Die Magdeburger Alternative - Otto-von-Guericke-Universität ...
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WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT<br />
MAGDEBURGER WISSENSCHAFTSJOURNAL 1-2/2005<br />
1)<br />
<strong>Die</strong> zur Gegenfinanzierung<br />
notwendigen Steuererhöhungen<br />
bzw. Ausgabensenkungen<br />
verringern den Beschäftigungseffekt<br />
der allgemeinen Beitragssenkung<br />
erheblich /3/.<br />
2)<br />
Für eine ausführliche Darstellung<br />
der Hinzuverdienstmöglichkeiten<br />
für Bedarfsgemeinschaften<br />
siehe /5/.<br />
3)<br />
Eine umfassendere Darstellung<br />
der <strong>Magdeburger</strong> <strong>Alternative</strong><br />
findet sich in Schöb und<br />
Weimann /6/.<br />
32<br />
den Sozialversicherungsbeiträge zu erwirtschaften.<br />
Eine wachsende Zahl <strong>von</strong> Arbeitsanbietern<br />
kann jedoch die dafür notwendige Produktivität<br />
nicht entfalten. Der Preis ihrer Arbeit liegt deshalb<br />
über der Wertschöpfung, die sie erzielen<br />
können, und folglich wird ihre Arbeit nicht nachgefragt.<br />
Wieder erzeugt der Sozialstaat, indem er<br />
die Solidargemeinschaft falsch definiert, den<br />
Sozialfall, für den er geschaffen wurde.<br />
In seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist das<br />
System der sozialen Grundsicherung nicht überlebensfähig,<br />
weil es sich selbst die ökonomische<br />
Basis entzieht, indem es immer mehr Arbeitslosigkeit<br />
unter den Anbietern einfacher Arbeit erzeugt.<br />
Sein Umbau ist allerdings keine triviale<br />
Aufgabe, und es ist keine Aufgabe, die man dadurch<br />
bewältigen kann, dass man das soziale<br />
Sicherungssystem isoliert betrachtet und den<br />
institutionellen Kontext ignoriert, in dem es sich<br />
befindet. Der deutsche Kontext ist <strong>von</strong> einer starken<br />
Position der Tarifparteien und einer Aversion<br />
gegen zu stark ausgeprägte Ungleichheiten gekennzeichnet.<br />
<strong>Die</strong> entscheidende Frage bei einer<br />
umfassenden Sozialstaatsreform ist, ob man die<br />
existierenden Institutionen wie die Tarifautonomie,<br />
das Sozialstaatsgebot oder das Prinzip der<br />
Leistungsfähigkeit einfach komplett in Frage stellen<br />
soll oder gar muss, oder ob es nicht eher ratsam<br />
ist, den Versuch zu unternehmen, innerhalb<br />
des bestehenden institutionellen Rahmens eine<br />
Lösung zu finden. <strong>Die</strong> Antwort auf diese Frage<br />
kommt einer Grundsatzentscheidung gleich. Wer<br />
bereit ist, alles in Frage zu stellen, der muss auch<br />
bereit sein, die Konflikte, die eine solche Rosskur<br />
unweigerlich mit sich bringt, zu akzeptieren. Und<br />
er muss bereit sein, die Kosten zu tragen, die<br />
ebenfalls unweigerlich entstehen, wenn man diese<br />
Konflikte austrägt. Für eine rationale Bewertung<br />
alternativer Reformvorschläge ist es zwingend erforderlich,<br />
diese Kosten zu berücksichtigen. Uns<br />
erscheinen diese Kosten als vermeidbar und nicht<br />
akzeptabel.<br />
Bei dem Problem der Langzeitarbeitslosigkeit<br />
gering qualifizierter Menschen handelt es sich um<br />
ein spezielles Problem, das durch das Zusammenspiel<br />
bestimmter institutioneller Gegebenheiten,<br />
der weltweiten Arbeitsteilung und der Produktivitätsentwicklung<br />
in hoch industrialisierten modernen<br />
Gesellschaften entsteht. Entscheidend ist<br />
dabei die im Vergleich zu den Arbeitskosten zu<br />
geringe Produktivität einfacher Arbeit bzw. bei<br />
gegebener Produktivität der zu hohe Preis, der für<br />
einfache Arbeit zu entrichten ist. Ziel der Reform<br />
muss es deshalb sein, dieses Kernproblem der Arbeitsnachfrage<br />
zu beseitigen und gleichzeitig die<br />
Anreizprobleme zu lösen, die sich auf der Angebotsseite<br />
stellen. Entlastungen, die dadurch erreicht<br />
werden, dass die Abgabenlast, mit der das<br />
Arbeitsangebot gegenwärtig beschwert ist, reduziert<br />
wird, sind nur soweit möglich, wie sie nicht<br />
zu einer Verschlechterung der öffentlichen Finanzlage<br />
führen. <strong>Die</strong>s wiederum kann nur dann<br />
erreicht werden, wenn die Entlastungen dort und<br />
nur dort eingesetzt werden, wo sie in der Lage<br />
sind, den Einnahmenverzicht zu kompensieren.<br />
Lösungen, wie sie beispielsweise <strong>von</strong> den Gewerkschaften<br />
vorgeschlagen wurden /2/ und die auf eine<br />
allgemeine Absenkung der Abgaben hinauslaufen,<br />
sind deshalb nicht realistisch. 1)<br />
Durch die Hartz-Reformen wurde das Anreizproblem<br />
auf der Angebotsseite nicht gelöst. So<br />
hat die Einführung der Ein-Euro-Jobs vielen<br />
Alg II-Empfängern die Möglichkeit gegeben, mit<br />
einer Teilzeitbeschäftigung ein Nettoeinkommen<br />
zu erzielen, das dem einer Vollzeitstelle in der privaten<br />
Wirtschaft entspricht. So rechnete der<br />
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung /4/ aus, dass,<br />
im Vergleich zu einem Ein-Euro-Job mit einer<br />
Mehraufwandsentschädigung <strong>von</strong> 1,50 Euro je<br />
Stunde, ein alleinstehender Alg II-Empfänger<br />
mindestens 1 200 Euro brutto, ein Alg II-Empfänger<br />
mit Familienangehörigen mindestens<br />
1 600 Euro brutto verdienen muss, damit es sich<br />
überhaupt für ihn lohnt, auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />
eine Arbeit anzunehmen. <strong>Die</strong> jüngst eingeführten<br />
großzügigeren Hinzuverdienstregelungen<br />
im Mini- und Midijobbereich für Langzeitarbeitslose<br />
haben hieran nicht viel verändert. 2)<br />
DIE MAGDEBURGER ALTERNATIVE:<br />
EIN VIER-PUNKTE PLAN 3)<br />
<strong>Die</strong> <strong>Magdeburger</strong> <strong>Alternative</strong> versucht, das Beschäftigungsproblem<br />
gering qualifizierter Menschen<br />
durch ein vier Punkte umfassendes Programm<br />
zu lösen, das im Kern auf einen grundlegenden<br />
Umbau des Systems der sozialen Grundsicherung<br />
hinausläuft.<br />
Erste Maßnahme:<br />
Erstattung der Sozialversicherungsabgaben<br />
Stellt ein Arbeitgeber einen Alg II-Empfänger<br />
zu einem Lohn ein, der die Förderhöchstgrenze,<br />
die sich an tariflichen Regelungen für die unterste<br />
Lohngruppe orientiert, nicht überschreitet, so werden<br />
die gesamten Sozialversicherungsbeiträge<br />
(Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) vom<br />
Bund erstattet.<br />
<strong>Die</strong> Sozialversicherungsbeiträge lagen 2005<br />
bei durchschnittlich 42,2 Prozent. <strong>Die</strong>s entspricht<br />
einem Anteil an den gesamten Arbeitskosten,<br />
die sich aus Bruttoarbeitseinkommen und<br />
Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung zusammensetzen,<br />
in Höhe <strong>von</strong> 34,8 Prozent. Der Nettolohn<br />
des Neueingestellten bleibt <strong>von</strong> der Erstattung<br />
vollkommen unberührt. Das Unternehmen<br />
führt für den neu eingestellten Mitarbeiter wie<br />
bisher die Sozialversicherungsabgaben und die<br />
Lohnsteuer ab und überweist den verbleibenden<br />
Betrag als Nettolohn an den Mitarbeiter. Eine<br />
Unterscheidung <strong>von</strong> „subventionierten“ und<br />
„regulär beschäftigten“ Mitarbeitern gibt es nicht.<br />
<strong>Die</strong> Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ist<br />
nicht personenbezogen, sondern knüpft an den<br />
Tatbestand an, dass ein bisheriger Alg II-Empfänger<br />
eingestellt wird.<br />
Stellt ein Unternehmen beispielsweise jemanden<br />
für einen monatlichen Bruttolohn <strong>von</strong> 1 500<br />
Euro ein, so betragen die derzeitigen Arbeitskosten<br />
einschließlich der Arbeitgeberanteile zur