Amor et Passio: Das Theater und die Liebe - Freunde der ...

Wenden wir uns aber, bevor wir auf Titus’ Begehren zurückkommen, um
Racines Bild von der Wirklichkeit des Begehrens im absoluten Subjekt, dem
Herrscher, zu erörtern, zunächst der Heroine Bérénice zu. An ihr ist ein im
Vergleich mit Racines früheren Dramen neuer Zug seiner tragischen Analytik
bemerkenswert, der sich höchstens in der Liebe Junies zu Britannicus schon
angedeutet hatte, erst jetzt aber deutlicher entfaltet wird. Das ist die Schilderung
eines Begehrens, das sich völlig frei glaubt von "Äußerlichkeiten". Mehrfach
betont Bérénice, dass ihre Liebe allein dem Titus gelte, der er auch ohne den
Glanz seines Ruhmes wäre:
"... moi, dont l'ardeur extrême,
Je vous l'ai dit cent fois, n'aime en lui que lui-même,
Moi qui, loin des grandeurs dont il est revêtu,
Aurais choisi son coeur et cherché sa vertu."
„ ...mich, die doch in ihm
ich sagt es euch schon hundertmal, einzig ihn selber liebt,
die fern der hohen Würden, die ihn schmücken,
sein Herz gefunden, seinen Mut erkoren hätte.“
Der Text präludiert dieses Thema zunächst aus einer anderen, dritten
Perspektive, nämlich aus dem Blickwinkel des unterlegenen Rivalen um
Bérénices Liebe, wenn Antiochus eingangs sein Unglück schildert, als Titus als
Heerführer in den nordafrikanischen Gebieten erschien:
"Titus, pour mon malheur, vint, vous vit, et vous plut.
Il parut devant vous dans tout l'éclat d'un homme
Qui porte entre ses mains la vengeance de Rome.
La Judée en pâlit. Le triste Antiochus
Se compta le premier au nombre des vaincus."
Zu meinem Leid kam Titus, sah Euch und gewann Euch.
Vor Euch erschien er in dem Glanz des Mannes,
der Roms Vergeltung in den Händen trug.
Judäa zitterte vor ihm. Als erster zählte sich
Der glücklose Antiochus zu den Besiegten.
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