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Jonas und seine Schulden

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WELTamSONNTAG | 23<br />

Kinderleicht<br />

26. APRIL 2009 NR. 17<br />

<strong>Jonas</strong> Dowideit,<br />

der Sohn unserer Autorin<br />

JUDITH WAGNER,<br />

MONTAGE: WELT AM SONNTAG<br />

ich weiß, dass Du im Moment ganz andere Probleme<br />

hast. Du schaffst es manchmal noch nicht,<br />

Dich vom Bauch auf den Rücken zu drehen. Du<br />

w<strong>und</strong>erst Dich, wohin Dein Spielzeug verschwindet,<br />

wenn Du es mit der Hand vom Tisch fegst,<br />

oder fragst Dich, warum Du jeden Abend diesen<br />

Milchbrei bekommst, der Dir gar nicht schmeckt.<br />

Ich finde trotzdem, dass Du Bescheid wissen<br />

sollst. Denn mir macht es Sorgen, dass Du schon<br />

jetzt bis über beide Ohren verschuldet bist. Und<br />

das, obwohl Du selbst noch kein Geld ausgeben<br />

kannst <strong>und</strong> schon gar keine Kredite aufnehmen.<br />

Als B<strong>und</strong>esbürger hast Du 19 002 Euro <strong>Schulden</strong>.<br />

Genau so viel wie Papa <strong>und</strong> ich jeweils. Denn so<br />

groß ist die Verschuldung unserer Regierung, insgesamt<br />

1,54 Billionen Euro, wenn man sie auf alle<br />

Deutschen gleichmäßig verteilen würde. 19 002<br />

Euro, das ist mehr Geld, als wir für unser Auto<br />

ausgegeben haben. Man könnte damit fast einen<br />

neuen VW Golf kaufen. Oder Dich drei Jahre lang<br />

Kinderleicht: Das<br />

Wirtschafts-Spezial<br />

der „Welt am Sonntag“<br />

Hohe <strong>Schulden</strong> haben die Finanzkrise<br />

ausgelöst: Familien in Amerika <strong>und</strong><br />

anderen Ländern hatten hohe Kredite<br />

aufgenommen. Das brachte erst sie<br />

selbst, dann ihre Banken <strong>und</strong> dann Banken<br />

in aller Welt in Nöte. Und wie wollen<br />

die deutsche <strong>und</strong> fast alle anderen<br />

Regierungen das Problem lösen? Indem<br />

sie … genau: <strong>Schulden</strong> machen, um die<br />

Wirtschaft wieder anzukurbeln. Diese<br />

<strong>Schulden</strong> sind unvorstellbar hoch. Eigentlich<br />

wird hier also versucht, ein Feuer<br />

mit Benzin zu löschen. Viele Experten<br />

sagen, das sei unvermeidlich. Erfreulich<br />

ist es sicher nicht: Wir Erwachsene<br />

schieben Lasten ab auf Kinder <strong>und</strong> Jugendliche.<br />

Und auf künftige Generatio-<br />

zur Tagesmutter schicken. Oder für die nächsten<br />

27 Jahre mit Pampers versorgen.<br />

An sich sind <strong>Schulden</strong> nichts Schlimmes.<br />

<strong>Schulden</strong> machen bedeutet, sich von jemand anders<br />

Geld zu leihen <strong>und</strong> dafür eine Gebühr zu<br />

zahlen, die Zinsen. Gäbe es <strong>Schulden</strong> nicht, sähe<br />

die Welt sogar um einiges ärmer aus. Denn dann<br />

könnten sich immer nur diejenigen Menschen ein<br />

Haus oder ein neues Auto leisten, die schon genug<br />

Geld gespart haben – oder das Glück, reiche<br />

Verwandte zu haben, die ihnen etwas schenken.<br />

Eine Familie, die nichts zurückgelegt hat, hätte<br />

dann Pech, wenn sie gerade ein Loch im Hausdach<br />

hat. Sie müsste vielleicht jahrelang warten,<br />

bis sie sich den Dachdecker leisten kann, <strong>und</strong> bis<br />

dahin würde es hereinregnen. Auch Unternehmen<br />

könnten ohne <strong>Schulden</strong> oft keine neuen Fabriken<br />

bauen <strong>und</strong> so Arbeitsplätze schaffen.<br />

Auch die, die Geld verleihen, haben etwas davon.<br />

Sie verzichten eine Zeit lang auf ihr Geld, stellen<br />

es den Kreditnehmern zur Verfügung <strong>und</strong> bekommen<br />

dafür Zinsen. Ein ganzer Zweig der Wirt-<br />

nen, auf Menschen also, die noch gar<br />

nicht geboren sind.<br />

Gerade die aktuelle Wirtschaftskrise<br />

zeigt es wieder: <strong>Schulden</strong> gehen uns alle<br />

an, manchmal sogar dann, wenn wir sie<br />

gar nicht selbst gemacht haben, ja noch<br />

nicht einmal unsere eigene Regierung,<br />

sondern irgendwer auf einem fernen<br />

Kontinent. Deshalb haben wir uns entschlossen,<br />

eine „Kinderleicht“-Ausgabe<br />

zum Thema <strong>Schulden</strong> zu erstellen. Nicht<br />

nur, aber gerade auch für Leser, die<br />

Wirtschaftsthemen sonst eher langweilig<br />

<strong>und</strong> schwer verständlich finden.<br />

„Kinderleicht“ erscheint heute zum<br />

dritten Mal: Im November hatten wir einen<br />

Sonderteil unter dem Titel „Finanzkrise<br />

kinderleicht“ produziert. Damals<br />

war das eine spontane Idee. Wir hatten<br />

in zahlreichen Gesprächen den Eindruck<br />

gewonnen, dass viele unserer Leser<br />

nicht nachvollziehen konnten, was<br />

da an den weltweiten Finanzmärkten<br />

Editorial<br />

schaft hat sich darauf spezialisiert, dieses Geldverleihen<br />

zu vermitteln: die Banken.<br />

Auch der Staat hat <strong>Schulden</strong>, <strong>und</strong> im Prinzip ist<br />

auch das in Ordnung. Denn mit dem, was die Regierung<br />

sich leiht, kann sie zum Beispiel mehr<br />

neue Schulen oder Kindergärten bauen, als es<br />

sonst möglich wäre.<br />

In unserem Gr<strong>und</strong>gesetz steht, dass <strong>Schulden</strong> nur<br />

für solche Investitionen aufgenommen werden<br />

dürfen. Für Dinge also, die heute geschaffen werden<br />

<strong>und</strong> später von Dir <strong>und</strong> Deiner Generation<br />

genutzt werden können. Nur in äußersten Notfällen<br />

gilt die Regel nicht, zum Beispiel in einer<br />

schlimmen Wirtschaftskrise.<br />

Das Problem ist aber, dass niemand genau<br />

weiß, wann es tatsächlich einen solchen Notfall<br />

gibt. Immer wieder streiten die Politiker darüber,<br />

ob nicht doch mal wieder der Staat sich mehr<br />

Geld leihen darf als sonst. Zum Beispiel, um eine<br />

in Not geratene Firma zu retten. Oder um den<br />

Bürgern mehr Geld zum Einkaufen zu geben. Die<br />

Folgen waren im Gr<strong>und</strong>e genommen absehbar.<br />

vor sich geht – <strong>und</strong> es unbedingt einmal<br />

einfach erklärt haben wollen.<br />

Das Leserecho war so groß, dass wir<br />

„Kinderleicht“ nun mehrmals jährlich<br />

anbieten. Im Januar folgte Nummer<br />

zwei, „Globalisierung kinderleicht“.<br />

Und nun eben Nummer drei. Auf den<br />

folgenden Seiten schildern wir, warum<br />

<strong>Schulden</strong> problematisch sind. Aber<br />

auch, warum es nicht ohne sie geht: weil<br />

nämlich sonst unser Wohlstand langsa-<br />

Von Jörg<br />

Eigendorf ...<br />

... <strong>und</strong> Olaf<br />

Gersemann<br />

+<br />

<strong>Schulden</strong><br />

Acht Seiten extra:<br />

Antworten für alle, die<br />

Wirtschaft verstehen wollen<br />

<strong>Jonas</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong><br />

<strong>Jonas</strong> ist erst acht Monate alt. Doch rechnerisch sitzt er schon auf<br />

Staatsschulden in Höhe von 19 002 Euro. In Zwei-Euro-Münzen<br />

wiegt diese Summe zehnmal so viel wie er. Warum das schlimm ist,<br />

schreibt ihm <strong>seine</strong> Mutter, Anette Dowideit<br />

mer wachsen würde <strong>und</strong> jeder Einzelne<br />

von uns sich stark einschränken müsste.<br />

Der Höhepunkt ist auch in dieser<br />

Ausgabe das Interview: Vier Berliner<br />

Gymnasiasten haben am Mittwoch mit<br />

Peer Steinbrück gesprochen. So schwer<br />

es uns Journalisten fiel, beim Interview<br />

ruhig danebenzusitzen, so gut haben Elina<br />

Gulko, 11, Witalina Kibelksties, 13, Robert<br />

May, 12, <strong>und</strong> Nezir Morina, 13, die<br />

Herausforderung gemeistert.<br />

Das nächste „Kinderleicht“ ist in Planung.<br />

Es wird um das Thema Gerechtigkeit<br />

gehen, erneut werden Schüler einen<br />

prominenten Vertreter aus Politik oder<br />

Wirtschaft interviewen. Klassen, die aus<br />

ihrer Reihe vier Schüler ins Rennen schicken<br />

wollen, können sich gern an uns<br />

wenden. Am besten per E-Mail an wirtschaft@welt.de.<br />

Alle „Kinderleicht“-<br />

Ausgaben finden sich unter welt.de/kinderleicht.<br />

Zum Herunterladen <strong>und</strong> Weitergeben<br />

an alle, die es interessiert.<br />

Als ich so alt war wie Du heute, Anfang 1979, hatte<br />

ich umgerechnet 3065 Euro Staatsschulden, also<br />

nur ein Sechstel von Deiner Last. Allein seit Deiner<br />

Geburt sind für Dich 578 Euro dazugekommen,<br />

<strong>und</strong> jede Sek<strong>und</strong>e steigt die Summe weiter.<br />

Der Staat schafft es schon lange nicht mehr,<br />

<strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong> zu begleichen. Er muss aber jedes<br />

Jahr eine riesige Summe ausgeben, nur um die<br />

Zinsen für das bereits geliehene Geld zu bezahlen.<br />

2009 werden das 71 Milliarden Euro sein.<br />

Diesen Betrag tragen wir alle: Jeder Deutsche<br />

muss pro Jahr im Durchschnitt 834 Euro Steuern<br />

zahlen, nur damit der Staat die Zinsen für <strong>seine</strong><br />

<strong>Schulden</strong> entrichten kann.<br />

Wenn Du so alt bist wie ich, dann hast Du –<br />

falls es so weitergeht wie in den vergangenen 30<br />

Jahren – Staatsschulden von 111 000 Euro. Du<br />

müsstest rechnerisch jährlich für jedes Familienmitglied<br />

5000 Euro Steuern nur dafür bezahlen.<br />

Ob Du jemals so viel Geld verdienst?<br />

Natürlich glaubt kaum jemand daran, dass es<br />

wirklich so kommen wird. Die Politiker bemühen<br />

sich darum, weniger <strong>Schulden</strong> zu machen. Sie<br />

Gute <strong>Schulden</strong>, schlechte <strong>Schulden</strong>: Wer<br />

sich Geld borgt, geht oft ein großes Risiko<br />

ein. Das muss gar nicht unbedingt<br />

dumm sein Seite 24<br />

Gehen wir pleite, Herr Steinbrück? Vier<br />

Schüler des Lessing-Gymnasiums in<br />

Berlin im Gespräch mit Finanzminister<br />

Peer Steinbrück Seite 26<br />

Geschichte: Früher wurde ein säumiger<br />

Schuldner einfach in ein trostloses Gefängnis<br />

geworfen Seite 27<br />

Leben mit der Insolvenz: Wie geht es<br />

weiter, wenn die <strong>Schulden</strong> immer mehr<br />

werden, wie lebt es sich mit einem<br />

<strong>Schulden</strong>berg? Ein Vater <strong>und</strong> sein Sohn<br />

berichten über ihr Schicksal Seite 28<br />

Die <strong>Schulden</strong>macher: Die Männer <strong>und</strong><br />

Frauen der B<strong>und</strong>esfinanzagentur versorgen<br />

den Staat mit Geld Seite 28<br />

wollen nun eine <strong>Schulden</strong>bremse einführen. Diese<br />

soll strenge Grenzen setzen, wie viele Kredite<br />

aufgenommen werden dürfen. Die B<strong>und</strong>esländer<br />

dürften dann gar keine <strong>Schulden</strong> mehr machen,<br />

die B<strong>und</strong>esregierung viel weniger als bisher. Es<br />

wird daher aber auch weniger Geld da sein für öffentliche<br />

Investitionen.<br />

Die Inflation anheizen, das ist eine Alternative für<br />

einen hoch verschuldeten Staat. Das bedeutet:<br />

Die Preise steigen, ein bestimmter Geldbetrag<br />

wird weniger wert. Damit werden die <strong>Schulden</strong><br />

eines Staates <strong>und</strong> aller anderen Kreditnehmer<br />

entwertet. Aber eben auch die Ersparnisse aller<br />

Familien. Gerecht ist das nicht.<br />

Wir stecken also in einer Zwickmühle. Doch<br />

meine Generation <strong>und</strong> die meiner Eltern, also die<br />

heute Erwachsenen, müssen das Problem nun<br />

endlich angehen, <strong>und</strong> zwar rasch. Damit es nicht<br />

für Deine Generation eines Tages unlösbar wird.<br />

Das jedenfalls wünscht sich<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Der Geldeintreiber: Unterwegs mit dem<br />

strengen Gerichtsvollzieher Christian<br />

Günther. Was er bei <strong>seine</strong>r täglichen Arbeit<br />

alles erlebt Seite 29<br />

Afrika: Wie ein Mikrokredit von 30 Euro<br />

dabei half, eine Frau in Namibia aus der<br />

Armut zu befreien Seite 30<br />

Vorsicht, <strong>Schulden</strong>falle: Schicke Klamotten,<br />

Handys, Fitnessstudio – auch<br />

Jugendliche laufen Gefahr, zu viele<br />

<strong>Schulden</strong> zu machen Seite 30<br />

Dossier: Die Texte dieser Beilage mit<br />

noch mehr Bildern, PDF-Versionen<br />

aller „Kinderleicht“-Ausgaben <strong>und</strong><br />

ein Quiz zum Thema <strong>Schulden</strong><br />

finden sich im Internet unter<br />

welt.de/kinderleicht


24 | WIRTSCHAFT · kinderleicht WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009<br />

<strong>Schulden</strong> können Menschen ins Verderben<br />

stürzen. Sie können aber auch der<br />

Gr<strong>und</strong>stein für ihren Erfolg werden. Wir<br />

zeigen acht Beispiele dafür, was das<br />

Geldleihen auslösen kann. Das Problem<br />

ist: Oft stellt es sich erst im Nachhinein<br />

heraus, wenn ein Kredit ein Fehler war<br />

In einer Welt ohne <strong>Schulden</strong><br />

müssten viele Menschen ziemlich<br />

lange arbeiten, bevor sie genug<br />

Geld für ein Auto oder ein Haus<br />

zusammen haben. In einer Welt<br />

ohne <strong>Schulden</strong> gäbe es keine Kreditkarten,<br />

keine Pfandleiher, auch<br />

keine Banken <strong>und</strong> keine Sparbücher.<br />

Zinsen fürs Ersparte gibt es<br />

nur, weil einer sein Geld auf die<br />

Bank trägt, diese es an jemand anderen<br />

ausleiht <strong>und</strong> der wiederum<br />

Zinsen dafür bezahlt.<br />

Denn wer sich Geld<br />

leiht, zahlt mehr zurück,<br />

als er bekommen hat:<br />

Zinsen kommen zur geliehenen<br />

Summe dazu,<br />

sie sind eine Gebühr für<br />

das Ausleihen. Ein Re-<br />

chenbeispiel: Eine Familie<br />

nimmt einen Kredit<br />

über 1000 Euro auf, um<br />

davon den Urlaub zu bezahlen.<br />

Für das Geld<br />

muss sie 7,12 Prozent Zinsen pro<br />

Monat bezahlen, so teuer ist im<br />

Moment ein typischer Kredit. Mit<br />

der Bank vereinbart die Familie,<br />

diesen innerhalb eines Jahres zurückzuzahlen,<br />

pro Monat 86,48<br />

Euro. Nach zwölf Monaten hat die<br />

Familie 1037,76 Euro überwiesen.<br />

Werte schaffen. Heißt das, wer<br />

sich Geld leiht, ist dumm? Nein,<br />

sagt Professor Wilfried Fuhrmann<br />

von der Universität Potsdam: „Ein<br />

Kredit lohnt sich immer, wenn<br />

man damit Wert schafft <strong>und</strong> so<br />

mehr Geld verdienen kann als die<br />

Zinsen für den Kredit sind.“ Ein<br />

Beispiel: Jemand leiht sich Geld,<br />

um ein Mehrfamilienhaus zu bauen.<br />

Er vermietet die Wohnungen.<br />

Die Einnahmen durch die Miete<br />

sind höher als die Zinsen, die er<br />

für den Kredit zahlt.<br />

Der Hausbesitzer hat durch <strong>seine</strong><br />

<strong>Schulden</strong>aufnahme einen Wert<br />

geschaffen, der ihm auch über die<br />

Laufzeit des Kredits hinaus Einnahmen<br />

bringt. Eine Daumenregel<br />

ist also, dass ein Kredit eher<br />

gut ist, wenn er die Verdienstmöglichkeiten<br />

verbessert. Ein Kredit<br />

für ein Haus ist gr<strong>und</strong>sätzlich besser<br />

als ein Kredit, der für Glücksspiele<br />

verprasst wird.<br />

Dasselbe gilt für Firmen. Wenn<br />

sie Kredite aufnehmen, um zu investieren<br />

– in eine Maschine oder<br />

Fabrik –, dann ist das oft sinnvoll.<br />

So kann das Unternehmen mehr<br />

herstellen <strong>und</strong> verkaufen, mehr<br />

Geld verdienen <strong>und</strong> vielleicht<br />

mehr Arbeitsplätze schaffen. Viele<br />

große Firmen wurden mit Krediten<br />

als Startkapital gegründet.<br />

Der Staat macht <strong>Schulden</strong>. Auch<br />

der Staat kann viel für <strong>seine</strong> Bürger<br />

tun, indem er sich Geld leiht.<br />

Ohne Kredite könnte die Regierung<br />

immer nur so viel Geld ausgeben,<br />

wie im Jahr zuvor Steuern<br />

bezahlt wurden. Das Geld müsste<br />

für die Arbeitslosengeld, für neue<br />

Schwimmbäder <strong>und</strong> Straßen bis<br />

hin zum Gehalt der Lehrer rei-<br />

Warum gibt es Geld<br />

nicht umsonst?<br />

Von Anette<br />

Dowideit<br />

BENEDIKT TRÄUMT<br />

A Die Verlockung ist groß: In den<br />

Geschäften stapelt sich die Ware.<br />

Einen neuen MP3-Player hätte<br />

Benedikt gerne, am liebsten sofort.<br />

Benedikt bekommt regelmäßig<br />

Taschengeld. Doch er hat nicht<br />

genug Geld gespart, um sich das<br />

Gerät kaufen zu können. Was soll<br />

er tun? Einen Kredit aufnehmen, so<br />

wie <strong>seine</strong> Eltern es getan haben,<br />

um das Haus kaufen zu können, in<br />

dem die Familie wohnt? Wie funktioniert<br />

das eigentlich?<br />

Banken verleihen Geld an ihre<br />

K<strong>und</strong>en. Weil den Banken die Summe<br />

eine Zeit lang nicht zur Verfügung<br />

steht, verlangen sie Zinsen.<br />

Das ist ein Prozentsatz, der auf die<br />

geliehene Summe gezahlt werden<br />

muss. „Genau genommen ist der<br />

Zins der Preis dafür, dass sich<br />

Gute <strong>Schulden</strong>, schlechte <strong>Schulden</strong>:Ist<br />

chen. Die Steuern schwanken<br />

aber in jedem Jahr stark, abhängig<br />

davon, wie viel Geld die Menschen<br />

verdient haben. Das heißt:<br />

In einem Jahr, in dem wenig Steuern<br />

bezahlt werden, könnte der<br />

Staat weniger Lehrer bezahlen. Er<br />

müsste viele entlassen.<br />

Aber: Nimmt der Staat zu viel<br />

<strong>Schulden</strong> auf, dann zahlen die<br />

Bürger immer mehr Steuern, um<br />

die Zinsen zu begleichen. Deshalb<br />

streiten sich kluge Köpfe,<br />

wofür der Staat <strong>Schulden</strong><br />

aufnehmen sollte <strong>und</strong><br />

wofür nicht. Die einen<br />

sagen, dass <strong>Schulden</strong> nur<br />

für solche Dinge gemacht<br />

werden dürfen, die auch<br />

künftigen Generationen<br />

dienen, wie eine Brücke<br />

oder ein neues Polizeipräsidium.<br />

So steht es im<br />

Gr<strong>und</strong>gesetz. Professor<br />

Fuhrmann sagt, dass<br />

Staatsschulden immer an einen<br />

Zweck geb<strong>und</strong>en sein sollten, zum<br />

Beispiel einen Kredit für eine<br />

neue Sporthalle. „Dann kann man<br />

genau ausrechnen, wie viel die Investition<br />

gebracht hat. Und zwar<br />

nicht nur an Einnahmen für Vermietungen.<br />

Sondern auch an Dingen,<br />

die man nicht mit Geld messen<br />

kann – zum Beispiel der Spaß,<br />

den Kinder haben, wenn sie in der<br />

Halle Fußball spielen.“<br />

Spare in der Zeit. Andere sehen<br />

das anders. Sinnvoll sei, dass der<br />

Staat während einer Wirtschaftskrise<br />

<strong>Schulden</strong> mache, sagt Professor<br />

Wolfgang Scherf von der<br />

Universität Gießen. „Er sollte das<br />

geliehene Geld benutzen, um<br />

staatliche Investitionsprogramme<br />

zu starten.“ Die Regierung beauftragt<br />

dann Firmen mit dem Bau<br />

einer neuen Sporthalle, dabei<br />

werden Jobs geschaffen. Die Menschen<br />

haben Arbeit, der Staat erzielt<br />

mehr Steuereinnahmen. Wer<br />

hat recht? Es zeigt sich leider immer<br />

erst hinterher, ob die Vorteile<br />

einer staatliche Investition größer<br />

sind als die Lasten für kommende<br />

Generationen. <strong>Schulden</strong> machen<br />

ist mit einem Risiko verb<strong>und</strong>en.<br />

Das gilt nicht nur für den Staat.<br />

Oft genug können Menschen<br />

<strong>Schulden</strong> nicht zurückzahlen.<br />

„Das passiert Privatleuten dann,<br />

wenn sie vorher nicht richtig<br />

durchgerechnet haben, wie viel<br />

sie verdienen <strong>und</strong> welche Ausgaben<br />

sie haben“, sagt Franziska<br />

Matschke von der Schuldnerberatung<br />

Köln. Sie rät, erst einen Kredit<br />

aufzunehmen, wenn man alle<br />

Risiken bedacht hat: Was passiert,<br />

wenn ich meinen Arbeitsplatz verliere<br />

oder krank werde?<br />

Egal, wer sich Geld leiht <strong>und</strong><br />

wofür, eines gilt immer: Wer<br />

<strong>Schulden</strong> hat, belastet <strong>seine</strong> Zukunft.<br />

Er kann heute mehr kaufen.<br />

Dafür aber hat er, wenn der Kredit<br />

zurückgezahlt werden muss,<br />

weniger Geld als ohne <strong>Schulden</strong>.<br />

K<strong>und</strong>en wie Benedikts Eltern das<br />

Gewünschte sofort kaufen können“,<br />

sagt Niels Nauhauser, Geldanlageexperte<br />

bei der Verbraucherzentrale<br />

Baden-Württemberg.<br />

BONITÄT IST WICHTIG<br />

A Benedikts Eltern müssen also<br />

nicht jahrelang sparen, bis sie sich<br />

das Eigenheim leisten können. Weil<br />

Menschen heutigen Konsum höher<br />

schätzen als einen Kauf in der<br />

Zukunft, sind manche bereit, dafür<br />

Zinsen zu zahlen. Diesen Bef<strong>und</strong><br />

bezeichnet der Kapitaltheoretiker<br />

Eugen von Böhm-Bawerk als „Ge-<br />

BOZICA BABIC<br />

Nicola Lemken hat <strong>Schulden</strong> gemacht. Nur so konnte sie neue Hallen für ihre Maschinenbaufirma in Alpen bei Krefeld finanzieren<br />

Heinz Düsenberg vom Heimat-<strong>und</strong>-Verkehrs-Verein Bellersen: Mit den<br />

Krediten <strong>seine</strong>r Bank wurde der kleine Ort wohlhabend<br />

genwartspräferenz“. Doch häufig<br />

ist es nicht so einfach, einen Kredit<br />

zu bekommen. Sonst könnte sich<br />

ja jeder immer sofort alles kaufen,<br />

was er sich wünscht. Wie teuer ein<br />

Kredit ist, hängt im Wesentlichen<br />

von drei Komponenten ab: von der<br />

Höhe der Summe, der Laufzeit <strong>und</strong><br />

der Bonität. Unter der Bonität des<br />

Schuldners verstehen Banken, wie<br />

wahrscheinlich es ist, dass er das<br />

Geld wieder zurückzahlt. „Je geringer<br />

die Banker die Wahrscheinlichkeit<br />

einschätzen, dass sie das Geld<br />

wiedersehen, umso teurer wird der<br />

Kredit“, sagt Nauhauser.<br />

RISIKO KOSTET<br />

A Banken bezeichnen das dann als<br />

Risikozuschlag. Einige erhalten<br />

auch keinen Kredit von der Bank,<br />

so wie Benedikt. Er hat keine eigenen<br />

Einkünfte. Daher ist die<br />

Wahrscheinlichkeit zu gering, dass<br />

er die geliehene Summe irgend-<br />

wann einmal zurückzahlen kann.<br />

Das Wort „Kredit“ kommt vom<br />

lateinischen „credere“. Das bedeutet<br />

„vertrauen auf“, „glauben“.<br />

Geld erhalten K<strong>und</strong>en von Banken<br />

nur, wenn die darauf vertrauen,<br />

dass das verliehene Geld zum<br />

vereinbarten Zeitpunkt zurückgezahlt<br />

wird. Dann wird man als<br />

„kreditwürdig“ eingestuft.<br />

Neben der Bonität ist entscheidend,<br />

wie lange der Käufer<br />

braucht, um das Geld zurückzuzahlen.<br />

Je länger die Bank auf<br />

das Geld verzichtet <strong>und</strong> je höher<br />

die Summe, umso höher sind die<br />

Zinsen. Alles sofort kaufen zu<br />

wollen ist teuer. Wer nichts anspart,<br />

zahlt Monat für Monat viel<br />

für Zinsen. Ein Beispiel: Benedikts<br />

Eltern kaufen sich ein Auto für<br />

20 000 Euro. Bei einem Zins von<br />

zehn Prozent müssen sie Monat für<br />

Monat 166,66 Euro Zinsen zahlen.<br />

Würden die Eltern Geld zurück-<br />

+<br />

Heinz Düsenberg<br />

in Bellersen<br />

Bellersen war früher mal ein<br />

Dorf wie viele andere. Mit <strong>seine</strong>n<br />

701 Einwohnern etwas verschlafen,<br />

ein unauffälliges Fleckchen<br />

Land an der Grenze<br />

von Nordrhein-Westfalen<br />

zu Niedersachsen.<br />

Bellersen ist aber auch<br />

ein Beispiel dafür, wie<br />

<strong>Schulden</strong> einen ganzen<br />

Ort erfolgreich machen können –<br />

nämlich dann, wenn Geldgeber<br />

<strong>und</strong> Kreditnehmer zusammenarbeiten,<br />

um etwas zu schaffen.<br />

Anfang der 90er-Jahre gab es<br />

den Anschub. Das Land Nordrhein-Westfalen<br />

gab dem Dorf 4,2<br />

Millionen D-Mark Fördergeld,<br />

damit dort ein „Tourismus-Mus-<br />

legen, bevor sie das Auto kaufen,<br />

könnten sie 2000 Euro im Jahr<br />

sparen.<br />

ACHTSAMKEIT ZÄHLT<br />

A Ein Kredit ist nicht per se<br />

schlecht. Jeder muss sich aber<br />

fragen, wie wichtig es ist, Dinge<br />

sofort besitzen zu können – <strong>und</strong><br />

welchen Preis er bereit ist, dafür zu<br />

tragen. Wie Benedikts Eltern muss<br />

jeder darauf achten, dass er das<br />

geliehene Geld mit Zinsen zurückzahlen<br />

kann. Wer das nicht schafft,<br />

rutscht schnell von einer Verschuldung<br />

in eine Überschuldung.<br />

Kredite können dann nicht mehr<br />

abgezahlt werden. Wer überschuldet<br />

ist, erhält von Banken kein Geld<br />

mehr, ist nicht mehr kreditwürdig.<br />

Und Benedikt? Ihm bleibt nichts<br />

anderes, als so lange zu sparen, bis<br />

er das Geld für den MP3-Player<br />

zusammen hat, von dem er träumt.<br />

Barbara Brandstetter<br />

JUDITH WAGNER<br />

terdorf“ entsteht. Das Geld floss<br />

in Straßenlaternen, neue Wanderwege<br />

<strong>und</strong> einen Wohnmobilstellplatz.<br />

Doch dabei sollte es<br />

nicht bleiben, fand Heinz Düsenberg.<br />

Er war damals der Verantwortliche<br />

in der Volksbank<br />

<strong>und</strong> ist heute Vorsitzender<br />

des Heimat-<strong>und</strong>-Verkehrs-Vereins.<br />

Seine Idee: günstige<br />

Kredite zu vergeben, damit<br />

eine Partnerschaft zwischen<br />

Bank <strong>und</strong> Bürgern entsteht<br />

<strong>und</strong> Bellersen für Touristen attraktiv<br />

wird. Düsenberg setzte bei<br />

der Bank durch, dass den Bürgern<br />

günstiges Geld bereitgestellt wurde.<br />

Damit, so die Idee, sollten die<br />

Bürger in Angebote für Besucher<br />

von außerhalb investieren können.<br />

Es funktionierte tatsächlich.<br />

Google<br />

in Mountain View<br />

Der amerikanische<br />

Unternehmer Andy<br />

Bechtolsheim verleiht<br />

Geld an Leute, die Ideen<br />

für neue Firmen haben, aber kein<br />

Geld. Das ist ein riskantes Geschäft.<br />

Denn als Geldgeber weiß<br />

man immer erst hinterher, ob die<br />

neue Firma tatsächlich erfolgreich<br />

ist – <strong>und</strong> ob man sein verliehenes<br />

Geld mit Gewinn zurückbekommt.<br />

Zum Glück ist Bechtolsheim dieses<br />

Risiko eingegangen. Sonst gäbe es<br />

Google <strong>und</strong> <strong>seine</strong> Suchmaschine<br />

heute vielleicht nicht.<br />

Vor elf Jahren lernte der Geldgeber<br />

die Studenten Larry Page <strong>und</strong><br />

Sergey Brin kennen. Sie wollten eine<br />

Suchmaschine fürs Internet<br />

programmieren. Bechtolsheim<br />

fand die Idee gut <strong>und</strong> schrieb einen<br />

Scheck: „100 000 Dollar, Empfänger:<br />

Google“. Er war der Erste, der<br />

in die Firma investiert hat. Heute<br />

BLOOMBERG<br />

Nicola Lemken<br />

in Alpen<br />

Für Nicola Lemken<br />

ist es ein großer<br />

Vorteil, dass Unternehmen<br />

sich Geld leihen können, um<br />

damit zu wachsen. Denn weil genug<br />

Geld da ist, um diese <strong>Schulden</strong><br />

wieder zurückzuzahlen, stellen sie<br />

auch kein Problem für den Gläubiger,<br />

also den Geldgeber, dar. Lemkens<br />

Firma, die nach ihr benannt<br />

ist, stellt im Ort Alpen bei Krefeld<br />

alle möglichen Maschinen her, die<br />

Landwirte brauchen: zum Beispiel<br />

Eggen, Pflüge oder Maschinen<br />

zum Säen. In den vergangenen<br />

vier Jahren wollten mehr Landwirte<br />

die Produkte der Firma kaufen,<br />

die Nachfrage stieg stark an.<br />

Das freute Besitzerin Lemken<br />

zwar, doch es brachte auch einige<br />

praktische Probleme mit sich. So<br />

mussten die Mitarbeiter beim Bau<br />

der Landmaschinen oft im Zickzack<br />

Teile durch die kleinen, engen<br />

Hallen bugsieren. Das nahm viel<br />

Zeit in Anspruch. Und oft standen<br />

nagelneue, fertig produzierte Maschinen<br />

draußen auf dem Hof herum<br />

<strong>und</strong> allen im Weg, weil die Lagerfläche<br />

nicht ausreichte.<br />

Im vergangenen Jahr entschloss<br />

sich Nicola Lemken deshalb, einen<br />

Kredit in Höhe von vier Millionen<br />

Euro aufzunehmen. Sie<br />

steckte das Geld, zusammen mit<br />

eigenem Erspartem, in den Bau<br />

vier neuer Montagehallen. „Der<br />

Vorteil des Kredits war, dass wir<br />

das Geld sehr schnell zur Verfügung<br />

hatten. Zwei Wochen nachdem<br />

wir den Kreditvertrag unterschrieben<br />

hatten, war es schon<br />

da“, erzählt die Unternehmerin.<br />

Den Kredit muss sie nun sechs<br />

Jahre lang abbezahlen. Der Zinssatz<br />

ist aber mit 3,5 Prozent günstiger<br />

als ein normaler Unternehmenskredit,<br />

sagt Nicola Lemken.<br />

Denn die KfW Bankengruppe, die<br />

dem Staat gehört <strong>und</strong> die Aufgabe<br />

hat, Unternehmen zu unterstützen,<br />

gibt einen Zuschuss.<br />

Die neuen Hallen seien nicht<br />

nur praktischer für die Arbeiter,<br />

sondern würden ihrer Firma auch<br />

bares Geld einbringen, hat Lemken<br />

ausgerechnet. Denn dort finden<br />

viel mehr Mitarbeiter Platz.<br />

Vor vier Jahren hatte sie 603 Angestellte,<br />

heute sind es schon 755,<br />

plus Leiharbeiter <strong>und</strong> Hilfskräfte<br />

aus anderen Ländern. „Letztes<br />

Jahr haben wir Geräte für 257 Millionen<br />

Euro verkauft. Wir erwarten,<br />

dass wir dank der neuen Hallen<br />

Produkte für bis zu 300 Millionen<br />

werden herstellen können“,<br />

sagt Nicola Lemken.<br />

Einer baute ein Feriendorf am<br />

Ortseingang, ein anderer ein Café<br />

in einem alten Fachwerkhaus. Die<br />

Idee, mit Krediten etwas Gemeinsames<br />

für das Dorf zu schaffen,<br />

setzte sich weiter fort. Vor ein<br />

paar Jahren baute ein Bewohner<br />

eine Edelobstbrennerei – <strong>und</strong> ein<br />

Dutzend andere gaben ihm je<br />

2500 Euro Kredit.<br />

Das Ergebnis: Mittlerweile ist<br />

Bellersen so beliebt bei Touristen,<br />

dass man im Feriendorf lange im<br />

Voraus buchen sollte <strong>und</strong> im Café<br />

an schönen Tagen nur noch<br />

schwer einen Platz findet. Und<br />

der Ort hat heute sogar recht außergewöhnliche<br />

Kulturangebote.<br />

Zum Beispiel wird dort demnächst<br />

eine eigene Oper gezeigt,<br />

an der viele Bürger Bellersens<br />

mitgearbeitet haben.<br />

ist Google ein mächtiger Internet-Konzern<br />

mit mehr<br />

als 20 000 Mitarbeitern.<br />

Bechtolsheim hat sein<br />

Geld schon lange zurück –<br />

plus hoher Zinsen.<br />

Google gibt es nur, weil Geldgeber<br />

an die Idee geglaubt haben


WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009 WIRTSCHAFT · kinderleicht | 25<br />

dumm, wer sich Geld von anderen leiht?<br />

Bis vor Kurzem ging es den Familien dieser beiden isländischen Mädchen <strong>und</strong> ihren Landsleuten noch gut. Doch dann kam die Finanzkrise <strong>und</strong> traf das Land im hohen Norden hart. Nun steht Island kurz vor dem Staatsbankrott<br />

Die Faesers wohnten erst zur Miete in ihrem Haus, dann kauften sie es<br />

Familie Faeser<br />

in Bad Wildbad<br />

Island<br />

Zu hohe <strong>Schulden</strong><br />

können nicht<br />

nur Privatleute <strong>und</strong><br />

Firmen ins Verderben führen, sondern<br />

sogar ganze Staaten. Auch sie<br />

gelten dann als bankrott oder pleite,<br />

wenn sie ihre <strong>Schulden</strong> nicht<br />

mehr rechtzeitig oder gar nicht<br />

Die Faesers aus Baden-Württemberg<br />

sind<br />

erst seit ein paar Wochen<br />

stolze Hausbesitzer. Mutter Sabine,<br />

Vater Torsten <strong>und</strong> die beiden<br />

Söhne Tim, 7, <strong>und</strong> Tom, 5, leben in<br />

einem Holzhaus mit großem Garten<br />

direkt am Fluss in Bad Wildbad.<br />

Für sie ist es ein Segen, dass<br />

es Kredite gibt. Denn ohne die hätten<br />

sie dieses Zuhause heute nicht.<br />

Zwar wohnen die Faesers schon<br />

neun Jahre lang in diesem Haus,<br />

bisher aber zur Miete. Vor ein paar<br />

Monaten kündigte der Hausbesitzer<br />

aber an, er wolle es verkaufen.<br />

Die Faesers mussten sich entscheiden:<br />

entweder ausziehen oder<br />

selbst das Haus kaufen. Allerdings<br />

war es nicht ganz billig: 325 000<br />

Euro sollte es kosten.<br />

So viel hatten Vater <strong>und</strong> Mutter<br />

Faeser nicht gespart. Aber es gab<br />

noch eine andere Möglichkeit: Sie<br />

mehr bezahlen können. Das war<br />

zum Beispiel in Deutschland nach<br />

den beiden Weltkriegen der Fall<br />

oder zuletzt in Argentinien 2002.<br />

Durch die Wirtschaftskrise steht<br />

momentan auch wieder eine Reihe<br />

von Staaten kurz vor der Pleite. Einer<br />

davon ist Island.<br />

Noch bis vor Kurzem ging es<br />

den Menschen im Land gut. Die<br />

schlossen einen Bausparvertrag<br />

ab <strong>und</strong> kauften mit<br />

dem geliehenen Geld<br />

schließlich im März das<br />

Haus. Nun müssen sie der<br />

Firma Wüstenrot, bei der sie<br />

den Kredit aufgenommen haben,<br />

zehn Jahre lang 1400 Euro pro Monat<br />

zurückzahlen. Das ist viel<br />

Geld. Es lohnt sich aber trotzdem,<br />

rechnet Vater Torsten vor: „Vorher<br />

haben wir 1200 Euro Miete im Monat<br />

gezahlt. Nun sind es zwar 200<br />

Euro mehr im Monat. Aber unten<br />

in unserem Haus gibt es eine Wohnung,<br />

die wir vermieten. Damit<br />

holen wir die Differenz heraus.“<br />

Der Kreditvertrag läuft zehn<br />

Jahre. Danach wird das Haus noch<br />

nicht abbezahlt sein, für den Rest<br />

des Kredits wird dann wieder neu<br />

über den vereinbarten Zinssatz<br />

verhandelt. Der liegt momentan<br />

bei 4,25 Prozent. Und am Ende gehört<br />

den Faesers dann ihr eigenes<br />

Zuhause – komplett mit Trampolin<br />

im Garten für die Kinder.<br />

WÜSTENROT<br />

meisten Isländer konnten sich ein<br />

eigenes Haus <strong>und</strong> ein Auto leisten.<br />

Die Banken im Land liehen sich<br />

viel Geld von anderen Banken im<br />

Ausland <strong>und</strong> gingen damit auf Einkaufstour<br />

in ganz Europa. Sie kauften<br />

mithilfe der Kredite zum Beispiel<br />

Supermarktketten <strong>und</strong> andere<br />

Banken im Ausland. In den Zeitungen<br />

wurden die Isländer<br />

Immobilienbesitzer<br />

in den USA<br />

Hauskredite können<br />

auch ins Verderben führen.<br />

Nämlich dann, wenn<br />

sich die Kreditnehmer die Häuser<br />

von ihrem Einkommen eigentlich<br />

gar nicht leisten könnten.<br />

So war es im Fall des amerikanischen<br />

Häusermarktes. Dort waren<br />

die Immobilienbanken in vielen<br />

Fällen in den vergangenen Jahren<br />

viel zu freigiebig mit dem<br />

Geldverleihen. Sie vergaben Häuserkredite,<br />

ohne lange das Einkommen<br />

oder Vermögen der Kreditnehmer<br />

zu prüfen. Oder sie<br />

stellten nur sehr geringe Anforderungen.<br />

Jahrelang bekamen auch<br />

solche Leute Immobilienkredite,<br />

die nur ein sehr geringes oder unregelmäßiges<br />

Einkommen hatten.<br />

Weil sich plötzlich so viele Leute<br />

Häuser leisten konnten, stieg<br />

die Nachfrage nach Eigenheimen<br />

enorm. Und das ließ eine sogenannte<br />

Investitionsblase entstehen.<br />

Diesen Begriff benutzt man,<br />

wenn der Preis für ein Gut, in diesem<br />

Fall ein Haus, immer weiter<br />

steigt. So lange, bis er in keiner Relation<br />

mehr zum eigentlichen<br />

Wert des Gutes steht.<br />

Wurde zum Beispiel in einem<br />

Stadtviertel ein Haus für eine Million<br />

Dollar verkauft, dachten<br />

plötzlich alle Nachbarn: „Wow,<br />

wenn ich nun mein Haus verkaufe,<br />

kann ich auch eine Million Dollar<br />

dafür bekommen!“ Die Amerikaner<br />

fühlten sich reich <strong>und</strong> nahmen<br />

noch mehr Kredite als sonst für<br />

andere Dinge auf: für Fernseher<br />

<strong>und</strong> Auto, zum Shoppen nutzten<br />

sie die Kreditkarte. Sie dachten:<br />

Mein Haus ist so viel wert, dass<br />

ich vermögend bin. Ich kann mir<br />

neue Kredite problemlos leisten.<br />

Das Problem ist, dass die Häuser<br />

nur auf dem Papier so viel wert<br />

waren. Wie viel man wirklich für<br />

deshalb schon als „stürmische Wikinger“<br />

bezeichnet.<br />

Doch dann kam die Finanzkrise<br />

<strong>und</strong> traf Island hart. Plötzlich<br />

konnten viele der vorher so erfolgreichen<br />

Geldhäuser ihre Kredite<br />

nicht mehr zurückzahlen. Die drei<br />

größten Banken im Land wurden<br />

verstaatlicht. Das heißt, der Staat<br />

kaufte sie, um sie vor dem Bank-<br />

sein Haus bekommt,<br />

merkt man erst in dem<br />

Moment, in dem man es<br />

zum Verkauf annonciert.<br />

Vor gut eineinhalb Jahren<br />

stiegen plötzlich für Millionen von<br />

Eigenheimbesitzern die Zinsen für<br />

die Hauskredite. Viele konnten<br />

sich die monatlichen Rückzahlungen<br />

nicht mehr leisten <strong>und</strong> versuchten,<br />

ihre Häuser loszuwerden.<br />

Wollen nun aber viele Menschen<br />

gleichzeitig ihr Haus verkaufen,<br />

wird der Markt von den vielen<br />

Angeboten quasi überschwemmt.<br />

Entsprechend sinken die Preise.<br />

Für viele Amerikaner gab es ein<br />

böses Erwachen. Sie hatten sich<br />

auf ihr eingebildetes Vermögen<br />

verlassen – <strong>und</strong> konnten nun auch<br />

die Kredite für Fernseher <strong>und</strong> Auto<br />

oder die monatliche Rate für die<br />

Kreditkarte nicht mehr zahlen.<br />

Gleichzeitig bekamen die Banken,<br />

die den Leuten die Kredite gegeben<br />

hatten, einen großen Teil ihres<br />

Geldes nicht mehr zurück. Das<br />

stürzte auch viele Banken in die<br />

Krise – <strong>und</strong> zwar weltweit.<br />

In den USA wurden Millionen von<br />

Häusern zwangsversteigert<br />

+<br />

DPA<br />

rott zu bewahren. Eines dieser<br />

Geldhäuser, die Glitnir-Bank,<br />

konnte im Herbst 2008 eine fällige<br />

Anleihe nicht zurückzahlen. Anleihen<br />

sind Kredite, die Banken <strong>und</strong><br />

Unternehmen bei ihren K<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> bei Sparern aufnehmen.<br />

Es ging um 750 Millionen Euro<br />

– eigentlich eine gar nicht besonders<br />

hohe Summe im Vergleich zu<br />

PA/DPA<br />

Heidelberg-<br />

Cement<br />

in Heidelberg<br />

Firmen leihen<br />

sich oft Geld von<br />

Banken, um damit andere Unternehmen<br />

zu kaufen. Das geht nur<br />

dann gut, wenn der Käufer genug<br />

Waren verkauft, um von <strong>seine</strong>n<br />

Einnahmen die <strong>Schulden</strong> abbezahlen<br />

zu können. Es kann auch<br />

gründlich schiefgehen.<br />

So war es zum Beispiel bei der<br />

Firma HeidelbergCement, die<br />

Baumaterialien herstellt. Vor<br />

knapp zwei Jahren entschloss sich<br />

die Unternehmensführung, den<br />

britischen Konkurrenten Hanson<br />

zu kaufen. Dafür musste sich HeidelbergCement<br />

allerdings viel<br />

Geld von den Banken leihen. Ende<br />

des vergangenen Jahres saß die<br />

Firma auf einem <strong>Schulden</strong>berg<br />

von 11,6 Milliarden Euro. Dann<br />

kam die Wirtschaftskrise.<br />

Plötzlich brach der Absatz von<br />

HeidelbergCement ein – die Bauwirtschaft<br />

bekam weniger Aufträge,<br />

<strong>und</strong> deshalb verkaufte das Unternehmen<br />

viel weniger Beton,<br />

Zement <strong>und</strong> Mörtel als zuvor. Entsprechend<br />

weniger Geld kam in<br />

die Kasse, um die <strong>Schulden</strong> zurückzuzahlen.<br />

Nun hat HeidelbergCement<br />

ein riesiges Problem:<br />

Bis zum nächsten Jahr stehen fünf<br />

Milliarden Euro <strong>Schulden</strong> zur<br />

Rückzahlung an. Die große Frage<br />

ist: Wovon soll das Unternehmen<br />

die Banken bezahlen?<br />

anderen Anleihen. Die Anleihe,<br />

um die es ging, hatte nicht die Regierung<br />

selbst herausgegeben, sondern<br />

die Glitnir-Bank. Aber im<br />

Gr<strong>und</strong>e war es eine Bankrotterklärung<br />

des isländischen Staates.<br />

Auch ein paar andere Staaten<br />

sind derzeit von der Pleite bedroht,<br />

darunter Pakistan, Venezuela<br />

<strong>und</strong> in Europa die Ukraine.<br />

MAURITIUS IMAGES<br />

RTL<br />

Georg<br />

Laufenberg<br />

in Langenfeld<br />

Ob <strong>Schulden</strong><br />

gut oder schlecht<br />

sind, hängt auch davon<br />

ab, wofür man einen Kredit aufnimmt.<br />

Schlimm geht es meistens<br />

dann aus, wenn man das Geld für<br />

Glücksspiel oder Drogen verprasst.<br />

Bei Familie Laufenberg<br />

aus Langenfeld bei Düsseldorf<br />

kam sogar beides zusammen.<br />

Vater Georg, heute 38 Jahre alt,<br />

nahm schon mit Anfang 20 <strong>seine</strong><br />

ersten Kredite auf, um sich Möbel<br />

für die gemeinsame Wohnung mit<br />

<strong>seine</strong>r Frau Manuela, 33, zu kaufen.<br />

Zuerst war das kein Problem.<br />

Doch dann, vor etwa neun Jahren,<br />

verlor der Schreiner <strong>seine</strong>n Arbeitsplatz.<br />

Dann wurde auch noch<br />

Georgs Mutter schwer krank, was<br />

ihn seelisch sehr belastete.<br />

Der Familienvater begann, täglich<br />

Alkohol zu trinken <strong>und</strong> Marihuana<br />

zu rauchen – <strong>und</strong> er verprasste<br />

das wenige Geld der Familie<br />

am Glücksspielautomaten. Für<br />

die Spielsucht brauchte der Vater<br />

immer neue Kredite. So häufte<br />

sich ein immer größerer Haufen<br />

an <strong>Schulden</strong> an.<br />

Mittlerweile hat Georg <strong>seine</strong><br />

Sucht überw<strong>und</strong>en. Trotzdem saßen<br />

die Laufenbergs bis vor Kurzem<br />

noch auf einem <strong>Schulden</strong>berg<br />

von mehr als 30 000 Euro. Das<br />

Geld reichte nicht einmal für ein<br />

Ehebett. Die Familie suchte Hilfe<br />

bei Deutschlands bekanntestem<br />

Schuldnerberater, Peter Zwegat<br />

aus Berlin. In der Sendung „Raus<br />

aus den <strong>Schulden</strong>“ handelte Zwegat<br />

mit den verschiedenen Banken<br />

<strong>und</strong> Firmen, denen die Laufenbergs<br />

Geld schuldeten, eine Einigung<br />

aus. Schon bald, so hoffen<br />

die Laufenbergs, werden sie ihren<br />

<strong>Schulden</strong>berg abbezahlt haben.<br />

Familienvater Georg Laufenberg<br />

hat Schuldnerberater Peter<br />

Zwegat (l.) um Hilfe gebeten<br />

Hier wird<br />

Zement hergestellt.<br />

Das<br />

Unternehmen<br />

Heidelberg-<br />

Cement hat<br />

hohe <strong>Schulden</strong><br />

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26 | WIRTSCHAFT · kinderleicht WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009<br />

„Ihr werdet euch<br />

anstrengen müssen“<br />

Finanzminister Peer Steinbrück sprach im „Kinderleicht“-Interview mit vier Berliner<br />

Schülern Klartext: Die Neuverschuldung in diesem Jahr wird deutlich über 50 Milliarden<br />

Euro liegen. Für Steinbrück gibt es nur einen Weg aus der <strong>Schulden</strong>falle: Wachstum<br />

Der Auftritt von B<strong>und</strong>esfinanzminister<br />

Peer Steinbrück an diesem<br />

Tag ist schon Respekt einflößend:<br />

Begleitet von mehreren Bodyguards<br />

steigt er aus <strong>seine</strong>r gepanzerten<br />

Mercedes-Limousine, jemand<br />

ruft: „Der Minister kommt!“,<br />

<strong>und</strong> plötzlich steht die ganze Truppe<br />

in der Eingangshalle des B<strong>und</strong>esfinanzministeriums<br />

in Berlin.<br />

Zwar ließen sich Elina Gulko, 11,<br />

Witalina Kibelksties, 13, Robert<br />

May, 12, <strong>und</strong> Nezir Morina, 13, davon<br />

kurz beeindrucken. Doch spätestens<br />

nach dem Fototermin <strong>und</strong><br />

zu Beginn des eigentlichen Interviews<br />

hatten die vier Schüler der<br />

Klasse 7as des Berliner Lessing-<br />

Gymnasiums wieder zu altem<br />

Selbstbewusstsein zurückgef<strong>und</strong>en.<br />

Kritisch <strong>und</strong> auf den Punkt befragten<br />

sie Steinbrück. Dabei half<br />

den Kindern auch die intensive Vorbereitung:<br />

Reporterin Anette Dowideit<br />

war mehrmals in die Klasse<br />

gegangen <strong>und</strong> hatte mit den Schülern<br />

einen Fragenkatalog erarbeitet.<br />

Dann gab es zwei Proben, bei<br />

denen Ressortleiter Jörg Eigendorf<br />

den Finanzminister spielte.<br />

Witalina: Herr Minister, was haben<br />

Sie früher Ihren Kindern gesagt,<br />

wenn die mehr Geld ausgeben wollten,<br />

als sie Taschengeld hatten?<br />

Peer Steinbrück: Dann haben wir<br />

ihnen Geld geliehen. Aber sie mussten<br />

es immer zurückzahlen.<br />

Robert: Warum macht es der Staat<br />

nicht genauso <strong>und</strong> zahlt <strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong><br />

schneller zurück? Wir haben<br />

mehr als anderthalb Billionen Euro<br />

<strong>Schulden</strong>, weil wir immer mehr Geld<br />

ausgeben, als wir einnehmen.<br />

Steinbrück: Das liegt vor allem daran,<br />

dass die Bürger <strong>und</strong> Politiker<br />

so viel vom Staat fordern. Wollt ihr,<br />

dass die Straßen gut sind <strong>und</strong> die U-<br />

Bahn nicht zu teuer ist? Wollt ihr in<br />

schöne Schulen gehen? Wollt ihr,<br />

dass eure Eltern abends im Dunkeln<br />

sicher nach Hause kommen?<br />

(Die Kinder nicken) Seht ihr. Aber<br />

am liebsten wollen die Menschen<br />

für all das keine Steuern zahlen. Da<br />

gibt es eine Lücke – <strong>und</strong> das ist eben<br />

die Staatsverschuldung.<br />

Nezir: Sie sind als Sparminister gestartet<br />

<strong>und</strong> sind nun der <strong>Schulden</strong>minister.<br />

Bedrückt Sie das?<br />

Steinbrück: Ja, schon etwas. Wäre<br />

die Wirtschaft nicht weltweit in die<br />

Krise geraten, hätte ich das Ziel<br />

wohl erreicht, 2010 oder 2011 einen<br />

Haushalt ohne Neuverschuldung<br />

vorzulegen. Das wäre das erste Mal<br />

seit 1969 gewesen. Aber: Hätten wir<br />

in dieser Konjunkturkrise nichts<br />

tun sollen? Alles so lassen, wie es<br />

ist? Ich meine, wir waren gezwungen,<br />

so zu handeln.<br />

Robert: Warum zahlen Sie nicht<br />

einfach die ganzen <strong>Schulden</strong> auf einen<br />

Schlag zurück?<br />

Steinbrück: Woher soll ich das<br />

Geld denn nehmen? Ich habe es ja<br />

nicht unter meiner Matratze, sondern<br />

muss es bei den Bürgern einsammeln.<br />

Die Leute sind aber sowieso<br />

schon der Meinung, dass die<br />

Steuern viel zu hoch sind. Gleichzeitig<br />

sollen wir mehr für Forschung<br />

<strong>und</strong> Bildung ausgeben. Aber<br />

wie das alles gleichzeitig möglich<br />

sein soll, das sagt mir keiner.<br />

Nezir: Könnten Sie nicht die ganzen<br />

Stars fragen, ob sie mit ihrem Geld<br />

die <strong>Schulden</strong> bezahlen? Ich meine<br />

Heidi Klum oder Stefan Raab.<br />

Steinbrück: So viele Stars gibt es in<br />

Deutschland gar nicht, dass ich von<br />

denen genug Geld einsammeln<br />

könnte, um unsere <strong>Schulden</strong> zurückzuzahlen.<br />

Ich kann auch nicht<br />

die Steuern für die gesamte Bevölkerung<br />

anheben, denn dann sagen<br />

die Leute irgendwann: Ich ziehe<br />

weg, ich habe keine Lust mehr, in<br />

Deutschland zu leben. Deshalb ist<br />

unsere einzige Chance, dass wir die<br />

Wirtschaft wieder ankurbeln. Denn<br />

dann steigen die Steuereinnahmen<br />

wieder, ohne dass wir die Steuern<br />

anheben müssten.<br />

Robert: Aber die SPD will doch die<br />

Steuer für die Reichen erhöhen.<br />

Steinbrück: Wer ist denn eurer<br />

Meinung nach reich?<br />

Nezir: Das können Sie bestimmen.<br />

Steinbrück: (lacht) Wir bezeichnen<br />

jemanden als reich, wenn er als Alleinstehender<br />

mindestens 250 000<br />

Euro im Jahr verdient, als Ehepaar<br />

500 000. Künftig sollen es dann<br />

125 000 beziehungsweise 250 000<br />

Euro sein. Das ist schon nicht<br />

schlecht, oder? Ich finde, so jemand<br />

kann zwei Prozent mehr Steuern<br />

auf sein Einkommen verkraften.<br />

Nezir: Aber die Reichen haben doch<br />

für ihr Geld gearbeitet.<br />

Steinbrück: Stimmt, die meisten<br />

haben dafür Leistung erbracht.<br />

Und einige haben so viel Geld, weil<br />

sie ihr Vermögen gewinnbringend<br />

am Finanzmarkt angelegt haben.<br />

Dagegen ist gar nichts zu sagen.<br />

Aber sie sind stärker als andere <strong>und</strong><br />

es macht ihnen nichts aus, etwas<br />

mehr zu tragen als die Schwachen.<br />

Das nennt man Solidarität. Das ist<br />

wichtig in unserer Gesellschaft.<br />

Robert: Woher wissen Sie eigentlich,<br />

dass die Konjunkturpakete helfen,<br />

die Ihre Regierung aufgelegt hat?<br />

Steinbrück: Wir nehmen über 80<br />

Milliarden Euro in die Hand. So<br />

groß sind die Konjunkturpakete<br />

insgesamt. Den größten Teil davon<br />

investieren wir in kommunale Infrastruktur,<br />

das heißt zum Beispiel<br />

in den Bau von Schulen oder die<br />

Renovierung öffentlicher Gebäude.<br />

Das bringt Aufträge für Handwerker.<br />

Und wir versuchen, die Autobranche<br />

durch die Abwrackprämie<br />

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _<br />

„Deutschland ist<br />

eines der stärksten<br />

Länder. Wir werden<br />

die Krise meistern!“<br />

wieder in Gang zu bringen, damit<br />

die Firmen nicht ihre Leute auf die<br />

Straße setzen müssen. Zu guter<br />

Letzt geben wir dem Großteil der<br />

Bevölkerung wieder mehr Geld<br />

zum Einkaufen: Wir haben die<br />

Steuern <strong>und</strong> die Sozialabgaben etwas<br />

gesenkt <strong>und</strong> für jedes Kind einen<br />

Bonus von 100 Euro ausgezahlt.<br />

Robert: Die Hilfe für die Autoindustrie<br />

finde ich ungerecht. Von dieser<br />

Abwrackprämie haben nur die etwas,<br />

die sich ein Auto kaufen – aber<br />

alle Bürger müssen dafür bezahlen.<br />

Steinbrück: Die anderen Bürger<br />

haben auch was davon. Eine Krise<br />

der Autoindustrie würden nicht nur<br />

diejenigen merken, die in den Fabriken<br />

arbeiten, sondern auch viele<br />

Zulieferfirmen. Sie <strong>und</strong> ganze Regionen<br />

mit Handwerk <strong>und</strong> Gewerbe<br />

sind eine der wichtigsten Branchen<br />

in Deutschland.<br />

Nezir: Aber das Geld müssen Sie<br />

doch woanders einsparen?<br />

Steinbrück: Nein, in der Krise dürfen<br />

wir nicht sparen, dann würden<br />

wir sie noch verschlimmern. Richtigerweise<br />

müsste man aber, wenn es<br />

der Wirtschaft wieder besser geht,<br />

dieses zusätzlich aufgewendete<br />

Geld zurückzahlen. Das hat man<br />

aber in den vergangenen drei Jahrzehnten<br />

nicht gemacht – <strong>und</strong> das ist<br />

das eigentliche Problem.<br />

Elina: Müssen wir wegen der <strong>Schulden</strong><br />

mehr arbeiten als unsere Eltern?<br />

Steinbrück: Nein, ihr müsst darauf<br />

setzen, dass es mehr Wachstum gibt<br />

<strong>und</strong> aus diesem Wachstum eine Tilgung<br />

der Staatsschulden folgen<br />

kann. Das heißt, ihr werdet euch<br />

anstrengen müssen.<br />

Nezir: Kann es passieren, dass<br />

Deutschland irgendwann mal pleitegeht?<br />

Steinbrück: Nein, das hast du bestimmt<br />

aus einem Horrorfilm!<br />

Deutschland ist eines der stärksten<br />

Länder der Welt. Wir werden die<br />

Krise meistern!<br />

Robert: Was passiert, wenn wir immer<br />

mehr <strong>Schulden</strong> aufnehmen?<br />

Steinbrück: Man kann sich <strong>Schulden</strong><br />

leisten, wenn man das Geld für<br />

einen vernünftigen Zweck verwendet.<br />

Wenn man in Menschen <strong>und</strong><br />

Sachen investiert, die einem in Zukunft<br />

einen Gewinn oder Fortschritt<br />

bringen, dann sind <strong>Schulden</strong><br />

durchaus sinnvoll. Wenn man aber<br />

<strong>Schulden</strong> macht <strong>und</strong> sie nur in den<br />

Konsum steckt, zum Beispiel in<br />

Schokolade, dann sind sie schlecht.<br />

Nezir: Dann machen wir also jetzt<br />

schlechte <strong>Schulden</strong>?<br />

Steinbrück: Nein, eben nicht. Das<br />

Geld, das wir nun in neue Schulen<br />

stecken, wird uns noch lange nach<br />

diesem Konjunkturtief Erträge<br />

bringen.<br />

Nezir: Wie viele neue Kredite werden<br />

Sie dieses Jahr aufnehmen?<br />

Steinbrück: Extrem viel.<br />

Witalina: Wie viel genau?<br />

Steinbrück: Es werden netto deutlich<br />

über 50 Milliarden Euro sein.<br />

Dieses Jahr ist extrem. Wir erleben<br />

den größten Einbruch der Wirtschaft<br />

in der Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Die aktuellen Zahlen<br />

der Wirtschaftsforschungsinstitute<br />

zeigen, dass unsere Wirtschaftsleistung<br />

wohl um sechs Prozent fällt.<br />

Der Rekord war bisher ein Minus<br />

von 0,9 Prozent – das war 1975.<br />

Elina: Wann, glauben Sie, ist die<br />

Wirtschaftskrise denn zu Ende?<br />

Steinbrück: Das weiß ich nicht.<br />

Wenn du jemanden triffst, der das<br />

genau weiß, dann gib mir <strong>seine</strong>n<br />

Namen <strong>und</strong> <strong>seine</strong> Telefonnummer.<br />

Elina: Trauen Sie sich nicht mehr,<br />

Prognosen zu machen, weil Sie bis<br />

jetzt immer falschgelegen haben?<br />

Steinbrück: Prognosen kann man<br />

immer nur machen aufgr<strong>und</strong> der<br />

Informationen, die man hat. So einfach<br />

ist das.<br />

Elina: Sie haben vor wenigen Monaten<br />

noch gesagt, Deutschland werde<br />

2011 keine neuen <strong>Schulden</strong> mehr machen<br />

– <strong>und</strong> kürzlich haben Sie auch<br />

das wieder zurückgenommen.<br />

Steinbrück: Das habe ich damals<br />

auch geglaubt. Aber die Weltwirtschaft<br />

hat sich total verändert – das<br />

konnte niemand vorhersehen. Auch<br />

ich nicht.<br />

Witalina: Könnte Deutschland nicht<br />

Geld sparen, indem es die Gehälter<br />

der Politiker kürzt?<br />

Steinbrück: Nein, die Politiker verdienen<br />

nicht zu viel, sondern zu wenig.<br />

Ich zum Beispiel verdiene ungefähr<br />

9000 Euro netto im Monat.<br />

Das ist für die meisten Menschen<br />

ganz sicher sehr viel Geld. Aber im<br />

Verhältnis zu Leuten in der Wirtschaft<br />

oder Anwälten ist das wenig.<br />

Ich arbeite jeden Tag 14 oder 15<br />

St<strong>und</strong>en – fast die ganze Woche –<br />

<strong>und</strong> finde, dafür ist das Gehalt nicht<br />

zu hoch. Ich finde, auch Abgeordnete<br />

des B<strong>und</strong>estages müssten mehr<br />

verdienen. Denn dann wäre der Beruf<br />

des Politikers auch für Bürger<br />

interessant, die woanders viel mehr<br />

verdienen können. Zum Beispiel für<br />

Medizinprofessoren, Handwerksmeister<br />

oder Unternehmer.<br />

Witalina: Haben Sie eigentlich trotz<br />

der Krise noch Zeit für Ihre Familie?<br />

Steinbrück: Meine drei Kinder<br />

sind schon erwachsen. Zwei von ihnen<br />

wohnen in Berlin, da freue ich<br />

mich natürlich sehr, wenn ich sie sehe.<br />

Meine Frau lebt in Bonn, sie<br />

kommt öfters nach Berlin. Meine<br />

Arbeit ist aber schon ziemlich anstrengend.<br />

Gestern ging es bis Mitternacht.<br />

Heute habe ich dann um<br />

acht wieder angefangen.<br />

Elina: Sind Sie manchmal müde?<br />

Steinbrück: Meinst du, ob ich<br />

manchmal an meinem Schreibtisch<br />

einpenne?<br />

Elina: Nein, ich meine, ob Sie<br />

manchmal keine Lust mehr auf Ihre<br />

Arbeit haben.<br />

Steinbrück: (lacht) Das ist eine gefährliche<br />

Frage. Denn wenn ich sage,<br />

wie es manchmal in mir brodelt,<br />

könnten manche Leute falsche<br />

Rückschlüsse ziehen. Ja, gelegentlich<br />

bin ich total genervt. Es gibt<br />

Sitzungen, die so endlos sind, dass<br />

einem irgendwann der Po wehtut.<br />

Witalina: Fliegen Sie deshalb nicht<br />

zu dem wichtigen Treffen der Finanzminister<br />

in Washington?<br />

Steinbrück: Ihr meint die Reise im<br />

Frühjahr 2007? Nein, meine Frau<br />

hatte viele, viele Monate zuvor für<br />

die ganze Familie eine Reise nach<br />

Namibia vorbereitet <strong>und</strong> uns vom<br />

Erbe ihrer Mutter eingeladen. Und<br />

dann kam dieser Termin in Washington<br />

dazwischen. Da musste<br />

ich eine Entscheidung treffen: Fliege<br />

ich nach Washington, wo ich sowieso<br />

drei-, viermal im Jahr bin?<br />

Oder lasse ich meine Familie im<br />

Stich? Für mich war die Entscheidung<br />

klar. Manche Journalisten haben<br />

mich dann als „Safari-Minister“<br />

beschimpft. Ich kann euch sagen:<br />

Die habe ich mir sehr genau gemerkt.<br />

Witalina: Aber wir meinten eigentlich<br />

die Reise an diesem Wochenende.<br />

Die haben Sie wieder abgesagt.<br />

Steinbrück: Ach so. Das liegt daran,<br />

dass ich zu einem Landesparteitag<br />

der SPD fahre, um dort als<br />

B<strong>und</strong>estagsabgeordneter aufgestellt<br />

zu werden. Das ist in einer<br />

Demokratie wichtig. Ich habe meinen<br />

Finanzminister-Kollegen einen<br />

Brief geschrieben, in denen ich ihnen<br />

das erklärt habe. Sie haben alle<br />

dafür Verständnis. Übrigens haben<br />

wir uns erst vor drei Wochen in<br />

London getroffen <strong>und</strong> treffen uns in<br />

fünf Wochen wieder in Italien.<br />

Elina: Streiten Sie sich oft mit B<strong>und</strong>eskanzlerin<br />

Angela Merkel?<br />

Steinbrück: Nur, wenn es notwendig<br />

ist. Gerade in den letzten Monaten<br />

haben wir mit Blick auf die Finanzkrise<br />

aber viel gemeinsam hinbekommen,<br />

finde ich.<br />

Elina: Macht es Ihnen Spaß, sich zu<br />

streiten?<br />

Steinbrück: Ganz ehrlich: Manchmal<br />

ja.<br />

Witalina: Haben Sie deshalb die<br />

Schweizer mit Indianern verglichen?<br />

Steinbrück: Das habe ich gar nicht<br />

– aber das ist eine lange Geschichte.<br />

Es gibt eine Reihe von Ländern,<br />

Steueroasen, in die Deutsche gezielt<br />

ihr Geld bringen können, um<br />

die Steuern zu hinterziehen. Das ist<br />

nicht fair. Die Schweiz ist uns sehr<br />

wenig behilflich dabei, diesen Steuerhinterziehern<br />

auf die Schliche zu<br />

kommen. Steuerbetrug ist kriminell.<br />

Da verstehe ich keinen Spaß.<br />

Elina: Wollen Sie sich nicht trotzdem<br />

entschuldigen?<br />

Steinbrück: Nein, dazu gibt es keinen<br />

Gr<strong>und</strong>. Ich möchte, dass die<br />

Schweiz kooperativer wird <strong>und</strong> uns<br />

hilft, Kriminelle zu verfolgen.<br />

Robert: Ist dieser Streit mit der<br />

Schweiz schon der Beginn des Wahlkampfs?<br />

In diesem September ist ja<br />

B<strong>und</strong>estagswahl.<br />

Steinbrück: Nö, ich denke nicht immer<br />

an den Wahlkampf. Richtig ist<br />

aber, dass das Thema Steueroasen<br />

viele Menschen aufregt.<br />

Nezir: Glauben Sie, dass Sie nach<br />

der Wahl noch Finanzminister sind?<br />

Steinbrück: Das liegt nicht an mir,<br />

das entscheiden die Wähler.<br />

Witalina: Was würden Sie dann in<br />

der nächsten Legislaturperiode anders<br />

machen?<br />

Steinbrück: Nichts! Ich würde die<br />

Politik, die ich jetzt betreibe, fortsetzen.<br />

Sobald die Krise überw<strong>und</strong>en<br />

ist, würde ich wieder anfangen,<br />

die <strong>Schulden</strong> herunterzufahren.<br />

Robert: Ich hab’ neulich im Politbarometer<br />

gesehen, dass Sie der drittbeliebteste<br />

Politiker sind.<br />

Steinbrück: (greift Robert auf den<br />

Arm <strong>und</strong> grinst) Das w<strong>und</strong>ert mich<br />

gelegentlich auch.<br />

Aufgezeichnet von<br />

Anette Dowideit <strong>und</strong> Jörg Eigendorf<br />

+<br />

Vor dem großen Interview:<br />

Elina Gulko, 11, Witalina<br />

Kibelksties, 13, Robert May, 12,<br />

<strong>und</strong> Nezir Morina, 13, posieren<br />

im Foyer des B<strong>und</strong>esfinanzministeriums<br />

(großes Bild, von<br />

links) <strong>und</strong> anschließend beim<br />

Gruppenfoto mit dem Minister.<br />

Die Fragen hatte ihre Klasse, die<br />

7as des Berliner Lessing-<br />

Gymnasiums, gemeinsam<br />

ausgearbeitet (Bild ganz oben<br />

links). Das Gespräch fand am<br />

vergangenen Mittwoch im<br />

Besprechungszimmer Peer<br />

Steinbrücks statt (unten links)<br />

WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009 WIRTSCHAFT · kinderleicht | 27<br />

+<br />

RETO KLAR (7)<br />

Wem nützt schon ein<br />

Schuldner im Gefängnis?<br />

Erst moderne Gesellschaften bieten<br />

Menschen in finanzieller Not Hilfe an.<br />

Früher wurden sie oft einfach weggesperrt<br />

Die schlimmste Vorstellung für<br />

den Professor ist es, im Schuldgefängnis<br />

von Sainte-Pélagie zu landen,<br />

hinter dicken Mauern in den<br />

Straßen hinter dem Pariser Jardin<br />

des Plantes. Zu essen nur „eine<br />

Schale magerer Bouillon, in der etwas<br />

trockenes Gemüse schwimmt“,<br />

das erwartet die Insassen von<br />

Sainte-Pélagie, an Festtagen höchstens<br />

mit einem Fettauge versehen.<br />

Dieses wenige müssen viele von ihnen<br />

noch mit ihrer Familie teilen.<br />

Schon die Vorstellung, hinter diesen<br />

Mauern leben zu müssen,<br />

ohne die Aussicht,<br />

bald wieder herauszukommen,<br />

sie ist für einen lebensfrohen<br />

Mann noch<br />

„schlimmer als der Tod“.<br />

Fröhliches <strong>Schulden</strong>machen.<br />

Und lebensfroh ist<br />

der Mann, den sein Erfinder,<br />

der Schriftsteller Honoré<br />

de Balzac, „den Professor“<br />

nennt. Er liebt das<br />

Billardspiel <strong>und</strong> die Karten, er geht<br />

in den feinsten Restaurants von Paris<br />

essen. Aber er zahlt nicht. Der<br />

Professor dient Balzac als Beispiel<br />

für „die Kunst, <strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong> zu<br />

bezahlen“ – ohne dafür auch nur eine<br />

einzige Münze in die Hand zu<br />

nehmen. Balzacs Buch ist eine fröhliche<br />

Gebrauchsanweisung zum unbeschwerten<br />

<strong>Schulden</strong>machen,<br />

ganz ernst gemeint sind Ratschläge<br />

wie der folgende allerdings nicht:<br />

Wohne immer zur Straße hinaus,<br />

denn dann siehst du, wenn dein<br />

Gläubiger zu dir kommen will.<br />

Die wenigsten Schuldner im<br />

Frankreich des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

hatten die Unverfrorenheit des literarischen<br />

Vorbilds, viele mussten<br />

nach Sainte-Pélagie. Wer aber einmal<br />

im Schuldgefängnis sitzt, der<br />

kommt so schnell nicht heraus. Wer<br />

eingesperrt ist, der kann kein Geld<br />

verdienen. Das aber braucht, wer<br />

essen <strong>und</strong> trinken will, wer eine Familie<br />

zu versorgen hat; wer Geborgtes<br />

zurückzahlen will, umso mehr.<br />

Ein Teufelskreis für den Schuldner.<br />

Der Gläubiger bekommt zwar<br />

so sein Geld sicher nicht wieder. Im<br />

Gegenteil, er musste in Frankreich<br />

zur Zeit des Professors sogar für<br />

den Unterhalt des Schuldners aufkommen.<br />

Was hatte er nur davon,<br />

dass der hinter Gittern saß?<br />

Nutzlose Haft. Keine Antwort darauf<br />

fand schon 100 Jahre vor Balzacs<br />

Ratschlägen der englische<br />

Schriftsteller Samuel Johnson: „Es<br />

ist fruchtlos, eine Institution beizubehalten,<br />

die aller Erfahrung nach<br />

wenig wirksam ist. Wir haben ganze<br />

Generationen von Schuldnern in<br />

Gefängnisse gesteckt, können aber<br />

nicht feststellen, dass ihre Zahl sich<br />

verringert hätte“, schreibt er. Warum<br />

aber haben das die Zeitgenossen<br />

nicht erkannt?<br />

Zu einem Geschäft wie einem<br />

Kauf, Tausch oder Kredit gehören<br />

seit jeher zwei Parteien, eine, die<br />

nimmt, <strong>und</strong> eine, die gibt. Eine, die<br />

Geld verleiht, eine, die es ausborgt.<br />

Es war für Menschen seit jeher eine<br />

Frage der Gerechtigkeit, Dinge zurückzugeben<br />

– <strong>und</strong> für das Zusammenleben<br />

von Menschen stellte<br />

sich die Frage: Was tut die Gemeinschaft,<br />

wenn eine Partei ihren Teil<br />

des Handels nicht erfüllt? Justitia,<br />

die römische Göttin der Gerechtigkeit,<br />

wird meist mit einer Waage<br />

dargestellt, als Symbol des Ausgleichs.<br />

Aber auch ein Schwert hat<br />

sie in der Hand: Ohne Druckmittel<br />

ist die Göttin machtlos. Wie viel<br />

Druck ist erlaubt? Anders: Wie teuer<br />

muss ein Mensch bezahlen, der<br />

<strong>seine</strong> Schuld nicht begleicht?<br />

Das Recht Babylons. Gehen wir ein<br />

paar Tausend Jahre zurück: Der Codex<br />

Hammurabi ist eine der ältesten<br />

bis heute erhaltenen Gesetzessammlungen<br />

der Welt. Der Codex<br />

ist ein über zwei Meter hoher dunkler<br />

Steinkoloss, über <strong>und</strong> über mit<br />

Inschriften versehen. Heute steht<br />

er im Museum, im Louvre in Paris.<br />

Die Sammlung von Gesetzen,<br />

die auf ihm eingraviert<br />

ist, regelte das Zusammenleben<br />

der Menschen unter der<br />

Herrschaft des Königs Hammurabi<br />

in Babylon, der 1750<br />

vor Christus starb.<br />

Das Gerechtigkeitsempfinden<br />

des Königs lässt<br />

sich am besten mit dem<br />

Prinzip der sogenannten<br />

Spiegelstrafe beschreiben:<br />

Von<br />

Florian Eder<br />

Wie du mir, so ich dir, lautet es verkürzt,<br />

Auge um Auge, Zahn um<br />

Zahn. Zum Thema Schuldner heißt<br />

es darin, dass ein verschuldeter<br />

Mann dem Gläubiger etwas Wertvolles<br />

als Pfand geben musste. Was<br />

aber hat ein armer Mann? Er verpfändete<br />

<strong>seine</strong> Frau <strong>und</strong> <strong>seine</strong> Kinder<br />

<strong>und</strong> bekam sie erst wieder,<br />

wenn er <strong>seine</strong> Rechnung beglich.<br />

Geschuldetes Geld war ein Menschenleben<br />

wert.<br />

Sogar sich selbst konnte ein verschuldeter<br />

Mann als sogenannten<br />

Schuldsklaven zur Verfügung<br />

stellen <strong>und</strong> für den<br />

Gläubiger arbeiten. Das<br />

traf die Familie nicht weniger<br />

hart – wer sollte den<br />

Armen wieder auslösen?<br />

Es ist ein Recht, das uns<br />

heute grausam vorkommt.<br />

Wir können aber<br />

davon ausgehen, dass der<br />

Codex schon eine Verbesserung<br />

darstellte – immerhin<br />

legte er Strafen<br />

von staatlicher Seite fest <strong>und</strong> überließ<br />

sie nicht allein der Rache des<br />

Geschädigten.<br />

Moderne Sklaven. Gedanklich ist es<br />

nicht weit von der Schuldsklaverei<br />

in Babylon zurück ins Frankreich<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. In <strong>seine</strong>m Roman<br />

„Germinal“ schildert Émile<br />

Zola den erbarmungswürdigen Alltag<br />

der Menschen in einem Bergarbeiterdorf<br />

im Norden Frankreichs:<br />

Dreckig ist es in dem Dorf, <strong>und</strong><br />

schmutzig benehmen sich die Herren<br />

der Bergbaugesellschaft: Offiziell<br />

sind sie nur die Arbeitgeber der<br />

Menschen. Aber weil ihnen hier alles<br />

gehört, leben die Arbeiter tatsächlich<br />

wie Schuldsklaven: Sie<br />

müssen Lebensmittel <strong>und</strong> alles,<br />

was sie zum Leben brauchen, bei<br />

der Gesellschaft kaufen – zu Preisen,<br />

die sie nie <strong>und</strong> nimmer abarbeiten<br />

können.<br />

Diese Art der Schuldsklaverei<br />

konnte auch entstehen, weil Arbeitskraft<br />

in Europa billig, überall<br />

zu haben <strong>und</strong> leicht zu ersetzen war.<br />

Massenhaft zogen die Menschen in<br />

die bald übervölkerten Städte, der<br />

Arbeit hinterher, die sich am Ende<br />

doch nicht lohnte. Die billige Arbeit<br />

ist auch ein Gr<strong>und</strong>, warum Schuldgefängnisse<br />

wie in Paris im Gr<strong>und</strong>e<br />

ein europäisches Phänomen blieben:<br />

Amerika, die Neue Welt, nahm<br />

starke <strong>und</strong> tatkräftige Auswanderer<br />

gern auf, brauchte tüchtige Arbeiter.<br />

Welchen Sinn sollte es in einer<br />

Gesellschaft wie den jungen USA<br />

haben, jemanden einzusperren,<br />

weil er <strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong> nicht zahlen<br />

konnte? Wer <strong>Schulden</strong> hatte, bekam<br />

die Chance, Geld zu verdienen <strong>und</strong><br />

sie zurückzahlen zu können.<br />

Geld ist kein Leben wert. Heute<br />

muss in Deutschland niemand<br />

mehr allein wegen <strong>seine</strong>r <strong>Schulden</strong><br />

ins Gefängnis. Wer nicht zahlen<br />

kann, den besucht der Gerichtsvollzieher.<br />

Wenn jemand aussichtslos<br />

überschuldet ist, kann eine sogenannte<br />

Privatinsolvenz helfen, die<br />

einen Ausweg zeigt. Geld ist uns<br />

Geld wert – <strong>und</strong> nicht mehr.<br />

Warum werden Banker<br />

so oft als die Bösen<br />

dargestellt?<br />

FEINDBILD GELDVERLEIHER<br />

A Die Finanzkrise hat ein Feindbild<br />

zu neuem Leben erweckt:<br />

das des gierigen Bankers. Das<br />

hat Geschichte: Schon im Mittelalter<br />

waren Geldverleiher unbeliebt,<br />

weil sie nicht von ihrer<br />

Hände Arbeit lebten, sondern<br />

von Zinsen – vom Geld anderer<br />

Leute also. So wurden sie wie im<br />

Schlaf reich – unrechtmäßig, so<br />

die Vorstellung der Menschen.<br />

KRITIK AN ÜBERTREIBUNG<br />

A Langsam verbesserte sich das<br />

Bild der Geldverleiher – weil<br />

ohne Kredite die Wirtschaft<br />

nicht wuchs. In Siena in<br />

der Toskana entstand im<br />

15. Jahrh<strong>und</strong>ert die<br />

Banca Monte dei Paschi,<br />

die als die älteste<br />

überlebende Bank der<br />

Welt gilt. Was auch bis<br />

heute überlebt hat, ist<br />

die Kritik am Streben<br />

nach kurzfristigen,<br />

hohen Gewinnen.


28 | WIRTSCHAFT · kinderleicht WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009<br />

Von Anette Dowideit<br />

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _<br />

Auf den ersten Blick ist er nicht<br />

zu erkennen, der <strong>Schulden</strong>berg, auf<br />

dem Markus Jäger sitzt. Der 48-Jährige<br />

<strong>und</strong> sein zwölfjähriger Sohn<br />

Fabian leben in einem ruhigen Vorort<br />

von Köln, in einem hübschen<br />

Mehrfamilienhaus mit Vorgarten.<br />

Sie haben eine liebevoll eingerichtete<br />

Dreizimmerwohnung. Markus<br />

Jägers Fre<strong>und</strong>in, die gleich um die<br />

Ecke wohnt, hat ihnen bei der Einrichtung<br />

geholfen. Sie hat in allen<br />

Zimmern die Wände bunt gestrichen<br />

<strong>und</strong> im Schlafzimmer sogar eine<br />

Kuschelecke für die zehnjährige<br />

Tochter Jennie eingerichtet, die jedes<br />

zweite Wochenende zu Besuch<br />

kommt. Im Wohnzimmer der Familie<br />

steht ein großer Flachbildfernseher.<br />

„Das ist aber nicht unserer, er ist<br />

von meiner Fre<strong>und</strong>in ausgeliehen“,<br />

sagt Markus Jäger mit Bedauern in<br />

der Stimme. Er serviert den Besuchern<br />

Kaffee <strong>und</strong> zündet sich dann<br />

eine Zigarette an. Es ist die erste<br />

von vielen an diesem Abend. „Rauchen<br />

ist das Einzige, das ich mir<br />

gönne“, sagt er. „Ich bilde mir ein,<br />

dass das die Nerven beruhigt.“ Obwohl<br />

er natürlich weiß, dass es das<br />

Gegenteil bewirkt. Alkohol trinke<br />

er so gut wie nie, das sei viel zu teuer,<br />

sagt er. Auch essen gehen oder<br />

einen Besuch im Schwimmbad mit<br />

<strong>seine</strong>n Kindern könne er sich nur<br />

sehr selten leisten. Und das, obwohl<br />

er jeden Morgen um vier Uhr<br />

aufsteht <strong>und</strong> arbeiten geht, als Lastwagenfahrer<br />

für eine Kölner Getränkefirma.<br />

Überschuldet durch Scheidung.<br />

Markus Jäger ist pleite. Schuld daran<br />

sind Kredite, die er vor vielen<br />

Jahren aufgenommen hat. Einer für<br />

ein neues Auto, einen Ford Mondeo.<br />

Einer, um Möbel für das Kinderzimmer<br />

zu kaufen. Einer für das<br />

Wohnzimmer. Und so weiter. Insgesamt<br />

hat er mehr als 26 000 Euro<br />

<strong>Schulden</strong>. Ein Problem wurde das,<br />

als <strong>seine</strong> Frau ihn verließ. Vor drei<br />

Jahren wurde die Ehe geschieden.<br />

Nun müssen sie zwei Wohnungen<br />

bezahlen anstatt einer, zweimal<br />

Heizkosten, zweimal Telefon.<br />

Dazu kommt, dass Jäger weniger<br />

verdient als früher. Er muss früher<br />

von der Arbeit nach Hause kommen,<br />

um sich nachmittags um <strong>seine</strong>n<br />

Sohn zu kümmern. Das tat früher<br />

die Mutter. Alles zusammen hat<br />

dazu geführt, dass Jäger <strong>seine</strong> monatlichen<br />

Zahlungen für den Kredit<br />

nicht mehr schaffte <strong>und</strong> die Bank<br />

ihr Geld zurückwollte. Dem Vater<br />

ist das peinlich. Von <strong>seine</strong>n Arbeitskollegen<br />

soll niemand davon erfahren.<br />

Deshalb sind die Namen der<br />

Familie in diesem Artikel geändert.<br />

<strong>Schulden</strong> sind tabu. Ein solches<br />

Schamgefühl ist typisch für Menschen,<br />

die pleite sind. Es gibt nur<br />

wenige bekannte Fälle von Prominenten,<br />

die Geldsorgen haben. Darunter<br />

ist der Unternehmer Franjo<br />

Pooth, der Ehemann von Verona<br />

Pooth. <strong>Schulden</strong> sind ein Tabu, in<br />

Deutschland noch mehr als in anderen<br />

Ländern. Wer überschuldet ist,<br />

wird sogar öfter krank. Die Universität<br />

Mainz hat herausgef<strong>und</strong>en,<br />

dass 80 Prozent der Deutschen, die<br />

bei einer Schuldnerberatung Hilfe<br />

suchen, unter Depressionen oder<br />

anderen Krankheiten leiden.<br />

Das mag damit zusammenhängen,<br />

dass Überschuldete von der<br />

Gesellschaft oft als Verlierer angesehen<br />

werden, sagt einer, der sich<br />

mit dem Thema auskennt: Attila<br />

von Unruh, Unternehmer aus Rup-<br />

Der Countdown läuft. Nur<br />

noch zwei Minuten, dann wird feststehen,<br />

wer Deutschland heute die<br />

gewaltige Summe von sechs Milliarden<br />

Euro leihen wird. Dann entscheidet<br />

sich auch, was der Staat<br />

dafür bezahlen muss. In einem<br />

Raum der Finanzagentur des B<strong>und</strong>es<br />

in Frankfurt hat sich um kurz<br />

vor elf Uhr an diesem Morgen eine<br />

Handvoll Männer um zwei Bildschirme<br />

herum versammelt <strong>und</strong><br />

blickt gespannt darauf.<br />

Wie bei Ebay. Bis kurz vor Ende der<br />

Versteigerung trudeln kaum Gebote<br />

ein, dann geht plötzlich alles ganz<br />

schnell. Ständig leuchten neue Zahlen<br />

auf den beiden Monitoren auf:<br />

wie viel Geld, zu welchem Preis.<br />

Mehr als 20 Banken wollen heute<br />

der B<strong>und</strong>esregierung Geld leihen.<br />

Dann ist es elf Uhr. Alle Gebote<br />

sind da, ordentlich aufgelistet in einer<br />

Tabelle. Die Männer hinter den<br />

Monitoren tauschen sich kurz aus.<br />

Sachlich geht es zu. Vertreter der<br />

Geldsorgen belasten die Seele<br />

Menschen, die überschuldet sind, gelten als Verlierer. Die Betroffenen schämen sich, sie schweigen, viele<br />

werden vor Kummer krank. Ein Vater <strong>und</strong> sein Sohn erzählen, wie das Leben weitergeht<br />

Attila von Unruh hat die Anonymen<br />

Insolvenzler erf<strong>und</strong>en<br />

Bei den Jägers gibt es oft Nudeln zum<br />

Essen. Sohn Fabian wünscht sich<br />

neue Turnschuhe<br />

Diese Männer <strong>und</strong> Frauen besorgen für Deutschland Geld<br />

B<strong>und</strong>esbank <strong>und</strong> des Finanzministeriums<br />

sind per Telefon zugeschaltet.<br />

Um 11.03 Uhr sagt der Chefhändler:<br />

„Das Ergebnis steht zur<br />

Zuteilung bereit.“<br />

Ein Druck<br />

auf die „Enter“-<br />

Taste des Computers,<br />

<strong>und</strong> in<br />

die Staatskassen<br />

fließen die Milliarden. <br />

Voraussichtlich<br />

noch 42-mal<br />

wird sich die<br />

Prozedur dieses<br />

Jahr wiederho-<br />

len, immer montags oder mittwochs.<br />

Auch der Ort ist immer der<br />

gleiche: ein Zimmer im ersten Stock<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland –<br />

Finanzagentur GmbH, wie sie offiziell<br />

heißt. Dort sitzen die <strong>Schulden</strong>manager<br />

des Staates.<br />

Gewissen des Ministers. Die 340<br />

Mitarbeiter sorgen dafür, dass<br />

Deutschland immer genug Geld<br />

hat. Ihre Aufgabe ist auch, darauf<br />

zu achten, dass Deutschland nicht<br />

zu hohe Zinsen für <strong>seine</strong> Kredite<br />

bezahlt. „Wir sind das gute Gewissen<br />

des B<strong>und</strong>esfinanzministers“,<br />

sagt Carsten Lehr, einer der beiden<br />

Chefs der Agentur.<br />

Beliebter Schuldner. Banken geben<br />

Deutschland lieber Kredit als beispielsweise<br />

Italien oder Griechenland.<br />

Sie sind sich sicher, dass die<br />

B<strong>und</strong>esregierung das geliehene<br />

Geld, plus Zinsen, pünktlich wieder<br />

zurückzahlt. Dies kann nach drei<br />

Monaten oder nach 30 Jahren sein,<br />

wie es eben abgemacht ist. Die Kreditgeber<br />

bekommen in der Zwischenzeit<br />

als Gegenwert für ihr<br />

Geld Wertpapiere. Je nachdem wie<br />

schnell der Staat die <strong>Schulden</strong> zurückzahlen<br />

muss, heißen diese<br />

B<strong>und</strong>esschatzanweisungen, B<strong>und</strong>esobligationen<br />

oder B<strong>und</strong>esanleihen.<br />

In diesem Jahr zahlt die Finanzagentur<br />

alte Anleihen im Wert<br />

von 252 Milliarden Euro zurück<br />

<strong>und</strong> gibt neue mit einem Volumen<br />

von 346 Milliarden Euro aus. Insgesamt<br />

hat der B<strong>und</strong> mehr als eine<br />

Billion Euro <strong>Schulden</strong>, das ist eine<br />

Zahl mit zwölf Nullen.<br />

Angesichts dieser gewaltigen<br />

Summe wird deutlich, dass es für<br />

die Finanzagentur um jede Stelle<br />

hinter dem Komma geht, um dem<br />

Staat Zinsen zu sparen. „Die Zinslast<br />

liegt in diesem Jahr insgesamt<br />

bei 40 Milliarden Euro“, sagt Carl<br />

Heinz Daube, der zweite Agentur-<br />

Chef. Daube ist viel auf Reisen. Wie<br />

<strong>seine</strong> sechs Händler muss er ständig<br />

wissen, wie groß das Interesse<br />

an B<strong>und</strong>eswertpapieren ist. Zuletzt<br />

hatte die Finanzagentur keine Probleme,<br />

Abnehmer zu finden. Um<br />

beispielsweise bis 2019 Geld zu bekommen,<br />

musste sie nicht einmal<br />

drei Prozent an jährlichen Gebühren<br />

bieten. Andere Schuldner müssen<br />

viel mehr bezahlen. So soll es<br />

auch sein: Die Finanzagentur hat<br />

den Auftrag, durch kluges Vorgehen<br />

die Kosten für die Kreditaufnahme<br />

bis 2014 um 500 bis 750 Millionen<br />

Euro zu senken. Deshalb wurde sie<br />

2001 gegründet. Professioneller<br />

wollte der Staat mit <strong>seine</strong>n <strong>Schulden</strong><br />

umgehen. Denn bis dahin war<br />

die Arbeit im Finanzministerium<br />

nur nebenher erledigt worden.<br />

Kleiner Bieterkreis. Längst nicht jede<br />

Bank darf sich darum bewerben,<br />

Deutschland Geld zu leihen. Nur 28<br />

Kreditinstitute aus dem In- <strong>und</strong><br />

Wegschauen, wenn<br />

die Rechnungen<br />

kommen, hilft nichts<br />

JUDITH WAGNER (2);GETTY<br />

dass es hilft, sich mit anderen Betroffenen<br />

über <strong>seine</strong> Probleme mit<br />

den <strong>Schulden</strong> auszutauschen. Doch<br />

er fand keine Veranstaltungen, auf<br />

denen sich Überschuldete trafen.<br />

Deshalb gründete er vor eineinhalb<br />

Jahren die Anonymen Insolvenzler.<br />

Der Name klingt absichtlich so ähnlich<br />

wie der der Anonymen Alkoholiker.<br />

Denn beide Vereine haben gemeinsam,<br />

dass man sich dort regelmäßig<br />

mit anderen Menschen treffen<br />

kann, die das gleiche Problem<br />

haben, <strong>und</strong> dass das Besprochene<br />

ein Geheimnis der Teilnehmer<br />

bleibt. In den vergangenen drei Monaten<br />

haben, wahrscheinlich wegen<br />

der Wirtschaftskrise, viel mehr<br />

Leute als sonst die Internetseite<br />

des Vereins besucht (www.anonyme-insolvenzler.de).<br />

Praktische Tipps. Es gibt mittlerweile<br />

Gesprächskreise in Köln,<br />

Hamburg <strong>und</strong> München. Die Teilnehmer<br />

helfen sich gegenseitig<br />

nicht nur, mit der Scham umzugehen<br />

<strong>und</strong> mit dem Gefühl, ein Versager<br />

zu sein. Sie geben einander auch<br />

viele praktische Tipps: Wie schafft<br />

es eine kleine Firma, trotz Geldmangels<br />

ihre Angestellten weiter zu<br />

bezahlen? An welchen Stellen kann<br />

man sparen? Was ist eigentlich eine<br />

Privatinsolvenz?<br />

Ausland haben die Erlaubnis. Darunter<br />

sind so bekannte Namen wie<br />

die Deutsche Bank, die Commerzbank<br />

oder die Barclays Bank. Sie<br />

wissen schon am Anfang eines Jahres,<br />

welche Wertpapiere des Staates<br />

zum Verkauf stehen – also zu<br />

welchen Zeitpunkten der B<strong>und</strong><br />

Geld braucht <strong>und</strong> für wie lange.<br />

Braucht der Staat dann doch noch<br />

mehr Geld, wie beispielsweise in<br />

diesen Wochen, kann der Terminplan<br />

ergänzt werden. Dabei ist<br />

Auch Markus Jäger musste sich,<br />

ob er wollte oder nicht, ernsthaft<br />

mit solchen Dingen auseinandersetzen.<br />

„Ich bekam einen Anruf von<br />

meiner Bank, weil ich nicht mehr<br />

mit den Raten für meinen Kredit<br />

nachkam“, erzählt er, während er<br />

mit <strong>seine</strong>m Sohn Fabian am Esstisch<br />

sitzt, für das Foto posiert <strong>und</strong><br />

noch eine Zigarette raucht. „Die haben<br />

mich zur Schuldnerberatung<br />

Köln geschickt. Der Berater dort<br />

hat mir nahegelegt, Verbraucherinsolvenz<br />

anzumelden.“<br />

Hilfe nach Plan. Dabei einigt sich<br />

der Verschuldete mit allen <strong>seine</strong>n<br />

Gläubigern – also den Menschen<br />

oder Firmen, denen er Geld schuldet<br />

– darauf, wie viel er pro Monat<br />

abstottern kann. Die Gläubiger<br />

kommen dem Überschuldeten in<br />

der Regel entgegen, indem sie auf<br />

einen Teil der Rückzahlungen verzichten.<br />

Zum Verfahren gehört,<br />

dass ein Schuldnerberater oder ein<br />

Rechtsanwalt einen Plan aufstellt.<br />

Darin steht, wie viel Vermögen der<br />

Verschuldete hat, was er jeden Monat<br />

verdient <strong>und</strong> wie viel Geld er<br />

zum Leben braucht. Er bekommt<br />

nur einen Teil <strong>seine</strong>s Gehalts ausgezahlt.<br />

Der Rest wird gleichmäßig<br />

auf die Gläubiger verteilt. Nach<br />

sechs Jahren können ihm die restlichen<br />

<strong>Schulden</strong> endgültig erlassen<br />

werden. Diese Regelung soll den<br />

Betroffenen einen Neuanfang ermöglichen.<br />

„Ich habe erst nichts von der Idee<br />

mit der Verbraucherinsolvenz gehalten“,<br />

sagt Jäger. „Ich kam mir vor<br />

wie ein Betrüger.“ Schließlich<br />

mussten die Firmen, denen er Geld<br />

schuldete, teilweise auf die Rückzahlungen<br />

verzichten. „Ich finde eigentlich,<br />

man kann nicht Geld leihen<br />

<strong>und</strong> dann nachher sagen: Sorry,<br />

aber ich kann es mir nicht leisten, es<br />

zurückzugeben.“<br />

Allerdings hätten viele andere<br />

Schuldner eine andere Einstellung,<br />

ist sein Eindruck. „Ich war mehrmals<br />

bei Vorträgen der Schuldnerberatung,<br />

wo noch 100 oder mehr<br />

andere Verschuldete saßen. Da<br />

wurden Fragen gestellt, das können<br />

Sie sich gar nicht vorstellen“, sagt<br />

er. „Die Leute wollten wissen, wie<br />

viele Fernseher sie behalten dürfen,<br />

wenn sie Insolvenz anmelden. Oder<br />

ob ihnen das Auto aus der Garage<br />

weggepfändet werden kann.“ Ein<br />

schlechtes Gewissen habe dort<br />

kaum jemand gezeigt.<br />

Essen von Aldi. Trotz <strong>seine</strong>r Bedenken<br />

entschloss sich Jäger, Insolvenz<br />

anzumelden. Denn es kam ein weiteres<br />

Problem hinzu: Sein Arbeitgeber<br />

bezahlte <strong>seine</strong>n Lohn nur noch<br />

unregelmäßig. Die Geldnot wurde<br />

einfach zu groß. Nun leben er <strong>und</strong><br />

sein Sohn von 1430 Euro im Monat,<br />

das ist der festgelegte Betrag für einen<br />

alleinerziehenden Vater mit einem<br />

Kind. Der Rest <strong>seine</strong>s Gehalts<br />

geht an den Insolvenzverwalter.<br />

Von diesem Geld zu leben ist<br />

nicht leicht. Der größte Teil geht für<br />

die Miete drauf. Eingekauft wird<br />

bei Aldi, zum Abendessen gibt es<br />

meistens Spaghetti. Ein großer<br />

Ausgabenposten sind die Zigaretten.<br />

Jäger gibt dafür jeden Monat<br />

300 Euro aus. Über das Rauchen<br />

gibt es öfter Streit zwischen Vater<br />

<strong>und</strong> Sohn. „Ich will, dass Papa weniger<br />

raucht. Weil es unges<strong>und</strong> ist<br />

<strong>und</strong> viel kostet“, sagt Fabian. Das<br />

Geld könne man anderswo besser<br />

anlegen, meint er. Er wünscht sich<br />

ein Paar Chucks-Turnschuhe. Für<br />

Vater Markus zu teuer. „Die kosten<br />

39 Euro, das finde ich unverschämt<br />

für ein Paar Kinderschuhe.“<br />

Die Finanzagentur des B<strong>und</strong>es nimmt für die Regierung <strong>Schulden</strong> auf. Dafür versteigert sie Wertpapiere. Wenn sie es gut macht, spart der Staat viel Geld<br />

Von Karsten<br />

Seibel<br />

pichteroth bei Bonn. Er war vor<br />

Jahren selbst pleite, <strong>und</strong> er sagt:<br />

„Im Wort <strong>Schulden</strong> steckt Schuld –<br />

<strong>und</strong> das zeigt die Haltung der Gesellschaft.<br />

Dabei sind viele Menschen<br />

ohne eigenes Zutun in diese<br />

Situation geraten.“<br />

Unverschuldet pleite. Nicht jeder,<br />

der unter einem <strong>Schulden</strong>berg zusammenbricht,<br />

hat sich vorher von<br />

der Bank Geld für ein neues Auto<br />

oder einen schönen Urlaub geliehen<br />

<strong>und</strong> mehr ausgegeben, als er verdient,<br />

erklärt von Unruh. „Gerade<br />

jetzt in der Wirtschaftskrise gibt es<br />

häufig Fälle von Firmenbesitzern,<br />

die unverschuldet zahlungsunfähig<br />

werden. Das kann zum Beispiel<br />

passieren, weil die Firmen zwar ihre<br />

Ware pünktlich an die K<strong>und</strong>en<br />

liefern, die K<strong>und</strong>en aber nicht<br />

pünktlich bezahlen.“ Dann stecken<br />

manche Firmenbesitzer ihr eigenes<br />

Gespartes ins Unternehmen. Und<br />

zwar so lange, bis kein Geld mehr<br />

da ist. Am Ende haben sie nichts<br />

mehr auf ihrem Konto, die Telefonfirma<br />

kündigt ihnen den Handyvertrag<br />

– <strong>und</strong> manche verlieren sogar<br />

ihre Wohnung, weil sie die Miete<br />

nicht mehr bezahlen können.<br />

Etwas Ähnliches ist Attila von<br />

Unruh vor Jahren mit <strong>seine</strong>r Firma<br />

passiert. Und er stellte damals fest,<br />

Wieso geben Banken<br />

verschuldeten Menschen<br />

immer weiter Geld?<br />

BONITÄT<br />

A Jeder Mensch hat unterschiedlich<br />

viel Geld. Viel hängt<br />

von dem Beruf ab, den jemand<br />

ausübt – <strong>und</strong> davon, ob er überhaupt<br />

einen Arbeitsplatz hat.<br />

Die Gehälter sind sehr verschieden.<br />

Viele Menschen haben<br />

aber auch zusätzlich Vermögen<br />

– zum Beispiel ein eigenes<br />

Haus, angespartes oder<br />

geerbtes Geld auf dem Sparkonto.<br />

Vom Einkommen, dem<br />

Vermögen <strong>und</strong> dem Verhalten<br />

eines Bürgers in der Vergangenheit<br />

– hat er bisher immer<br />

pünktlich geliehenes Geld zurückgezahlt?<br />

– hängt die sogenannte<br />

Bonität oder auch<br />

Kreditwürdigkeit ab. Die Banken<br />

rechnen sich dabei aus: Was<br />

passiert, wenn wir diesem K<strong>und</strong>en<br />

Geld leihen <strong>und</strong> er <strong>seine</strong><br />

Raten einmal nicht zurückzahlen<br />

sollte? Je niedriger die<br />

Bonität des K<strong>und</strong>en, desto höher<br />

ist das Risiko für die Banken,<br />

ihr Geld nie wiederzusehen.<br />

Im Handelssaal der Finanzagentur<br />

besorgt die Regierung ihre Kredite<br />

+<br />

JUDITH WAGNER (2), MICHAEL DILGER<br />

INTERESSE DER BANKEN<br />

A Trotzdem vergeben viele<br />

Geldverleiher Kredite auch an<br />

Menschen mit einer niedrigen<br />

Bonität. Das höhere Risiko<br />

lassen sie sich von den Betroffenen<br />

ausgleichen. Denn für<br />

diese Schuldner sind Kredite<br />

teurer, sie müssen mehr Zinsen<br />

zahlen als Menschen mit hoher<br />

Kreditwürdigkeit. Die Banken<br />

verdienen also unter Umständen<br />

gut an den Leuten <strong>und</strong> haben<br />

deshalb ein Interesse daran,<br />

dass K<strong>und</strong>en <strong>Schulden</strong> machen.<br />

Für hoch verschuldete Menschen<br />

entsteht häufig ein Teufelskreislauf:<br />

Je größer ihr<br />

<strong>Schulden</strong>berg ist, desto weiter<br />

sinkt die Bonität. Weil sie insgesamt<br />

immer mehr Zinsen<br />

zurückzahlen müssen, kommen<br />

sie irgendwann in Zahlungsnot.<br />

<strong>Schulden</strong>manager: Carsten Lehr<br />

(links) <strong>und</strong> Carl Heinz Daube<br />

Wert-„Papiere“ eigentlich das falsche<br />

Wort. Denn die früher oft aufwendigen<br />

Urk<strong>und</strong>en gibt es schon<br />

seit den 70er-Jahren nicht mehr.<br />

Riesige Datei. Alles läuft elektronisch.<br />

Weshalb es auch keine großen<br />

Lastwagen gibt, die umherfahren<br />

<strong>und</strong> bei den Banken das Geld<br />

einsammeln. Stattdessen werden<br />

die Kredite im B<strong>und</strong>esschuldbuch<br />

eingetragen. Auch das ist natürlich<br />

kein Buch mit Seiten, sondern eine<br />

riesige Computerdatei. Hier ist alles<br />

vermerkt: wie viele Schatzbriefe,<br />

Obligationen <strong>und</strong> Anleihen der<br />

B<strong>und</strong> ausgegeben hat, wann die Beträge<br />

zurückgezahlt werden müssen.<br />

Die Banken verkaufen den<br />

größten Teil der Kredite weiter.<br />

Zum Beispiel an andere Banken<br />

oder Versicherungen, die sie dann<br />

teilweise noch einmal weitergeben.<br />

So kann es sein, dass auch normale<br />

Bürger Wertpapiere am Staat halten<br />

– mit anderen Worten: Deutschland<br />

Geld leihen.


WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009 WIRTSCHAFT · kinderleicht | 29<br />

Der strenge Herr Günther treibt Geld ein<br />

Wer <strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong><br />

nicht bezahlen kann,<br />

zu dem kommt<br />

irgendwann der<br />

Gerichtsvollzieher.<br />

Der kann pfänden<br />

<strong>und</strong> mitnehmen, was<br />

in der Wohnung<br />

noch einen Wert hat.<br />

Oft findet er nicht<br />

viel. Wie bei einem<br />

Ortstermin in Berlin<br />

Es ist halb neun Uhr morgens,<br />

Christian Günther sitzt in <strong>seine</strong>m<br />

Büro im Amtsgericht Berlin-Mitte<br />

<strong>und</strong> trinkt noch schnell einen Kaffee.<br />

Der Obergerichtsvollzieher<br />

muss gleich in den Außendienst. In<br />

<strong>seine</strong>m Terminkalender stehen<br />

heute Namen von 20<br />

Berliner Bürgern, von<br />

denen er Geld eintreiben<br />

will. Wie in allen<br />

Städten des Landes<br />

gibt es auch in der<br />

Hauptstadt unzählige<br />

Menschen, die aus den<br />

verschiedensten Gründen<br />

bis zum Hals in<br />

<strong>Schulden</strong> stecken.<br />

Bis sich Günther auf<br />

den Weg macht, ist<br />

Von Ileana<br />

Grabitz<br />

aber schon einiges passiert: Wer<br />

<strong>seine</strong> Handyrechnung nicht bezahlt,<br />

bekommt zunächst mindestens<br />

eine Mahnung geschickt. Erst<br />

wenn der Telefonanbieter noch immer<br />

keine Eingänge auf <strong>seine</strong>n<br />

Konten sieht, wendet er sich an das<br />

Amtsgericht. Dieses prüft den Fall<br />

<strong>und</strong> schickt schließlich einen Gerichtsvollzieher,<br />

um das Geld einzutreiben.<br />

Einen wie Günther.<br />

Flüchten hilft nicht. Es ist kühl<br />

draußen, aber die Sonnenstrahlen<br />

tanzen auf dem kahlen Schädel des<br />

45-Jährigen. Herr Günther ist bestens<br />

aufgelegt. „Mal sehen, wie viele<br />

wir heute überhaupt antreffen“,<br />

sagt er, steigt schwungvoll in sein<br />

Auto <strong>und</strong> zieht den Mantel hinein,<br />

bevor er die Tür zufallen lässt. Zwar<br />

hat der Gerichtsvollzieher den<br />

Schuldnern vorher sein Kommen<br />

per Brief angekündigt. Das heißt<br />

aber nicht, dass die ihm auch wirklich<br />

die Türen öffnen. „Insgesamt<br />

treffe ich nur jeden Zweiten an“,<br />

schätzt er. Viele verschuldete Menschen<br />

nehmen Reißaus vor einem<br />

wie Günther; er ist ja der lebende<br />

Beweis dafür, dass die Gläubiger<br />

keine Ruhe geben, wenn sie ihr<br />

Geld nicht bekommen.<br />

Flüchten hilft allerdings nur<br />

kurzfristig weiter: Denn wer nicht<br />

da ist, wird per Brief bei Gericht<br />

einbestellt. Wer auch dann nicht<br />

kommt, muss im Extremfall damit<br />

rechnen, dass Günther die Tür aufbricht<br />

– um die Wohnung nach<br />

Wertgegenständen abzusuchen.<br />

Der Tag beginnt gut. Neda K., die<br />

Erste auf Günthers Liste, öffnet<br />

sichtbar nervös die Tür. 380 Euro<br />

schuldet die 25-jährige Türkin einer<br />

Autoversicherung. Die Rechnung,<br />

die sie nicht bezahlt hatte, betrug<br />

zwar nur 80 Euro. Doch durch Zinsen,<br />

Mahn- <strong>und</strong> Gerichtsgebühren<br />

wuchs der Betrag in zwei Jahren beträchtlich<br />

an. Dem Gerichtsvollzieher<br />

genügt ein Blick in die bescheidene<br />

Einzimmerwohnung, um festzustellen,<br />

dass hier nichts zu holen<br />

ist. Fernseher oder Musikanlage<br />

gibt es nicht, nur ein Sofa, eine<br />

Kommode, einen Kleiderschrank.<br />

Das einzige Stück von Wert ist ein<br />

Staubsauger. Doch Günther winkt<br />

ab: „Neu mag das Ding 50 Euro gekostet<br />

haben. Selbst wenn ich das<br />

pfänden <strong>und</strong> versteigern würde: Ich<br />

bekäme ja doch nichts dafür.“<br />

Weniger Kuckucke. Früher hatte<br />

der Gerichtsvollzieher immer einen<br />

Packen Pfandsiegel dabei, auf denen<br />

der Reichsadler prangte <strong>und</strong><br />

die deshalb „Kuckucke“ genannt<br />

wurden. Mit den Schildchen kennzeichnete<br />

er wertvolle Objekte der<br />

Wohnungseinrichtung, um sie später<br />

abzuholen <strong>und</strong> zu veräußern.<br />

Heute sehen die „Kuckucke“<br />

schmuckloser aus – weiße Schildchen,<br />

auf denen in roter Schrift<br />

„Pfandsiegel“ steht. Sie werden<br />

aber nur noch sehr selten benutzt.<br />

Einerseits dürfen Dinge, die fürs<br />

Leben notwendig sind, ohnehin<br />

nicht gepfändet werden. Anderer-<br />

Christian Günther ist seit 17 Jahren Gerichtsvollzieher im Bezirk Berlin-Mitte. Wenn er Wertvolles bei Schuldnern findet, klebt er ein Pfandsiegel darauf <strong>und</strong> nimmt es mit<br />

seits sind Fernseher oder Waschmaschinen<br />

heute in der Regel so<br />

billig, dass sich der Wiederverkauf<br />

nicht lohnt. Ganz selten nur<br />

stößt Günther bei <strong>seine</strong>n Besuchen<br />

auf richtig teure Dinge<br />

wie Autos, Münzsammlungen<br />

oder wertvolles Porzellan, die<br />

er veräußern könnte. Und so<br />

muss er in der Regel andere<br />

Wege auftun, um an den ausstehenden<br />

Betrag zu kommen.<br />

Ob sie Bargeld habe, fragt er<br />

Neda K., ein Sparkonto, sonstige<br />

Einnahmen? Die Frau verneint.<br />

Damit kann Günther heute<br />

nichts mehr ausrichten. In den<br />

nächsten Tagen werde sie eine<br />

Einladung ins Gericht erhalten,<br />

kündigt der Gerichtsvollzieher<br />

an, wo sie ihre finanzielle Situation<br />

offenlegen müsse.<br />

Generell gilt: Für <strong>Schulden</strong> allein<br />

kommt keiner ins Gefängnis.<br />

Man bekommt aber einen<br />

Eintrag im Schuldnerverzeichnis<br />

<strong>und</strong> bei der Schufa, einer<br />

Schuldnerdatei. Das kann Neda<br />

K. später Probleme bereiten.<br />

Denn Vermieter, Banken oder<br />

Arbeitgeber nutzen diese Verzeichnisse,<br />

um die Vertrauenswürdigkeit<br />

von Mietern, Kreditnehmern<br />

oder Mitarbeitern<br />

zu überprüfen.<br />

Wer verdient alles Geld damit, dass andere Leute <strong>Schulden</strong> machen?<br />

BANKANGESTELLTE<br />

A 680 000 Mitarbeiter<br />

haben Banken <strong>und</strong> Sparkassen<br />

in Deutschland. Sie<br />

geben Banknoten aus,<br />

verwalten Sparbücher,<br />

überweisen Geld von<br />

einem Konto aufs andere.<br />

Es gibt bei der Bank<br />

auch Mitarbeiter, die nicht<br />

direkt mit Geld in Berührung<br />

kommen, wie IT-<br />

Techniker oder Angestellte<br />

in der Verwaltung.<br />

INSOLVENZVERWALTER<br />

A 1900 Insolvenzverwalter<br />

haben die Aufgabe, Unternehmen<br />

oder Privatpersonen<br />

vor der Pleite zu<br />

bewahren. Sie werden vom<br />

Gericht beauftragt, wenn<br />

eine Firma oder eine Person<br />

dort angegeben hat,<br />

dass sie überschuldet ist.<br />

Der Verwalter arbeitet<br />

Pläne aus, wie es gelingen<br />

kann, aus den <strong>Schulden</strong><br />

herauszukommen. Wenn<br />

das nicht klappt, dann<br />

sorgt der Insolvenzver-<br />

+<br />

walter dafür, dass Gläubiger<br />

ihr Geld möglichst<br />

zurückbekommen.<br />

SCHULDNERBERATER<br />

A 2000 Schuldnerberater<br />

in 1000 Beratungsstellen<br />

helfen Schuldnern. Hier<br />

finden Überschuldete<br />

Gesprächspartner, die sich<br />

anschauen, welche Einnahmen<br />

<strong>und</strong> Ausgaben der<br />

Schuldner hat. Die Berater<br />

helfen etwa auch, Haushaltspläne<br />

zu erstellen.<br />

INKASSOBÜROS<br />

A 15 000 Inkassobüromitarbeiter<br />

werden von<br />

Firmen beauftragt, unbezahlte<br />

<strong>Schulden</strong> einzutreiben.<br />

Es gibt ungefähr 750<br />

zugelassene Inkassobüros<br />

in Deutschland. Wenn<br />

jemand <strong>seine</strong> Rechnungen<br />

nicht bezahlen will, dann<br />

nimmt das Inkassobüro<br />

Kontakt zum Gläubiger auf<br />

<strong>und</strong> fordert ihn auf zu<br />

bezahlen. Weil die Leute<br />

häufig tatsächlich nicht<br />

zahlen können, bemühen<br />

sich die Inkassobüromitarbeiter,<br />

Ratenzahlungen<br />

zu vereinbaren.<br />

PFANDLEIHER<br />

A Etwas mehr als 800<br />

Pfandleihhausmitarbeiter<br />

nehmen Wertgegenstände<br />

von Menschen entgegen,<br />

die kurzfristig Geld brauchen.<br />

Häufig geben K<strong>und</strong>en<br />

Schmuck, Uhren oder<br />

auch Spielkonsolen in<br />

Zahlung. Die Pfandleihhausmitarbeiter<br />

schätzen,<br />

wie viel die Gegenstände<br />

wert sind, <strong>und</strong> geben den<br />

K<strong>und</strong>en einen Teil als Darlehen.<br />

Dieses können sie<br />

sofort als Bargeld mitnehmen,<br />

müssen es aber<br />

nach meist drei Monaten<br />

mit Zinsen zurückzahlen.<br />

Sonst verkauft der Pfandleiher<br />

die wertvollen Gegenstände<br />

weiter.<br />

KREDITKARTENFIRMEN<br />

A Mehrere Tausend Mitarbeiter<br />

von Kreditkarten-<br />

AMIN AKHTAR<br />

firmen organisieren den<br />

Zahlungsverkehr mit Kreditkarten.<br />

Die Kreditkartenfirmen<br />

erhalten pro<br />

Zahlvorgang eine Gebühr.<br />

Wer mit Kreditkarte bezahlt,<br />

bekommt automatisch<br />

einen Kredit. Für<br />

solche Spontankredite<br />

werden Zinsen fällig, die<br />

der K<strong>und</strong>e einmal im Monat<br />

bezahlen muss.<br />

AUSKUNFTEIEN<br />

A R<strong>und</strong> 11 000 Angestellte<br />

von Auskunfteien erheben<br />

<strong>und</strong> verwalten Daten über<br />

Bürger <strong>und</strong> Firmen. In<br />

ihren riesigen Datenbanken<br />

stehen Informationen<br />

darüber, wer ein Girokonto<br />

oder eine Kreditkarte hat<br />

<strong>und</strong> wer schon einmal<br />

fällige Rechnungen nicht<br />

bezahlt hat. All diese Informationen<br />

sind vor allem<br />

für Unternehmen interessant,<br />

die einen Vertrag mit<br />

jemandem eingehen wollen,<br />

den sie noch nicht<br />

kennen. Danuta Szarek<br />

Kaum Zeit für Gespräche. Die zierliche,<br />

stark geschminkte Frau setzt<br />

an, den Gr<strong>und</strong> für ihre Verschuldung<br />

zu erläutern, aber Günther<br />

fehlt schlicht die Zeit, um ihren Sorgen<br />

zu lauschen. Noch 19 Vollstreckungsbescheide<br />

warten in der<br />

Kladde, die in dem schwarzen Lederkoffer<br />

des Beamten steckt. „Ich<br />

muss meinen Job machen“, sagt er<br />

<strong>und</strong> ist schon durch die Tür.<br />

Auch bei Mahmut L., einem<br />

schmächtigen Iraner mit traurigem<br />

Blick, ist schnell klar: Er hat nichts,<br />

um <strong>seine</strong> 175 Euro Versicherungsschulden<br />

zu bezahlen. Die Wohnung<br />

ist fast leer, eine Matratze<br />

liegt auf dem Boden, die Luft riecht<br />

abgestanden: kein Raum, um hier<br />

lange zu verweilen. Also erledigt<br />

Günther schnell die Formalitäten,<br />

kündigt eine Einladung ins Gericht<br />

an <strong>und</strong> sagt höflich Adieu.<br />

Nicht immer laufen <strong>seine</strong> Besuche<br />

so konfliktlos ab: Manche<br />

Schuldner fühlen sich durch den<br />

Gerichtsvollzieher in die Ecke gedrängt<br />

<strong>und</strong> begegnen ihm aggressiv.<br />

Ein 90-Jähriger habe ihn mal mit einem<br />

Brotmesser bedroht, erzählt<br />

Günther; nur durch gutes Zureden<br />

konnte er ihn daran hindern, auf<br />

ihn loszugehen. Da ein Gerichtsvollzieher<br />

<strong>seine</strong> Hausbesuche in aller<br />

Regel allein macht, ist er tatsächlich<br />

besonders gefährdet für<br />

solche Angriffe. Es passiert aber<br />

ganz selten. Und für den Fall der<br />

Fälle sind die Beamten speziell ausgebildet<br />

<strong>und</strong> wissen sich zu wehren.<br />

Die Stammk<strong>und</strong>schaft. Die nächsten<br />

zwei Türen, an denen Günther<br />

klingelt, bleiben verschlossen: niemand<br />

daheim. Er steigt in sein Auto,<br />

<strong>seine</strong> nächsten Klienten wohnen<br />

nur zwei Straßen weiter. Günther,<br />

dem bulligen Mann mit Ohrstecker,<br />

ist das Viertel bestens vertraut:<br />

Schon seit 17 Jahren ist er für den<br />

Bezirk Mitte zuständig, Tausende<br />

Bürger hat er dort aufgesucht, wo<br />

sonst nur Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familie hinkommen,<br />

in den eigenen vier Wänden.<br />

Und viele sieht er immer wieder.<br />

Etwa die Hälfte <strong>seine</strong>r Klientel<br />

sind Stammschuldner – Menschen<br />

also, für die es fast zum Alltag gehört,<br />

<strong>Schulden</strong> zu machen.<br />

Andrea M. ist so ein Fall. Die 25jährige<br />

arbeitslose Friseurin sitzt<br />

im Wohnzimmer, um sie herum ein<br />

Durcheinander aus Pinseln <strong>und</strong><br />

Farbeimern, ein neuer Teppich<br />

wird gerade angeliefert. „Entschuldigen<br />

Sie“, sagt sie zu Günther. Sie<br />

sei frisch getrennt von ihrem Mann<br />

<strong>und</strong> brauche einen Neuanfang.<br />

3000 Euro Handyschulden hat die<br />

nunmehr alleinerziehende Mutter<br />

zweier Kinder angesammelt. Ein<br />

Hinderungsgr<strong>und</strong>, jetzt abermals<br />

Geld auszugeben, ist das nicht.<br />

Laut Günther ist so eine Einstellung<br />

zum Geld durchaus weit verbreitet:<br />

Statt „die Kröten beisammenzuhalten“<br />

<strong>und</strong> erst einmal die<br />

<strong>Schulden</strong> abzutragen, würden immer<br />

neue Dinge angeschafft.<br />

So stößt Andrea M. bei dem Beamten<br />

auf wenig Verständnis. Mit<br />

unbewegter Miene setzt sich Günther<br />

auf einen der verstaubten Sessel<br />

neben dem Fernseher <strong>und</strong> protokolliert<br />

– die Schuldnerin soll ihre<br />

finanziellen Verhältnisse offenlegen.<br />

Abzüglich Miete bleiben der<br />

Hartz-IV-Empfängerin im Jogginganzug<br />

400 Euro monatlich zum Leben,<br />

hinzukommen von ihrem Ex-<br />

Mann 170 Euro Unterhalt für die<br />

siebenjährige Chaienne <strong>und</strong> den<br />

zweijährigen Leon sowie das Kindergeld<br />

für die beiden. Erspartes?<br />

Geerbtes? Irgendein Besitz, eine<br />

Wohnung etwa, ein Auto, ein teures<br />

Fahrrad das man verkaufen könnte?<br />

Fehlanzeige. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

kann der Gläubiger über das Gericht<br />

auf alles Vermögen zugreifen,<br />

das der Schuldner hat – Immobilien<br />

können im Extremfall zwangsversteigert,<br />

Gelder auf Spar- oder Girokonten<br />

einkassiert, Steuerrückzahlungen<br />

eingezogen werden.<br />

Kein Platz für Gefühl. Günther trifft<br />

an diesem Vormittag noch drei weitere<br />

Schuldner an, zwei Privatpersonen,<br />

aber auch eine Unternehmerin,<br />

deren Immobilienfirma so<br />

schlecht läuft, dass sie Anwaltskosten<br />

über 380 Euro nicht bezahlen<br />

kann. Jedes Schicksal ist anders,<br />

<strong>und</strong> oft gibt es auch schreckliche<br />

Gründe dafür. Günther berührt das<br />

aber meist nicht mehr. Am Anfang<br />

sei er noch emotional beteiligt gewesen,<br />

sagt er, aber bei den vielen<br />

Schicksalen, die er täglich sehe,<br />

könne er es sich gar nicht leisten, jedes<br />

Mal emotional einzusteigen.<br />

„Das ist bei mir ähnlich wie bei einem<br />

Leichenwäscher“, sagt er. „Ich<br />

mache meinen Job. Und die Schuldner<br />

sind meine K<strong>und</strong>en.“


30 | WIRTSCHAFT · kinderleicht WELT AM SONNTAG NR. 17 T T T 26. APRIL 2009<br />

Strom <strong>und</strong> fliessend Wasser gibt<br />

es nicht im Norden Namibias. Gekocht<br />

wird auf der Feuerstelle.<br />

Haimbodi Ndamononghenda führt<br />

ein einfaches Leben. Eine Arbeit<br />

hatte sie bis vor vier Jahren nicht,<br />

genauso wenig wie ihr Mann. Ohne<br />

Einkommen drei Kinder <strong>und</strong> fünf<br />

weitere Mitglieder<br />

der Großfamilie<br />

zu versorgen,<br />

das war<br />

schwer für die robuste<br />

Frau mit<br />

den kantigen Ge-<br />

sichtszügen vom<br />

Von Flora Stamm der<br />

Wisdorff Ovambo in dem<br />

südwestafrikanischen<br />

Land.<br />

Heute ist Ndamononghenda eine<br />

erfolgreiche Kleinunternehmerin.<br />

Fast jeden Tag verstaut sie Shampoo,<br />

Seife <strong>und</strong> Cremes in einer großen<br />

Tasche, läuft von Hütte zu Hütte<br />

durch den Busch <strong>und</strong> verkauft die<br />

Sachen. Außerdem besorgt sie sich<br />

Stoffe <strong>und</strong> schneidert dann Kleider<br />

daraus. Vom Gewinn bezahlt sie<br />

das Schulgeld für ihre Kinder, kauft<br />

der Familie Essen – <strong>und</strong> zahlt einen<br />

Kredit zurück. 500 namibische Dollar<br />

(umgerechnet 43 Euro) bekam<br />

sie vor vier Jahren als Startkapital<br />

von einer Art Bank, die sich Koshi<br />

Yomuti nennt: „Unter dem Baum“<br />

bedeutet das.<br />

Erst hatte sie Angst davor, <strong>Schulden</strong><br />

zu machen. Wie sollte sie den<br />

Kredit zurückzahlen? Über diese<br />

Unsicherheit kann Ndamononghenda<br />

heute nur lachen. Die Familie<br />

ist längst gut versorgt, die 37-<br />

Jährige hat große Pläne: Sie will ihr<br />

Geschäft vergrößern. Ein Haus<br />

möchte sie bauen, in dem sie<br />

schneidern kann, <strong>und</strong> eine Betreuerin<br />

für ihre Kinder anstellen, damit<br />

sie in Ruhe verkaufen gehen kann.<br />

Erfolg auf Pump. Ohne <strong>Schulden</strong><br />

wäre das nicht möglich gewesen.<br />

Keine Kredite, das bedeutet Stillstand:<br />

Ohne Startkapital hilft die<br />

beste Geschäftsidee nichts. Daher<br />

verleiht die Bank Koshi Yomuti<br />

Geld an arme Menschen. Es sind<br />

vor allem kleine Summen, man<br />

nennt das „Mikrofinanzprojekt“.<br />

Koshi Yomuti hat Haimbodi Ndamononghenda<br />

<strong>und</strong> gut 3000 anderen<br />

in Nordnamibia eine Lebensperspektive<br />

gegeben.<br />

An geliehenes Geld kamen sie<br />

zuvor nicht heran. Zu arm sind die<br />

Menschen, zu gering die Sicherheiten<br />

für eine normale Bank: Ndamononghenda<br />

hat kein geregeltes Einkommen,<br />

kein Vermögen, kein<br />

Haus – also nichts, was die Bank<br />

sich nehmen könnte, wenn die<br />

Schuldnerin das geliehene Geld<br />

nicht zurückzahlt. Zudem lohnt sich<br />

das Geschäft mit kleinen Beträgen<br />

für Banken kaum – <strong>und</strong> noch weniger<br />

lohnen sich Filialen in der dünn<br />

besiedelten Gegend.<br />

Ndamononghenda sitzt in einer<br />

r<strong>und</strong>en Holzhütte in der Mittagshitze,<br />

zusammen mit 21 anderen,<br />

die sich Geld geliehen haben. Ein<br />

Mitglied der Gruppe hat sie zu sich<br />

eingeladen. Zweige umzäunen das<br />

sandige Gr<strong>und</strong>stück mit den vier<br />

Hütten. Einmal pro Woche treffen<br />

sie sich, um zu besprechen, wie die<br />

Geschäfte laufen <strong>und</strong> wie es mit der<br />

Rückzahlung der Kredite aussieht.<br />

Ungewöhnliche Bank. Koshi Yomuti<br />

funktioniert anders als normale<br />

Banken. Ihr Ziel ist es nicht, möglichst<br />

viel Gewinn zu machen. Hinter<br />

ihr steckt die deutsche Regierung,<br />

in Form der staatlichen Förderbank<br />

KfW <strong>und</strong> der Gesellschaft<br />

für Technische Zusammenarbeit<br />

Handys, Klamotten, Fitnesscenter: <strong>Schulden</strong>fallen für Jugendliche lauern überall<br />

Bis vor wenigen Jahren war das <strong>Schulden</strong>machen den Erwachsenen vorbehalten. Das hat sich gründlich geändert. Oft ist Gruppenzwang im Spiel<br />

Von Ileana Grabitz<br />

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _<br />

Maria Bent weiss, wie schnell einem<br />

die <strong>Schulden</strong> bis zum Hals stehen<br />

können. „Ich war gerade 18, da<br />

habe ich mich von meinen Fre<strong>und</strong>innen<br />

mitreißen lassen <strong>und</strong> mich<br />

für eine Muckibude angemeldet“,<br />

erzählt die junge Frau <strong>und</strong> kann<br />

sich noch gut an das beklemmende<br />

Gefühl erinnern, das sie bald beschlich.<br />

20 Euro sollte Bent pro Monat<br />

an das Fitnesscenter zahlen, um<br />

dort trainieren zu dürfen. Nicht<br />

viel, dachte sie zunächst. Doch<br />

schnell bekam die Auszubildende<br />

Probleme, den Betrag jeden Monat<br />

aufs Neue aufzubringen. Zwar zog<br />

sie die Notbremse <strong>und</strong> kündigte<br />

den Vertrag. Die Hilflosigkeit, die<br />

sie damals verspürte, wird sie aber<br />

so schnell nicht vergessen.<br />

Hilfe für Gleichaltrige. Inzwischen<br />

hat sie ihre Ausbildung abgeschlossen,<br />

arbeitet als Sachbearbeiterin –<br />

Mit <strong>Schulden</strong> zum Glück<br />

Umgerechnet 30 Euro von einer Bank reichten einer Frau aus Namibia, um eine kleines Unternehmen zu<br />

gründen. Heute versorgt sie mit den Gewinnen ihre Großfamilie. Die Kredite hat sie längst abbezahlt<br />

Eine Gruppe von Schuldnern nahe Odangwa in Nordnamibia. Sie treffen sich regelmäßig, um über ihre Finanzen zu sprechen. Das Mikrofinanzprojekt berät sie<br />

(GTZ). Sie betreiben Entwicklungshilfe.<br />

Außerdem bekommt die Bank<br />

Geld von Anlegern, die soziale Projekte<br />

unterstützen wollen <strong>und</strong> bereit<br />

sind, geringeren Profit in Kauf<br />

zu nehmen. Solche Investoren<br />

braucht das Projekt. „Langfristig<br />

aber wollen wir ohne Geldgeber<br />

auskommen <strong>und</strong> selbst genug Gewinn<br />

machen“, sagt Thomas Lendzian,<br />

der die Mikrofinanzbank im<br />

GTZ-Auftrag aufbaut.<br />

Das unterscheidet Mikrofinanzprojekte<br />

von normaler Entwicklungshilfe:<br />

Die Kredite sollen den<br />

Menschen helfen, selbst besser für<br />

sich sorgen zu können, damit sie irgendwann<br />

unabhängig von fremder<br />

Hilfe sind. Bisher konzentriert sich<br />

Koshi Yomuti darauf, Kredite zu<br />

vergeben. Der Plan ist, schon in diesem<br />

Jahr eine richtige Bank zu werden,<br />

bei der die Ovambo ein Konto<br />

einrichten <strong>und</strong> Geld sparen können.<br />

Das tun sie bislang kaum. Sie<br />

kaufen sich lieber eine Kuh. Wenn<br />

dann etwa Schulgebühren bezahlt<br />

werden sollen, schlachten sie das<br />

<strong>und</strong> hilft in ihrer Freizeit Gleichaltrigen,<br />

ähnlich schwierige Situationen<br />

zu vermeiden. Während sie ihre<br />

Fachoberschulreife machte, ließ<br />

sie sich drei Tage lang zum Finanzscout<br />

ausbilden – eine von der<br />

„Aktion Mensch“ geförderte Initiative,<br />

die Jugendliche für Aufklärungsarbeit<br />

r<strong>und</strong> ums Thema<br />

<strong>Schulden</strong> fit machen will. Wenn<br />

Bent heute einen Tag frei hat, besucht<br />

sie ehrenamtlich Schulen in<br />

ihrer Umgebung, um ihr Wissen<br />

weiterzugeben. Dass sie selbst in<br />

der Regel nur wenig älter ist als diejenigen,<br />

die sie berät, zahle sich<br />

doppelt aus, sagt Bent: Sie könne<br />

sich gut in deren Köpfe <strong>und</strong> Sorgen<br />

hineinversetzen – „<strong>und</strong> den Schülern<br />

fällt es viel leichter, meinen Rat<br />

anzunehmen“.<br />

<strong>Schulden</strong>falle Handy. Der jungen<br />

Frau zufolge ist es allen voran das<br />

Handy, das Jugendlichen finanziell<br />

das Genick bricht. Leider zeigt sich<br />

Tier <strong>und</strong> verkaufen das Fleisch.<br />

Thomas Lendzian, ein bärtiger,<br />

gemütlicher Mann, leitet Koshi Yomuti<br />

von einem Betonbungalow in<br />

der Provinzhauptstadt Odangwa<br />

aus. Die Ventilatoren laufen auf<br />

Hochtouren im Bungalow, während<br />

20 Kreditsachbearbeiter im Konferenzraum<br />

zusammensitzen. Die<br />

Angestellten, es sind alles Frauen<br />

aus der Gegend, sind sehr wichtig<br />

für den Erfolg des Projekts. Sie betreuen<br />

die Kreditnehmer. Bevor<br />

diese Geld leihen, müssen sie lernen,<br />

wie man damit umgeht <strong>und</strong><br />

Haimbodi Ndamononghenda verkauft<br />

Seife, Cremes <strong>und</strong> Shampoo<br />

erst mit der Rechnung am Ende des<br />

Monats, wie viel all die schnellen<br />

Anrufe bei der besten Fre<strong>und</strong>in, die<br />

SMS an den neuen Fre<strong>und</strong> oder die<br />

verschickten Urlaubsfotos gekostet<br />

haben. Noch gefährlicher sind die<br />

Klingeltöne, für die im Internet <strong>und</strong><br />

im Fernsehen viel geworben wird.<br />

„Viele schauen sich das an, senden<br />

eine SMS wie in der Werbung gefordert<br />

– <strong>und</strong> haben keine Ahnung,<br />

dass sie damit einen Vertrag abgeschlossen<br />

haben“, sagt Bent. So<br />

kommen schnell hohe <strong>Schulden</strong> zusammen,<br />

zumal viele Handyverträge<br />

über 24 Monate laufen.<br />

Problem Fitnesscenter. Auch im<br />

Zusammenhang mit Fitnesscentern<br />

lauern <strong>Schulden</strong>fallen: Zwar sind es<br />

meist die Eltern, die die monatlichen<br />

Beiträge für ihre Kinder berappen,<br />

aber richtig teuer sind die<br />

Folgekosten: Wer dazugehören will,<br />

braucht das richtige T-Shirt, muss<br />

sich wie die Fre<strong>und</strong>innen nach dem<br />

wie sie das Geld zurückzahlen können.<br />

Die wenigsten sind auf eine<br />

höhere Schule gegangen. Dass <strong>und</strong><br />

wie man mit Geld mehr Geld verdienen<br />

kann, hat ihnen bisher niemand<br />

beigebracht.<br />

Hohe Zinsen. Tulikemanya Hengobe<br />

betreut Ndamononghendas<br />

Gruppe. Die hochgewachsene Frau<br />

ist in der Gegend aufgewachsen<br />

<strong>und</strong> hat eine höhere Schule besucht.<br />

Sie unterhält sich mit den K<strong>und</strong>en<br />

in ihrer Sprache Oshivambo <strong>und</strong><br />

mit Thomas Lendzian auf Englisch.<br />

Jede Woche fährt sie mit dem Jeep<br />

über die holprigen Straßen zur<br />

Gruppe. Das ist nicht immer einfach,<br />

in der Regenzeit verwandeln<br />

sich die staubtrockenen Straßen in<br />

Matsch. Hengobe schult den Vorstand<br />

der Gruppen, der wiederum<br />

neuen Kreditnehmern beibringt,<br />

wie man mit Geld umgeht.<br />

Es ist auch der Vorstand, der<br />

Rückzahlungen <strong>und</strong> Zinsen einsammelt.<br />

Zinsen zahlen heißt, dass der<br />

Schuldner mehr Geld zurückgeben<br />

Sport auf die Sonnenbank legen<br />

<strong>und</strong> nachher noch zum Essen ins<br />

Fast-Food-Restaurant gehen.<br />

„Wenn man in sein will, muss man<br />

mitmachen“, sagt Bent. Auch weniger<br />

sportbegeisterten Teenagern<br />

macht so ein Gruppenzwang<br />

manchmal so zu schaffen, dass sie<br />

finanzielle Probleme bekommen.<br />

Sei es der neue MP3-Player, das<br />

coole Fahrrad oder die Markenjeans<br />

– viele träumen davon, mit<br />

solchen Anschaffungen bei den<br />

Fre<strong>und</strong>en zu punkten.<br />

Schwache zahlen drauf. Oft sind gerade<br />

Jugendliche, die ohnehin Probleme<br />

haben, besonders gefährdet,<br />

in die <strong>Schulden</strong>falle zu tappen.<br />

Nicht ohne Gr<strong>und</strong> laden vermehrt<br />

Justizvollzuganstalten Finanzscouts<br />

wie sie ein, um jüngere Inhaftierte<br />

beraten zu lassen, erzählt<br />

Maria Bent. „Wer aus dem Gefängnis<br />

entlassen wird, hat oft genug<br />

Akzeptanzprobleme <strong>und</strong> hofft, die-<br />

+<br />

Warum erlassen wir den<br />

armen Ländern nicht<br />

einfach ihre <strong>Schulden</strong>?<br />

GEBEN<br />

A Der Bibel zufolge riet schon<br />

Gott Moses zum regelmäßigen<br />

<strong>Schulden</strong>erlass. Die Frage beschäftigt<br />

die Menschen also<br />

schon lange. In der Vergangenheit<br />

haben die reichen Länder denn<br />

auch einzelnen oder ganzen Gruppen<br />

von ärmeren Ländern schon<br />

öfter <strong>Schulden</strong> erlassen – im<br />

vergangenen Jahr zum Beispiel<br />

insgesamt neun Milliarden Dollar.<br />

Internationale Organisationen wie<br />

die Weltbank haben 19 der ärmsten<br />

Länder der Welt ihre <strong>Schulden</strong><br />

2005 sogar ganz gestrichen. Das<br />

Ziel hinter solchen Aktionen:<br />

Länder wie Äthiopien oder Kambodscha<br />

sollen mit dem wenigen<br />

Geld, das sie haben, lieber ordentliche<br />

Straßen, Krankenhäuser<br />

se zu überwinden, indem er mit<br />

teuren Statussymbolen auftrumpft.“<br />

Dabei hat die Mehrheit<br />

der frisch Entlassenen keinen Job<br />

<strong>und</strong> kein Geld für solche Käufe.<br />

Wer dem Impuls dennoch nachgibt,<br />

riskiert, in der Abwärtsspirale noch<br />

weiter nach unten zu rutschen.<br />

Risiko Girokonto. Blieb Teenagern<br />

früher nur das Plündern des Sparschweins,<br />

haben sie heute mehr<br />

Möglichkeiten, an Geld zu kommen:<br />

Mit 18 haben die meisten ein<br />

Girokonto bei ihrer Bank, das sie<br />

dank ihrer Geldkarte <strong>und</strong> mit ein<br />

bisschen Glück leicht überziehen<br />

können – selbst wenn kaum noch<br />

Erspartes darauf vorhanden ist.<br />

Tatsächlich gibt es viele Läden, die<br />

nur eine Unterschrift des Käufers<br />

verlangen, um eine Bezahlung per<br />

Bankkarte zu akzeptieren. Dann<br />

kann der Kauf abgewickelt werden,<br />

ohne dass das Konto gedeckt ist.<br />

Anders ist das, wenn Läden die Ge-<br />

FLORA WISDORFF<br />

<strong>und</strong> Schulen bauen statt es für<br />

den <strong>Schulden</strong>dienst ausgeben zu<br />

müssen.<br />

NEHMEN<br />

A Leider ist es oft so: Trotz Entschuldung<br />

stehen viele dieser<br />

Länder bald wieder bei den Industrienationen<br />

in der Kreide. Denn<br />

ihre Probleme – ein unterentwickeltes<br />

Finanzsystem, Korruption,<br />

mangelnde Rechtssicherheit –<br />

sind trotz <strong>Schulden</strong>freiheit nicht<br />

gelöst. Wer außerdem ständig<br />

<strong>seine</strong> <strong>Schulden</strong> erlassen bekommt,<br />

verlässt sich irgendwann<br />

darauf. Maren Osterloh<br />

heimzahl, also den PIN-Code verlangen:<br />

Dann wird sofort die Verfügbarkeit<br />

des Geldes auf dem Konto<br />

überprüft – <strong>und</strong> wenn nichts da<br />

ist, kann auch nicht bezahlt werden.<br />

„Viele Jugendliche kennen die Läden<br />

genau, in denen nur eine Unterschrift<br />

<strong>und</strong> kein PIN-Code verlangt<br />

wird“, sagt Bent. „Auf diese Weise<br />

kann man sich leicht einen schönen<br />

Tag machen.“<br />

Überlebenstipps. Um sich gegen<br />

die <strong>Schulden</strong>falle zu wappnen, rät<br />

Bent den Schülern, monatlich alle<br />

Ein- <strong>und</strong> Ausgaben in einer Liste zu<br />

notieren, um ein Gefühl dafür zu<br />

bekommen. „Oft meint man, dass<br />

man gut klarkommt, dabei stimmt<br />

das gar nicht“, sagt sie. Wer die<br />

Grenzen des eigenen Geldbeutels<br />

kennt, so das Kalkül, wird vorsichtiger<br />

sein, diese mit großen Ausgaben<br />

zu überschreiten. „Und statt<br />

viel Geld für brandneue Dinge auszugeben,<br />

kann man ja auch mal bei<br />

muss, als er sich ausgeliehen hat.<br />

Bei Koshi Yomuti sind es ungewöhnlich<br />

hohe 35 Prozent. Doch<br />

das Geld behält Koshi Yomuti nicht<br />

für sich oder <strong>seine</strong> Anleger, sondern<br />

steckt es in das Projekt. Maximal<br />

acht Monate Zeit haben K<strong>und</strong>en,<br />

ihren Kredit zurückzuzahlen.<br />

Hengobe sieht bei ihren Besuchen<br />

auch nach, ob es neue Anwärter<br />

für einen Kredit gibt. Ob die<br />

dann einen bekommen, entscheidet<br />

die Gruppe. Sie kennt die Menschen<br />

aus der Gegend, weiß meist<br />

genau, ob man den Nachbarn vertrauen<br />

kann. Die Gruppe hat großes<br />

Interesse an einer guten Wahl:<br />

Sollte etwa Ndamononghenda ihre<br />

<strong>Schulden</strong> nicht zurückzahlen, müssten<br />

die anderen das für sie tun. Betreuung<br />

<strong>und</strong> Gruppendruck funktionieren:<br />

Fast nie kommt es vor,<br />

dass jemand nicht zahlt. Nur ein<br />

kleiner Teil, zwei Prozent der K<strong>und</strong>en,<br />

gibt das Geld mehr als 30 Tage<br />

nach der Frist zurück.<br />

Zuverlässige K<strong>und</strong>en. Die Frauen<br />

suchen meist Frauen aus. 92 Prozent<br />

der Kreditnehmer sind weiblich.<br />

Und die Männer? In der Hütte<br />

lachen die gut 20 Frauen, bis ihnen<br />

die Tränen kommen. „Männer mögen<br />

nur Big Business“, sagt eine.<br />

Den Männern fehle das Verantwortungsgefühl<br />

– sagen die Frauen. Die<br />

Johanna Angwena hat mit Krediten<br />

ein Catering-Geschäft aufgebaut<br />

Verpflichtung, für Kinder <strong>und</strong><br />

Haushalt zu sorgen, liegt bei ihnen.<br />

Das bewahrt die Bank <strong>und</strong> die<br />

Gruppe davor, dass Schuldner verschwinden:<br />

„Die Männer können<br />

einfach abhauen, auch wenn es kein<br />

Essen gibt“, sagt eine Frau.<br />

Es kommt selten vor, aber Koshi<br />

Yomuti vergibt auch größere Summen.<br />

Wenn die 47-jährige Johanna<br />

Angwena heute über ihren ersten<br />

30-Euro-Kredit spricht, erscheint<br />

ihr das wenig. „Das war schnell<br />

nicht genug für meine Pläne“, sagt<br />

sie selbstbewusst. Handy <strong>und</strong> Geschäftsunterlagen<br />

hat sie vor sich<br />

auf dem Tisch. Unter einen großen<br />

Baum vor ihrem Haus hat sie einen<br />

Tisch <strong>und</strong> ein paar Stühle gestellt.<br />

Angwena kocht für Hochzeiten <strong>und</strong><br />

Beerdigungen, verleiht Zelte, Geschirr<br />

<strong>und</strong> Stühle. Das alles hat viel<br />

Geld gekostet. Doch weil ihr Plan<br />

aufging, gab Koshi Yomuti ihr<br />

mehrmals viel Geld – 10 000, 20 000<br />

namibische Dollar. Und einmal sogar<br />

35 500 Dollar, umgerechnet<br />

über 3000 Euro. Da sie mit ihrem<br />

Geschäft gut verdiente, konnte sie<br />

immer pünktlich zahlen <strong>und</strong> sich<br />

vom Gewinn sogar ein richtiges<br />

kleines Haus aus Stein bauen.<br />

Drum herum hat sie mit ihrem<br />

Mann eine Mauer errichtet. Die<br />

schützt auch das kleine zusätzliche<br />

Betonhäuschen, das nicht weit vom<br />

Haupthaus entfernt auf dem<br />

Gr<strong>und</strong>stück steht. Hier bewahrt sie<br />

ihr Geschirr auf. Stolz zeigt sie die<br />

Teller <strong>und</strong> das Besteck, nimmt die<br />

Teile sorgfältig in die Hand. Angwena<br />

will noch mehr Stühle, Tische<br />

<strong>und</strong> Zelte kaufen, am liebsten<br />

möchte sie einmal zehn Mitarbeiter<br />

einstellen. Denn sie hat ein großes<br />

Ziel: „Meine beiden Kinder sollen<br />

einmal studieren können.“<br />

Ebay nach günstigeren gebrauchten<br />

Sachen suchen“, schlägt Bent vor.<br />

Wichtig ist der jungen Frau, dass<br />

auch die jungen Leute, die schon in<br />

finanziellen Problemen stecken,<br />

keine Panik bekommen, sondern<br />

Hilfe suchen – etwa bei den Schuldnerberatungen<br />

oder den Verbraucherzentralen,<br />

die es in jeder Stadt<br />

gibt. „Hilfsangebote gibt es genug“,<br />

sagt Bent. „Man muss nur die Scheu<br />

überwinden <strong>und</strong> einfach anrufen.“<br />

IMPRESSUM<br />

Eine Beilage der<br />

„Welt am Sonntag“<br />

CHEFREDAKTEUR: Thomas Schmid<br />

REDAKTION: Jörg Eigendorf,<br />

Anette Dowideit, Florian Eder,<br />

Olaf Gersemann<br />

PRODUKTION UND LAYOUT:<br />

René Michael Zulauf<br />

ANZEIGEN: Michael Wittke<br />

VERLAG UND DRUCK: Axel Springer AG,<br />

Axel-Springer-Str. 65, 10888 Berlin

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