NundL 2-2009 - LUGV - Land Brandenburg
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42 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) – Wildtier des Jahres <strong>2009</strong><br />
Der Fuchs und der Igel<br />
Ganz unverhofft an einem Hügel<br />
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.<br />
Halt, rief der Fuchs, du Bösewicht!<br />
Kennst du des Königs Order nicht?<br />
Ist nicht der Friede längst verkündet,<br />
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,<br />
Der immer noch gerüstet geht?<br />
Im Namen seiner Majestät,<br />
Geh her und übergib dein Fell.<br />
Der Igel sprach: Nur nicht so schnell.<br />
Lass dir erst deine Zähne brechen,<br />
Dann wollen wir uns weitersprechen!<br />
Und also gleich macht er sich rund,<br />
Schließt seinen dichten Stachelbund<br />
Und trotzt getrost der ganzen Welt<br />
Bewaffnet, doch als Friedensheld.<br />
Wilhelm Busch<br />
Nicht alles, was Stacheln hat, ist ein<br />
Igel, jedoch nicht alle Igel haben Stacheln.<br />
Aber unter unseren heimischen<br />
wildlebenden Säugetieren ist das Stacheltier<br />
einmalig und es ist eines der<br />
bekanntesten Wildtiere. Nicht nur Wilhelm<br />
Busch hat ihm ein literarisches<br />
Denkmal gesetzt.<br />
Aber was wissen wir wirklich über ihn?<br />
- Weltweit (Afrika, Europa, Asien):<br />
Der Braunbrustigel ist eine von<br />
weltweit 23 Igelarten. Dazu gehören<br />
16 Stacheligelarten, die restlichen<br />
besitzen nur Haare. Außerdem<br />
sind etwa 65 weitere Säugetierarten<br />
mehr oder weniger bestachelt.<br />
- Verbreitung: Europa vom Atlantik<br />
bis an den Ural. In <strong>Brandenburg</strong><br />
kommt gegenwärtig nur der Braunbrustigel<br />
vor.<br />
- Lebensraum: Laub- und Mischwälder,<br />
Hecken und besonders Siedlungsstrukturen<br />
– Parks, Gärten,<br />
Bahndämme, Brachen<br />
- Maße: Kopf-Rumpf-Länge bis 35<br />
cm, Schwanzlänge 2-3 cm, Masse<br />
450g – 1200 g, Stachelanzahl 8.400<br />
+/- 300, Stachellänge 2-3 cm, Stacheldurchmesser<br />
1 mm<br />
- Lebenserwartung: 7 (max. 10) Jahre<br />
- Anzahl der Jungen: 2-7 (9), im<br />
Durchschnitt 4,6 pro Wurf<br />
- Anzahl der Würfe: normalerweise<br />
nur 1 Wurf im Jahr, nur bei sehr<br />
günstiger Witterung auch 2, wobei<br />
diese Jungen das für eine Überwin-<br />
Dieses Nachtfoto ist eine unmanipulierte Freilandaufnahme und zeigt das Tier im<br />
Übergang von der Schreck-/Abwehrstellung zum ungestörten Verhalten.<br />
Foto: G. Alscher<br />
terung nötige Gewicht von etwa<br />
450 g nur selten erreichen<br />
- Winterschlaf: je nach Witterung<br />
von Oktober bis März/April, Körpertemperatur<br />
1-8° C (normal:<br />
35°C), Herzfrequenz etwa 5 Schläge/Min.<br />
(normal: 250), Atemzüge<br />
1-5 pro min., Atem kann bis 2<br />
Stunden ganz aussetzen (normal:<br />
40-50 pro Min.) und auch während<br />
des Winterschlafs alle 1-2<br />
Wochen für kurze Zeit unterbrochen<br />
werden.<br />
- Nahrung: Regenwürmer, Schnecken,<br />
Käfer, Raupen, Ohrwürmer,<br />
Heuschrecken, Tausendfüßler, Aas,<br />
Früchte – gelegentlich junge Mäuse<br />
und Jungvögel, selten weitere Wirbeltiere<br />
- Besonderheit: Igel sind gegen<br />
Schlangengift weitgehend resistent<br />
und können Giftschlangen angreifen<br />
und fressen.<br />
- Todesursachen: Neben dem Tod<br />
während des Winterschlafs (bis zu<br />
50 %) ist der Tod auf der Straße<br />
eine Haupttodesursache. Das Einrollen<br />
und Stachelspreizen hilft<br />
zwar gegen Fuchs und Co. (siehe<br />
Wilhelm Busch), aber nicht gegen<br />
Autoreifen.<br />
- Natürliche Feinde: bei uns nur wenige:<br />
Dachs und Uhu, für Jungtiere<br />
auch der Waldkauz – selten andere<br />
Beutegreifer<br />
- Verwandte: Spitzmäuse und Maulwurf<br />
- Gefährdung: Fragmentierung der<br />
<strong>Land</strong>schaft (Straßen); dadurch Gefahr<br />
der Bildung voneinander isolierter<br />
Vorkommen und als Folge<br />
fehlender Genaustausch<br />
- Schutzstatus: besonders geschützt<br />
nach § 10 (2) Nr. 10 c Bundesnaturschutzgesetz<br />
(BNatSchG) in<br />
Verbindung mit Anl. 1 Bundesartenschutzverordnung<br />
(BArtSchV),<br />
darüber hinaus auf der Roten Liste<br />
<strong>Brandenburg</strong>s – Kategorie 4 und in<br />
der Berner Konvention<br />
- Schutz: Naturnahe Gestaltung von<br />
Parks und Gärten, Verzicht auf den<br />
Einsatz von Agrochemikalien, beim<br />
Straßenbau keine (hohen) Bordsteine<br />
einsetzen und an Hauptgefahrenstellen<br />
Kleintierdurchlässe<br />
einbauen. Trotz des massenhaften<br />
Straßentodes scheint die Art diesen<br />
Aderlass (noch) zu verkraften.<br />
Dr. D. Dolch
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong> 43<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Schriftleitung:<br />
Beirat:<br />
<strong>Land</strong>esumweltamt <strong>Brandenburg</strong><br />
(LUA)<br />
LUA, Abt. Ökologie, Naturschutz,<br />
Wasser; Service<br />
Dr. Matthias Hille<br />
Barbara Kehl<br />
Angela Hinzmann<br />
Thomas Avermann<br />
Dr. Martin Flade<br />
Dr. Lothar Kalbe<br />
Dr. Bärbel Litzbarski<br />
Dr. Annemarie Schaepe<br />
Dr. Thomas Schoknecht<br />
Dr. Frank Zimmermann<br />
Naturschutz und <strong>Land</strong>schaftspflege in <strong>Brandenburg</strong><br />
Beiträge zu Ökologie, Natur- und Gewässerschutz<br />
18. Jahrgang Heft 2, <strong>2009</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
THOMAS KAISER, MARIA-SOFIE ROHNER, MICHAELA REUTTER, BETTINA MATZDORF,<br />
ANNEMARIE SCHAEPE, ECKHART HOFFMANN<br />
Die Entwicklung einer Kennartenmethode zur Förderung von artenreichem<br />
Grünland in <strong>Brandenburg</strong> 44<br />
Anschrift:<br />
ISSN: 0942-9328<br />
LUA, Schriftleitung <strong>NundL</strong>Bbg<br />
Seeburger Chaussee 2<br />
14476 Potsdam<br />
OT Groß Glienicke<br />
Tel. 033 201/442 238<br />
E-Mail: barbara.kehl@<br />
lua.brandenburg.de<br />
Es werden nur Originalbeiträge veröffentlicht. Autoren<br />
werden gebeten, die Manuskriptrichtlinien, die bei der<br />
Schriftleitung zu erhalten sind, zu berücksichtigen.<br />
Zwei Jahre nach Erscheinen der gedruckten Beiträge<br />
werden sie ins Internet gestellt.<br />
Alle Artikel und Abbildungen der Zeitschrift unterliegen<br />
dem Urheberrecht.<br />
Die Vervielfältigung der Karten erfolgt mit Geneh -<br />
migung des <strong>Land</strong>esvermessungsamtes <strong>Brandenburg</strong><br />
(GB-G 1/99).<br />
Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt<br />
die Meinung der Redaktion wieder.<br />
Redaktionsschluss: 5.5.<strong>2009</strong><br />
Layout/<br />
Osthavelland-Druck<br />
Druck/<br />
Velten GmbH<br />
Versand: Luisenstraße 45<br />
16727 Velten<br />
Tel.: 03304/39740<br />
Fax: 0 33 04/56 20 39<br />
Bezugsbedingungen:<br />
Bezugspreis im Abonnement: 4 Hefte – 12,00 Euro<br />
pro Jahrgang, Einzelheft 5,00 Euro.<br />
Die Einzelpreise der Hefte mit Roten Listen sowie der<br />
thematischen Hefte werden gesondert festgelegt.<br />
Bestellungen sind an das <strong>Land</strong>esumweltamt zu richten.<br />
MICHAEL GÖDDE<br />
Naturdenkmalpflege und Natura 2000, Artenschutz und Biodiversität<br />
Wer versteht uns eigentlich noch?<br />
Gedanken zu den Naturschutzbegrifflichkeiten 51<br />
LOTHAR TÄUSCHER<br />
50 Jahre limnologische Forschung am Stechlinsee 54<br />
KLEINE BEITRÄGE<br />
Der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) – Wildtier des Jahres <strong>2009</strong> 42<br />
EU-LIFE-Projekt „Binnensalzstellen <strong>Brandenburg</strong>s” biegt auf die Zielgerade ein 56<br />
Bericht über das 3. und 4. Kartierungstreffen der FG Molluskenkartierung<br />
Berlin-<strong>Brandenburg</strong> in Byhleguhre und in Friedersdorf 59<br />
Die Gemeine Blutzikade (Cercopis vulnerata) – Insekt des Jahres <strong>2009</strong> 71<br />
IM UMWELTMINISTERIUM/LANDSUMWELTAMT NEU ERSCHIENEN 62<br />
RECHTS- UND VERWALTUNGSVORSCHRIFTEN 63<br />
KLEINE MITTEILUNGEN 64<br />
PERSÖNLICHES 67<br />
TAGUNGEN 68<br />
LITERATURSCHAU 70<br />
Titelbild: Wiesen-Schlüsselblume (Primula veris) in<br />
einer Feuchtwiese im Ferbitzer Bruch<br />
Foto: Thomas Schoknecht<br />
Rücktitel: Artenreiche Feuchtwiese mit Blühaspekt<br />
der Kuckucks-Lichtnelke (Silene flos-cuculi)<br />
Foto: Martina Düvel<br />
Foto: H. Schreiffeler
44 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong>; 44-50<br />
EXTENSIV GENUTZTES, ARTENREICHES GRÜNLAND – WERTVOLLES HABITAT FÜR VIELE PFLANZEN- UND<br />
TIERARTEN – BEDARF EINER GEZIELTEN AGRARUMWELTFÖRDERUNG<br />
THOMAS KAISER, MARIA-SOFIE ROHNER, MICHAELA REUTTER, BETTINA MATZDORF, ANNEMARIE SCHAEPE, ECK-<br />
HART HOFFMANN<br />
Die Entwicklung einer Kennartenmethode zur Förderung von artenreichem<br />
Grünland in <strong>Brandenburg</strong><br />
Schlagwörter:<br />
Agrarumweltmaßnahmen, Extensivierung, Artendiversität, Indikatoren, Selektionsmethode,<br />
Grünland<br />
Zusammenfassung<br />
Im Auftrag des brandenburgischen Ministeriums<br />
für Ländliche Entwicklung, Umwelt<br />
und Verbraucherschutz wurde eine Liste<br />
von Pflanzenarten (Kennarten) und eine<br />
Aufnahmemethode zur Identifikation des<br />
artenreicheren Grünlandes für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> entwickelt. Die Auswahl der<br />
Kennarten war an folgende Bedingungen<br />
geknüpft:<br />
Zeiger für extensive Grünlandnutzung, ausgewogene<br />
Repräsentativität hinsichtlich der<br />
relevanten nutzbaren Grünlandstandorte in<br />
<strong>Brandenburg</strong>, nicht zu selten auftretend aber<br />
auch nicht ubiquitär, auch von Nichtspezialisten<br />
leicht erkennbar und bestimmbar, keine<br />
für Weidetiere gefährlichen Giftpflanzen<br />
(Akzeptanzkriterium).<br />
Im ersten Schritt erfolgte eine Vorselektion<br />
von 48 Kennarten auf der Basis von 1.500<br />
Vegetationsaufnahmen aus unterschiedlichen<br />
Datenquellen einer Grünlanddatenbank.<br />
Schwierig zu unterscheidende Einzelarten<br />
wurden zu Artengruppen zusammengefasst.<br />
Anschließend wurde die vorselektierte<br />
Liste anhand eigener Erhebungen auf 122<br />
Grünlandschlägen einzelartenweise auf ihre<br />
Korrelation mit den Bewertungskriterien a)<br />
Artenzahl und b) Zahl an Extensivierungszeigern<br />
überprüft und auf 27 Kennarten<br />
bzw. Kennartengruppen begrenzt.<br />
Grünland gilt als artenreich, wenn auf 3<br />
gleichmäßig verteilten Prüfabschnitten entlang<br />
einer Schlagdiagonalen (Abschnittsgröße<br />
im Regelfall 100 m x 2 m) jeweils<br />
mindestens 4 Kennarten aus dieser Liste<br />
vorkommen. Die Kennartenmethode wurde<br />
im Rahmen des Kulturlandschaftsprogramms<br />
2007 in die Maßnahme „Einzelflächenbezogene<br />
extensive Bewirtschaftung bestimmter<br />
Grünlandstandorte” eingebunden.<br />
1 Einleitung und Zielstellung<br />
Die Evaluierungen der Agrarumweltmaßnahmen<br />
in den letzten Jahren haben<br />
gezeigt, dass die Effektivität der Maßnahmen<br />
verbessert werden sollte. Ein Ansatz<br />
dafür ist die sogenannte ergebnisorientierte<br />
Honorierung, bei der die <strong>Land</strong>wirte dafür<br />
eine Agrarumweltprämie erhalten, wenn sie<br />
z.B. artenreiches Grünland vorweisen können.<br />
Erste Erfahrungen stammen aus der<br />
Abb. 1<br />
Kuckucks-Lichtnelken (Silene flos-cuculi) in einer Feuchtwiese<br />
Schweiz. 2000 wurde dieser Ansatz auch in<br />
Baden-Württemberg (vgl. BRIEMLE & OPPER-<br />
MANN 2003) und 2006 in Niedersachsen<br />
eingeführt (vgl. KEIENBURG et al. 2006).<br />
In <strong>Brandenburg</strong> wurden 2005 im Auftrag des<br />
<strong>Brandenburg</strong>er Ministeriums für ländliche<br />
Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz<br />
im Rahmen der Evaluierung des Entwicklungsplans<br />
für den ländlichen Raum (EPLR)<br />
durch das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung<br />
(ZALF e.V.) Empfehlungen<br />
zur Weiterentwicklung der Agrarumweltmaßnahmen<br />
erarbeitet. Wesentlicher Bestandteil<br />
dieser Empfehlungen war ein<br />
Vorschlag für die Ausgestaltung einer ergebnisorientierten<br />
Grünlandmaßnahme für das<br />
landwirtschaftlich genutzte Grünland (MATZ-<br />
DORF et al. 2005, 2006, 2008).<br />
Der Ansatz basiert auf dem Nachweis einer<br />
bestimmten Anzahl von Kennarten auf Grünlandflächen.<br />
Das Vorfinden führt zur Einstufung<br />
als artenreiches Grünland – die Voraussetzung<br />
für die Auszahlung einer Prämie im<br />
Rahmen der Agrarumweltmaßnahmen ist.<br />
Vor diesem Hintergrund wurde nach leicht<br />
erkennbaren Arten mit Indikatorwert für die<br />
Artenvielfalt auf „gewöhnlichem” landwirtschaftlichem<br />
Grünland gesucht.<br />
Die Kennarten und Kennartengruppen sollten<br />
aufgrund ihrer den Standort kennzeichnenden<br />
Lebensansprüche das extensive<br />
Grünland mit einer naturschutzfachlich guten<br />
Foto: M. Hille<br />
Qualität anzeigen und Voraussetzung für die<br />
Auszahlung einer Förderprämie sein. Ziel ist<br />
es dabei, insbesondere das noch vorhandene<br />
artenreiche Grünland auf „gewöhnlicher”<br />
landwirtschaftlicher Fläche bei der Förderung<br />
im Rahmen des Agrarumweltprogramms zu<br />
erfassen. Mittelfristig könnte die Förderung<br />
im Grünlandbereich dann auf diese Flächen<br />
beschränkt werden. Extreme Trockenrasen<br />
oder sehr stark vernässte Flächen waren<br />
nicht das Zielobjekt bei diesem Ansatz.<br />
Für die Implementierung einer ergebnisorientierten<br />
Grünlandmaßnahme war es dabei<br />
notwendig, Kennarten zu definieren.<br />
Darüber hinaus musste eine möglichst einfache<br />
Erhebungsmethode auf Schlagebene<br />
entwickelt werden. Bei der Erarbeitung der<br />
Kennartenliste als auch der Erhebungsmethode<br />
konnte auf die Erfahrungen in der<br />
Schweiz und in anderen Bundesländern<br />
zurück gegriffen werden. Bei der Erhebungsmethode<br />
sollte in <strong>Brandenburg</strong> insbesondere<br />
geprüft werden, ob sich die in<br />
Baden-Württemberg und seit kurzem auch<br />
in Niedersachsen angewendete Transektmethode<br />
auf die teilweise sehr großen<br />
Schläge in <strong>Brandenburg</strong> übertragen lässt.<br />
Der Artikel stellt das methodische Herangehen<br />
sowie die Ergebnisse für die Entwicklung<br />
einer Kennartenliste und ihre Anwendung in<br />
der ergebnisorientierten Grünlandförderung<br />
<strong>Brandenburg</strong>s dar.
THOMAS KAISER ET AL.: DIE ENTWICKLUNG EINER KENNARTENMETHODE ZUR FÖRDERUNG VON ARTENREICHEM GRÜNLAND IN BRANDENBURG 45<br />
2 Methodenentwicklung<br />
2.1 Kennartenliste<br />
Die Kennartenliste für artenreiches Grünland<br />
des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> wurde in<br />
einem zweistufigen Verfahren erarbeitet.<br />
Im ersten Schritt wurden ausschließlich<br />
Sekundärdaten aus verschiedenen Datenquellen<br />
genutzt, da es kurzfristig nicht<br />
möglich war, eigene Daten in dem erforderlichen<br />
Umfang zu erheben. Zu diesem<br />
Zweck wurde 2005 eine Grünlanddatenbank<br />
zusammengestellt, die hauptsächlich<br />
die Daten der terrestrischen Biotoperfassung<br />
der landesweit bearbeiteten FFH-Gebiete<br />
enthielt (988 Aufnahmeflächen).<br />
Hinzu kamen Erhebungsdaten von 391<br />
Probeflächen aus der Erfolgskontrolle von<br />
gefördertem Grünland (HUB 2003). Als<br />
weitere Datenquellen konnten die Ergebnisse<br />
einer Erfolgskontrolle von Vertragsflächen<br />
des brandenburgischen Vertragsnaturschutzprogramms<br />
(95 Flächen) und<br />
Vegetationserhebungen des ZALF Müncheberg<br />
auf extensivierten Grünlandschlägen<br />
(76 Probeflächen) genutzt werden (vgl.<br />
MATZDORF et al. 2008).<br />
Der Artenpool dieser insgesamt 1500 Vegetationsaufnahmen<br />
wurde zunächst durch<br />
Filterung von sogenannten Extensivzeigerarten<br />
nach folgenden Ausschlusskriterien<br />
eingeengt:<br />
- keine Grünlandubiquisten (z.B. Holcus<br />
lanatus),<br />
- keine typischen Intensivierungszeiger<br />
(z.B. Lolium perenne),<br />
- keine grünlandfremden Arten (z.B.<br />
Bidens-Arten),<br />
- keine Ruderalisierungszeiger (z.B. Chenopodium<br />
album), keine Arten mit hohen<br />
Nährstoffansprüchen (z.B. Arctium<br />
lappa),<br />
- keine Arten mit hoher Mahdverträglichkeit<br />
(z.B. Bellis perennis),<br />
- keine der sehr gefährlichen Giftarten<br />
(z.B. Equisetum palustre).<br />
Aus der Gesamtheit der vorgefundenen Extensivzeiger<br />
wurde in einem iterativen<br />
Prozess eine Masterliste von 48 Arten nach<br />
folgenden zusätzlichen Kriterien gefiltert:<br />
- Stetigkeit/Häufigkeit (keine seltenen<br />
Nischenarten, da ansonsten die Kennartenliste<br />
auf einen unpraktikabel hohen<br />
Umfang anwachsen müsste),<br />
- ausgewogene Repräsentation aller relevanten<br />
Standortgruppen (unterschiedliche<br />
Feuchteansprüche),<br />
- leichte Erkennbarkeit im Gelände, um<br />
Erfassung und Bestimmung auch Nichtspezialisten<br />
(insbesondere <strong>Land</strong>wirten)<br />
zu ermöglichen,<br />
- räumliche Verbreitung der Arten in<br />
<strong>Brandenburg</strong> unter Einbeziehung regionaler<br />
Besonderheiten,<br />
- Vergleich mit anderen qualitätszeigenden<br />
Kennartenlisten in Deutschland.<br />
Einige schwierig zu unterscheidende Arten<br />
wurden auf der Gattungsebene zu Artengruppen<br />
zusammengefasst, um die botanische<br />
Bestimmung zu erleichtern. Die vorläufige<br />
Endauswahl der Liste enthielt<br />
Abb. 2<br />
Lage der Untersuchungsflächen<br />
im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
(Feldblockmittelpunkte)<br />
schließlich 29 Kennarten bzw. -gruppen.<br />
Im zweiten Schritt wurde diese Kennartenliste<br />
im Jahre 2007 anhand von eigenen<br />
Erhebungen auf 122 Schlägen im <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> validiert. Bei der Flächenauswahl<br />
wurden Repräsentativität und statistisch<br />
auswertbare Klassenbesetzung von<br />
Standorteinheiten des <strong>Brandenburg</strong>er Grünlandes<br />
berücksichtigt. Die Auswahl nach<br />
standörtlichen Kriterien erfolgte auf der Basis<br />
zweier digital verfügbarer Datenquellen:<br />
a) Mittelmaßstäbige <strong>Land</strong>wirtschaftliche<br />
Standortkartierung (MMK) (LGBR 2007)<br />
b) Schutzkonzeptkarte für Niedermoore des<br />
<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> – digitale Moorkarte,<br />
Fachinformationssystem Bodenschutz<br />
(LUA 1997)<br />
Basis für die Auswahl nach Nutzungscharakteristik<br />
des Grünlandes war die INVEKOS-<br />
Datenbank des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> von<br />
2006. Dieser Datenquelle konnten Informationen<br />
über Flächengrößen und Extensivierungsmaßnahmen<br />
(KULAP 2006) des<br />
Grünlands auf der Feldblockebene entnommen<br />
werden. Die Untersuchungsflächen<br />
sollten sich überwiegend außerhalb von<br />
Naturschutzgebieten befinden. Die Verteilung<br />
der untersuchten 122 Probeschläge<br />
ist in Abb. 2 dargestellt<br />
Die Vegetationserhebungen fanden Mitte<br />
Mai bis Ende Juni statt. Die Pflanzenarten<br />
wurden entlang der Schlagdiagonalen auf<br />
50 m x 2 m (100 m²) fortlaufend hintereinanderliegenden<br />
Transektteilstücken erfasst.<br />
Die abgemessenen 50m-Abschnitte wurden<br />
mit Stäben markiert und die 2m-Breite<br />
dadurch ermittelt, dass der Kartierer alle<br />
Arten notierte, die er innerhalb der ausgebreiteten<br />
Armspanne vorfand.<br />
Anhand dieses Datenmaterials wurde die<br />
Indikationswirkung jeder Kennart der vorläufigen<br />
<strong>Brandenburg</strong>er Liste und weitere<br />
als potenziell geeignet erscheinende Arten<br />
getestet. Als Bewertungskritierien für die biotische<br />
Qualität wurden die Merkmale<br />
„Artzahl” und „Zahl an Extensivarten” ausgewählt.<br />
Zunächst wurden alle Vegetationsaufnahmen<br />
der 50m-Transektabschnitte nach<br />
ihren mittleren Feuchtezahlen (ELLENBERG et<br />
al. 1991) in 4 Feuchtegruppen unterteilt.<br />
Anschließend wurden, jeweils getrennt nach<br />
Feuchtegruppen, Vegetationsaufnahmen mit<br />
und ohne Vorkommen der Kennarten hinsichtlich<br />
der beiden Qualitätsmerkmale auf<br />
statistisch signifikante Unterschiede mit Hilfe<br />
des parameterfreien Mann-Whitney-U-Testes<br />
getestet. Entscheidendes Prüfkriterium war<br />
eine signifikant höhere Diversität bei Vorkommen<br />
der Kennart (zumindest in den<br />
Feuchtegruppen, in denen die betreffende<br />
Kennart ihr Hauptvorkommen hat). Bei der<br />
Sumpfbrenndolde (Cnidium dubium) als<br />
Stromtalart reichte die Feuchtegruppendifferenzierung<br />
allein nicht aus. Um zu sinnvollen<br />
Aussagen zu gelangen, war es hier<br />
angebracht, nur die Auenstandorte in den<br />
Vergleich einzubeziehen.<br />
Nahezu alle Kennarten der Vorauswahl<br />
zeigten signifikante Indikatorwirkung. Einige<br />
wenige, zu selten vorkommende Arten wurden<br />
durch andere Kennarten gleicher Habitatpräferenz<br />
ersetzt. Die Endliste der ausgewählten<br />
Kennarten wird in Abschnitt 3<br />
vorgestellt.<br />
Um die Kennartenliste insgesamt auf ihre indikatorische<br />
Eignung zu überprüfen, wurde<br />
die Zahl der vorgefundenen Kennarten einer<br />
Vegetationsaufnahme mit verschiedenen<br />
qualitätsanzeigenden Kennzahlen der Biodiversität<br />
korreliert. Als Testverfahren wurde<br />
eine parameterfreie Prüfstatistik gewählt, da<br />
einige Bewertungsmerkmale Abweichungen<br />
von der Normalverteilung aufwiesen. Die<br />
Berechnungen in Tabelle 1 basieren auf den<br />
Vegetationsaufnahmen aller 50m-Transektabschnitte.
46 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Die Tabelle 1 zeigt eine generell hohe positive<br />
Korrelation der in den Erhebungsabschnitten<br />
vorkommenden Kennarten mit<br />
den gewählten Biodiversitäts-Kennzahlen<br />
(Zahl der Arten, Extensivarten und Rote-<br />
Liste-Arten) und bestätigt somit das gewählte<br />
Auswahlverfahren.<br />
2.2 Entwicklung einer Methode für die<br />
Erfassung der Kennarten<br />
Die bisher in Deutschland praktizierte Erfassung<br />
von Kennarten für eine ergebnisorientierte<br />
Honorierung erfolgt nach der<br />
Transektdrittelmethode. Hierbei wird ein<br />
2 m breiter Transekt über die längste<br />
Schlagdiagonale gelegt und in 3 gleich<br />
große Transektabschnitte unterteilt. Flächen<br />
werden dann gefördert, wenn mindestens<br />
4 Kennarten aus einer vorgegebenen länderspezifischen<br />
Kennartenliste in jedem<br />
Transektdrittel vorhanden sind (siehe BRIEM-<br />
LE & OPPERMANN 2003). Die Grenze von<br />
4 Kennarten aus einer länderspezifischen<br />
Liste wurde erstmals als probates Honorierungskriterium<br />
in das Baden-Württembergische<br />
Förderungskonzept eingeführt.<br />
Das 4-Arten-Kriterium ist inzwischen im<br />
Rahmenplan der „Gemeinschaftsaufgabe<br />
zur Verbesserung der Agrarstruktur und des<br />
Küstenschutzes” bundesweit vorgegeben<br />
(DEUTSCHER BUNDESTAG 2008). Problematisch<br />
bei der Transektdrittelmethode ist, dass infolge<br />
unterschiedlicher Schlaggrößen und<br />
-geometrien auch unterschiedlich lange<br />
Diagonaldrittel in die Bewertung eingehen.<br />
Je größer die Diagonallängenunterschiede<br />
sind, desto stärker wird die allseits in der<br />
Ökologie bekannte Arten/Areal-Relation<br />
(ROSENZWEIG 1995) das Bewertungsergebnis<br />
modifizieren. Das heißt: mit größerer Probeflächenausdehnung<br />
steigt die Wahrscheinlichkeit,<br />
bestimmte Kennarten zu finden,<br />
was einerseits auf die Wirkung des Zufallsprinzips<br />
zurückzuführen ist, andererseits<br />
aber auch auf die erhöhten Standortheterogenitäten<br />
größerer Probeflächen. Die<br />
Transektdrittelmethode setzt daher eine<br />
nicht zu starke Größendifferenzierung der<br />
Schläge voraus. Um die Auswirkungen der<br />
Arten/Areal-Relation auf das Vorkommen<br />
von Kennarten quantifizieren zu können und<br />
unterschiedliche standörtliche und nutzungsgeschichtliche<br />
Einflüsse auszuschalten,<br />
wählten wir auf den 122 Untersuchungsflächen<br />
eine spezielle Probeflächenanordnung.<br />
Hierzu wurden die fortlaufenden<br />
50m-Abschnitte zu einem geschachtelten<br />
Versuchsdesign zusammengefasst, und<br />
zwar dergestalt, dass Vegetationsaufnahmen<br />
von vier hintereinander liegenden<br />
50m-Abschnitten zu der Vegetationsaufnahme<br />
eines 200m-Abschnittes zusammengefasst<br />
und nun die Kennartenzahl<br />
ermittelt wurde. Aus den separaten Kennartenzahlen<br />
der vier 50m-Abschnitte, die in<br />
dem 200m-Abschnitt liegen, wurde ein<br />
Mittelwert gebildet. Auf diese Art und<br />
Weise erhält man Wertepaare, bestehend<br />
aus jeweils der Kennartenzahl eines 200m-<br />
Abschnittes und der mittleren Kennartenzahl<br />
der 50m-Abschnitte, die in dem<br />
Tabelle 1: Spearman-Rangkorrelationen zwischen<br />
der Zahl der Kennarten und verschiedenen Kennzahlen<br />
der Biodiversität (signifikant bei p < 0.001,<br />
zweiseitig, N = 884)<br />
Zahl der<br />
Kennarten<br />
Artzahl<br />
Zahl der Extensivarten<br />
Zahl der Rote-<br />
Liste-Arten<br />
(einschließlich<br />
Kategorie V)<br />
0.673 0.897 0.744<br />
200m-Abschnitt liegen. Durch das geschachtelte<br />
Versuchsdesign wird garantiert,<br />
dass immer 50m- und 200m-Abschnitte<br />
gleicher Bestände ein und desselben<br />
Schlages miteinander verglichen werden.<br />
Nach dem gleichen Prinzip wurden auch die<br />
Kennartenzahlen von 50m- mit 100m-Abschnitten<br />
und von 100m- mit 200m-Abschnitten<br />
verglichen. Die Ergebnisse der<br />
paarweisen Vergleiche wurden in Streudiagrammen<br />
zusammengeführt und lineare<br />
Trendfunktionen ermittelt. Abb. 3 zeigt als<br />
Beispiel die Kennartenzahlen von 200mund<br />
50m-Transektabschnitten. Aus dem<br />
Funktionsverlauf lassen sich Kennartenzahl-<br />
Äquivalente ablesen. Beispielsweise würden<br />
2 gefundene Kennarten auf dem 50m-Aufnahmeabschnitt<br />
eines Schlages im statistischen<br />
Durchschnitt 4 Kennarten auf einem<br />
benachbarten 200m-Abschnitt des gleichen<br />
Schlages entsprechen (siehe rote Zuordnungslinien<br />
in Abb. 3).<br />
Käme das auf vollständigen Schlagdiagonaldritteln<br />
beruhende Aufnahmeverfahren<br />
zum Zuge, könnten in Grenzfällen Schläge<br />
mit langer Diagonale ungerechtfertigterweise<br />
besser bewertet werden als Schläge<br />
mit kurzer Diagonale. Im Sinne einer objektiveren<br />
Bewertung wurde die Erfassungsmethode<br />
an die besonderen Bedingungen<br />
der <strong>Brandenburg</strong>er Agrarlandschaft dadurch<br />
angepasst, dass nunmehr gleich große Prüfabschnitte<br />
von im Regelfall 100 m Länge<br />
und 2 m Breite als Bewertungsbasis heranzuziehen<br />
sind. Die Einheitslänge von<br />
100 m ist ein Erfahrungswert aus der Geländearbeit.<br />
Sie ist einerseits nicht zu klein<br />
Die Tabelle 2 enthält die aktualisierte Kennartenliste<br />
mit Angaben zu Blühzeit- und<br />
Feuchtestufenspanne.<br />
Für praktische Anwendungszwecke er-<br />
Abb. 3<br />
Kennarten/Arealvergleich<br />
– 50 m-<br />
gegenüber 200 m-<br />
Transektabschnitt<br />
gewählt worden, um Zufallsschwankungen<br />
in der Artenverteilung auszugleichen. Anderseits<br />
wurde bei ihrer Bemessung die<br />
durchschnittliche Diagonallänge der <strong>Brandenburg</strong>er<br />
Grünlandschläge berücksichtigt.<br />
Kurzbeschreibung der Erfassungsmethode:<br />
Der günstigste Erfassungszeitraum ist kurz<br />
vor der Nutzung des ersten Aufwuchses, da<br />
dann die meisten Arten blühen, auffällig und<br />
leicht bestimmbar sind. Auf jedem Grünlandschlag<br />
wird die längste mögliche Diagonale<br />
(=Transekt) festgelegt. Das Transekt wird in<br />
drei gleich lange Teile, die Transektdrittel,<br />
unterteilt. Innerhalb jedes Transektdrittels<br />
werden 100 m lange und ca. 2 m breite<br />
(knapp mehr als Armbreite) Transektabschnitte<br />
festgelegt. Dabei sind die Randbereiche<br />
von Schlägen auszusparen (Abb. 4).<br />
Das Förderkriterium ist erreicht, wenn in<br />
jeder der 3 Probeflächen mindestens 4 Kennarten<br />
vorkommen. Dabei wird eine Kennartengruppe<br />
wie eine Einzelart behandelt<br />
und nur einmal gezählt.<br />
Sonderregelung bei Schlagdiagonalen kleiner<br />
300 m:<br />
Bei Schlagdiagonalen unter 300 m reichen 2<br />
Prüfabschnitte von 100 m Länge aus (siehe<br />
Abb. 5). Ist die längste Diagonale kürzer als<br />
200 m, werden zwei Transektabschnitte<br />
parallel oder quer zueinander über den<br />
Schlag geführt. Bei sehr kleinen Schlägen<br />
unter 1 ha werden die beiden Transektabschnitte<br />
auf 50 m x 2 m verkürzt. Die Anordnung<br />
erfolgt analog wie bereits dargestellt<br />
(längs, in ausreichend großem Abstand parallel<br />
oder über Kreuz).<br />
In der vom <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> herausgegeben<br />
Kennartenbroschüre sind (MLUV<br />
2007 a, b) weitere Möglichkeiten zur Transektbildung<br />
dargestellt.<br />
3 Vorstellung der Kennartenliste
THOMAS KAISER ET AL.: DIE ENTWICKLUNG EINER KENNARTENMETHODE ZUR FÖRDERUNG VON ARTENREICHEM GRÜNLAND IN BRANDENBURG 47<br />
Abb. 4<br />
Anordnung der Probeflächen bei unterschiedlichen Schlaggeometrien<br />
Abb. 5<br />
Modifikationen des Aufnahmeverfahrens bei Schlagdiagonalen unter<br />
300 m<br />
Abb. 6<br />
Beispiel einer ausgewählten Kennart für Frischwiesen: Die Wiesen-Glockenblume (Campanula<br />
patula)<br />
Foto: T. Kaiser<br />
scheint es günstiger, den aufgelisteten<br />
Kennarten nicht den Zeigerwert einer Art<br />
nach ELLENBERG zuzuordnen, sondern die<br />
Feuchtespannen, die sich für jede Kennart<br />
bzw. Kennartengruppe aus den Verteilungen<br />
in den 122 bearbeiteten Grünlandschlägen<br />
ablesen lassen. Der besseren Übersichtlichkeit<br />
halber sind diese Häufigkeitsverteilungen<br />
noch einmal in Tabelle 2<br />
zusammengefasst worden. Bei den seltener<br />
auftretenden Arten waren die Gruppen<br />
geringer besetzt und die Feuchtespannenzuordnung<br />
mit einer gewissen Unsicherheit<br />
behaftet. Daher wurde in Zweifelsfällen die<br />
Häufigkeitsverteilung mit Literaturangaben<br />
von HUNDT (1964) und KLEINKE et al. (1974)<br />
über Wasserstufenspannen von Grünlandpflanzen<br />
in Ostdeutschland verglichen.<br />
Viele Kennarten besitzen eine weite Standortamplitude<br />
in Bezug auf die Bodenfeuchte.<br />
Diese Eigenschaft ist in zweifacher<br />
Hinsicht vorteilhaft:<br />
Die Kennarten-Checkliste kann vom Umfang<br />
her begrenzter gehalten werden im<br />
Vergleich zu einer Liste, die vorrangig aus<br />
„Standort-Spezialisten” besteht;<br />
bei Kennarten mit weiter Standortamplitude<br />
ist eine robustere Reaktion auf jahresspezifische<br />
Witterungsschwankungen zu erwarten.<br />
Allerdings ist hierbei zu bedenken,<br />
dass unterhalb der Artebene zuweilen Sippen<br />
mit deutlich engerer Standortamplitude<br />
vorkommen können.<br />
Die Blühzeitspannen sind den Angaben aus<br />
der Bestimmungsliteratur (ROTHMALER 2005)<br />
entnommen.<br />
Bei der Honorierung nach der Kennartenmethode<br />
kommen Grünlandflächen in die<br />
Förderung, wenn mindestens vier Kennarten<br />
auf allen drei Transektabschnitten<br />
eines Schlages vorkommen. Geht man im<br />
vorliegenden Datensatz nach dieser Methode<br />
vor, ergeben sich bei den „förderfähigen”<br />
und „nicht förderfähigen” Schlägen<br />
die in Abb. 7 dargestellten Kennartenverteilungen.<br />
Das Merkmal „mittlere Kennartenzahl je<br />
Transekt” ist jeweils der Mittelwert aus den<br />
Kennartenzahlen der drei Transektabschnitte<br />
pro Schlag. Mittlere Kennartenzahlen, die in<br />
der Gruppe „nicht förderfähig” die Grenze<br />
von vier weit überschreiten, weisen auf sehr<br />
starke floristische Heterogenität innerhalb<br />
eines Schlages hin. Bei floristisch besonders
48 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Tabelle 2: Kennartenliste mit Angaben zu Blühzeit- und Feuchtestufenspanne<br />
Lfd.<br />
Nr.<br />
Kräuter<br />
Deutscher und wissenschaftlicher Name Blühzeitspanne Feuchtestufe<br />
1 Grasnelke Armeria maritima ssp. elongata Mai - Oktober ■ ■<br />
2 Sumpf-Dotterblume Caltha palustris (März -) April (- Mai) ■<br />
3 Wiesen-Glockenblume, Rundblättrige Glockenblume Mai - Juli (-November)<br />
Campanula patula, C. rotundifolia<br />
■ ■ ■<br />
4 Wiesen-Schaumkraut Cardamine pratensis April - Mai ■ ■ ■<br />
5 Wiesen-Flockenblume, Skabiosen-Flockenblume Juni/Juli - August<br />
Centaurea jacea, C. scabiosa<br />
■ ■ ■ ■<br />
6 Kohldistel Cirsium oleraceum Juni - August ( - September) ■ ■<br />
7 Wilde Möhre Daucus carota Juni - September ■ ■ ■<br />
8 weiß- und gelbblühendes Labkraut Galium album, Mai - August ( - September)<br />
G. uliginosum, G. palustre, G. verum<br />
■ ■ ■ ■<br />
9 Kleines Habichtskraut Hieracium pilosella (Mai -) Juni - Oktober ■ ■<br />
10 Witwenblume Knautia arvensis Mai - August ■ ■<br />
11 Wiesen-Platterbse, Sumpf-Platterbse Lathyrus pratensis,<br />
L. palustris<br />
Juni - Juli (- August)<br />
■ ■ ■<br />
12 Wiesen-Margerite Leucanthemum vulgare Mai - August (- September) ■ ■ ■<br />
13 Gemeiner Hornklee, Sumpf-Hornklee Lotus corniculatus,<br />
L. pedunculatus<br />
(Mai -) Juni - Juli (- August)<br />
■ ■ ■ ■<br />
14 Blut-Weiderich Lythrum salicaria Juli - September ■ ■<br />
15 Scharfer Hahnenfuß, Goldschopf-Hahnenfuß April/Mai - Juni (- September)<br />
Ranunculus acris, R. auricomus<br />
■ ■ ■<br />
16 Körnchen-Steinbrech Saxifraga granulata Mai - Juni ■ ■ ■<br />
17 Kuckucks-Lichtnelke Silene flos-cuculi Mai - Juni (- Juli) ■ ■<br />
18 Gras-Sternmiere, Sumpf-Sternmiere, Acker-Hornkraut (April/Mai -) Juni - Juli<br />
Stellaria graminea, S. palustris, Cerastium arvense<br />
■ ■ ■ ■<br />
19 Wiesen-Bocksbart, Großer Bocksbart Tragopogon<br />
pratensis, T. dubius<br />
Mai - Juli (- Oktober)<br />
■ ■ ■<br />
20 Wiesen-Rotklee Trifolium pratense Mai - August (- September) ■ ■ ■ ■<br />
21 Gamander-Ehrenpreis Veronica chamaedrys Mai - August ■ ■ ■ ■<br />
Süßgräser und Riedgrasartige<br />
22 Gewöhnliches Ruchgras Anthoxanthum odoratum Mai - Juni ■ ■ ■ ■<br />
23 Großseggen Carex div. spec. (groß) (April -) Mai - Juni (- Juli) ■ ■<br />
24 Klein- und Mittelseggen (ohne Behaarte Segge)<br />
Carex div. spec. (klein) (ohne C. hirta)<br />
25 Feld-Hainsimse, Vielblütige Hainsimse Luzula campestris,<br />
L. multiflora<br />
Arten der Flussniederungen/Auewiesen<br />
(April -) Mai - Juni (- Juli)<br />
März - Mai<br />
■ ■ ■ ■<br />
■ ■ ■ ■<br />
26 Sumpf-Schafgarbe Achillea ptarmica Juli - August (- September) ■ ■ ■<br />
27 Brenndolde Cnidium dubium Juni - Juli ■ ■ ■<br />
Abb. 7<br />
Häufigkeitsverteilung der mittleren Kennartenzahlen je Transekteinheit auf den 122 untersuchten<br />
Schlägen<br />
Erläuterungen zu den verwendeten Feuchtestufen<br />
(mittlere Zeigerwerte nach ELLENBERG et al. 1991)<br />
< 4,8 mäßig trocken bis trocken<br />
4,8-5,6 frisch mit Trockenheitstendenz<br />
5,7-6,5 frisch mit Tendenz zum Feuchtgrünland<br />
>6,5 feucht<br />
■ Vorkommen in Feuchtestufen<br />
wertvollen Teilbeständen würden sich separate<br />
Nutzungseinheiten anbieten (beispielsweise<br />
Flächen, die nur in einem Abschnitt<br />
hohe Artenzahlen enthielten, z.B. 8 oder 9<br />
Kennarten – hier könnten die Schläge zugunsten<br />
der Förderfähigkeit geteilt werden).<br />
In der Mehrzahl der Schläge in der Gruppe<br />
„förderfähig” wird die Kennartengrenze<br />
vier deutlich überschritten. Es besteht demnach<br />
bei Verwendung dieser Kennartenliste<br />
nach oben hin noch genügend Spielraum,<br />
um eventuell in einem zukünftigen Agrar-<br />
Umwelt-Programm eine zusätzliche Honorierungsstufe<br />
mit einer deutlich höheren<br />
Kennartengrenze zu installieren.<br />
4 Einführung des Kennartenprogramms<br />
Nach der Entwicklung der Kennartenmethode<br />
erfolgte die Einführung des Kennartenprogramms<br />
im Rahmen der Agrarförderung,<br />
eingebunden in das Kulturlandschaftsprogramm<br />
(KULAP) 2007 in der Maßnahme<br />
„Einzelflächenbezogene extensive Bewirtschaftung<br />
bestimmter Grünlandstandorte”.<br />
Diese umfasst die Förderung einerseits von<br />
Grünlandflächen innerhalb der Natura-2000-<br />
Gebietskulisse und andererseits von Gebieten<br />
außerhalb, sofern es sich um „sensible”<br />
Flächen, gesetzlich geschützte Biotope oder<br />
um Flächen mit mindestens vier Kennarten<br />
handelt.<br />
Auf diesen geförderten Flächen ist der Einsatz<br />
von chemisch-synthetischen Düngemitteln<br />
sowie Pflanzenschutzmitteln verboten,<br />
ebenso der Grünlandumbruch. Bei extensiver<br />
Weidehaltung ist die zusätzliche Ausbringung<br />
von Wirtschaftsdüngern tierischer<br />
Herkunft nicht zugelassen. Die Höhe der<br />
Zuwendung beträgt 130 € je ha und Jahr.<br />
Somit folgt die nun eingeführte Grünlandförderung<br />
nach der Kennartenmethode<br />
nicht dem Grundsatz einer rein ergebnisorientierten<br />
Prämienzahlung, sondern es wird<br />
nur eine Zugangsvoraussetzung für das Programm<br />
vorgegeben. Die Honorierung für<br />
diese Flächen ist wie bisher an Bewirtschaftungsauflagen<br />
gebunden.<br />
Zur Unterstützung potenzieller Antragsteller<br />
wurden ein Faltblatt und eine Broschüre erstellt,<br />
die alle 27 Pflanzenarten der Kennartenliste<br />
und die Aufnahmemethodik dargestellen.<br />
Bestimmungsmerkmale, Blütezeit,<br />
typische Standorte, Nutzungsmerkmale und<br />
vor allem Verwechslungsmöglichkeiten werden<br />
ausführlich erläutert (MLUV 2007a, b).<br />
Jede Pflanze wird durch ein Foto und eine<br />
Zeichnung dargestellt und es werden die<br />
typischen Erkennungsmerkmale hervorgehoben<br />
(vgl. Abb. 8).
THOMAS KAISER ET AL.: DIE ENTWICKLUNG EINER KENNARTENMETHODE ZUR FÖRDERUNG VON ARTENREICHEM GRÜNLAND IN BRANDENBURG 49<br />
5 Ausblick<br />
Abb. 9<br />
Überblick über den Kennartenreichtum der untersuchten 122 Schläge, differenziert nach<br />
Standorttyp und KULAP-Förderstatus 2006<br />
Standortdifferenzierung unter Verwendung der:<br />
a) Schutzkonzeptkarte für Niedermoore des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> – digitale Moorkarte –,<br />
Fachinformationssystem Bodenschutz (LUA 1997)<br />
b) Mittelmaßstäbigen landwirtschaftlichen Standortkartierung (MMK) (LGRB 1997)<br />
Die Broschüre und das Faltblatt stehen im<br />
Internet unter http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2331/bl_wiese.pdf<br />
http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2331/fb_blumw.pdf<br />
zur Verfügung.<br />
Das Programm wurde erstmals 2008<br />
geöffnet. Die Antragstellung im Rahmen<br />
der Agrarförderung erfolgt mithilfe eines<br />
Verbreitungskarte aus Flora web<br />
http://www.floraweb.de<br />
Abb. 8<br />
Beispiel aus der Kennarten-Broschüre – die Kennart Körnchen-<br />
Steinbrech kommt in fast allen Regionen <strong>Brandenburg</strong>s vor.<br />
speziell angefertigten Protokollbogens, auf<br />
dem die Lage des Transekts auf dem Schlag<br />
eingezeichnet wird. Außerdem müssen für<br />
jeden Transektabschnitt die Kennarten<br />
(mindestens 4) angekreuzt werden. Der<br />
Nachweis der Kennarten ist durch Behördenstempel<br />
und Unterschrift der Unteren<br />
Naturschutzbehörde zu bestätigen.<br />
Die Honorierung einer extensiven Grünlandbewirtschaftung<br />
ist bereits seit dem<br />
Jahr 1994 Teil des KULAP in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Das KULAP dient der Umsetzung der durch<br />
die EU kofinanzierten Agrarumweltmaßnahmen.<br />
Bisher wurde ein Großteil des<br />
Grünlands unabhängig von spezifischen<br />
Gebietskulissen, Standorteigenschaften und<br />
Nutzungshistorie gefördert. Dabei spielen<br />
diese Faktoren für die ökologische Wirkung<br />
eine wichtige Rolle (z.B. HERZOG et al. 2005,<br />
KAMPMANN et al. 2007).<br />
Die Analyse der untersuchten Grünlandschläge<br />
hinsichtlich ihres Förderstatus 2006<br />
und ihrer potenziellen Förderwürdigkeit<br />
nach der hier vorgestellten, ergebnisorientierten<br />
Methode zeigt, dass auch bisher<br />
über KULAP geförderte Flächen nicht<br />
grundsätzlich kennartenreich sind (Abb. 9).<br />
Dies ist erklärbar, da in <strong>Brandenburg</strong> ein<br />
großer Teil des Grünlandes vor 1990 intensiv<br />
im Verfahren des Saatgrasbaus genutzt<br />
wurde. Dabei wurden große Teile ehemaligen<br />
Feuchtgrünlandes durch Meliorationsmaßnahmen<br />
trockengelegt. Die schwer meliorierbaren<br />
bzw. später meliorierten Grünlandgebiete<br />
zeigen insgesamt nach einer<br />
Extensivierung eine größere Artenvielfalt als<br />
häufig umgebrochene, früh meliorierte Gebiete<br />
(KAISER 2000, 2001). Die Extensivierung<br />
ehemals langjährig intensiv<br />
genutzter Flächen bewirkt auch bei längerer<br />
Anwendung kaum Effekte für die floristische<br />
Artenvielfalt (BRIEMLE 1994, KLEIJN et al.<br />
2001, HERZOG et al. 2005). Hohe Nährstoffvorräte<br />
in sorptionsstärkeren Böden, verarmte<br />
Diasporenbanken und fehlende Restpopulationen<br />
von Zielarten erschweren oft<br />
die Etablierung einer artenreichen Zielvegetation.<br />
Die Abb. 9 veranschaulicht, dass kennartenreiche<br />
Bestände grundsätzlich auf allen untersuchten<br />
standörtlichen Einheiten vorkommen<br />
bzw. für die unterschiedlichen Standorttypen<br />
jeweils geeignete Kennarten zur<br />
Identifizierung eines Zielzustandes gefunden<br />
wurden. Im Bereich des Niedermoorgrünlandes<br />
bestätigte sich vor allem eine relative<br />
Häufigkeit kennartenreicher Bestände auf<br />
den grundwassernahen und weniger degradierten<br />
Niedermoorstandorten, die aber<br />
einen geringen Anteil des landwirtschaftlich<br />
genutzten Grünlandes in <strong>Brandenburg</strong> einnehmen.<br />
Ebenso ist bei den Mineralbodenstandorten<br />
eine stärkere Häufigkeit kennartenreicher<br />
Flächen auf grund- bzw. staunässebeeinflussten<br />
Standorten zu finden.<br />
Auch dies ist wiederum in Zusammenhang<br />
mit der Nutzungshistorie erklärbar. Zu<br />
zeitweiliger Nässe neigende Standorte konnten<br />
weniger intensiv genutzt werden. Es ist<br />
davon auszugehen, dass die aktuell artenreichen<br />
Grünlandbestände vorzugsweise auf<br />
relativ unproduktiven und traditionell extensiv<br />
bewirtschafteten Flächen anzutreffen<br />
sind (KAMPMANN et al. 2007, KNOP et al.<br />
2006).<br />
Die Abb. 9 zeigt weiterhin, dass auch Anteile<br />
der aktuell nicht durch KULAP geförderten
50 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Flächen durchaus kennartenreich und damit<br />
nach einem ergebnisorientierten Honorierungsansatz<br />
förderwürdig sind. Durch die<br />
Kennartenmethode können floristisch gut<br />
erhaltene Grünlandstandorte identifiziert<br />
und zielgerichtet gefördert werden. Mit rein<br />
maßnahmeorientierten Förderungsprinzipien<br />
werden dagegen nicht nur die artenreichen<br />
Grünlandschläge erreicht.<br />
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die<br />
Kennartenmethode durch die <strong>Land</strong>wirte<br />
akzeptiert wird. Die Erfahrungen mit der Einführung<br />
des Kennartenprogramms ab 2008<br />
sollten auf jeden Fall als Grundlage dienen,<br />
um evtl. in der nächsten Förderperiode ab<br />
2014 für bestimmte Grünlandtypen die<br />
ergebnisorientierte Honorierung in <strong>Brandenburg</strong><br />
zu etablieren. Um die vielfältigen<br />
Vorteile der ergebnisorientierten Honorierung<br />
(vgl. MATZDORF 2004) auch zu nutzen<br />
und insbesondere den <strong>Land</strong>wirten mehr Freiheiten<br />
in der Bewirtschaftung dieser artenreichen<br />
Flächen zu geben, müsste dann die<br />
Höhe der Vergütung und nicht nur die<br />
Auswahl der Fläche an das Vorkommen der<br />
Kennarten geknüpft werden.<br />
Die für <strong>Brandenburg</strong> entwickelte Kennartenliste<br />
und Aufnahmemethodik bietet sich auch<br />
an, um den Erfolg von anderen Naturschutz-<br />
Maßnahmen (z.B. Vertragsnaturschutz) auf<br />
Grünland einzuschätzen. Auch für schnelle<br />
und großflächige Übersichtskartierungen,<br />
wie z.B. bei der Ermittlung und Bewertung<br />
von High-Nature-Value-Flächen (EEA REPORT<br />
2004) werden Anwendungsmöglichkeiten<br />
gesehen.<br />
Literatur<br />
BRIEMLE, G. 1994: Extensivierung einer Fettwiese und<br />
deren Auswirkungen auf die Vegetation – Ergebnisse<br />
eines Freilandversuchs. Natursch. <strong>Land</strong>schaftspfl.<br />
Baden-Württemberg 68/69: 109-133<br />
BRIEMLE, G. & OPPERMANN, R. 2003: Von der Idee zum<br />
Programm: Die Förderung artenreichen Grünlandes in<br />
MEKA II, In Artenreiches Grünland bewerten und<br />
fördern – MEKA und ÖQV in der Praxis. In: OPPER-<br />
MANN, R., GUJER, H.U. (Hrsg.): Artenreiches Grünland<br />
bewerten und fördern – MEKA und ÖQV in der Praxis.<br />
Stuttgart: 65-70<br />
DEUTSCHER BUNDESTAG 2008: Unterrichtung durch die<br />
Bundesregierung – Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe.<br />
Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes<br />
für den Zeitraum 2008 bis 2011. Drucksache<br />
16/9213. 111 S.<br />
EEA REPORT 2004: High Nature Value Farmland – Characteristics,<br />
trends and policy challenges. EEA-Report<br />
No 1. Copenhagen 31 S.<br />
ELLENBERG, H.; WEBER, H.E.; DÜLL, R.; WIRTH, V.; WER-<br />
NER, W. & PAULIßEN, D. 1991: Zeigerwerte von Pflanzen<br />
in Mitteleuropa. Goltze. Göttingen 248 S.<br />
HERZOG, F.; DREIER, S.; HOFER, G.; MARFURT, C.; SCHÜP-<br />
BACH, B.; SPIESS, M. & WALTER, T. 2005: Effect of ecological<br />
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108: 189-204<br />
HUNDT, R. 1964: Vegetationskundliche Verfahren zur<br />
Bestimmung der Wasserstufen im Grünland. Z. f. <strong>Land</strong>eskultur<br />
5 (2): 161-186<br />
HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN (HUB) 2003: Wirkung<br />
der Grünlandmaßnahmen des KULAP 2000 auf die<br />
Pflanzenbestände (Arten- und Habitatvielfalt). Bericht.<br />
unveröff. 67 S.<br />
KAISER, T. 2000: Entwicklung der Pflanzenbestände auf<br />
einem Niedermoorstandort in einem Weide/Mahd-Vergleich<br />
bei extensiver Nutzung. Schriftenreihe Deutscher<br />
Grünlandverband e.V. Heft 1: 59-70<br />
KAISER, T. 2001: Betreuervereinbarung zur Erfolgskontrolle/Wirkungskontrolle<br />
im Rahmen des Vertragsnaturschutzes.<br />
Bericht über die Untersuchungen<br />
in den Jahren 2000 und 2001, Auftraggeber Naturpark<br />
Westhavelland, Bericht. unveröff.<br />
Abb. 10<br />
Artenreiche Wiese im Blühaspekt des Scharfen Hahnenfußes (Rannuculus acris)<br />
Foto: B. Kehl<br />
KAMPMANN, D.; HERZOG, F.; JEANNERET, P.; KONOLD, W.;<br />
PETER, M.; WALTER, T.; WILDI, O. & LUSCHER; A. 2007:<br />
Mountain grassland biodiversity: Impact of site conditions<br />
versus management type. J. Nat. Conserv. 16 (1):<br />
12-25<br />
KEIENBURG, T.; MOST, A. & PRÜTER, J. 2006: Entwicklung<br />
und Erprobung von Methoden für die ergebnisorientierte<br />
Honorierung ökologischer Leistungen im Grünland Nordwestdeutschlands.<br />
NNA-Berichte 19 (1): 3-19<br />
KLEIJN, D.; BERENDSE, F.; SMIT, R. & GILISSEN, N. 2001:<br />
Agri-environment schemes do not effectively protect<br />
biodiversity in Dutch agricultural landscapes. Nature<br />
413: 723-725<br />
KLEINKE, J.; SUCCOW, M. & VOIGTLÄNDER, U. 1974: Der<br />
Wasserstufenzeigerwert von Grünlandpflanzen im<br />
nördlichen Teil der DDR. Arch. Natursch. <strong>Land</strong>schaftsforsch.<br />
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KNOP, E.; KLEIJN, D.; HERZOG & SCHMID, F. 2006: Effectiveness<br />
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biodiversity. Journal of Applied Ecology. 43:<br />
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für Niedermoore des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
– digitale Moorkarte -, Fachinformationssystem<br />
Bodenschutz<br />
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DENBURG (LBGR) 1997: Mittelmaßstäbige <strong>Land</strong>wirtschaftliche<br />
Standortkartierung (MMK)<br />
MATZDORF, B. 2004: Ergebnis- und maßnahmenorientierte<br />
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eine interdisziplinäre Analyse eines<br />
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Abschlussbericht am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung<br />
(ZALF) e.V., 05.12.2005, 72 S.,<br />
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MATZDORF, B.; KAISER, T.; ROHNER; M.-S. & BECKER N. 2006:<br />
Vorschlag für ergebnisorientierte Agrarumweltmaßnahmen<br />
im Rahmen des <strong>Brandenburg</strong>er Agrarumweltprogramms.<br />
NNA-Berichte.19 (1): 244-254<br />
MATZDORF, B.; KAISER, T. & ROHNER, M.-S. 2008: Developing<br />
biodiversity indicator to design efficient agrienvironmental<br />
schemes for extensively used grassland.<br />
Ecological Indicators 8: 256-269<br />
MINISTERIUM FÜR LÄNDLICHE ENTWICKLUNG, UMWELT UND<br />
VERBRAUCHERSCHUTZ BRANDENBURG (MLUV) (Hrsg.)<br />
2007a: Artenreiches Grünland in <strong>Brandenburg</strong> – Bestimmungshilfe<br />
für die Kennarten. KULAP 2007.<br />
Broschüre<br />
(http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2<br />
331/bl_wiese.pdf)<br />
MLUV (Hrsg.) 2007b: Hono-rierung von artenreichem<br />
Grünland außerhalb von Natura-2000-Gebieten. Kulap<br />
2007. Faltblatt<br />
(http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2<br />
331/fb_blumw.pdf)<br />
ROSENZWEIG, M. L. 1995: Species diversity in space and<br />
time. University Press, Cambridge<br />
ROTHMALER, W. 2005: Exkursionsflora von Deutschland.<br />
Bd. 4 Gefäßpflanzen – Krit. Bd. 10. bearb. Aufl.,<br />
Elsevier – Spektrum Akademischer Verlag, München<br />
Abb. 11<br />
Blühaspekt der Wiesen-Margerite (Leucanthemum<br />
vulgare)<br />
Foto: T. Kaiser<br />
Anschriften der Verfasser:<br />
Dr. Thomas Kaiser<br />
Zentrum für Agrarlandschaftsforschung<br />
(ZALF e.V.)<br />
Institut für <strong>Land</strong>nutzungssysteme<br />
Eberswalder Str. 84<br />
D-15374 Müncheberg<br />
Dipl.-Ing. Maria-Sofie Rohner<br />
Totilastr. 21<br />
12103 Berlin<br />
Dipl.-Ing. Manuela Reutter<br />
Dr. Bettina Matzdorf<br />
Zentrum für Agrarlandschaftsforschung<br />
(ZALF e.V.)<br />
Institut für Sozioökonomie<br />
Eberswalder Str. 84<br />
D-15374 Müncheberg<br />
Dr. Annemarie Schaepe<br />
Dr. Eckhart Hoffmann<br />
<strong>Land</strong>esumweltamt <strong>Brandenburg</strong><br />
Seeburger Chaussee 2<br />
D-14476 Potsdam, OT Groß Glienicke
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong>; 51-53 51<br />
DIE BESCHRÄNKUNG AUF DAS NOTWENDIGE, AUF DAS WENIGER KOMPLEXE, VIELLEICHT EINE „VOLKSAUSGABE”<br />
MIT DEN BEGRIFFEN DER NATURSCHUTZPOLITIK NACH DEM MUSTER: „NATURSCHUTZ IST GAR NICHT SCHWER…”<br />
MICHAEL GÖDDE<br />
Naturdenkmalpflege und Natura 2000, Artenschutz und Biodiversität<br />
Wer versteht uns eigentlich noch? Gedanken zu den Naturschutzbegrifflichkeiten<br />
1<br />
Schlagwörter:<br />
Naturschutzbegriffe, Bekanntheit von Naturdenkmal, Natura 2000, Biodiversität, Akzeptanz<br />
Zusammenfassung<br />
Es wird der Frage nachgegangen, ob und<br />
inwieweit die Öffentlichkeit die Begriffe<br />
kennt, die im Naturschutz teilweise seit über<br />
hundert Jahren verwandt werden. Anhand<br />
von Umfragen wird dargelegt, dass viele<br />
Begriffe unbekannt sind oder nicht richtig<br />
verstanden werden. Ferner wird deutlich,<br />
dass die Internationalisierung der Begrifflichkeiten<br />
auf Kosten der Verständlichkeit<br />
geht. Es wird abgeleitet, dass ein Naturschutz,<br />
der überzeugen will, eine Sprache<br />
sprechen muss, die verstanden wird und die<br />
hilft, Menschen zu begeistern.<br />
1 Der Ursprung<br />
Anhand von Umfrage-Ergebnissen wird im<br />
Folgenden der Versuch unternommen, zu<br />
hinterfragen, wie die Naturschützer mit der<br />
Öffentlichkeit kommunizieren und ob Naturschutzfachbegriffe<br />
von der Bevölkerung<br />
verstanden werden. Dass Fachbegriffe keine<br />
wesentliche Rolle spielen, zeigt schon eine<br />
Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums<br />
(EMNIT 2006), die ergab, dass<br />
70 % der Bundesbürger ein Naturparadies<br />
am liebsten direkt vor ihrer Haustür hätten.<br />
Aus Sicht der Bevölkerung ist der Begriff<br />
Paradies mit der Sehnsucht nach Natur verbunden.<br />
Das Paradies, als Ort der höchsten<br />
biologischen Vielfalt, von den Arten, vom<br />
Genpool und den Lebensräumen her gesehen,<br />
ist fachlich betrachtet keine Schutzkategorie<br />
– auch wenn aus Marketinggründen<br />
von privaten Anbietern damit geworben<br />
wird.<br />
Der Beginn der Naturschutzbewegung vor<br />
rund 150 Jahren fällt mit der Verlusterfahrung<br />
von intakter Natur und von als<br />
gesund empfundenen sozialen Bezügen<br />
zusammen. Einige Naturschützer wollten<br />
Maschinen und sogar den Strom als neue<br />
Energiequelle abschaffen. Andere konzentrierten<br />
sich auf Einzelobjekte, denen sie<br />
ihre Schutzbemühungen widmeten. Dieses<br />
waren die Naturdenkmale Conwentzscher<br />
Prägung: Bäume, Alleen, Findlinge,<br />
Quellen, Wasserfälle, auch Tiere wie Biber<br />
und Kormoran. Der letztgenannte Ansatz<br />
konnte im Laufe der Jahrzehnte einiges in<br />
Bewegung setzen.<br />
Es ist nicht belegt, was die Bürger damals<br />
von der Naturdenkmalpflege gehalten<br />
haben, ebenfalls unbekannt ist, ob sie überhaupt<br />
verstanden haben, was Naturdenkmäler<br />
sind. Auf jeden Fall ist festzustellen,<br />
dass der Naturschutz rasch zu<br />
einer Breitenbewegung heranwuchs, beseelt<br />
vom Wunsch, Mitmenschen zu informieren<br />
und für die Natur zu begeistern und für die<br />
Heimat zu streiten. Das Verbindende war<br />
außerdem, dass jeder mitmachen konnte.<br />
Es wurden Listen der Naturdenkmäler erstellt,<br />
die eine Sammlung von „charakteristischen<br />
Gebilden der heimischen Natur” sowie von<br />
„Merkwürdigkeiten” darstellten. Die Maxime<br />
„Mit Augenmaß, kostengünstig und konfliktarm”<br />
trug in erheblichem Umfang dazu bei,<br />
dass die Naturdenkmalpflege auch im politischen<br />
Raum eine breite Zustimmung erlangen<br />
konnte. Die Naturdenkmalpflege war<br />
nicht nur ein einfach zu vermittelnder, pragmatischer<br />
Naturschutz, sondern auch der Einstieg<br />
in die Entwicklung von Naturschutzbegrifflichkeiten.<br />
2 Althergebrachte und in<br />
Deutschland geläufige<br />
Begriffe<br />
Der Naturschutz entwickelte sich konsequenterweise<br />
vom Schutz einzelner Arten<br />
und Einzelschöpfungen weiter zum Schutz<br />
der bedrohten Lebensräume und von <strong>Land</strong>schaftsräumen<br />
insgesamt. In diesem<br />
flächenhaften Naturschutzansatz finden<br />
sich die Nationalparke und Naturparke<br />
wieder, in den Großschutzgebieten werden<br />
zusätzlich touristische Besonderheiten herausgestellt:<br />
Der Naturschutz in diesen Gebieten<br />
war nicht mehr reiner Schutz der<br />
Natur, sondern er diente in gleichem Maße<br />
der Erholung der Bevölkerung. Auf diese<br />
Weise war die Naturparkbewegung in<br />
Deutschland und Österreich schon zu Beginn<br />
des 20. Jahrhundert sehr erfolgreich.<br />
Im Gegensatz zu Naturparken wurden Nationalparke<br />
nordamerikanischer Prägung in<br />
Deutschland lange Zeit als unpassende<br />
Schutzkategorie empfunden, erst 1970 mit<br />
fast hundert Jahren Verspätung wurde die<br />
Idee in Deutschland im Bayerischen Wald in<br />
die Tat umgesetzt. Heute scheint es auch<br />
aus Marketinggründen zu einer rasanten<br />
weiteren Entwicklung von Nationalparken<br />
in Deutschland zu kommen.<br />
Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke<br />
der <strong>Land</strong>schaftsschutzgebiete (LSG) und<br />
besonders streng geschützte Naturschutzgebiete<br />
(NSG) durch die gesamtdeutsche<br />
Naturschutzdiskussion. Diese<br />
Schutzgebiete sind das Rückgrat des Naturschutzes.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> sind mittlerweile<br />
6,7% der <strong>Land</strong>esfläche als NSG<br />
gesichert (s. www.mluv.brandenburg.de).<br />
Zwischenbilanz: Naturpark, Nationalpark,<br />
NSG, LSG und Naturdenkmal, das sind die<br />
althergebrachten Kategorien in Deutschland,<br />
Begriffe, die in der Öffentlichkeit<br />
bekannt sind. Bis hierher kann die Ausgangsfrage<br />
„Wer versteht uns noch?” mit<br />
gutem Gewissen mit „beinah alle” beantwortet<br />
werden.<br />
3 Die Internationalisierung<br />
nach dem 2. Weltkrieg<br />
Mit zunehmendem internationalem Einfluss<br />
allerdings ändert sich das. So wurde nach<br />
dem 2. Weltkrieg durch die UNESCO das<br />
Programm „Men and Biosphere” entwickelt<br />
und vorangetrieben. Biosphärenreservate<br />
als Modellregionen gibt es in Deutschland<br />
derzeit 13, weltweit existieren 529.<br />
Biosphärenreservat, das klingt zwar akademisch<br />
– aber weniger verstaubt als Naturdenkmal:<br />
Dass die Bürger kaum etwas<br />
damit anzufangen wissen, zeigt eine<br />
repräsentative Studie des Instituts für<br />
Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2003,<br />
die Folgendes zeigt: Zwar kannten 53 %<br />
der Befragten die Biosphärenreservate, doch<br />
nur 10 % brachten sie in Verbindung mit<br />
der UNESCO und nur 2 % wussten, dass<br />
„Mensch, Tier und Pflanze im Einklang mit<br />
der Natur leben und entwickelt werden<br />
sollen”!<br />
Der Idee des Biosphärenreservates entwickelte<br />
sich im Sinne eines ökologischen<br />
Ansatzes „Schutz durch Nutzung” und<br />
Nachhaltigkeit weiter. Mit der Ökologisierung<br />
kamen auch Biotopverbund und<br />
Dynamik/Wildnis ins Gespräch. Das kohärente<br />
ökologische Netzwerk Natura<br />
2000, die paneuropäischen ökologischen<br />
Netze (PEEN) oder die Feuchtgebiete von<br />
Internationaler Bedeutung sind Namen von<br />
Netzwerken des Naturschutzes.<br />
1 Textfassung eines Vortrages am 18.2.2008 zum<br />
100jährigen Bestehen des amtlichen Naturschutzes<br />
in <strong>Brandenburg</strong> im Friedenssaal des ehemaligen<br />
Militär-Waisenhauses, Potsdam
52 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Abb. 1<br />
Natura-2000-Netzwerk<br />
4 Das Netzwerk Natura 2000<br />
Im Rahmen der dynamischen Weiterentwicklung<br />
der Naturschutzinstrumente ist der<br />
Begriff Natura 2000 zu sehen. Natura 2000<br />
ist der Name des kohärenten ökologischen<br />
Naturschutznetzes der Europäischen Union.<br />
Natura 2000 ist als europäisches Instrument<br />
im Gegensatz zu nationalen oder völkerrechtlichen<br />
Gebietskategorien im Naturschutz<br />
mit dem „scharfen Schwert” des<br />
Europarechts (insbesondere Europäischer<br />
Gerichtshof, Klage- und Beschwerdeverfahren)<br />
ausgestattet. Fachtermini zu Natura<br />
2000 sind:<br />
• SPA (Special Protection Area)<br />
• Europäisches Vogelschutzgebiet<br />
• Besonderes Schutzgebiet<br />
• Gebiete von Gemeinschaftlicher Bedeutung<br />
• Europaschutzgebiet<br />
• IBA (International Bird Area)<br />
• Feuchtgebiete Internationaler Bedeutung<br />
• Managementplan<br />
• Eingriffsreglung und Kompensation<br />
• Kohärenzsichernde Maßnahmen<br />
• Arten und Lebensraumtypen der Anhänge<br />
l, II, IV und V<br />
• Prioritäre Arten<br />
• Erhaltungsziele etc.<br />
Naturschutzbegriffe nur zu den Flächen im<br />
Schnelldurchlauf:<br />
• Großschutzgebiete<br />
• Ramsar-Gebiete<br />
• Geschützter Biotop<br />
• Geopark<br />
• Waldschutzgebiet<br />
• Schutzwald, Bannwald<br />
• Wasserschutzgebiet<br />
• Naturwaldzellen<br />
• Weltnaturerbegebiet<br />
• Gebiete mit <strong>Land</strong>schaftsdiplom des Europa-Rats<br />
• Totalreservat oder Naturentwicklungsgebiet<br />
• Zone 1, 2, 3, 4, Kernzone, Pufferzone<br />
• IUCN-Kategorien z.B. I a und b und die<br />
russischen Zapovedniks<br />
• Die Dachmarke „Nationale Naturlandschaften”<br />
für alle Großschutzgebiete in<br />
Deutschland.<br />
Abb. 2<br />
Begiff Biodiversität<br />
5 Transformation des Naturschutzes<br />
zum Schutz der<br />
Biologischen Vielfalt<br />
Seit einigen Jahren redet die Fachöffentlichkeit<br />
nicht mehr von Naturschutz, sondern<br />
von Biodiversität. In diesem Kontext sind<br />
weitere Begriffe zu nennen und zu vermitteln:<br />
• Biologische Vielfalt<br />
• Biodiversität oder kurz „Biodiv”<br />
• Stopp the loss of biodiversity<br />
• Countdown 2010<br />
• Convention of Biodiversity und die 9.<br />
Vertragsstaatenkonferenz COP 9<br />
• „Access and benefit sharing” also<br />
„gerechter Vorteilsausgleich”<br />
Wie das Umweltbundesamt (UBA) in seiner<br />
jährlichen Umfrage zum Umweltbewusstsein<br />
2006 feststellte, ist die Konvention zur<br />
Biologischen Vielfalt aus Rio 1992 immerhin<br />
15 % der Bundesbürger bekannt. Was die<br />
Konvention tatsächlich beinhaltet, wissen<br />
dann noch 6%!<br />
Dieses Ergebnis zeigt, dass es nicht (oder<br />
noch nicht) erfolgreich ist, mit den genannten<br />
Begriffen die Bevölkerung an die Themen<br />
des Naturschutzes heranzuführen.<br />
Statt von Naturschutz vom „Erhalt der biologischen<br />
Vielfalt” zu reden, geht nicht auf,<br />
wenn der Naturschutz die Öffentlichkeit erreichen<br />
will.<br />
Dies belegt eine im Dezember 2007 von der<br />
EU-Kommission vorgelegte Studie mit dem<br />
Titel „Attitudes of Europeans towards the<br />
issue of Biodiversity” (In: Flash Eurobarometer<br />
219). Es wurden mehr als 25.000 Europäer<br />
und Europäerinnen allen Alters und<br />
vieler Einkommensgruppen befragt.<br />
Das Ergebnis gibt Anlass, über Naturschutzbegrifflichkeiten<br />
und die Art der<br />
Kommunikation kritisch nachzudenken;<br />
Natura 2000 ist nur 3,4 % der Deutschen<br />
bekannt, weitere 5,9 % haben zwar davon<br />
gehört, aber ohne irgendeine Ahnung<br />
davon zu haben, was Natura 2000 sein<br />
könnte. Die Aufgabe sollte sein, die anderen<br />
90,3 % zu erreichen!<br />
In Finnland wissen immerhin 29 %, was<br />
Natura 2000 ist und weitere 50 % haben<br />
zumindest davon gehört. Die „Rote Laterne”<br />
bekommen gleichauf mit 0,9 %„keine<br />
Ahnung” die Briten und Italiener. Es ist kein<br />
systematischer Unterschied zu erkennen<br />
zwischen EU 15 und EU 27 oder zwischen<br />
West und Ost oder Nord und Süd.<br />
Entsprechend der gewichteten Hochrechnung<br />
(s. Abb. 1) für die 27 Mitgliedstaaten<br />
können 6,2 % aller Europäer sagen, was<br />
Natura 2000 ist!<br />
Um den Begriff Biodiversität, der 1986 das<br />
Licht der politischen Bühne erblickt hat<br />
(REAKA-KUDLA et al. 1997), scheint es deutlich<br />
besser bestellt zu sein (s. Abb. 2): 35 %<br />
der Europäer wissen, was er bedeutet und<br />
29,7 % können den Begriff immerhin ableiten,<br />
allerdings wissen 34,6 %, mit Biodiversität<br />
nichts anzufangen. In Deutschland sind<br />
es erstaunliche 70,7 %, die 2007 angeben,<br />
den Begriff zu kennen, das ist deutlich mehr<br />
als doppelt so viel wie noch bei einer Umfrage<br />
von BioFrankfurt im Jahr 2006.<br />
Mit den Österreichern, von denen fast 75 %<br />
den Begriff kennen, stehen die deutschen<br />
Probanden auf dem Siegertreppchen (74,3 %<br />
bekannt und 14,6 % schon gehört!), Slowakei,<br />
Zypern und Tschechien liegen mit<br />
unter 7 % abgeschlagen auf den „Abstiegsrängen”.<br />
Informationen über den Verlust (s. Abb. 3)<br />
von biologischer Vielfalt (mit Doppelnennungen)<br />
ziehen die Deutschen in erster Linie<br />
aus TV-Programmen (67,5 %), Zeitungen<br />
(45,9 %) und dem Internet (34,8%). Die<br />
vom Naturschutz regelmäßig veröffentlichten<br />
und oft kostenfrei verteilten Broschüren<br />
und Faltblätter geben immerhin noch 10,9 %<br />
als Hauptquelle ihrer Informationen an. Veranstaltungen<br />
und Ausstellungen kann man<br />
sich in Deutschland wohl in Zukunft eher<br />
sparen, sie werden nur mit 2,6 % honoriert!<br />
Griechen (5,7 %), Franzosen (6,5 %) und<br />
Luxemburger (7,5 %) sind der Umfrage zufolge<br />
eher für Veranstaltungen und Ausstellungen<br />
zu begeistern.<br />
6 Schlussgedanken<br />
Haben Sie schon mal darüber nachgedacht,<br />
warum so viele Menschen sich über den Klimawandel<br />
Sorgen machen und bereit sind,<br />
viele Mrd. Euro zu investieren?
MICHAEL GÖDDE: NATURDENKMALPFLEGE UND NATURA 2000, ARTENSCHUTZ UND BIODIVERSITÄT. 53<br />
Gleichzeitig sterben in den Meeresökosystemen<br />
und in den Regenwäldern unzählige<br />
Arten aus – mit Auswirkungen, die nicht<br />
einmal ansatzweise abgeschätzt werden<br />
können. Für den Fall, dass es sich um Natur<br />
oder Arten in Deutschland, in <strong>Brandenburg</strong><br />
handelt, wird es heikel, wenn Geld investiert<br />
werden soll: Mal sind es Ausgaben für die<br />
Großtrappe, die mit der Frage verbunden<br />
werden, brauchen wir die Großtrappe in<br />
<strong>Brandenburg</strong> überhaupt, wenn sie doch in<br />
der Ukraine in größerer Anzahl, wenn auch<br />
in einer anderen Rasse, vorkommt. Können<br />
wir uns die Großtrappe in Deutschland leisten?<br />
Ein Feuchtgebiet an der falschen Stelle, ein<br />
Moor ohne Wasser, statt Wiesenbrüter zu<br />
schützen soll lieber Energiemais angebaut<br />
werden. Die Wölfe sind schon auf dem Vormarsch<br />
in Sachsen und <strong>Brandenburg</strong>. Also<br />
gibt es gar keinen weiteren Bedarf an<br />
Naturschutz, wird eingeworfen: es handelt<br />
sich nur um überzogene Vorstellung von<br />
Abb. 3<br />
Umfragenergebnisse<br />
zu Informationsquellen<br />
EU-Bürokraten und von ewig gestrigen<br />
Naturschützern.<br />
Überzeichnet, meinen sie? Ja, aber nur etwas!<br />
Worauf ich hinaus will, ist die Frage,<br />
wie kommt das? Wurde vor über hundert<br />
Jahren die Industrialisierung als so viel<br />
bedrohlicher wahrgenommen als Eingriffe<br />
durch Infrastrukturmaßnahmen oder <strong>Land</strong>schaftswandel<br />
heutzutage? Haben wir 2008<br />
ein so viel dickeres Fell, was den Ausverkauf<br />
der Heimat angeht, haben wir andere Sorgen,<br />
ist die Angebotspalette von Interessensfeldern<br />
zu groß oder haben die meisten<br />
von uns schlicht resigniert?<br />
Mir ist keine Analyse bekannt, die hier<br />
Aufklärung bietet. Mir jedoch scheint, dass<br />
es ein großes Desinteresse an der heimischen<br />
Natur gibt. Sie wird als ökonomisch<br />
uninteressant, was bekanntermaßen falsch<br />
ist, als eintönig und langweilig mit nur<br />
geringem Freizeitwert wahrgenommen.<br />
Menschen, die oft draußen sind, sehen das<br />
anders. Sie wollen angeln, paddeln, Fahrrad<br />
fahren, mit dem Hund raus. Allerdings: Mit<br />
einem „weltverbessernden” Naturschutz<br />
haben sie nichts im Sinn, die akademische<br />
Auseinandersetzung mit dem globalen<br />
Artensterben vermiest ihnen den Sonntagsausflug<br />
und die Sprache der Naturschützer<br />
und das undurchsichtige System von Gebietskategorien<br />
ist ihnen ein Graus. Das Vokabular<br />
von Artenschutzprogramm über Biologische<br />
Vielfalt bis Natura 2000 interessiert<br />
sie nicht und bleibt ihnen fremd, denn es hat<br />
keinen Nutzwert für sie.<br />
Die Beschränkung auf das Notwendige, auf<br />
das weniger Komplexe, vielleicht eine<br />
„Volksausgabe” mit den Begriffen der<br />
Naturschutzpolitik nach dem Muster: „Naturschutz<br />
ist gar nicht schwer und geht auch<br />
mich an! Ich mache mit!”. Weg vom reinen<br />
Spezialisten-Naturschutz. Das könnte vielleicht<br />
helfen...<br />
Was sagen Sie zum Erhalt der Biodiversität?<br />
Ich sage Naturschutz. Ganz schlicht und<br />
einfach: Naturschutz!<br />
Eine Studie zur Akzeptanz von Wildnis (Wolf,<br />
Luchs und „Stadtfuchs”) aus dem Jahre<br />
2000 in der Schweiz (HUNZIKER et al. 2001)<br />
zeigt, dass es nicht darum geht, Informationen<br />
über Naturschutz zu vermitteln, sondern<br />
darum, die emotionalen Einstellungen der<br />
Menschen zu verändern. Wissensvermittlung<br />
wird sogar als kontraproduktiv angesehen,<br />
weil Gegenargumente und Abwehrhaltungen<br />
entwickelt werden. Ist die angestrebte<br />
Grundhaltung nicht vorhanden oder der<br />
„Boden noch nicht bereitet”, dann läuft die<br />
Information ins Leere.<br />
Was wir brauchen, ist Vertrauen darin, dass<br />
Natur Spaß macht und dass wir in erster<br />
Linie Kindern und Jugendlichen den Einstieg<br />
in die Thematik Natur und Heimat ermöglichen<br />
müssen, den Zugang, neugierig<br />
auf die reichen Facetten der Natur werden<br />
zu wollen. Das betrifft auch alte Menschen,<br />
Familien, Personen mit Handicaps, Lehrer<br />
und Politiker! Wir brauchen mehr Begeisterung,<br />
ein mehr: „Raus in den Wald und<br />
ran an den Bach!” und keine theoretischen<br />
Abhandlungen und Begriffsungetüme.<br />
Literatur:<br />
Flash Eurobarometer 2007: Attitudes of Europeans<br />
towards the Issue of Biodiversity. 219. Gallup Organization.<br />
http://ec.europa,eu/public_opinion/ilash/fl_219_en.pdf<br />
HUNZIKER, M.; HOFFMANN, C. W. & WILDECK, S. 2001:<br />
Die Akzeptanz von Wolf, Luchs und „Stadtfuchs”<br />
Ergebnisse einer gesamtschweizerisch-repräsentativen<br />
Umfrage. For. Snow. <strong>Land</strong>sc. Res. 76 (1/2): 301-326<br />
REAKA-KUDLA, M.L.; WILSON, D.E. & WILSON, E.O. 1997:<br />
Biodiversity II. Understanding and Protecting our Biological<br />
Resources. J. Henry Press, Washington, D.C.,<br />
551 S.<br />
www.biofrankfurt.de, www.bfn.de, www.bmu de,<br />
www.europarc-deutschland.de, www.mluv.brandenburg.de,<br />
www.tematea.org, www.umweltdaten.de,<br />
www.waldwissen.net<br />
Alle websites wurden letztmalig am<br />
16.3.<strong>2009</strong> gesichtet.<br />
Abb. 4<br />
Gingko im Schlosspark<br />
Trebnitz bei<br />
Neuhardenberg<br />
Foto: I. Franken<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Dr. Michael Gödde<br />
Lennesstraße 12<br />
14471 Potsdam
54 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong>; 54-55<br />
LOTHAR TÄUSCHER<br />
VOR 50 JAHREN WURDE IN NEUGLOBSOW AM STECHLINSEE DER GRUNDSTEIN FÜR EINE UMFASSENDE<br />
LIMNOLOGISCHE FORSCHUNG IM LAND BRANDENBURG GELEGT. SEITDEM SIND AUS DIESER<br />
FORSCHUNGSEINRICHTUNG ZAHLREICHE NATIONALE UND INTERNATIONALE ERGEBNISSE FÜR DIE<br />
LIMNOLOGIE UND DEN NATUR- UND UMWELTSCHUTZ HERVORGEGANGEN.<br />
50 Jahre limnologische Forschung am Stechlinsee<br />
Schlagwörter:<br />
Limnologie, Forschung, Naturschutz, Umweltschutz, <strong>Brandenburg</strong><br />
Vor nunmehr 50 Jahren, am 12. März 1959,<br />
wurde mit der Einrichtung der Forschungsstelle<br />
für Limnologie der Deutschen Akademie<br />
der Wissenschaften zu Berlin in Neuglobsow<br />
am Stechlinsee der Grundstein für<br />
eine umfassende limnologische Forschung<br />
in <strong>Brandenburg</strong> gelegt. Aus dieser Forschungseinrichtung<br />
sind seitdem zahlreiche<br />
national und international bedeutsame Forschungsergebnisse<br />
für die Limnologie und<br />
den Natur- und Umweltschutz hervorgegangen.<br />
Aus diesem Anlass sollen an dieser<br />
Stelle die Leistungen dieser Einrichtung auf<br />
dem Gebiet der aquatischen Ökologie und<br />
des Natur- und Umweltschutzes kurz vorgestellt<br />
und gewürdigt werden.<br />
Als erster Direktor der Forschungsstelle für<br />
Limnologie war Dozent Dr. Dr. habil. Theodor<br />
Schräder (1904-1975) tätig. Ab 1966<br />
fungierte die Einrichtung unter Leitung von<br />
Dr. habil. S. Jost Casper als Abteilung Limnologie<br />
des Zentralinstitutes für Mikrobiologie<br />
und Experimentelle Therapie (ZIMET),<br />
Jena, der Deutschen Akademie der Wissenschaften<br />
bzw. ab 1973 bis 1991 der Akademie<br />
der Wissenschaften der DDR (SCHÖN-<br />
BORN 2008). Seit 1992 gehört die limnologische<br />
Forschungseinrichtung am Stechlinsee<br />
als Abteilung Limnologie Geschichteter<br />
Seen zum Leibniz-Institut für Gewässerökologie<br />
und Binnenfischerei, welche bis 2008<br />
Prof. Dr. habil. Rainer Koschel leitete.<br />
Den Anstoß für Gründung der Forschungsstelle<br />
am Stechlinsee gab der Bau des ersten<br />
Kernkraftwerkes der ehemaligen DDR (1956<br />
bis 1966 errichtet) mit einem äußeren Kühlwasserkreislauf,<br />
in den der Nehmitzsee und<br />
der Stechlinsee über Kanalverbindungen eingebunden<br />
wurden. Dabei wurde Kühlwasser<br />
aus dem nährstoffreicheren Nehmitzsee entnommen,<br />
bei dem Durchfluss durch das<br />
Kernkraftwerk erwärmt und in den sehr<br />
nährstoffarmen Stechlinsee eingeleitet. Bis<br />
zum Jahr 1990 war es deshalb die vorrangige<br />
Aufgabe der limnologischen Forschung<br />
am Stechlinsee, die ökologischen Auswirkungen<br />
der thermischen und stofflichen<br />
Belastungen auf Seeökosysteme zu untersuchen.<br />
In der ersten Phase der Erfassungen und<br />
Untersuchungen ging es um eine Bestandsaufnahme<br />
aller biologischen Komponenten<br />
von Bakterien über planktische und benthische<br />
Mikro- und Makroalgen, Farn- und<br />
Blütenpflanzen, Urtiere und wirbellose Tiere<br />
bis hin zu Wirbeltieren in und an den Gewässern.<br />
In der zweiten Phase wurden die<br />
Veränderungen in den Lebensgemeinschaften<br />
und in den Energieflüssen bzw. in den<br />
Stoffkreisläufen durch die thermischen und<br />
stofflichen Belastungen analysiert. Bei diesen<br />
Untersuchungen wurde das Studium<br />
der biologischen Prozesse (einschließlich<br />
Primär- und Sekundärproduktion) mit einer<br />
umfangreichen Analyse der physikalischchemischen<br />
Parameter (Lichtverhältnisse,<br />
Wassertemperatur, Nährstoffe, Sauerstoffverhältnisse)<br />
verbunden.<br />
Auch danach wurden die wertvollen Messreihen<br />
fortgesetzt, um Langzeitwirkungen<br />
einer „thermal pollution” zu erfassen. So<br />
zeigte sich, dass die abiotischen und biotischen<br />
Komponenten des Stechlinsees erst<br />
mit einer 5- bis 10-jährigen Verzögerung auf<br />
die Belastungen durch Abwärme und Nährstoffe<br />
reagierten und das ehemalige oligotrophe<br />
Gewässer gegenwärtig nach den<br />
physikalisch-chemischen Parametern und<br />
der Phytoplankton- und Makrophyten-<br />
Besiedlung als schwach mesotroph einzustufen<br />
ist (SPIEß 2004, HILLE et al. 2008,<br />
TÄUSCHER et al. 2008). Der Stechlinsee gehört<br />
somit zu den am besten und über einen langen<br />
Zeitraum untersuchten Seen der Welt.<br />
Von den an den Forschungen beteiligten<br />
langjährigen Mitarbeitern sollen folgende<br />
Biologen und Limnologen in alphabetischer<br />
Reihenfolge genannt werden. Der Großteil<br />
Abb. 1<br />
Historischer Blick auf das Gelände des IGB am Stechlinsee<br />
der Originalzitate ist in der „Stechlinsee-Bibliographie”<br />
von CASPER et al. (2001) enthalten.<br />
Dr. Brigitte Althaus (später vereh. Koch) war<br />
eine der ersten Mitarbeiterinnen und bearbeitete<br />
die Rädertierfauna des Stechlinsees.<br />
Dr. habil. Hans-Dieter Babenzien war als<br />
Mikrobiologe tätig und veröffentlichte zahlreiche<br />
Beiträge zur Gewässermikrobiologie.<br />
Dipl.-Biol. Gisela Busse begann nach der<br />
Gründung der Forschungsstelle mit den Untersuchungen<br />
des Phytoplanktons.<br />
Dr. Peter Casper, der bis 2008 die Abteilung<br />
am Stechlinsee leitete, erforschte die Besonderheiten<br />
der Gewässersedimente und ihren<br />
Einfluss auf die Prozesse im Freiwasser.<br />
Dr. Dietrich Flößner bearbeite als Zoologe<br />
das Mikrocrustaceen und die Vogelwelt des<br />
Stechlinsee-Gebietes.<br />
Dr. Peter Kasprzak arbeitet als Limnologe<br />
mit den Arbeitsgebieten Zooplankton und<br />
Biomanipulation.<br />
Prof. Dr. habil. Rainer Koschel nahm produktionsbiologische<br />
und limnologische Untersuchungen<br />
vor und ist ein anerkannter<br />
Fachmann auf dem Gebiet der Gewässersanierung<br />
und -restaurierung.<br />
Prof. h.c. Dr. habil. Heinz-Dieter Krausch arbeitete<br />
von 1961 bis 1990 als Botaniker und<br />
Pflanzensoziologe in der Forschungsstelle<br />
bzw. Abteilung für Limnologie und leistete<br />
Foto: IGB, W. Scheffler
LOTHAR TÄUSCHER: 50 JAHRE LIMNOLOGISCHE FORSCHUNG AM STECHLINSEE 55<br />
mit seinen „Pflanzengesellschaften des<br />
Stechlinsee-Gebietes” einen grundlegenden<br />
Beitrag zur Pflanzensoziologie Nordostdeutschlands.<br />
Dr. Ludwig Krey war zuständig für Hydrographie<br />
und Morphometrie der Gewässer<br />
und ihre Einzugsgebiete.<br />
Dr. habil. Lothar Krienitz ist ein Spezialist<br />
der planktischen Algenflora und widmet<br />
sich besonders den kokkalen Grünalgen und<br />
dem Picoplankton.<br />
Dr. Lutz Küchler war langjährig für die Erfassung<br />
des Phytoplanktons verantwortlich.<br />
Dr. habil. Georg Mothes (1933-1986) nahm<br />
bis 1977 vielfältige Untersuchungen als<br />
Zoologe, Forschungstaucher und Limnologe<br />
am Stechlinsee vor.<br />
Dr. Gottfried Proft arbeitete über den Chemismus<br />
von Gewässern und vor allem über<br />
den der Sedimente.<br />
Prof. Dr. Alfred Rieth war Algologe und Stellvertreter<br />
des Leiters Dr. habil. Th. Schräder.<br />
Dr. Diethelm Ronneberger erfasste als Zoologe<br />
die Grundwasserfauna und das Zooplankton.<br />
Wolfram Scheffler war bis 2004 langjähriger<br />
Mitarbeiter und ist engagierter Naturschützer<br />
am Stechlinsee und im Stechlinsee-Gebiet<br />
und bearbeitete zusammen mit dem langjährigen<br />
Leiter Prof. Dr. habil. S. Jost Casper vor<br />
allem die zentrischen Diatomeen.<br />
Dr. habil. Wilfried Schönborn war vor seinem<br />
Wechsel zur Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
Protozoologe und Limnologe in der Forschungsstelle<br />
für Limnologie bzw. der Abteilung<br />
Limnologie.<br />
Dr. Claudia Wiedner erfasste die Besonderheiten<br />
von toxischen Cyanobakterien.<br />
Aus diesen umfangreichen Forschungsarbeiten<br />
entstanden mehrere zusammenfassende<br />
Monographien über das Stechlinsee-<br />
Gebiet (z.B. CASPER et al. 1974; CASPER<br />
1985; KOSCHEL & ADAMS 2003; LÜTKEPOHL &<br />
FLADE 2004). Aber auch das Feldberger<br />
Seengebiet in Mecklenburg-Vorpommern<br />
war Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher<br />
Arbeiten (z.B. KRAUSCH & ZÜHLKE 1974;<br />
KOSCHEL et al. 1985; KRIENITZ et al. 1996;<br />
KRAUSCH & SCHMIDT 1997; KOSCHEL 2000;<br />
KOSCHEL & HEISER o.J.).<br />
Außerdem gingen aus dem Institut für Limnologie<br />
grundlegende Beiträge zu Wasserund<br />
Sumpfpflanzen (CASPER & KRAUSCH<br />
1980, 1981; KRAUSCH 1996), zur Eutrophierung<br />
von Gewässern (KASPRZAK 1982), zu<br />
Gewässerbelastungen (KOSCHEL & CASPER<br />
1986; KASPRZAK 1988) und zu Möglichkeiten<br />
von Gewässersanierungen und -restaurierungen<br />
einschließlich Biomanipulation (KO-<br />
SCHEL 1994; KASPRZAK et al. 1995, 2000;<br />
KASPRZAK 1996) hervor. Weitere Arbeiten,<br />
die vor allem von Limnologen des Institutes<br />
am Stechlinsee federführend bearbeitet<br />
wurden, beschäftigen sich mit Gewässerschutz<br />
(KOSCHEL et al. 2005) und Methoden<br />
der Wasser- und Gewässer-Untersuchungen<br />
(WIEDNER et al. 2007).<br />
In den Methoden-Büchern der Wasser- und<br />
Gewässer-Untersuchungen (BREITIG & VON<br />
TÜMPLING 1982, VON TÜMPLING & FRIEDRICH<br />
1999) sind zahlreiche Beiträge von Limnologen<br />
enthalten, die mit den Untersuchungen<br />
im Stechlinsee-Gebiet verbunden waren<br />
oder noch sind.<br />
Im Jahr 1962 wurde mit der Limnologica die<br />
„Hauszeitschrift” des Institutes für Limnologie<br />
am Stechlinsee gegründet, die auch international<br />
eine weite Verbreitung gefunden<br />
hat. Im Jahr <strong>2009</strong> ist der 39. Jahrgang erschienen.<br />
Auch die seit 1998 von Limnologen am<br />
Stechlinsee durchgeführte Veranstaltungsreihe<br />
„Stechlin-Forum” ist eine sehr gute<br />
Diskussionsmöglichkeit von gewässerökologischen<br />
Problemen und Fragestellungen.<br />
Die Forschungseinrichtung am Stechlinsee<br />
zählt heute zu den führenden limnologischen<br />
Institutionen in Deutschlands und<br />
genießt darüber hinaus einen sehr guten<br />
internationalen Ruf.<br />
Es bleibt zu hoffen, dass durch die Untersuchungen<br />
des mit 70 m tiefsten brandenburgischen<br />
Sees das als Naturschutzgebiet<br />
ausgewiesen, einzigartige Ökosystem zum<br />
ursprünglichen oligotrophen Gewässertyp<br />
zurückgeführt werden kann.<br />
Literatur<br />
BREITIG, G. & VON TÜMPLING, W. 1982: Ausgewählte<br />
Methoden der Wasseruntersuchung. Band. II Biologische,<br />
mikrobiologische und toxikologische Methoden.<br />
Bd. 1-2. Jena<br />
CASPER, P.; KOSCHEL, R. & KRIENITZ, L. 2001: Stechlinsee-<br />
Bibliographie. Berichte des IGB 12. Sonderheft III:<br />
1-84<br />
CASPER, S.J.; BABENZIEN, C.; BABENZIEN, H.-D.; BENNDORF,<br />
J.; FLÖßNER, D.; KASPRZAK, P.; KLAPPER, H.; KOSCHEL, R. ;<br />
KRAUSCH, H.-D.; KREY, L.; MOTHES, G.; PROFT, G.; RECK-<br />
NAGEL,F.; RICHTER, D.; RONNEBERGER, D.; SCHEFFLER, W. &<br />
SCHÖNBORN, W. (Hrsg.) 1985: Lake Stechlin: a temporate<br />
oligotrophic lake. Dordrecht. Boston. Lancaster.<br />
553 S.<br />
CASPER, S.J. & KRAUSCH, H.-D. 1980, 1981: Pteridophyta<br />
und Anthophyta 1. und 2. Teil. In: ETTL, H.; GERLOFF,<br />
J. & HEYNIG, H. (Hrsg.): Süßwasserflora von Mitteleuropa.<br />
Bde. 23, 24. Jena, Stuttgart, New York<br />
CASPER, S.J.; KRAUSCH, H.-D; MOTHES, G.; KOSCHEL, R.;<br />
SCHEFFLER, W.; FLÖßNER, D. & BÖTTCHER, H.G. 1974:<br />
Stechlinsee-Gebiet - Naturschutzgebiet Stechlin. Naturschutzarbeit<br />
in Berlin und <strong>Brandenburg</strong> 10: 33-64<br />
FLÖßNER, D. 1971: Die Brutvögel des Naturschutzgebietes<br />
Stechlin. Naturschutzarbeit in Berlin und <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Beil. 13: 1-13<br />
HILLE, M.; SCHOKNECHT T. & ZIMMERMANN, F. 2008: 70<br />
Jahre Naturschutzgebiete (NSG) Leue, Rauhes Luch,<br />
Fauler Ort und Stechlin-, Nehmitz- und Großer Krukowsee.<br />
Natursch. <strong>Land</strong>schaftspfl. Bbg. 17 (4): 216-<br />
219<br />
KASPRZAK, P. 1982: Eutrophierung der Gewässer. Wissenschaft<br />
und Fortschritt 32: 256-259<br />
KASPRZAK, P. 1988: Klare Seen durch Eingriff in die Nahrungskette?<br />
Wissenschaft und Fortschritt 38: 37-40<br />
KASPRZAK, P. 1996: Möglichkeiten und Grenzen der Biomanipulation<br />
bei der Sanierung brandenburgischer<br />
Seen. Beiträge zur angewandten Gewässerökologie<br />
Norddeutschlands 2: 128-144<br />
KASPRZAK, P.; KRIENITZ, L. & KOSCHEL, R. 1995: Erfahrungen<br />
bei der Sanierung des hocheutrophen Feldberger<br />
Haussees (Meckl.-Vorp.) durch Kombination von Belastungsverminderung<br />
und Biomanipulation. In: JAEGER,<br />
D. & KOSCHEL, R.: Verfahren zur Sanierung und Restaurierung<br />
stehender Gewässer. Limnologie aktuell 8: 273-<br />
279<br />
KASPRZAK, P.; SCHRENK-BERGT, C.; KOSCHEL, R.; KRIENITZ,<br />
L. GONSIORCZYK, T.; WYSUJAK, K. & STEINBERG, C. 2000:<br />
Biologische Therapieverfahren (Biomanipulation). In:<br />
STEINBERG, C.; CALMANO, W.; KLAPPER, H. & WILKEN, R.-D.<br />
(Hrsg.): Handbuch angewandte Limnologie. 10. Erg.-<br />
liefg. <strong>Land</strong>sberg/Lech: 1-20<br />
KOSCHEL, R. 1994: Ökotechnologische Möglichkeiten<br />
zur Sanierung von Standgewässern. Beiträge zur angewandten<br />
Gewässerökologie Norddeutschlands 1:<br />
46-51<br />
KOSCHEL, R. 2000: Stand und Perspektiven der Forschungsarbeiten<br />
zur Sanierung und Restaurierung der<br />
Oberen Feldberger Seen. In: WERNICKE, P.; M. WYCZIN-<br />
SKI, W.M; RICHTER & RICHTER: Bericht von der Gewässertagung<br />
im Naturpark Feldberger Seenlandschaft 01.<br />
bis 03. Dezember 2000: 38-41<br />
KOSCHEL, R. & ADAMS, D.D. 2003 (Hrsg.): Lake Stechlin,<br />
an approach to understanding an oligotrophic lowland<br />
lake. Arch. Hydrobiol., Advances in Limnology 58:<br />
1-310<br />
KOSCHEL, R.; BEHRENDT, H. & HUPFER, M. 2005: Integrierter<br />
Gewässerschutz für Binnengewässer: Maßnahmen<br />
zum nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser.<br />
Zwischenruf Umweltforschung für die politische Praxis<br />
(Leibniz-Gemeinschaft) 2/2005: 4-15<br />
KOSCHEL, R. & CASPER, S.J. 1986: Die ökologische Bedeutung<br />
des Kernkraftwerkes I der DDR „Rheinsberg” für<br />
den Stechlin. Biol. Rundsch. 24: 179-195<br />
KOSCHEL, R. & HEISER, A. o. J.: Ökotechniken zur Sanierung<br />
der Oberen Feldberger Seen. Institut für Gewässerökologie<br />
und Binnenfischerei<br />
KOSCHEL, R.; KRAUSCH, H.-D.; BRINKMANN, P.-F. & PÄCH-<br />
NATZ, M. 1985: Das Feldberger Seengebiet. Natur und<br />
Umwelt Bezirk Neubrandenburg 3: 1-96<br />
KRAUSCH, H.-D. 1996: Farbatlas Wasser- und Uferpflanzen.<br />
Ulmer. Stuttgart. 315 S.<br />
KRAUSCH, H.-D. & SCHMIDT, W. 1997: Das Feldberger<br />
Seengebiet. Weimar. 234 S.<br />
KRAUSCH, H.-D. & ZÜHLKE , D. 1974: Das Rheinsberg-<br />
Fürstenberger Seengebiet. Berlin. 247 S.<br />
KRIENITZ, L.; KASPRZAK, P. & KOSCHEL, R. 1996: Long term<br />
study on the influence of eutrophication, restoration<br />
and biomanipulation on the structure and develoment<br />
of phytoplankton communities in Feldberger Haussee<br />
(Baltic Lake District, Germany). Hydrobiologia 330:<br />
89-110<br />
LÜTKEPOHL, M. & FLADE, M. (Hrsg.) 2004: Das Naturschutzgebiet<br />
Stechlin. Rangsdorf. 267 S.<br />
SCHEFFLER, W. & FLÖßNER, D. 1987: Die Vögel und einige<br />
andere Wirbeltiere im NSG „Stechlin”. Arch. Natursch.<br />
<strong>Land</strong>schaftsforsch. 27: 125-132<br />
SCHÖNBORN, W. 1992: Fließgewässerbiologie. Fischer.<br />
Jena. 504 S.<br />
SCHÖNBORN, W. 2008: Geschichte der limnologischen<br />
Forschung und Lehre in Jena. Sonderschriften 38: 337-<br />
349<br />
SPIEß, H.-J. 2004: Die submerse Vegetation des Stechlinsees<br />
– Methodik und Ergebnisse einer Tauchkartierung.<br />
Artenschutzreport 15: 39-44<br />
TÄUSCHER, L.; SCHÖNFELDER, I.; WIEHLE, I.; HENKER, H. &<br />
KABUS, T. 2008: Monitoring von Phytoplankton und<br />
chemischen Parametern zur Indikation des ökologischen<br />
Zustandes in ausgewählten Seen Nordbrandenburgs<br />
im Jahr 2007 Bericht Institut für angewandte<br />
Gewässerökologie im Auftr. MLUV <strong>Brandenburg</strong>,<br />
Seddin: 109 S. + Anh.<br />
TÜMPLING, VON, W. & FRIEDRICH, G. (Hrsg.) 1999: Methoden<br />
der biologischen Gewässeruntersuchung. Bd. 2<br />
Jena. 545 S.<br />
WIEDNER, C.; RÜCKER, J.; STÜKEN, A.; PREUßEL, K.; FAST-<br />
NER, J.; CHORUS, I. & NIXDORF, B. 2007: Cylindrospermopsis<br />
raciborskii und Cylindrospermopsin in Gewässern<br />
der Berliner Region. Vorkommen, Ursachen,<br />
Auswirkungen CYLIN. Schriftenreihe Kompetenzzentrum<br />
Wasser Berlin 6: 1-92<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Dr. Lothar Täuscher<br />
Institut für angewandte Gewässerökologie<br />
GmbH<br />
Schlunkendorfer Straße 2e<br />
14554 Seddiner See<br />
E-Mail: lothar.taeuscher@iag-gmbh.info<br />
Fehler-Teufel<br />
Wir bedauern, dass im Heft 1 zu der Würdigung<br />
für Werner Rothmaler (S. 31, 32) der<br />
Name des Autors fehlte. Wir bitten dies zu<br />
entschuldigen.<br />
Den Beitrag schrieb: Prof. Dr. Günther Natho,<br />
Bütower Straße 12, 12623 Berlin.<br />
In der Roten Liste und Liste der Brutvögel des<br />
<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> 2008 ist auf Seite 100 in<br />
der Tabelle 12 die Nebelkrähe in der Spalte<br />
„ART” – unter 17 bis 30 % zu streichen.<br />
Schriftleitung
56 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
KLEINE BEITRÄGE<br />
HOLGER RÖßLING<br />
EU-LIFE-Projekt „Binnensalzstellen <strong>Brandenburg</strong>s” biegt auf die Zielgerade<br />
ein<br />
Schlagwörter:<br />
Binnensalzstellen, <strong>Brandenburg</strong>, EU-LIFE<br />
Seit 2006 führt das <strong>Land</strong>esumwelt <strong>Brandenburg</strong><br />
gemeinsam mit der Stiftung Naturschutzfonds<br />
<strong>Brandenburg</strong> und der Heinz<br />
Sielmann Stiftung das EU-LIFE-Projekt<br />
„Sicherung und Entwicklung der Binnensalzstellen<br />
<strong>Brandenburg</strong>s” durch.<br />
Noch bis Anfang 2010 werden vor allem<br />
Maßnahmen zur Wiederaufnahme einer<br />
langfristigen Nutzung, zur Stabilisierung des<br />
Gebietswasserhaushalts, zur Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Besucherlenkung durchgeführt.<br />
Nutzungsabhängige Offenlandlebensräume<br />
wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern<br />
ist dabei die Hauptaufgabe des Projekts.<br />
Mit dieser Zwischenbilanz werden wesentliche<br />
Projektergebnisse vorgestellt und<br />
Handlungsfelder für die verbleibende Projektlaufzeit<br />
skizziert.<br />
1 Nutzung wiederaufnehmen<br />
Sehr feuchte und schwer zugängliche Gebiete<br />
der Niederungen in <strong>Brandenburg</strong> sind<br />
in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem<br />
aber seit 1990, mit dem Rückgang der<br />
Kleintierhaltung oder anderer Formen individueller<br />
Selbstversorgung nicht mehr<br />
regelmäßig genutzt worden. Dazu gehören<br />
in besonderem Maße Binnensalzstellen.<br />
Dort hat die sehr schnell einsetzende Verbrachung<br />
und Sukzession großflächig zum<br />
Verlust wertvoller feuchter und nasser Offenlandlebensräume<br />
geführt. Diese Areale<br />
sind überwiegend mit Altschilf, Gehölzgruppen<br />
oder Vorwaldstadien bestanden.<br />
Mit der Aufgabe der Nutzung ist meist auch<br />
das Wissen über die Fläche, mögliche<br />
Schwierigkeiten oder gar Gefahren bei der<br />
Bewirtschaftung verloren gegangen. Häufig<br />
geht es bei der erstmaligen Schilfmahd, der<br />
Entbuschung oder der Rodung von Gehölzen<br />
deshalb vor allem darum, Offenflächen<br />
wieder sichtbar zu machen.<br />
Wichtig ist es dabei, die Eigentümer, Nutzer<br />
und die interessierte Öffentlichkeit in diese<br />
Vorhaben einzubeziehen und mit Ihnen<br />
gemeinsam vor Ort diese Aktivitäten zu begleiten.<br />
Denn vielfach geht die Wiedernutzung<br />
ehemaliger Feuchtwiesen mit der<br />
„Zerstörung” anderer naturschutzfachlich<br />
wichtiger Biotope (<strong>Land</strong>röhrichte oder Gebüsche<br />
feuchter Standorte) einher. Hier gibt<br />
es Erläuterungsbedarf. Diese aktive Begleitung<br />
der Wiederinnutzungnahme war für die<br />
Akzeptanz des Projekts vor Ort sehr hilfreich.<br />
Am Prierowsee bei Zossen, an der Groß<br />
Schauener Seenkette bei Storkow, am Rietzer<br />
und Netzener See im Havelland sowie am<br />
Potzlowsee in der Uckermark gelang es so,<br />
große zusammenhängende Flächen für eine<br />
regelmäßige Nutzung interessant zu machen.<br />
Dabei konnten durch dieses aktive Flächenmanagement<br />
Kontakte zwischen Eigentümern<br />
und Nutzern vermittelt, oder die<br />
Flächen bei der Aufnahme in Förderkulissen<br />
begleitet werden. Im Vordergrund stehen<br />
neben den Schutz- und Entwicklungsabsichten<br />
immer die Ermutigung und Anerkennung<br />
für die Tätigkeit des <strong>Land</strong>nutzers, der<br />
naturschutzkompatible Nutzungen auf solchen<br />
Flächen aufrecht erhält.<br />
2 Wasserhaushalt stabilisieren<br />
Die Binnensalzstellen weisen eine sehr unterschiedliche<br />
Salzwasserdynamik auf. Die Stabilisierung<br />
des Gebietswasserhaushalts vieler<br />
Binnensalzstellen in <strong>Brandenburg</strong> erforderte<br />
deshalb lokale, standortbezogene Lösungen.<br />
Die ausreichende kapillare Salzwassernachlieferung<br />
in den effektiven Wurzelraum der<br />
Pflanzen muss dabei in den Sommermonaten<br />
ebenso gewährleistet sein wie die Nutzung als<br />
Mähwiese oder Mähweide.<br />
Einige Standorte, wie die Luchwiesen bei<br />
Philadelphia, weisen sehr hohe Salzgehalte<br />
auf, die ein hohes Potenzial für die Entwicklung<br />
des Lebensraumtyps belegen. Zwar<br />
führen solche bie zu niedrigem Wasserstand<br />
grundsätzlich auch zu einer verdunstungsbedingten<br />
Salzanreicherung im Oberboden,<br />
gleichzeitig ist aber regelmäßig mit einer Unterbrechung<br />
des kapillaren Salzwasseraufstiegs<br />
zu rechnen.<br />
Eine kapillare Salzwassernachlieferung in den<br />
effektiven Wurzelraum der Pflanzen ist unter<br />
solchen Bedingungen nur dann möglich,<br />
wenn eine Verringerung der Wasserstandsamplituden<br />
erreicht werden kann. Dafür ist<br />
ein weitgehender Rückhalt des im Winterhalbjahr<br />
auftretenden Wasserdargebots erforderlich.<br />
In den Luchwiesen wurde das<br />
durch den Einbau einer überströmbaren<br />
Sohlschwelle erreicht. In den benachbarten<br />
Marstallwiesen war dagegen die Rekonstruktion<br />
eines in die Jahre gekommenen<br />
Staubauwerks das Mittel der Wahl.<br />
Abb. 1<br />
Gehölzbeseitigung an der Groß Schauener Seenkette im Januar <strong>2009</strong><br />
Foto: H. Rößling<br />
Abb. 2<br />
Schilfmahd am Gröbener See im Juli 2008<br />
Foto: H. Rößling
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong> 57<br />
Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung<br />
dieser wasserbaulichen Maßnahmen waren<br />
die Akzeptanz durch die landwirtschaftlichen<br />
Flächennutzer und den für die Gewässerunterhaltung<br />
zuständigen Wasser- und Bodenverband<br />
„Mittlere Spree”. Damit die Nutzer<br />
auch nach der Anhebung der Wasserstände<br />
die cross-compliance-Anforderungen 1 für die<br />
landwirtschaftliche Förderung einhalten können,<br />
ist ein kontinuierliches Monitoring der<br />
Wasserstände und der Nutzung der Flächen<br />
erforderlich.<br />
3 Salzstellen erlebbar<br />
machen<br />
Abb. 3<br />
Rekonstruiertes Staubauwerk in den Marstallwiesen bei Storkow<br />
Foto: H. Rößling<br />
Das Projekt hat die einzigartigen Lebensräume<br />
in den feuchten Niederungen in den<br />
letzten Jahren stärker bekannt gemacht.<br />
Daran haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
der Naturwacht und der Großschutzgebietsverwaltungen<br />
als Multiplikatoren<br />
vor Ort einen herausragenden Anteil.<br />
An ausgewählten, touristisch stark frequentierten<br />
Punkten halten Informationstafeln<br />
prägnant aufbereitetes Wissen über die Binnensalzstellen<br />
bereit.<br />
Seit Herbst 2008 lädt der 8,5 km lange<br />
Salzweg im Naturpark Dahme-Heideseen<br />
zur Erkundung der bedeutenden Binnensalzstellen<br />
bei Storkow ein. Von der Burg<br />
Storkow führt der Rundweg am Bahnhof<br />
vorbei, durch die Luchwiesen bei Philadelphia<br />
und nach Groß Schauen. Entlang der<br />
Marstall- und Burgwiesen geht es zurück<br />
zur Storkower Burg. Auf insgesamt vier Infotafeln<br />
werden Entstehungsgeschichte,<br />
Vegetation, Wasserhaushalt und Bedeutung<br />
der Salzstellen anschaulich erläutert.<br />
Ein Aussichtsturm wird <strong>2009</strong> einen Blick<br />
über die Marstallwiesen und die Groß<br />
Schauener Seenkette eröffnen. Bei Seehausen,<br />
direkt am Radweg Berlin-Usedom<br />
entsteht eine Aussichtsplattform mit Blick<br />
auf die Binnensalzstellen der Klosterhalbinsel<br />
und über den Oberuckersee.<br />
Abb. 4<br />
Wilder Sellerie (Apium<br />
graveolens)<br />
Foto: H. Rößling<br />
Abb. 5<br />
Strand-Aster (Aster tripolium)<br />
Foto: H. Rößling<br />
Abb. 6<br />
Neue Infotafel am Gröbener See<br />
Foto: H. Lengsfeld<br />
1 Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im<br />
Zusammenhang mit der Beantragung von<br />
EU-Direkthilfen oder flächengebundener Agrarumweltmaßnahmen
58 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Abb. 7<br />
Wasserbüffel an ihrer Suhle im NSG „Rietzer See” Foto: H. Rößling<br />
Abb. 8<br />
Wasserbüffel im Winter, NSG „Rietzer See”<br />
Foto: H. Rößling<br />
4 Langfristige Nutzung<br />
sichern<br />
Mittelfristig entscheidend ist jedoch, die<br />
angepasste Nutzung der Binnensalzstellen<br />
zu sichern und <strong>Land</strong>wirtschaftsbetriebe und<br />
andere Akteure als Flächennutzer auf den<br />
Salzwiesen zu behalten. Das verlangt neben<br />
dem aktiven Flächenmanagement auch eine<br />
große Verlässlichkeit bei den angebotenen<br />
Förderprogrammen und in vielen Fällen<br />
neue Wege bei der Bewirtschaftung der<br />
Flächen. Nur wenn die Aktivitäten des Projekts<br />
kein „Pflege-Strohfeuer” bleiben, wird<br />
es möglich sein, Binnensalzstellen in <strong>Brandenburg</strong><br />
langfristig zu erhalten.<br />
Zwar erfolgt die Durchführung der Pflegeund<br />
Entwicklungsmaßnahmen auch jetzt<br />
bereits in der Regel im Rahmen der landwirtschaftlichen<br />
Nutzung. Die vielfach<br />
angestrebte Mahdnutzung erfolgt dabei jedoch<br />
oft nur unregelmäßig und nicht im<br />
vollen Flächenumfang. Das liegt insbesondere<br />
an den in einigen Jahren witterungsbedingt<br />
sehr hohen Wasserständen, die dazu<br />
führen, dass die Flächen nicht befahrbar<br />
sein können.<br />
Für die Betriebe besteht daher die Gefahr,<br />
dass Abzüge bei den Flächenprämien drohen.<br />
Perspektivisch ist bei solchen Flächen<br />
deshalb immer damit zu rechnen, dass sie<br />
teilweise oder vollständig aus der Nutzung<br />
fallen.<br />
Auch für den Erhaltungszustand der Salzwiesen<br />
im Binnenland sind unregelmäßige<br />
Nutzungen langfristig kritisch zu beurteilen,<br />
da wegen der zunehmenden Bodenbedeckung<br />
ein Rückgang der Verdunstung und<br />
damit die Aussüßung der Standorte droht.<br />
Durch diese Situation sind Verschiebungen<br />
in der Vegetationszusammensetzung zu<br />
erwarten. Zwar werden in einer solchen<br />
Konstellation Teilvorkommen des Lebensraumtyps<br />
auch mittelfristig in Bereichen mit<br />
hohen Salzkonzentrationen bestehen bleiben.<br />
Ein Erhalt des Lebensraumtyps in seiner<br />
bisherigen flächenmäßigen Ausdehnung<br />
und Vegetationszusammensetzung ist aber<br />
bei einer dauerhaft unregelmäßigen und<br />
dabei meist räumlich beschränkten Nutzung<br />
nicht gewährleistet.<br />
Neue Wege bei der Nutzung von Binnensalzstellen<br />
werden derzeit im NSG „Rietzer<br />
See” östlich von <strong>Brandenburg</strong>/Havel erprobt.<br />
Auf der größten Binnensalzstelle<br />
<strong>Brandenburg</strong>s in Schenkenberg weiden auf<br />
Flächen der Stiftung Naturschutzfonds<br />
<strong>Brandenburg</strong> seit Herbst 2008 Wasserbüffel,<br />
mit denen perspektivisch eine ganzjährige<br />
Offenhaltung der Wiesen erreicht<br />
werden soll.<br />
In Abstimmung mit den <strong>Land</strong>wirtschaftsbetrieben<br />
hat die Stiftung als Projektpartner<br />
des LIFE-Natur-Projekts im gesamten Projektgebiet<br />
Grundstücke mit einer Fläche von ca.<br />
80 ha erworben, um großflächig zusammenhängende<br />
Beweidungsgebiete zu entwickeln.<br />
Nutzungstermine und Besatzdichten<br />
werden dabei mit den <strong>Land</strong>wirtschaftsbetrieben<br />
im Hinblick auf die naturschutzfachlichen<br />
Anforderungen abgestimmt. Das naturschutzfachliche<br />
Management der Flächen<br />
erfolgt zukünftig durch die Stiftung Naturschutzfonds<br />
<strong>Brandenburg</strong>.<br />
Diese stabile Eigentümersituation sehen die<br />
<strong>Land</strong>wirtschaftsbetriebe als Vorteil und als<br />
Voraussetzung für die Entwicklung langfristiger<br />
und nachhaltiger Bewirtschaftungskonzepte<br />
in Naturschutzgebieten. Das<br />
Flächeneigentum einer Naturschutzstiftung<br />
wird dabei als ein Baustein für die Planungssicherheit<br />
der Betriebe wahrgenommen.<br />
5 Ausblick<br />
Der Erhalt und die Stabilisierung nutzungsabhängiger<br />
Offenlandlebensräume stellt<br />
derzeit eine der zentralen Herausforderungen<br />
für den Naturschutz dar. Diese Aufgabe<br />
steht auch im EU-LIFE-Projekt „Sicherung<br />
und Entwicklung der Binnensalzstellen <strong>Brandenburg</strong>s”<br />
im Vordergrund.<br />
Wie viele Naturschutzprojekte hat auch dieses<br />
Projekt die initialisierende Wiedereinrichtung<br />
solcher Lebensräume zum Gegenstand.<br />
Schilfmahd, Entbuschung, Rodung von<br />
standortfremden und sonstigen Gehölzen<br />
sind dabei klassische Maßnahmen.<br />
Eine nachhaltig verlässliche Finanzierung<br />
der Nutzung solcher Flächen ist allein mit<br />
Projektansätzen aber nicht möglich. Hier<br />
wird die Anwendung von Agrarumweltmaßnahmen<br />
noch an Bedeutung gewinnen.<br />
Langfristig wird jedoch auch der Anteil eines<br />
wirtschaftlichen Ertrags, den der Betrieb aus<br />
der Vermarktung seiner Produkte erzielt, für<br />
den Erhalt der Offenlandflächen zunehmen<br />
müssen.<br />
Für die naturschutzfachlich meist sehr<br />
speziellen Anforderungen an die Bewirtschaftung<br />
der Flächen ist ein aktives<br />
Flächenmanagement, die direkte und persönliche<br />
Betreuung des Flächennutzers, unverzichtbar.<br />
Für besonders wertvolle Flächen ist daneben<br />
eine stabile Trägerschaft erforderlich, die<br />
im Idealfall durch das Flächeneigentum<br />
des <strong>Land</strong>es oder einer leistungsfähigen<br />
Naturschutzorganisation, eine langfristig<br />
verlässliche Bewirtschaftung dieser Offenlandlebensräume<br />
gewährleistet. Auf bedeutenden<br />
Flächen der Binnensalzstellen in<br />
<strong>Brandenburg</strong> hat die Stiftung Naturschutzfonds<br />
<strong>Brandenburg</strong> diese Aufgabe übernommen.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Dr. Holger Rößling<br />
<strong>Land</strong>esumweltamt <strong>Brandenburg</strong><br />
GR1<br />
Seeburger Chaussee 2<br />
14476 Potsdam, OT Groß Glienicke
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong> 59<br />
SIEGFRIED PETRICK<br />
Bericht über das 3. und 4. Kartierungstreffen der FG Molluskenkartierung<br />
Berlin-<strong>Brandenburg</strong> in Byhleguhre und in Rückersdorf<br />
Schlagwörter:<br />
Mollusken, Kartierung<br />
Das 3. Kartierungstreffen fand vom 21.06. -<br />
23.06.2002 in Byhleguhre statt. Es nahmen<br />
teil: Eva Hackenberg, Isabell Hiekel, Jürgen<br />
Illig, Alexei Korniushin, Siegfried Petrick,<br />
Anke Reimer, Udo Rothe.<br />
Mit Unterstützung des Biosphärenreservats<br />
Spreewald wurde die Exkursion per Kahn in<br />
den fußläufig nur sehr schwer zugänglichen<br />
zentralen Oberspreewald durchgeführt.<br />
Während der Unterspreewald malakologisch<br />
bereits wiederholt untersucht wurde<br />
(u.a.: DONATH & ILLIG 1983, ILLIG 1984, DO-<br />
NATH & POHLE 1993), lagen aus dem zentralen<br />
Spreewald bisher nur wenige Daten<br />
vor. Auch das 1997 von Debora Arlt<br />
durchgeführte umfassende Gutachten,<br />
dessen Ergebnisse 2005 publiziert wurden<br />
(ARLT 2005), klammert den zentralen Oberspreewald<br />
de facto aus. ARLT befasste sich<br />
intensiv mit der Besiedlung und Charakterisierung<br />
der Molluskenfauna der Spreewaldfließe<br />
1. Ordnung im Bereich der Wehrgruppen<br />
und Staugürtel. Eine weitere ausführliche<br />
Arbeit zur Molluskenfauna des<br />
Ober- und Unterspreewaldes haben REIMER<br />
& ILLIG (2005) vorgelegt. Auch die von<br />
PETRICK et al. im Jahr 2001 durchgeführte<br />
Erfassung der Bestände der Kleinen<br />
Flussmuschel (Unio crassus) berührte nicht<br />
den im Rahmen des Kartierungstreffens<br />
aufgesuchten Bereich (PETRICK et al. 2004).<br />
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit lag im Burger<br />
Spreewald und wurde durch ausgewählte<br />
Kontrollpunkte im Abschnitt zwischen<br />
Lübbenau und Lübben sowie im Unterspreewald<br />
ab Lübben bis zum Neuendorfer<br />
See ergänzt.<br />
Das Ziel der Tagungsexkursion bestand<br />
somit vor allem in der erstmaligen Erfassung<br />
von Wassermollusken im weitgehend unzugänglichen<br />
zentralen Oberspreewald<br />
(MTB-Q 4150-1).<br />
Aufgesucht wurden 8 Stationen (vgl. Tab.)<br />
1 Wehrkanal nördlich Wotschofska<br />
2 Henska Tschumi<br />
3 Henska Tschumi, benachbarte Sumpfzone<br />
4 Tschumi, Abzweig Henska Tschumi –<br />
Eschenfließ<br />
5 Dittmarkanal<br />
6 Lehder Graben südlich Wotschofska<br />
7 Lehder Graben, Kreuzung Bürgerfließ<br />
8 Nordfließ<br />
Im Rahmen der Exkursion konnten insgesamt<br />
15 Wasserschnecken- und 15<br />
Muschelarten nachgewiesen werden. Als<br />
typische Arten für die mäßig bis träge<br />
fließenden Gewässer des Gebietes konnten<br />
Ancylus fluviatilis, Viviparus viviparus, Pisidium<br />
amnicum, P. supinum, Sphaerium<br />
rivicola, Unio tumidus und U. pictorum<br />
Art / Rote Liste / Station<br />
Wasserschnecken (15 Arten)<br />
RL<br />
BB<br />
RL<br />
BRD<br />
Ancylus fluviatilis 3 X<br />
Anusus vortex X X<br />
1 2 3 4 5 6 7 8<br />
Bithynia tentaculata X X X X<br />
Ferrissia wautieri X X X<br />
Lymnaea stagnalis X X X<br />
Marstoniopsis scholtzi 1 1 X<br />
Physa fontinalis V X<br />
Physella acuta<br />
Planorbis planorbis X X<br />
Potamopyrgus antipodarum X X X<br />
Radix auricularia V X X X<br />
Radix balthica<br />
Stagnicola palustris agg. X X<br />
Viviparus contectus 3 X X X<br />
Viviparus viviparus R 2 X X<br />
Muscheln (15 Arten)<br />
Anodonta anatina V S X X X<br />
Musculium lacustre V X X<br />
Pisidium amnicum 3 2 X X X X<br />
Pisidium casertanum<br />
Pisidium globulare<br />
Pisidium henslowanum V X X X X X<br />
Pisidium milium R V X<br />
Pisidium nitidum X cf. X<br />
Pisidium obtusale R V X<br />
Pisidium subtruncatum X X X<br />
Pisidium supinum R 3 X X X X X X<br />
Sphaerium corneum<br />
Sphaerium rivicola 2 2 X X X X X<br />
Unio pictorum R 3 X X X X X<br />
Unio tumidus R 2 F X X X X X<br />
<strong>Land</strong>schnecken (3 Arten)<br />
Carychium minimum<br />
Nesovitrea hammonis<br />
Zonitoides nitidus<br />
Legende:<br />
X - Lebendnachweis, S – rezente Schalen, F – fossile Schalen, cf. – Artansprache unsicher<br />
Kategorien der Roten Listen:<br />
1: Vom Aussterben bedroht, 2: stark gefährdet, 3: gefährdet, R: regional gefährdet (nur RL BB),<br />
V: Vorwarnliste (nur RL BRD)<br />
X<br />
S<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
nachgewiesen werden. Bemerkenswert sind<br />
jedoch vor allem die nach unserer Kenntnis<br />
ersten Nachweise von Marstoniopsis<br />
scholtzi und Pisidium globulare im Oberspreewald.<br />
Bei einer Zusammenstellung der verfügbaren<br />
Quellen kann festgestellt werden,<br />
dass derzeit insgesamt 35 der 48 in <strong>Brandenburg</strong><br />
vorkommenden Wasserschneckenarten<br />
und 24 der 33 Muschelarten für den<br />
Spreewald belegt sind. Dabei fällt jedoch<br />
auf, dass einige der in <strong>Brandenburg</strong> weit<br />
verbreiteten Arten in den vorliegenden Untersuchungen<br />
nicht genannt werden. Dies<br />
hat seine Ursache offensichtlich in der Zielstellung<br />
der durchgeführten Untersuchungen,<br />
bei denen die Bearbeiter fast ausschließlich<br />
die wertvolle Fließgewässerfauna<br />
betrachteten. Stillwasser- und Verlandungsbiotope<br />
blieben bisher weitgehend unberücksichtigt.<br />
Hier ist durchaus mit dem<br />
Vorkommen weiterer Arten zu rechnen.<br />
Die hohe Zahl der bislang nachgewiesenen<br />
Molluskenarten unterstreicht die sehr große<br />
faunistische und naturschutzfachliche Bedeutung<br />
der Gewässer des Spreewaldes.
60 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong><br />
Das 4. Kartierungstreffen fand vom 23.4.<br />
bis 25.4.2004 in Rückersdorf, Kreis Elbe-<br />
Elster statt. Bei diesem Treffen wurde eine<br />
<strong>Land</strong>schaft aufgesucht, die in allen bisherigen<br />
malakologischen Untersuchungen nur<br />
am Rande gestreift wurde. Aus den 4 Messtischblättern<br />
(MTB), die an verschiedenen<br />
Orten besammelt wurden, waren bis zu<br />
diesem Zeitpunkt nur aus 2 MTB Vorkommen<br />
von insgesamt 10 Arten bekannt<br />
(Molluskenkartierung BB 1985 bis 1989). An<br />
dem Treffen nahmen Eva Hackenberg, Ines<br />
Rönnefahrt, Gernold Thiele, Uwe Klawisch<br />
und Siegfried Petrick teil. Das Exkursionsziel<br />
war, erste Erkenntnisse über die Molluskenfauna<br />
dieses <strong>Land</strong>schaftsbereichs zu gewinnen.<br />
Weiterhin sollte versuchte werden, ein<br />
aus der Literatur bekanntes Vorkommen<br />
von Omphiscola glabra (SCHLECHTER 1955)<br />
zu bestätigen.<br />
Aufgesucht wurden 12 Stationen (vgl. Tab.)<br />
1 Friedersdorf, Bach südlich des Ortes<br />
(stark eisenhaltig) (MTB-Q 4447-1)<br />
2 Friedersdorf, Kirche (romanisch mit Feldsteinsockel,<br />
Friedhofsmauer aus Feldstein)<br />
(MTB-Q 4447-1)<br />
3 Plessa, Schwarze Elster und Kolk südlich<br />
des Deiches (MTB-Q 4547-2)<br />
4 Gröden, Pulsnitz (MTB-Q 4547-4)<br />
5 Gröden, Randgraben parallel zur Pulsnitz<br />
und ruderale Randzone (MTB-Q<br />
4547-4)<br />
6 Grünewalde, Dorfteich und Umgebung<br />
(MTB-Q 4448-3)<br />
7 Grünewalde, Teiche bei Walkmühle<br />
(bergbaubedingt überwiegend trocken)<br />
(MTB-Q 4448-3)<br />
8 Grünewalde, Tagebaurand (ruderale<br />
Birkensukzession) (MTB-Q 4448-3)<br />
9 Hirschfeld, aufgelassene ungeordnete<br />
Müllkippe (MTB-Q 4547-4)<br />
10 Hirschfeld, Frankenmühle (Quellbereiche,<br />
Feuchtgrünland und Bruchwald)<br />
(MTB-Q 4647-2)<br />
11 Hirschfeld, Auwaldrest an der Pulsnitz<br />
(am ehem. Gut Schönau) (MTB-Q<br />
4547-4)<br />
12 Hirschfeld, Randgraben parallel zur<br />
Pulsnitz (am ehem. Gut Schönau)<br />
(MTB-Q 4547-4)<br />
Im Ergebnis des Kartierungstreffens kann<br />
festgestellt werden, dass die besammelten<br />
12 Kontrollpunkte nur wenige reichere<br />
Faunen aufwiesen. Die Mehrzahl der Aufsammlungen<br />
beschränkte sich auf wenige,<br />
meist kommune Arten.<br />
Enttäuschend waren die Funde in den<br />
Gewässern, insbesondere in der Pulsnitz. Im<br />
Vergleich zu den Randgräben, die eine relativ<br />
artenreichere Fauna beherbergten,<br />
waren im eigentlichen Bachlauf nur wenige<br />
Arten nachweisbar. Ein wesentlicher Grund<br />
hierfür liegt sehr wahrscheinlich in der<br />
starken anthropogenen Veränderung des<br />
Gewässers, was zu hohen Sandfrachten<br />
führt. Dies wird von vielen Molluskenarten<br />
nicht toleriert.<br />
Die terrestrischen Fundorte beherbergten<br />
i.d.R. ebenfalls nur artenarme Molluskengemeinschaften.<br />
Herausragend war jedoch die<br />
Kirche in Friedersdorf, an der eine größere<br />
Art / Rote Liste / Station<br />
<strong>Land</strong>schnecken (30 Arten)<br />
Acanthinula aculeata<br />
RL<br />
BB<br />
RL<br />
BRD<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
Arianta arbustorum X X<br />
Arion circumscriptus agg. X X<br />
Arion intermedius X X<br />
Arion subfuscus agg. X X<br />
Carychium minimum X X X<br />
Cepaea hortensis X X X<br />
Cepaea nemoralis X X X X X X X X X<br />
Cochlicopa lubrica X X X X X<br />
Cochlicopa lubricella V X<br />
Deroceras laeve<br />
Euconulus fulvus X X<br />
Euconulus praticola V X<br />
Helicodiscus inermis X X<br />
Limax maximus<br />
Monachoides incarnatus X X X<br />
Nesovitrea hammonis X X X X X X X X<br />
Oxychilus cellarius<br />
Pseudotrichia rubiginosa 2 X<br />
Punctum pygmaeum X X<br />
Pupilla muscorum V X<br />
Succinea putris X X X X X<br />
Succinella oblonga<br />
Trochulus hispidus X X X X<br />
Vallonia costata X S<br />
Vallonia pulchella<br />
Vertigo pusilla V X<br />
Vertigo pygmaea X X X<br />
Vitrina pellucida X X<br />
Zonitoides nitidus X X X X<br />
Wasserschnecken (17 Arten)<br />
Ancylus fluviatilis 3 X<br />
X<br />
Aplexa hypnorum 3 X<br />
Bathyomphalus contortus<br />
Bithynia tentaculata X X<br />
Ferrissia wautieri<br />
Galba truncatula 3 X<br />
Gyraulus albus X X<br />
Gyraulus crista<br />
Lymnaea stagnalis X X X<br />
Physa fontinalis V X X<br />
Planorbarius corneus S X X<br />
Planorbis planorbis X X<br />
Potamopyrgus antipodarum X X<br />
Radix balthica X X X X X X<br />
Stagnicola palustris agg. X X X<br />
Valvata cristata V X<br />
Viviparus contectus 3 X X<br />
Muscheln (6 Arten)<br />
Anodonta anatina V X<br />
Pisidium nitidum<br />
Pisidium spec. X X<br />
Pisidium supinum R 3 S X X X<br />
Sphaerium corneum X X<br />
Sphaerium rivicola 2 2 S<br />
Legende:<br />
X - Lebendnachweis, S – rezente Schalen, F – fossile Schalen, cf. – Artansprache unsicher<br />
Kategorien der Roten Listen:<br />
1: Vom Aussterben bedroht, 2: stark gefährdet, 3: gefährdet, R: regional gefährdet (nur RL BB),<br />
V: Vorwarnliste (nur RL BRD)<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X<br />
X
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong> 61<br />
Abb. 1<br />
Dittmarfließ<br />
(4.5.1991)<br />
Foto: I. Hiekel<br />
Abb. 2<br />
Durchstich Nordfließ<br />
(Juni 1991)<br />
Foto: I. Hiekel<br />
Anzahl anspruchsvollerer und im Süden<br />
<strong>Brandenburg</strong>s seltener Arten gefunden werden<br />
konnte. Die Ursache dafür ist in der<br />
lokalen Anreicherung von Kalk (z.B. aus<br />
Kalkmörtel) und der historisch langen einheitlichen<br />
Nutzung zu suchen. Weitere<br />
artenreichere Aufnahmen gelangen an der<br />
Frankenmühle bei Hirschfeld. Dieser Fundort<br />
liegt am Nordabfall der sich in Sachsen<br />
anschließenden Hochfläche und ist dadurch<br />
offensichtlich besser nährstoffversorgt als<br />
die Elsterniederung, die zudem in starkem<br />
Maße meliorativen Veränderungen unterlegen<br />
ist.<br />
Ein Grund, die Exkursion in die Elsteraue zu<br />
führen, war ein publizierter älterer Nachweis<br />
von Ompiscola glabra (SCHLECHTER<br />
1955). Dieser Fundort ist der am weitesten<br />
von der geschlossenen Verbreitung entfernte<br />
Vorposten dieser atlantisch verbreiteten<br />
Wasserschnecke. HERDAM (1981, 2004) hat<br />
diese Angabe aus verschiedenen Gründen<br />
in Frage gestellt, weshalb der Nachweis<br />
nicht in der unveröffentlichten Kartierung<br />
der Mollusken Berlin-<strong>Brandenburg</strong> enthalten<br />
ist. In den Senckenberg Naturhistorischen<br />
Sammlungen Dresden (ehemals<br />
Staatliches Museum für Tierkunde Dresden)<br />
liegen jedoch Belege aus dem Schraden vor,<br />
auf die sich SCHLECHTER (1955) bezieht (K.<br />
Schniebs in lit.).<br />
Die im Schraden an geeignet erscheinenden<br />
Orten unternommenen Nachforschungen<br />
zum Nachweis von O. glabra waren jedoch<br />
nicht von Erfolg gekrönt. Die meliorativen<br />
Veränderungen der Elster-niederung haben<br />
wohl auch für diese Art den Lebensraum<br />
stark eingeschränkt. Ob O. glabra dennoch<br />
aktuell lebend vorkommt, muss weiteren<br />
Untersuchungen vorbehalten bleiben.<br />
Literatur:<br />
ARLT, D. 2005: Süßwassermollusken des Biosphärenreservats<br />
Spreewald. Malakologische Abh. 23: 41-54<br />
DONATH, H. & ILLIG, J. 1983: Die faunistische Bedeutung<br />
der Gewässer im Unterspreewald. Naturschutzarbeit in<br />
Berlin und <strong>Brandenburg</strong> 19 (3): 65-69<br />
DONATH, H. & POHLE, F. 1993: Studie zur faunistischen<br />
Besiedlung der Gewässer des Unterspreewaldes.<br />
unveröff. Gutachten<br />
HERDAM, V. 1981: Zum Vorkommen der Wasserschnecke<br />
Galba (Omphiscola) glabra (O. F. MÜLLER<br />
1774) in <strong>Brandenburg</strong>. Biol. Studien Luckau 10: 48-51<br />
HERDAM, V. 2004: Die Molluskenfauna der Umgebung<br />
von Schönwalde (Spreewald). Biol. Studien Luckau 33:<br />
48-53<br />
HERDAM, V. & ILLIG, J. 1992: Weichtiere (Mollusca, Gastropoda<br />
& Bivalvia). In: Ministerium für Umwelt,<br />
Naturschutz und Raumordnung des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
(Hrsg.): Gefährdete Tiere im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Rote Liste. Potsdam. 288 S.<br />
ILLIG, J. 1984: Zur Weichtierfauna (Mollusca) der<br />
Fließgewässer des Spreewaldes. Natur und <strong>Land</strong>sch.<br />
im Bez. Cottbus 6: 69-75<br />
JUNGBLUTH, J. H. & KNORRE, D. V. 1995: Rote Liste der<br />
Binnenmollusken (Schnecken und Muscheln in<br />
Deutschland. 5. Fassung 1994). Mitt. Dt. Makozool.<br />
Ges. 6/57: 1-17<br />
Molluskenkartierung Berlin – <strong>Brandenburg</strong> 1980-1989<br />
(unveröff. Manuskr.)<br />
PETRICK, S., MARTIN, J., REIMER, A. 2004: Die Kleine<br />
Flussmuschel (Unio crassus PHILIPSSON, 1788) im<br />
Biosphärenreservat Spreewald. Aktuelle Verbreitung<br />
und Entwicklungstendenzen. Natursch. <strong>Land</strong>schaftspfl.<br />
Bbg 13 (2): 70-76<br />
REIMER, A. & ILLIG, J. 2005: Zur Molluskenfauna in den<br />
Kerngebieten des Spreewaldes. Natur u. <strong>Land</strong>schaft<br />
Niederlausitz 25: 68-96<br />
SCHLECHTER, A. 1955: Über <strong>Land</strong>- und Wasserschnecken<br />
in der Umgebung von Kamenz/Sachsen. Abh. Ber.<br />
Mus.Tierkd. Dresden 22: 88-96<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Siegfried Petrick<br />
<strong>Land</strong>esumweltamt <strong>Brandenburg</strong><br />
Naturstation Zippelsförde, Ö2<br />
Rägelsdorf 9<br />
16827 Zippelsförde
NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 18 (2) <strong>2009</strong> 71<br />
Insekt des Jahres <strong>2009</strong> – Die Gemeine Blutzikade (Cercopis vulnerata)<br />
In diesem Jahr wurde mit der Blutzikade<br />
vom „Kuratorium Insekt des<br />
Jahres” eine allgemein bekannte<br />
und recht weit verbreitete Art zum<br />
„Insekt des Jahres” gekürt. Obwohl<br />
ihr Name zunächst gefährlich klingt,<br />
handelt es sich um eine für den<br />
Menschen oder Tiere völlig harmlose<br />
Art. Wie andere Zikadenarten<br />
saugt die Blutzikade an verschiedenen<br />
Pflanzen und lebt vom Saft aus<br />
deren aufsteigenden Leitungsbahnen<br />
(Xylem). Merklich geschädigt<br />
werden die Pflanzen daher nicht, da<br />
außerdem meist nur einzelne Tiere<br />
an einer Pflanze saugen.<br />
Der deutsche Name der knapp einen<br />
Zentimeter großen Tiere rührt<br />
von der intensiv rot-schwarzen<br />
Musterung der Flügeldecken her.<br />
Gegenüber potenziellen Fressfeinden<br />
symbolisiert die Blutzikade damit<br />
Gefährlichkeit. Dies untersetzt<br />
sie noch durch ein zusätzliches<br />
Warnsignal: Wer auf die rote Warnfarbe<br />
nicht reagiert, bekommt eine<br />
aus den Spitzen der Gliedmaßen<br />
ausgeschiedene, offensichtlich übelriechende,<br />
jedoch ungiftige Flüssigkeit<br />
ab. Diese Kombination von<br />
optischen Warnsignalen in Form<br />
auffälliger Farben mit anderen Abwehrmitteln<br />
ist im Tierreich – vor allem<br />
bei Insekten – nicht selten und<br />
meist sehr wirksam. Doch gibt es<br />
auch Räuber, die dies erkannt haben<br />
und sich bevorzugt von solchen<br />
vermeintlich gut geschützten Tieren<br />
ernähren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang<br />
an die intensive Gelb-<br />
Schwarz-Warnfärbung von Bienen<br />
und Wespen, die trotz ihrer Wehrhaftigkeit<br />
auch nicht alle Fressfeinde<br />
abzuschrecken vermag.<br />
Ähnliche warnende, rot-schwarze<br />
Farbmuster wie die Blutzikaden<br />
weisen übrigens auch die Ritterwanzen<br />
(manchmal auch „Blutwanzen”<br />
genannt) oder die zu den<br />
Schmetterlingen gehörenden Blutströpfchen<br />
(Zygaena-Arten) auf.<br />
Die Blutzikade gehört gehört zu den<br />
Schaumzikaden (Aphrophoridae).<br />
Wohl jeder hat schon die meist in<br />
Wiesen zu findenden kleinen<br />
Schaumklümpchen in Blattachseln<br />
verschiedener Pflanzen gesehen.<br />
Bei dieser im Volksmund auch „Kuckucksspeichel”<br />
genannten Bildung<br />
handelt es sich um nichts anderes<br />
als „Nester”, in die die Zikaden ihre<br />
Eier legen und wo schließlich die<br />
Larven schlüpfen. Der klebrige<br />
Schaum schützt sie vor Feinden und<br />
vor Austrocknung. Später leben die<br />
Larven längere Zeit an Wurzeln von<br />
verschiedenen Pflanzen in Wiesen<br />
und Weiden, auf Waldlichtungen<br />
oder an Wegrändern, bevor im<br />
Frühsommer dann die auffallend<br />
gefärbten Imagines erscheinen.<br />
Wie viel Zikaden können auch die<br />
Blutzikaden gut springen, was sie<br />
mitunter noch vor den Fressfeinden<br />
rettet, die weder Färbung noch<br />
Sekret abschrecken konnte. Was<br />
kaum jemand weiß: Auch Blutzikaden<br />
haben eine Art „Gesang”, den<br />
sie mit einem besonderen, am Hinterleib<br />
sitzenden Organ (dem Tymbal)<br />
erzeugen. Für den Menschen<br />
sind diese Geräusche – anders als<br />
bei zahlreichen tropischen und mediterranen<br />
Zikaden – allerdings zu<br />
leise, sehr hochfrequent und daher<br />
nicht wahrnehmbar. Der Gesang<br />
dient in erster Linie dem Anlocken<br />
der Weibchen.<br />
Sowohl die Gemeine Blutzikade als<br />
Abb. 1<br />
Blutzikade<br />
auch weitere, nahe verwandte Arten<br />
befinden sich derzeit im Zusammenhang<br />
mit den klimatischen Veränderungen<br />
in Ausbreitung. Die<br />
meisten Zikadenarten sind mehr<br />
oder weniger wärmeliebend. So ist<br />
Cercopis vulnerata seit einigen Jahren<br />
nördlich bis Dänemark vorgedrungen,<br />
andere vor allem submediterran<br />
verbreitete Arten haben<br />
mittlerweile Teile Süd- und Mitteldeutschlands<br />
sowie andere Länder<br />
Mitteleuropas erreicht. Ähnliche<br />
Entwicklungen lassen sich ja bekanntermaßen<br />
auch bei anderen Insektengruppen<br />
– wie Libellen und<br />
Heuschrecken – verfolgen.<br />
Eines besonderen Schutzes bedürfen<br />
unsere Gemeinen Blutzikaden<br />
wohl nicht, da sie weit verbreitet<br />
und hinsichtlich ihrer Lebensraumansprüche<br />
und der Wirtspflanzen<br />
recht unspezifisch sind. Und wenn<br />
man weiß, was sich hinter den kleinen<br />
Schaumklümpchen an den<br />
Pflanzenstängeln verbirgt, kann<br />
man sie auch beruhigt dort belassen<br />
und sich später an den hübschen<br />
Warnfarben der ausgewachsenen<br />
Tiere erfreuen.<br />
Dr. F. Zimmermann<br />
Foto: W. Klaeber