Regeln zur morphologischen Glossierung - Universität Konstanz
Regeln zur morphologischen Glossierung - Universität Konstanz
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<strong>Regeln</strong> <strong>zur</strong> <strong>morphologischen</strong> <strong>Glossierung</strong><br />
Was sind morphologische Glossen, und wozu werden sie gebraucht?<br />
Interlineare morphologische Glossen geben Informationen über die Bedeutungen und grammatischen<br />
Eigenschaften von einzelnen Wörtern und Wortteilen. Ähnlich wie bei IPA-Notierung<br />
und Notenschrift ist auch hier ein einheitlicher Standard nötig, um Daten möglichst Vielen<br />
zugänglich zu machen.<br />
Quelle: Comrie, Bernard, Martin Haspelmath, and Balthasar Bickel (2008). The Leipzig Glossing<br />
Rules: Conventions for interlinear morpheme-by-morpheme glosses. Max Planck Institute<br />
for Evolutionary Anthropology and University of Leipzig (http://www.eva.mpg.de/lingua/<br />
resources/glossing-rules.php).<br />
Regel 1: Wort-für-Wort-<strong>Glossierung</strong><br />
Interlineare Glossen sind am Beispiel Wort für Wort linksbündig ausgerichtet. Beispiel:<br />
(1) Mereka<br />
they<br />
di Jakarta sekarang<br />
in Jakarta now<br />
‘They are in Jakarta now.’<br />
Regel 2: Morphem-für-Morphem-Korrespondenz<br />
(Indonesisch)<br />
Segmentierbare Morpheme werden durch Bindestriche getrennt, sowohl im Beispiel als auch in<br />
den Glossen. Beispiel und Glosse müssen genau die gleich Anzahl von Bindestrichen aufweisen.<br />
Beispiel:<br />
(2) Gila<br />
now<br />
abur-u-n ferma hamišaluǧ güǧüna amuq’-da-c<br />
they-obl-gen farm forever behind stay-fut-neg<br />
‘Now their farm will not stay behind forever’<br />
(Lezgisch)<br />
Grenzen von Klitika werden durch ein Gleichheitszeiche markiert, sowohl in der Zielsprache als<br />
auch in der Glosse. Beispiel:<br />
(3) palasi=lu niuirtur=lu<br />
priest=and shopkeeper=and<br />
‘both the priest and the shopkeeper’<br />
(Westgrönländisch)<br />
1
Einführung in die Morphologie des Deutschen<br />
Regel 3: Grammatische Kategorienlabels<br />
Grammatische Morpheme werden wiedergegeben durch abgekürzte grammatische Kategorienlabels<br />
in Großbuchstaben (gewöhnlich small caps). Liste gebräuchlicher Abkürzungen:<br />
1 Erste Person<br />
2 Zweite Person<br />
3 Dritte Person<br />
a Agens-artiges Argument<br />
abl Ablativ<br />
abs Absolutiv<br />
acc Akkusativ<br />
adj Adjektiv<br />
adv Adverb<br />
agr Agreement<br />
all Allativ<br />
antip Antipassiv<br />
appl Applikativ<br />
art Artikel<br />
aux Auxiliar<br />
ben Benefaktiv<br />
caus Kausativ<br />
clf Klassifizierer<br />
com Komitativ<br />
comp Komplementierer<br />
compl Kompletiv<br />
cond Konditional<br />
cop Kopula<br />
cvb Konverb<br />
dat Dativ<br />
decl Deklarativ<br />
def Definit<br />
dem Demonstrativ<br />
det Determinierer<br />
dist Distal<br />
distr Distributiv<br />
du Dual<br />
dur Durativ<br />
erg Ergativ<br />
excl Exklusiv<br />
f Feminin<br />
foc Fokus<br />
fut Futur<br />
gen Genitiv<br />
imp Imperativ<br />
incl Inklusiv<br />
ind Indikativ<br />
indf Indefinit<br />
Infinitiv<br />
Instrumental<br />
Intransitiv<br />
Imperfektiv<br />
Irrealis<br />
Lokativ<br />
Maskulin<br />
Neutrum<br />
Nicht-<br />
Negativ<br />
Nominalisierer<br />
Nominativ<br />
Objekt<br />
Oblique<br />
Patiens-artiges Argument<br />
Passiv<br />
Perfektiv<br />
Plural<br />
Possessiv<br />
Prädikativ<br />
Perfekt<br />
Präsens<br />
Progressiv<br />
Prohibitiv<br />
Proximal, Proximativ<br />
Past<br />
Partizip<br />
Purposiv<br />
Fragemarker<br />
Quotativ<br />
Reziprokal<br />
Reflexiv<br />
Relativ<br />
Resultativ<br />
Argument e. intransitiven Verbs<br />
Subjekt<br />
Subjunktiv<br />
Singular<br />
Topik<br />
Transitiv<br />
Vokativ<br />
inf<br />
ins<br />
intr<br />
ipfv<br />
irr<br />
loc<br />
m<br />
n<br />
n<br />
neg<br />
nmlz<br />
nom<br />
obj<br />
obl<br />
p<br />
pass<br />
pfv<br />
pl<br />
poss<br />
pred<br />
prf<br />
prs<br />
prog<br />
proh<br />
prox<br />
pst<br />
ptcp<br />
purp<br />
q<br />
quot<br />
recp<br />
refl<br />
rel<br />
res<br />
s<br />
sbj<br />
sbjv<br />
sg<br />
top<br />
tr<br />
voc<br />
2
Antje Lahne<br />
SoSe 2009, Universität <strong>Konstanz</strong><br />
In vielen Fällen ist sowohl ein Label als auch ein Wort aus der Metasprache akzeptabel. In<br />
beispiel (4) z.B. können beide Glossen gewählt werden.<br />
(4) Où crois=tu<br />
where believe=2sg<br />
where believe=you<br />
qu’=est all-é<br />
comp=cop.3sg go-ptcp<br />
that=is go-ptcp<br />
‘Where do you believe that Jean went?’<br />
Jean?<br />
Jean<br />
Jean<br />
(French)<br />
Regel 4: Eines-zu-vielen-Relationen<br />
Wenn ein Element der Zielsprache durch mehrere metasprachliche Elemente wiedergegeben<br />
wird, so werden die Teilelemente durch Punkte getrennt.<br />
(5) Ba i nDoire a L dúradh a L fuarthas é<br />
cop.pst in Derry vpart sag.pst.iprs find.pst.iprs es<br />
‘In Derry, sagt man, wurde es gefunden’<br />
(Irisch; iprs=unpersönlich, vpart=Verbpartikel)<br />
Wenn ein Element segmentierbar ist, aber die Subanalyse ist irrelevant, dann wird die entsprechende<br />
<strong>Glossierung</strong> durch ein Semikolon abgetrennt.<br />
(6) Mirenek Parisera joango zela esan zidan<br />
Maria:erg Paris:nach geh aux sag aux<br />
‘Maria sagte mir, dass sie nach Paris geht’<br />
Regel 5: Person- und Numerus-Labels<br />
(Baskisch)<br />
Person und Numerus werden nicht durch einen Punkt getrennt, wenn sie durch ein Morphem<br />
markiert werden.<br />
(7) and-iamo<br />
go-prs.1pl (nicht: go.prs.1.pl)<br />
‘wir gehen’<br />
Regel 6: Nicht-overte Elemente<br />
(Italienisch)<br />
Wenn die Morphem-für-Morphem-Glosse ein Element enthält, das keinem overten Element im<br />
Beispiel enspricht, dann kann es entweder durch eckige Klammern gekennzeichnet werden, oder<br />
im Beispiel wird ein Null-Morphem (ø) eingefügt, das wie ein overtes Morhem durch Bindestrich<br />
abgetrennt wird.<br />
(8) puer oder<br />
Junge[nom.sg]<br />
‘Junge’<br />
puer-ø<br />
Junge-nom.sg<br />
(Latein)<br />
3
Einführung in die Morphologie des Deutschen<br />
Regel 7: Inhärente Kategorien<br />
Inhärente, nichtoverte Kategorien wie Genus können in der Glosse durch eine runde Klammer<br />
markiert werden.<br />
(9) ož-di-g xõxe m-uq’e-r<br />
Junge-obl-ad Baum(g4) g4-bieg-pret<br />
‘Wegen des Jungen bog sich der Baum’<br />
(Hunzib; g4=4. Genus, ad=Adessiv, pret=Präteritum)<br />
(10) [Les chaise-s ] i que Jean a repeint-e-s t i<br />
[the.pl chairs(f)-pl ] rel Jean has repainted-f-pl<br />
‘the chairs that Jean has repainted’<br />
(Literarisches Französisch)<br />
Regel 8: Zweigeteilte Elemente<br />
Grammatische doer lexikalische Elemente, die aus zwei Teilen bestehen, die als distinkte morphologische<br />
Elemente behandelt werden (z.B. zweigeteilte Stämme wie Lakota na-xP¸u ‘hören’;<br />
Zirkumfixe wie dt. Ge-e), können auf zwei Arten behandelt werden: Die Glosse kann wiederholt<br />
werden (wie in 11), oder einer der beiden Teile kann durch ein besonderes Label (z.B. stem,<br />
circ) gekennzeichnet werden (wie in 12).<br />
(11) a. na-wíčha-wa-xP¸u<br />
hear-3pl.und-1sg.act-hear<br />
‘Ich höre sie’<br />
b. ge-seh-en<br />
ptcp-see-ptcp<br />
gesehen<br />
(Lakota; und=Patiens, act=Agens)<br />
(Deutsch)<br />
(12) a. na-wíčha-wa-xP¸u<br />
hear-3pl.und-1sg.act-stem<br />
‘Ich höre sie’<br />
b. ge-seh-en<br />
ptcp-see-circ<br />
gesehen<br />
(Lakota)<br />
(Deutsch)<br />
Regel 9: Infigierung<br />
Infixe werden durch spitze Klammern abgetrennt, sowohl im beispiel als auch in der <strong>Glossierung</strong>.<br />
(13) Hu chagi [atsa i lamasa ]<br />
1sg tried [lift det table ]<br />
‘I tried to lift the table’ (Chamorro; pat=Patiensfokus)<br />
Links-periphere Infixe werden auf der linken Seite des Stamms markiert, rechtsperiphere auf<br />
der rechten Seite des Stamms.<br />
4
Antje Lahne<br />
SoSe 2009, Universität <strong>Konstanz</strong><br />
Regel 10: Reduplikation<br />
Reduplikation wird wie Infigierung behandelt, reduplizierte Elemente werden jedoch durch eine<br />
Tilde abgetrennt.<br />
(14) yerak∼rak-im<br />
grün∼att-m.pl<br />
‘Grünliche’<br />
(Hebräisch; att=attenuativ)<br />
(15) Hafa<br />
was<br />
fa’gasé∼se-nña si Henry pära hagu?<br />
wasch∼cont-3sgPoss unm Henry für dich<br />
‘Was wäscht Henry für Dich?’<br />
(Chamorro; unm=unmarkierter Kasus, cont=Kontinuativ)<br />
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