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Leseprobe Das Orchester 2013/10

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T H E M A : F r e i z e i t <<br />

© Bruno Borralhinho<br />

Meinung nach könne das keine weitere Kunstform bieten, vielleicht<br />

erlebten höchstens Tänzer noch Ähnliches. Vor seinem Schwelgen<br />

über das Losfliegen mit Musik gibt Schranz auch zu: „Eigentlich<br />

habe ich zu wenig Vergleich.“<br />

Lust und Frust<br />

Ist es wirklich Enthusiasmus, der Musiker dazu treibt, auch nach<br />

Dienstschluss noch weiter Musik zu machen? Der Musiker, der nur<br />

von Musik schwärmt, ist sicherlich ein stereotypes Bild. Oft geht es<br />

vielleicht eher darum, etwas Eigenes zu haben, sich persönlich, losgelöst<br />

vom <strong>Orchester</strong>kollektiv, zu verwirklichen. „Als <strong>Orchester</strong>musiker<br />

wird dir vorgeschrieben, was du spielst, wann du probst,<br />

wann du auftrittst, sogar, wie leise oder laut und wie schnell du das<br />

Ganze zu spielen hast – du hast sehr wenig Gestaltungsraum, wenig<br />

Freiheit, du musst dich total zurücknehmen“, so beschreibt es Bruno<br />

Borralhinho, Cellist bei den Dresdner Philharmonikern. Er<br />

braucht Platz für eigene Kreativität und die Zusammenarbeit mit<br />

anderen Leuten auf einer anderen Ebene. Dem steuert Schranz bei:<br />

„Man will irgendwann irgendwie ein eigenes Baby, ich spürte einen<br />

riesigen Drang, etwas Eigenes anzuschieben.“ <strong>Das</strong>s viele Musiker<br />

also nach Dienstschluss sich weiter für Musik engagieren, als Multiplikator<br />

für ihr Thema wirken, muss nicht nur ein Zeichen dafür<br />

sein, dass sie für die Musik Tag und Nacht brennen. Es kann auch<br />

einfach sein, dass das, wonach sie beim Musizieren eigentlich suchen,<br />

im streng reglementierten, institutionalisierten Alltag einer<br />

<strong>Orchester</strong>maschine einfach nicht befriedigt wird. „In meinen Soloprojekten<br />

kann ich anderes ausprobieren und die Routine durchbrechen“,<br />

sagt Borralhinho und bezeichnet auch sein Ensemble Mediterrain<br />

als Anti-Routine-Maßnahme.<br />

Musiker im <strong>Orchester</strong> zu sein, ist extrem ambivalent, es geht<br />

um die kollektive Erschaffung ganz großer Momente. Doch der Beruf<br />

bedeutet eine hohe psychische – und auch körperliche – Anstrengung.<br />

Alle im Biotop <strong>Orchester</strong> sind eigentlich ausgebildet als<br />

Solisten und müssen nun ihre Belange dem einen Klang, dem kurzen<br />

Entstehen eines vergänglichen Moments unterordnen. <strong>Das</strong> ist<br />

auf Dauer keine einfache Übung. Oder aber auch ein Versuch, der<br />

einen nicht loslässt. „Es ist sehr schwer, je nachdem, wo man arbeitet“,<br />

sagt der Cellist Isang Enders. „Die Betriebe sind sehr unterschiedlich,<br />

und auch unterschiedlich motivierend oder frustrierend.“<br />

Manche <strong>Orchester</strong> seien extrem davon abhängig, mit einer<br />

Bruno Borralhinho<br />

bestimmten Programmatik überhaupt Publikum anzuziehen, worunter<br />

schnell die Qualität und der Anspruch leiden können. Andere<br />

Häuser seien so frequentiert, dass sie sich voll auf Qualität konzentrieren<br />

können. Während seiner Zeit bei der Sächsischen Staatskapelle<br />

hatte Enders besonders im Konzertbereich wegen des sehr<br />

anspruchsvollen Programms keinerlei Probleme, sich zu motivieren<br />

– im Opernbereich sieht es schon ganz anders aus: Der hohe Wiederholungsgrad<br />

unter immer wechselnden Besetzungen und Bedingungen<br />

wird schnell zur Herausforderung: „Und zwar an den Einzelnen<br />

und an das Kollektiv, sich der Sache zu widmen – dass die<br />

Musik im Vordergrund steht, nicht das eigene Bedürfnis“, räumt<br />

Enders ein.<br />

> Als <strong>Orchester</strong>musiker wird dir vorgeschrieben, was<br />

du spielst, wann du probst, wann du auftrittst, sogar,<br />

wie leise oder laut und wie schnell du das Ganze zu<br />

spielen hast – du hast sehr wenig Gestaltungsraum,<br />

wenig Freiheit, du musst dich total zurücknehmen. <<br />

Durch Musik zur Erfüllung und zur Zufriedenheit. Isang Enders’<br />

Vertrag gab ihm maximale künstlerische Freiheit. Wenn man<br />

aber unter Zwängen steht, vor künstlerische Entscheidungen gestellt<br />

wird, die man eigentlich nicht tragen oder nachvollziehen<br />

kann, dann geht es schnell um die Balance aus individuellem Ausdruckswillen<br />

und künstlerischer Professionalität „Klar, wenn man<br />

das 30 Jahre macht, kann das sicherlich sehr ermüdend sein.“ Wer<br />

unterfordert ist, sucht sich den Ausgleich. Einige bauen ein Haus,<br />

machen Sport. Oder sie machen eben auch in der Freizeit Musik –<br />

Musik von der Intensität, die sie vielleicht missen. Es ist beinahe paradox:<br />

„Sobald Musik ein Beruf wird, entfernt sie sich von dem, was<br />

sie eigentlich sein soll“, sagt Enders.<br />

Die Kunst der Fuge<br />

Isang Enders’ Eltern haben im Opernbetrieb gearbeitet: „Wenn sie<br />

nach Hause kamen, haben sie den ganzen Tag über die Probleme<br />

innerhalb dieses Betriebs geredet.“ Denn, so das Erstaunliche: „Innerhalb<br />

eines Opernhauses werden die musikalischen Dinge am<br />

wenigstens besprochen, sondern alles andere: die Interna, alle Probleme,<br />

Zwischenmenschlichkeiten – mehr als alle Musik.“<br />

So kann sich Enders gut vorstellen, dass jemand, der Musik unterrichtet,<br />

zu Hause froh sein wird, nicht mehr darüber reden zu<br />

müssen. Faszination Musik: Gibt es da etwas Magisches, das nur<br />

dieser Kunst zu eigen ist und das Musiker mit einer Energie füllt,<br />

die anders ist? Ist Enthusiasmus der Musik vorbehalten? Der Bassist<br />

Ingo Burghausen sieht die Sache viel unprätentiöser. „Ich denke,<br />

bei Musikern ist es, wie bei allen anderen Menschen auch, die<br />

einen Beruf ausüben: Manche füllen das mit Leidenschaft, andere<br />

machen ihren Job und gehen heim.“ Einige machen Dienst nach<br />

Plan, andere machen sich einen Kopf. Sowohl unter Musikern als<br />

auch unter Fliesenlegern gibt es einige, die nach der „Kunst der<br />

Fuge“ streben, und auch die, die nur pfuschen. „Neulich erlebte ich<br />

eine Fliesenverkäuferin, die hat uns Fliesen dermaßen mit Hingabe<br />

und Enthusiasmus verkauft, ich bin mir sicher, dass die abends<br />

auch vom Fliesenverkaufen schwärmt!“ <<br />

12 das <strong>Orchester</strong> <strong>10</strong>.13

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