Mitteilungen 2-2011_final.fm - SFB 573 - Ludwig-Maximilians ...
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I<br />
TAGUNGSBERICHTE<br />
pragmatischer Umgang mit Konflikten zwischen der<br />
alten und der neuen Konfession, zwischen religiösen<br />
und säkularen Interessen sowie zwischen dem offiziell<br />
gebilligten und individuell ausgeübten Glauben die<br />
Norm zu sein.<br />
44<br />
MITTEILUNGEN 2/<strong>2011</strong><br />
Forgetting Faith? Negotiating Confessional<br />
Conflict in Early Modern Europe<br />
ISABEL KARREMANN<br />
BERNHARD KÖLBL<br />
Der folgende Bericht bietet einen Überblick über die internationale<br />
Tagung, die vom 15. bis 17. Juli 2010 im Internationalen<br />
Begegnungszentrum der Wissenschaft in München<br />
stattfand. Organisiert wurde die Veranstaltung durch<br />
die Teilprojekte A 11 »Humanistische Theorie der Musik<br />
im Wissenssystem ihrer Zeit: Pluralisierung eines Kunstdiskurses«<br />
(Groote/Kölbl) und C 14 »Oblivio: Zur Semiotik<br />
und Pragmatik des Vergessens in England um 1600«<br />
(Döring/Karremann) sowie dem Kooperationsprojekt »Risikozähmung<br />
in der Vormoderne« (Zwierlein). Das Programm<br />
sowie das Exposé der Tagung können im Internet<br />
unter http://www.sfb-frueheneuzeit.uni-muenchen.de/archiv/2010/a11c14juli10.html<br />
eingesehen werden.<br />
Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat die Erforschung<br />
der frühen Neuzeit durch eine ›religiöse Wende‹ eine<br />
neue Ausrichtung erfahren. Dieser religious turn generierte<br />
neue Fragestellungen zu den gesellschaftspolitischen<br />
Veränderungen im Europa der frühen Neuzeit<br />
sowie ihren kulturellen Auswirkungen – von Auseinandersetzungen<br />
über religiöse Doktrinen und Praktiken<br />
zur Verfolgung von Anhängern verbotener Sekten. Bislang<br />
sind die Fragen religiöser Pluralisierung und die<br />
Spannungen zwischen katholischen und protestantischen<br />
Positionen, zwischen verschiedenen Sekten oder<br />
zwischen staatlicher und kirchlicher Autorität vor allem<br />
in Begriffen von Dissens und Eskalation diskutiert worden.<br />
Dies war gewiss zum Teil dem Umstand geschuldet,<br />
dass religiöse Pluralität vor allem in polemischen<br />
Darstellungen von Flugschriften, propagandistischen<br />
Traktaten, Hochverratsprozessen oder ekklesiastischer<br />
Geschichtsschreibung zum Ausdruck kamen – Texte also,<br />
welche jeweils für ihre spezifische Perspektive absolute<br />
Autorität reklamierten.<br />
Während solcherart Repräsentationen die Kultur<br />
der frühen Neuzeit spiegelten und aktiv gestalteten,<br />
machten sie nicht die ganze Bandbreite von verfügbaren<br />
Einstellungen zu konfessionellen Konflikten aus. Religiöse<br />
Kontroversen spielten zweifelsohne eine zentrale<br />
Rolle, doch sie führten nicht immer zu gewaltsamen<br />
Auseinandersetzungen um die symbolische und performative<br />
Ausgestaltung des Sakralen oder zu einer gesellschaftlichen<br />
Lähmung. Tatsächlich schien im Alltag ein<br />
Die Tagung hatte zum Ziel, solche pragmatischen<br />
Handhabungen von konfessionellen Konflikten zu untersuchen.<br />
Der Titel »Forgetting Faith?« wirft die Frage<br />
auf, unter welchen Umständen es möglich oder sogar<br />
notwendig war, religiöse Probleme auszuklammern.<br />
Mögliche Räume der Unau<strong>fm</strong>erksamkeit und Strategien<br />
der Vergleichgültigung von Glauben zu rekonstruieren<br />
bedeutet allerdings nicht, die Frühe Neuzeit<br />
wiederum in ein teleologisches Narrativ der Säkularisierung<br />
zu überführen. Gerade weil der Glaube noch<br />
immer größere Bedeutung hatte als viele andere aufkommende<br />
soziale Paradigmen (wie etwa Nationalität<br />
oder Rasse), war die Tagung darauf ausgerichtet, spezifische<br />
Möglichkeiten zur Verhandlung von konfessionellen<br />
Konflikten auszuloten. Angesichts dieser zentralen<br />
Rolle der Religion lag das Augenmerk der Beiträge<br />
darauf, wie diese Konflikte in textuellen und ästhetischen<br />
Darstellungen sowie im alltäglichen Leben gehandhabt<br />
wurden. Drei Bereiche schienen dabei besonders<br />
relevant zu sein: die performative Verhandlung<br />
von religiösen Kontroversen in Theater und Literatur;<br />
pragmatische Arrangements in sozialen und ästhetischen<br />
Kontexten; sowie das Zusammen- und Gegenspiel<br />
von kommerziellen und konfessionellen Verhandlungen.<br />
Der Eröffnungsvortrag von Richard Wilson (Cardiff)<br />
präsentierte den Widerhall, den die europäischen<br />
Religionskriege in Shakespeares Dramen gefunden<br />
hatten. In dieser Zusammenschau erweisen sich die<br />
Theaterstücke als ein kritischer Kommentar zu der<br />
dringlichen Frage nach dem Glauben und der Möglichkeit<br />
oder Notwendigkeit, ihn zu vergessen. In einer<br />
bemerkenswerten tour de force zeigte Wilson, wie Shakespeares<br />
Stücke die konfessionellen Kontroversen in<br />
Bezug setzen zu dem Projekt eines entstehenden Nationalstaats<br />
und einer nationalen Identität als einer Möglichkeit,<br />
die religiöse Spaltung des Landes zu überwinden.<br />
Der Beitrag von Jonathan Baldo (Rochester,<br />
NY) hob hervor, dass Shakespeares Historien an die<br />
Vergangenheit nicht nur erinnern, sondern auch Reflexionen<br />
über das Wesen des Erinnerns bereithalten.<br />
Mit Richard II präsentiert Shakespeare eine Urszene des<br />
historischen Bewusstseins, das seine Entstehung in<br />
einem traumatischen Verlust hat und dessen Funktion<br />
in der Sublimierung eben dieses Verlustes besteht. Nur<br />
scheinbar einer getreuen Rekonstruktion der nationalen<br />
Vergangenheit verpflichtet, lotet dieses Stück aus, welche<br />
Rolle das Vergessen in einer Gesellschaft spielt, deren<br />
politischer Begründungsmythos derart eng mit dem<br />
brisanten Umstand des Königsmords verflochten ist.<br />
Andrea Frisch (Maryland/Nizza) widmete sich in ihrem<br />
Beitrag ebenfalls der Verknüpfung von Geschichte und