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Dem Schmerz auf der Spur - Scitec-Media

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Interdisziplinäre <strong>Schmerz</strong>abklärung<br />

<strong>Dem</strong> <strong>Schmerz</strong><br />

<strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>Spur</strong><br />

Fast je<strong>der</strong> Schweizer leidet mindestens<br />

einmal im Leben an Rückenschmerzen.<br />

Doch keine Beschwerde ist wie die<br />

an<strong>der</strong>e. Eine pauschale Anleitung zur<br />

Abklärung <strong>der</strong> Ursachen gibt es daher<br />

nicht. Darum arbeiten in einem<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum verschiedene<br />

Spezialisten Hand in Hand.<br />

Von Fee Anabelle Riebeling<br />

Wenn <strong>der</strong> Rücken schmerzt, wünschen<br />

sich Betroffene schnelle Abhilfe. Doch<br />

Vorsicht vor übereilten Diagnosen<br />

und Therapien: Sie können sogar das Gegenteil<br />

bewirken und den Patienten noch kränker machen.<br />

Eine seriöse Abklärung erfor<strong>der</strong>t Geduld,<br />

denn die Beschwerden können verschiedenste Ursachen<br />

haben.<br />

Je<strong>der</strong> Rückenschmerz muss ernst genommen<br />

werden. Denn mitunter können die Beschwerden eine<br />

Ursache haben, die unbedingt geklärt werden muss, da<br />

sie ein Anzeichen für eine ernste Erkrankung sein können,<br />

beispielsweise einen Tumor. Ausserdem: «Je länger<br />

<strong>der</strong> <strong>Schmerz</strong> dauert, desto schwieriger ist es, die Ursache auszumachen»,<br />

sagt Bogdan Radanov, Leiten<strong>der</strong> Arzt am<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum <strong>der</strong> Schulthess Klinik Zürich. Die Wirbelsäule<br />

ist ein komplexes System und ständiger Belastung ausgesetzt:<br />

Der untere Teil, die Lenden, trägt den Grossteil des<br />

Oberkörpergewichts, <strong>der</strong> obere, die Halswirbelsäule, ist für<br />

viele Bewegungen zuständig. Das macht beide anfällig.<br />

Klingt ein akuter Rückenschmerz nicht nach einer Woche<br />

ab, rät <strong>der</strong> Experte dazu, zunächst den Hausarzt <strong>auf</strong>zusuchen.<br />

Dieser kennt den allgemeinen Gesundheitszustand<br />

Forsetzung Seite 6<br />

Foto: iStock/ Jacek Chebraszewski, GESgrafik: Ralph Knobelspiess<br />

4 | | SPEZIAL | | Orthopädie Beweglickeit


GESPRÄCH<br />

Die erste Phase <strong>der</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>abklärung ist die<br />

wichtigste: Hält <strong>der</strong> Rückenschmerz<br />

mehr als<br />

eine Woche an, sollten<br />

Betroffene den Hausarzt<br />

<strong>auf</strong>suchen, da ein unbehandelter<br />

<strong>Schmerz</strong> chronisch<br />

werden kann. Mittels<br />

einer umfassenden<br />

Anamnese erfasst <strong>der</strong> Arzt – soweit nicht von früheren Besuchen<br />

bekannt – die gesundheitliche Vorgeschichte und<br />

stellt zur Entwicklung sowie <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Beschwerden<br />

Überlegungen an: Wann treten sie <strong>auf</strong>? Wo schmerzt<br />

es? Was begünstigt sie? Ist <strong>auf</strong>grund dieses Gesprächs<br />

noch keine Diagnose möglich, sollte <strong>der</strong> Hausarzt den<br />

akuten <strong>Schmerz</strong> frühzeitig mit Medikamenten lin<strong>der</strong>n und<br />

die Weichen für weitere Abklärungen stellen.<br />

PHYSIOTHERAPIE<br />

Physiotherapien können<br />

das Leiden passiv mittels<br />

Massage o<strong>der</strong> aktiv mit<br />

Übungen lin<strong>der</strong>n. Zudem<br />

sind Therapeuten auch<br />

in <strong>der</strong> funktionellen Diagnostik<br />

geübt. Das heisst,<br />

sie wissen, welche Glie<strong>der</strong><br />

und Gelenke welche<br />

Bewegungen ausführen<br />

und in welcher Form <strong>Schmerz</strong> ausstrahlen kann. Bringen<br />

auch diese Untersuchungen die Ursache für den <strong>Schmerz</strong><br />

nicht an den Tag, wird die Zeit bis zum definitiven Befund<br />

häufig mit passiven Behandlungen überbrückt. Das tut<br />

zwar gut, bringt aber <strong>auf</strong> Dauer nicht viel. Die Patienten<br />

müssen selber arbeiten. Das heisst: <strong>auf</strong> die Haltung achten<br />

und die Muskulatur mittels Training kräftigen.<br />

Um die Ursachen<br />

von <strong>Schmerz</strong>en<br />

gründlich abzuklären,<br />

arbeiten<br />

viele Spezialisten<br />

zusammen<br />

KLINISCHE<br />

ABKLÄRUNG<br />

Das eingehende Gespräch<br />

sollte durch eine klinische<br />

Untersuchung ergänzt werden,<br />

welche ebenfalls vom<br />

Hausarzt, aber auch von einem<br />

spezialisierten Physiotherapeuten<br />

durchgeführt<br />

werden kann. Beide prüfen,<br />

wie <strong>der</strong> Körper <strong>auf</strong> bestimmte Reize reagiert. Ob er problemlos<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt, welche ihm beispielsweise<br />

bei Reflex-, Kraft- o<strong>der</strong> Sensibilitätsuntersuchungen<br />

gestellt werden. O<strong>der</strong> ob sich dabei die Beschwerden<br />

verstärken. Je nach Ergebnis <strong>der</strong> klinischen Untersuchung<br />

kann <strong>der</strong> Patient im Anschluss daran mit einer adäquaten<br />

Therapie beginnen o<strong>der</strong> muss sich weiteren Untersuchungen<br />

unterziehen.<br />

RADIOLOGIE<br />

<strong>Dem</strong> Radiologen stehen<br />

verschiedene bildgebende<br />

Verfahren zur Verfügung,<br />

um Rückenschmerzen <strong>auf</strong><br />

den Grund zu gehen. Oft<br />

reicht gewöhnliches Röntgen.<br />

Damit lassen sich die<br />

Knochenstruktur und die<br />

Gelenke erfassen.<br />

Die Magnetresonanztomografie<br />

(MRI) hingegen deckt Verän<strong>der</strong>ungen an den weichen<br />

Geweben <strong>auf</strong>. Sie zeigt zum Beispiel, ob die Bandscheiben<br />

dehydriert sind o<strong>der</strong> die Nerven unter Druck und<br />

somit die Ursache des <strong>Schmerz</strong>es sind.<br />

NEUROLOGIE<br />

Lässt die Abklärung durch<br />

den Hausarzt o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

MRI-Befund des Radiologen<br />

vermuten, dass die<br />

Nervenwurzeln für den<br />

Rückenschmerz verantwortlich<br />

sind, übernimmt<br />

<strong>der</strong> Neurologe: Um den<br />

Verdacht zu bestätigen,<br />

macht er eine neurologische<br />

Untersuchung und misst die Nervenleitgeschwindigkeit.<br />

Liegt ein «radikulärer <strong>Schmerz</strong>» vor, kann dieser so<br />

identifiziert werden, da es zu Gefühlsstörungen, Muskelschwächen<br />

o<strong>der</strong> abgeschwächten Reflexen kommt.<br />

Beweglichkeit Orthopädie | | SPEZIAL | | 5


des Patienten und kann <strong>auf</strong>grund dieses Vorwissens<br />

erste richtungweisende Schlüsse ziehen. Danach untersucht<br />

er den Patienten entwe<strong>der</strong> selbst, verschreibt ihm<br />

eine Therapie o<strong>der</strong> leitet ihn an einen Spezialisten<br />

weiter.<br />

Doch: «Nicht immer ist die Ursache <strong>der</strong> Rückenschmerzen<br />

<strong>auf</strong> Anhieb erkennbar – und manchmal ist<br />

sie es auch nach vielen Untersuchungen nicht», sagt<br />

Martin Schny<strong>der</strong>, Arzt in <strong>der</strong> Praxis<br />

für Interventionelle <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

bei <strong>der</strong> Merian Iselin Klinik<br />

in Basel. Rund 80 Prozent <strong>der</strong><br />

Rückenschmerzen sind unspezifischer<br />

Natur. Sie entwickeln sich<br />

beispielsweise <strong>auf</strong>grund einer falschen<br />

Bewegung, Fehlbelastung<br />

Prof. Bogdan<br />

Radanov,<br />

Leiten<strong>der</strong> Arzt am<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

<strong>der</strong> Schulthess<br />

Klinik in Zürich.<br />

Dr. Martin<br />

Schny<strong>der</strong>,<br />

Praxis für<br />

Interventionelle<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie,<br />

Belegarzt an <strong>der</strong><br />

Merian Iselin<br />

Klinik in Basel.<br />

o<strong>der</strong> sogar durch starkes Husten<br />

während einer Erkältung. Solche<br />

Rückenschmerzen sollten nach<br />

maximal sechs Wochen – unterstützt<br />

durch Medikamente, Physiotherapie<br />

und Übungen für den<br />

Muskel<strong>auf</strong>bau – verschwunden<br />

sein. So lange warten meistens<br />

auch Hausärzte mit ihrer Überweisung<br />

an den Spezialisten. Dies<br />

ist für den Patienten manchmal<br />

nur schwer nachvollziehbar – für<br />

Schny<strong>der</strong> ist es «das einzig<br />

Richtige».<br />

Lediglich in 20 Prozent aller<br />

Fälle mit Rückenschmerzen lässt<br />

sich die Ursache eindeutig feststellen.<br />

Aber auch hier brauchen<br />

die Betroffenen Geduld und müssen<br />

ihren behandelnden Ärzten –<br />

ob Allgemeinmediziner o<strong>der</strong> Spezialist<br />

– vertrauen, denn eine sorgfältige<br />

Abklärung braucht<br />

<strong>auf</strong>grund <strong>der</strong> vielen Ursachen, die<br />

Rückenschmerz haben kann, Zeit:<br />

Denn viele verschiedene Spezialisten<br />

müssen Zusammenhänge überprüfen, Diagnosen<br />

fällen und das weitere Vorgehen koordinieren.<br />

«Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist bei <strong>der</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>abklärung von grosser Bedeutung», sagt Martin<br />

Schny<strong>der</strong>. Auch Bogdan Radanov schätzt das Netz<br />

an Disziplinen in seinem <strong>Schmerz</strong>zentrum: Bei Unsicherheiten<br />

kann er immer mit einem spezialisierten<br />

Kollegen Rücksprache halten.<br />

Beide <strong>Schmerz</strong>experten raten Patientinnen und<br />

Patienten davon ab, <strong>auf</strong> eigene Faust immer neue<br />

Spezialisten zu konsultieren. Radanov bringt es <strong>auf</strong> den<br />

Punkt: «Eine Nadel im Heuh<strong>auf</strong>en zu suchen, wo keine<br />

ist, frustriert den Patienten nur zusätzlich und verstärkt<br />

das Leid.»<br />

RHEUMATOLOGIE<br />

Wird <strong>der</strong> Rückenschmerz<br />

auch über Nacht nicht besser<br />

und erwachen Betroffene<br />

<strong>auf</strong>grund des <strong>Schmerz</strong>es<br />

lange vor dem Klingeln<br />

des Weckers o<strong>der</strong> hält die<br />

Morgensteifigkeit mehr als<br />

eine halbe Stunde an, sollte<br />

<strong>der</strong> Rheumatologe <strong>auf</strong>gesucht<br />

werden. Dieser kann<br />

mittels weiterer Abklärungsschritte Ursachen wie Arthrose,<br />

Arthritis o<strong>der</strong> den Morbus Bechterew identifizieren<br />

und behandeln.<br />

INTERVENTION<br />

Interventionelle <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

können therapieren,<br />

aber auch diagnostizieren:<br />

Besteht <strong>der</strong> Verdacht,<br />

dass <strong>der</strong> <strong>Schmerz</strong><br />

durch die Reizung <strong>der</strong> Nervenwurzeln<br />

herrührt, wird<br />

in einem weiteren Schritt<br />

geklärt, welche Wurzel die<br />

Beschwerden auslöst. Mittels<br />

Lokalanästhesie kann <strong>der</strong> Mediziner nacheinan<strong>der</strong><br />

einzelne Nerven vorübergehend blockieren und prüfen,<br />

wann <strong>der</strong> <strong>Schmerz</strong> verschwindet. Ist die <strong>Schmerz</strong>ursache<br />

identifiziert, können entsprechende therapeutische Massnahmen<br />

ergriffen werden.<br />

PSYCHOLOGIE UND<br />

PSYCHIATRIE<br />

Alles, was wir erleben, hinterlässt<br />

<strong>Spur</strong>en – emotional,<br />

aber auch körperlich.<br />

Denn das vegetative Nervensystem<br />

und Teile des<br />

Abwehrsystems sind eng<br />

mit <strong>der</strong> Muskulatur verbunden.<br />

Somit können auch<br />

psychische Entwicklungsstörungen, negative Erfahrungen<br />

und Stresssituationen zu körperlichen <strong>Schmerz</strong>en führen<br />

o<strong>der</strong> solche verstärken. In dieser Situation stehen Methoden<br />

<strong>der</strong> psychologischen Medizin zur Verfügung: Man<br />

kann – beispielsweise durch den gezielten Einsatz von<br />

Medikamenten o<strong>der</strong> geistige sowie körperliche Übungen<br />

– <strong>der</strong> Ursache <strong>auf</strong> den Grund gehen, die Lebenssituation<br />

verbessern und somit auch die <strong>Schmerz</strong>en lin<strong>der</strong>n.<br />

6 | SPEZIAL | Beweglickeit

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