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ABSTRAKT - W.I.R.E - The Wire

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AUSZUG<br />

N O 8<br />

<strong>ABSTRAKT</strong><br />

TASCHEN L ABO R FÜR ZUKUN F TSF RAGEN<br />

—<br />

MACHEN IST MACHT<br />

Zum Aufstieg der Do-it-yourself-Kultur<br />

Mit Geschichten über den Wert der Mittelmässigkeit,<br />

Superinfizierer und das Land der Stromriesen


MACHEN IST MACHT<br />

E SSAY S & GESPRÄCHE<br />

14 GESELLSCHAFT<br />

Material macht erfinderisch | Gespräch mit Richard Sennett<br />

22 WIRTSC HAFT<br />

Lasst uns eine neue Wirtschaft drucken! | Von Jack Roberts<br />

38 B ILDUNG UND FORSCHUNG<br />

Handwerk ist Luxus | Gespräch mit Lino Guzzella<br />

46 P HILOSOPHIE<br />

Der Sinn des Begreifens | Von Gerd Folkers<br />

54 Ö KOLOGIE<br />

Plastik ist der neue Diamant | Gespräch mit David de Rothschild<br />

66 T ECHNOLOGIE<br />

Technik, rette uns! | Gespräch mit Daniel Hirschmann<br />

76 G ESELLSCHAFT<br />

Dingepflücken | Von PeterLicht<br />

86 B IOLOGIE<br />

Der Aufstand der Bastler | Gespräch mit Marc Dusseiller<br />

94<br />

DIY-Kultur<br />

96<br />

Metamap<br />

100<br />

D ER ANALOGE BLOG<br />

I DEEN, FAKTEN & FIKTIONEN<br />

Geschichten über den Wert der Mittelmässigkeit,<br />

Superinfizierer und das Land der Stromriesen<br />

156<br />

W.I.R.E.


MAT E RIA L<br />

MACHT<br />

E RFIN D E RISCH<br />

Gespräch mit Richard Sennett<br />

Von Simone Achermann<br />

Qualität bedeutet nicht zwingend Handgemachtes. Auch<br />

Maschinen können gute Produkte fertigen. Allerdings müssen<br />

wir dazu erst lernen, diese wie traditionelles Werkzeug zu<br />

benutzen. Der Soziologe Richard Sennett über moderne<br />

Handwerker und den Lerneffekt körperlicher Arbeit.<br />

Mit Ihrem Buch Handwerk haben Sie eine Hommage an die<br />

körperliche Arbeit im Zeitalter der Wissensarbeit geschrieben.<br />

Warum?<br />

In Handwerk beschäftige ich mich nicht hauptsächlich mit<br />

physischer Arbeit, sondern vielmehr mit der generellen<br />

Frage, wie wir auch im digitalen Zeitalter Qualitätsarbeit<br />

machen können. Interessanterweise sind die Voraussetzungen<br />

für gute Arbeit noch immer dieselben wie vor mehreren<br />

hundert Jahren, etwa für den Goldschmied: jahrelanges<br />

Üben und infolge dessen ein beträchtliches Repertoire<br />

an Methoden zur Bearbeitung von Material – jeden Materials.<br />

Es macht keinen Unterschied, ob das Gold, Eisen, Computer,<br />

unser natürliches Umfeld oder andere Menschen sind.


MACHEN IST MACHT<br />

G ESELLSCHAFT<br />

Es gibt keinen Unterschied zwischen körperlicher und geistiger<br />

Arbeit?<br />

Ja und nein. Zum einen arbeiten wir alle mit «Materialien».<br />

Ob diese nun real greifbar sind oder nicht, spielt keine Rolle,<br />

wenn es darum geht, dass die daraus resultierende Arbeit von<br />

hoher Qualität sein soll. Zum andern aber zwingt uns physische<br />

Arbeit zu einem viel aktiveren und erfinderischeren<br />

Umgang mit dem bestehenden Material als geistige Arbeit.<br />

Körperliche Arbeit zu verrichten bedeutet, sich auf Widerstände<br />

einzulassen.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Material gehorcht nicht, Maschinen sind fehlerhaft. Der<br />

Dialog zwischen dem Handwerker und seinem Material<br />

und Werkzeug ist ein kontinuierlicher Prozess des Lernens<br />

und des Ausprobierens von neuen, besseren Möglichkeiten,<br />

mit unserer materiellen Umwelt zurechtzukommen. Softwareprogrammierer<br />

beispielsweise sind Menschen, die gelernt<br />

haben, genau eine technische Aufgabe zu leisten. Das<br />

ist ausführen, nicht selber fertigen – ein entscheidender<br />

Unterschied. Nichtkörperliche Arbeit hat oft wenig Lerneffekt,<br />

während Handwerker stets dazu gezwungen sind zu<br />

experimentieren und kritisch über ihren Arbeitsprozess<br />

nachzudenken. Darum kann man auch einfacher aus einem<br />

Teppichknüpfer einen Programmierer machen als umgekehrt.<br />

16


Sollten uns Schulen und Universitäten also zuerst zum Handwerker<br />

ausbilden, bevor wir Banker oder Professoren werden?<br />

Ja. Es ist die Verantwortung der Bildungsinstitute, jungen<br />

Menschen möglichst viel Gelegenheit zu geben, Erfahrungen<br />

im Umgang mit verschiedenen Materialen zu sammeln.<br />

Physische Arbeit fördert unsere Innovationskraft und macht<br />

uns darüber hinaus toleranter im Umgang mit unseren<br />

eigenen Fehlern. Man weiss, dass das Endprodukt, beispielsweise<br />

ein Automotor, nicht perfekt sein wird, ist aber trotzdem<br />

motiviert, neue Methoden zur Perfektionierung auszuprobieren.<br />

In den wenigen Jahren, seit Sie Handwerk publiziert haben,<br />

wurde «Machen» zum neuen Trend. Haben Sie diese Entwicklung<br />

vorausgesehen?<br />

Ich habe das Buch nicht geschrieben, um die Macherbewegung<br />

zu initiieren – obwohl ich angeblich viele Macher motiviert<br />

haben soll – und ich weiss auch nicht allzuviel darüber.<br />

Aber wir haben einen gemeinsamen Wunsch: bessere<br />

Qualität zu erzeugen. In Bezug auf Konsumgüter bedeutet<br />

dies weniger Massenfabrikation und mehr Individualität.<br />

Ich glaube, dies ist vor allem im Ernährungsbereich notwendig<br />

– unser zentralstes Bedürfnis. Als Folge der Massenproduktion<br />

haben Geschmack und Gesundheit des Essens<br />

massiv gelitten und es ist eines der wichtigsten Ziele<br />

für die Zukunft, dass die Qualität unserer Ernährung wieder<br />

besser wird. Die Macherbewegung ist nicht nostalgische<br />

Schwärmerei, wie böse Zungen behaupten, sondern die<br />

Weigerung, schlechte Ware zu konsumieren. Endlich!


MACHEN IST MACHT<br />

G ESELLSCHAFT<br />

Nicht jeder hat aber Zeit für Selbstgemachtes. Könnten 3D-<br />

Drucker helfen, dass wir bald alle bessere, individuellere<br />

Produkte zu Hause herstellen können?<br />

Vielleicht. Das hängt aber davon ab, ob wir die Kontrolle<br />

über den Drucker, die Maschine, haben. Ob ein Produkt gut<br />

ist, hängt nicht davon ab, ob es von Hand gemacht ist. Dass<br />

wir die Verantwortung über die Werkzeuge haben, mit<br />

denen wir es herstellen, aber schon. Wenn wir nur einen<br />

Knopf drücken müssen und das Druckerprogramm nicht<br />

beeinflussen können, dann sind wir keine Handwerker und<br />

unsere Produkte nicht besser als die aus der Fabrik.<br />

Sie definieren Handwerk als Arbeit mit dem Ziel, eine Aufgabe<br />

so gut wie möglich zu erledigen – was viel Zeit, Geld<br />

und die Konzentration auf eine einzelne Aufgabe bedeutet.<br />

Ist das überhaupt möglich in Zeiten des Schnellen, Billigen<br />

und des Multitaskings?<br />

Qualität hängt massgeblich davon ab, wie Arbeit organisiert<br />

wird und ist deshalb eine Sache der Struktur. Ein gutes<br />

Beispiel ist die Finanzkrise: Die Arbeit, die geleistet wurde,<br />

sprich die Finanzprodukte, waren schlecht. Sie wurden zu<br />

schnell zusammengestellt und die Risiken für die Käufer<br />

kaum kommuniziert. Banken sollten langsamer, selbstkritischer<br />

und transparenter arbeiten – mit anderen Worten:<br />

Sie bedürfen einer kompletten Reorganisation. Natürlich<br />

wird dies nicht passieren, bevor wir nicht auch das übergeordnete<br />

Problem, den grossen Nebeneffekt des Kapitalismus,<br />

angehen; dass er ein paar wenige reich macht, aber die<br />

Existenz einer grossen Mehrheit gefährdet. Ich wünsche<br />

mir, dass das Finanzsystem radikal umstrukturiert würde,<br />

in Richtung mehr staatlicher Kontrolle über die einzelnen<br />

Aktivitäten. Leider haben wir als Einzelne darauf aber keinen<br />

Einfluss.<br />

18


Ist die Macherbewegung nicht Zeichen einer wachsenden<br />

Macht der kleinen Leute, einer sich entwickelnden Rebellion<br />

gegen diese Strukturen?<br />

Ja, das ist sie. Und das ist grossartig. Aber es braucht mehr,<br />

um die dominanten Strukturen zu verändern. Die Macher<br />

werden Microsoft nicht ersetzen, zumindest nicht in den<br />

nächsten Jahren.<br />

Wie aber kann jeder Einzelne von uns ein guter Handwerker<br />

werden?<br />

Wir müssen unsere Computer so behandeln wie der Teppichfertiger<br />

sein Messer. Glücklicherweise entwickelt sich<br />

der technische Fortschritt bereits in diese Richtung – mit<br />

neuen Computerprogrammen zum Beispiel. Bis vor Kurzem<br />

konnte man diese bedienen, ohne zu denken. Bald aber<br />

gibt es andere, selbstprogrammierbare Software. Dies wird<br />

der Anfang eines zweiten Computerzeitalters, in dem wir<br />

moderne Werkzeuge wie traditionelle benutzen werden,<br />

weil wir damit etwas genauso fertigen können, wie wir es<br />

wollen. Massenprodukte, auf die der Käufer keinen Einfluss<br />

nehmen kann, gehören – zumindest im Bereich der Software<br />

– der Vergangenheit an. Und das freut mich sehr.<br />

Richard Sennett ist ein US-amerikanischer Soziologe. Er lehrt<br />

als Professor an der New York University und an der London<br />

School of Economics and Political Science. Seine Hauptforschungsgebiete<br />

sind Städte, Arbeit und Kultursoziologie. In<br />

seinem jüngsten Buch Handwerk (2008) fordert er, den Eigenwert<br />

der individuellen Arbeit wieder herzustellen und die<br />

Arbeitsumstände für die Menschen so zu gestalten, dass sie<br />

danach streben, ihre Tätigkeit möglichst gut zu verrichten.<br />

Sennett ist verheiratet mit der Stadtsoziologin Saskia Sassen.


KONTAKT<br />

sia@thewire.ch<br />

REDAKTION<br />

Simone Achermann<br />

Redaktionsleitung, Researcherin W.I.R.E.<br />

Michèle Wannaz<br />

Redaktorin<br />

Dr. Stephan Sigrist<br />

Leiter W.I.R.E.<br />

Dr. Burkhard Varnholt<br />

CIO Bank Sarasin & Cie AG<br />

Prof. Dr. Gerd Folkers<br />

Direktor Collegium Helveticum<br />

REDAKTION E LLE MITARBEIT<br />

Kristiani Lesmono, Jessica Levy, Barbara Brandmaier, Daniel Bütler,<br />

Erika Burri, Melanie Biedermann, Max Celko<br />

GESTALTUNG<br />

Kristina Milkovic<br />

Grafikleitung W.I .R.E.<br />

Beth Hoeckel, bethhoeckel.com<br />

Illustrationen Bildstrecke<br />

Ü B E RSE T Z UNG<br />

Helen E. Robertson , Philipp Albers<br />

L E KTO RAT UND DRUCK<br />

Neidhart + Schön AG<br />

PARTNE R<br />

Verlag Neue Zürcher Zeitung<br />

© N o 8 2012 W.I.R.E.<br />

ISBN 978-3-033-03609-3<br />

Disclaimer: Diese Publikation dient nur zu Informationszwecken. Soweit hierin auf die Bank Sarasin & Cie AG Bezug<br />

genommen wird, stellt sie kein Angebot und keine Aufforderung seitens der Bank Sarasin & Cie AG zum Kauf oder Verkauf<br />

von Wertschriften dar, sondern dient allein der Kommunikation. Dargestellte Wertentwicklungen der Vergangenheit<br />

sind keine verlässlichen Indikatoren für die künftige Wertentwicklung. Aus Gründen der sprachlichen Einfachheit verwenden<br />

wir in dieser Publikation in der Regel nur die maskuline Form. Dabei sind Frauen selbstverständlich immer mitgemeint.<br />

Wir erlauben uns den Hinweis, dass das grammatische nicht mit dem biologischen Geschlecht identisch ist.<br />

Bildnachweis: Wenn nicht anders vermerkt, liegen die Rechte bei den Autoren oder ihren Rechtsnachfolgern.<br />

Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber ausfindig zu machen. Sollte es uns in Einzelfällen nicht gelungen sein,<br />

die Rechteinhaber zu benachrichtigen, so bitten wir diese, sich bei W. I.R.E. zu melden. www.thewire.ch

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