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Die Magdeburger Alternative - Otto-von-Guericke-Universität ...

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WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT<br />

MAGDEBURGER WISSENSCHAFTSJOURNAL 1-2/2005<br />

34<br />

schaft. Der frühere Bundeskanzler Gerhard<br />

Schröder hat dies deutlich formuliert: „Es gibt<br />

kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.<br />

Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann<br />

nicht mit Solidarität rechnen“. Umgekehrt heißt<br />

das auch: Wer arbeiten will, aber nicht kann, der<br />

kann mit der Solidarität des Sozialstaates rechnen.<br />

<strong>Die</strong>se dritte Maßnahme baut auf den verschärften<br />

Zumutbarkeitsregeln <strong>von</strong> Hartz IV auf,<br />

fordert jedoch eine konsequente Umsetzung der<br />

dort festgelegten Sanktionsmaßnahmen. Durch<br />

eine strikte Umsetzung dieser Bestimmungen<br />

wird Arbeit relativ zum Nichtstun attraktiver.<br />

Wie kann man feststellen, ob jemand wirklich<br />

arbeiten will? Ein Problem ist dies im Grunde<br />

nur dann, wenn Arbeitsplätze knapp sind. In<br />

diesem Fall ist es schwer festzustellen, ob sich<br />

ein Hilfeempfänger ernsthaft um Arbeit gekümmert<br />

hat oder sich nur einfach hinter der<br />

Schutzbehauptung versteckt, er fände keine Arbeit.<br />

Sobald durch die Senkung der Arbeitskosten<br />

um 35 bis 70 Prozent immer mehr neue<br />

Stellen im Niedriglohnbereich angeboten werden,<br />

wird es für Arbeitsunwillige sehr viel<br />

schwerer, glaubhaft zu machen, dass sie keine<br />

Arbeit finden können.<br />

Darüber hinaus können ökonomische Anreizmechanismen<br />

helfen, die Frage zu beantworten,<br />

ob jemand arbeiten will. Sie können insbesondere<br />

Schwarzarbeiter dazu bringen, entweder in eine<br />

sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu<br />

wechseln oder zumindest den Anspruch auf Alg II<br />

aufzugeben. Für gut eingeführte Schwarzarbeiter<br />

sind die Anreize, keine reguläre Arbeit aufzunehmen,<br />

nach wie vor groß. Um die Arbeitswilligkeit<br />

dieser Gruppe zu erhöhen, schlagen wir vor, dass<br />

die Bezieher <strong>von</strong> Alg II, die noch nicht in einen<br />

neuen Job vermittelt werden konnten, zu gemeinnütziger<br />

Arbeit herangezogen werden. Dabei<br />

kann durchaus auf die neu geschaffenen Ein-<br />

Euro-Jobs zurückgegriffen werden, doch muss<br />

sichergestellt werden, dass in diesem Bereich<br />

nicht so großzügig entlohnt wird, dass sich eine<br />

Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt nicht mehr<br />

lohnt. Damit der Anreiz, dies zu tun, bestehen<br />

bleibt, darf die Entlohnung nicht über das Alg II<br />

hinausgehen – abgesehen <strong>von</strong> einer kleinen Aufwandsentschädigung.<br />

Nicht die Einkommenssicherung<br />

der Hilfeempfänger steht im Vordergrund,<br />

sondern allein die Anreizwirkung. Ziel<br />

darf es nicht sein, im öffentlichen Sektor Beschäftigung<br />

zu schaffen, in der die Alg II-Empfänger<br />

auf Dauer bleiben. Ziel muss es vielmehr sein, Bedingungen<br />

zu schaffen, die dem Einzelnen optimale<br />

Anreize bieten, auf eine Stelle in der freien<br />

Wirtschaft zu wechseln.<br />

Vierte Maßnahme:<br />

Unbefristete Hilfe zur Arbeit<br />

<strong>Die</strong> ersten drei Maßnahmen der <strong>Magdeburger</strong><br />

<strong>Alternative</strong> sind unbefristet. <strong>Die</strong> Probleme der Armutsfalle<br />

und der zu hohen Bruttolohnkosten<br />

sind keineswegs vorübergehender Natur. Das<br />

Existenzminimum ist in Deutschland als soziokulturelles<br />

Existenzminimum definiert, das sich<br />

am Durchschnittseinkommen orientiert. <strong>Die</strong>s<br />

verschärft das eingangs erläuterte Sozialstaatsdilemma<br />

in einer wachsenden Ökonomie. Steigt<br />

die Produktivität der Geringqualifizierten nicht<br />

im gleichen Maße wie die durchschnittliche Produktivität,<br />

so wird mit zunehmendem Wohlstand<br />

ein immer größerer Teil der Arbeitsbevölkerung<br />

nicht mehr in der Lage sein, durch eigene Arbeit<br />

ein Einkommen zu erzielen, das dem soziokulturellen<br />

Existenzminimum entspricht. Auch eine<br />

gezielte Bildungspolitik kann daran wenig ändern,<br />

da es einen wachsenden Teil der arbeitsfähigen<br />

Bevölkerung gibt, der nicht ausreichend qualifizierbar<br />

ist.<br />

Im bestehenden System der sozialen Grundsicherung<br />

schließt diese Entwicklung immer<br />

mehr Geringqualifizierte dauerhaft vom Arbeitsmarkt<br />

aus. Um das zu verhindern, bedarf es einer<br />

fundamentalen Umgestaltung des Systems, die dazu<br />

führt, dass der Staat Hilfe zur Arbeit gewährt,<br />

anstatt einer Hilfe, die Arbeit bestraft.<br />

Im Grunde zielt die <strong>Magdeburger</strong> <strong>Alternative</strong><br />

auf die dauerhafte Einführung einer Freigrenze in<br />

der Sozialversicherung ab. Begründet wird dies damit,<br />

dass die Solidargemeinschaft ihren Mitgliedern<br />

keine Solidaritätspflichten auferlegen darf,<br />

wenn sie es ihnen dadurch unmöglich macht, für<br />

sich selbst zu sorgen. Wird mit der <strong>Magdeburger</strong><br />

<strong>Alternative</strong> nicht mehr die Untätigkeit, sondern<br />

die Arbeit staatlich gefördert, so wird dadurch das<br />

sozialpolitische Ziel, das soziokulturelle Existenzminimum<br />

zu garantieren, nicht in Frage gestellt.<br />

<strong>Die</strong> Freistellung <strong>von</strong> den Sozialversicherungsabgaben<br />

in der untersten Tariflohngruppe ist als<br />

Sozialleistung des Staates anzusehen, die sich <strong>von</strong><br />

der alten Sozialleistung aber dadurch unterscheidet,<br />

dass sie, anstatt das Existenzminimum im<br />

Ganzen zu bezahlen, den Leistungsempfänger zumindest<br />

teilweise für seine eigene Grundsicherung<br />

in die Pflicht nimmt und damit versucht, die Lasten<br />

für die Allgemeinheit zu verringern.<br />

Dazu aber müssen mehr Arbeitsplätze geschaffen<br />

werden. Dass dies geschehen kann, wird<br />

durch die Dauerhaftigkeit der Arbeitskostensenkung<br />

gewährleistet. Unternehmen planen<br />

nicht in der kurzen Frist, sondern mittel- bis langfristig.<br />

Deshalb darf man auch nicht erwarten,<br />

dass <strong>von</strong> heute auf morgen Hunderttausende <strong>von</strong><br />

neuen Arbeitsstellen im Niedriglohnbereich geschaffen<br />

werden. Bestehende Produktionsverfahren<br />

werden <strong>von</strong> Faktorpreisänderungen kaum beeinflusst,<br />

wohl aber die Planungen des nächsten<br />

Produktionszyklus. <strong>Die</strong> meisten Fördermaßnahmen<br />

im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik<br />

sind befristet und beeinflussen kaum die längerfristigen,<br />

für die Beschäftigung entscheidenden<br />

Unternehmensplanungen. Nur wenn die Senkung<br />

der Arbeitskosten dauerhaft erfolgt, werden<br />

sich Unternehmen darauf einlassen, ihre Produktion<br />

auf arbeitsintensivere Technologien umzustellen.<br />

<strong>Die</strong>s beobachten wir heute schon bei allen<br />

Unternehmen, die Teile ihrer Produktion nach<br />

Osteuropa verlagern, weil sie dort trotz des voranschreitenden<br />

Aufholprozesses mit dauerhaft niedrigeren<br />

Arbeitskosten rechnen können.

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