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Vom Aussterben bedroht: Der Arzt - DIE NOVUM

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6 die novum<br />

Lokales<br />

25. Mai 2011<br />

Fritz Bürger übernahm Anfang<br />

der dreißiger endgültig das<br />

Café. Ihm wird nachgesagt, er<br />

sei ein Meister mit dem Queue gewesen<br />

und so trat er mehrmals an den eigenen<br />

Billardtischen gegen den damaligen<br />

Weltmeister an.<br />

Oft gastierten bei Bürger namenhafte<br />

Persönlichkeiten, vornehmlich Künstler<br />

und Musiker. „Sie gingen dort ein und<br />

aus“, erklärt Walter Oehme, der sich als<br />

Heimatfreund aus Mittweida bezeichnet.<br />

So auch der in den dreißiger Jahren<br />

deutschlandweit bekannte Komiker Arthur<br />

Preil. Um den Ansprüchen gerecht<br />

zu werden, verfügte das Haus mit Karl<br />

Stummvoll sogar über einen eigenen Pianisten.<br />

Aufgrund des großen Erfolges<br />

hatte das Café bald ein ständiges Fünf-<br />

Mann-Ensemble zu bieten.<br />

Für die Studenten war das Café ebenfalls<br />

immer ein feuchtfröhlicher Anlaufpunkt.<br />

„die Väter haben es uns gelehrt,<br />

wie man die vollen Humpen leert“, hieß<br />

es an dem einen oder anderen Abend.<br />

Walter Oehme erinnert sich noch an<br />

Geschichten aus den Glanzzeiten des<br />

Cafés, obwohl er selbst nie an einem der<br />

glamourösen Tische saß. „die Gaststätte<br />

war eine nummer zu groß für uns.<br />

Als Arbeiterkinder konnten wir uns das<br />

damals nicht leisten“, gibt er ein wenig<br />

wehmütig zu.<br />

Arno Sachse und Frau „Bittschön“<br />

drei Kellner hatten Tag für Tag und<br />

nacht für nacht allerhand zu tun, um<br />

den Wünschen der Gäste nachzukommen.<br />

Es waren zudem 30 Zeitungen<br />

abonniert, um dem vielfältigen Publikum<br />

Rechnung zu tragen – alle mussten<br />

regelmäßig ausgewechselt werden. „Haben<br />

Sie denn nicht auch eine Zeitung<br />

über Kleintierhaltung?“, fragte einst ein<br />

Gast den Oberkellner Arno Sachse. Eine<br />

Woche später gab es auch diese. der besagte<br />

Oberkellner war in Mittweida für<br />

seine Scherze bekannt. „Einmal bat er<br />

einen Gast und Freund eine bekannte<br />

Sängerin vom Bahnsteig abzuholen, da<br />

er selbst keine Zeit habe.<br />

der willigte ein. Ohne ordentlichen Anzug<br />

und mit einem kläglichen Blumenstrauß<br />

stand er später ziemlich unbeholfen<br />

am Bahnhof “, erzählt Oehme mit<br />

einem Lächeln. Unbemerkt seien ihm<br />

weitere Gäste und Bekannte aus dem<br />

Café zum Bahnhof gefolgt. Winkend<br />

stieg die diva aus und tollpatschig empfing<br />

sie der Freund vom Oberkellner. „Es<br />

stellte sich schnell heraus, dass die ‚diva‘<br />

Arno Sachse selbst war bis zur Unkenntlichkeit<br />

verkleidet“, erklärt Oehme. da<br />

war wohl noch eine Rechnung offen ge-<br />

Mittweida Gestern und Heute<br />

<strong>Vom</strong> Edel-Café zum Pferdestall<br />

Das Café Bürger hat eine erfolgreiche und dennoch tragische Geschichte (Teil 2)<br />

Das ehemalige Café Bürger: die Adresse für Studenten, Künstler und Musiker in den 30er Jahren.<br />

blieben. die großstädtische und freundliche<br />

Führung des Cafés lebte vor allem<br />

durch die exzellente Konditorei. „die<br />

Kuchen und Torten waren einzigartig.<br />

Eine Institution war die beliebte Verkäuferin<br />

Frau Seifert, oder besser bekannt<br />

als Frau „Bittschön“. Ich erinnere<br />

mich noch ganz genau an ihre tolle Art<br />

– einfach einmalig“, schwärmt Oehme.<br />

Auch im Zweiten Weltkrieg wurde eine<br />

glückliche und unbeschwerte Fassade<br />

aufrecht erhalten, jedoch empfing Fritz<br />

Bürger seine Gäste immer seltener im<br />

Smoking, bis er sich schließlich freiwillig<br />

als Soldat meldete.<br />

nach Kriegsende vermisste man den<br />

Chef gänzlich: drei Wochen vor der<br />

Kapitulation war er an der Front gefallen.<br />

Seine Frau war gezwungen den Betrieb<br />

alleine weiterzuführen.<br />

Mit Büchern gefüllte Regale<br />

Mit Ende des Krieges kam auch das<br />

Ende des glamourösen Ambientes des<br />

Café Bürger.<br />

das Lokal wurde verkleinert; die Billardsäle<br />

als Lagerräume genutzt. Allerdings<br />

wurde die Gaststätte, geführt von<br />

Frau Bürger, zur ersten der Handelsorganisation<br />

Mittweida bestimmt. 1976<br />

übernahm Hans-Jürgen Sachse die<br />

Räumlichkeiten. „Pferdestall“ wurde<br />

das neu entstandene Bistro im Volksmund<br />

nun genannt, denn in den Räumlichkeiten<br />

waren früher die Stallungen<br />

für die Pferde untergebracht. „Es war ein<br />

schlichtes Ambiente und strahlte nicht<br />

mehr die Erhabenheit wie vor und während<br />

des Krieges aus“, erinnert sich Oehme.<br />

Trotzdem war das Lokal immer gut<br />

besucht und beliebt: Kartoffelsalat mit<br />

Würstchen, um schnell den Hunger zu<br />

stillen oder nur ein Kaffee für Handwerker,<br />

Arbeiter und Angestellte. 1992 war<br />

auch der „Pferdestall“ Geschichte.<br />

die LVM Versicherungen Münster kaufte<br />

den gesamten Komplex und renovierte<br />

das in der ddR-Zeit heruntergekommene<br />

Gebäude. Bis in das neue Jahrtausend<br />

gab es noch gastronomisches Leben<br />

in den Räumlichkeiten – mit weniger<br />

Erfolg und mehr internen Problemen.<br />

dann bekam der Immobilienmakler<br />

Peter Großer den Auftrag einen neuen<br />

Mieter zu suchen: „die LVM Versicherung<br />

Münster wollte allerdings keine<br />

Gastronomie mehr in den Räumlichkeiten“,<br />

erklärt er. „Mittweida hat heute im<br />

Stadtzentrum kaum noch eine Lokalität.<br />

Keine Stühle, die eng aneinandergereiht,<br />

einladend auf dem Marktplatz stehen.<br />

das betrifft nicht nur das ehemalige<br />

Café Bürger, sondern auch andere Gebäude<br />

im Zentrum“, bedauert Großer.<br />

Zählt Mittweida heute nur noch 26<br />

1993 wurde das Gebäude restauriert. Heute ist<br />

hier eine Buchhandlung.<br />

gastronomische Einrichtungen, so waren<br />

es zu Glanzzeiten 1913 um die 80<br />

Gaststätten. die Weberstraße 1, mit den<br />

ungefähr 140 Quadratmetern im Erdgeschoss,<br />

hat zwar einen ungewöhnlichen<br />

Grundriss, aber eine Top-Lage. So war<br />

mit der Buchhandlung schnell ein Interessent<br />

gefunden. Cognacschwenker,<br />

Sektgläser oder Spirituosen sind seitdem<br />

längst vergessen – heute füllen die<br />

Regale Ken Follet, Harry Potter und die<br />

Abenteuer vom kleinen Eisbären Lars.<br />

Jan Schulze, Diana Beitz<br />

Christin Gertler Hochschularchiv Mittweida

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