Osteopathie in der Pädiatrie: Wirkprinzip und Indikation
Osteopathie in der Pädiatrie: Wirkprinzip und Indikation
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„Artikel Des Monats“ | Fortbildung<br />
die e<strong>in</strong>e charakteristische Auf-e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zu-<br />
<strong>und</strong> Von-e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>-weg-Bewegung des<br />
Os occipitale <strong>in</strong> Relation zum Os sphenoidale<br />
bed<strong>in</strong>ge. Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt sei<br />
die SSB. Diese Bewegungen könne man<br />
durch Auflage <strong>der</strong> Hände auf den H<strong>in</strong>terkopf<br />
spüren. Diese Auf-e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>-zu- <strong>und</strong><br />
Von-e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>-weg-Bewegung übertrage<br />
sich über die Wirbelsäule auf das Os sacrum<br />
<strong>und</strong> führe hier auch zu e<strong>in</strong>er entsprechenden<br />
Vor- <strong>und</strong> Zurückkippbewegung.<br />
An<strong>der</strong>sherum ließe sich die Bewegungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> SSB durch Auflage e<strong>in</strong>er Hand unter<br />
das Sakrum wahrnehmen. Im Falle e<strong>in</strong>er<br />
e<strong>in</strong>seitigen Blockierung im HWS-Bereich<br />
ließen sich diese durch e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te<br />
Bewegungsrichtung <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>seitige<br />
E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Beweglichkeit<br />
sowohl occipital als auch sacral palpieren<br />
<strong>und</strong> behandeln.<br />
Als e<strong>in</strong> weiteres Beispiel sei die Betrachtung<br />
<strong>der</strong> Schädelbasis <strong>und</strong> ihre Foram<strong>in</strong>a<br />
genannt. Im Falle e<strong>in</strong>es Plagiocephalus, <strong>der</strong><br />
die Schädelbasis mit e<strong>in</strong>bezieht, komme es<br />
zur asymmetrischen Ausprägung <strong>der</strong> Foram<strong>in</strong>a<br />
mit relativen E<strong>in</strong>engungen, wie aus<br />
pathologischen Präparaten bekannt sei. E<strong>in</strong>e<br />
asymmetrische E<strong>in</strong>engung im Foramen<br />
jugulare könne zur funktionellen Irritation<br />
des Nervus vagus <strong>und</strong> so beispielsweise<br />
zu e<strong>in</strong>em unphysiologischen gastrooesophagealen<br />
Reflux o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Pylorushypertrophie<br />
führen. Gut geschulte Osteopathen<br />
könnten durch Auflage ihrer Hände<br />
auf den Schädel e<strong>in</strong>e solche Verfestigung<br />
<strong>und</strong> Irritation im Bereich des Foramen jugulare<br />
wahrnehmen <strong>und</strong> behandeln. Dabei<br />
arbeiteten sie auf unterschiedlichen Gewebsebenen:<br />
knöchern, fascial, muskulär<br />
<strong>und</strong> fluidal. Verän<strong>der</strong>ungen im knöchernen<br />
Bereich zu bewirken sei wegen <strong>der</strong> hohen<br />
Gewebsdichtigkeit am schwierigsten<br />
<strong>und</strong> gelänge nur durch mehrfache Behandlungen<br />
über Wochen bis Monate.<br />
E<strong>in</strong>e Behandlung auf fascialer Ebene<br />
folge im wesentlichen den <strong>in</strong> <strong>der</strong> Physiotherapie<br />
<strong>und</strong> Manualtherapie bekannten<br />
Fascienketten. Dabei wird e<strong>in</strong>e Organkapsel<br />
nicht isoliert als Abgrenzungsstruktur<br />
des Parenchyms betrachtet, son<strong>der</strong>n se<strong>in</strong>e<br />
Fortsetzung <strong>in</strong> die Umgebung per Ligamente<br />
mitberücksichtigt. So gesehen seien alle<br />
Wesentliches für die Praxis . . .<br />
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Die <strong>Osteopathie</strong> ist e<strong>in</strong>e komplementäre Behandlungsmethode <strong>der</strong>en Effekte<br />
bisher überwiegend empirisch begründet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich auf anatomische, physiologische<br />
<strong>und</strong> embryologische Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien beziehen.<br />
Vor allem bei funktionellen Störungen wie Kopfschmerzen, frühk<strong>in</strong>dlichen Regulationsstörungen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>fantilen Haltungsasymmetrie lohnt sich e<strong>in</strong> Behandlungsversuch,<br />
weil zum e<strong>in</strong>en erste Daten für e<strong>in</strong>e Wirksamkeit sprechen<br />
<strong>und</strong> zum an<strong>der</strong>en unerwünschte Wirkungen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Sanftheit <strong>der</strong> Methode<br />
nicht zu erwarten s<strong>in</strong>d.<br />
Die <strong>Osteopathie</strong> ist familienfre<strong>und</strong>lich, weil es ke<strong>in</strong>er häuslichen Beübung bedarf<br />
<strong>und</strong> Behandlungen im Abstand von 2 – 3 Wochen ausreichend s<strong>in</strong>d. Im E<strong>in</strong>zelfall<br />
sollte <strong>der</strong> Arzt sicherheitshalber den Effekt vor <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>em Behandlungsblock<br />
überprüfen.<br />
Organe <strong>und</strong> Strukturen untrennbar mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
über Fascien <strong>und</strong> Ligamente verb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Erkrankung e<strong>in</strong>es Organs<br />
habe u. a. über diesen Weg e<strong>in</strong>e Auswirkung<br />
auf die Nachbarorgane. Im Falle<br />
e<strong>in</strong>er unilateralen Nierendysplasie könne<br />
dieser Schrumpfungsprozess durch se<strong>in</strong>e<br />
Wirkung über retroperitoneale Fascien <strong>und</strong><br />
Ligamente e<strong>in</strong>e lumbale Skoliosehaltung<br />
bewirken. E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Fortsetzung des<br />
fascialen Systems sehen die Osteopathen im<br />
Bereich des Schädels. Nach ihrer Sicht setzten<br />
sich die Halsfascien untrennbar <strong>in</strong> die<br />
harten Hirnhäute des Schädels e<strong>in</strong>schließlich<br />
<strong>der</strong> Falx cerebri <strong>und</strong> dem Tentorium<br />
fort. Dadurch sei auch <strong>der</strong> akute Schiefhals<br />
bei e<strong>in</strong>em ZNS-Tumor erklärbar.<br />
Physiologische Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipen<br />
Der Osteopath bezieht sich auf physiologische<br />
Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipen mit eigenem Fokus<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiere die Pr<strong>in</strong>zipien an<strong>der</strong>s.<br />
Auf dem Niveau <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Zelle<br />
<strong>und</strong> dem Zellverb<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d Stoffwechselpr<strong>in</strong>zipien<br />
wie Diffusion, Osmose, Ionenkanalfluxe,<br />
Rezeptor vermittelte Fluxe,<br />
Exozytose, Endozytose, Filtration, Resorption,<br />
Sekretion bekannt. Die Vorstellung,<br />
dass diese Vorgänge <strong>in</strong> Summe organ- bzw.<br />
gewebsspezifisch u.a. rhythmisch ablaufen<br />
<strong>und</strong> als sog. Stoffwechselbewegungen<br />
im Großen von außen palpabel se<strong>in</strong> sollen,<br />
mutet befremdlich an [1 – 3, 10]. Bezogen<br />
auf e<strong>in</strong> bestimmtes Organ spricht<br />
<strong>der</strong> Osteopath von <strong>der</strong> Motilität (Eigenbewegung)<br />
e<strong>in</strong>es Organs. Osteopathen<br />
gehen sogar soweit, dass sie über E<strong>in</strong>schränkungen<br />
<strong>der</strong> Motilität (oszillierende<br />
Eigenbewegung des Organs) zusammen<br />
mit <strong>der</strong> Mobilität (passive Beweglichkeit,<br />
durch Bewegungen bei <strong>der</strong> Untersuchung<br />
prüfbar o<strong>der</strong> z. B. über Atemverschiebung<br />
<strong>der</strong> Leber wahrnehmbar) Rückschlüsse auf<br />
die Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>der</strong> Organfunktion<br />
ziehen <strong>und</strong> diese osteopathisch behandeln<br />
könnten.<br />
Die komplexen physikalischen Erklärungsmodelle<br />
autonomer oszillatorischer<br />
Rhythmen im menschlichen Organismus<br />
bleiben trotz umfangreicher wissenschaftlicher<br />
Daten schwer verständlich. Dies gilt<br />
ebenso für die Entstehung <strong>der</strong> Aktivität des<br />
S<strong>in</strong>usknoten, des Atemzentrums <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Hirnströme, wenngleich die Akzeptanz<br />
dieser autonomen Rhythmen durch die Visualisierung<br />
per EKG, EEG o<strong>der</strong> Atemkurve<br />
erleichtert wird. Schwerer fällt es, die<br />
von Osteopathen genutzten Gewebsrhythmen,<br />
die <strong>der</strong>zeit nicht so e<strong>in</strong>fach visualisierbar<br />
s<strong>in</strong>d, als existent <strong>und</strong> palpatorisch<br />
spürbar zu akzeptieren. Je nach <strong>Osteopathie</strong>schule<br />
werden diese Rhythmen unterschiedlicher<br />
Frequenz (meist im Bereich<br />
von 1 – 12 / M<strong>in</strong>ute) u. a. als CRI = cranial<br />
rhythmic impulse, PRM = primär respiratorischer<br />
Mechanismus o<strong>der</strong> Long tide bezeichnet<br />
[2, 3, 7, 10, 11]. Die Amplitude <strong>und</strong><br />
Frequenz dieser Rhythmen gäbe vor allem<br />
im Seitenunterschied o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Relation benachbarter<br />
Gewebe dem Osteopathen Information<br />
über Funktionse<strong>in</strong>schränkungen,<br />
die er dadurch positiv bee<strong>in</strong>flussen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>ärztliche Praxis 79, 290 – 295 (2008) Nr. 5 www.k<strong>in</strong><strong>der</strong>aerztliche-praxis.de<br />
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