Jahresbericht 2011 - Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik eV
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ISS · <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2011</strong><br />
Essay: JugendZeit<br />
durchlaufen, tatsächlich nahtlos in die berufliche<br />
Ausbildung einmünden oder ob nicht etwa auch<br />
Auslandsaufenthalte, Au-Pair-Zeiten oder Freiwilligendienste<br />
die Zeit für Erfahrungen bereitstellen<br />
werden, die während der Schulzeit nicht<br />
gemacht werden konnten. Es wird sich ebenfalls<br />
auch erweisen müssen, wie lange die Haltesysteme<br />
in Deutschland die Gruppe der Jugendlichen<br />
mit schlechten Zukunftsaussichten integrieren<br />
können. Die aktuellen Jugendproteste in<br />
anderen europäischen Ländern aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
fehlenden Möglichkeiten zur Umsetzung von Bildung<br />
in ökonomische Selbstständigkeit <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven<br />
verdeutlichen das Konfliktpotential<br />
einer Generation, die sich ökonomisch<br />
aber auch politisch <strong>und</strong> sozial übergangen fühlt.<br />
Jugend ist eben nicht nur Vorbereitung auf den<br />
Beruf, sondern auch das Austesten der eigenen<br />
Grenzen <strong>und</strong> die Sehnsucht nach “Wiederverzauberung”<br />
der Welt, sei es durch die<br />
erste Liebe, die Rauscherfahrungen mit Drogen<br />
oder Alkohol oder die Verlockungen durch<br />
Gemeinschaft versprechende Subkulturen <strong>und</strong><br />
Ideologien. Die Auseinandersetzung damit, inklusive<br />
Grenzerfahrungen <strong>und</strong> Scheitern, sind<br />
keine individuellen Störfälle, sondern vielmehr<br />
Bewältigungsversuche der Entwicklungsanforderungen<br />
an Jugend.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Jugendphase zu durchleben braucht Zeit. Die<br />
Ablösung als subjektiver aber auch generationenspezifischer<br />
Prozess, den Jugendliche durchlaufen<br />
müssen, ist eine Phase, die einerseits<br />
individuell unterschiedlich verläuft <strong>und</strong> andererseits<br />
bei der zunehmenden „Enteignung von<br />
adoleszenten Spielräumen“ durch die Erwachsenengeneration<br />
nur in der zeitlichen Ausdehnung<br />
der adoleszenten Möglichkeitsräume ausgeglichen<br />
werden kann.<br />
Wenn neben ökonomischem Potential zukünftig<br />
auch Innovationspotential für gesellschaftliche<br />
Entwicklungen in Jugendlichen zum Keimen<br />
kommen soll, dann ist heute eine gesamtgesellschaftlich<br />
„generativ großzügige Haltung“<br />
gefragt, also eine Haltung, die jugendliche<br />
Sozialisation nicht ausschließlich als „Ausbildungszeit“<br />
versteht, sondern auch als Zeit der<br />
Erprobung, der Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong><br />
selbstverständlich auch des jugendlichen Eigensinns.<br />
Nicht nur für Eltern besteht die Herausforderung,<br />
Jugendlichen – auch mithilfe einer<br />
kritischen Reflexion der eigenen Rolle – bestmöglich<br />
zur Seite zu stehen. 4 Auch gesamtgesellschaftlich<br />
ergibt sich die Verantwortung, demografische<br />
<strong>und</strong> ökonomische „Zwänge“ nicht<br />
gedankenlos an die nächste Generation weiterzugeben,<br />
sondern einen aktiven Beitrag zum Gelingen<br />
der jugendlichen Entwicklungsaufgaben<br />
insgesamt zu leisten.<br />
Es gibt gute Beispiele dafür, wie beispielsweise<br />
Finnland, das sein Schulsystem unter der Leitidee<br />
„Demokratie braucht Bildung“ reformierte,<br />
dass auch gesellschaftliche Leitwerte jenseits<br />
ökonomischer Rationalität, hervorragende Ergebnisse<br />
im Sinne der Sicherung von Humankapital<br />
hervorbringen können.<br />
Anmerkungen <strong>und</strong> Hinweis<br />
Der Essay ist auch unter dem Titel „Essay: JugendZeit – Jugend in Zeiten der Bildungsbeschleunigung“<br />
im Heft 3/2012 der Fachzeitschrift „TuP – Theorie <strong>und</strong> Praxis der Sozialen Arbeit“ erschienen<br />
(S. 211-214).<br />
1 Laubstein, C./Dittmann, J./ Holz, G.: Jugend <strong>und</strong> Armut - Teil II. Methodische Gr<strong>und</strong>steine, Operationalisierungen<br />
<strong>und</strong> erste empirische Bef<strong>und</strong>e der AWO-ISS-Langzeitstudie „Kinder- <strong>und</strong> Jugendarmut<br />
IV“, Frankfurt/Main <strong>2011</strong><br />
2 Eurostat: Youth in Europe. A statistical portrait, Luxemburg 2009<br />
3 Eurostat: Youth in Europe. A statistical portrait, Luxemburg 2009<br />
4 King, Vera 2010: Adoleszenz <strong>und</strong> Ablösung im Generationenverhältnis. Theoretische Perspektiven<br />
<strong>und</strong> zeitdiagnostische Anmerkungen, in: Diskurs Kindheits- <strong>und</strong> Jugendforschung, 2010, Jg.<br />
5, H. 1, S. 9-20