Amor et Passio: Das Theater und die Liebe - Freunde der ...
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könnte, dem eigenen Begehren, <strong>und</strong> nicht <strong>der</strong> sozialen Regel <strong>die</strong> Treue zu<br />
halten.<br />
Diese Konsequenz freilich ist nur angedeut<strong>et</strong>, eingesenkt in <strong>die</strong> Logik des<br />
rh<strong>et</strong>orischen Diskurses, nicht explizit werdende These. Racines Diskurs verhüllt<br />
in seiner makellosen Geschlossenheit jede definitive Antwort auf <strong>die</strong> Frage, ob<br />
sich darin ein "Dichter <strong>der</strong> persönlichen Rebellion“ ausspricht o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
klarsichtig-resignierte Analytiker einer tragischen Situation des Menschen.<br />
Trotzdem liegt hier <strong>der</strong> Kern dessen, was <strong>die</strong> Racinesche reine dramatische<br />
Form in Hinblick auf <strong>die</strong> <strong>Liebe</strong> aussagt. Die l<strong>et</strong>ztere erscheint hier in <strong>der</strong> Tat<br />
nicht als ein Gut, das den Menschen zur Tugend führt, wie es Renaissance <strong>und</strong><br />
p<strong>et</strong>rarkistische Tradition gesehen hatten. Vermittels <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong><br />
<strong>Liebe</strong>sleidenschaft tritt vielmehr eine tiefe Zerrissenheit <strong>und</strong> Selbst-Fremdheit<br />
des Menschen hervor. Jedoch wird <strong>die</strong>se Entfremdung <strong>der</strong> leidenschaftlichen<br />
Erotik nicht, wie es <strong>die</strong> Polemiker gegen das <strong>Theater</strong> in Racines Zeit verlangten,<br />
Gegenstand einer Denunziation. (Feinde des <strong>Theater</strong>s wie <strong>der</strong> Jansenist Nicole<br />
erblickten ja bereits im bloßen dramatischen o<strong>der</strong> schauspielerischen Darstellen<br />
erotischer <strong>Passio</strong>n eine schwere Sünde, <strong>die</strong> Spieler wie Zuschauer dem<br />
Göttlichen entfremd<strong>et</strong>e.) Vielmehr wird <strong>die</strong> Leidenschaft hier zum Medium <strong>der</strong><br />
Selbsterfahrung schlechthin, Erfahrung des Selbst im immer ungewissen Spiegel<br />
des an<strong>der</strong>en. Der tragische Schmerz füllt wohl den ganzen Bühnenraum des<br />
<strong>Theater</strong>s von Racine aus, aber nicht, dass seine Bühnengestalten scheitern,<br />
son<strong>der</strong>n dass sie in <strong>die</strong>sem Scheitern eine gegenüber <strong>der</strong> Befolgung von Normen<br />
h<strong>et</strong>erogene <strong>und</strong> höhere mögliche <strong>Das</strong>einsform anzeigen, verleiht den<br />
Bühnengestalten ihren Rang. Gewiss, das Dispositiv des reinen Dramas eröffn<strong>et</strong><br />
eine Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> als Szene des symbolischen Austausches im N<strong>et</strong>z<br />
des Imaginären <strong>und</strong> <strong>der</strong> dem Symbolischen innewohnenden Ungewissheit. Die<br />
Tragö<strong>die</strong> deckt wie mit analytischem Seziermesser <strong>die</strong> Illusionen,<br />
Zweifelhaftigkeiten, Selbstwi<strong>der</strong>sprüche <strong>und</strong> Selbstverkennungen im Diskurs<br />
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