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Folge 68 - Charles Bauedelaire 3

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<strong>Folge</strong> <strong>68</strong><br />

<strong>Charles</strong> Baudelaire 3 (1821 – 1867)<br />

<strong>Charles</strong> Baudelaire, elf Jahre vor Goethes Tod in Paris geboren und elf Jahre nach Heines Tod<br />

in Paris gestorben, ist nur 46 Jahre alt geworden. Er war Syphilitiker, wie viele in dieser Zeit.<br />

Seine Erkrankung war wesentlich schmerzhafter als die von Franz Schubert, aber endete Gott<br />

sei Dank nicht in geistiger Umnachtung wie bei Robert Schumann und Friedrich Nietzsche.<br />

Er musste äußerste Schmerzen ertragen: Hautausschlag, Haarausfall, Magen- und<br />

Darmkoliken übelster Art, Schwindel, Atemnot, Kopfschmerzen, aber auch Angstzustände<br />

und Schreibstörungen.<br />

Jetzt sammle dich, mein Sinn, und richte dich empor,<br />

In diesem Augenblick verschließ dem Lärm dein Ohr.<br />

Die Stunde ists, da Gram und Schmerzen sich verschlimmern,<br />

Da uns die finstre Nacht die Kehle würgt, und Wimmern<br />

Die Hospitäler überfüllt, da still der Kranken Heer<br />

Zum großen Abgrund wallt. – Ja, mancher kommt nie mehr<br />

Und isst nie mehr die Suppe still, träumt, blickt ins Feuer<br />

Ganz nah beim Herd und nah der Seele, die ihm teuer.<br />

Von der Frau, die seine Kindheit betreute und die nicht seine Mutter, sondern seine<br />

Kinderschwester war, handelt das nächste Gedicht Baudelaires aus seinem Buch Les Fleurs<br />

du mal.<br />

Lasst meiner Kindheit Magd, dem Herzen voller Güte,<br />

Da sie entschlummert ruht tief unter Gras und Blüte,<br />

Lasst ein paar Blumen uns ihr legen auf den Stein.<br />

Die armen Toten, ach, sie leiden soviel Pein.<br />

Wenn der Oktoberwind die alten Bäume schüttelt,<br />

Traurige Lieder singt, an ihrem Grabstein rüttelt,<br />

Dann finden sie gewiss, dass wir recht herzlos sind<br />

In unsrem warmen Bett, geschützt vor Frost und Wind.<br />

Wenn nun an dem Kamin, beim Knisterton der Scheite<br />

Plötzlich die Magd der Kindheit säß an meiner Seite,<br />

Ernsthaft und bleich wie aus der ewgen Nacht geschickt,<br />

Aufs großgewordne Kind mit Mutteraugen blickt,<br />

Was kann ich dann zu ihr, der frommen Seele, sprechen,<br />

Aus deren hohlem Aug endlose Tränen brechen?<br />

Baudelaire hat die Nachtseite der Gesellschaft dargestellt. Das Elend, den Verfall, die<br />

verdrängten Wünsche, die verbotene Sexualität, die Drogen. Und er hat dies alles mit<br />

einfachen und klaren Worten, in rhythmischer Sprache und in höchster künstlerischer<br />

Perfektion getan. Er hat den Symbolismus auf diese Weise vorbereitet und so Hundertschaften<br />

von Dichterinnen und Dichtern beeinflusst.<br />

Das schöne Schiff<br />

Ich will dir schildern, du mein hold Entzücken,<br />

Die Reize all, die deine Jugend schmücken.<br />

Will malen deiner Schönheit Art,


Darin sich Kindlichkeit mit stolzer Reife paart.<br />

Wenn leis im Wind dir deine Röcke wehen,<br />

Glaub ich, ein Schiff in hoher Fahrt zu sehen,<br />

Das segelschwer die Flut durchfliegt,<br />

In sanftem Takt sich träg und weich und lässig wiegt.<br />

Auf deinem runden Hals, den stolze Schultern tragen,<br />

Seh ich dein schönes Haupt in seltner Anmut ragen.<br />

Voll Sanftmut und doch stolzgesinnt<br />

Gehst deines Weges du, ein majestätisch Kind.<br />

Ich will dir schildern, du mein hold Entzücken,<br />

Die Reize all, die deine Jugend schmücken.<br />

Will malen deiner Schönheit Art,<br />

Darin sich Kindlichkeit mit stolzer Reife paart.<br />

Dein Busen, der sich wölbt, die Seide strafft, die feine,<br />

Gleicht einem köstlichen und schöngeformten Schreine,<br />

Auf dessen Fläche klar und licht<br />

Wie auf metallnem Schild der Sonne Glanz sich bricht.<br />

Verlockend Schilderpaar, bewehrt mit rosigen Spitzen!<br />

Schrein, der voll Heimlichkeit viel Holdes muss beschützen,<br />

Duft, Spezerei und dunklen Wein,<br />

Draus süßer Taumel strömt in Herz und Hirn hinein!<br />

Wenn leis im Wind dir deine Röcke wehen,<br />

Glaub ich, ein Schiff in hoher Fahrt zu sehen,<br />

Das segelschwer die Flut durchfliegt,<br />

In sanftem Takt sich träg und weich und lässig wiegt.<br />

Die edlen Beine, die des Kleides Falten jagen,<br />

Erwecken dunkle Lust und dunkler Wünsche Plagen.<br />

Zwei Zauberschwestern sind sie mir,<br />

Voll schwarzem Liebestrank in tiefer Schale hier.<br />

Die Arme könnten leicht mit jungen Riesen ringen,<br />

Schimmernden Schlangen gleich, die stark und weich umschlingen,<br />

Den Liebsten. Zu schmieden wie mit Erz<br />

Ihn an die Brust, zu pressen ihn ins Herz.<br />

Auf deinem runden Hals, den stolze Schultern tragen,<br />

Seh ich dein schönes Haupt in seltner Anmut ragen.<br />

Voll Sanftmut und doch stolzgesinnt<br />

Gehst deines Weges du, ein majestätisch Kind.<br />

50 Jahre nach Baudelaires Tod beginnt in Deutschland der Expressionismus. Dann werde ich<br />

Ihnen noch einmal von diesem großen französischen Lyriker erzählen. Denn dann erst beginnt<br />

seine Kunst in Deutschland ihre Wirkung zu entfachen. Zu der Zeit als Baudelaires Buch Les<br />

Fleur du mal erscheint ist die deutsche Lyrik noch damit beschäftigt den Realismus


abzuarbeiten, ausgelöst durch Annette von Droste-Hülshoffs Judenbuche. Aus diesem<br />

Realismus entwickelt sich dann bei uns erst einmal der Naturalismus mit den Gedichten von<br />

Arno Holz und den Theaterstücken von Gerhart Hauptmann, um dann bei Else Lasker-Schüler<br />

im Wilhelminischen Kaiserreich zu Symbolismus und Expressionismus zu werden.

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