1 H1N1 â VIROLOGISCHE GRUNDLAGEN - Dr-hollenstein.cc
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<strong>H1N1</strong> – Virologische Grundlagen, P. Wutzler Seite 7<br />
assoziiert sind. Beispiele hierfür sind die 1988/89 in China und zwischen 2001 und<br />
2003 weltweit aufgetretenen H1N2-Reassortanten aus saisonalen <strong>H1N1</strong>- und<br />
H3N2-Stämmen [27, 28]. In Konkurrenz mit den saisonalen Viren konnten sich<br />
diese Reassortanten nicht stabil etablieren. Neben den Gensegmenten für die<br />
Oberflächenantigene können auch die anderen Segmente ausgetauscht werden.<br />
Lange Zeit blieben solche Reassortierungen unbeobachtet, weil sie serologisch<br />
unauffällig sind und nur die wenigsten Virusisolate komplett sequenziert wurden.<br />
Ein Ereignis der jüngeren Vergangenheit ist jedoch von Bedeutung gewesen: ein<br />
(4+4)-Austausch verknüpfte das HA-Segment einer Immune-escape-Variante mit<br />
einem Adamantanresistenz-vermittelnden M-Segment [29]. Wegen des<br />
Selektionsvorteils durch die Antigen-<strong>Dr</strong>ift verbreitete sich die adamantanresistente<br />
Reassortante sehr schnell und innerhalb von nur drei Jahren waren 96,7% der<br />
weltweit isolierten saisonalen H3N2-Stämme resistent gegen die Virustatika<br />
Amantadin und Rimantadin [30]. Dieser Effekt wurde als hitch-hiking bezeichnet,<br />
weil die Verbreitung des Resistenzgens – gewissermaßen als Trittbrettfahrer –<br />
durch den Selektionsvorteil der Immune-escape-Variante begünstigt wurde.<br />
1.2.2 Das Konzept der genetischen Linien bei Influenzaviren<br />
Der Antigen-<strong>Dr</strong>ift hat nicht nur zur Evolution der bekannten HA- und NA-Typen<br />
beigetragen, sondern bei allen Segmenten auch zur Entwicklung definierter<br />
genetischer Linien (Genotypen) geführt [31]. Influenzavirus-<br />
Sequenzierungsprogramme haben ganz erheblich zur Charakterisierung der<br />
genetischen Linien beigetragen. Während die Nukleotidsequenzen der<br />
16 verschiedenen HA-Typen im Mittel zu 56% identisch sind, weisen Sequenzen<br />
einer genetischen Linie eine Sequenzidentität von mehr als 90% auf. Zwei<br />
Faktoren bestimmen die Evolution genetischer Linien: Speziesbarrieren und<br />
geographische Isolation. So etablierten sich bei der Pandemie von 1918 praktisch<br />
zeitgleich stabile Infektketten mit dem neuen <strong>H1N1</strong>-Typ bei Menschen und bei<br />
Schweinen. Schon nach wenigen Jahren hatten sich daraus zwei neue genetische<br />
Linien evolviert: das saisonale <strong>H1N1</strong> und das classical swine <strong>H1N1</strong>. Solche Linien<br />
lassen sich für alle 8 Genomsegmente nachweisen. Auch für Enten/Gänse<br />
(Anseriformes), Möwen/Watvögel (Charadriiformes) und Pferde gibt es getrennte<br />
Linien. Viren solcher Linien sind an ihre Wirtsspezies adaptiert.<br />
Transspeziesinfektionen kommen vor, die Replikation ist aber wenig effizient und<br />
Infektketten brechen häufig nach wenigen Generationen ab. Nur selten etablieren<br />
sich stabile Infektketten. Neben den pandemischen Viren des letzten Jahrhunderts<br />
und des classical swine <strong>H1N1</strong> etablierten sich in den letzten Jahrzehnten folgende<br />
stabile Infektketten: die eurasischen Schweineinfluenzaviren und die<br />
amerikanischen Triple-Reassortanten bei Schweinen. Die aktuelle Pandemie<br />
könnte zu einer weiteren genetischen Linie führen.<br />
Zusätzlich zu den Speziesbarrieren kann geographische Isolation zur Ausbildung<br />
genetischer Linien führen. Bedingt durch unterschiedliche Flugrouten der Zugvögel<br />
entstanden amerikanische und eurasische Influenzaviruslinien – sowohl bei den<br />
Viren der Anseriformes als auch der Charadriiformes. Da für die Evolution dieser<br />
Linien nur die geographische Isolation, nicht aber die Adaptation an einen<br />
spezifischen Wirt eine Rolle spielt, sind Virusübertragungen nicht ungewöhnlich.<br />
Sie kommen bei überlappenden Brutgebieten vor, etwa im Bereich der arktischen<br />
Bering-See [32] oder bei Translokation infizierter Vögel [33].<br />
Ein weiterer für die Beschreibung genetischer Linien wichtiger Aspekt ist die<br />
zeitlich begrenzte Prävalenz bestimmter Linien. Im Jahr 1957 führte das Auftreten<br />
von humanen H2N2-Stämmen zu einer weltweiten Pandemie, aber schon 1968<br />
wurde das H2 durch ein H3 ersetzt. Weniger spektakulär und aufgrund<br />
unvollständiger Sequenzdaten weniger gut belegbar ist das Verschwinden<br />
verschiedener Linien bei aviären und equinen Influenzaviren, die offenbar nach<br />
Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt.