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RAGGA-GRIME<br />
M.I.A. //<br />
TÜR AUF, ICH KOMME //<br />
DIE PARTISANENTOCHTER AUS SRI LANKA WIRD ALS<br />
WICHTIGSTER NEWCOMER DER UK-GRIME-SZENE<br />
GEHANDELT. D<strong>AB</strong>EI HAT MAYA ARULPRAGASAM EINE<br />
VIEL GRÖSSERE PERSPEKTIVE IM KOPF.<br />
T JOHANNA GR<strong>AB</strong>SCH, JOHANNA@DE-BUG.DE F UWE SCHWARZE<br />
Ihr Album heißt wie ihr Vater: Damals in Sri<br />
Lanka wurde M.I.A.s Vater “Arula“ genannt, als<br />
er Partisanenführer einer Untergruppierung<br />
der Tamil Tigers, der extremistischen Separatistenbewegung<br />
Sri Lankas, war. Handgranaten,<br />
Maschinenpistolen und Molotow Cocktails<br />
zieren das Cover der Platte - von Maya selbst<br />
in Stencil-Technik gestaltet. Und während die<br />
Mannen ihres Vaters für ihre konservative Revolution<br />
kämpfen, setzt sich die Tochter mit<br />
den Problemen des Alltags in den Londoner<br />
Randbezirken auseinander, wo sie nach der<br />
Flucht ihrer Familie aus Sri Lanka den Hauptteil<br />
ihrer Jugend verbrachte. Nach den vielen Wirrungen<br />
ihres Lebens, dem Besuch einer Schule<br />
im Nobelvorort Wimbledon und diversen Partyexzessen<br />
in LA und anderswo studiert Maya<br />
am St Martins College in London Kunst. “Das<br />
Wichtigste für die Sri-Lanker ist ein Abschluss,<br />
und meiner Mutter war es irgendwann egal in<br />
welchem Fach - Hauptsache ich bekam ein Diplom,<br />
das sie nach Sri Lanka schicken konnte.<br />
Die Familie dort würde eh nicht lesen können,<br />
worin ich graduiert hatte.“<br />
Nach ihrem Abschluss gerät M.I.A. in den<br />
Dschungel der Londoner Musikprominenz.<br />
Schon am College hatte sie Justine Frischmann<br />
- Frontfrau bei Elastica - kennen gelernt, für<br />
die sie ein Tourvideo drehen soll, unterwegs begegnet<br />
ihr Peaches, die sie nicht nur nachhaltig<br />
beeindruckt, sondern beschließen lässt, ihre<br />
eigenen musikalischen Ideen zu verwirklichen.<br />
M.I.A. kauft sich kurzerhand eine Groovebox<br />
und fängt selber an Knöpfchen zu drehen.<br />
Mit ihren Songentwürfen klopft sie an die<br />
Studiotüren einiger Londoner Produzenten<br />
“Bugz in the Attic hörten sich mein <strong>De</strong>mo an,<br />
aber Seiji sagte, ich sei ‘zu Pop’.“<br />
Steve Mackey von Pulp reist sie nach New<br />
York hinterher und nachdem sie sich zwei Wochen<br />
hartnäckig an seine Fersen geheftet hat,<br />
bekommt sie seine Zusage für die Zusammenarbeit<br />
an einem Track. Das Resultat erscheint<br />
als 12“ und die 500er Aufl age ist kurz darauf<br />
vergriffen. M.I.A. will mehr. Wieder erzählt sie<br />
eine der erstaunlichen Geschichten aus ihrem<br />
Leben, die einen glauben machen, dass Glück<br />
läge hinter verschlossenen Studio- oder Label-<br />
Türen, an die nur noch geklopft werden muss.<br />
DEAL NACH 30 MINUTEN<br />
“Ich brauchte ein Label, also telefonierte<br />
ich ein bisschen rum. Jemand riet mir, zu XL zu<br />
gehen - also rief ich einen Journalistenfreund<br />
an und fragte ihn, wen er bei XL kennt. Er sagte,<br />
er kenne nur einen Nick. Aso ging ich los<br />
und klopfte an die Tür von denen. Tatsächlich<br />
machte mir auch noch Nick die Tür auf und fragte,<br />
wer ich sei, ich antwortete: ‘M.I.A. - ihr habt<br />
nach mir gesucht.’ Er darauf: ‘Nein, das muss<br />
ein Missverständnis sein.’ Und ich dann wieder:<br />
‘Doch sicher, ihr habt ein halbes Jahr auf mich<br />
gewartet, hier ist mein <strong>De</strong>mo.’“<br />
Wie schon bei Steve Mackey bewähren sich<br />
Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft und<br />
Nick nimmt das <strong>De</strong>mo entgegen. Eine halbe<br />
Stunde später klingelt M.I.A.’s Telefon und der<br />
Rest ist Geschichte.<br />
“Arular“ entsteht mit verschiedenen Produzenten,<br />
unter anderem mit Richard X (produzierte<br />
nach seinen “Girls on Top“-Mash-Up-Erfolgen<br />
u.a. mit Kelis, Liberty X, den Sugababes<br />
oder Jarvis Cocker). “Ich wollte unterschiedliche<br />
Leute ausprobieren, hören, was sie aus<br />
meinen Songs machen und wohin ich damit<br />
gehen kann. Ich habe mit Richard X gearbeitet,<br />
um zu sehen, wie er nach der Arbeit mit ‘Majorpopstars’<br />
einen Track produziert und was er<br />
mit meiner Musik anstellt. Aber ich wollte auch<br />
mit Diplo arbeiten und mit den Cavemen, um zu<br />
sehen, wohin die Reise noch so gehen kann. Ich<br />
muss ständig in Bewegung bleiben. Ich habe gelernt,<br />
mich nicht an Orte zu binden, das ist total<br />
hinderliches europäisches <strong>De</strong>nken. Ich fi nde es<br />
gerade interessant, was in Miami passiert und<br />
in Rio. Die Briten sind immer so beschränkt auf<br />
sich selber, wollen alles aus ihrem Land, alles<br />
aus einer Hand, sie schauen überhaupt nicht<br />
über ihren Horizont. Mein Label will mich gerade<br />
zu Promozwecken in England halten, aber<br />
ich spiele nächste Woche erst mal drei Shows in<br />
Louisiana.“<br />
LONDON IST NICHT GRIME<br />
Ihr rastloser Globetrotterismus manifestiert<br />
sich auf dem Album: Folkloristische Einfl<br />
üsse treffen auf UK Bass und Los Angeles’<br />
Partyszene konkurriert mit karibischen Palmen.<br />
Maya toastet, rappt, singt und chanted<br />
- und während sich andere bemühen, den “New<br />
Sound of London“ rund um Grime zu defi nieren,<br />
fällt dieses magische Wort der Stunde in unserem<br />
Gespräch kein einziges Mal.<br />
Sie duscht lieber in der Sonne, ordnet sich<br />
dem brasilianischen Favela-Sound zu, spricht<br />
über karibische Einfl üsse und produziert dabei<br />
eine so eigene Mischung, dass man sich<br />
gar nicht mehr fragen braucht, in was für eine<br />
Schublade sie passen könnte. Wichtig sind ihr<br />
die Inhalte ihrer Songs, in denen sie nicht nur<br />
versucht, sich mit ihrer Geschichte und den<br />
Problemen Sri Lankas, sondern auch mit den<br />
aktuellen Problemen Englands auseinander zu<br />
setzen. Prostituierte, Supermarktverkäuferinnen,<br />
Kriegsgeiseln, Politiker und Drahtzieher<br />
sind ihre Protagonisten, alltägliche Probleme<br />
der Vorstadtjugend genauso wie die Opfer der<br />
Gewalt auf beiden Seiten Sri Lankas. Provokation<br />
und Konfrontation.<br />
Während des Konzertes in Berlin gibt es<br />
technische Probleme, Maya hat einen anderen<br />
DJ ausprobiert als sonst, weil er während einer<br />
Show in Paris moniert hätte, er wäre besser als<br />
ihr Tour-DJ Diplo. “Ok, then put your records<br />
where your mouth is.“ <strong>De</strong>r staunende Franzose<br />
steht nun vor einer Situation, der er nicht gewachsen<br />
ist: <strong>De</strong>r CD-Player skippt. Das Playback<br />
funktioniert nicht, und Dubplates hat er<br />
anscheinend keine mitgebracht. M.I.A. ergreift<br />
das Mikro: “Jetzt werde ich wohl bei einem Major<br />
Label unterzeichnen müssen, damit so was<br />
in Zukunft nicht mehr passiert.“ Die Berliner<br />
sind trotz fehlender Zugabe begeistert. <strong>De</strong>m<br />
MC blitzt der Schalk aus den Augen. Maya<br />
Arulpragasam hat es geschafft ihre sri-lankaneischen<br />
Roots mit einem typisch britischen Akzent<br />
zu versehen und kultiviert obendrein den<br />
typischen Hang zur zynischen Großspurigkeit<br />
der Insel.<br />
Nach Konzert und Platte bekomme ich<br />
jetzt den vollkommenen Eindruck: Trotz verschiedener<br />
Produzenten und der Heterogenität<br />
all der Einfl üsse sind hier Stücke entstanden,<br />
denen nicht nur eine Präzision von minimalster<br />
Instrumentierung gemeinsam ist. Mayas vielschichtige<br />
Persönlichkeit ist in ihren Tracks auf<br />
den Punkt gebracht. Fette, krisp produzierte<br />
Beats harmonieren mit Melodieversatzstücken<br />
aus aller Welt, Texten zwischen Ironie und bitterem<br />
Ernst, und dem Maximumbass. Wenn<br />
Missy Elliot mit Wiley und DJ Rupture heimlich<br />
ein Kind in den Favelas großzöge, würde es sicher<br />
M.I.A. heißen. Mit “Arular“ im Subwoofer<br />
ist Ohrenfl attern garantiert.<br />
¬ M.I.A., ARULA, IST AUF XL RECORDINGS/<br />
INDIGO ERSCHIENEN.<br />
¬ WWW.MIAUK.COM<br />
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