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Rede zur Einweihung der Gedenksteine.pdf - Gemeinde Wietzendorf

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Ansprache <strong>zur</strong> <strong>Einweihung</strong> von zwei <strong>Gedenksteine</strong>n auf dem alten Friedhof in <strong>Wietzendorf</strong><br />

am Sonntag, dem 26. Januar 2014: für 12 Kin<strong>der</strong> von osteuropäischen<br />

Zwangsarbeiterinnen, die zwischen dem 17. 12. 1943 und dem 02. 04. 1945 – überwiegend<br />

im ´Kin<strong>der</strong>heim´ Meinholz den Tod gefunden haben und für die <strong>Wietzendorf</strong>er,<br />

die während des Nazi-Regimes wegen ihrer Krankheit o<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung als<br />

´lebensunwert´ galten und in Tötungsanstalten umgebracht wurden.<br />

Liebe <strong>Wietzendorf</strong>er, liebe Gäste,<br />

wir haben uns hier zusammengefunden, um gemeinsam zwei beson<strong>der</strong>s dunkle<br />

Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten: die Tötung Behin<strong>der</strong>ter 1941–43<br />

und die dem Sterben überlassenen Kin<strong>der</strong> von osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen<br />

1943-45. Ihnen wollen wir zwei <strong>Gedenksteine</strong> widmen.<br />

Fast 70 Jahre sind vergangen, bevor wir das Geschehen unter Nennung <strong>der</strong><br />

Opfernamen in Stein und Bronze gehauen und gegossen als Mahnung für die<br />

Zukunft in unser Bewusstsein rücken und uns dazu bekennen. Es ist spät, aber<br />

nicht zu spät.<br />

Mit den bereits 1987 und 1995 aufgestellten Denkmalen entsteht jetzt eine<br />

kleine Gedenkstätte für die unsagbaren Gräueltaten von 1933 bis 1945, die im<br />

Namen unseres Volkes – und damit auch unserer Vorfahren - von einem menschenverachtenden<br />

Regime angeordnet und <strong>Wietzendorf</strong> direkt betroffen<br />

haben.<br />

Dabei ging es gestern und geht es auch heute nicht darum, unserem Ort und<br />

seinen damaligen o<strong>der</strong> gar heutigen Einwohnern daran eine beson<strong>der</strong>e Schuld<br />

zuzuweisen. Aber wer Kollektivschuld ablehnt, sollte gemeinsame Verantwortung<br />

bejahen. Daraus erwächst für uns die Pflicht, das hier an diesem konkreten<br />

Ort geschehene Unrecht aufzuspüren, es zu dokumentieren, ihm als Mahnung<br />

einen Ort zu geben und vor allem <strong>der</strong> Opfer und ihrer Angehörigen ehrend<br />

zu gedenken.<br />

Zunächst erinnern wir uns noch einmal mit Dank an die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> ENI,<br />

<strong>der</strong> Vereinigung früherer internierter italienischer Offiziere, die hier im Lager<br />

Osterheide eingesessen haben. Dadurch, dass sie 1987 zu Ehren des deutschen<br />

Hauptmanns Lohse, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Leitung des Lagers angehört hatte, am ital.<br />

Nationalfeiertag den ersten <strong>der</strong> <strong>Gedenksteine</strong> gestiftet und hier nie<strong>der</strong>gelegt<br />

haben, brach unter uns das Eis des Schweigens. Es wurde möglich, über diesen<br />

Zeitabschnitt zu reden und ihn aufzuarbeiten. - Die Italiener klagten nicht<br />

Täter an, son<strong>der</strong>n dankten dem einen Gerechten, <strong>der</strong> sein Leben für das ihre<br />

eingesetzt hatte, das löste die Verkrampfung.<br />

Den zweiten Schritt haben wir 1995 – 50 Jahre nach Kriegsende – mit dem<br />

Gedenkstein für die 16.000 gestorbenen russischen Gefangenen bereits aus<br />

eigenem Antrieb getan. Es folgte bald die Hinweis- und Erinnerungstafel am<br />

früheren Lagereingang in <strong>der</strong> Osterheide.<br />

Damit hatten wir einen Teil des hier am Ort verübten Unrechts und <strong>der</strong> Gräueltaten<br />

zum Daran-denken und als Mahnung für die Zukunft dem Vergessen<br />

entrissen.


Das soll nun auch für die Opfer des Nazi-Regimes geschehen, an die wir uns<br />

heute beson<strong>der</strong>s erinnern. Sie waren im engeren Sinne nicht Kriegsopfer,<br />

son<strong>der</strong>n sie sind aus Gründen ideologischer Verblendung und Irreführung umgebracht<br />

worden. Wie dringend es ist, das Gedenken an ihr Schicksal wach zu<br />

halten, führen uns rechtsextremistische Gruppen ständig vor Augen. Ich nenne<br />

beispielhaft nur zwei Ortsnamen: Eschede und Bad Nenndorf. Wir reden<br />

also nicht nur über gestern, son<strong>der</strong>n immer auch mit über unsere Zeit.<br />

Liebe Anwesende,<br />

wir beklagen heute drei Opfer <strong>der</strong> sogen. Euthanasieaktion o<strong>der</strong> T4, d. h.<br />

Menschen, die wegen ihres Krank- o<strong>der</strong> An<strong>der</strong>sseins <strong>der</strong> Lebenswert abgesprochen<br />

wurde:<br />

August Blumberg * 9. Oktober 1877 / † 21. o. 22. Mai 1941 in Hadamar / ∞<br />

1913 Sophie Bösenberg, er entstammte dem Hause Hauptstr. 19, Hof Blumberg<br />

Hermann Brüggemann * 25. Sept. 1904 / 7. o. 8. März 1941 in Pirna-<br />

Sonnenstein, aus dem Hause Brüggemanns Hof<br />

Von Hermann Wrigge, * 15. Sept. 1904 / † 29. März 1943, haben wir Aufzeichnungen<br />

im Archiv und Schil<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong> Familie, aber keine genauen<br />

Angaben zu Todesort und –art.<br />

Zwei Worte aus den Apokryphen begleiten den Gedenktext auf dem Stein:<br />

Weish. Sal. 1.12, ´Zieht nicht das Ver<strong>der</strong>ben herbei durch das Werk eurer Hände´<br />

und<br />

Sir. 4.9, ´Rette den, dem Gewalt geschieht, vor dem, <strong>der</strong> ihm Unrecht tut´<br />

Sie waren drei von 200.000 Opfern, die diesem Wahn von ´lebenswert´ und<br />

´lebensunwert´ zum Opfer gefallen sind. Drei, die hier geboren, aufgewachsen<br />

und letztlich einer Tötungsanstalt zugewiesen wurden. Wir werden uns nicht<br />

anmaßen, damit eine Schuldzuweisung zu verbinden. Aber wer nachliest, was<br />

Willi Meyer aus Klein Amerika zu dem geistig behin<strong>der</strong>ten Friedrich Bortels<br />

sagt, dem kommen zumindest Fragen, ob wir die Verantwortung allein an Hitler,<br />

Himmler und Göring verweisen dürfen. – Seinen ´Mund auftun für die<br />

Schwachen´ wäre bitter nötig gewesen.<br />

Immerhin hat Pastor Fündling damals u.a. im Konfirmandenunterricht sein<br />

Urteil deutlich ausgesprochen. Einer seiner Merksätze, den Else Lütjens,<br />

Suroide, mit an<strong>der</strong>en festgehalten hat, lautete:<br />

´Durch das 5. Gebot schützt Gott das Leben des Menschen. Er will selber Herr<br />

über Leben und Tod bleiben und will uns nicht darüber urteilen lassen, ob ein<br />

Mensch wert ist zu leben o<strong>der</strong> nicht.´<br />

Pastor Dr. Schendel hat mir seinerzeit dazu geschrieben: ´Bemerkenswerte<br />

Sätze´ und ich füge hinzu: mutige Sätze. Ihnen, lieber Herr Schendel, heute<br />

noch einmal herzlichen Dank für die Unterstützung beim Erschließen <strong>der</strong><br />

Quellen.<br />

Auch solche Stimmen gab es also, die sich nicht auf Befehle <strong>zur</strong>ückzogen,<br />

wenn auch viel zu wenige. Heute bleibt uns das Nach-denken, die wache und


kritische Erinnerung und die Mahnung für uns und die folgenden Generationen.<br />

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,<br />

über das Schicksal dieser drei Männer zu reden ist schon schwer, aber das<br />

Schicksal <strong>der</strong> zwölf Kin<strong>der</strong> und ihrer Mütter, denen das Gedenken auf dem<br />

zweiten Stein gilt, schnürt einem die Kehle zu.<br />

Das Hauptamt für Volkswohlfahrt hatte angeordnet, die Kin<strong>der</strong> von Ostarbeiterinnen<br />

solle man bei ‚Nichtverwendung‘ ohne Quälerei und schmerzlos sterben<br />

lassen o<strong>der</strong> aber in <strong>der</strong> Absicht, diese zukünftig verwenden zu wollen, so<br />

ernähren, dass sie einmal im Arbeitseinsatz vollwertig seien.<br />

Also Essen nur bei ´Verwendung´ und absehbarem ´Arbeitseinsatz´, das waren<br />

damals die Kategorien für den Wert des Lebens. Darum wurden tausende Kin<strong>der</strong><br />

schon bald nach ihrer Geburt in so genannte Kin<strong>der</strong>heime verbracht. So<br />

erreichte man, dass die jungen Frauen wie<strong>der</strong> uneingeschränkt <strong>zur</strong> Arbeit herangezogen<br />

– verwendet – werden konnten.<br />

Für unsere <strong>Gemeinde</strong> richtete die NS-Partei ein solches Haus des Todes – von<br />

einem Heim wird man nicht reden dürfen – in Meinholz ein. Dort wurde <strong>der</strong><br />

grausame Befehl umgesetzt: zu Tode ´pflegen´, richtiger, ohne Pflege und<br />

Verpflegung sterben lassen. Nicht nur äußerst grausam, auch zynisch, es hieß<br />

doch: ´ohne Quälerei und schmerzlos´! Schmerzlos verhungern? - Wie lange<br />

ein kleiner Mensch das aushält, entnehmen wir den Geburts- und Sterbedaten.<br />

Von wem wurde diese ´Arbeit´ erwartet und getan? – Nach dem Erlass des<br />

Reichsführers <strong>der</strong> SS, Heinrich Himmler, vom 27. Juli 1943, sollten die Kin<strong>der</strong><br />

´von weiblichen Angehörigen des betr. Volkstums´ in ´einfachsten Pflegestätten´<br />

betreut werden. Für Meinholz wissen wir keine Einzelheiten. Wohl aber<br />

ist überliefert, dass Meinholzer Einwohner für ´das Nötigste´ gesorgt hätten:<br />

Brennholz, Stroh und auch Lebensmittel. - Zum Überleben hat es nicht gereicht.<br />

Ein <strong>Wietzendorf</strong>er – Walter Winkelmann – hat mir berichtet, er habe als junger<br />

Mitarbeiter auf einem <strong>der</strong> Marbosteler Höfe ein solches Kleinkind mit<br />

Pferd und Wagen nach Meinholz bringen müssen. Als Walter in seinen bruchstückhaften<br />

Andeutungen an den Punkt seiner Ankunft in Meinholz kam,<br />

konnte er nicht weitersprechen. – Dabei hatte es für ihn noch eine Steigerung<br />

gegeben. Beim Pflügen stieß er auf Beweise dafür, dass eine junge Frau ihr<br />

Kind vor diesem Schicksal hatte bewahren wollen. Das alles hatte ihn für sein<br />

Leben traumatisiert. Und bevor es zu einem weiteren Gespräch mit ihm kam,<br />

verstarb auch dieser Zeuge.<br />

Ellen Rose, die für eine Jahresarbeit am Gymnasium Soltau Zeitzeugen befragt<br />

hat, ist ohne Antworten geblieben, die ihr einen Überblick verschafft hätten,<br />

teils ist sie auch auf Entrüstung gestoßen: ´Es gab doch Befehle´. Aber Ellen<br />

hat unsere Aufmerksamkeit noch einmal zusätzlich wach gerufen.<br />

Von zwölf Kin<strong>der</strong>n kennen wir die Namen und Daten. Hermann Gehle hatte<br />

sie bereits festgehalten und uns damit die Grundlage für den heutigen Tag<br />

geliefert. Zwischen dem 15. Dezember 1943 und dem 02. April 1945 starben


die auf dem Stein verzeichneten Kleinkin<strong>der</strong>. An sie und ihre Mütter denken<br />

wir heute in Klage und Anteilnahme.<br />

Ihre Namen und <strong>der</strong> Gedenktext sind eingefasst vom 5. Gebot aus 2. Mose 20,<br />

´Du sollst nicht töten´, und von dem Vers aus Matth. 18, ´Wer ein solches Kind<br />

aufnimmt in meinem Namen, <strong>der</strong> nimmt mich auf:´<br />

Die Namen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>:<br />

Corista Betho, *06. Apr. 1944 / †23. Juni 1944; Jakob Derkatsch, *16. Juli 1940<br />

/ †17. Dez. 1943; Lubia Duboiska, *27. Febr. 1945 / †02. Apr. 1945; Viktor E-<br />

tischowa, *01. Sept. 1944 / †08. Jan. 1945; Anatoli Hora, *26. Okt. 1943 / †15.<br />

Dez. 1943; Maria Kosack, *18. Jan. 1944 / †29. Juni 1944; Wladimir Nannenko,<br />

*05. Dez. 1944 / †06. Jan. 1945; Jurik Siliwanow, *23. Sept. 1944 / †11. März<br />

1945; Pawel Suck, *23. Juli 1943 / †18. Dez. 1943; Rissa Tscharenzowa, *26.<br />

Okt. 1944 / †08. Nov. 1944; Maxim Tscharenzow, *26. Okt. 1944 / †10. Nov.<br />

1944; Anatolie Tschujaschenko, *02. Juni 1937 / †03. Jan.1944<br />

In tiefer Scham bitten wir die Familien <strong>der</strong> Getöteten in Russland, <strong>der</strong> Ukraine<br />

und in Polen – auch in ihrer Abwesenheit - im Namen <strong>der</strong> irregeleiteten Beteiligten<br />

um Vergebung, auch wenn ich eine solche Hoffnung kaum auszusprechen<br />

wage.<br />

Von unserer damaligen <strong>Gemeinde</strong>schwester Diakonisse Frieda Fromme ist <strong>der</strong><br />

Ausspruch überliefert: ´Wenn <strong>der</strong> Herrgott das an uns vergilt, was hier passiert,<br />

dann Gnade uns Gott´.<br />

Nach 70 Jahren können wir nur staunend und dankbar sehen, dass die Untaten<br />

unverdient nicht an unseren Müttern und Vätern und auch nicht an uns<br />

vergolten worden sind. Viele werden mit mir sagen: durch Gottes Gnade.<br />

So verstanden ist dieses öffentliche Gedenken und Mahnen nicht nur eine<br />

Stunde <strong>der</strong> Trauer, son<strong>der</strong>n auch des Dankes, es ist jedenfalls das Allermindeste,<br />

was wir den Opfern im Nachhinein an Ehrerbietung entgegenbringen<br />

können. Danke, dass Sie sich daran beteiligen.<br />

Lassen Sie uns diese Gedenkstätte, die in den kommenden Monaten noch<br />

nach einem Vorschlag von Siegfried Dann gestaltet wird, zu unserer gemeinsamen<br />

Sache machen und in unsere Obhut und Pflege nehmen. Darum bitte<br />

ich heute um einen Beitrag für die gärtnerische Gestaltung. Die Sammlung<br />

schließt sich hier an. Auch in nächster Zeit können dafür noch Spenden an die<br />

<strong>Gemeinde</strong> überwiesen werden. Wir sollten noch darüber reden, ob wir und in<br />

welcher Weise wir uns persönlich an <strong>der</strong> Pflege beteiligen können und wollen.<br />

Zum Abschluss wandle ich ein Wort aus dem südafrikanischen Wi<strong>der</strong>stand vor<br />

1990 ab: ´Nur wer für die Unterdrückten schreit, darf gregorianisch singen.´<br />

(ursprünglich D. Bonhoeffer: ´Nur wer für die Juden...´) Für uns sinngemäß<br />

und positiv gewendet: Wer zu den dunklen Seiten seiner Geschichte steht und<br />

heute für Schwache und Benachteiligte einsteht, darf sich <strong>der</strong> hellen Seiten<br />

erfreuen. - Ich wünsche uns und unserem Land mit unseren Nachbarvölkern<br />

für die Zukunft gemeinsam viele ´helle Seiten´.<br />

Gustav Isernhagen

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