Von Der Kunst, Karriere zu machen - IMPULS MV
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D o k u m e n t a t i o n<br />
<strong>Von</strong> der<br />
<strong>Kunst</strong>,<br />
<strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong><br />
<strong>machen</strong><br />
Veranstaltungsreihe <strong>zu</strong> Chancengleichheit<br />
und Führungspositionen<br />
2011/12
<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>,<br />
<strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong><br />
Veranstaltungsreihe <strong>zu</strong> Chancengleichheit<br />
und Führungspositionen
Inhalt<br />
Frauen in Führungspositionen – Pflicht oder Kür?<br />
8 Dr. Cathleen Kiefert-Demuth, Landesfrauenrat <strong>MV</strong> e.V./<br />
<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> – Regionalstellen für Gleichstellung von Frauen<br />
und Männern am Arbeitsmarkt – Mittleres Mecklenburg<br />
Statements<br />
16 Bernd Heiden, Geschäftsführer der Agentur der Wirtschaft<br />
17 Dr. Cathleen Kiefert-Demuth, Landesfrauenrat <strong>MV</strong> e.V./<br />
<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> – Regionalstellen für Gleichstellung von Frauen<br />
und Männern am Arbeitsmarkt – Mittleres Mecklenburg<br />
18 Zusammenfassung<br />
Frauen Macht Politik<br />
20 Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer, Universität Rostock,<br />
Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften<br />
27 Drei Fragen an Karina Jens, CDU<br />
29 Drei Fragen an Dr. Ulrich Seidel, FDP<br />
30 Drei Fragen an Steffen Bockhahn, Die Linke<br />
33 Drei Fragen an Anke Knitter, SPD<br />
35 Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer, Universität Rostock –<br />
Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften<br />
36 Zusammenfassung<br />
<strong>Karriere</strong> in der Wissenschaft<br />
Statements<br />
40 Carina Hojenski, M.A., Universität Rostock, <strong>Karriere</strong>wege<br />
für Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft M-V<br />
41 Bettina Kutschera, M.Sc. Hochschule Wismar<br />
42 Prof. Dr. Gabriele Linke, Universität Rostock, Institut für<br />
Anglistik/Amerikanistik<br />
43 Prof. Dr. Birgit Piechulla, Universität Rostock, Institut für<br />
Biowissenschaften, Biochemie<br />
5<br />
Inhalt
<strong>Karriere</strong> in der Wissenschaft (Fortset<strong>zu</strong>ng)<br />
44 Prof. Ursula van Rienen, Universität Rostock, Prorektorin<br />
für Forschung und Forschungsausbildung<br />
45 Prof. Dr. med. Brigitte Vollmar, Universität Rostock, Institut<br />
für Experimentelle Chirurgie<br />
46 Zusammenfassung<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.<br />
51 Frauke Lietz, Die <strong>Kunst</strong> von <strong>Kunst</strong> <strong>zu</strong> leben<br />
Statements<br />
57 Peter Leonard, Intendant des Volkstheaters Rostock<br />
58 Miro Zahra, Freischaffende Künstlerin<br />
60 Zusammenfassung<br />
Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?<br />
66 Stephanie Nelles, Integrationsbeauftragte der Hansestadt Rostock<br />
Statements<br />
76 Viktoriya Boelck, H&F Industry Data GmbH, Kavelstorf<br />
77 Daniela Boltres, Sprachschule USUS<br />
79 Phuong Kollath, Interkulturelle Beratung und Training<br />
80 Stephanie Nelles, Integrationsbeauftragte der Hansestadt Rostock<br />
81 Cintia Vazquez, Cintia Paulina Vazquez / SIV AG, Roggentin<br />
Qualität vs. Quote?<br />
83 Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Justus-Liebig-Universität Gießen<br />
Statements<br />
96 Irmhild Düwel, AFZ – Aus- und Fortbildungszentrum<br />
Rostock GmbH<br />
96 Erwin Sellering, Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
98 Zusammenfassung<br />
6 Inhalt
Frauen in Führungs -<br />
posi tio nen<br />
Pflicht oder Kür?<br />
Agentur der Wirtschaft Rostock<br />
21. Juni 2011<br />
7
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth<br />
Landesfrauenrat <strong>MV</strong> e.V./<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> – Regionalstellen für<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt –<br />
Mittleres Mecklenburg<br />
Führungspositionen in M-V (und Deutschland)<br />
Frauen sind in den Führungsetagen deutscher Unternehmen immer<br />
noch stark unterrepräsentiert. In den 200 größten Unternehmen, die<br />
nicht im Finanzsektor tätig sind, sind 10,6 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder<br />
weiblich. 1 Dabei ist auffallend, dass sie vor allem als Arbeitnehmervertreterinnen<br />
in diese Position gelangt sind. Bei den Banken<br />
liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten bei 15,5 Prozent, bei den<br />
Versicherungen bei 13,5 Prozent. 2<br />
In den Top-200-Unternehmen sind 3,2 Prozent der Vorstands mitglieder<br />
weiblich. 3 Bei den 100 größten Banken sind es 1,9 Prozent, bei<br />
den 58 größten Versicherungen 2,4 Prozent. Dies ist bemerkenswert,<br />
da die meisten Beschäftigten im Finanzsektor weiblich sind.<br />
In den Vorständen der 30 DAX-Unternehmen lag der Frauenanteil<br />
im Jahr 2010 mit 2,2 Prozent noch einmal deutlich unter dem der<br />
Top 200-Unternehmen. <strong>Von</strong> den 182 Vorstandspositionen sind 4 mit<br />
Frauen besetzt. 4<br />
Im mittleren Management liegt der Frauenanteil deutschlandweit<br />
bei 15 Prozent in Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und<br />
bei 12 Prozent in Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. 5<br />
1 Holst, Elke/Schimeta, Julia: 29 von<br />
906: Weiterhin kaum Frauen in Top-<br />
Gre mien großer Unternehmen. Wochenbericht<br />
des DIW Berlin Nr. 3/2011. S. 3.<br />
2 Wippermann, Carsten: Frauen in<br />
Füh rungspositionen. Barrieren und<br />
Brücken. Studie der Sinus Sociovision<br />
GmbH im Auftrag des Bundesministeriums<br />
für Familie, Senioren, Frauen und<br />
Jugend. Heidelberg 2010. S. 77.<br />
3 Holst, Elke/Schimeta, Julia: 29 von<br />
906. a.a.O. S. 3.<br />
4 Ebd. 5.<br />
5 Wippermann, Carsten: Frauen in<br />
Führungspositionen. a.a.O. S. 78.<br />
8<br />
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth
Als Top-Management bezeichnet man in einem Unternehmen in der<br />
Regel den Vorstand bzw. die geschäftsführenden Direktoren sowie die<br />
Aufsichtsratsmitglieder. Zu ihren Aufgaben gehören die Festlegung<br />
der langfristigen Unternehmenspolitik, der strategischen Ziele sowie<br />
die Durchset<strong>zu</strong>ng einer entsprechenden Planung und Strukturierung.<br />
Das Top-Management vertritt das Unternehmen nach außen und ist<br />
Träger der Verantwortung für alle Aktivitäten des Unternehmens.<br />
Zum Mittleren Management gehören z.B. Betriebsleiterinnen und<br />
-leiter, Obermeisterinnen und Obermeister, Abteilungsleiterinnen<br />
und -leiter sowie Ressortchefinnen und -chefs. Sie sind für einen Teilbereich<br />
des Unternehmens <strong>zu</strong>ständig, z.B. Fertigung, Rechnungs wesen<br />
etc. Personen im Mittleren Management haben sowohl (höher gestellte)<br />
Vorgesetzte als auch eigene, ihnen hierarchisch nachgeordnete<br />
Mitarbeitende. 6<br />
<strong>Der</strong> Frauenanteil an Führungskräften beträgt in Mecklenburg-Vorpom<br />
mern im Top-Management 30 Prozent und im Mittleren Management<br />
47 Prozent. Gegenüber 2004 ist das ein Zuwachs von 2 bzw.<br />
4 Prozentpunkten. 7<br />
Branchen, in denen Frauen im Top-Management überproportional<br />
vertreten sind, sind Organisationen ohne Erwerbszweck (60 Prozent),<br />
Gesundheits- und Sozialwesen (54 Prozent) sowie Erziehung/Unterricht<br />
(73 Prozent). Am geringsten ist der Frauenanteil in den Branchen<br />
Bergbau/Energie/Wasser (5 Prozent) und Baugewerbe (8 Prozent). 8<br />
<strong>Der</strong> höchste Frauenanteil im Top-Management findet sich in<br />
Kleinst betrieben mit bis <strong>zu</strong> 4 Beschäftigten. Er liegt hier bei 36 Prozent.<br />
Am geringsten ist er bei Betrieben mit 5 bis 9 Beschäftigen<br />
(24 Pro zent) und steigt dann mit der Betriebsgröße auf 29 Prozent in<br />
Be trieben mit 250 oder mehr Beschäftigten an. 9<br />
6 Vgl. Gabler Verlag (Hrsg.): Gabler<br />
Wirtschaftslexikon. http://wirtschaftslexikon.gabler.de<br />
(24. Nov. 2011).<br />
7 Ministerium für Arbeit, Wirtschaft<br />
und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern<br />
(Hrsg.): IAB-Betriebspanel Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Ergebnisse d er<br />
13. Welle 2008. Berlin 2009. S. 73.<br />
8 Ebd. S. 72.<br />
9 Ebd. S. 72.<br />
9 Frauen in Führungspositionen – Pflicht oder Kür?
Gesetzliche Rahmenbedingungen<br />
Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind nicht einheitlich<br />
in einem Gesetz festgelegt, sondern finden sich in verschiedenen<br />
Gesetzen, Vereinbarungen und Festlegungen wieder.<br />
Grundlage für alle gleichstellungspolitischen Maßnahmen ist das<br />
Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2) und das Allgemeine Gleich behandlungsgesetz<br />
(AGG).<br />
Daran anknüpfend gibt es verschiedene Vereinbarungen für die<br />
Privatwirtschaft. Bereits im Juli 2001 schlossen die Bundesregierung<br />
und die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft eine Vereinbarung<br />
<strong>zu</strong>r Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Darin<br />
heißt es: „Die Bundesregierung und die Wirtschaftsverbände stimmen<br />
in dem Ziel überein, durch aktive betriebliche Fördermaßnahmen sowohl<br />
die Ausbildungsperspektiven und die beruflichen Chancen der<br />
Frauen als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter<br />
und Väter nachhaltig <strong>zu</strong> verbessern.“ 10<br />
Ergänzt wird diese Vereinbarung durch die gemeinsame Er klärung<br />
der 30 DAX-Unternehmen <strong>zu</strong> „Frauen in Führungs posi tio nen“<br />
vom Oktober 2011, in der es heißt: „Die 30 DAX-Unter nehmen setzen<br />
sich für die Erhöhung des Anteils von Frauen in Füh rungs positionen,<br />
Chan cen gleichheit sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie als<br />
wich tigen Bestandteil des Diversity-Managements ein. […] Die 30 DAX-<br />
Unternehmen setzen auf die freiwillige Selbstverpflichtung als den<br />
zielführenden und nachhaltigen Weg, der eine gesetzliche Regelung<br />
entbehrlich macht.“ 11<br />
Neben diesen Vereinbarungen spielt der Corporate-Governance-<br />
Ko dex eine wichtige Rolle. Dieser wurde 2002 erstmals verabschiedet<br />
und enthält wesentliche Vorschriften <strong>zu</strong>r Leitung und Überwachung<br />
deutscher börsennotierter Gesellschaften. Zudem sind international<br />
10 Vereinbarung zwischen der Bundesregierung<br />
und den Spitzenverbänden<br />
der deutschen Wirtschaft <strong>zu</strong>r Förderung<br />
der Chancengleichheit von Frauen und<br />
Männern in der Privatwirtschaft. Abs. 3.<br />
11 Frauen in Führungspositionen.<br />
Status Quo und Zielset<strong>zu</strong>ngen der 30<br />
DAX-Unternehmen. Oktober 2011.<br />
10<br />
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth
Publikum in der Agentur der<br />
Wirtschaft<br />
und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller<br />
Unternehmensführung festgelegt. Die Regierungskommission Deutscher<br />
Corporate-Governance-Kodex, die den Kodex erstellt, nahm im<br />
Mai 2010 erstmals eine Diversity-Empfehlung auf, um so den An teil<br />
von Frauen und internationalen Vertreterinnen und Vertretern in<br />
Aufsichtsräten und Vorständen <strong>zu</strong> erhöhen.<br />
Ursachen<br />
Fragt man nach den Ursachen für die wenigen Frauen in Führungspositionen,<br />
zeigt sich relativ schnell, dass es mehrere Faktoren gibt,<br />
die Frauen am Aufstieg hindern.<br />
Zunächst ist hier die so genannte „gläserne Decke“ <strong>zu</strong> benennen.<br />
Darunter versteht man das Phänomen, dass hochqualifizierte Frauen<br />
relativ problemlos bis ins Mittlere Management aufsteigen können,<br />
dann jedoch dort „hängen bleiben“, und ihre männlichen Kollegen –<br />
trotz geringerer Qualifikation – bevor<strong>zu</strong>gt werden.<br />
Eng verbunden mit der „gläsernen Decke“ sind traditionelle Rollen<br />
bilder und -klischees, wonach „die Frau“ ihren Lebensmittel punkt<br />
vor allem <strong>zu</strong> Hause an Heim und Herd hat, während „der Mann“ als<br />
Ernährer der Familie arbeiten geht und das Geld verdient. Damit einher<br />
gehen geschlechtsbezogene Eigenschaften und Vorstellungen<br />
davon, welche Fähigkeiten notwendig sind, um im Geschäftsleben<br />
11 Frauen in Führungspositionen – Pflicht oder Kür?
erfolgreich <strong>zu</strong> sein. „Die Assoziierung von starken Führungsqualitäten<br />
und geschäftlichen Kompetenzen mit stereotypen männlichen Eigenschaften<br />
macht Frauen […] das Leben schwer[.]“ 12<br />
In der Diskussion und in der Forschung wird <strong>zu</strong>nehmend darauf<br />
hingewiesen, dass auch Vorbilder von Frauen in Führungspositionen<br />
eine wichtige Rolle spielen. „Frauen in den Führungspositionen von<br />
Unternehmen – sofern vorhanden! – ziehen talentierte Frauen nach<br />
sich, sie wirken insofern als ‚Magneten‘: Das Unternehmen signa li siert<br />
weiblichen Nachwuchskräften auf diese Weise, dass Auf stiegs mög lichkeiten<br />
bestehen.“ 13<br />
Teilzeitbeschäftigung ist immer noch ein Hindernis für den Aufstieg,<br />
auch wenn inzwischen schon erfolgreiche Modelle <strong>zu</strong>r Führung<br />
in Teilzeit entwickelt wurden. Eng verbunden damit ist die immer<br />
noch vorherrschende „Anwesenheitskultur“ in Unternehmen. Es wird<br />
er wartet, dass eine Führungskraft mindestens 40 Stunden in der Woche<br />
arbeitet und dies – vor<strong>zu</strong>gsweise – im Büro.<br />
Kompetente und hoch qualifizierte Frauen unter 40 Jahren werden,<br />
wenn sie (noch) keine Kinder haben, als potenzielles Risiko angesehen,<br />
denn es besteht die „Gefahr“ einer möglichen Schwangerschaft<br />
– und damit einer längeren Ausfallzeit. Bei jungen Männern bzw.<br />
Vätern spielt dies noch eine untergeordnete Rolle.<br />
Was könnten weitere Ursachen sein? Die Vereinbarkeit von Erwerbs-<br />
und Privatleben ist nur für wenige Führungskräfte eine unüberbrückbare<br />
Herausforderung. Auch Berufsunterbrechungen können<br />
durchaus förderlich für die <strong>Karriere</strong> sein. Die Frage nach der<br />
Lei s tung wird sehr unterschiedlich beantwortet. Während Frauen<br />
über wiegend der Meinung sind, mehr leisten <strong>zu</strong> müssen, sehen Männer<br />
dies anders. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit Frauen sich<br />
an dieser Stelle auch selbst unter Druck setzen.<br />
12 Europäische Kommission (Hrsg.):<br />
Mehr Frauen in Führungspositionen.<br />
Ein Schlüssel <strong>zu</strong> wirtschaftlicher<br />
Stabilität und Wachstum. Luxemburg<br />
2010. S. 36.<br />
13 Bayerisches Staatsministerium für<br />
Arbeit und Sozialordnung, Familie und<br />
Frauen: Frauen in Führungspositionen.<br />
München 2009. S. 12.<br />
12<br />
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth
Initiativen<br />
2005 entstand der Verein FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte). Er<br />
wurde von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Politik gegründet und versteht sich als überparteiliche und überregionale<br />
Initiative. Ziel ist es, den Frauenanteil in Aufsichtsräten<br />
deutscher Kapitalgesellschaften deutlich und nachhaltig <strong>zu</strong> erhöhen.<br />
Im Jahr 2009 startete das Bundesministerium für Arbeit und<br />
So zi a les (BMAS) die Initiative „Gleichstellen – Bundesinitiative für<br />
Frau en in der Wirtschaft“, die gemeinsam mit dem Deutschen Gewerk<br />
schaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Arbei t geber<br />
verbände (BDA) entwickelt wurde. Daraus werden in Meck lenburg-Vorpommern<br />
verschiedene Projekte gefördert: FaPe – Flexibel<br />
ar beiten, Perspektiven erhöhen (Unternehmerverband Nord deutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.), Female Professionals (Arbeit und<br />
Leben e.V.), Frauen fördern – Unternehmen stärken (itf Schwerin),<br />
Frauenpower (ABG Neubrandenburg), ProDomo (Agentur der Wirtschaft)<br />
und Starke Frauen in starken Positionen (BilSE).<br />
Neben diesen Projekten gibt es in Mecklenburg-Vorpommern in<br />
2 Prozent der Privatbetriebe und in 19 Prozent der Betriebe im öffentlichen<br />
Eigentum formale Vereinbarungen <strong>zu</strong>r Förderung der Chan cengleichheit.<br />
Das Fachkräftebündnis in Mecklenburg-Vorpommern verfolgt<br />
das Ziel, Fachkräfte in Mecklenburg-Vorpommern <strong>zu</strong> entwickeln und<br />
<strong>zu</strong> halten. Da<strong>zu</strong> wurde als eine Maßnahme die Erhöhung des Anteils<br />
von Frauen in Führungspositionen benannt. Zu dem Fach kräf te -<br />
bündnis gehören u.a. die Landesregierung, der DGB und die Unterneh<br />
merverbände.<br />
Auch das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich <strong>zu</strong> dieser<br />
Fra ge positioniert und bereits im November 2010 einen Land tags be -<br />
schluss gefasst, in dem die Landesregierung aufgefordert wird, „bei<br />
der durch das Land vor<strong>zu</strong>nehmenden Beset<strong>zu</strong>ng von Auf sichts rats -<br />
gremien in landeseigenen Unternehmen bei gleichen fachlichen Vo r-<br />
ausset<strong>zu</strong>ngen Frauen den Vorrang ein<strong>zu</strong>räumen, so lange signifikant<br />
13 Frauen in Führungspositionen – Pflicht oder Kür?
weniger Frauen als Männer in den entsprechenden Gre mien vertreten<br />
sind.“ 14 Dies wurde durch den Koalitionsvertrag 2011 bis 2016 noch<br />
einmal präzisiert. Darin heißt es: „In Gremien und Auf sichtsräten, an<br />
denen das Land beteiligt ist, wird das Land die ihm <strong>zu</strong>r Verfügung<br />
stehenden Sitze <strong>zu</strong> gleichen Anteilen mit Männern und Frauen besetzen.“<br />
15<br />
Schlussbemerkung<br />
Die oben aufgeführten Daten und Fakten <strong>machen</strong> sehr deutlich:<br />
Frauen sind sowohl in deutschen als auch in den Führungspositionen<br />
der Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern unterrepräsentiert.<br />
Ganz unbesehen ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass mehr<br />
Frauen eine Führungsposition übernehmen sollten. Gleichzeitig dürfte<br />
jedoch auch klar sein, dass dies allein keinen hinreichenden Anreiz<br />
bietet, hier die Zahlen <strong>zu</strong> erhöhen. Unternehmen geht es in erster<br />
Linie um Wirtschaftlichkeit, um eine positive Bilanz, um Wachs tum.<br />
Dementsprechend stellt sich die Frage: Sind Frauen in Füh rungs positionen<br />
ein Wettbewerbsvorteil? Verschiedene Untersuchung, z.B.<br />
renommierter Unternehmens beratungen wie McKinsey & Company,<br />
bejahen dies sehr deutlich, vor allem, wenn gemischte Teams, also<br />
Frauen und Männer, gemeinsam agieren.<br />
Frauen in Führungspositionen bringen neue Perspektiven ein,<br />
die sich – in Verbindung mit männlichen Sichtweisen – positiv auf<br />
die Unternehmensbilanz auswirken. Die oft als „mögliche Probleme“<br />
deklarierten Fragen, wie Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben,<br />
Kontinuität in der Berufsbiografie und ähnliches, stellen sich bei genauerer<br />
Betrachtung als <strong>zu</strong> meisternde Herausforderungen dar.<br />
14 Landtag Mecklenburg-Vorpommern<br />
(Hrsg.): Frauenanteil in Aufsichtsratsgremien<br />
landeseigener Unternehmen<br />
erhöhen. Antrag der Fraktionen SPD<br />
und CDU vom 3. November 2010.<br />
15 Koalitionsvereinbarung zwischen<br />
SPD und CDU Mecklenburg-Vorpommern<br />
für die 6. Legislaturperiode 2011-<br />
2016. Schwerin, 24. Oktober 2011. S. 10.<br />
14<br />
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth
Podiumsdiskussion in der Agentur<br />
der Wirtschaft<br />
Frauen haben den Mut und das Wissen, um Führungspositionen in<br />
der Privatwirtschaft <strong>zu</strong> übernehmen. Sie stellen einen erheblichen Teil<br />
des Fach kräftepotenzials dar. Und aus Unternehmenssicht ist es besser,<br />
sich jetzt die (weiblichen) Fachkräfte aus<strong>zu</strong>suchen, bevor diese<br />
sich die Unter nehmen aussuchen.<br />
15 Frauen in Führungspositionen – Pflicht oder Kür?
Bernd Heiden<br />
Geschäftsführer der Agentur der Wirtschaft<br />
Für junge Frauen ist es heut<strong>zu</strong>tage selbstverständlich, einen Beruf <strong>zu</strong><br />
erlernen und aus<strong>zu</strong>üben. Viele Schulabgängerinnen sind ehrgeizig<br />
und absolvieren anspruchsvolle Studiengänge mit hervorragenden<br />
Abschlüssen. Trotzdem streben nur wenige Frauen eine <strong>Karriere</strong> mit<br />
verantwortungsvollen, gut bezahlten Führungspositionen an. Warum<br />
ist das so? Sicher, die <strong>zu</strong>m Teil ungünstigen Rahmenbedingungen wie<br />
ungenügende Kinderbetreuung, männlich geprägte Strukturen sowie<br />
veraltete Geschlechterstereotypen spielen eine Rolle. Politik und<br />
Wirtschaft haben sich dieser Themen aber offensiv angenommen und<br />
spürbare Veränderungen am Arbeitsmarkt eingeleitet, um weibliche<br />
Talente <strong>zu</strong> fördern.<br />
Bleibt die Frage, wie Frauen diese Angebote annehmen. Die Praxis<br />
zeigt, dass es mit dem Aufruf „Frauen erwünscht“ nicht getan<br />
ist. Das Streben nach Führungspositionen und die Bereitschaft, Führungs<br />
verantwortung <strong>zu</strong> übernehmen, sind bei Frauen noch immer<br />
wenig im Bewusstsein verankert. Damit Frauen Lust auf <strong>Karriere</strong> bekommen,<br />
ist bei Mitarbeiterinnen deutlich mehr Entwicklungs- und<br />
Unterstüt<strong>zu</strong>ngsarbeit <strong>zu</strong> leisten als bei männlichen Kollegen.<br />
Unternehmen sind deshalb gut beraten, Frauen gezielt <strong>zu</strong> ermutigen,<br />
Führungskompetenzen aus<strong>zu</strong>prägen. Durch geschlechtsspezi fische<br />
Personalentwicklungsmaßnahmen wie Führungskräftetraining,<br />
Mentoring und Coaching können die Türen <strong>zu</strong>r Chefetage für Frauen<br />
geöffnet und Führungspositionen für Frauen mit Potenzial nicht nur<br />
als Pflicht, sondern als Kür attraktiv werden.<br />
16<br />
Statement Bernd Heiden
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth<br />
Landesfrauenrat <strong>MV</strong> e.V./<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> – Regionalstellen für<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt –<br />
Mittleres Mecklenburg<br />
Führungspositionen sind attraktiv. Sie sind verbunden mit Verant wortung,<br />
Geld, Macht und Prestige. Und: Sie werden überwiegend von<br />
Män nern eingenommen. Daran haben sämtliche Initiativen, die in den<br />
letz ten Jahren angedacht wurden, nichts geändert.<br />
Dabei sind die Argumente der Unternehmen immer gleich:<br />
Frau en können nicht, Frauen wollen nicht. Das ist schwer nachvollziehbar,<br />
ist doch derzeit die am besten ausgebildete Frauengeneration<br />
„auf dem Markt“. Und auch die Rahmenbedingungen sind bedeutend<br />
besser, so dass eine Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben keine<br />
unüberwindbare Hürde mehr darstellt. Und dennoch gibt es wenige<br />
Frauen in Führungspositionen.<br />
Sicherlich ist nicht jede Frau für eine Führungsposition geeignet,<br />
aber wie schon Aenne Brauksiepe 1960 sagte: „Freilich, nicht jede, die<br />
dann mitarbeitet, wird eine Maria-Theresia sein, aber es ist ja auch<br />
nicht jeder […] Mann ein Friedrich der Große.“<br />
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass der Frauenanteil in Führungs<br />
positionen erhöht werden muss. Aber es ist auch eine wirtschaftliche<br />
Notwendigkeit, vor allem im Hinblick auf die derzeitige demografische<br />
Entwicklung und den damit verbundenen Fachkräftemangel.<br />
Und wenn dann noch die Untersuchungsergebnisse renommierter<br />
Institute hin<strong>zu</strong>gezogen werden, wonach sich Frauen in Führungs posi<br />
tionen positiv auf die Unternehmensbilanz auswirken, stellt sich<br />
wirklich die Frage, warum es nur so schleppend vorangeht und vor allem,<br />
wie lange sich die Wirtschaft ein derartiges Gebaren noch leisten<br />
kann.<br />
17<br />
Statement Dr. Cathleen Kiefert-Demuth
Zusammenfassung<br />
11 Prozent Frauen in deutschen Aufsichtsräten, 3 Prozent in deutschen<br />
Vorständen, Quote vs. Selbstverpflichtung – die Diskussion um Frauen<br />
(auf dem Weg) in Führungspositionen nimmt einen großen Raum in<br />
der Öffentlichkeit ein. Dabei stehen vor allem Frauen in der Privat wirtschaft<br />
im Rampenlicht.<br />
Bei der Beset<strong>zu</strong>ng von Führungspositionen werden auch in Mecklen<br />
burg-Vorpommern Frauen immer noch <strong>zu</strong> selten berücksichtigt, obwohl<br />
sie häufig hoch qualifiziert und motiviert sind.<br />
Dementsprechend stellte die Auftaktveranstaltung <strong>zu</strong>r Reihe „<strong>Von</strong><br />
der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“ die Frage: „Frauen in Führungs po sitio<br />
nen – Pflicht oder Kür?“ und widmete sich der Thematik „Chan cengleichheit<br />
und Führungspositionen in der Wirtschaft“. Die Mode ration<br />
übernahm Heidemarie Kinzler (Agentur der Wirtschaft).<br />
Dr. Cathleen Kiefert-Demuth von der Impuls <strong>MV</strong> Regionalstelle<br />
Mittleres Mecklenburg hielt das Einstiegsreferat und informierte über<br />
aktuelle Daten, Studienergebnisse und Initiativen <strong>zu</strong>m Thema Frauen<br />
in Führungspositionen.<br />
Anschließend diskutierte sie gemeinsam mit Sigrid Hecht (Betriebs<br />
leiterin der Kommunalen Objektbewirtschaftung und -entwicklung<br />
der Hansestadt Rostock), Bernd Heiden (Geschäftsführer der<br />
Agen tur der Wirtschaft), Wolfgang Kautz (Leiter der Liebherr-Aka de -<br />
mie) und Jutta Reinders (Regionssekretärin beim DGB Nord) <strong>zu</strong>r Si tua<br />
tion in den Unternehmen, <strong>zu</strong>m eigenen <strong>Karriere</strong>weg und <strong>zu</strong>r Frage,<br />
ob Mitarbeitende eine Verpflichtung haben, Füh rungs ver ant wortung<br />
<strong>zu</strong> übernehmen.<br />
Auch die mehr als 20 Zuhörenden beteiligten sich rege an der<br />
Dis kussion. Dabei wurden sowohl Themen wie Berufswahlverhalten<br />
von Mädchen als auch Fragen nach den Eigenschaften, die eine Führungsperson<br />
haben muss, angeschnitten.<br />
18<br />
Zusammenfassung
Frauen Macht Politik<br />
Rathaus Rostock<br />
23. August 2011<br />
19
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer<br />
Universität Rostock, Institut für Politik- und Verwaltungs -<br />
wissenschaften<br />
Präsenz von Frauen in der Politik<br />
Frauen sind in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert. <strong>Der</strong> Frauenanteil<br />
in den Parteien reicht von 19 Prozent bei der CSU bis <strong>zu</strong> 44 Pro -<br />
zent in der Linkspartei. Mit anderen Worten, Frauen engagieren sich<br />
weniger in formellen politischen Organisationen als Männer. Die Bundesrepublik<br />
ist eine Parteiendemokratie. Um auf Bundes- bzw. Landesebene<br />
in eine politische Position <strong>zu</strong> gelangen, muss man in der Regel<br />
Mitglied einer Partei sein – das bedeutet, dass das Reservoir an potenziellen<br />
Kandidatinnen für politische Ämter bereits auf dieser Ebene<br />
kleiner ist. Das führt da<strong>zu</strong>, dass junge Nachwuchspolitikerinnen gute<br />
Chancen haben, eine politische <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> starten, ein Beispiel dafür<br />
ist Manuela Schwesig.<br />
Etwas anders sieht es auf kommunaler Ebene aus. Da ist eine for -<br />
melle Parteimitgliedschaft für die Bewerbung um eine politische Po si -<br />
tion nicht zwingend notwendig. Aber auch auf dieser Ebene sind<br />
Frauen unterrepräsentiert.<br />
Diese Unterrepräsentanz setzt sich in den politischen Institutionen<br />
wie dem Bundestag, der Bundesregierung, den Landtagen und<br />
den kommunalen Parlamenten fort.<br />
Im Landtag Mecklenburg-Vorpommern sind z.B. nur 16 von 71<br />
Ab geordneten weiblich, das entspricht einem Anteil von lediglich<br />
22,5 Prozent. 1 Die Schalthebel der Macht liegen in Mecklenburg-Vorpommern<br />
<strong>zu</strong> 78 Prozent in den Händen von Männern. 2 So werden<br />
sechs von neun Ministerien von Männern geleitet und unter den<br />
1 Vgl. Eigene Berechnungen nach:<br />
Abgeordnete des Landtages, unter:<br />
http://www.landtag-mv.de/landtag/abgeordnete/name.html<br />
(17.08.2011)<br />
2 Vgl. DGB fordert Frauenquote<br />
in Chefetagen, in: Ostseezeitung,<br />
17.08.2011, S. 5.<br />
20<br />
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
Podiumsdiskussion im Rostocker<br />
Rathaus<br />
zehn Staatssekretären befindet sich lediglich eine Frau, die Parla mentarische<br />
Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung. 3<br />
In der Rostocker Bürgerschaft haben wir einen Frauenanteil von<br />
knapp 35 Prozent und von vier Senatorenposten ist nur einer mit einer<br />
Frau besetzt.<br />
Auf der Bundesebene sieht es nicht anders aus. <strong>Der</strong> Bundestag<br />
setzt sich derzeit nur <strong>zu</strong> einem knappen Drittel (32,8 Prozent) aus<br />
Frauen <strong>zu</strong>sammen. 4 Das Bundeskabinett besteht neben der Bundeskanz<br />
lerin aus fünf Ministerinnen und zehn Ministern. Männer haben<br />
<strong>zu</strong> dem nach wie vor die wichtigsten Ministerien in der Hand (Innen-,<br />
Außen-, Finanz-, Wirtschaftsministerium).<br />
Auch in der 2. Reihe zeigt sich, dass Frauen unterrepräsentiert<br />
sind. So stehen sieben Staats sek re tärinnen 35 Staatssekretäre gegenüber,<br />
d.h. Frauen besetzen nicht einmal ein Fünftel dieser wichtigen<br />
politischen Positionen. 5 Ihr Ein fluss hat sich in den letzten Jahren wieder<br />
deutlich verringert.<br />
3 Eigene Berechnungen nach: http://<br />
www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/de/start/<br />
index.jsp (17.08.2011).<br />
5 Eigene Berechnungen nach: http://<br />
www.bundesregierung.de/Webs/Breg/<br />
DE/Bundesregierung/Bundeskabinett/<br />
bundeskabinett.html (17.08.2011).<br />
4 Vgl. http://www.bundestag.de/<br />
bundestag/abgeordnete17/mdb_zahlen/<br />
frauen_maenner.html (17.08.2011).<br />
21 Frauen Macht Politik
<strong>Karriere</strong>hemmnisse<br />
Warum ist das so? Haben es Frauen prinzipiell schwerer, in der Politik<br />
<strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>? Gibt es Mechanismen, um sie von der Macht fern<br />
<strong>zu</strong> halten? Kümmern sich Frauen <strong>zu</strong> wenig um die eigene <strong>Karriere</strong><br />
oder haben sie „Angst vor der Macht“ und halten sich daher eher im<br />
Hinter grund?<br />
Interne Faktoren<br />
Ich möchte an den Anfang meiner Überlegungen ein etwas längeres<br />
Zitat stellen, das ich vor einigen Wochen gefunden habe. Unter dem<br />
Titel „Zehn Dinge, die Frauen ändern sollten“ heißt es da u.a.:<br />
„Während Frauen das Sozialleben der Familie bestens im Griff<br />
haben, netzwerken sie im Beruf [da<strong>zu</strong> gehört auch der der Politikerin;<br />
Anm. d. Verf.] oft in die falsche Richtung. …Frauen knüpfen Kontakte<br />
oft nicht mit dem Ziel, sich beruflich unter die Arme <strong>zu</strong> greifen, sondern<br />
um sich emotional <strong>zu</strong> unterstützen. Das „Saufen für die <strong>Karriere</strong>“<br />
nach Dienstschluss fällt für viele Frauen flach, weil <strong>zu</strong> Hause schon<br />
die Kinder warten. …Und jene Bindungen, die Frauen eingehen, sind<br />
häufig nicht die, die einen weiterbringen. …Frauen suchen auch im<br />
Beruf ein Vertrauen, das mit Nähe und Freundschaft <strong>zu</strong> tun hat. Was<br />
Männer miteinander teilen, sind Zweckgemeinschaften.“ 6<br />
Weiter heißt es in dem Artikel: „Frauen haben die Tendenz, sich<br />
in Gesprächen stärker mit ihren Schwächen und Problemen dar<strong>zu</strong>stellen,<br />
als ihre Stärken <strong>zu</strong> präsentieren. Sie definieren sich viel <strong>zu</strong> we nig<br />
über ihre Erfolge. Frauen untereinander …finden das sympathisch.<br />
Aber Ehrlichkeit und Understatement erweisen sich häufig als Hemms<br />
chuhe für die <strong>Karriere</strong>. Bei Männern ist das genau umgekehrt.“ 7 Am<br />
Ende bekommt der die Führungsposition, der laut artikuliert, dass er<br />
6 Hierländer, Jeaninnine; Zirm, Jakob:<br />
Zehn Dinge, die Frauen ändern sollten.<br />
Unter: http://diepresse.com/home/wirt-<br />
schaft/international/639589/Zehn-<br />
Dinge-die-Frauen-aendern-sollten<br />
(16.08.2011)<br />
7 Ebenda.<br />
22<br />
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
sich dafür geeignet hält. Diese Form der Selbstdarstellung wird von<br />
Frauen in der Regel nicht bevor<strong>zu</strong>gt oder sogar als unschicklich abgelehnt.<br />
Frauen gehen eher davon aus, dass sie nur über Leistung nach<br />
oben kommen. Aber <strong>Karriere</strong> funktioniert nur, wenn ich gezielt anmelde,<br />
dass ich etwas werden will. Frauen „warten und hoffen, dass<br />
die anderen schon spüren, wie gut man ist“. Das klappt in der Praxis<br />
allerdings nur selten. Man muss den Mund auf<strong>machen</strong> und sagen:<br />
Schau, hier bin ich, und ich möchte meine Kompetenz einsetzen. 8<br />
Da<strong>zu</strong> gehört sicher Mut, Durchset<strong>zu</strong>ngsvermögen und eine gewisse<br />
Por tion Risikobereitschaft – Eigenschaften, die im politischen Geschäft<br />
unabdingbar sind.<br />
Es reicht also nicht aus, dass Frauen „unbedingten Leistungs willen,<br />
grenzenlose Anpassungsbereitschaft und Härte gegen sich selbst“ 9<br />
entwickeln, sondern sie müssen „eigene Maßstäbe setzen, statt die<br />
Maß stäbe anderer <strong>zu</strong> erfüllen“. 10 Erst dann haben sie die Chance, von<br />
ih ren männlichen Kollegen als (potenzielle) politische Führungskräfte<br />
ak zeptiert <strong>zu</strong> werden.<br />
Darüber hinaus stellen die Autoren fest, dass „Frauen … allgemein<br />
stärkere Zweifel [haben; Anm. d. Verf.], wenn es da<strong>zu</strong> kommt, Macht<br />
und Einfluss aus<strong>zu</strong>üben. …Frauen streben zwar nach Einfluss, bremsen<br />
aber oft im entscheidenden Moment, weil sie beispielsweise Konflikte<br />
scheuen.“ 11<br />
Haben wir damit eine Erklärung für die Schwierigkeiten gefunden,<br />
die Frauen haben, wenn sie in der Politik <strong>Karriere</strong> <strong>machen</strong> wollen?<br />
Ich glaube schon, dass das einige der wichtigsten Gründe sind.<br />
Es ist nun einmal so, dass sich Frauen, die in der Politik <strong>Karriere</strong> <strong>machen</strong><br />
wollen, in Institutionen bewegen, die männlich geprägt sind.<br />
Frauen müssen Regeln und Rituale erlernen, die von Männern aufgestellt<br />
wur den bzw. praktiziert werden. 12 Vernachlässigen sie dies, wird<br />
8 Ebenda.<br />
9 Buchhorn 2006, 187.<br />
11 Ebenda.<br />
12 Hoecker 2007, S. 58ff.<br />
10 Ebenda.<br />
23 Frauen Macht Politik
Publikum im Rostocker Rathaus<br />
es für sie schwer, die <strong>Karriere</strong>leiter <strong>zu</strong> erklimmen, „und nach wie<br />
vor gilt: Je höher die politische Ebene, desto dünner ist die Luft für<br />
Frauen.“ 13<br />
Externe Faktoren<br />
Wenn Frauen in der Politik <strong>Karriere</strong> <strong>machen</strong> wollen, geraten sie in ei -<br />
ne „paradoxe“ Situation. „Auf der einen Seite werden an sie Er wartungen<br />
herangetragen, die sich aus dem Bild von der Politik ergeben, das<br />
Wählerschaft, Medien und Kollegen haben; Auf der anderen Seite setzen<br />
sie sich Vorwürfen aus, wenn sie Weiblichkeit hinten an stellen<br />
und sich all<strong>zu</strong> männlich geben.“ 14<br />
Da das Bild, das Wählerinnen und Wähler von der Politik und<br />
Poli tikerinnen haben, in der Regel von den Medien erzeugt bzw. beeinflusst<br />
wird, müssen Politikerinnen den Umgang mit ihnen erler nen.<br />
Medien berichten über weibliche Politiker anders als über Männer. So<br />
spielen bei Berichten über Politikerinnen deren Aussehen und Privatleben<br />
eine gewichtigere Rolle als ihre politischen Anliegen. „Das bedeutet,<br />
dass für Politikerinnen Kriterien <strong>zu</strong>r Bewertung herangezogen<br />
13 Holtz-Bacha, Christina: Politikerinnen-Bilder<br />
im internationalen Vergleich.<br />
In: Aus Politik und Zeitgeschichte,<br />
50/2009.<br />
14 Holtz-Bacha 2007, S. 93.<br />
24<br />
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
werden, die sich nicht am konkreten politischen Stil und Inhalt orientieren<br />
und bei Politikern kaum eine Rolle spielen. Solche Unterschiede<br />
in der Berichterstattung <strong>machen</strong> Frauen den Aufstieg in der Politik<br />
schwer.“ 15<br />
„Dass in der Gesellschaft bestimmte Vorstellungen über die Geschlechter<br />
bestehen, ist gewiss. Mit ihnen verbinden sich bestimmte<br />
Er wartungen an Verhalten, Kompetenzen und äußerliche Erscheinung.<br />
Solche Vorstellungsbilder sind kulturabhängig. Für Frauen, die in der<br />
Politik <strong>Karriere</strong> <strong>machen</strong> wollen, liegt die Herausforderung darin, mit<br />
den gesellschaftlichen Rollenerwartungen um<strong>zu</strong>gehen. Da die Poli tik<br />
bis heute von Männern dominiert ist und Frauen auf politischen Spitzenpositionen<br />
nach wie vor die Ausnahme sind, fehlen die Er fah rungen<br />
für geeignete Strategien. Das bedeutet, Politikerinnen, die in den<br />
Wahlkampf ziehen, können kaum auf bewährte Rezepte <strong>zu</strong>rückgreifen,<br />
sondern begeben sich auf eine ungewisse Gratwanderung zwischen<br />
konkurrierenden Erwartungen, die sich aus dem double bind<br />
ableiten“ 16 , also aus dem Bild, das Wählerinnen und Wähler von weiblichem<br />
Verhalten haben und den Anforderungen, die sie an Politiker<br />
stellen.<br />
Schlussbemerkungen<br />
Zum Schluss möchte ich sowohl <strong>zu</strong>sammenfassen als auch auf einige<br />
Aspekte eingehen, die ich bisher nicht erwähnt habe, die ich aber doch<br />
für wichtig halte, weil sie die Entscheidung, in „die Politik <strong>zu</strong> gehen“,<br />
beeinflussen:<br />
(1) Die <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> in der Politik <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>, stellt hohe Anforde<br />
rungen an die Frauen, die diesen Weg gehen wollen.<br />
(2) Politische <strong>Karriere</strong>n sind abhängig von den Wahlerfolgen der<br />
eige nen Partei, von den internen Machtverhältnissen etc.<br />
15 Ebenda. 16 Ebenda.<br />
25 Frauen Macht Politik
(3) Politische <strong>Karriere</strong>n können nach vier oder fünf Jahren abrupt<br />
enden – Risiko!<br />
(4) Politische <strong>Karriere</strong>n bedeuten immer auch eine hohe zeitliche<br />
Belastung, die oft <strong>zu</strong> Lasten des Berufs- und Privatlebens geht.<br />
Ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker opfern nicht selten<br />
ihre gesamte Freizeit ihrem Mandat.<br />
Diese Faktoren haben sowohl für männliche als auch für weibliche<br />
Politiker Geltung. Sie erklären allerdings auch, dass die Entscheidung,<br />
eine politische <strong>Karriere</strong> an<strong>zu</strong>streben, eine Entscheidung ist, die auch<br />
die Familie und das Privatleben betrifft. Dabei scheinen sich Frauen<br />
schwerer <strong>zu</strong> tun als Männer.<br />
Wir werden das politische Geschäft kurz- und mittelfristig nicht<br />
so verändern können, dass das Problem der Vereinbarkeit von Mandat,<br />
Beruf und Privatleben gelöst wird – ich verweise in diesem Zusammen<br />
hang nur auf die Tatsache, dass es für Politikerinnen, die während<br />
ihrer Amtszeit Mütter werden, nicht einmal möglich ist, in Elternzeit<br />
<strong>zu</strong> gehen!<br />
Was allerdings möglich ist und nur durch die stärkere Präsenz<br />
von Frauen in der Politik erreicht werden kann, ist eine Veränderung<br />
der öffentlichen Wahrnehmung von Politikerinnen und die Vermittlung<br />
der Erkenntnis, dass Frauen in der Politik viel bewirken können.<br />
Daher ist es wichtig, dass mehr Frauen den Weg in die Politik wagen<br />
und die <strong>Kunst</strong>, in der Politik <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>, erlernen. Talente<br />
gibt es sicher genug!<br />
26<br />
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
Drei Fragen an Karina Jens, CDU<br />
1. Nennen Sie bitte die drei wichtigsten Gründe, weshalb Sie in Ihrer<br />
heutigen politischen Führungsposition sind.<br />
Als ich 1991 nach Mecklenburg-Vorpommern kam, war vieles im Umbruch,<br />
so dass ich früh große Verantwortung übernehmen konnte.<br />
Die Hansestadt Rostock als größte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns<br />
hat für mich ein beeindruckendes Potenzial und eine spannende Entwicklung<br />
genommen.<br />
Ein weiterer Grund für meine heutige politische Stellung war natürlich<br />
der Wille, Politik aktiv mitgestalten <strong>zu</strong> wollen und Strukturen<br />
<strong>zu</strong> entwickeln. Zum einem besaß ich eine qualifizierte Ausbildung und<br />
konnte die Möglichkeit nutzen, mich beruflich ein<strong>zu</strong>bringen, <strong>zu</strong>m anderen<br />
war ich einfach <strong>zu</strong>r richtigen Zeit am richtigen Ort.<br />
2. Wie sollten Ihrer Meinung nach Strukturen aussehen, um mehr<br />
Frauen für politisches Engagement <strong>zu</strong> gewinnen?<br />
Frauen müssen ermutigt und gestärkt werden, sich politisch <strong>zu</strong> enga<br />
gieren. Da<strong>zu</strong> benötigen sie mehr Informationen über die Rahmenbe<br />
dingungen und konkrete Ansprechpartner sowie Netzwerke für<br />
den Erfahrungsaustausch. Aufgabe der Parteien ist es, den Kontakt <strong>zu</strong><br />
akti ven Politikerinnen <strong>zu</strong> vermitteln. Aber auch zivilgesellschaft li che<br />
Organisationen, Vereine und Verbände sollten ihren Beitrag da <strong>zu</strong> leisten,<br />
mehr Frauen in Führungspositionen <strong>zu</strong> bringen und so für Poli<br />
tik <strong>zu</strong> begeistern. Da<strong>zu</strong> gehören selbstverständlich die Frauen or ga -<br />
nisationen, in denen „frau“ Mitglied sein kann, auch oh ne gleichzei tig<br />
dieser Partei angehören <strong>zu</strong> müssen. Ebenso bedeu tend sind das Selbstvertrauen<br />
und das Selbstverständnis von Frauen, sich einbringen <strong>zu</strong><br />
wollen. Dies gilt es <strong>zu</strong> fördern und <strong>zu</strong> stärken. Poli tisches Enga gement<br />
erfordert <strong>zu</strong>erst einmal nur „gesunden Menschen ver stand“ und die<br />
Bereitschaft, sich in die Thematik ein arbeiten <strong>zu</strong> wollen.<br />
27<br />
Statement Karina Jens
Auf kommunaler Ebene kann dies <strong>zu</strong>m Beispiel in einem Ortsbeirat<br />
oder als sachkundige Einwohnerin in der Bürger schaft geschehen.<br />
3. Welche Strategien/Maßnahmen ergreift die Partei <strong>zu</strong>r Beförderung<br />
von Frauen <strong>zu</strong>r Übernahme von Führungsämtern?<br />
Neben der besseren Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeit<br />
setzt sich die Union besonders dafür ein, mithilfe von Mentoring-<br />
Programmen und einer Reihe vorbereitender Maßnahmen, wie <strong>zu</strong>m<br />
Bei spiel Rhetorik-Kursen, weitere Möglichkeiten <strong>zu</strong> schaffen, um mehr<br />
Frauen in Führungsämter <strong>zu</strong> bringen. Des Weiteren spricht sich der<br />
Bundesvorstand der FrauenUnion, dem auch ich angehöre, eindeutig<br />
für die Einführung einer Frauenquote in der Wirtschaft und der Partei<br />
aus. Bei Wahlen, wie der erst kürzlich durchgeführten Landtagswahl,<br />
könnte die Stunde der Frauen schlagen. Es müssen sich viel mehr<br />
Frauen für Direktmandate bewerben und den Mut finden, sich diesem<br />
Wettbewerb <strong>zu</strong> stellen.<br />
28 Statement Karina Jens
Drei Fragen an Dr. Ulrich Seidel, FDP<br />
1. Nennen Sie bitte die drei wichtigsten Gründe, weshalb Sie in Ihrer<br />
heutigen politischen Führungsposition sind.<br />
Ein wichtiger Grund für die Übernahme von Führungspositionen ist<br />
nicht nur die eigene Entscheidung, sondern auch die Akzeptanz in den<br />
Gremien der Partei. Vertrauen und Durchset<strong>zu</strong>ngsvermögen sind hierfür<br />
ein wichtiger Grund. Außerdem ist der Bekanntheitsgrad ebenfalls<br />
ein Entscheidungskriterium. Dies gilt nicht nur für den Kandidaten<br />
selbst, sondern nur mit einem bestimmten Bekanntheitsgrad kann<br />
sich auch die Partei darauf verlassen, dass Äußerungen <strong>zu</strong> dem von einem<br />
selbst <strong>zu</strong> vertretenden Sachgebiet ernst genommen werden.<br />
2. Wie sollten Ihrer Meinung nach Strukturen aussehen, um mehr<br />
Frauen für politisches Engagement <strong>zu</strong> gewinnen?<br />
Ich glaube nicht, dass Strukturen geändert werden müssten, um<br />
Frauen für politisches Engagement <strong>zu</strong> gewinnen. Notwendige Struktur<br />
änderungen sind dafür nicht das entscheidende Kriterium. Frauen<br />
müssen sich mit Selbstsicherheit und entsprechend ihrer eigenen<br />
Zielstellung um Positionen bewerben und diese übernehmen. Frauen<br />
fragen sich manchmal: Sind meine persönlichen Zielstellungen mit<br />
den Zielstellungen und den dafür erforderlichen Leistungen der Partei<br />
vereinbar? Begren<strong>zu</strong>ngen der Verantwortungsübernahme wären das<br />
Einzige, worin die Parteigremien helfen könnten. „Frauen reden nicht<br />
gern über alles, sondern nur darüber, wovon sie was verstehen.“ Das<br />
„Renommiergehabe“ der Männer wollen Frauen gewöhnlich nicht leis -<br />
ten.<br />
29<br />
Statement Dr. Ulrich Seidel
3. Welche Strategien/Maßnahmen ergreift die Partei <strong>zu</strong>r Beförderung<br />
von Frauen <strong>zu</strong>r Übernahme von Führungsämtern?<br />
Die FDP ergreift wenig Sondermaßnahmen zwecks Beförderung von<br />
Frauen <strong>zu</strong>r Übernahme von Führungsämtern. Dies liegt im allge meinen<br />
Selbstverständnis der Partei, da die FDP sehr stark auf Eigen verantwortung<br />
setzt. Unterstüt<strong>zu</strong>ng erfahren die Frauen durch Ver ständnis<br />
in den Parteigremien, was bedeutet, dass Ein schrän kun gen in der<br />
Mitwirkung bei Parteimaßnahmen voll akzeptiert werden.<br />
Drei Fragen an Steffen Bockhahn, Die Linke<br />
1. Nennen Sie bitte die drei wichtigsten Gründe, weshalb Sie in Ihrer<br />
heutigen politischen Führungsposition sind.<br />
Ich konnte es noch nie leiden, wenn ich Dinge als ungerecht empfunden<br />
habe. So entschied ich mich <strong>zu</strong>m Mit<strong>machen</strong> und bin mit 16 Jahren<br />
in die PDS eingetreten. Als junger Mensch mit der Fähigkeit,<br />
struk tu riert <strong>zu</strong> arbeiten, sich durch<strong>zu</strong>setzen und gut reden <strong>zu</strong> können,<br />
kam ich schnell in Verantwortung. Diesen Weg bin ich parallel <strong>zu</strong><br />
meiner Ausbildung weitergegangen. Dabei habe ich Chancen genutzt<br />
und gelernt, auch Nein <strong>zu</strong> sagen.<br />
Alles <strong>zu</strong>sammen und da<strong>zu</strong> die Fähigkeit, im Kollektiv <strong>zu</strong> agieren,<br />
dürften da<strong>zu</strong> beigetragen haben, dass ich heute diese Verantwortung<br />
tragen darf.<br />
2. Wie sollten Ihrer Meinung nach Strukturen aussehen, um mehr<br />
Frauen für politisches Engagement <strong>zu</strong> gewinnen?<br />
Frauen in die Politik! Mit 37 Prozent hatte Die Linke mal den höchsten<br />
Frauenanteil aller Bundestagsparteien.<br />
30 Statement Dr. Ulrich Seidel / Steffen Bockhahn
Da die Zahlen rückläufig sind, muss das gleichstellungspolitische Profil<br />
der Linken weiter gestärkt werden. Wir wollen frauenpolitische<br />
Kompetenzen stärker nutzen, denn die Gewinnung von Frauen für die<br />
politische Arbeit innerhalb der Partei, in den Parlamenten und in Führungspositionen<br />
ist dringend notwendig. Erste Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür<br />
ist die konsequente Quotierung aller politischen Mandate und öffentlichen<br />
Ämter. Eine starke Frauenquote ist die Tür, familienfreundliche<br />
Arbeitsstrukturen und Respekt bilden den Rahmen. Es ist nicht nur<br />
Aufgabe der Parteien, interne Strukturen <strong>zu</strong> modernisieren und der<br />
gesellschaftlichen Realität an<strong>zu</strong>passen, damit Politik für Frauen wieder<br />
attraktiver wird. Auch der Bereich der politischen Bildung an Schulen<br />
sollte neu definiert und ausgebaut werden.<br />
Die junge Generation hat eine Meinung, die Plattformen und<br />
Struk turen braucht. Wer sich bereits als junge Frau für Politik be geistern<br />
kann, braucht anschließend Vorausset<strong>zu</strong>ngen, die ein Engagement<br />
auch mit Familie und Kind in einer Männerdomäne möglich <strong>machen</strong>.<br />
Hin<strong>zu</strong> kommt, dass Männern endlich beigebracht werden muss,<br />
dass Frauen die Politik bereichern und nicht „nur den Männern Posten<br />
wegnehmen.“ Frauen müssen aber auch die Standhaftigkeit besitzen,<br />
Männern Respektlosigkeiten nicht durchgehen <strong>zu</strong> lassen.<br />
3. Welche Strategien/Maßnahmen ergreift die Partei <strong>zu</strong>r Beförderung<br />
von Frauen <strong>zu</strong>r Übernahme von Führungsämtern?<br />
Die größte Gefahr für die Gleichstellung ist die Annahme, wir hätten<br />
sie schon. Frauen verdienen im Durchschnitt ein knappes Viertel weniger<br />
als Männer – bei gleicher Qualifikation. Im europäischen Vergleich<br />
ist Deutschland damit Schlusslicht bei der Gleichstellung. Dabei haben<br />
Frauen in der Bildung schon lange aufgeholt bzw. überholt. Dieser<br />
Erfolg schlägt sich aber nicht in gleichen Chancen auf eine Ausbildung<br />
beziehungsweise Erwerbsarbeit nieder. Obwohl Frau en und Männer<br />
gleiche Leistungsvorausset<strong>zu</strong>ngen mitbringen, wer den sie unterschiedlich<br />
behandelt. Frauen führen weit seltener in Un ter neh men, Politik<br />
und Gesellschaft. Während 51 Prozent der Bevöl ke rung weiblich ist,<br />
31<br />
Statement Steffen Bockhahn
ist sie beispielsweise in Parlamenten durchschnittlich nur <strong>zu</strong> einem<br />
Drittel vertreten.<br />
Doch eine Politik der Chancengleichheit, die nur auf gleiche Startbe<br />
din gungen setzt, schafft alleine keine Gleichstellung. Wir wollen<br />
beste henden Benachteiligungen durch gezielte Maßnahmen entgegenwirken.<br />
Ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft wäre ein<br />
An fang: Unternehmen, in welchen Frauen oder Männer bei Bezahlung,<br />
Aufstieg und Verantwortung benachteiligt sind, sollen verbindlich<br />
Gleichstellungsmaßnahmen einführen.<br />
Wir sind gegen eine staatliche Subvention des überholten Fami -<br />
lien modells mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Zuver die nerin.<br />
Das Renten-, Steuer-, Sozial- und Familienrecht müssen reformiert<br />
werden.<br />
Und ganz wichtig: Schluss mit der ungleichen Entlohnung von<br />
Frauen gegenüber Männern! Die Tarifparteien sollen verbindlich<br />
daran mitwirken, dass Frauen das gleiche Entgelt bei gleichwertiger<br />
Arbeit bekommen.<br />
32<br />
Statement Steffen Bockhahn
Drei Fragen an Anke Knitter, SPD<br />
1. Nennen Sie bitte die drei wichtigsten Gründe, weshalb Sie in Ihrer<br />
heutigen politischen Führungsposition sind.<br />
Für die Erlangung einer politischen Führungsposition ist generell,<br />
nicht nur bei Frauen, insbesondere Beharrlichkeit notwendig. Wer<br />
auf kurzfristige Erfolge setzt, wird in der Regel enttäuscht. Nur äußerst<br />
selten gelingt ein „Durchstarten“. Wichtig ist auch, den Mut <strong>zu</strong><br />
haben, man selbst <strong>zu</strong> sein. Das heißt, Frauen sollten sich trauen, sich<br />
nicht an männliche Vorbilder <strong>zu</strong> halten, sondern ihre eigenen spezifischen<br />
Stärken in den Vordergrund <strong>zu</strong> stellen. Außerdem muss eine<br />
Bereitschaft vorhanden sein, in einem gewissen Grad auch <strong>zu</strong> einer<br />
öffentlichen Person <strong>zu</strong> werden, deren Meinungen und Verhalten kontrovers<br />
öffentlich diskutiert werden. Und das umso mehr, je höher<br />
die Position ist, die angestrebt wird. Das ist für Frauen häufiger ein<br />
Problem als für Männer. Viel Zeit und Rückendeckung im nahen persönlichen<br />
Umfeld sind auch wichtig.<br />
2. Wie sollten Ihrer Meinung nach Strukturen aussehen, um mehr<br />
Frauen für politisches Engagement <strong>zu</strong> gewinnen?<br />
Politische Betätigung wird zwar nicht nur, aber in erheblichem Maße<br />
von Parteien betrieben und beeinflusst. Die unterdurchschnittliche<br />
Präsenz von Frauen in politischen Parteien legt nahe, dass die vorhandenen<br />
Strukturen dort für Frauen nicht attraktiv sind. Die bereits<br />
vorhandenen Frauen sollten noch mehr dafür sorgen, dass sich<br />
Strukturen in ihrem Sinne ändern und darüber hinaus um weitere<br />
Mit streiterinnen für dieses Ziel kämpfen. Es ist nicht von den Männern<br />
in den Parteien <strong>zu</strong> erwarten, dass sie die Strukturen selbst so verändern,<br />
dass sich die Wettbewerbs-/Konkurrenzsituation <strong>zu</strong> ihren Lasten<br />
verschiebt. Die Quoten in den Parteien konnten die Attrak tivität<br />
von Parteien offensichtlich nicht so verbessern, dass dies <strong>zu</strong>m Eintritt<br />
33<br />
Statement Anke Knitter
in eine Partei reicht. Das Ziel kann nicht sein, als Frau, gegebenenfalls<br />
auch über eine Quotenregelung, eine Position <strong>zu</strong> erreichen und anschließend<br />
in den gegebenen Strukturen einfach mit<strong>zu</strong><strong>machen</strong>.<br />
3. Welche Strategien/Maßnahmen ergreift die Partei <strong>zu</strong>r Beförderung<br />
von Frauen <strong>zu</strong>r Übernahme von Führungsämtern?<br />
<strong>Der</strong> SPD-Parteivorstand hat im Februar dieses Jahres einen Frauenförderplan<br />
beschlossen, der dafür sorgen soll, dass die in der SPD geltende<br />
Geschlechterquote konsequent angewandt wird. Dem lag die<br />
Erkenntnis <strong>zu</strong>grunde, dass es gerade Frauen sind, die von einer unrichtigen<br />
Anwendung der Quotenregelung benachteiligt werden. Vorbild<br />
für den Förderplan soll das Trainingsprogramm „Women can do it“<br />
der Norwegischen Arbeiterpartei sein. Die Bildung von Netzwerken<br />
soll erleichtert werden, damit die eben beschriebene Veränderung<br />
von Strukturen im Sinne einer höheren Attraktivität politischer Be tätigung<br />
für Frauen erreicht werden kann und diese vermehrt <strong>zu</strong> Einfluss<br />
gelangen können. Außerdem sollen spezielle Angebote politischer<br />
Bildung für Frauen geschaffen werden. Insbesondere die aktive<br />
Frauenförderung auf kommunaler Ebene soll erreicht werden, damit<br />
aktiv nach Frauen gesucht und für Kandidaturen ermuntert werden<br />
kann.<br />
34<br />
Statement Anke Knitter
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer<br />
Universität Rostock – Institut für Politik- und Ver waltungs -<br />
wissenschaften<br />
Welche Strategien/Maßnahmen sollten Parteien ergreifen, um die<br />
Übernahme von Führungspositionen von Frauen <strong>zu</strong> befördern?<br />
Frauen sind eher bereit, in weniger formellen Strukturen <strong>zu</strong> arbeiten.<br />
Dies widerspricht allerdings den starren Hierarchien, die in Parteien<br />
und in der Politik allgemein <strong>zu</strong> finden sind. Insofern wäre es notwendig,<br />
diese Hierarchien auf<strong>zu</strong>lösen und damit einen anderen Politikstil<br />
<strong>zu</strong> etablieren.<br />
Ähnliches gilt für Entscheidungsfindungen in der Politik bzw. in<br />
Par tei en. Bislang sind diese wenig transparent. Es erscheint, dass Entschei<br />
dungen vor allem in Hinterzimmern und Klüngelrunden getroffen<br />
werden, an denen Frauen in der Regel nicht beteiligt sind. Auch<br />
dies ist für das Engagement von Frauen in der Politik wenig förderlich.<br />
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um das Engagement und<br />
damit auch die Übernahme von Führungspositionen von Frauen in<br />
der Poli tik <strong>zu</strong> fördern. Hier einige Beispiele: Zunächst gilt es, Frauen<br />
direkt als Kandidatinnen an<strong>zu</strong>sprechen, da sie in der Regel nicht auf<br />
allgemeine Anfragen reagieren. Auch sollte bei der „Werbung“ weniger<br />
in Richtung „Aufstieg in eine Machtposition“ argumentiert werden,<br />
sondern eher mit der „Übernahme von Verantwortung“. Und letztlich<br />
sind Mentoring-Programme ein adäquates Mittel, um Frauen auf<br />
eine Mitwirkung und ggf. Übernahme einer Führungsposition in der<br />
Politik vor<strong>zu</strong>bereiten.<br />
35<br />
Statement Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer
Zusammenfassung<br />
Politik scheint immer noch eine Männerdomäne <strong>zu</strong> sein. Das gilt für<br />
die Kommunalpolitik noch mehr als für die „große“ Politik in Bund<br />
und Land. So beträgt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag 33<br />
Prozent. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns waren im August<br />
2011 22 Prozent der Abgeordneten weiblich. Zur gleichen Zeit saßen<br />
im Kreistag des Landkreises Bad Doberan 19 Prozent Frauen und in<br />
der Rostocker Bürgerschaft 37,7 Prozent.<br />
Warum ist das so? Und warum führen die Frauen, die dennoch<br />
den Schritt in die Politik wagen, so selten ihre Fraktion oder einen<br />
Ausschuss?<br />
Diese Fragen waren Gegenstand der zweiten Veranstaltung der<br />
Reihe „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“, die am 23. August 2011<br />
von 18 bis 20 Uhr im Foyer des Rostocker Rathauses stattfand.<br />
Frau Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer (Universität Rostock) präsentierte<br />
in ihrem Einstiegsreferat Zahlen und Fakten <strong>zu</strong>m aktuellen<br />
Stand. Sie versuchte aber auch <strong>zu</strong> belegen, was Frauen hemmt, in<br />
politischen Führungspositionen <strong>zu</strong> agieren und welche Fak toren die<br />
„gläserne Decke“ bestimmen, die es Frauen schwer macht, bestimmte<br />
Positionen <strong>zu</strong> erreichen.<br />
In einer anschließenden Podiumsrunde standen<br />
• Steffen Bockhahn (Die Linke)<br />
• Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer (Universität Rostock)<br />
• Karina Jens (CDU)<br />
• Anke Knitter (SPD)<br />
• Dr. Ulrich Seidel (FDP)<br />
für die Diskussion <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />
Ausgehend von ihrer jetzigen Position in der Politik und einem kurzen<br />
Abriss <strong>zu</strong>m politischen Werdegang steuerte die Moderatorin,<br />
Ma rion Richter (Frauenbildungsnetz Rostock), die Diskussion über<br />
ein Fragenspektrum, das, ausgehend von den eigenen Beweggründen<br />
36<br />
Zusammenfassung
für politisches Agieren, den Blick auf vorhandene Strukturen richtete,<br />
damit sich mehr Frauen politisch engagieren wollen. Außerdem sollten<br />
die Diskutierenden Strategien und Maßnahmen benennen, die die<br />
jeweilige Partei ergreift, um die Förderung von Frauen in Füh rungspositionen<br />
voran<strong>zu</strong>bringen.<br />
Die jeweiligen Statements ließen schnell eine sehr lebendige Diskussion<br />
aufkommen, sowohl unter den Podiumsteilnehmenden wie<br />
zwischen Podium und Publikum.<br />
Gründe für das eigene politische Agieren waren für alle Teilnehmenden<br />
in erster Linie Themen, die sie bewegen und die sie politisch<br />
platzieren wollen. Manchmal war es aber auch das Agieren <strong>zu</strong>r richtigen<br />
Zeit und am richtigen Ort, die sie auf dem politischen <strong>Karriere</strong>weg<br />
weitergebracht haben.<br />
Bei den vorhandenen oder <strong>zu</strong> ändernden Strukturen innerhalb<br />
der Parteien gingen die Meinungen erwartungsgemäß auseinander.<br />
Bei manchen war die Quote als Chance für einen geregelten Zugang<br />
ge setzt und eine legitime Möglichkeit. Andere argumentierten, an der<br />
politischen Kultur muss gearbeitet werden. Frauen müssen viel offensiver<br />
angesprochen werden. Ggf. sind auch Coaching-Angebote oder<br />
Mentoring-Programme notwendig.<br />
In den Parteien werden unterschiedliche Strategien und Maß nahmen<br />
ergriffen, um mehr Frauen in Führungspositionen <strong>zu</strong> bringen.<br />
Dabei spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. Auch hier war für einige<br />
die Quote der richtige Weg, aber auch andere Möglichkeiten, wie unterstützende<br />
Qualifizierungen oder die Begleitung durch Mentorinnen<br />
und Mentoren.<br />
In der anschließenden, offenen Diskussion wurde über die Bedeutung<br />
von Netzwerken gesprochen, um Interessen <strong>zu</strong> stützen. Es wurde<br />
aber auch hervorgehoben, dass an den vorhandenen Strukturen noch<br />
viel <strong>zu</strong> ändern ist. Das politische Geschäft nimmt auf persönliche und<br />
private Belange der in ihr Agierenden bisher viel <strong>zu</strong> wenig Rücksicht.<br />
Aber auch die politische Kultur muss sich ändern, um mehr Frauen<br />
<strong>zu</strong>r Beteiligung <strong>zu</strong> bewegen. Die bisher gepflegten „Rituale“ und „Spielregeln“<br />
sprechen Frauen nicht an bzw. grenzen sie aus.<br />
37 Frauen Macht Politik
Auch der Umgang mit den Medien wurde diskutiert und die Frage,<br />
welche Strategien notwendig sind, um sich von Meinungsmache abgrenzen<br />
<strong>zu</strong> können.<br />
Zum Abschluss forderte die Moderatorin die Podiumsbeteiligten<br />
auf, einer 14-jährigen jungen Frau Gründe <strong>zu</strong> nennen, die ihr Lust auf<br />
Politik <strong>machen</strong> könnten.<br />
Hier waren die Argumente, dass Politik weibliche Sichtweisen<br />
braucht, dass sie die Chance hat, ihre Ziele <strong>zu</strong> erreichen und sich Heraus<br />
forderungen <strong>zu</strong> stellen. Es wurde auch argumentiert, dass Po litik<br />
Spaß macht.<br />
38<br />
Zusammenfassung
<strong>Karriere</strong> in der Wissenschaft<br />
Universität Rostock<br />
25. Oktober 2011<br />
39
Carina Hojenski, M.A.<br />
Universität Rostock, <strong>Karriere</strong>wege für Frauen in Wissenschaft<br />
und Wirtschaft M-V<br />
<strong>Der</strong> Überschrift „Frauen in Führungspositionen in der Wissenschaft“ –<br />
Titelei einer Veranstaltungsreihe des Zyklus „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong><br />
<strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“ – setze ich gedanklich nach: Es braucht Mut! Mut verlangt<br />
viel Kraft, wie viel, erspürt man, wenn man mutig ist.<br />
In jeder Hinsicht braucht frau Mut, wenn sie sich aufmacht, den<br />
wissenschaftlichen <strong>Karriere</strong>weg <strong>zu</strong> beschreiten; diesen langen fra gilen<br />
Pfad, der frau viel abverlangt, der gleichwohl spannend und einzig -<br />
artig ist. Frau soll sich trauen; wohl wissend, was sie erwarten wird.<br />
Wege <strong>zu</strong> kennen, um Hürden <strong>zu</strong> wissen, Gespräche mit „Ange kom menen“<br />
führen – ein Muss für die <strong>Karriere</strong>, auch und gerade für die der<br />
Frauen.<br />
Hoch qualifizierte Frauen haben in Deutschland die Möglichkeit,<br />
ihren Weg an die Spitze in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft <strong>zu</strong><br />
gehen; viele von ihnen begeben sich auf die Reise, nur einige wenige<br />
kommen tatsächlich an. Zu wenige. Woran liegt das?<br />
Vielleicht ist es der Mut, der vielen Frauen fehlt. Treffen Sie Ihre<br />
Entscheidungen! Suchen Sie sich Unterstützer! Verhandeln Sie sicher<br />
und standhaft Ihre Bedingungen für exzellentes wissenschaftliches<br />
Arbeiten! Bleiben sie bei allem Frau!<br />
Exzellenz ist gut, aber es reicht allein nicht aus.<br />
Mein Motto „Mutig sein und <strong>machen</strong>!“.<br />
40<br />
Statement Carina Hojenski
Bettina Kutschera, M.Sc.<br />
Hochschule Wismar<br />
Gerade bei den ersten Gedankenspielen über weitere Schritte nach<br />
dem Studium für eine wissenschaftliche Laufbahn sind Vorbilder für<br />
Frauen in solchen Positionen und Tätigkeitsfeldern rar. Aber dies ist in<br />
meinen Augen ein ganz wichtiger Punkt: einen Freiraum <strong>zu</strong> haben, in<br />
dem Möglichkeiten, Ideen und Visionen erarbeitet werden können.<br />
Dass Frauen leider viel <strong>zu</strong> häufig ihr Licht unter den Scheffel stellen<br />
und sich nicht trauen, es einfach <strong>zu</strong> versuchen, ist dabei natürlich<br />
nicht förderlich. Bei mir hat mein Partner einen sehr großen Anteil an<br />
meinen Zielen, jedoch sind hier Netzwerke oder Mentoren-Programme<br />
wichtig, um sich aus<strong>zu</strong>tauschen und Informationen <strong>zu</strong> erhalten. Denn<br />
ich habe erfahren, dass solche Möglichkeiten einem nicht direkt offeriert<br />
werden („Rundum-Sorglos-Pakete“ klopfen nicht an die Tür), sondern<br />
man muss sich solche Positionen aktiv selbst organisieren und<br />
eröffnen.<br />
Dafür ist wiederum ein guter Informationsfluss innerhalb der<br />
Hoch schule wichtig: Denn nur, wenn man weiß, was möglich ist, kann<br />
man auch danach fragen. Sei es bei der Themenwahl, beim Finden<br />
von Finanzierungsmöglichkeiten oder einfach durch eine offene Rückmeldung<br />
des Betreuers.<br />
Und natürlich muss auch ein großes Fass voll Begeisterung für<br />
das Projekt dabei sein, sonst ist die Motivation durch die vielen kleinen<br />
Löcher der immer auftretenden Rückschläge und Probleme schon<br />
vor dem Ziel leer.<br />
41<br />
Statement Bettina Kutschera
Prof. Dr. Gabriele Linke<br />
Universität Rostock, Institut für Anglistik/Amerikanistik<br />
Frauen, die ein großes Interesse an wissenschaftlicher Arbeit und<br />
Er kenntnis haben, eine starke innere Motivation <strong>zu</strong> wissenschaft licher<br />
Arbeit spüren sowie viel Ausdauer und ein gesundes Selbst be -<br />
wusstsein besitzen, sollten unbedingt auch ihrem wissenschaftlichen<br />
Interesse folgen.<br />
Man hat als engagierte Frau eine Chance in der Wis senschaft,<br />
sollte diese Chance nutzen und seine Möglichkeiten ausprobieren<br />
und ausschöpfen. Das kann beglücken und befriedigen, wie auch,<br />
dass man als Professorin Gestaltungsmöglichkeiten besitzt, Prozesse<br />
und Entwicklungen anregen und z.T. beeinflussen und gelegentlich<br />
Positives bewirken kann.<br />
Damit, dass es <strong>zu</strong> Konflikten zwischen beruflichem und fami liä -<br />
rem Engagement kommen kann, muss man rechnen, aber diese sind<br />
nicht unlösbar. Es gibt jedoch keinen allgemeingültigen Weg für<br />
Frau en in der Wissenschaft, denn die inneren und äußeren Be din gungen<br />
variieren und verändern sich ständig. Die Frage nach den Prio ritäten<br />
muss man sich immer wieder neu stellen und beantworten.<br />
42<br />
Statement Prof. Dr. Gabriele Linke
Prof. Dr. Birgit Piechulla<br />
Universität Rostock, Institut für Biowissenschaften, Biochemie<br />
<strong>Der</strong> Anteil der Frauen in Führungspositionen in der Wissenschaft<br />
ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Das ist gut so und die<br />
Tendenz könnte/sollte noch einige Jahre andauern!<br />
So können die Frauen zeigen, dass sie in der Lage sind, z.B. eine<br />
Professur an der Uni versität und damit die drei großen Arbeitsfelder<br />
Forschung, Lehre und akademische Selbstverwaltung ebenso qualifiziert<br />
wie Männer durch<strong>zu</strong>führen. Je mehr Frauen dies unter Beweis<br />
stellen (können), umso normaler wird dies in Zukunft sein, oder besser<br />
noch, das Ge schlecht wird bei Einstellungsverfahren keine Rolle<br />
mehr spielen.<br />
Dann könnte auf Gleichstellungsgesetze und -beauftragte verzichtet<br />
werden und aus dem Pool der Bewerber auf eine Führungsposition<br />
kann die am besten geeignete Persönlichkeit für das gewünschte Aufgabenfeld<br />
ausgewählt werden, ohne Bonus oder Malus nur für das Geschlecht<br />
allein vergeben <strong>zu</strong> müssen.<br />
43<br />
Statement Prof. Dr. Birgit Piechulla
Prof. Ursula van Rienen<br />
Universität Rostock, Prorektorin für Forschung und Forschungsausbildung<br />
Heutigen Nachwuchswissenschaftlerinnen werden dank der öffentlichen<br />
Diskussion in den letzten Jahrzehnten bereits deutlich weni ger<br />
Steine in den Weg gelegt als früher und sie sind deutlich selte ner mit<br />
Vorurteilen konfrontiert.<br />
Dies hat nicht <strong>zu</strong>letzt auch mit ei nem allgemein veränderten Bewusstsein<br />
<strong>zu</strong>r Aufteilung der fa mi liä ren Auf ga ben und Verant wortungsbereiche<br />
<strong>zu</strong> tun: Viele Ent schei dungsträger leben selbst in einer<br />
gleichberechtigten, partner schaft lich organisierten Beziehung, viele<br />
wünschen sich für ihre ei ge nen Töchter gute Kar rierechancen und<br />
han deln dementsprechend auch anderen Frauen gegenüber.<br />
Im Alltag sind dennoch viele kleine Schwierigkeiten <strong>zu</strong> über -<br />
brü cken, oft auch schwere Durststrecken <strong>zu</strong> überwinden. Hier helfen<br />
Men toren, seien es der Lebenspartner, andere Familienmitglieder,<br />
Freun de oder auch Mentoren aus Organisationen weiter.<br />
Die berühm te glä ser ne Decke ist zwar noch nicht durchgängig<br />
überwunden, aber die Dec kenhöhe scheint doch in weiten Bereichen<br />
der Wissenschaft und Wirt schaft ein gutes Stück <strong>zu</strong>genommen <strong>zu</strong><br />
haben. Frauen sind in vielen wichtigen Positionen angekommen und<br />
werden auch hoch respektiert, wenn die Leistung stimmt. Was kann<br />
jungen Wissen schaft lerinnen geraten werden? Gehen Sie Ihrer Passion<br />
für die Wissen schaft nach. Legen Sie sich einen gesunden Optimis<br />
mus <strong>zu</strong> und su chen Sie sich Ihre persönlichen Mentoren für<br />
schwie rige Phasen.<br />
Scheuen Sie sich nicht, Wünsche und Bedarfe <strong>zu</strong> äußern, falls<br />
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anderenfalls gefährdet <strong>zu</strong><br />
sein scheint. Ihre Vorgesetzten werden Ihnen höchst wahrscheinlich<br />
helfen, eine gute Lösung <strong>zu</strong> finden, denn gute Mitarbeiterinnen verliert<br />
man nicht gerne!<br />
Also: Nur Mut!<br />
44<br />
Statement Prof. Ursula van Rienen
Prof. Dr. med. Brigitte Vollmar<br />
Universität Rostock, Institut für Experimentelle Chirurgie<br />
Frauen sind keine artenschutzpflichtige Gattung und können sich aus<br />
eigener Kraft durchsetzen. Es bedarf für Führungspositionen an der<br />
Universität sicherlich besonderer Fertigkeiten, die sich für Mann und<br />
Frau aber nicht unterscheiden. Aus persönlicher Sicht erscheint mir<br />
wichtig, dass Frauen ihre Authentizität behalten, ihre oftmals ausgeprägte<br />
emotionale Intelligenz einbringen und Mut <strong>zu</strong>r Weiblichkeit<br />
und Strahlkraft zeigen. Neurophysiologische Forschung zeigt, dass<br />
Frauen und Männer in manchen Situationen tatsächlich unterschiedlich<br />
agieren. Diese Unterschiede gilt es intelligent <strong>zu</strong> nutzen, da jede<br />
Monokultur nun mal schlecht ist. Es mag auf den <strong>Karriere</strong>leitern<br />
si cher lich zahlreiche Hindernisse geben, diese sind häufig aber eher<br />
subtiler Natur und können, wenn erkannt, klar bewältigt werden.<br />
<strong>Karriere</strong>wege werden eindeutig von Leistung, Präsenz, Qualität<br />
und auch von unermüdlichem Fleiß geebnet. Entscheidend aber<br />
sind auch der Wille sowie der nachhaltige Wunsch und das Ziel,<br />
ei ne Füh rungsposition einnehmen <strong>zu</strong> wollen. Hierbei stehen für die<br />
Frau we niger die Macht, sondern mehr die Übernahme von Verantwortung<br />
und der Wunsch, gestalterisch auf Strukturen Einfluss nehmen<br />
<strong>zu</strong> können, im Vordergrund ihres Strebens. Frauen in Führungspositionen<br />
haben für junge, aufstrebende, gut ausgebildete Frauen<br />
<strong>zu</strong>sätzlich eine wichtige Vorbildfunktion.<br />
Für mich als eine Frau, die in der Chirurgie – einer klassisch von<br />
Männern dominierten Fachdisziplin – „groß“ geworden ist, galt es,<br />
die ses Machtgefüge in seinen Regeln <strong>zu</strong> erkennen, um mit diesen entspannt<br />
und in eher spielerischer Art um<strong>zu</strong>gehen. Auf dem Weg <strong>zu</strong>r<br />
Füh rungsposition ist es notwendig, Aufstiegskompetenz <strong>zu</strong> erwerben.<br />
Hierbei möchte ich – neben Netzwerken und der professionellen<br />
Selbst darstellung – als wohl entscheidenden Baustein die Förderung<br />
und stete Begleitung durch Mentoren und Mentorinnen nennen. Ich<br />
persönlich habe diesen letzten Aspekt als den wichtigsten Moment auf<br />
meinem Weg <strong>zu</strong> einer Führungsposition an der Uni erlebt.<br />
45<br />
Statement Prof. Dr. Birgit Piechulla
Zusammenfassung<br />
Die Wissenschaft – in der deutschen Grammatik eindeutig weiblich<br />
– wird nach wie vor in den Bereichen der Forschung und Lehre von<br />
Männern dominiert. Trotz Absichtserklärungen, Förderprogrammen<br />
und gesetzlich vorgeschriebenen Richtlinien schaffen es nur wenige<br />
Frauen in Top-Positionen von deutschen Hochschulen und Forschungs<br />
einrichtungen.<br />
Zwar konnte in den <strong>zu</strong>rückliegenden zwei Jahrzehnten ein positiver<br />
Anstieg der studierenden Frauen verzeichnet werden, immerhin<br />
haben sich der weibliche und männliche Anteil der Studienanfänger<br />
einander angleichen können, dennoch ist diese Entwicklung keine Garantie<br />
für den weiteren wissenschaftlichen Werdegang der weib lichen<br />
Studierenden. Denn die Realität gleicht scheinbar einer ganz ein fachen<br />
Faustregel: je höher die Stufen der wissenschaftliche <strong>Karriere</strong>leiter<br />
reichen, desto geringer der Anteil der Frauen.<br />
Was sind die Gründe für derartige Entwicklungen? An welchen<br />
Punkten ihrer Laufbahn als Wissenschaftlerinnen stoßen Frauen an<br />
ihre Grenzen? Und wie gelingt es Frauen dennoch, sich in männerdominierten<br />
Wissenschaftswelten <strong>zu</strong> behaupten?<br />
Diese und ähnliche Fragen bildeten den Gegenstand der dritten<br />
Veranstaltung der Reihe „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“. Frau<br />
Dr. Conchita Hübner-Oberndörfer (Institut für Politik- und Ver waltungs<br />
wissenschaften) moderierte den Abend und führte dabei das<br />
Pub likum sowie die Podiumsteilnehmerinnen Carina Hojenski (<strong>Karriere</strong><br />
wege für Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft <strong>MV</strong>), Bet tina<br />
Kutschera (Doktorandin), Prof. Dr. Gabriele Linke (Institut für Angli<br />
stik/Amerikanistik), Prof. Dr. Birgit Piechulla (Institut für Bio wissenschaften),<br />
Prof. Dr. Ursula van Rienen (Prorektorin für For schung und<br />
Forschungsausbildung) und Prof. Dr. Brigitte Vollmar (Institut für<br />
ex perimentelle Chirurgie) durch den Abend.<br />
Nach Eröffnung der Veranstaltung spricht Frau Prof. Dr. van Rienen<br />
einleitend <strong>zu</strong>r Thematik und bietet dabei nicht nur einen sta tisti<br />
schen Einblick in die Entwicklung des Frauenanteils an deutschen<br />
46<br />
Zusammenfassung
Podiumsdiskussion in der Universität<br />
Rostock<br />
Hochschulen innerhalb der <strong>zu</strong>rückliegenden 15 Jahre, sondern berück<br />
sichtigt dabei auch die Finanzierung des wissenschaftlichen Personals<br />
durch Haushalts-, Dritt- und Sondermittel. Be<strong>zu</strong>gnehmend auf<br />
die Universität Rostock hält Frau Prof. Dr. van Rienen fest, dass der<br />
Frauenanteil der Rostocker Promovierenden zwar um 24 Prozent gestiegen<br />
ist, aber mit insgesamt 36,4 Prozent um 10 Prozent unter<br />
dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Ähnlich verhält es sich mit<br />
dem Anteil des weiblichen wissenschaftlichen Personals. Mit 36 Prozent<br />
Frauenanteil liegt die Universität Rostock um 3 Prozent unter<br />
dem bundesdeutschen Schnitt. Darüber hinaus verweist Frau Prof.<br />
Dr. van Rienen darauf, dass Rostock sich im Ranking nach Gleich stellungsaspekten<br />
mit 8 von insgesamt 14 möglichen Punkten im bundesweiten<br />
Mittelfeld bewegt.<br />
Nachdem durch Frau Prof. Dr. van Rienen abschließend Ziele der<br />
Universität Rostock hinsichtlich der Umset<strong>zu</strong>ng der Gleichstellung<br />
und Chancengleichheit vorgestellt wurden, übernimmt Frau Dr. Hübner-Oberndörfer<br />
das Wort und eröffnet nach einer durch sie durchgeführten<br />
intensiven Vorstellung der einzelnen Podiumsgäste die Diskussion<br />
mit zielgerichteten Fragestellungen.<br />
Auf die Frage danach, ob es auf dem <strong>Karriere</strong>weg der einzelnen<br />
Podiumsgäste Stolpersteine gab oder auch noch gibt, kristallisierte sich<br />
mehrheitlich heraus, dass mit der Entscheidung für Kinder die Pro bleme<br />
begannen. So antwortete Frau Hojenski: „Ab den Kindern kamen<br />
47 <strong>Karriere</strong> in der Wissenschaft
die Hürden“. „Besonders die Kinderbetreuung ist ein großes Pro blem<br />
gewesen“, so Frau Prof. Dr. van Rienen. Rückblickend auf ihren Wer degang<br />
sieht Frau Prof. Dr. Linke die soziale Unsicherheit, welche sie als<br />
alleinerziehende Mutter von zwei Kindern nach der Wende mit dem<br />
Verlust der einst sicheren, unbefristeten Stelle ereilte, als kritischen<br />
Punkt in ihrer <strong>Karriere</strong>.<br />
Frau Prof. Dr. Piechulla betrachtet die Vergabe der Professuren<br />
als großen Stolperstein in ihrem Leben. Die Tatsache, dass Frauen lediglich<br />
als Alibifunktion <strong>zu</strong>m Auswahlgespräch eingeladen werden,<br />
hat sie am eigenen Leib erfahren müssen. „Egal wie gut die Leistungen<br />
waren“, so Frau Prof. Dr. Piechulla, „als Frau landete man nicht auf<br />
einem Platz der Dreierliste – aus Angst, man würde dann aufgrund<br />
der Frau enquote genommen werden.“ Ähnliches beschreibt Frau<br />
Kut schera, die bei der Suche nach einer Promotionsstelle ebenfalls das<br />
Gefühl hatte, nur wegen des Einhaltens der Frauenquote, nicht aber<br />
wegen des Themas ausgewählt worden <strong>zu</strong> sein. Zudem sah sie die<br />
Finanzierung der Promotion über Stipendien ect. als eine Art Stolperstein<br />
auf ihrem bisherigen <strong>Karriere</strong>weg.<br />
Ganz anders war es bei Frau Prof. Dr. Vollmar, welche rück -<br />
bli c kend an keinem Punkt ihres <strong>Karriere</strong>weges gestolpert ist. Mög licher<br />
weise gerade deswegen, weil sie nie den Wunsch nach Kindern<br />
verspürte und daher eventuell damit im Zusammenhang stehende<br />
Pro bleme nie erfahren musste. Darüber hinaus habe sie sich <strong>zu</strong> jeder<br />
Zeit von ihrem männlichen Kollegium voll akzeptiert gefühlt.<br />
Frau Dr. Hübner-Oberndörfer fragt nach, welche Rahmenbedingun<br />
gen durch die Universität Rostock geschaffen werden können,<br />
um den Frauenanteil in der Wissenschaft nachhaltig <strong>zu</strong> fördern. Frau<br />
Hojenski fordert in diesem Zusammenhang, be<strong>zu</strong>gnehmend auf persönliche<br />
Erfahrungen, bessere finanzielle Möglichkeiten, um kontinuierlich<br />
promovieren <strong>zu</strong> können und nicht aufgrund finanzieller Engpässe<br />
die Promotion über viele Jahre ziehen <strong>zu</strong> müssen.<br />
Frau Kutschera besteht auf einen allgemein besseren Informations<br />
fluss und appelliert auf klare Ansagen, auch im Hinblick darauf,<br />
was von einem erwartet wird.<br />
48<br />
Zusammenfassung
„Eine Verbesserung der personellen Ausstattung“, antwortet Frau Prof.<br />
Dr. Linke auf die Frage.<br />
Frau Prof. Dr. Piechulla sieht, in Anbetracht der Vereinbarkeit von<br />
Kindern und <strong>Karriere</strong>, die Möglichkeit, die eigene Verantwortung für<br />
eine gewisse Zeit verteilen <strong>zu</strong> können, als einen denkbaren Ansatz.<br />
Zur Kinderthematik fügt Frau Prof. Dr. van Rienen hin<strong>zu</strong>, dass die<br />
Um stel lung von Terminen und Besprechungen auf kinderfreundliche<br />
Zei ten anstelle der oft üblichen Abendtermine die Organisation von<br />
Beruf und Familie um einiges verbessern würde.<br />
Das Mentorensystem ist das, was Frau Prof. Dr. Vollmer als eine<br />
gute Basis <strong>zu</strong>r Förderung der Frauenquote in der Wissenschaft sieht<br />
und dessen Ausbau sie daher als wünschenswert betrachtet.<br />
In der noch verbleibenden, knappen Zeit bekam das Publikum<br />
die Möglichkeit, sich mit weiteren Fragen an die Gäste im Podium <strong>zu</strong><br />
richten. In diesem Zusammenhang entstand eine rege Diskussion <strong>zu</strong><br />
der Publikumsfrage: Was halten Sie von Quoten?<br />
Frau Prof. Dr. Vollmer hält absolut nichts von der Quoten regelung.<br />
Sie ist überzeugt davon, dass jede Frau das schaffen kann, was<br />
sie will – vorausgesetzt, sie besitzt das notwendige Know-how. Da <strong>zu</strong><br />
meint Frau Prof. Dr. Linke: „Man kann keine Quote durchsetzen, weil<br />
man dies nicht erzwingen kann.“ Im Publikum meldet sich Gleich stellungs<br />
beauftragte Brigitte Thiel <strong>zu</strong> Wort und spricht für die Not wen -<br />
dig keit der Quote. „Ohne Quote“, so Thiel, „säßen viele Frauen nicht<br />
dort, wo sie sitzen“. Marika Fleischer vom Personalrat der Uni ver sität<br />
Rostock verwendet in diesem Zusammenhang einen treffenden Vergleich.<br />
Sie spricht von einer notwendigen Krücke.<br />
49 <strong>Karriere</strong> in der Wissenschaft
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.<br />
Hochschule für Musik und Theater Rostock<br />
6. Dezember 2011<br />
50
Frauke Lietz<br />
Die <strong>Kunst</strong> von <strong>Kunst</strong> <strong>zu</strong> leben<br />
<strong>Karriere</strong> im Bereich der Bildenden <strong>Kunst</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>, das ist nicht<br />
ohne weiteres einer <strong>Karriere</strong> in anderen Bereichen gleich<strong>zu</strong>setzen:<br />
Kar riere <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>, d. h. seine Arbeiten auf dem <strong>Kunst</strong>markt erfolgreich<br />
und mit Gewinn <strong>zu</strong> verkaufen, ist derzeit sowohl für Frauen als<br />
auch für Männer generell schwierig. Nur knapp 5 Prozent aller Künstlerinnen<br />
und Künstler erzielen laut jüngster Umfrage des Berufs verbandes<br />
Bildender Künstlerinnen und Künstler durch den Verkauf ihrer<br />
künstlerischen Arbeiten jährliche Einkünfte in Höhe von 20.000<br />
bis 50.000 Euro bzw. mehr und 4 Prozent zwischen 15.000 bis 20.000<br />
Euro. 1<br />
In aller Regel sind die durchschnittlichen Einkünfte allerdings<br />
so gering, dass es für die meisten Künstlerinnen und Künstler nicht<br />
möglich ist, ausschließlich vom Verkauf ihrer <strong>Kunst</strong>werke <strong>zu</strong> leben:<br />
„Die Einkommenssituation ist nach wie vor diffizil.“ Künstlerinnen<br />
und Künst ler „sind auf <strong>zu</strong>sätzliche Einnahmen z.B. aus Lehrtätigkeit<br />
oder aus anderen künstlerischen Aktivitäten angewiesen. Häufig erfahren<br />
sie außerdem Unterstüt<strong>zu</strong>ng durch Familie, Freunde und<br />
Kol legen.“ 2 Im Durchschnitt – so die Ergebnisse der 2011 veröffentlich<br />
ten Studie <strong>zu</strong>r wirtschaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen<br />
und Künst ler – lagen z.B. im Jahr 2010 die durchschnittlichen<br />
Einkünfte aus dem Verkauf von <strong>Kunst</strong>werke lediglich bei 5.346<br />
Euro; das sind 445,50 Euro monatlich. Hier allerdings unterscheiden<br />
sich die Ein künf te der männlichen Künstler deutlich von denen ihrer<br />
Kolleginnen. So betrugen im Jahr 2010 die durchschnittlichen Einkünf<br />
te der männlichen Künstler 7.443 Euro. Bei den Künstlerinnen<br />
hinge gen betrugen die Einkünfte durchschnittlich nur 3.224 Euro –<br />
also ungefähr die Hälfte. 3<br />
1 Hummel, Marlies (2011): Die wirtschaftliche<br />
und soziale Situation Bil -<br />
dender Künstlerinnen und Künstler.<br />
Ergebnisse der BBK-Umfrage 2011.<br />
Berlin, S. 33.<br />
2 Hummel 2011, S. 11.<br />
3 Hummel 2011, S. 11f.<br />
51<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.
Im Vergleich <strong>zu</strong> den Jahren <strong>zu</strong>vor ist aktuell insgesamt – sowohl bei<br />
Künstlerinnen und Künstlern – ein auffälliger Rückgang der Einkünfte<br />
fest<strong>zu</strong>stellen. Als eine der zentralen Ursachen führt Marlies Hummel<br />
in ihrer Studie hierfür die Rezession an: „Die Meldungen aus den vor -<br />
an gegangenen Jahren zeigen, dass die jüngsten Rezessionsjahre in<br />
den Einkünften tiefe Spuren hinterlassen haben.“ 3 Folgen der Re zession<br />
im Bereich Bildende <strong>Kunst</strong> sind u.a. „Kauf<strong>zu</strong>rückhaltung bei den<br />
Privaten auf der Einnahmenseite, sprunghaft angestiegene Ener gie -<br />
preise auf der Ausgabenseite“. „Hin<strong>zu</strong> kamen in Zeiten der Un sicherheit<br />
über die wirtschaftliche Entwicklung […] auch Dis kon tinuitäten<br />
bei den Ankäufen bzw. bei der Auftragsvergabe durch die öffentliche<br />
Hand.“ 4<br />
Die hierdurch mitverursachten sehr geringen Einkünfte haben<br />
dramatische Auswirkungen – u.a. auf die Möglichkeit, in der Künstlersozialkasse<br />
versichert <strong>zu</strong> sein. Diese umfasst eine spezielle Kranken-,<br />
Pflege- und Rentenversicherung für <strong>Kunst</strong>schaffende. Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />
für die Aufnahme bzw. das Verbleiben in der Künstlersozialkasse sind<br />
allerdings jährliche Mindesteinnahmen von 3.900 Euro aus künstlerischer<br />
Tätigkeit. Hier<strong>zu</strong> zählen neben dem Verkauf künstlerischer<br />
Arbeiten z.B. auch Kurstätigkeiten im Bereich <strong>Kunst</strong>. Aufgrund der<br />
sehr geringen Einkünfte bleiben viele Künstler – und insbesondere<br />
Künstlerinnen – allerdings unter der erforderlichen Mindestgrenze.<br />
So geschieht es durchaus – und nicht selten –, dass renommierte<br />
Künstlerinnen und Künstler einerseits national und international anerkannt<br />
sind, in hochkarätigen Gruppen- und Einzelausstellungen<br />
vertreten sind und ihre herausragenden künstlerischen Arbeiten mit<br />
<strong>Kunst</strong>preisen ausgezeichnet werden, und andererseits die Einkünfte<br />
aus ihrer selbstständigen Tätigkeit dennoch derart gering sind, dass<br />
diese nicht ausreichen, ihren Lebensunterhalt <strong>zu</strong> sichern.<br />
Im Folgenden möchte ich einige der Punkte benennen, in denen<br />
die Künstlerinnen <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> der ohnehin schwierigen Gesamt situ<br />
a tion im Bereich der Bildenden <strong>Kunst</strong> gegenüber ihren männlichen<br />
Kol legen benachteiligt sind:<br />
3 Hummel 2011, S. 31. 4 ebd.<br />
52<br />
Frauke Lietz
In der Studie über Kulturberufe von Michael Söndermann wird aufgezeigt,<br />
dass Frauen in Kulturberufen generell in ähnlicher Weise unterrepräsentiert<br />
sind, wie das im gesamten Erwerbssystem der Fall<br />
ist. <strong>Von</strong> allen Erwerbstätigen sind 45 Prozent Frauen, unter den Kultur<br />
berufen stellen sie 43 Prozent. Im engeren Bereich der Dar stel lenden<br />
und Bildenden Künste liegt der Frauenanteil bei 44 Prozent bis<br />
49 Prozent. 5 Diese Ungleichverteilung wirkt sich unmittelbar auf die<br />
Chancenverteilung aus, wie z.B. in der Studie von Marlies Hummel<br />
aus dem Jahr 2005 erkennbar ist: Im Einzelnen ergibt die Studie <strong>zu</strong>nächst,<br />
dass hinsichtlich der beruflichen Qualifikation auf Seiten der<br />
Künstlerinnen keine Defizite aus<strong>zu</strong><strong>machen</strong> sind. Im Gegenteil er weisen<br />
sich die befragten bildenden Künstlerinnen als besonders gut<br />
aus gebildet, sie haben überwiegend eine <strong>Kunst</strong>akademie, <strong>Kunst</strong> hochschule<br />
bzw. eine Fachhochschule besucht. Bei den Männern sind dies<br />
etwas weniger, dafür liegt hier der Anteil der Autodidakten um fast<br />
10 Prozentpunkte über dem Wert für die Frauen. 6<br />
Unterschiede treten dann jedoch in der konkreten Berufspraxis<br />
auf: So gelingt es Frauen z.B. seltener als den Männern, bei Auftragsvergabe<br />
aus öffentlicher Hand einen Auftrag <strong>zu</strong> erhalten. Marlies<br />
Hum mel führt das auf „unterschiedliche Spezialisierungsmuster“ <strong>zu</strong>rück,<br />
die dafür verantwortlich sind, d.h., dass die Schwerpunkte der<br />
öffentlichen Auftragsvergabe wie „<strong>Kunst</strong> am Bau“ bzw. „<strong>Kunst</strong> im öffent<br />
lichen Raum“ eher <strong>zu</strong> den Arbeitsschwerpunkten der männlichen<br />
Künstler gehören. Wobei in der Studie offen bleibt, warum es da<strong>zu</strong><br />
kommt. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zeigen sich geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede auch bei der Größe der Ateliers und bei<br />
der Höhe der Miete. „Die Ateliers der Künstlerinnen sind kleiner, die<br />
Monatsmiete ist – trotz höherer Quadratmeterpreise – niedriger als<br />
5 Söndermann, Michael (2004):<br />
Kulturberufe – Statistisches Kurzportrait<br />
<strong>zu</strong> den erwerbstätigen Künstlern,<br />
Publizisten, Designern, Architekten und<br />
verwandten Berufen im Kulturberufemarkt<br />
in Deutschland 1995–2003, Bonn,<br />
vgl. S. 19.<br />
6 Hummel 2005: Die wirtschaftliche<br />
und soziale Situation bildender Künstlerinnen<br />
und Künstler – Schwerpunkt:<br />
Die Lage der Künstlerinnen – Ergebnisse<br />
der BBK Umfrage 2004/2005,<br />
Königswinter, S. 25.<br />
53<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.
Publikum in der Hochschule für Musik<br />
und Theater<br />
die Ateliers und die Monatsmieten der Künstler.“ 7 Fragt man nach der<br />
gewünschten Ateliergröße, so zeigt sich, dass die Diskrepanz zwischen<br />
der tatsächlichen und der gewünschten Fläche bei den Künst lerinnen<br />
deutlich größer ist als bei den männlichen Künstlern. Die Ver bes serung<br />
der Ateliersituation hat dementsprechend bei den Künst lerinnen<br />
ein höheres Gewicht.<br />
Für die Einkommenssituation spielen u.a. auch Transfer zahlungen<br />
eine wichtige Rolle. So erhielten 28 Prozent der durch den BBK<br />
Befragten eine Rente oder Pension. Rund ein Viertel davon bezieht<br />
eine auskömmliche Rente aus früherer abhängiger Beschäftigung.<br />
Etwa ein Drittel lebte hauptsächlich von den Altersbezügen aus der<br />
freiberuflichen Tätigkeit, wobei das bei den Männern <strong>zu</strong> 38 Prozent<br />
und bei den Frauen nur <strong>zu</strong> 29 Prozent der Fall ist. Etwa 40 Prozent der<br />
Befragten im Rentenbe<strong>zu</strong>g schließlich müssen auf eine Alters si cherung<br />
aus verschiedenen Quellen <strong>zu</strong>rückgreifen, d.h. auch auf Renten,<br />
die vielfach nicht aus künstlerischer Tätigkeit stammten. Dabei wird<br />
auch deutlich, dass im „Vergleich mit ihren männlichen Kol legen...<br />
(die älteren Künstlerinnen) in viel stärkerem Maße nur nied rige Renten“<br />
erhalten. Während bei den Männern 43 Prozent weniger als 800<br />
Euro Rente erhielten, waren es bei den Frauen knapp 51 Prozent. 8<br />
7 Hummel 2005, S. 29 8 Hummel 2005, S. 35<br />
54<br />
Frauke Lietz
Wie groß die Unterschiede zwischen Künstlerinnen und Künstlern<br />
sind, wird auch in der Studie „Frauen in <strong>Kunst</strong> und Kultur II – Parti<br />
zipation von Frauen an den Kulturinstitutionen und an der Künstlerinnen-<br />
und der Künstlerförderung der Bundesländer“ aufgezeigt,<br />
die eher die abhängig beschäftigten Künstlerinnen <strong>zu</strong>m Thema hat.<br />
Erarbeitet wurde diese Studie vom deutschen Kulturrat im Auftrag<br />
der Kultusministerkonferenz. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit<br />
der Situation in den Bereichen Darstellende und Bildende Künste,<br />
Musik, Film und Neue Medien und kommt <strong>zu</strong> dem Ergebnis, dass im<br />
<strong>Kunst</strong>betrieb eine typische geschlechtsspezifische Rollen<strong>zu</strong>schreibung<br />
existent ist. Während Bibliothekare/Archivare und Dolmetscher<br />
mit einem Frauenanteil von 67 Prozent bis 75 Prozent als klassische<br />
Frauenberufe gelten, sind künstlerisch-technische Berufe eher Männer<br />
domänen (70 Prozent Männeranteil). Geschlechtsspezifische<br />
Unter schiede finden sich auch beim Ein kommen, Frauen sind in der<br />
Ein kom mensgruppe von 1.500 Euro pro Monat und mehr nur mit<br />
25 Prozent vertreten, Männer hingegen verdienen <strong>zu</strong> 48 Prozent mehr<br />
als 1.500 Euro. Weiterhin weist die Studie aus, dass Künstlerinnen<br />
i.d.R. etwa 10 Prozent geringere Erlöse für ihre Werke erhalten, dass<br />
sie weniger an der Vergabe von Preisen und Stipendien beteiligt sind<br />
und dass nur 35 Prozent der Ankäufe zeitgenössischer <strong>Kunst</strong> Werke<br />
von Frauen sind. Die Studie des Kulturrates weist im Übrigen ebenfalls<br />
nach, dass im familiären Bereich auch für die Künstlerinnen die<br />
klassische Rollenverteilung gilt, denn sie tragen die Hauptlast der<br />
Hausarbeit und der Kindererziehung und der Erziehungsurlaub wird<br />
<strong>zu</strong> 98 Prozent ausschließlich von den Frauen wahrgenommen. 9<br />
Zurück <strong>zu</strong>r Studie von Marlies Hummel von 2011: In ihrem<br />
Fazit wird aufgezeigt, was aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler<br />
förder lich ist, künftig besser von ihrer <strong>Kunst</strong> leben <strong>zu</strong> können. Hier<strong>zu</strong><br />
zählen insbesondere „Ausstellungsmöglichkeiten“ im Allgemeinen<br />
und konkret mit „Ausstellungsvergütungen und angemessenen<br />
9 Vgl. Deutscher Kulturrat e. V. (Hrsg)<br />
(2003): Frauen in <strong>Kunst</strong> und Kultur<br />
II – 1995 bis 2000 – Partizipation von<br />
Frauen an den Kulturinstitutionen und<br />
an der Künstlerinnen- und Künstlerförderung<br />
der Bundesländer, Berlin, S. 90f.<br />
55<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.
Aus stellungsrahmenbedingungen (Transportkostenübernahme, Versiche<br />
rung)“, „eine größere Verfügbarkeit von erschwinglichen Atelierräumen,<br />
eine bessere Zusammenarbeit mit Galeristen“ oder eine<br />
„stä dti sche oder staatliche Galerie, wo <strong>Kunst</strong>werke […] <strong>zu</strong>m Verkauf<br />
ange boten werden können.“ 10<br />
Als wichtig werden u.a. <strong>zu</strong>dem „Netzwerke, die tatsächlich unterstützen<br />
mit Hang <strong>zu</strong>r Überregionalität/Internationalität“ erachtet.<br />
Die Wichtigkeit von tragfähigen Netzwerken, hier dann insbesondere<br />
auf regionaler Ebene, ist auch eines der zentralen Erkenntnisse der aktuellen<br />
Kulturanalyse unseres Bundeslandes. 11<br />
10 Hummel 2011, S. 14.<br />
11 Vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft<br />
und Kultur in Mecklenburg-<br />
Vorpommern (Hg.): Kulturanalyse für<br />
Mecklenburg-Vorpommern. Auswertung<br />
einer Befragung von kulturellen Einrichtungen<br />
und Initiativen im Jahr 2008.<br />
Schwerin 2010, S. 66ff.<br />
56<br />
Frauke Lietz
Peter Leonard<br />
Intendant des Volkstheaters Rostock<br />
Im Theaterbereich gibt es generell mehr Frauen in Führungs positio<br />
nen als in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft. <strong>Der</strong> Zustand<br />
ist deshalb nicht <strong>zu</strong>friedenstellend, aber besser als in anderen<br />
Branchen. Besonders im Bereich Intendanz und Chefdirigent/Chefdirigentin<br />
bzw. Musikdirektor/Musikdirektorin ist die Mehrheit der<br />
Stellen in Deutschland von Männern besetzt.<br />
Im Bereich der Orche stermusikerinnen und Orchestermusiker<br />
ist die Situation wesentlich besser als noch eine Generation vor uns.<br />
In einem Orchester mit der Größe der Norddeutschen Philharmonie<br />
sind etwa 50 Prozent der Mitglieder Frauen. Leider wird in den Spitzenorchestern<br />
dieses Verhältnis noch nicht erreicht, obwohl eine klare<br />
Tendenz für mehr Frauen <strong>zu</strong> merken ist. In der Musik- und The a terbranche<br />
ist letztendlich ein gleichberechtigter Zugang durch eine ordentliche<br />
Ausbildung der erste Schritt auf dem langen Weg <strong>zu</strong> einer<br />
Führungsposition.<br />
Am schwierigsten ist die nächste Stufe, wo aber auch im Bereich<br />
Komponistinnen und Komponisten eine allmähliche Verbesserung <strong>zu</strong><br />
spüren ist. Ich hatte selber die Ehre, die deutsche Erstaufführung der<br />
ersten Pulitzer-Preisträgerin, Ellen Taaffe Zwilich, <strong>zu</strong> dirigieren. Da<br />
dieses Konzert mit der Norddeutschen Philharmonie in Deutschland<br />
sowie in Amerika per Funk gesendet wurde, hat das Volkstheater Ro s-<br />
tock auch hier ein kleines Zeichen für die Gleichberechtigung gesetzt.<br />
57<br />
Statement Peter Leonard
Miro Zahra<br />
Freischaffende Künstlerin<br />
Als freischaffende Künstlerin befinde ich mich im ständigen Zwiespalt<br />
zwischen dem Kampf ums existenzielle Überleben und dem<br />
künst lerischen Anspruch, den man sich <strong>zu</strong> Anfang der künstlerischen<br />
Laufbahn gestellt hat. Auf dem Weg, eine künstlerische Karrie<br />
re auf<strong>zu</strong>bauen, gibt es kaum Zeiten, in denen man, und besonders<br />
frau, sich ausruhen kann. Zusätzlich wird man als Künstlerin durch<br />
Ver pflichtungen, die das Leben mit sich bringt, z.B. durch die Rolle<br />
als Mutter und/oder Ehefrau, auch zwischenzeitlich aus der Bahn<br />
geworfen, oder mindestens auf dem Weg der künstlerischen Selbstverwirklichung<br />
aufgehalten.<br />
Es zählt in diesem Land vielleicht schon als Erfolg, wenn man<br />
von eigener künstlerischer Arbeit leben kann. Die Existenzangst ist<br />
aber trotzdem ein ewiger Begleiter, mit dem man rechtzeitig umgehen<br />
lernen sollte. Ich werte es als meinen persönlichen Erfolg, dass ich<br />
meinen künstlerischen Weg finden konnte und auch relativ frei und<br />
selbst bestimmt in einer Landschaft, die ich mir ausgesucht habe, mitten<br />
in der Natur, leben kann.<br />
Was hat mich auf meinem Weg gefördert – es waren Frauen wie<br />
Männer: <strong>Kunst</strong>wissenschaftler und <strong>Kunst</strong>wissenschaftlerinnen, Kuratoren<br />
und Kuratorinnen, denen meine künstlerische Arbeit positiv<br />
auf gefallen ist und die mich auf meinem Weg begleitet haben und be -<br />
gleiten. Und natürlich die <strong>Kunst</strong>sammler, national wie international,<br />
die bereit sind, für <strong>Kunst</strong> Geld aus<strong>zu</strong>geben. Dabei halten sich die Geschlechter<br />
die Waage.<br />
Eine respektvolle und interessierte Partnerschaft kann u.a. für<br />
den Aufbau einer Künstlerkarriere förderlich sein. Mein Mann ist<br />
selbst Künstler. Das macht eine Partnerschaft leichter und schwerer<br />
<strong>zu</strong>gleich. Mann und Frau sind in diesem Fall Verbündete und Konkurrenten<br />
<strong>zu</strong>gleich. Es geht nicht immer harmonisch <strong>zu</strong>, aber es hält<br />
wach und schützt vor falschem Selbstbild. Auf einem künstlerischen<br />
58<br />
Statement Miro Zahra
Weg ist es unglaublich wichtig, dass Begleiter da sind, die konstruktive<br />
Kritik ausüben können, und dass man selbst auch fähig ist, diese<br />
wahr<strong>zu</strong>nehmen. Das stetige Überprüfen eigener Arbeit im größeren,<br />
wenn möglich, internationalen Kontext ist unerlässlich für weitere<br />
Entwicklung. Risikobereitschaft und Mut <strong>zu</strong>m Experiment sind Basis<br />
für neue Entdeckungen.<br />
Erfolg ist nicht etwas, was einem <strong>zu</strong>fällt: Im künstlerischen Beruf<br />
ist es eine Mischung aus Talent, Disziplin und Beharrlichkeit. Am Ende<br />
muss aber das Ganze auch noch Esprit behalten und sich am besten<br />
ganz selbstverständlich und lebendig anfühlen.<br />
<strong>Kunst</strong> <strong>machen</strong> und als Künstlerin <strong>zu</strong> leben ist eben ein <strong>Kunst</strong>stück.<br />
59<br />
Statement Miro Zahra
Zusammenfassung<br />
Die vierte Veranstaltung der Reihe „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“<br />
widmet sich dem Thema „Chancengleichheit & Führungs posi tionen<br />
in der <strong>Kunst</strong>“.<br />
Kristin Beckmann (Die Beginen e.V.) moderiert und führt das<br />
Pub li kum und die geladenen Podiumsgäste Elke Haferburg (NDR<br />
Meck len burg-Vorpommern), Hannah Kruse (Goldrausch, Berlin), Peter<br />
Leo nard (Volkstheater Rostock), Frauke Lietz („Die <strong>Kunst</strong>, von <strong>Kunst</strong><br />
<strong>zu</strong> leben“, Rostock) und Miro Zahra (Künstlerin, Schloss Plüschow)<br />
durch den Abend.<br />
„Große Ausstellungen werden nur selten von Frauen geführt“, so<br />
beginnt Hannah Kruse ihr Einstiegsreferat <strong>zu</strong> der Situation von deutschen<br />
Künstlerinnen. „Die Tatsache, dass immer mehr Frauen ihre<br />
<strong>Kunst</strong> in Form von Einzelausstellungen präsentieren, macht zwar den<br />
Ein druck, dass sich etwas bewegt“, berichtet Hannah Kruse, „doch die<br />
Frauen quote im Ausstellungsbereich ist nach wie vor sehr niedrig.“<br />
Sie führt ihr Referat fort und berichtet darüber, dass im Jahr 2011<br />
46 Prozent der Künstler nur 28 Prozent der Künstlerinnen gegenüberstehen,<br />
die eine Einzelausstellung veranstalteten. In der Rostocker<br />
<strong>Kunst</strong> halle fand 2008 die letzte Einzelausstellung einer Frau statt.<br />
Han nah Kruse verweist auf den „<strong>Kunst</strong>kompass“, der jährlich<br />
ein Ran king von Spitzenkünstlerinnen und -künstlern ermittelt. Im<br />
Bereich der Malerei sind es ausschließlich Männer, welche die Ranglisten<br />
füllen. Frauen findet man, wenn, in den neuen Künsten und<br />
dort meist auf den hinteren Plätzen der Liste.<br />
In Be<strong>zu</strong>g auf das Einkommen hält Kruse fest, dass sich ebenso<br />
ein Ungleichgewicht in der Einkommenssituation von Künstlern und<br />
Künstlerinnen beobachten lässt. Das durchschnittliche Einkommen<br />
von Künstlerinnen (10.500 Euro) liegt unter dem ihrer männlichen<br />
Kol legen (13.500 Euro), der Verkaufswert von weiblicher <strong>Kunst</strong> bewegt<br />
sich bis <strong>zu</strong> 20 Prozent unter dem der männlichen.<br />
Auch im Hoch schulbereich finden sich keine Anzeichen einer<br />
aus gewogenen Ge schlechterverteilung. Nur 25 Prozent der Lehrstühle<br />
60<br />
Zusammenfassung
Podiumsdiskussion in der Hochschule<br />
für Musik und Theater<br />
sind durch Professorinnen besetzt. Abschließend benennt Hannah<br />
Kruse in ihrem Referat mögliche <strong>Karriere</strong>hindernisse und Faktoren,<br />
welche den <strong>Karriere</strong>weg von Künst lerinnen beschleunigen können.<br />
Kinder stehen dabei, wie in vielen anderen Bereichen von be rufli chen<br />
Werdegängen, als hemmendes Ele ment. Aufgrund der Ein kom menslage<br />
sind die Frauen neben ihrer eigentlichen Berufung als Künstlerin<br />
da<strong>zu</strong> gezwungen, <strong>zu</strong>sätzlich Geld <strong>zu</strong> verdienen, um die Kinder<br />
ernähren <strong>zu</strong> können. Kruse glaubt aber auch, dass Frauen in der<br />
<strong>Kunst</strong> szene es an die Spitze schaffen kön nen. Ein gewisses Maß an<br />
Ri si ko bereitschaft, Mobilität, Selbst pro motion, das Verlangen einer<br />
ange messenen Bezahlung, nachhaltigeres Arbeiten, die Fähigkeit, sich<br />
ein dickes Fell <strong>zu</strong><strong>zu</strong>legen und mehr Selbstvertrauen sind nach ihrer<br />
Ansicht Zutaten, welche die <strong>Karriere</strong> wege von Künstlerinnen positiv<br />
vorantreiben können.<br />
Auf Basis des Einstiegsreferats eröffnet Kristin Beckmann nun<br />
die Podiumsdiskussion und bittet die Gäste, über ihre <strong>Karriere</strong>wege <strong>zu</strong><br />
berichten. Dabei sollen diese auch auf begünstigende bzw. hemmende<br />
Faktoren eingehen.<br />
Zunächst erhält Peter Leonard das Wort. Er ist gebürtiger US-<br />
Ame ri kaner, studierte Horn und Dirigieren. Nachdem er in den USA<br />
drei Orchester leitete, übernahm er mit 45 Jahren ein Orchester in<br />
Augs burg. Seit 2008 ist er Intendant am Volkstheater, hatte dies aber<br />
nie for ciert und geplant. Die Geschlechterverteilung innerhalb des<br />
61<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.
Literatur<br />
Or chesters und Theaters in Rostock beschreibt er <strong>zu</strong>dem mit 50/50 als<br />
sehr ausgewogen.<br />
Miro Zahras Kindheitstraum war immer der, eine Künstlerin <strong>zu</strong><br />
werden. Sie studierte <strong>zu</strong>nächst in Prag <strong>Kunst</strong> und ging dann nach<br />
Ostberlin, wo sie einen Studienplatz als Grafikerin erhielt. Ihre bis dahin<br />
nicht vorhandenen Deutschkenntnisse beschreibt sie als eine erste<br />
Hürde innerhalb ihres <strong>Karriere</strong>weges. Als Kontrast <strong>zu</strong>m Stadtleben<br />
ging sie dann nach Plüschow und teilt sich seither dort mit ihrem<br />
Mann die Leitung des Künstlerhauses. Ähnlich wie Peter Leonard sagt<br />
auch sie: „Meine <strong>Karriere</strong> war so nicht geplant.“<br />
Gleiches gilt auch für Elke Haferburg. Sie war vor der Wende Archi varin<br />
und wollte mit dem Fall der Mauer mit 35 Jahren noch Mal etwas<br />
ganz Neues starten. Nach einem Volontariat bei der Zeitung durchlief<br />
sie eine rasante <strong>Karriere</strong> beim Fernsehen. Sie sagt von sich selbst:<br />
„Ich hatte mit Sicherheit auch viel Glück und traf die richtigen Leute<br />
<strong>zu</strong>r richtigen Zeit. Geplant war das alles so nicht.“<br />
Im Anschluss daran stellt Frauke Lietz ihr Projekt „Die <strong>Kunst</strong>,<br />
von <strong>Kunst</strong> <strong>zu</strong> leben“ vor, welches nach den Bedürfnissen der Künstlerinnen<br />
entwickelt wurde. Auf die Frage von Kristin Beckmann, ob es<br />
Erfolgsgeschichten gibt, welche aus diesem Projekt hervorgegangen<br />
sind, verweist Frauke Lietz auf Miro Zahra. Auch habe sich in den<br />
Bereichen der Literatur vieles getan. Die Frauen haben jetzt bessere<br />
62<br />
Zusammenfassung
Möglichkeiten, ihre Werke <strong>zu</strong> präsentieren. Als Beispiel hierfür nennt<br />
sie die „Lesebühne“. Miro Zahra sah das Projekt anfangs sehr kritisch,<br />
denn die „Ghettoisierung“ von Frauen wäre nicht ihr Ziel. Aber sie sah<br />
dann mit Freude, dass die Künstlerinnen ganz eigene Projekte und<br />
Ideen schufen.<br />
Kristin Beckmann richtet nun die Frage danach, ob der NDR ein<br />
<strong>Kunst</strong>vermittler sei, direkt an Elke Haferburg. Diese glaubt, dass ein<br />
Medium im Medium nicht funktionieren kann und empfiehlt das Inter<br />
net als eine erfolgversprechendere Plattform, weil auf diese Weise<br />
viel mehr Informationen bereitgestellt werden können. Auch seien<br />
die Möglichkeiten der Aufbereitung vielseitiger. Hannah Kruse sieht<br />
wiederum eine große Chance, die eigene <strong>Kunst</strong> in der Öffentlichkeit<br />
dar<strong>zu</strong>stellen, darin, den Einstieg <strong>zu</strong>r <strong>Kunst</strong> über die Person selbst <strong>zu</strong><br />
schaffen. Miro Zahra bestätigt diesen Gedanken. Sie hat die Erfahrung<br />
gemacht, dass die Öffentlichkeit nicht nur an der <strong>Kunst</strong> selbst, sondern<br />
auch an dem Menschen, der sie erschaffen hat, interessiert ist.<br />
Peter Leonard glaubt, dass Netzwerke das wichtigste sind, um von der<br />
Öffentlichkeit wahrgenommen <strong>zu</strong> werden. Die Knüpfung dieser koste<br />
aber auch Selbstüberwindung.<br />
Kristin Beckmann stellt nun abschließend an alle Podiumsgäste<br />
die Frage: “Was muss sich verändern, damit noch mehr Frauen in Führungspositionen<br />
gelangen?“<br />
Elke Haferburg findet eine Quotenregelung falsch, denn sie ist der<br />
Mei nung, dass Frauen in Führungspositionen sein können, aber es keinesfalls<br />
müssen! Netzwerke, Selbstvertrauen, einen Plan haben – dies<br />
seien nach ihrer Ansicht Punkte, welche Künstlerinnen in Füh rungspositionen<br />
bringen können.<br />
Hannah Kruse sieht in der Idee, die Arbeitsstellen tauschen <strong>zu</strong><br />
können oder ein Praktikum <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>, um sich auf mittleren Posi tionen<br />
weiterentwickeln <strong>zu</strong> können, eine gute Möglichkeit.<br />
Miro Zahra plädiert dafür, dass Frauen offensiver und mehr an<br />
die Öffentlichkeit gehen müssen. Außerdem sei ein gesundes Selbst bewusstsein<br />
entscheidend.<br />
63<br />
<strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> & Co.
Aus dem Publikum kommt die Frage, wie es mit der Vereinbarkeit<br />
von <strong>Kunst</strong> und Familie steht. Hannah Kruse gibt <strong>zu</strong>, dass es <strong>zu</strong> Ab stri -<br />
chen kommt, wenn Kinder ins Spiel kommen. Sie selbst kehrte aus familiären<br />
Gründen aus England <strong>zu</strong>rück nach Berlin. Sie half sich beim<br />
Thema Kinderbetreuung <strong>zu</strong>dem selbst, indem sie in einem Netz werk<br />
mit anderen Künstlerinnen-Müttern mitwirkte, aus dem ein Kin dergar<br />
ten hervorgegangen ist.<br />
Ein Mann aus dem Publikum fragt: „Warum stellt ihr euch hinter<br />
die Männer? Warum unterstützt ihr sie? Warum nehmt ihr die Kraft<br />
nicht für euch selbst?“<br />
Miro Zahra sagt, sie sei so erzogen worden. Aber mit ihrem Mann<br />
teilt sie sich die Erziehung der gemeinsame Tochter und die damit anfallenden<br />
Aufgaben. Auch ließ sie ihre Tochter beim Vater, als sie für<br />
drei Monate ins Ausland ging.<br />
Eine Dame aus dem Publikum meldet sich <strong>zu</strong> Wort. Sie findet es<br />
schade, dass <strong>Kunst</strong> generell in Mecklenburg-Vorpommern nur wenig<br />
wertgeschätzt wird.<br />
Kristin Beckmann bedankt sich beim Publikum und den Po diums<br />
gästen und entlässt alle in den Abend.<br />
64<br />
Zusammenfassung
Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?<br />
Waldemarhof, Rostock<br />
21. Februar 2012<br />
65
Stephanie Nelles<br />
Integrationsbeauftragte der Hansestadt Rostock,<br />
Büro für Integrationsfragen für Migrantinnen und<br />
Migranten<br />
66 Stephanie Nelles
67 Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?
68 Stephanie Nelles
69 Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?
70 Stephanie Nelles
71 Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?
72 Stephanie Nelles
73 Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?
74 Stephanie Nelles
75 Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>?
Viktoriya Boelck<br />
H&F Industry Data GmbH, Kavelstorf<br />
Das Thema „Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>“ ist sehr breit gefächert und<br />
viel diskutiert, was unser Treffen schon gezeigt hat.<br />
Migrantinnen müssen heut<strong>zu</strong>tage doppelt so schwer für ihre Inte<br />
gration in Beruf und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland<br />
kämpfen. Hier ist die Anpassung an die nationale Kultur und die<br />
Menschen von größter Bedeutung für den eigenen Weg.<br />
Frauen müssen bei der Integration nicht nur mit der Aner kennung<br />
der im Heimatland erworbenen Abschlüsse und Berufe kämpfen,<br />
sondern auch parallel die familiäre Komponente mit in Einklang<br />
brin gen.<br />
Ich denke, es ist in dieser Situation sehr wichtig, nicht sein eigenes<br />
Ich und die Zielrichtung <strong>zu</strong> verlieren und gradlinig seinen Weg <strong>zu</strong><br />
gehen.<br />
Ich glaube, wenn man sein Ziel für die Zukunft gefunden hat,<br />
soll te dieses bei dem weiteren Weg nicht aus den Augen verloren werden<br />
und die BRD mit ihrer liberalen Integrationspolitik gibt meiner<br />
Ansicht nach sehr viele Chancen hierfür (Weiterbildung, Immi grations<br />
veranstaltungen usw.).<br />
Ich wünsche allen Migranten, die ihre Ziele noch nicht erreicht<br />
haben, viel Glück und gebe den Ratschlag, niemals auf<strong>zu</strong>geben.<br />
Ich bedanke mich dafür, meine Meinung und Ansichten in dieses<br />
Forum mit einbringen <strong>zu</strong> dürfen.<br />
76<br />
Statement Viktoriya Boelck
Daniela Boltres<br />
Sprachschule USUS<br />
Ein eher privates Statement <strong>zu</strong>m Schlüsselbegriff <strong>Karriere</strong>:<br />
„Wenn du willst, kannst du. Wenn du kannst, musst du auch.“ (rumänisch:<br />
„Daca vrei, poti. Daca poti, trebuie.“)<br />
Dieser Leitspruch meiner rumänischen Mutter überforderte mich<br />
oft und er führte auch nicht da<strong>zu</strong>, dass ich jene Art beruflichen Erfolg<br />
erreicht habe, den sie sich erträumt hatte.<br />
Denn: 1. Ich arbeite freiberuflich. 2. Ich bin in erster Linie Autorin,<br />
dann Netzwerkerin und Ehrenamtlerin. Dass ich auch noch unterrichte,<br />
ist das einzig „Seriöse“, was ich <strong>zu</strong>rzeit mache.<br />
Aber der Spruch hat mich, denke ich heute, ein Leben lang bestärkt,<br />
vieles aus<strong>zu</strong>probieren, was in meinem Herkunftsmilieu gewiss<br />
nicht <strong>zu</strong>m Naheliegendsten gehört und mir das Vertrauen gegeben,<br />
auch schwerere, unklare Zeiten durch<strong>zu</strong>stehen.<br />
Leitgedanken für eine <strong>Karriere</strong>: Eine eher„technische“ Liste<br />
(5) Wir brauchen Vorbilder.<br />
(6) Wir müssen die Möglichkeit haben, Verschiedenes aus<strong>zu</strong>probieren.<br />
(7) Wir müssen uns austauschen und beraten, das heißt, wir müssen<br />
miteinander sprechen: gleichermaßen in unserer Muttersprache<br />
wie in der Sprache unseres Gastlandes. Wir müssen einander unterstützen.<br />
(8) Wir brauchen eigene Träume.<br />
(9) Wir müssen uns über die nötigen Schritte klar werden, um unsere<br />
Träume umsetzen <strong>zu</strong> können. Dafür brauchen wir fachliche<br />
Begleitung.<br />
(10) Wir können einen Weg gehen, auch wenn er nicht unbedingt am<br />
ursprünglichen Ziel ankommen wird. Weil die schlichte Kontin -<br />
genz es verhindert – oder weil wir uns auf dem Weg dahin ändern<br />
und so auch unsere Richtung sich ändert.<br />
(11) Wir bleiben nicht stehen.<br />
77<br />
Statement Daniela Boltres
Überset<strong>zu</strong>ng der Leitgedanken für meine <strong>Karriere</strong>:<br />
(12) Ich brauchte <strong>zu</strong>m Beispiel meine Mutter; oder: <strong>zu</strong>m Beispiel die<br />
Frauen aus den ca. 50 Frauenbiografien, die ich bisher gelesen<br />
habe.<br />
(13) Ich habe bisher gearbeitet: <strong>zu</strong>m Beispiel Ausstellungskonzeption<br />
und Grafikdesign, Druckkampagne, Unterricht, Kulturmanage -<br />
ment, Vereinsleitung, Studienberatung, Theatergruppen, politische<br />
Erwachsenenbildung, Mathematik, Theologie, <strong>Kunst</strong>.<br />
(14) Das tue ich in den beiden Vereinen, die ich leite, und in der Ge -<br />
werkschaft, in der ich Ämter habe. Und überall sonst auch, wo es<br />
sich ergibt.<br />
(15) Mein Traum: Ich möchte einen mehrsprachigen Roman über eine<br />
Kochbuchautorin mit Migrationshintergrund schreiben, die ein<br />
interkulturelles Kochbuch mit Gerichten aus ihrer Heimat schreiben<br />
will – und <strong>zu</strong>erst nicht so richtig vorankommt, aber dann...<br />
(16) Ich habe mir Beratung von der Agentur für Arbeit und der IHK<br />
Rostock sowie von der GSA Schwerin und von zwei Coaches in<br />
Berlin für meine künstlerische, erst zwei Jahre alte <strong>Karriere</strong> geholt.<br />
Und von vielen anderen Menschen.<br />
(17) Ursprünglich (mit 10) wollte ich Schriftstellerin werden, dann<br />
studierte ich (mit 25) Theologie auf Pfarramt, heute (mit 40) bin<br />
ich Schriftstellerin.<br />
(18) Keine Ahnung, was in fünf Jahren sein wird.<br />
78<br />
Statement Daniela Boltres
Phuong Kollath<br />
Interkulturelle Beratung und Training<br />
Jede sechste unternehmerisch selbstständige Frau in Deutschland besitzt<br />
einen Migrationshintergrund. Das bedeutet, dass sich immer<br />
mehr Migrantinnen auf den Weg in die Selbständigkeit <strong>machen</strong> und<br />
ein eigenes Unternehmen gründen. Die meisten in Mecklenburg-<br />
Vorpom mern lebenden Migrantinnen <strong>machen</strong> sich häufig im Gast gewer<br />
be und im Handel selbstständig, aber auch im Pflege- und Wellness<br />
bereich.<br />
Einige sind in akademischen Berufen sowie in den wirt schaftsnahen<br />
Dienstleistungen engagiert. Sie sind in struktureller Hin sicht<br />
besser integriert. Wohlstand und beruflicher Erfolg tragen wesentlich<br />
da<strong>zu</strong> bei, dass sie sich in Deutschland wohlfühlen. Sie verdienen dadurch<br />
mehr und sind <strong>zu</strong>friedener.<br />
Aber ihre wirtschaftliche Bedeutung und die öffentliche Wahrneh<br />
mung sind gegenwärtig noch sehr gering.<br />
Viele Migrantinnen erleben sehr intensiv den Konflikt zwischen<br />
Pflichtgefühl gegenüber der Familie und dem Wunsch nach Selbstständigkeit,<br />
viele sind leider noch nicht gut in Deutschland angekommen.<br />
Ihre Erfahrungen in Deutschland sind durch Diskriminierung,<br />
Rassismus, aber auch Heimweh und Entwurzelung geprägt.<br />
Ich bin für die Vernet<strong>zu</strong>ng untereinander, mit anderen bestehenden<br />
Netzwerken und Einrichtungen. Das bedeutet, aktiv <strong>zu</strong> werden in<br />
den bestehenden Netzwerken und Strukturen. Aber auch, sich von anderen<br />
Frauen coachen <strong>zu</strong> lassen, z.B. in einem „Erfolgsteam“. Übrigens<br />
stammt diese Idee aus Rostock und wurde seit 2006 auf der Berliner<br />
Ebene erfolgreich realisiert.<br />
Die Landes- und Kommunalpolitik soll da<strong>zu</strong> beitragen, Maßnahmen<br />
<strong>zu</strong>r Weiterbildung, Qualifizierung, Anerkennung von im Ausland<br />
erworbenen Abschlüssen <strong>zu</strong> fördern, aber auch die strukturel len<br />
Beratungsangebote aus<strong>zu</strong>bauen. Wir können die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern<br />
kräftig durch Migrantinnen und Migranten<br />
79<br />
Statement Phuong Kollath
an kurbeln, indem das Land die interkulturelle Öffnung in den Ämtern<br />
bzw. Verwaltungen unterstützt und ein offenes, freundliches Klima<br />
einer „Willkommenskultur“ schafft sowie Anreize für ausländische Unter<br />
nehmen bietet, damit sie bereit sind, in Mecklenburg-Vorpommern<br />
<strong>zu</strong> investieren. Die Vielfalt muss als größte Chance gesehen werden.<br />
Stephanie Nelles<br />
Integrationsbeauftragte der Hansestadt Rostock<br />
Im Vergleich <strong>zu</strong> anderen deutschen Kommunen leben in der Hansestadt<br />
Rostock überdurchschnittlich viele gut und hoch qualifizierte<br />
Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund. Die hohe An zahl<br />
an Absolventen mit Mittlerer Reife (43 Prozent) und Abitur (43 Prozent)<br />
unter den Schülern mit Migrationshintergrund in der Hansestadt<br />
Rostock stellt hier sicherlich einen wichtigen Indikator dar, der<br />
mög licher weise auch als eine Besonderheit für Gesamtdeutschland<br />
her vor gehoben werden muss.<br />
Diese durchweg positive Entwicklung im Bereich der schulischen<br />
Qualifikation könnte möglicherweise auch einen kulturellen Hintergrund<br />
haben. <strong>Der</strong> Großteil der Bürgerinnen und Bürger mit Migrations<br />
hintergrund in Rostock kommt ursprünglich aus Ländern und<br />
Kul turen, in denen Bildung und Qualifikation einen sehr hohen gesellschaftlichen<br />
Wert darstellen.<br />
Vor diesem Hintergrund sind die bundesweiten Ergebnisse meines<br />
Vortrags <strong>zu</strong> den „<strong>Karriere</strong>wegen von Migranten“ generell, und<br />
„Kar rierewegen von Frauen mit Migrationshintergrund“ im Be sonde<br />
ren, sehr ernüchternd. Hier gibt es noch sehr viel Ent wick lungspo<br />
tenzial, das sowohl für die Wirtschaft als auch für die Gesellschaft<br />
bes ser genutzt werden muss. Um diese Potenziale <strong>zu</strong> erschließen, sind<br />
politische Maßnahmen, aber auch eine bewusste Öffnung von Unternehmen<br />
und Organisationen gegenüber Personen mit Mi gra tions hintergrund<br />
notwendig.<br />
80<br />
Statement Phuong Kollath / Stephanie Nelles
Mit dem Thema „interkulturelle Öff nung der Verwaltung“ beschäftigen<br />
sich unter anderem auch die Teil neh me rinnen und Teilnehmer<br />
des Integrationsworkshops der Hansestadt Ro stock, der Anfang Juni<br />
2012 stattfinden wird. Diese Diskussion kann jedoch nur ein erster<br />
Bau stein sein, um einen Prozess des Umdenkens in der Personal politik<br />
und damit verbunden einer stärkeren Rekru tierung von Migranten innen<br />
und Migranten in die Verwaltung <strong>zu</strong> initiieren.<br />
Auch die Wirtschaft kann von einer bewusst gesteuerten interkulturellen<br />
Öffnung profitieren. Schafft es ein Unternehmen, kulturelle<br />
Vielfalt wert<strong>zu</strong>schätzen, so ergeben sich vielfältige positive Effekte bei<br />
internationalen Aktivitäten, bei der Gewinnung neuer Zielgruppen,<br />
Steigerung der Kunden<strong>zu</strong>friedenheit, Förderung der Kreativität und<br />
Innovation, Erhöhung der Motivation und Leistungsbereitschaft der<br />
Belegschaft und Verbesserung des Unternehmensimages.<br />
Cintia Vazquez<br />
SIV AG, Roggentin<br />
In Deutschland haben Migrantinnen die gleiche Gelegenheit sich <strong>zu</strong><br />
entwickeln wie die Deutschen.<br />
Die Podiumsdiskussion „Migrantinnen und <strong>Karriere</strong>“ wies nach,<br />
dass die Migrantinnen, die eine erfolgreiche <strong>Karriere</strong> in Deutschland<br />
haben möchten, keine Inklusion NUR durch Integration versuchen<br />
sollten. Sie sollten auch verstehen, welche Vorteile sie als Auslän derinnen<br />
haben und damit eine Strategie entwickeln, um voran<strong>zu</strong>kommen.<br />
Wichtig ist, unsere Unterschiede als Migrantinnen an<strong>zu</strong>nehmen, nur<br />
damit wird es möglich heraus<strong>zu</strong>finden, welche Schwach- und Schwerpunkte<br />
wir in diesem Land haben, um weiter<strong>zu</strong>kommen.<br />
81<br />
Statement Stephanie Nelles / Cintia Vazquez
Qualität vs. Quote?<br />
Stadthalle Rostock<br />
19. April 2012<br />
82 Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe
Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe<br />
Justus-Liebig-Universität Gießen, Mitglied der<br />
Sachverständigenkommission <strong>zu</strong>r Erstellung des Ersten<br />
Gleichstellungsberichts der Bundesregierung<br />
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95 Qualität vs. Quote?
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Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe
Irmhild Düwel<br />
AFZ – Aus- und Fortbildungszentrum Rostock GmbH<br />
Mit der Einführung der Quote beginnt kein Umdenkungsprozess hinsichtlich<br />
der Veränderung unserer Rollenverständnisse, weder bei<br />
den Frauen noch bei den Männern. Gemeinsam mit allen Beteiligten,<br />
Betroffenen ist daran <strong>zu</strong> arbeiten, dass Leistung in Verbindung mit<br />
Qualität bei der Beset<strong>zu</strong>ng von Stellen im Vordergrund steht. Denn in<br />
der Wirtschaft ist ein Überleben nur möglich, wenn die Zahlen, Daten,<br />
Fakten stimmen.<br />
Es ist notwendig, dass die Potenziale erkannt werden, diese gefördert<br />
und gefordert werden. Eine persönliche Begleitung ist dabei entscheidend,<br />
damit die <strong>Karriere</strong> nicht abbricht. Ich bin aus den oben<br />
ge nannten Gründen und weil ich nicht von Männern als Quotenfrau<br />
be wertet werden will gegen eine Quotenregelung.<br />
Erwin Sellering<br />
Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />
Wir haben bei der Gleichstellung von Männern und Frauen in<br />
Deutsch land in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht.<br />
Trotz dem sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt oft noch benachteiligt.<br />
Sie verdienen für die gleiche Arbeit vielfach weniger als Männer.<br />
Und sie haben es deutlich schwerer, in Führungspositionen <strong>zu</strong> gelangen,<br />
auch wenn sie genauso gut qualifiziert sind wie Männer.<br />
Das kann so nicht bleiben. Deshalb unterstütze ich die Forderung<br />
nach einer gesetzlichen Frauenquote von mindestens 40 Prozent in<br />
den Vorständen und Aufsichtsräten großer Firmen in Deutschland.<br />
97 Statement Irmhild Düwel / Erwin Sellering
So wichtig diese Forderung ist: Sie allein reicht nicht aus. Auch in<br />
kleineren und mittleren Unternehmen und im Öffentlichen Dienst<br />
müssen wir die Chancen von Frauen verbessern. Da<strong>zu</strong> brauchen wir<br />
das ge mein schaftliche Engagement von Regierung, Wirtschaft, Gewerk<br />
schaf ten und der ganzen Gesellschaft.<br />
Das beginnt mit einem Umdenken. In Deutschland gilt vielfach<br />
noch die Vorstellung, dass Führungskräfte einen 14-Stunden-Arbeitstag<br />
haben müssen, nach dem für die Familie „leider“ keine Zeit mehr<br />
bleibt. Ich wünsche mir eine andere Kultur. Kinder bereichern unser<br />
Leben. Die Familie gibt Rückhalt. Ich bin deshalb fest davon überzeugt,<br />
dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer von familienfreundlichen<br />
Arbeitsbedingungen profitieren. Das gilt übrigens nicht nur für<br />
Frau en, sondern auch für Männer.<br />
Da<strong>zu</strong> muss ein gutes Kinderbetreuungsangebot kommen.<br />
In Meck lenburg-Vorpommern besuchen 97 Prozent aller Kinder zwischen<br />
3 und 6 eine Kita, mehr als die Hälfte der Kinder unter 3 Jahren<br />
eine Krip pe. Damit sind wir den meisten anderen Bundesländern weit<br />
vor aus. In Deutschland muss in den kommenden Jahren kräftig in die<br />
Kin derbetreuung investiert werden. Das ist besser als ein Be treu ungsgeld,<br />
das einem Frauen- und Männerbild von gestern entspricht.<br />
Die Landesregierung arbeitet daran, dass auch in der Landes verwaltung<br />
mehr Frauen in Führungspositionen gelangen. Bei den Mini s-<br />
terinnen und Ministern haben wir einen Frauenanteil von einem Drittel,<br />
bei den Staatssekretären ist dieser auf 30 Prozent erhöht worden.<br />
Schwieriger sieht es auf den Ebenen darunter aus. Wir wollen in den<br />
kommenden fünf Jahren Frauen gezielter für Führungspositionen qualifizieren.<br />
Denn uns ist klar: Wenn wir Veränderungen in der Wirtschaft<br />
wollen, müssen wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen.<br />
98<br />
Statement Erwin Sellering
Podiumsdiskussion in der Stadthalle<br />
Rostock<br />
Zusammenfassung<br />
Streitthema Frauenquote – in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt<br />
in der öffentlichen Debatte. Die Bundesministerin für Familie,<br />
Se nioren, Frauen und Jugend, Frau Dr. Kristina Schröder (CDU)<br />
spricht sich für die Flexi-Quote aus, ihre Kabinettskollegin Ursula<br />
Ger trud von der Leyen, <strong>zu</strong>ständig für das Ressort Arbeit und Soziales,<br />
plädiert für die gesetzliche Verpflichtung von Unternehmen von 30<br />
Pro zent ab dem Jahr 2018.<br />
Flexi-Quote, starre Quote, keine Quote? Die Veranstalterinnen der<br />
Reihe „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“ kamen am 19. April 2012<br />
mit interessanten Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft<br />
aus dem Raum Rostock gemeinsam mit einem breiten, interessierten<br />
Publikum in der Stadthalle der Hansestadt ins Gespräch, um der Frage<br />
nach<strong>zu</strong>gehen „Qualität vs. Quote?“. <strong>Der</strong> Einladung der Initiatorinnen<br />
folgten der Ministerpräsident der Landes Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Erwin Sellering, Irmhild Düwel vom Aus- und Fortbildungszentrum<br />
Rostock GmbH, Frau Prof. Uta Meier-Gräwe von der Universität Gießen,<br />
Hans-Günter Trepte vom Verband der Unternehmensverbände<br />
Meck lenburg-Vorpommern – VU<strong>MV</strong>) sowie Frau Prof. Brigitte<br />
Voll mar von der Universität Rostock. Neben den Verfechtern der Quotie<br />
rung, namentlich der Ministerpräsident gemeinsam mit Frau Prof.<br />
Meier-Gräwe, schließen die Universitätsprofessorin Brigitte Vollmar,<br />
99<br />
Zusammenfassung
ihre Podiumsmitstreiterin, die Geschäftsführerin vom AFZ Rostock,<br />
Irmhild Düwel, wie auch der VU<strong>MV</strong> Vorstand Hans-Günter Trepte die<br />
Quote als das Mittel der Wahl aus, um den Anteil von Frauen in Führungsposition<br />
<strong>zu</strong> erhöhen.<br />
Die Quoten-Gegner und -gegnerinnen, und hier mit einer Vehemenz<br />
Frau Prof. Vollmar für den Wissenschaftsbereich, sprechen sich<br />
für das Instrument des Mentorings als ein probates Mittel der Wahl<br />
aus, das „sichtbare Effekte in der Förderung und Unterstüt<strong>zu</strong>ng von<br />
Frau en“ erziele. Und in der Tat: Immer mehr Frauen bewerben sich<br />
um einen Platz als Mentee in einem Mentoring-Programm, sei es gemischt<br />
geschlechtlich oder ausschließlich für Frauen. Nicht alle Frauen<br />
vo tie ren für die Quote. „Ich kenne viele Frauen“ so Hans-Günter<br />
Trepte, „die keine Quotenfrau sein wollen“. Frauen wollen ob ihrer<br />
Qua li fikation in eine höhere, in eine Führungsposition – nicht wegen<br />
ihres Geschlechts. „Und diese Position muss frau sich erkämpfen,<br />
wie auch ihre männlichen Mitbewerber“, so Brigitte Vollmar weiter.<br />
Zudem könne der derzeitige Befund der starken Unterrepräsentanz<br />
von Frauen in Verantwortung nach ihrer Meinung auch mit „der Biologie<br />
der Frau <strong>zu</strong>sammenhängen“.<br />
Die erahnte große Verwirrung auf Seiten des Publikums und des<br />
Podiums versuchte die Medizinerin <strong>zu</strong> entwirren: Nach ihrer Auffassung<br />
nämlich verschieben sich die Prioritäten von Frauen im Laufe<br />
ih res Lebens anders als die der Män ner. Frauen seien etwa – unabhängig<br />
vom Einkommen – eher be reit, familiäre Auszeiten für sich <strong>zu</strong><br />
postu lieren als ihre männlichen Partner. Diesen Befund bestätigt Frau<br />
Düwel: „Weitaus mehr Frauen reichen beispielsweise eine Krankschrei<br />
bung mit Kind ein als Män ner; dabei könnten sich die Väter doch<br />
ebenso um das <strong>zu</strong> pflegende Kind kümmern“. Auch pausierten Frauen<br />
nach Geburten in der Re gel länger, als sich mit ihren Männern die<br />
Für sorge um das neue Fa mi lien mitglied gleichberechtigt <strong>zu</strong> teilen. Die<br />
Frauen tragen die Hauptlast in der Familienarbeit – eine Vielzahl von<br />
Stu dien belegt dies zahlen mäßig. Wollen Frauen das von sich aus?<br />
Spielt die Biologie tatsächlich eine weitaus größere Rolle, als wir uns<br />
das eingestehen wollen?<br />
100 Zusammenfassung
Publikum in der Stadthalle Rostock<br />
Einigkeit herrscht darüber, dass gemischt-geschlechtliche Teams gewollt,<br />
ja verstärkt gewollt werden – gerade auch in den Füh rungs riegen<br />
von Unternehmen, in den Gremien und auf den Lehr stüh len in<br />
den Universitäten, den Forschungseinrichtungen sowie der Politik.<br />
Chancengleicher, facettenreicher, bunter wünschen sich die Podiumsgäste<br />
wie auch die Gäste der Veranstaltung die Füh rungs eta gen in den<br />
genannten Bereichen – weg vom durchgehend grau-melierten, männlich<br />
dominierten Bild von Vorständen, Professoren, Managern. Wir<br />
alle sind gefragt, diesen gesamtgesellschaftlichen Wandel mit<strong>zu</strong>tragen.<br />
Die Frauen vom Veranstaltungsteam „<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>“<br />
werden diesen Prozess aktiv begleiten.<br />
101 Qualität vs. Quote?
Impressum<br />
<strong>Von</strong> der <strong>Kunst</strong>, <strong>Karriere</strong> <strong>zu</strong> <strong>machen</strong>.<br />
Veranstaltungsreihe <strong>zu</strong> Chancengleichheit und Führungspositionen. Dokumentation.<br />
Ein Kooperationsprojekt<br />
• Agentur der Wirtschaft Rostock<br />
• Frauenbildungsnetz <strong>MV</strong> e.V.<br />
• Gleichstellungsbeauftragte der Hansestadt Rostock<br />
• <strong>Karriere</strong>wege für Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft <strong>MV</strong> – Universität Rostock<br />
• Landesfrauenrat <strong>MV</strong> e.V./<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> – Regionalstellen für Gleichstellung von<br />
Frauen und Männern am Arbeitsmarkt – Mittleres Mecklenburg<br />
<strong>IMPULS</strong> <strong>MV</strong> und »<strong>Karriere</strong>wege für Frauen in Wissenschaft und Wirt schaft <strong>MV</strong>«<br />
werden durch das Land Mecklenburg-Vorpommern und aus Mitteln des Euro päischen<br />
Sozialfonds gefördert.<br />
Herausgegeben von<br />
Frauenbildungsnetz <strong>MV</strong> e.V.<br />
Heiligengeisthof 3, 18055 Rostock<br />
www.frauenbildungsnetz.de<br />
Lektorat<br />
Dr. Sabine Hilliger<br />
www.qbus.de<br />
Titelfoto<br />
cultura2 / Fotolia.com<br />
Die Dokumentation wurde gefördert durch<br />
Ministerium für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern –<br />
Leitstelle für Frauen und Gleichstellung, Werderstraße 124, 19055 Schwerin<br />
www.regierung-mv.de<br />
November 2012<br />
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