Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Die ersten BSE-Fälle in Deutschland und das darauf erlassene Verfütterungsverbot von Tiermehl und Fischmehl haben vielen landwirtschaftlichen Betrieben in den letzten Wochen des Jahres 2000 die Hoffnung auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation gründlich verdorben. Inzwischen wird deutlich, dass von der BSE-Krise nicht nur die Rinderhalter, sondern die Landwirtschaft als Ganzes betroffen sein wird. Es zeichnet sich eine Entwicklung ab, die in der Umbenennung des „Landwirtschaftsministeriums” in „Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft” ihren sichtbaren Ausdruck findet. Nicht nur in Deutschland – auch in der EU – wird dem Verbraucherschutz zukünftig ein noch höherer Stellenwert eingeräumt. Müssen sich die deutschen Landwirte völlig neu orientieren und ihre Betriebe grundlegend umstrukturieren? Der DLG-Präsident von dem Bussche bringt es auf den Punkt. Die Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit in einzelnen Bereichen möglicherweise zu stark von den wirtschaftlichen Zwängen leiten lassen, die letztlich vom Verbraucher ausgingen. Wenn der Verbraucher nunmehr erkennt und wünscht, dass Lebensmittel in erster Linie nicht billig, sondern gut und sicher sein sollen - und dass dies dann etwas mehr kosten muss, dann ergibt sich hieraus auch eine Chance für die Landwirtschaft. Die Landwirte müssen für eine breite Öffentlichkeit erkennbar machen, dass Landbewirtschaftung nach ökologischen Grundsätzen, artgerechte Tierhaltung, Qualitätssicherung und Produktsicherheit für die weitaus größte Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe als so selbstverständlich angesehen werden, dass man darüber in der Vergangenheit kaum gesprochen hat. Hier muss die Landwirtschaft umdenken. „Tue Gutes und rede darüber” – dieser Grundsatz aus der Werbewirtschaft sollte in Zukunft auch von den Landwirten stärker beherzigt werden. Andere Wirtschaftszweige handeln konsequent nach diesem Motto. So präsentieren z. B. die Automobilindustrie oder die Telekommunikationsbranche immer wieder neue, verbesserte Technologien mit großem Aufwand und schaffen so Nachfrage beim Verbraucher. Kein Autokonzern könnte davon existieren, „Oldtimer” herzustellen – auch wenn diese bei Ausstellungen bewundert werden. Nur mit Nostalgie lässt sich auch in der Landwirtschaft die Zukunft nicht meistern. Neue, zukunftsträchtige Produktionsverfahren und innovative Technologien können auch in der Landwirtschaft dazu beitragen, die Produkte noch sicherer zu machen und damit dem Anliegen des Verbraucherschutzes gerecht zu werden. Ihr Dr. K.-J. Groß Tiermehlverbot – kann Sojaschrot die Eiweißlücke schließen? Die dramatischen letzten Wochen des Jahres 2000, die zu einem EU-weiten Verfütterungsverbot von Tiermehl (in Deutschland zusätzlich auch von Fischmehl) führten, sind sicher allen Landwirten noch in unguter Erinnerung. Hier soll nicht erörtert werden, ob diese Reaktion der Politiker auf erste BSE-Funde in Deutschland sachlich gerechtfertigt war und ob damit das Ziel – den Verbrauchern die „Angst vor dem Fleischkonsum” zu nehmen – erreicht werden kann, sondern hier soll die für viele Landwirte drängende Frage beantwortet werden: „Kann diese Eiweißlücke kurz- und langfristig geschlossen werden?” Bisherige Tiermehlproduktion In Deutschland sind in den vergangenen Jahren jeweils rd. 600.000 bis 650.000 t Tiermehl hergestellt worden, davon wurden jedoch zwischen 200.000 und 400.000 t exportiert, so dass für die Verfütterung in Deutschland im Durchschnitt pro Jahr 400.000 bis 450.000 t zur Verfügung standen. Da seit Dezember 2000 Tiermehle in Deutschland nicht mehr verfüttert werden dürfen, gilt es, die im Tiermehl enthaltene Menge von rd. 200.000 t Eiweiß anderweitig zu beschaffen. Diese entsprechende Menge Eiweiß kann z. B. durch etwa 500.000 t bis 600.000 t Sojaschrot gedeckt werden. Bisheriger Sojaschrot-Verbrauch Der Sojaschrot-Verbrauch in Deutschland lag im Durchschnitt der letzten Jahre bei rd. 4 Mio. t und damit bei rd. der Hälfte des gesamten Ölschroteverbrauchs in Höhe von knapp 8 Mio. t. Um die durch das Tiermehlverbot entstehende Eiweißlücke zu schließen, müsste der Sojaschrot-Verbrauch in Deutschland um reichlich 10 % steigen. Weltversorgung mit Sojabohnen Angesichts der in den letzten Jahren hohen Sojabohnenernte von rd. 160 Mio. t sind die Lagerbestände auf fast 40 Mio. t angestiegen. Im Herbst 2000 wurde in den USA eine große Sojabohnenernte eingebracht und für das Frühjahr 2001 werden – normaler Witterungsverlauf vorausgesetzt – ebenfalls Rekordernten in Brasilien und Argentinien erwartet. Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass genügend Sojabohnen bzw. Sojaschrot zur Verfügung stehen, um diese Eiweißlücke nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU zu schließen. Andere Eiweißträger Neben Sojaschrot, das zweifellos auch aus Gründen der Eiweißqualität den größten Teil der entstehenden Eiweißlücke schließen wird, stehen zusätzlich andere Ölschrote (Rapsschrot, Sonnenblumenschrot, Kokosschrot usw.) zur Verfügung. Außerdem werden auf EU-Ebene Möglichkeiten geprüft, im Frühjahr 2001 verstärkt Eiweißpflanzen (Ackerbohnen, Erbsen) anzubauen; doch sind hier enge Grenzen gezogen aufgrund fehlenden zusätzlichen Saatgutes. Preistrends Der starke Preisanstieg bei Eiweißfuttermitteln nach Inkrafttreten des Verfütterungsverbots von Tiermehl ist vor allem dadurch bedingt, dass aus logistischen Gründen kurzfristig nicht beliebig große Mengen an zusätzlichen Ölschroten zur Verfügung gestellt werden können. Mittelfristig werden sich die Preise hier in Deutschland wieder auf Weltmarktniveau einpendeln. Wieder einmal hat sich jedoch bestätigt, dass es sinnvoll ist, bei relativ niedrigem Preisniveau den Bedarf an Sojaschrot über längerfristige Kontrakte abzusichern. Fazit Die durch das Verfütterungsverbot von Tiermehl und Fischmehl entstehende Eiweißlücke kann problemlos durch zusätzliche Mengen an Sojaschrot sowie anderen Ölschroten und alternativen Eiweißfuttermitteln gedeckt werden. ■ Der direkte Draht Dr. K. J. Groß Tel.: 0 30/72 62 59 30 Fax: 0 30/72 62 59 99 Die Agrarwirtschaft nach BSE Zehn-Punkte-Katalog zur Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit und zur Neuausrichtung der Agrarwirtschaft DLG-Präsident Freiherr von dem Bussche 1. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis Der Agrarsektor muss ein neues Selbstverständnis entwickeln mit glaubwürdigen Botschaften für die Gesellschaft und die Politik. Es muss dabei deutlich werden, dass wir uns dem Verbraucher verpflichtet fühlen und dass wir schnell und wirksam die Problembereiche der Agrarwirtschaft neu organisieren wollen und werden. Es gab weder früher noch gibt es heute eine risikolose Lebensmittel-Erzeugung, aber wir verpflichten uns, die Risiken zu minimieren. Jede Stufe in der Wertschöpfungskette braucht für jedermann transparente Sicherheits- und Qualitätsstandards im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Beteiligten müssen für eine flächendeckende Einhaltung dieser Standards einstehen. 2. Sichere Nahrungskette organisieren Wir müssen dem Verbraucher nun beweisen, dass wir in der Lage sind, eine sichere Nahrungskette zu organisieren. Hierfür sind geschlossene Wertschöpfungsketten vom Betriebsmittel über die Urproduktion, Verarbeitung bis hin zum Einzelhandel notwendig. Die Organisationsdichte im Agrarsektor ist bisher zu gering. Nur in Verbünden sind wir in der Lage, fortlaufende Qualitätsmanagementsysteme mit vollständiger Dokumentation vom Stall bis zur Ladentheke sicherzustellen. Nur mit diesen Verbünden können wir das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen. Gerade nach dem BSE-Schock warten Verbraucher und Agrarwirtschaft auf solche Signale; wir können die Probleme nicht ungestraft von einer Stufe zur nächsten weiterreichen. 3. Neuausrichtung auf Verbraucher Die „Erzeugerkette” für Lebensmittel von der Landwirtschaft bis zur Ladentheke muss neu auf den Verbraucher ausgerichtet werden, weil er durch Kaufentscheidungen bzw. Zurückhaltung den Prozess steuert. Die Erzeugung tierischer Lebensmittel war bisher zu stark auf die Angebotsseite ausgerichtet. 4. Gemeinsamer Auftritt der Agrarund Ernährungswirtschaft Die deutsche Landwirtschaft muss sich als Teil der Agrar- und Ernährungswirtschaft begreifen und sich in klar geregelten Beziehungen mit den vor- und nachgelagerten Stufen neu organisieren. Durch unsere Zersplitterung in der Landwirtschaft selbst, aber auch zwischen den Stufen der Wertschöpfungskette, können wir nicht pro-aktiv wirken. Wir müssen wegkommen von der Rolle der ständig unter Druck stehenden Reakteure. Dies geht nur, wenn wir in den Grundfragen unserer Branche mit einer Stimme sprechen. 5. Der Lebensmittel-Einzelhandel muss sich in die vorhandenen Ketten integrieren Der Lebensmittel-Einzelhandel muss sich seiner Verantwortung bewusst werden. Er agiert noch sehr losgelöst von den anderen Marktteilnehmern. Wir müssen weg kommen vom ausschließlichen Primat der Preise. Diese Abwärtsspirale erhöht den Druck auf die Margen aller Stufen und fördert nicht den Qualitätsgedanken. Der Handel muss mithelfen, die Wünsche der Verbraucher an die Land- Ausblick 3 VeredlungsProduktion 1/2001