(Ost-)Deutschland - Rainer Land Online Texte
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Reformpolitik in Zeiten der Depression) und daher diejenigen zum Zuge kommen ließ, die die<br />
laufende kleinteilige Reparatur einem Umbau vorzogen.<br />
Paradigmenwechsel in den 1990er Jahren<br />
Der Dammbruch ereignete sich in Folge der deutschen Einheit. Zunächst führten der Beitritt<br />
der DDR zur BRD und die Eingliederung der DDR in das westdeutsche Wirtschafts- und Sozialsystem<br />
dazu, dass die blockierten Reformen in Westdeutschland um weitere ca. 7 Jahre<br />
verschoben werden konnten. Der Vereinigungsboom und der Institutionentransfer, die mit der<br />
deutschen Einheit verbundene Kreditaufnahme und die Probleme im <strong>Ost</strong>en überdeckten den<br />
Handlungsbedarf bei der Reorganisation der Sozialsysteme, aber auch auf fast allen anderen<br />
Feldern. Zudem entstand der Eindruck, als seien die Probleme des deutschen Wirtschafts- und<br />
Sozialmodells vor allem durch die deutsche Einheit bedingt und würden sich mit der „Vollendung“<br />
der Einheit von selbst lösen – was teilweise eine Selbsttäuschung, teilweise eine ideologische<br />
Manipulation darstellte.<br />
Bezogen auf unseren zentralen Punkt, die Arbeitsmarktpolitik, ist zunächst zu konstatieren,<br />
dass das System der passiven und aktiven Arbeitsmarktpolitik, das in Prosperitätsphasen im<br />
Wesentlichen angemessen funktionierte, aber schon in der Rezession der 1980er Jahre wachsende<br />
Funktionsprobleme aufwies, komplett nach <strong>Ost</strong>deutschland übertragen wurde. Qualitativ<br />
wurde nichts wesentlich geändert (dazu war auch keine Zeit), es wurde allerdings quantitativ<br />
enorm ausgeweitet, weil man im <strong>Ost</strong>en einen Vereinigungsschock mit schnell steigender<br />
und sehr hoher Arbeitslosigkeit erwartete. Statt also Erwerbsarbeit und Arbeitslosigkeit in<br />
einer für längere Rezessionszeiten und die hinzukommenden Probleme der deutschen Einheit<br />
in angemessener Weise neu zu regulieren, wurde ein für die zu lösenden Probleme weder geschaffenes<br />
noch geeignetes System aufgebläht und damit sturmreif gemacht.<br />
Das System der Überbrückung durch Arbeitslosengeld und des Brückenbaus durch Umschulung,<br />
ABM und geförderte Beschäftigung, das eigentlich dazu da war, konjunkturelle<br />
Schwankungen auszugleichen und Strukturwandel zu verarbeiten, sollte nun die mit der Integration<br />
<strong>Ost</strong>deutschlands verbundenen Probleme am Arbeitsmarkt bearbeiten und lösen. Dies<br />
wäre m.E. in Zeiten lang anhaltender Prosperität und schnell expandierender Märkte (Weltmärkte<br />
und Binnenmärkte!) möglich gewesen, wenn auch nicht ohne Komplikationen. Denn<br />
dann hätte es die Chance gegeben, die Wirtschaftspotenziale der DDR rasch zu modernisieren,<br />
sie in wachsende Märkte einzugliedern, eine flächendeckende Deindustrialisierung zu<br />
vermeiden und verloren gegangene Potenziale bald durch neu aufgebaute zu ersetzen. In der<br />
Phase einer langen Rezession aber standen die Zeichen anders. Es ging nicht um expandierende<br />
Märkte, sondern um Standortwettbewerb, nicht um die Verteilung von Zuwächsen,<br />
sondern um die Umverteilung von Verlusten. In vielen Bereichen – und zwar gerade denen,<br />
die die Mehrzahl der DDR-Industrie betrafen – standen Schrumpfungsprozesse auf der Tagesordnung.<br />
Das zwangsläufige Ergebnis des beschrittenen Wegs war, dass die Schrumpfung<br />
so weit als möglich durch den Abbau von Kapazitäten in <strong>Ost</strong>deutschland (Deindustrialisierung)<br />
erfolgte. Damit etablierte sich eine geteilte Wirtschaftsentwicklung, ein geteilter Arbeitsmarkt<br />
und als Kehrseite eine verfestigte Abhängigkeit des <strong>Ost</strong>ens von Transfers und Lieferungen<br />
aus dem Westen <strong>Deutschland</strong>s.