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Region DIe süDostschweIZ | dIENSTaG, 7. OkTOBEr 2014 5<br />

Leben als Hochsensible ist nicht e<strong>in</strong>fach<br />

Hochsensibel zu se<strong>in</strong>, ist ke<strong>in</strong><br />

Schleck, sagt Silvia Schneider<br />

aus Rüti. Aber e<strong>in</strong>e edle Gabe.<br />

Sie erklärt, wie sie damit fertig<br />

wird, dass oft zu viel auf sie<br />

e<strong>in</strong>stürmt, und wie sie sich<br />

verstehen und mit ihrer<br />

Eigenart umzugehen gelernt hat.<br />

Von Brigitte Tiefenauer<br />

Rüti. –«Hochsensibel» tönt schwierig.<br />

Samthandschuhe braucht es aber<br />

ke<strong>in</strong>e an diesem kühlen Herbstmorgen.<br />

Der Empfang bei Silvia Schneider<br />

im alten Haus im Untergässli <strong>in</strong><br />

Rüti ist warm und freundlich. E<strong>in</strong><br />

schnell herausgesuchtes Gedicht im<br />

Wohnzimmer vermittelt e<strong>in</strong>e Idee des<br />

bevorstehenden Gesprächs: «Auferstehung<br />

geschieht nicht immer am<br />

dritten Tag», steht da, «aber sie<br />

kommt. Auch wenn ich im Dunkel<br />

nichts mehr weiss vom Licht.»<br />

Heute ist ke<strong>in</strong>er dieser dunklen Tage<br />

ohne Glauben an e<strong>in</strong> Morgen. Vielmehr<br />

sche<strong>in</strong>t die Sonne durch die<br />

kle<strong>in</strong>en Sprossenfenster <strong>in</strong> die kühle<br />

Stube. Wirft sanftes Licht auf die Zeugen<br />

des Alltags der Rentner<strong>in</strong>: Kunstwerke<br />

<strong>in</strong> allen Varianten. Wurzeln, Papierfetzen<br />

und Tücher, aus denen solche<br />

werden könnten. Schachteln und<br />

Dosen mit Habseligkeiten aus dem<br />

Elternhaus, das sie letztes Jahr nach<br />

dem Tod der Mutter räumen musste –<br />

zur Verarbeitung der Vergangenheit.<br />

E<strong>in</strong>e Geige. Alles hat se<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> dem<br />

Haus. Auch Silvia Schneider sche<strong>in</strong>t<br />

viel davon zu haben.<br />

Sie freue sich, Besuch zu haben,<br />

sagt sie. E<strong>in</strong>gemummt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> geschätztes<br />

halbes Dutzend Pullover und e<strong>in</strong>e<br />

Wolldecke wirkt sie kugelrund und<br />

gleichermassen zierlich.<br />

Nicht dazuzu<br />

gehören belastet<br />

Zum Beispiel schreiben: Silvia Schneider verarbeitet ihre E<strong>in</strong>drücke <strong>in</strong> Gedichten.<br />

Zart besaitet. Wie der Titel des Buches,<br />

aus dem sie viel über ihr Wesen<br />

erfahren hat. Mit e<strong>in</strong>em vielschichtigen<br />

Innenleben, das vieles erschwert,<br />

aber auch tief bereichert.<br />

15 bis 20 Prozent aller Menschen<br />

s<strong>in</strong>d hochsensibel und deshalb weniger<br />

belastbar. Silvia Schneider gehört<br />

dazu. Sie ist lärm-, geruch- und lichtempf<strong>in</strong>dlich<br />

sowie leicht aus der Fassung<br />

zu br<strong>in</strong>gen, wenn zu viel auf sie<br />

e<strong>in</strong>stürmt. Aber sie hat e<strong>in</strong> gutes Auge<br />

für Details und die Fähigkeit, «zwischen<br />

den Zeilen zu lesen», mehr über<br />

Menschen und Situationen zu erfahren,<br />

als diese preisgeben.<br />

«Hochsensible Menschen haben e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>tensivere Reizverarbeitung im<br />

Hirn und weniger Filter», erklärt sie.<br />

Deshalb dauere es manchmal länger,<br />

bis sie antworten, reagieren, handeln.<br />

Was von andern als befremdend oder<br />

sogar arrogant empfunden werden<br />

kann. Bagatellen wie das Sirren von<br />

Musik aus dem Kopfhörer e<strong>in</strong>es Zugpassagiers<br />

könnten sie zum Wahns<strong>in</strong>n<br />

treiben. Je nach Job bräuchten Betroffene<br />

vermehrte Pausen und Rückzugsmöglichkeiten,<br />

um sich zu erholen.<br />

Um alsbald als E<strong>in</strong>zelgänger zu<br />

enden und als solche verschrien zu<br />

werden. «Nicht dazuzugehören ist für<br />

uns sehr belastend.»<br />

Den Kampf um das erträgliche<br />

Mass zwischen Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong> und zu viel<br />

Gesellschaft hat Silvia Schneider von<br />

kle<strong>in</strong> auf erlebt und erlitten. «Als<br />

K<strong>in</strong>d hätte ich, das sensibelste der vier<br />

Sprössl<strong>in</strong>ge vielbeschäftigter Eltern,<br />

mehr Zuwendung gebraucht», bilanziert<br />

sie heute. Ihr Andersse<strong>in</strong> äusserte<br />

sich <strong>in</strong> Hautausschlägen, häufigem<br />

Durchfall und später Depressionen.<br />

«Als Jugendliche konnte ich mir ke<strong>in</strong>e<br />

Zukunft vorstellen.»<br />

Immer wieder beh<strong>in</strong>derte sie mangelndes<br />

Selbstwertgefühl <strong>in</strong> ihren Berufen<br />

als Lehrer<strong>in</strong>, Psycholog<strong>in</strong> und<br />

Künstler<strong>in</strong>. Der Rummel e<strong>in</strong>er Schulklasse<br />

überforderte sie, aber im E<strong>in</strong>zelunterricht<br />

konnte sie lernschwachen<br />

K<strong>in</strong>dern viel mitgeben.<br />

Sie steht auf, hebt e<strong>in</strong>e kugelförmige<br />

Skulptur aus e<strong>in</strong>em Gestell: «Sie<br />

hat mich nach e<strong>in</strong>em halben Jahr me<strong>in</strong>en<br />

Studienplatz am Werksem<strong>in</strong>ar gekostet.»<br />

Weil sie damit die Aufgabe<br />

nicht erfüllt habe. «Dass ich bis heute<br />

nicht mehr aus me<strong>in</strong>en Begabungen<br />

machen konnte, stimmt mich traurig.»<br />

Eigenwillige<br />

Kunst<br />

Ursprünglich wollte sie Zeichenlehrer<strong>in</strong><br />

werden, kam jedoch nach dem Vorkurs<br />

der Kunstgewerbeschule nicht<br />

weiter. Fünf Jahre lang hat sie nicht<br />

mehr gezeichnet und gemalt. Später,<br />

nach dem Rausschmiss aus dem<br />

Bild Brigitte Tiefenauer<br />

Werksem<strong>in</strong>ar, begann sie, mit verschiedenen<br />

Materialien zu arbeiten.<br />

«Ich b<strong>in</strong> mir treu geblieben und habe<br />

mich ke<strong>in</strong>en Trends angepasst. Wenn<br />

ich gestorben b<strong>in</strong>, wird mich dann irgende<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong> Kunststudent entdecken»,<br />

hofft sie. Silvia Schneiders eigenwillige<br />

Kunstwerke, die sie Tücher<br />

und Kästchen nennt, füllen <strong>in</strong> grosser<br />

Vielzahl die Wände und Gestelle im<br />

Treppenhaus und den vielen Zimmern<br />

ihres Hauses.<br />

Bis am 18. Oktober s<strong>in</strong>d zwei Arbeiten<br />

von ihr im Skulpturengarten<br />

Engi zu sehen. In der Weihnachtsausstellung<br />

der Glarner Künstler zeigt<br />

sie Collagen zum Mart<strong>in</strong>sloch. Früher<br />

hat sie alte Stoffe, die bereits e<strong>in</strong>e<br />

Geschichte haben, mit für sie bedeutenden<br />

Utensilien wie Weidenzweig -<br />

le<strong>in</strong>, Schwemmhölzern oder Metallstücken<br />

belegt. Sich festlegen auf nur<br />

e<strong>in</strong>e Gestaltungsweise will sie nicht.<br />

<strong>Die</strong> 64-Jährige betrachtet die Kugel.<br />

Und lächelt. «Ich habe gelernt, mit me<strong>in</strong>er<br />

Sensibilität umzugehen», sagt sie.<br />

«Im Kunstschaffen und <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>zel -<br />

arbeit mit Menschen erlebe ich sie nicht<br />

als Schwäche, sondern als Stärke.»<br />

«Wir s<strong>in</strong>d nicht Durchschnitt, lassen<br />

uns nicht e<strong>in</strong>ordnen und werden häufig<br />

nicht verstanden.» Ob sie sich selber<br />

denn verstehe, beantwortet sie<br />

zögernd mit Ja. Zum<strong>in</strong>dest, was die<br />

D<strong>in</strong>ge betrifft, die ihr gut täten.<br />

Zeit mit schönen<br />

Inhalten füllen<br />

Sie nutze heute ihre Zeit, um sie mit<br />

schönen Inhalten zu füllen. Wie draussen<br />

se<strong>in</strong>, im Garten arbeiten, wandern,<br />

schwimmen, tanzen, musizieren.<br />

Oder schreiben. Oft s<strong>in</strong>d es Gedichte<br />

und kurze Texte, <strong>in</strong> denen sie<br />

Erlebnisse verarbeitet. E<strong>in</strong>iges davon<br />

fliesst auch <strong>in</strong> ihr Buch «Mann und<br />

Frau spielen» e<strong>in</strong>, das im Spätherbst<br />

ersche<strong>in</strong>en soll.<br />

«Alles, was weh tut, h<strong>in</strong>ter mir lassen.<br />

Für e<strong>in</strong> paar M<strong>in</strong>uten oder Stunden<br />

pro Tag» hat sie im e<strong>in</strong>gangs zitierten<br />

Gedicht formuliert. Und: «Auferstehen<br />

heisst, vielleicht e<strong>in</strong> Gedicht<br />

schreiben, jemandem telefonieren, e<strong>in</strong><br />

Lied s<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>en Spaziergang machen.<br />

Und den Menschen, denen ich<br />

begegne, <strong>in</strong> die Augen schauen.»<br />

Selbsthilfegruppe für<br />

hochsensible Menschen<br />

Silvia Schneider ist 1950 <strong>in</strong> Brugg<br />

geboren und an verschiedenen Orten<br />

zwischen Zürich und Basel aufgewachsen.<br />

Nach dem Lehrersem<strong>in</strong>ar<br />

und zwei Berufsjahren als Lehrer<strong>in</strong><br />

besucht sie den Vorkurs an<br />

der Kunstgewerbeschule Zürich,<br />

später das Werksem<strong>in</strong>ar. 1978 bis<br />

1984 lebt sie zeitweise zum Malen<br />

und Schreiben auf Sizilien. 1986<br />

bis 1994 absolviert sie e<strong>in</strong> Psychologiestudium<br />

an der Universität<br />

Zürich. 1988 kommt ihre Tochter<br />

Anna zur Welt. Schneider verlegt<br />

ihren Wohnsitz <strong>in</strong>s Glarnerland.<br />

Voraussichtlich diesen Herbst will<br />

sie mit Susan Marletta-Hart, die<br />

Bücher über das Leben mit hochsensiblen<br />

K<strong>in</strong>dern geschrieben hat,<br />

e<strong>in</strong>e Selbsthilfegruppe für hochsensible<br />

Menschen gründen. (bt)<br />

Nach e<strong>in</strong>em Vortrag zur Hochsensibilität<br />

hat Silvia Schneider e<strong>in</strong>en Fachartikel geschrieben,<br />

der im Internet aufgeschaltet<br />

wird unter www.frauenzentrale-glarus.ch.<br />

Der König des Waldes<br />

<strong>in</strong> Braunwald<br />

Das Lesecafé «Bs<strong>in</strong>ti» <strong>in</strong><br />

Braunwald lädt zu e<strong>in</strong>er<br />

Erzählstunde für grosse<br />

und kle<strong>in</strong>e Naturfreunde e<strong>in</strong>.<br />

Braunwald. –Am Mittwochnachmittag<br />

bietet das «Bs<strong>in</strong>ti» <strong>in</strong> Braunwald<br />

e<strong>in</strong>e Erzählstunde an. <strong>Die</strong> Naturpädagog<strong>in</strong><br />

Gabriela Wehrli erzählt und<br />

<strong>in</strong>szeniert die Geschichte vom Waldkönig<br />

Leon. Anschliessend dürfen die<br />

K<strong>in</strong>der Waldkronen basteln.<br />

Das farbenfrohe K<strong>in</strong>derbuch «Der<br />

König des Waldes» wurde von Swantje<br />

Kammerecker geschrieben und von<br />

Kathar<strong>in</strong>a Dress illustriert. Und Gabriela<br />

Wehrli hat für die erzählerische<br />

Umsetzung im «Bs<strong>in</strong>ti» e<strong>in</strong>e Natur -<br />

<strong>in</strong>szenierung mit Waldmaterialien geschaffen.<br />

(e<strong>in</strong>g)<br />

Mittwoch, 8. Oktober, von 15 bis 17 Uhr, im<br />

«Bs<strong>in</strong>ti» <strong>in</strong> Braunwald. www.bs<strong>in</strong>ti.ch.<br />

Impressum<br />

Unabhängige schweizerische Tageszeitung mit Regionalausgaben <strong>in</strong><br />

den Kantonen Graubünden, Glarus, St. Gallen und Schwyz.<br />

Herausgeber<strong>in</strong>:<br />

Somedia (Südostschweiz Presse und Pr<strong>in</strong>t AG)<br />

Verleger: Hanspeter Lebrument<br />

CEO: Andrea Masüger<br />

Redaktionsleitung: David Sieber (Chefredaktor),<br />

Pieder Cam<strong>in</strong>ada, René Mehrmann (Stv. Chefredaktoren),<br />

Reto Furter (Leiter Region Graubünden), Rolf<br />

Hösli (Redaktion Glarus), Patrick Nigg (Überregio -<br />

nales), Thomas Senn (Redaktion Gaster/ See), René<br />

Weber (Sport)<br />

Abo-und Zustellservice: Somedia, Zw<strong>in</strong>glistrasse 6,<br />

8750 Glarus, Tel. 0844 226 226, Fax 081 255 51 10,<br />

E-Mail: abo@somedia.ch<br />

Inserate: Somedia Promotion<br />

Verbreitete Auflage (Südostschweiz Gesamt):<br />

81 786 Exemplare (Verlagsangaben)<br />

Reichweite:<br />

167 000 Leser (MACH-Basic 2014-2)<br />

Ersche<strong>in</strong>t siebenmal wöchentlich<br />

Adresse: <strong>Die</strong> Südostschweiz, Zw<strong>in</strong>glistrasse 6, 8750 Glarus,<br />

Telefon 055 645 28 28, Fax 055 640 64 40.<br />

E-Mail: Redaktion Glarus: redaktion-gl@suedostschweiz.ch; Redak -<br />

tion Onl<strong>in</strong>e: redaktion-onl<strong>in</strong>e@suedostschweiz.ch.<br />

© Somedia<br />

Inserat<br />

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für alle Automarken.<br />

Berglistrasse 11 ·Glarus ·Telefon 055 646 20 00<br />

www.reifencenter-glarus.ch<br />

Literarische Wanderungen mit Zopfis<br />

«Sehnsucht nach den grünen Höhen» heisst das neu erschienene Buch von Christa und Emil Zopfi, das<br />

am Samstag <strong>in</strong> der Buchhandlung Wortreich der Leserschaft präsentiert worden ist. Das 416 Seiten starke<br />

Werk be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong>e Vielzahl von literarischen Wanderungen zwischen Pfannenstiel, Churfirsten und Tödi<br />

und ist im Buchhandel für 45 Franken erhältlich.<br />

Bild Mart<strong>in</strong> Meier

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