Regionales Geld - Kennedy Bibliothek
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lange lässt sich diese verhängnisvolle Verdrängung<br />
noch aufrechterhalten?<br />
Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Senf und an<br />
dere Autoren sprechen mittlerweile vom „Zins als Krebs<br />
des sozialen Organismus" und meinen diese Analogie<br />
sehr ernst; oder vom „Zins als sozialem Sprengsatz".<br />
Die Bilder und Vergleiche können gar nicht drastisch<br />
genug sein, um die Dramatik anzudeuten, in der wir<br />
uns mittlerweile befinden. Um den Handlungsbedarf<br />
zu verdeutlichen, soll im Folgenden nur auf drei Kri<br />
sentendenzen eingegangen werden: auf die „Krise<br />
der Wirtschaft", die „Krise des Staates" und die „Krise<br />
der Gesellschaft".<br />
Die Krise der Wirtschaft<br />
Wir sind alle daran gewöhnt, dass sich <strong>Geld</strong>, wenn<br />
man es zinstragend anlegt, scheinbar wie von selbst<br />
vermehrt - vordergründig erst mal eine angenehme<br />
Sache für alle <strong>Geld</strong>anleger. Aber kaum jemand fragt<br />
danach, wie es überhaupt dazu kommt und was ge<br />
samtwirtschaftlich betrachtet die Grundlagen für das<br />
zinsbedingte Anwachsen der <strong>Geld</strong>vermögen sind.<br />
Gehen wir davon aus, dass das <strong>Geld</strong>kapital bei den<br />
Geschäftsbanken festverzinslich für eine gewisse vor<br />
her festgelegte Dauer angelegt wird: Die Geschäfts<br />
banken leihen diese Beträge als Kredite an Unterneh<br />
men aus, verbunden mit der Verpflichtung der Unter<br />
nehmen zur Rückzahlung (Tilgung) und zur Verzinsung.<br />
In der Regel sind diese Kredite mit Sicherheiten ver<br />
bunden, die die Unternehmen den Geschäftsbanken<br />
für den Fall übereignen, dass die Kreditschuld nicht<br />
vereinbarungsgemäß bedient wird. In diesem Fall<br />
nämlich können sich die Banken das verpfändete Ei<br />
gentum der Schuldner aneignen und zum Beispiel<br />
durch Verkauf in <strong>Geld</strong> umwandeln, um daraus noch<br />
ausstehende Forderungen gegenüber den verschul<br />
deten Unternehmen einzutreiben.<br />
Die durch den Kredit verschuldeten Unternehmen<br />
stehen von nun an unter dem Druck, in der vereinbar<br />
ten Zeit nicht nur die Rückzahlung der Kreditsumme<br />
aus Überschüssen über ihre Kosten zu erwirtschaften,<br />
sondern die regelmäßig zu zahlenden Zinsen aufzu<br />
bringen. Insgesamt müssen sie also an die Geschäfts<br />
bank mehr <strong>Geld</strong> zurückzahlen, als sie in Form des Kre<br />
dits von ihr bekommen haben. All dies erscheint voll<br />
kommen selbstverständlich. Denn ohne Zins oder gar<br />
ohne Rückzahlung und entsprechende Sicherheiten<br />
wäre wohl keine Geschäftsbank bereit, Kredite zu ver<br />
geben. Von den zurückfließenden <strong>Geld</strong>ern zweigt sich<br />
die Geschäftsbank einen Teil des Überschusses ab, um<br />
ihre Kosten zu decken und einen Gewinn zu erwirt<br />
schaften, und die übrigen Beträge (Rückzahlung plus<br />
Rest des Überschusses) leitet sie an die <strong>Geld</strong>kapitalei<br />
gentümer weiter, denen sie ja eine entsprechende<br />
feste Verzinsung ihres <strong>Geld</strong>kapitals plus Rückzahlung<br />
zugesagt hat.<br />
Die Quelle für die Entstehung der Zinserträge auf<br />
Seiten der<strong>Geld</strong>anleger und der Geschäftsbanken liegt<br />
also letztendlich in der Produktion und im erfolgrei<br />
chen Absatz von Waren bei den Unternehmen. Dieses<br />
„Mehr" muss aber erst einmal erwirtschaftet werden,<br />
ZUKÜNFTE 46 < FRÜHJAHR 2004<br />
ehe daraus die <strong>Geld</strong>vermögen durch entsprechende<br />
Zinserträge anwachsen können.<br />
Wenn auf der einen Seite die Summe der <strong>Geld</strong>ver<br />
mögen durch Zinserträge anwachsen soll.so findet dies<br />
unvermeidlich sein Gegenstück in einer entsprechen<br />
den Verschuldung an anderer Stelle der Volkswirtschaft<br />
(in unserem Fall bei den Unternehmen),verbunden mit<br />
dem Druck, einen für die Verzinsung ausreichenden<br />
Überschuss zu erwirtschaften. Das zinsbedingte Wachs<br />
tum der <strong>Geld</strong>vermögen fordert gesamtwirtschaftlich<br />
also ein entsprechendes Wachstum des Sozialprodukts,<br />
Anders ausgedrückt: Der Zins setzt die Wirtschaft unter<br />
einen permanenten Wachstumszwang,<br />
Genau diese Wirkung wird von den meisten Ökono<br />
men nicht bestritten, sondern im Gegenteil als eine<br />
besonders wichtige positive Eigenschaft des Zinses<br />
hervorgehoben. Er gilt ihnen als wesentlicher Motor<br />
von Produktivitätssteigerung und Wirtschaftswachs<br />
tum sowie als wesentlicher Regulator der „optimalen<br />
Allokation der Ressourcen". Das <strong>Geld</strong> fließe in Form von<br />
Kredit entsprechend dorthin, wo seine Verwendung die<br />
höchsten Überschüsse oder Renditen erwarten lässt<br />
und dadurch auch die höchsten Zinsen ermöglicht.<br />
Was aber verdrängt wird, sind die langfristigen Kon-<br />
seguenzen eines derartigen Wachstumszwangs und<br />
des durch Zinseszins bewirkten exponentiellen Wachs<br />
tums der <strong>Geld</strong>vermögen einerseits und - spiegelbild<br />
lich dazu - derVerschuldung andererseits.<br />
Zinseszins entsteht dann, wenn die Zinserträge nicht<br />
vollständig entnommen und zum Beispiel konsumiert<br />
werden, sondern wenn sie ihrerseits noch auf das an<br />
gelegte <strong>Geld</strong>vermögen draufgepacktwerden und sich<br />
dadurch die Grundlage derVerzinsung von Jahr zu Jahr<br />
vergrößert - damit auch die jährlichen Zinserträge.<br />
Ein Betrag von €10.000 wächst zum Beispiel bei<br />
3 % Zinseszins in 50 Jahren auf €44.000, bei 6 % auf<br />
€184.000, bei 9 % auf € 744.000 und bei 12 % auf €<br />
2.890.000. „Lassen Sie Ihr <strong>Geld</strong> arbeiten", „Verdienen<br />
Sie sich Ihr <strong>Geld</strong> im Schlaf" und ähnliche Sprüche sind<br />
wohl jedem geläufig.<br />
Monetärer Teufelskreis<br />
Was sich dabei kaum jemand klarmacht, ist, dass die<br />
Verschuldung an anderer Stelle spiegelbildlich an<br />
wächst, dass also wachsendes <strong>Geld</strong>vermögen wach<br />
sende Verschuldung bedeutet, Helmut Creutz nennt<br />
diesen Zusammenhang einen „monetären Teufels<br />
kreis", treffender noch wäre der Ausdruck „monetäre<br />
Teufelsspirale". Warum? Durch Tilgung und Zinsen wach<br />
sen die ursprünglichen <strong>Geld</strong>vermögen an und drängen<br />
nach neuen Anlagen (die durch die Kreditinstitute ver<br />
mittelt werden). Dadurch steigt an anderer Stelle die<br />
Verschuldung, die ihrerseits über die Rückflüsse ein<br />
weiteres Wachstum der <strong>Geld</strong>vermögen bewirkt usw.<br />
Im Laufe der Zeit beschleunigt sich das Wachstum der<br />
<strong>Geld</strong>vermögen und Schulden derart.dass es schließlich<br />
irgendwann jeden Rahmen sprengt, auch den einer<br />
ganzen Volkswirtschaft oder Gesellschaft.<br />
Über das durch den Zinseszins bedingte Wachstum<br />
der<strong>Geld</strong>vermögen sind sich im Prinzipviele Menschen<br />
durchaus im Klaren, jedenfalls bezogen auf die ein<br />
zelne <strong>Geld</strong>anlage. Auf der anderen Seite wissen viele<br />
auch um die wachsende Staatsverschuldung, insbe<br />
sondere in Zeiten drastischer „Sparmaßnahmen", und<br />
auch um die Verschuldung vieler Unternehmen und<br />
privater Haushalte. Das Erstaunliche und Erschreck<br />
ende aber ist (neben den dramatisch wachsenden<br />
<strong>Geld</strong>vermögen und Schulden als solchen), dass der<br />
untrennbare Zusammenhang zwischen beiden von<br />
den wenigsten Menschen gesehen wird. Als habe sich<br />
bewusstseinsmäßig eineTrennwand zwischen die eine<br />
und andere Seite des Gesamtzusammenhangs ge<br />
schoben, als sei das Bewusstsein darüber wie mit ei<br />
nem Keil gespalten.<br />
Die vom Zinseszins in Gang gesetzte Dynamik kann<br />
auf Dauerunmöglich störungsfreifunktionieren: Denn<br />
gesund wäre diese Entwicklung nur dann, wenn das<br />
Anwachsen der <strong>Geld</strong>vermögen (und derVerschuldung)<br />
sowie der dafür jährlich aufzubringenden wachsenden<br />
Zinslasten seine Grundlage in einem entsprechenden<br />
Wachstum der Produktion hätte. Aber welche Volks<br />
wirtschaft - oder auch Weltwirtschaft - auf unserer<br />
begrenzten Erde mit ihren begrenzten Ressourcen und<br />
Absatzmärkten könnte ein solches reales Wachstum<br />
jemals hervorbringen?<br />
Das reale Wachstum des Sozialprodukts kann auf<br />
Dauer unmöglich mit dem Wachstumstempo Schritt<br />
halten, das durch die exponentiell wachsenden Zins<br />
lasten - aufgrund exponentiell gewachsener <strong>Geld</strong><br />
vermögen und Schulden - eingefordert wird. Es muss<br />
sich ganz einfach abschwächen. In dem Maße aber,wie<br />
das Sozialprodukt langsamer wächst, als vom Zins ge<br />
fordert, gerät die Wirtschaft, geraten viele Unterneh<br />
men zunehmend in die Schuldenklemme. Sie sind mit<br />
ihren Kreditverträgen mehr oder weniger langfristige<br />
Verpflichtungen zur Verzinsung und Rückzahlung ein<br />
gegangen, können diese immer weniger erfüllen und<br />
geraten dadurch unter einen wachsenden Schulden<br />
druck und in die Krise.<br />
Wenn aber die zu erzielenden Erlöse der Untemeh-