22.06.2014 Aufrufe

Batseba und die Ehebrecherin Predigt 1. Advent ... - von St. Ludwig

Batseba und die Ehebrecherin Predigt 1. Advent ... - von St. Ludwig

Batseba und die Ehebrecherin Predigt 1. Advent ... - von St. Ludwig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Batseba</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Ehebrecherin</strong><br />

<strong>Predigt</strong> <strong>1.</strong> <strong>Advent</strong> 2010<br />

Innenstadtkirche <strong>St</strong>. <strong>Ludwig</strong> Darmstadt<br />

28.1<strong>1.</strong>2010<br />

Der war ein Sohn, der war ein Sohn, der war ein Sohn -<br />

der zeugte den, der zeugte den –<br />

So schleppt sich’s fort in trägem Leierton,<br />

bis tote Namen wirr im Hirn sich drehn.<br />

<strong>St</strong>ammbäume, <strong>von</strong> beschränktem Torensinn<br />

Plump eingeflickt, wenn nicht <strong>von</strong> schnöder Hand,<br />

für Junker, eitle Weiber zum Gewinn,<br />

daß sie nicht glauben unter ihrem <strong>St</strong>and –<br />

Aus reiß ich euch. Was soll das dürre Blatt<br />

im Heilgen Buch voll frischer Palmenpracht?<br />

Was ist’s ob Hinz den Kunz gezeuget hat,<br />

herab zu dem, der frei <strong>die</strong> Welt gemacht.<br />

Dachten Sie nicht ähnlich als sie mich <strong>die</strong> scheinbar unzähligen Namen herunterlesen<br />

hörten, <strong>die</strong> Matthäus dem <strong>St</strong>ammbaum Jesu einfügte? Friedrich Sallet jedenfalls hält<br />

<strong>die</strong>sen <strong>St</strong>ammbaum nicht nur für eine plumpe Konstruktion. Er spricht ihm über<strong>die</strong>s<br />

jede Relevanz für <strong>die</strong> Lebenden <strong>und</strong> erst Recht im Blick auf jenen Gott ab, „der frei <strong>die</strong><br />

Welt gemacht“ <strong>und</strong> sich als solcher nicht in eine menschliche, bei näherem Hinsehen<br />

allzumenschliche Genalogie einreihen lasse.<br />

So denkt der aufgeklärte Geist, der damit aber so sehr an der Oberfläche bleibt, daß man<br />

ihm attestieren muß nichts, aber auch gar nichts <strong>von</strong> dem verstanden zu haben, was<br />

Matthäus mit <strong>die</strong>sem freilich konstruierten <strong>St</strong>ammbaum zum Ausdruck zu bringen<br />

versucht. Nicht nur weil er sich nicht auf den semitischen Gedanken einläßt, daß das<br />

eigene Herkommen, daß <strong>die</strong> Erfahrungen der Vorfahren <strong>von</strong> Bedeutung seien für das<br />

persönlichste Selbst, daß <strong>die</strong>se Erfahrungen sich freilich ungewußt <strong>und</strong> uneinholbar,<br />

möglicherweise genetisch oder zumindest biographie- oder geschlechtergeschichtlich<br />

auswirkten auf den, der sich am Ende <strong>die</strong>ser Kette stehen sieht. Also etwa auf mich. Auf<br />

Sie. Sondern auch, weil er verkennt, daß Mattäus mit der Einfügung vierer Frauen in den<br />

ihm vorliegenden <strong>St</strong>ammbaum Jesu nichts <strong>und</strong> niemand „plump“ eingeflickt, sondern<br />

einer sehr menschlichen, auf Heilung focusierten Theologie des menschgewordenen <strong>und</strong><br />

eben nicht vom Himmel gefallen Gottes Ausdruck verliehen hat.<br />

So erlaube ich mir Sie im Laufe der kommenden Wochen – unterbrochen durch das<br />

nächstwöchige Kirchweihfest – mit <strong>die</strong>sen Frauen bekannt zu machen. Heute mit „der<br />

Frau des Urija“, am 3. <strong>Advent</strong> mit „Tamar“, am 4. <strong>Advent</strong> mit „Rahab“. Und zwar in dem<br />

Bewußtsein, daß der genetische Code des in Bethlehem geborenen Jesus <strong>von</strong> Nazareth<br />

<strong>von</strong> ebensolcher Bedeutung ist wie sein göttlicher Code, der wenngleich gläubig bekannt<br />

als Geheimnis immer unentschlüsselt bleiben wird.


Es ist als kulminierten in Jesus <strong>von</strong> Nazareth mit den unbewußt weitergegebenen<br />

Erfahrungen seiner Vorfahren <strong>die</strong> Erfahrungen des Menschseins als solchem. Jeder der<br />

genannten Namen beschreibt eine Erfahrungspalette, <strong>die</strong> dem Menschensohn als dem<br />

„Sohn Davids“ zur Verfügung stehen wird. Von ihm gilt daher tatsächlich, daß „nichts<br />

Menschliches ihm fremd“ war.<br />

Lesen wir in <strong>die</strong>sem Zusammenhang <strong>die</strong> uns überlieferte Erzählung <strong>von</strong> <strong>Batseba</strong>, der<br />

Frau des Urija. Eigentlich <strong>die</strong> Erzählung <strong>von</strong> David <strong>und</strong> <strong>Batseba</strong>. Und noch eigentlicher<br />

<strong>die</strong> Erzählung <strong>von</strong> Urija, dessen Frau, <strong>Batseba</strong>, <strong>von</strong> David, seines toten Kindes <strong>und</strong> <strong>von</strong><br />

Salomo. Denn so hängen <strong>die</strong> Dinge zusammen. Wer weiß um <strong>die</strong> Ehe Urijas mit der<br />

zunächst nicht beim Namen genannten Frau? Die jüdische Tradition äußert hie <strong>und</strong> da<br />

<strong>die</strong> Auffassung Batsheba sei <strong>von</strong> je her David bestimmt gewesen. Daß sie in der<br />

Darstellung des Mattäus nicht mit Namen genannt, sondern als „Frau des Urija“ <strong>und</strong><br />

dann als „Mutter Salomos“ bezeichnet wird, reduziert sie auf ihre jeweilige Rolle, aus der<br />

sie erst tritt als David sie rufen läßt <strong>und</strong> mit Namen anspricht. Nicht mehr nur „Frau des“<br />

<strong>und</strong> „Mutter <strong>von</strong>“, sondern: <strong>Batseba</strong>. Endlich gemeint <strong>und</strong> beim Namen genannt. Und das<br />

auf Abwegen. Denn Ehebruch bleibt Ehebruch. Er wird als das benannt, was er ist. David<br />

bekennt seine Schuld. Was ist mit der <strong>Batseba</strong>s Schuld? Ist sie nichts als Opfer eines<br />

wolllüstigen Herrschers? Opfer männlicher Begierde? Oder gar einer Vergewaltigung?<br />

Oder doch auch ihrer misslungenen Ehe? Und also jener Namenlosigkeit, zu der sie<br />

verdammt schien? Ist sie Opfer jener so wohltuenden Aufmerksamkeit Davids, der ihre<br />

Schönheit nicht nur aus Wollust, sondern im Sinne einer nie gekannten Wertschätzung<br />

wahrnahm? Sah er sie nicht nackt? So jedenfalls stellte Jan Massys sie dar. Sie finden<br />

eine Reproduktion seines 1562 entstandenen Gemäldes „David <strong>und</strong> Bathseba“ auf der<br />

Rückseite Ihres Liedblattes. Er nahm sie nackt wahr. Also so wie sie jenseits der ihr<br />

aufgedrängten <strong>und</strong> offensichtlich eingenommenen Rolle eigentlich <strong>und</strong> wirklich ist. Eben<br />

jenseits ihrer Klamotte. Aus den abertausend Verkleidungen ihres Ichs entstiegen: sie<br />

selbst. Fühlte sie sich demgegenüber <strong>von</strong> dem Krieger Urija in ihrer Schönheit, in ihrem<br />

So-Sein, in ihrem Eigen-Sein nicht wahrgenommen, sondern auf ihre Rolle reduziert?<br />

Und jetzt er. Dieser Blick! So angesehen fühlt sie sich wie neugeboren.<br />

Wie eigenartig sich Schuld <strong>und</strong> Heil verbinden! Die Schuld gebiert zunächst Tod <strong>und</strong><br />

Ränke, Taktik <strong>und</strong> Verzweiflung, Tränen <strong>und</strong> Verlust. Man sagt <strong>von</strong> David er habe<br />

angesichts <strong>die</strong>ser Gemengelage unaufhörlich geweint. Ein beredtes Zeugnis seiner Reue<br />

gibt Psalm 51, der überschrieben ist „Ein Lied Davids nachdem der Prophet Natan ihn<br />

wegen seines Ehebruchs mit <strong>Batseba</strong> zurechtgewiesen hatte“. Von den Tränen <strong>Batseba</strong>s<br />

nicht zu sprechen. Es scheint als seien beide nicht in der Lage <strong>die</strong> Konsequenzen des<br />

eigenen Handels übersehen zu können. Schuld hat Folgen. Ein Wirrwahr der Gefühle.<br />

Hier: ein Gemisch aus Trauer, Reue, Liebe, Sehnsucht, Bangen, Versuchung <strong>und</strong> Lust.<br />

Sie spüren, daß das, was da erzählt wird, uns nicht fremd ist. Nicht unbedingt in <strong>die</strong>sen<br />

Zusammenhängen, obwohl auch in <strong>die</strong>sen Zusammenhängen: ich muß Sie nicht an <strong>die</strong><br />

hohen Scheidungszahlen, an das viele Leid, an <strong>die</strong> Enttäuschung, an <strong>die</strong> Untreue <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Verzweiflung erinnern, <strong>die</strong> mit Trennungen verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> <strong>die</strong> sie für <strong>die</strong><br />

Betroffenen zeitigen.<br />

Es bricht aber in unseren Familien-, <strong>und</strong> in unseren persönlichen Biographien weitaus<br />

mehr. Hin <strong>und</strong> wieder stehen wir solchen Entwicklungen machtlos gegenüber, sind noch<br />

Generationen später da<strong>von</strong> geprägt oder irgendwie in unserer Disposition betroffen. So<br />

ist es eben zwischen Menschen <strong>und</strong> in Familien. Die Geschichten gehen nicht glatt. Wer


sie glattbügelt wird ein unsanftes Erwachen erleben. Sie sind da <strong>und</strong> gehören zu unseren<br />

Identitäten.<br />

Der <strong>Advent</strong> weist uns entgegen der Zuckergußromantik der Weihnachtsmärkte auf<br />

<strong>die</strong>se Brüche hin. Die Propheten sprechen vom abgehauenen Baumstumpf, vom<br />

geknickten Rohr, <strong>von</strong> der zerstörten Pracht.<br />

Die heilsame Erfahrung, <strong>die</strong> David <strong>und</strong> <strong>Batseba</strong> machen durften, zeitigt aber ebenso<br />

Folgen. Gott selbst erschafft aus <strong>die</strong>ser Situation, in <strong>die</strong> er strafend <strong>und</strong> richtend eingreift<br />

neues Leben. Zunächst indem er vergibt <strong>und</strong> dennoch <strong>die</strong> Schuld zur Auswirkung bringt.<br />

Indem er schließlich Davids Tränen trocknet <strong>und</strong> ihn Batsteba annehmen läßt. Indem er<br />

dem König <strong>die</strong> Gabe des Trostes verleiht, indem er David <strong>und</strong> <strong>Batseba</strong> jenseits der<br />

Schmerzen, <strong>die</strong> ihre Liebe verursachte, eine zweite Chance gibt. Sie wissen, daß <strong>die</strong><br />

römische Kirche hier durchaus etwas zu lernen hätte. Jahwe erschafft, wo nur Tod zu<br />

herrschen scheint, wo <strong>die</strong> Hoffnung starb, neues Leben, indem er <strong>Batseba</strong>s <strong>und</strong> Davids<br />

Liebe mit jenem w<strong>und</strong>erbaren Salomo segnet, der später mit Weisheit über Israel<br />

herrschen wird. So schreibt Gott auf krummen Zeilen gerade. So läßt er aus dem<br />

Baumstumpf ein Reis hervorbrechen. So wandelt er unsere Schuld, unsere Untreue. Bis<br />

dahin, daß ihr neues Leben entspringt, so daß <strong>die</strong> Kirche osterns paradox <strong>von</strong> der<br />

„glücklichen Schuld“ zu sprechen wagt. <strong>Batseba</strong> <strong>und</strong> David gelingt es ihre Vergangenheit<br />

hinter sich zu lassen <strong>und</strong> einen neuen, gemeinsamen, <strong>von</strong> gegenseitiger Fürsorge<br />

begleiteten Weg zu gehen. Der Schatten ihrer Schuld hatte keine Macht mehr über sie.<br />

Das ist eine adventliche Verheißung: daß er auf uns zukommt <strong>und</strong> aus den Brüchen<br />

unserer Familien- <strong>und</strong> unserer persönlichen Biographie <strong>die</strong> Blume der Heilung wachsen<br />

läßt; daß er aus jenen Sackgassen, in <strong>die</strong> hinein wir uns - warum auch immer - begeben<br />

haben, einen Weg macht; daß er mit den Tränen unserer Reue den Garten des<br />

Para<strong>die</strong>ses tränkt; daß er <strong>die</strong> W<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> das Leben, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Verhältnisse, <strong>die</strong> unsere<br />

Geschichte uns schlug verbinde <strong>und</strong> heile, so daß wir erneut zu Kraft kämen.<br />

Sehen Sie: der Messias, auf dessen Ankunft wir nicht nur irgendwann, sondern in<br />

unserem <strong>von</strong> Brüchen übersäten <strong>und</strong> <strong>von</strong> einem Wirrwahr <strong>von</strong> Gefühlen bestimmten<br />

Leben warten, steinigte <strong>die</strong> <strong>Ehebrecherin</strong> nicht. Er sieht tiefer. Er versteht, warum sie<br />

tat, was sie tat. Nicht dass er ihr Handeln gut hieß. Aber indem er der<br />

erfahrungsgesättigten Geschichte seines <strong>St</strong>ammes lauscht; indem er in den Tiefen seines<br />

menschlichen Herkommens, das ihm bewusster war als uns, weil er zugleich Gott war,<br />

an jene Erfahrung anknüpft, <strong>die</strong> Urija, David <strong>und</strong> Basteba machten. Indem er in sich den<br />

Widerhall der Erfahrung wahrnimmt, <strong>die</strong> seine <strong>St</strong>ammmutter Basteba machte, weiß er,<br />

was angesichts der <strong>Ehebrecherin</strong> zu sagen ist: „Ich verurteile Dich nicht! Geh hin <strong>und</strong><br />

sündige nicht mehr!“ So beginnt neues Leben. So wird der Mensch <strong>von</strong> Neuem geboren.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!