Prof. Dr. Lutz Richter-Bernburg „Vielfalt in der Einheit. Der Islam.“
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<strong>Lutz</strong> <strong>Richter</strong>-<strong>Bernburg</strong>. <strong>„Vielfalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit. <strong>Der</strong> <strong>Islam</strong>.<strong>“</strong><br />
zweihun<strong>der</strong>tjährigen Übersetzungsprozesses<br />
(ca. 750-950) dramatisch<br />
zunahm und zu dauern<strong>der</strong> schöpferischer<br />
Aneignung führte. Die theologische<br />
Reflexion blieb lange von philosophischen<br />
Lehren unberührt, konnte sich jedoch trotz<br />
aller Polemik und Anathematisierung auf<br />
Dauer <strong>der</strong>en <strong>in</strong>tellektueller Attraktivität<br />
nicht völlig entziehen, was zunächst, doch<br />
ke<strong>in</strong>eswegs ausschließlich, die Rezeption<br />
<strong>der</strong> aristotelischen Logik bezeugt.<br />
Erneuerung<br />
Seit dem Mittelalter existierte die<br />
Vorstellung, daß mit Anbruch e<strong>in</strong>es neues<br />
(Hedschra-) Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>der</strong><br />
muslimischen Umma e<strong>in</strong> religiöser<br />
Erneuerer geschenkt werde, <strong>der</strong> sie auf den<br />
richtigen Weg zurückführe. Konkurrierend<br />
mit dieser Hoffnung bestand allerd<strong>in</strong>gs<br />
auch die eher pessimistische Vorstellung,<br />
daß zunehmen<strong>der</strong> zeitlicher Distanz zum<br />
besten Menschen – Mohammed – und zur<br />
besten Generation – <strong>der</strong> se<strong>in</strong>er ersten<br />
Anhänger – e<strong>in</strong> bis zum Endgericht nicht<br />
mehr aufhaltbarer zunehmen<strong>der</strong> Verfall<br />
entspreche. Unabhängig davon galt als<br />
Bezugspunkt jeglicher Erneuerung immer<br />
das Vorbild Mohammeds, se<strong>in</strong>e Sunna,<br />
welche sich als Leerformel, gleichviel<br />
durch welche Inhalte bestimmt, immer<br />
anbot. Auch das 18. Jh. sah <strong>in</strong><br />
verschiedenen Regionen <strong>der</strong> islamischen<br />
Welt vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unabhängig, vielmehr<br />
teilweise <strong>in</strong> radikalem Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, das Entstehen von Erneuerungsbewegungen;<br />
<strong>in</strong> charakteristisch<br />
islamischer Ausprägung verbanden e<strong>in</strong>ige<br />
davon „<strong>in</strong>nere Mission<strong>“</strong>, bzw. religiöse<br />
Erweckung bisher marg<strong>in</strong>aler Gruppen mit<br />
militärisch-politischer Expansion. Die<br />
Gunst <strong>der</strong> Umstände hat <strong>in</strong> bestimmten<br />
Gegenden den daraus erwachsenen<br />
Herrschaftsverbänden bis jetzt e<strong>in</strong>e<br />
Fortexistenz ermöglicht (vgl. den saudiarabischen<br />
„Wahhabismus<strong>“</strong>).<br />
Dschihad<br />
(unterm<strong>in</strong>ologisch: „Anstrengung bei <strong>der</strong><br />
Abwehr von etw./jdm.<strong>“</strong>, daraus dann<br />
term<strong>in</strong>ologisch: „religiös gefor<strong>der</strong>ter<br />
Kampf<strong>“</strong>, meist gegen Nichtmuslime). Die<br />
Unschärfe des Begriffs <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
koranischen Verwendung gibt bis heute<br />
Anlaß zu e<strong>in</strong>seitigen, bzw. ideologisch<br />
begründeten Auslegungen. Dagegen ist<br />
zweierlei festzuhalten: e<strong>in</strong>mal die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Geschichte seit Mohammeds eigenen<br />
Lebzeiten konsensuale Exegese <strong>der</strong><br />
e<strong>in</strong>schlägigen koranischen Passagen als auf<br />
bewaffneten Kampf <strong>der</strong> muslimischen<br />
Geme<strong>in</strong>de (umma) bezüglich und zum<br />
an<strong>der</strong>en die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sufik entwickelte Lehre<br />
vom „größeren Dschihad<strong>“</strong> als <strong>der</strong><br />
dauernden geistlichen Anstrengung im<br />
Wi<strong>der</strong>stand gegen die selbstischen und<br />
wi<strong>der</strong>göttlichen Impulse des eigenen<br />
Selbst, bzw. <strong>der</strong> von den Sufis sogenannten<br />
„Triebseele<strong>“</strong>. Je nach Zusammenhang<br />
s<strong>in</strong>d beide Bedeutungen bis heute<br />
gebräuchlich, und es liegt nahe, daß je<br />
nach Adressat, bzw. auch Opportunität<br />
e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> beiden hervorgehoben wird. 4<br />
Traditionale („vormo<strong>der</strong>ne<strong>“</strong>) Lehre<br />
Die Aufrufe des Korans zur „Anstrengung<br />
auf dem Wege Gottes<strong>“</strong>, so die<br />
buchstabengenaue, doch s<strong>in</strong>nverwischende<br />
Verdeutschung des arabischen Wortlautes,<br />
verschärfen sich deutlich im Laufe des<br />
zweiundzwanzigjährigen<br />
Offenbarungsprozesses, was e<strong>in</strong>e<br />
e<strong>in</strong>deutige Auslegung <strong>der</strong> Gesamt<strong>in</strong>tention<br />
des Textes erschwert, wenn nicht<br />
ausschließt. Gegen Ende von Mohammeds<br />
Leben geht es e<strong>in</strong>deutig um bewaffnete<br />
Selbstverteidigung se<strong>in</strong>es Geme<strong>in</strong>wesens<br />
(umma) gegen nichtmuslimische Gegner.<br />
Wie auch sonst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Militärtheorie s<strong>in</strong>d<br />
die Übergänge von Defensive zu Offensive<br />
4 Die Frage, ob Dschihad e<strong>in</strong> Äquivalent von<br />
„heiligem Krieg<strong>“</strong> sei, sollte nicht überbewertet<br />
werden, da es bei Dschihad nicht nur um religiös<br />
gerechtfertigten, son<strong>der</strong>n religiös gebotenen Kampf<br />
geht.<br />
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