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Peter Bartelheimer »Teilhabe« – Zum Gebrauch eines ... - SOFI

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<strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong><br />

<strong>»Teilhabe«</strong> <strong>–</strong> <strong>Zum</strong> <strong>Gebrauch</strong> <strong>eines</strong><br />

schillernden Begriffs<br />

Teilhabe ermöglichen, Ausgrenzung vermeiden<br />

Fachkongress Freie Straffälligenhilfe 2011<br />

Königswinter, 28./29.11.2011<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Teilhabe als Wertidee <strong>–</strong><br />

Wird die soziale Frage neu formuliert?<br />

Teilhabe als Gegenbegriff zu Prekarität, Verwundbarkeit und<br />

Ausgrenzung ...<br />

• unterstellt eine positive Norm gesellschaftlicher Zugehörigkeit<br />

• bindet benachteiligte soziale Lagen an die gesellschaftliche »Mitte«<br />

Teilhabe als erweiterter Begriff individueller Wohlfahrt ...<br />

• zielt nicht allein auf Versorgung, sondern auf gesellschaftliche<br />

Beziehungen und soziales Handeln<br />

• sieht Individuen als Subjekte selbstbestimmter Lebensführung<br />

Teilhabekonzept muss soziale Ungleichheit erfassen, d.h. ...<br />

• mehrdimensional definiert<br />

• relativ, d.h. am gesellschaftlichen Wohlfahrtsniveau orientiert<br />

• der Abstufung fähig (kein einfaches »Drinnen« oder »Draußen«)<br />

• durch wesentliche Ungleichheitsschwellen bestimmt sein<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Teilhabediskurse sind strategisch<br />

mehrdeutig<br />

Teilhabeperspektive erweitert Leistungs- und Ausgleichsansprüche<br />

an den Sozialstaat<br />

• Gerechtigkeitsnormen: Bedarfs- und Chancengerechtigkeit werden<br />

aufgewertet <strong>–</strong> z.B. gegenüber Leistungsgerechtigkeit<br />

• Gegenstandsbezug: nicht nur Bedarfsdeckung und Konsum, sondern<br />

selbstbestimmte Lebensführung<br />

Teilhabediskurse können Rückzug des Sozialstaats decken<br />

• Aus Bezug auf Teilhabe folgt noch keine bestimmte Verteilungsnorm<br />

• Teilhabe bezieht sich meist auf ein Mindestmaß<br />

• Chancengerechtigkeit kann gegen Bedarfsgerechtigkeit, d.h. gegen<br />

Korrektur von Teilhabeergebnissen gewendet werden<br />

Teilhabe ist rechtlich nur ausnahmsweise definiert<br />

• insbesondere: SGB IX<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Armut können wir messen, Teilhabe<br />

(noch) nicht<br />

Armutskonzepte messen Teilhabe indirekt <strong>–</strong> am Einkommen<br />

Teilhabebegriff verlangt direkte Messkonzepte<br />

• EU-Armutsdefinition: »von der Lebensweise ausgeschlossen, die (...)<br />

als Minimum annehmbar ist«<br />

• Lebensstandardansatz: Deprivation heißt, sich viele Dinge und<br />

Aktivitäten, die allgemein als notwendig gelten, nicht leisten zu können<br />

• Lebenslagenkonzept: Handlungsspielraum zur Entfaltung und<br />

Befriedigung wichtiger Interessen<br />

• Chancenansatz (A. Sen): Verwirklichungschancen als praktische<br />

Freiheit, ein als sinnvoll erkanntes Leben zu führen<br />

Teilhabe- und Verwirklichungschancen als Bezugsrahmen: z.B. in ...<br />

• Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung<br />

• Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung<br />

• Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Ressourcen, Umwandlungsfaktoren,<br />

Teilhabechancen (nach A. Sen)<br />

Chancenaspekt von Freiheit<br />

Verfahrensaspekt von Freiheit<br />

Gesellschaftliche, institutionelle Bedingungen<br />

( z.B. regionale »Umwandlungsfaktoren«)<br />

»Ressourcen«:<br />

Güter, Dienstleistungen,<br />

soziale Rechte<br />

Auswahlmenge an<br />

Teilhabe- und<br />

Verwirklichungschancen<br />

Erreichte<br />

»Funktionen« der<br />

Lebensführung,<br />

Teilhabeergebnis<br />

Persönliche Potenziale<br />

(individuelle »Umwandlungsfaktoren«)<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Teilhabechancen <strong>–</strong> ein normatives<br />

Konzept mit Folgen<br />

Konsequenzen für Messung und Bewertung von Wohlfahrt<br />

• Wertschätzung von »Funktionen« der Lebensführung hängt von<br />

Alternativen und Wahlentscheidungen ab<br />

• nicht nur tatsächliche, auch mögliche Funktionen und (unbeobachtete)<br />

Wahlentscheidungen sind zu berücksichtigen <strong>–</strong> Probleme:<br />

»kontrafaktische« Informationen, »Präferenzanpassung«<br />

• Verwirklichungschancen (t) sind biografisch geformt (t-x)<br />

• Gewählte Funktionen (t) beeinflussen künftige Chancen (t+x)<br />

Konsequenzen für Bewertung sozialstaatlicher Intervention<br />

• Individualisierung sozialstaatlicher Leistungen <strong>–</strong> nicht Programmziele,<br />

Optionen der Adressat/inn/en zählen<br />

• Interventionen sollten Einschränkungen der Auswahlmenge nicht<br />

fortschreiben, sondern erweitern<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Die »Auswahlmenge« ordnen:<br />

Teilhabedimensionen und Teilhabemuster<br />

Tätigkeiten und soziale Beziehungen ...<br />

• haben (materielle) Teilhabeergebnisse (z.B. Einkommen, Bildungsniveau)<br />

• haben einen Eigenwert (z.B. Anerkennung, Handlungskompetenz)<br />

Welche Tätigkeiten und Beziehungen vermitteln Teilhabe?<br />

• Teilhabe am Beschäftigungssystem durch Erwerbsarbeit<br />

• Teilhabe in sozialen Nahbeziehungen<br />

• Teilhabe durch bürgerliche, politische und soziale Rechte<br />

• Teilhabe an Bildung und Kultur<br />

Teilhabeformen wirken zusammen ...<br />

• in typischen gesellschaftlichen Teilhabemustern<br />

• In individuellen Lebensweisen und Teilhabestrategien<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Teilhabemuster im Umbruch <strong>–</strong><br />

vielfältiger und ungleicher<br />

Erwerbsteilhabe<br />

• Erweiterte Ansprüche an Qualität der Arbeit (Sicherheit, Autonomie)<br />

• Zunahme unsicherer Erwerbsmuster<br />

Soziale Nahbeziehungen<br />

• Familie / Partnerschaft ≠ Haushalt als Unterhaltsverband<br />

• Verdienermodelle von Paarhaushalten differenzieren sich aus<br />

Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherung<br />

• »industrielle Bürgerrechte« verlieren an Wirkung<br />

• Immer mehr Erwerbstätige sind nicht »vorsorgefähig«, bilden kein<br />

»soziales Eigentum« - Versicherungsprinzip wirkt für sie ausgrenzend<br />

• Grundsicherung wird als Fürsorge organisiert<br />

Bildung<br />

• Niveau der »bürgerlichen Grundbildung« steigt, »Übergangssystem«<br />

und einfache Schul- und Berufsabschlüsse sichern keine Beschäftigung<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Zonen ungleicher Teilhabechancen<br />

spalten die Gesellschaft (1)<br />

Zone der Integration<br />

• Erwerbsbeteiligung bleibt vorsorgefähig, Sozialversicherung und<br />

sozialer Ausgleich sichern Teilhabe<br />

• Haushalte, Familien kompensieren Risiken atypischer,<br />

diskontinuierlicher Beschäftigung<br />

• Lebensführung ist planbar: Wahlmöglichkeiten bei<br />

Bildungsbeteiligung, Lebensform, Verdienermodellen (von Paaren)<br />

• Konsummuster drücken Individualität aus<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Zonen ungleicher Teilhabechancen<br />

spalten die Gesellschaft (2)<br />

Zone der Gefährdung (soziale Verwundbarkeit)<br />

• Nicht vorsorgefähige Erwerbsbeteiligung vom SGB II begleitet<br />

• Grundsicherung (SGB II) und kommunale Systeme sozialen Ausgleichs<br />

werden zur bestimmenden Form sozialer Sicherung<br />

• Haushalte, Familien fangen Prekaritätsrisiken der Beschäftigung nicht auf<br />

• Planbarkeit der Lebensführung ist eingeschränkt, Lebensformen und<br />

Bildungsbeteiligung sind eingeschränkt wählbar<br />

• Armutsökonomie, Gelegenheitsorientierung bestimmen Armutskonsum<br />

Ausgrenzung als Fluchtpunkt gefährdeter sozialer Lagen<br />

• (teilweiser, zeitweiliger) Ausschluss vom Existenzminimum<br />

• Ausschluss von Teilhaberechten: z.B. öffentlich-rechtliche Beschäftigung<br />

• Ausschluss von Optionen: z.B. resignativer Rückzug vom Arbeitsmarkt<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Elemente einer teilhabeorientierten<br />

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik<br />

Teilhabediskurs offensiv führen<br />

Grundsicherung als »Ernstfall« sozialer Teilhaberechte gestalten<br />

• Fürsorgelogik zurückdrängen<br />

• Anspruch auf Existenzminimus als soziales Bürgerrecht (Modell:<br />

sozialer Ausgleich bei Unterscheiten des Teilhabeminimums)<br />

Leistungen am Grundsatz selbstbestimmter Lebensführung<br />

ausrichten, z.B. ...<br />

• Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Adressat/inn/en sozialer<br />

Dienstleistungen achten<br />

• Vorrang von Geldleistungen vor Sachleistungen<br />

• Ziel: reguläre statt öffentlich-rechtliche Beschäftigung<br />

(auch im »sozialen Arbeitsmarkt«)<br />

• Ziel: Wohnung mit Mietvertrag statt Sonderwohnformen<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011


Mehr ...<br />

<strong>Bartelheimer</strong>, <strong>Peter</strong> / Kädtler, Jürgen (2012): Produktion und<br />

Teilhabe<br />

• In: Forschungsverbund (Hg.): Berichterstattung zur<br />

sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland <strong>–</strong> Teilhabe im<br />

Umbruch. Zweiter Bericht. Wiesbaden (VS): 41-85.<br />

http://www.sofi-goettingen.de<br />

• Soziologisches Forschungsinstitut (<strong>SOFI</strong>)<br />

an der Georg-August Universität Göttingen<br />

http://www.soeb.de<br />

• Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in<br />

Deutschland<br />

Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Bartelheimer</strong> 2011

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