugesagt. Grund dafür war das Einladungsschreiben <strong>des</strong> Caritasverbands der Diözese<br />
Hil<strong>des</strong>heim an mich. Darin hieß es: „So wichtig eine theoretische Auseinandersetzung mit<br />
dem Thema ist, so wichtig ist es auch gelebte Inklusion öffentlich zu machen und ihr eine<br />
Bühne zu bieten.“ Dieser Meinung bin ich ausdrücklich auch.<br />
Ich freue mich darum sehr, dass der Wettbewerb wieder auf so eine erfreuliche Resonanz<br />
gestoßen ist und dass wir heute den Menschen und den Projekten, die für die Inklusion von<br />
Menschen mit Behinderungen stehen, eine Bühne bereiten können. Dafür bedanke ich mich<br />
an erster Stelle bei der Delegiertenversammlung <strong>des</strong> Caritasverban<strong>des</strong> für die Diözese<br />
Hil<strong>des</strong>heim, die den <strong>Elisabeth</strong>-Preis ausgelobt hat, aber natürlich auch bei allen anderen, die<br />
zum Gelingen <strong>des</strong> Wettbewerbs beigetragen haben.<br />
Anrede<br />
Inklusion, das ist wirklich ein sperriger Begriff und ich fürchte, dass wir noch viel Mühe darauf<br />
verwenden müssen, um das, was dahinter steht, einer breiten Öffentlichkeit vertraut zu<br />
machen. Aber wir alle arbeiten daran. Mein Abgeordneten-Kollege Markus Kurth hat jüngst<br />
sehr anschaulich erklärt, was es mit der Inklusion auf sich hat und was wir verändern<br />
müssen, um einen inklusiven Blick auf unsere Welt werfen zu können.<br />
Anrede<br />
aus Sicht der meisten Vögel ist der Pinguin ein hochdefizitäres Wesen:<br />
Er sieht schlecht,<br />
er ist eher dickleibig,<br />
kann nicht mal richtig hüpfen<br />
und er kann – als wohl wesentlichstes Manko aus Vogelsicht – überhaupt nicht<br />
fliegen.<br />
Nach den gängigen Maßstäben handelte es sich beim Pinguin also um einen schwerstmehrfachbehinderten,<br />
undisziplinierten, weil verfressenen Vogel, dem nach dem ebenfalls<br />
gängigen Maßstäben der Integrationspolitik ein gewaltiges Programm aufgeladen werden<br />
würde. Eine Brille und eine Diät bildeten dabei nur die kleinsten Posten; hinzu käme<br />
wahrscheinlich erstens eine Hüpftherapie und zweitens eine Einschulung in eine<br />
Förderschule mit dem Schwerpunkt Fliegen.<br />
Wir alle aber wissen:<br />
Selbst wenn Therapie und Förderung über Jahre andauern: Aus diesem Pinguin wird<br />
trotzdem kein Adler mit scharfem Blick und elegantem Flug, ja, aus ihm wird nicht mal eine<br />
Trottellumme, er ist und bleibt der Pinguin; der Nichtvielkönner unter den anderen Vögeln,<br />
denn diese messen ihn ja nur an ihren eigenen Fähigkeiten.<br />
Etwas anderes wäre aber schlauer, denn unter Wasser ist der Pinguin ein toller Hecht.<br />
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<strong>Rede</strong> <strong>Brigitte</strong> Pothmer anlässlich der <strong>Verleihung</strong> <strong>des</strong> 3.<strong>Elisabeth</strong>-Preis am 09.12.2011<br />
Er kann ganz hervorragend riechen, er schwimmt schnell wie ein Pfeil und kommt dabei auf<br />
mehr als 60 km/h, und er kann über 100 Meter tief tauchen.<br />
Ohne ornithologisch besonders geschult zu sein, würde ich sagen, dass kaum ein anderer<br />
Vogel über diese Fähigkeiten verfügt. Wie es aus Sicht der Pinguine um die Fische bestellt<br />
ist, die zwar schwimmen, tauchen usw. können, aber an Land eine ganz unglückliche Figur<br />
machen, weiß ich nicht.<br />
Klar ist aber hoffentlich geworden, dass es vor allen Dingen auf die Umgebung ankommt.<br />
Sie bestimmt darüber, wie jemand seine Fähigkeiten entwickeln und ausleben kann, sie<br />
bestimmt aber auch, wie jemand wahrgenommen und angenommen wird. Wenn Anderssein<br />
nur als individuelles Defizit ausgelegt wird, das behoben werden muss, dann müssen viele<br />
Menschen zwangsläufig an Grenzen stoßen. Wie beim Pinguin.<br />
Vielleicht waren die Integrationsbemühungen der anderen Vögel gut gemeint. Schlecht<br />
waren sie aber trotzdem, denn erstens haben sie im beabsichtigten Sinne nichts genutzt,<br />
zweitens haben sie dem Pinguin vermutlich reichlich Verdruss bereitet, und drittens wären<br />
sie bei einer offeneren Beurteilung der Lage von vornherein vollkommen überflüssig<br />
gewesen. Mit seinen Fähigkeiten kann der Pinguin sein Leben nämlich sehr gut gestalten,<br />
er ist optimal ausgestattet, um genug Fisch für sich und seine Nachkommen zu fangen.<br />
Und darauf kommt es beim Pinguin ebenso wie bei den anderen Vögeln an. Er macht es<br />
eben auf seine Art. Fliegenkönnen wäre da höchstens ein Zeitvertreib, Luxus.<br />
Anrede<br />
Es wäre schön, wenn wir beim Thema Teilhabe nur noch Luxusprobleme zu lösen hätten.<br />
Leider ist das nicht so. Unsere gesellschaftlichen Integrationsstrategien sind an ihre Grenzen<br />
gestoßen. Es gibt viel zu viele Menschen, die an den Rand gedrängt sind und Outsider<br />
bleiben, trotz oder sogar wegen zahlreicher Anstrengungen.<br />
Wir haben feststellen müssen, dass eine Gesellschaft, die mit einer vermeintlichen<br />
Mehrheitsnorm alles überziehen will, Spaltungen vertieft, Chancen verbaut und damit<br />
außerordentlich viele Talente und Fähigkeiten brachliegen lässt. Viele von Ihnen, sei es aus<br />
eigener Erfahrung, sei es durch Ihre Arbeit, werden ein Lied davon singen können.<br />
Diesen Pfad müssen wir verlassen und einen neuen gehen und das ist die Inklusion.<br />
Damit verbunden ist das Verständnis von einer Gesellschaft, in der Jede und Jeder von<br />
Anfang an selbstbestimmt leben und gleichberechtigt teilhaben kann und zwar so, wie sie<br />
oder wie er ist. Das ist ein Perspektivenwechsel, denn Normalität bedeutet dann<br />
Verschiedenheit und die Akzeptanz <strong>des</strong> „Soseins“. Praktisch heißt das zum Beispiel,<br />
Menschen mit Behinderungen nicht länger in die bestehenden Strukturen für Menschen ohne<br />
Behinderungen zu integrieren, sondern die gesellschaftlichen Strukturen so zu verändern,<br />
dass sie der Vielfalt der Menschen – auch denen mit Behinderungen und Unterstützungsbedarf<br />
– gerecht wird.<br />
Dieser Ansatz betrifft alle Lebensphasen und er erfordert Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen.<br />
Das ist eine Grundvoraussetzung der inklusiven Gesellschaft. Die Idee der<br />
Inklusion ist insbesondere durch die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit<br />
Behinderungen bekannt geworden. Aber nicht nur sie sind von Ausgrenzung und Spaltung<br />
betroffen, sondern auch andere.<br />
Ich spreche zum Beispiel von Migrantinnen und Migranten. Die integriert unsere Gesellschaft<br />
in der mittlerweile vierten Generation oft ohne zu berücksichtigen, dass die zweite, dritte und<br />
vierte Generation ja schon längst Teil unserer Gesellschaft ist.<br />
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<strong>Rede</strong> <strong>Brigitte</strong> Pothmer anlässlich der <strong>Verleihung</strong> <strong>des</strong> 3.<strong>Elisabeth</strong>-Preis am 09.12.2011<br />
Ein weiteres Beispiel sind für mich arbeitslose Menschen, unter ihnen auch wieder viele<br />
Menschen mit Behinderungen und auch MigrantInnen. Langzeitarbeitslosen wird die<br />
Teilhabe an Arbeit verweigert, weil sie nicht den Normen der ökonomischen Verwertbarkeit<br />
entsprechen.<br />
Etliche von ihnen werden diese Normen aber auch nicht mit noch so intensiver Förderung<br />
erreichen und <strong>des</strong>halb bleiben sie dauerhaft ausgeschlossen. Das ist der Status quo, von<br />
dem wir wegmüssen, denn die Betroffenen leiden unter dieser Ausgrenzung von Arbeit, die<br />
in unserer Gesellschaft eine so gewichtige Rolle spielt, erheblich.<br />
Ich habe in dieser Woche einen eigenen kleinen Wettbewerb abgeschlossen, einen<br />
Schreibwettbewerb mit dem Titel „Menschen außer Betrieb“. Uns haben über 80 Texte<br />
erreicht, die ganz unterschiedlich waren. Sehr persönliche, emotionale, aber auch<br />
distanzierte Berichte, die alle eines zeigten: Arbeitslosigkeit und die damit erlebte<br />
Ausgrenzung trifft und verletzt bis ins Innerste. Deswegen will ich auch eine inklusive<br />
Arbeitsgesellschaft für alle. Wenn Arbeit so wichtig für das Teilhabegefühl in unserer<br />
Gesellschaft ist, dann können wir sie nicht weiter als closed-shop für eine Gruppe mit ganz<br />
bestimmten Fähigkeiten organisieren, sondern müssen Arbeit so organisieren, dass jeder<br />
seine Fähigkeiten einbringen kann. Es wird dann normal sein, verschieden zu sein und<br />
davon profitieren alle.<br />
Anrede,<br />
Viele von Ihnen kennen wahrscheinlich den Film-Klassiker „Manche mögen`s heiß“ mit<br />
Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack Lemmon. Am Ende <strong>des</strong> Films versucht der in der<br />
Verkleidung der Musikerin Daphne untergetauchte Jack Lemmon seinem leidenschaftlichen<br />
Verehrer Osgood den Laufpass zu geben und ihm zu erklären, warum er ihn unmöglich<br />
heiraten könne. Aber keines dieser Argumente kann Osgoods Liebe erschüttern.<br />
Und auch auf Lemmons/Daphnes letzte Mittel – er/sie reißt sich die Perücke vom Kopf und<br />
ruft „Ich bin ein Mann!“ - reagiert Osgood nur mit der schlichten Entgegnung: „Nobody`s<br />
perfect!“ Osgood hat es also begriffen: Niemand ist perfekt, es ist normal verschieden zu<br />
sein, und diese Verschiedenheit kann ausgesprochen beglückend sein.<br />
Anrede<br />
Ich wünsche uns allen diese gelassene und offensichtlich glücklich machende Sicht auf die<br />
Welt und die Dinge. Damit wäre ein Schritt gemacht hin zu einer inklusiven Gesellschaft, in<br />
der jeder nach seiner Facon glücklich werden kann. Aber auch so sehe ich lauter kleine<br />
Schritte, dokumentiert nicht zuletzt durch die Wettbewerbsbeiträge.<br />
Anrede,<br />
als Jury-Mitglied war es meine Aufgabe, unter den vielen eingesendeten Initiativen die<br />
Interessantesten und die Allerpreiswürdigsten herauszusuchen. Das war – die anderen Jury-<br />
Mitglieder werden mir zustimmen - ein wirklich schwieriges Unterfangen. Sie können das<br />
auch daran ablesen, dass aus drei vorgesehenen Preisträgern am Ende sechs geworden<br />
sind und ehrlich – von mir aus hätten es auch noch mehr sein können.<br />
Ich gratuliere <strong>des</strong>halb noch einmal ganz herzlich allen TeilnehmerInnen und<br />
PreisträgerInnen, die mit ihren Initiativen und Projekten zeigen, wie Inklusion praktisch<br />
funktionieren kann und wie das Verschiedene <strong>zur</strong> Normalität wird.<br />
Lassen Sie uns das feiern Sie und lassen Sie sich feiern, Sie haben es sich alle verdient.<br />
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