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Kompetenz - zwischen Qualifikation und Verantwortung (2007)

Kongressband Dreiländerkongress 2007 in Bielefeld

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eitsmarkt vermittelt, häufig mit finanziellen Anreizen für die Arbeitgeber.<br />

Unter Anleitung <strong>und</strong> Hilfestellung eines Job-Coaches wird dann versucht,<br />

die realen Probleme dieses Arbeitsplatzes zu beherrschen. Erfahrungen haben<br />

gezeigt, dass dieses Vorgehen, welches ‚Place, then train’ genannt wird,<br />

den traditionellen Ansätzen, die – wie in Deutschland – auf ‚Train, then<br />

place’ setzen, deutlich überlegen ist (Twamley, Jeste <strong>und</strong> Lehman 2003).<br />

Entscheidend scheint dabei der Einsatz <strong>und</strong> die Bewährung auf Arbeitsplätzen<br />

im realen Umfeld zu sein. Offenbar ist die Übertragbarkeit der in<br />

Trainingsumgebungen erlernten Fertigkeiten recht begrenzt. Erfolgreicher<br />

scheint es dagegen zu sein, die Fertigkeiten ‚vor Ort’ zu entwickeln <strong>und</strong> an<br />

die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.<br />

Viele psychisch kranke Menschen benötigen jedoch nicht nur einen Job-<br />

Coach, sondern sind auch auf Unterstützungsprozesse in diversen anderen<br />

Sozialbereichen angewiesen. Im Gr<strong>und</strong>e benötigen sie einen Life-Coach<br />

(Neenan <strong>und</strong> Dryder 2002). Dieses, im angloamerikanischen Bereich relativ<br />

verbreitete Berufsbild unterstützt Menschen in vielfältigen Lebenssituationen<br />

hinsichtlich bestimmter Defizite im Alltagsbereich oder bei psychischen<br />

Problemen. Die Herausforderung ist dabei, nicht direkt in einen<br />

therapeutischen Ansatz überzugehen, sondern vielmehr die Klienten zu unterstützen,<br />

selbstständig zu bleiben <strong>und</strong> aktiv mit den Herausforderungen<br />

des Alltags fertig zu werden. Die Gefahr eines Ansatzes, der in Richtung<br />

Therapie geht, besteht darin, bei Schwierigkeiten zu schnell die professionellen<br />

Hilfesysteme in Anspruch zu nehmen, während es sich eigentlich<br />

doch um soziale Probleme handelt. Die Leitlinie sollte darin liegen, die Klienten<br />

so lange wie möglich von der professionellen psychiatrischen Hilfe<br />

fern <strong>und</strong> im Alltagsleben inkludiert zu halten.<br />

Zweifelsohne benötigen chronisch psychisch kranke Menschen dennoch<br />

psychiatrische Hilfestellungen <strong>und</strong> dies auch gelegentlich im stationären<br />

Bereich. Obwohl die stationäre Versorgung eben nicht in erster Linie geeignet<br />

ist, in den Alltag der Betroffenen integrierend zu wirken, ist es nicht<br />

unmöglich, auch hier eine sozial inklusive Perspektive zu entwickeln (Buckle<br />

2005; Repper <strong>und</strong> Perkins 2004). Diese Perspektive besteht unter anderem<br />

darin, neben der Krankheits- <strong>und</strong> Symptomorientierung als mindestens genauso<br />

wichtig die sozialen Rollen, Beziehungen, Stärken <strong>und</strong> Fähigkeiten sowie<br />

die individuellen Ziele im Auge zu behalten (Repper <strong>und</strong> Perkins 2003).<br />

Wenngleich die stationären Aufenthalte heutzutage in der Regel nur wenige<br />

Tage bis Wochen umfassen, werden sie von den Betroffenen häufig noch<br />

als Einschnitt in das Alltagsleben erlebt, welcher es häufig schwer macht,<br />

an die zuvor bestehenden sozialen Kontakte wieder anzuknüpfen. Dies gilt<br />

natürlich vor allem für soziale Kontakte außerhalb der Psychiatriegemeinde,<br />

bei denen oftmals keine Kenntnis <strong>und</strong> kein Verständnis für die psychische<br />

Störung <strong>und</strong> ihre Behandlung in der psychiatrischen Klinik herrscht.<br />

Bei vielen Mitarbeitern des psychiatrischen Versorgungssystems steht diese<br />

sozial inklusive Perspektive nicht an erster Stelle. Wie eine entsprechende<br />

Studie bei psychiatrischen Pflegenden in Großbritannien gezeigt hat, bestehen<br />

sowohl innerhalb als auch außerhalb stationärer Einrichtungen<br />

nach Ansicht der Mitarbeiter erhebliche Barrieren gegenüber der Inklusionsstrategie<br />

(Bertram <strong>und</strong> Stickley 2005). Dies liegt teilweise an professionellen<br />

Überzeugungen, die etwa mehr defizit- als ressourcenorientiert sind,<br />

teilweise sind es aber sozialpolitische <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Probleme<br />

(z.B. Stigmatisierung), die einer erfolgreichen Inklusionsstrategie entgegenstehen.<br />

Schlussfolgerung: Soziale Exklusion – ein klar definiertes Problem ohne<br />

vorhandene Lösungen<br />

Die Problemlage der sozialen Exklusion sollte deutlich geworden sein. Demgegenüber<br />

stehen bisher nur unzureichend ausgearbeitete Lösungsansätze<br />

<strong>und</strong> noch weniger vorhandene Umsetzungsmöglichkeiten. Unter den gegebenen<br />

sozialrechtlichen <strong>und</strong> finanziellen Bedingungen des Versorgungssystems<br />

scheint es relativ schwierig zu sein, eine sozial inklusive Strategie<br />

nicht nur punktuell, sondern umfassend einzuführen. Die psychiatrische<br />

Pflege ist aufgefordert, diese Problemlage nicht nur aus berufspolitischer<br />

Perspektive aktiv anzugehen, sondern auch an der inhaltlichen Ausgestaltung<br />

einer sozial inklusiven Strategie <strong>und</strong> Umsetzung mitzuarbeiten.<br />

Literatur<br />

Agerbo E, Byrne M, William W, Mortensen P (2004) Marital and Labor Market Status in the Long<br />

Run in Schizophrenia. Archives of General Psychiatry 61:28-33<br />

BAGÜS (2006) Zugangszahlen <strong>und</strong> Bedarfsplanung der Werkstätten für behinderte Menschen aus<br />

der Sicht der Sozialhilfeträger – Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Ausblick. Vorlage zur Plenartagung der<br />

Höheren Kommunalverbände in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland am 3. <strong>und</strong> 4. April 2006 in Überlingen<br />

Münster: B<strong>und</strong>esarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe<br />

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