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Gastbeitrag<br />
Bologna als Motor der juristischen<br />
Ausbildungsreform<br />
Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, Universität zu Köln<br />
Von der juristischen Praxis fast unbemerkt hat der Bologna-<br />
Prozess, der das Gesicht der deutschen Universitätslandschaft<br />
tiefgreifend verändert hat, nunmehr auch die Juristenausbildung<br />
erreicht. Die lange Zeit stabile Ablehnungsfront<br />
bröckelt. Nicht zuletzt unter dem Druck der Wissenschaftspolitik<br />
setzt sich allmählich die Einschätzung durch, dass man<br />
auf Dauer die Sonderstellung der Juristen nicht halten können<br />
wird. An vielen Stellen werden Modelle entwickelt, in<br />
denen die denkbaren Grundformen 3:2 und 4:1 (jeweils für<br />
Bachelor/Master) jeweils mit oder ohne staatliche Prüfung<br />
am Ende des Studiums oder als Zugangsvoraussetzung für<br />
einen Vorbereitungsdienst kombiniert und z.T. mithilfe des<br />
Konzepts einer Spartenausbildung für die reglementierten<br />
juristischen Berufe variiert werden. So hat insbesondere der<br />
Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eine hochrangige<br />
Expertenkommission zwecks Entwicklung einer konsensfähigen<br />
Empfehlung für eine Bologna-konforme Weiterentwicklung<br />
der Juristenausbildung eingesetzt. Nach Nordrhein-Westfalen,<br />
Sachsen und Baden-Württemberg hat nun<br />
auch Schleswig-Holstein ein eigenes Modell vorgelegt. In<br />
Mannheim startet im kommenden Wintersemester erstmals<br />
ein höchst innovativer Bachelor-Studiengang „Unternehmensjurist“,<br />
der neue Elemente in die Juristenausbildung<br />
integriert, gleichzeitig aber die Option zu den reglementierten<br />
staatlichen Berufen offenhält.<br />
Es steht viel auf dem Spiel, nicht zuletzt das einheitliche<br />
Niveau des juristischen Nachwuchses und damit der hohe<br />
Qualitätsstandard der deutschen Rechtspflege. Trotz aller Kritik<br />
an vermeintlichen und tatsächlichen Qualitätsdefiziten<br />
kann kaum bezweifelt werden, dass sich die Spitzenabsolventen<br />
der Juristenausbildung durchaus sehen lassen können,<br />
gerade auch im internationalen Vergleich. Deutschen<br />
Prädikatsjuristen gelingt es mit entsprechenden Sprachkenntnissen<br />
ohne Mühe, sich in amerikanischen Lawschools<br />
und internationalen Kanzleien erfolgreich zu behaupten. Dies<br />
ist nicht zuletzt der bewährten Zusammenarbeit von Universität<br />
und Justiz im Prüfungswesen zu verdanken. Die Blockprüfung<br />
in den Händen der Justizprüfungsämter garantiert<br />
eine Qualitätskontrolle, wie sie keine Akkreditierungsagentur<br />
bieten kann. Endlich verabschiedet werden sollte auch das<br />
alte Vorurteil, dass die Juristenausbildung in Deutschland<br />
Überlänge habe; stellt man auf die Aufnahme der ersten echten<br />
Berufstätigkeit ab, dann liegt die deutsche Juristenausbildung<br />
trotz ihrer beiden Staatsprüfungen immer noch im<br />
Spitzenfeld. Unbewältigt ist freilich das Problem der als zu<br />
hoch beurteilten Studierenden- und Absolventenzahlen: Die<br />
Politik drückt immer höhere Abiturientenquoten in die Hochschulen,<br />
ohne ausreichend Rücksicht auf die Eignung für ein<br />
akademisches Studium; hohe Abbrecherzahlen werden<br />
zunehmend als Versagen der Lehrenden sanktioniert. Gleichzeitig<br />
beklagt die Anwaltschaft die Steigerung der Zulassungszahlen<br />
bei gleichzeitig sinkender Qualität. Schwer vertretbar<br />
bleibt vor allem, dass den Absolventen derzeit erst<br />
sehr spät die schockierende Einsicht vermittelt wird, dass sie<br />
trotz eines Universitätsabschlusses keine Chance auf<br />
Zugang zu einem reglementierten juristischen Beruf haben.<br />
Mit der Einführung von gestuften Bologna-Strukturen<br />
könnte sich die Chance<br />
eröffnen, sehr viel früher einer Fehlsteuerung<br />
von Neigung und Begabung entgegenzuwirken<br />
und rechtzeitig den Blick für<br />
Alternativen zu den reglementierten juristischen<br />
Berufen zu öffnen.<br />
Bei aller Wertschätzung der deutschen<br />
Juristenausbildung sollte man im Übrigen<br />
nicht die Augen davor verschließen, dass<br />
mittelfristig komplexe Herausforderungen<br />
zu meistern sind. So ist ungeklärt und<br />
klärungsbedürftig, ob und welche Konsequenzen<br />
für die Ausbildung aus der<br />
Europäisierung des Rechts, der Internationalisierung<br />
der Rechtsberatung, vor allem<br />
aber auch dem immer schnelleren Wandel<br />
des jeweils geltenden positiven Rechts<br />
bei gleichzeitig sinkender technischer<br />
Qualität der gesetzgeberischen Aktivitäten zu ziehen sind.<br />
Jeder engagierte Hochschullehrer steht derzeit vor der<br />
Frage, welche Bedeutung die Vermittlung von Kenntnissen<br />
des positiven Rechts haben kann, wenn abzusehen ist, dass<br />
der vermittelte Stoff bereits bei Berufseintritt überholt sein<br />
wird. Insoweit könnte das Kernpostulat des Bologna-Prozesses<br />
der Kompetenzorientierung neue Impulse zur Weiterentwicklung<br />
und Optimierung der derzeitigen Lehrpläne geben.<br />
Dies muss dann zwangsläufig auch zu einer breiten Diskussion<br />
über neue Formen von Lehrbüchern und studienbegleitenden<br />
Materialien führen. Schon aus diesen Gründen ist<br />
eine breite Diskussion über eine qualitätswahrende Weiterentwicklung<br />
der Juristenausbildung dringend geboten, ganz<br />
unabhängig von den aktuellen, tatsächlichen oder vermeintlichen<br />
Zwängen des Bologna-Prozesses.<br />
Prof. Dr. Barbara Dauner-<br />
Lieb<br />
Lehrstuhl für Bürgerliches<br />
Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />
Arbeitsrecht<br />
und Europäische Privatentwicklung<br />
Direktorin des Instituts für<br />
Arbeits- und Wirtschaftsrecht<br />
Direktorin des Instituts für<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Richterin am Verfassungsgerichtshof<br />
für das Land<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Mitherausgeberin des<br />
Nomos BGB-Kommentars<br />
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Ausgabe 09| 2008 3