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Antifaschistische Zeitung - Nadir.org

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Der Zukunft zugewandt - Gedenkpolitik in der BRD<br />

Der 9. November steht mal wieder vor der Tür und das<br />

offizielle Gedenken an die Reichspogromnacht wird wie<br />

üblich äußerst dürftig ausfallen. Stattdessen erwartet uns<br />

der von allen Seiten zelebrierte 20. Jahrestag des Mauerfalls. Um<br />

das Verhältnis zwischen Erinnern und Gegenwart soll es hier gehen.<br />

Die Gedenkpolitik der BRD lässt sich grob mit zwei Stichworten<br />

umschreiben. Erstens eine kaum aufgearbeitete nationalsozialistische<br />

Vergangenheit und zweitens die Totalitarismustheorie als<br />

Grundlage ‚modernen‘ Gedenkens.<br />

In den ersten Jahren der BRD wurde durch kollektives Totschweigen<br />

des Geschehenen sowohl der Wiederaufstieg von<br />

NS-Eliten im Wirtschaftswunder begünstigt, als auch die Verdrängung<br />

der nationalsozialistischen Vergangenheit aus den Köpfen<br />

erleichtert. Erst mit der 68‘er Bewegung begann die Aufarbeitung<br />

der Verbrechen der Eltern und Großeltern. Infolge dessen fand<br />

unter anderem auch eine Liberalisierung der Gesellschaft statt.<br />

Nun begannen aber auch schon wieder die Angriffe auf das neue<br />

Geschichtsbewusstsein. In den 80ern, während der Kohl-Ära, fingen<br />

namhafte Historiker an öffentlich die Singularität des Holocaust<br />

anzuzweifeln und die Frage nach der Schuld der Deutschen zu relativieren.<br />

Einer dieser Historiker, Ernst Nolte bemerkte dazu: „Die<br />

Rede von der ‚Schuld der Deutschen‘ übersieht allzu geflissentlich<br />

die Ähnlichkeit mit der Rede von der ‚Schuld der Juden‘, die ein<br />

Hauptargument der Nationalsozialisten war.“[1] Das passierte<br />

ganz im Sinne der vom damaligen Bundeskanzler Kohl propagierten<br />

‚geistig-moralischen Wende‘, was nichts anderes bedeutete, als<br />

endlich einen Schlussstrich zu ziehen.<br />

Zu einem Zeitpunkt, da die BRD bereits dabei war, die Verbrechen<br />

des Nationalsozialismus vergessen zu wollen, kam es nun zum<br />

Fall der Mauer und zur ‚Wiedervereinigung‘. Die Teilung Deutschlands,<br />

die die Deutschen sozusagen als greifbares Mahnmal an ihre<br />

Vergangenheit erinnerte, war vorüber und mit ihr auch diese ‚Zeit<br />

der Buße‘. Der Tenor ging dann sogar dahin zu sagen, Deutschland<br />

habe seine Schuld gegenüber der Vergangenheit durch die<br />

Jahre der Trennung abgesessen und sei jetzt als wiedervereinigtes<br />

Deutschland geläutert und in der Normalität angekommen. Diese<br />

neue Normalität begann dann auch sogleich um sich zu schlagen.<br />

Als während des serbisch-bosnischen Krieges Anfang der 90er jede<br />

Menge Intellektuelle, wie z.B. Daniel Cohn-Bendit oder Günter<br />

Grass, unter Bezugnahme gerade der deutschen Vergangenheit<br />

zur gewaltsamen Teilnahme daran aufriefen, schien das schon fast<br />

niemanden mehr zu stören. Es war jedoch nur das V<strong>org</strong>eplänkel<br />

zum Kosovo-Krieg, wo sich das neue deutsche Selbstbewusstsein<br />

endlich außerhalb der eigenen Grenzen beweisen durfte. Unter<br />

der Prämisse nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz müsse<br />

Deutschland in den Krieg ziehen, etablierte die damalige Rot-Grüne<br />

Bundesregierung das aktuelle Verhältnis zur NS-Vergangenheit.<br />

Die Verbrechen des Nationalsozialismus sollen nicht mehr Mahnung<br />

an die Vergangenheit sondern politisches Argument für die Zukunft<br />

sein.<br />

Ein verklärter Bezug auf die Vergangenheit zum vermeintlich<br />

besseren politischen Handeln ist zwar keineswegs neu, erreicht<br />

aber mit der Instrumentalisierung des Nationalsozialismus und insbesondere<br />

des Holocaust eine neue Dimension. Durch den inflationären<br />

und beliebigen Gebrauch werden sowohl der Nationalsozialismus<br />

als auch seine Verbrechen und insbesondere der <strong>org</strong>anisierte<br />

Massenmord an den Jüdinnen und Juden relativiert.<br />

Doch auch in der offiziellen Gedenkpolitik ist die deutsche<br />

Politik in eine neue Episode eingetreten. Im Supergedenkjahr 2005<br />

wurde endlich, 60 Jahre nach Ende des Holocaust, das Denkmal<br />

für die ermordeten Juden eröffnet und durch die Einrichtung der<br />

Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sollen auch die<br />

letzten Rechtsansprüche der noch lebenden Überlebenden des<br />

Holocaust abgewiegelt werden. Damit wurde gleichsam neben dem<br />

oben genannten moralischen Schlussstrich nun auch ein praktischer<br />

gezogen und die Vergangenheit kann nun auch in Deutschland das<br />

sein was sie schon immer sein sollte, eine bedauerliche, aber endlich<br />

aufgearbeitete Vergangenheit.<br />

Doch die deutsche Gedenkpolitik ist damit keineswegs abgeschlossen.<br />

Eine andere Vergangenheit drängt in den letzten Jahren<br />

vermehrt ins Zentrum der Diskussion, nämlich die, der ‚Opfer der<br />

SED-Diktatur‘. Im Grunde schon seit nunmehr 20 Jahren gibt es<br />

dieses Bestreben. Neben der allgegenwärtigen NS-Vergangenheit<br />

war es jedoch nicht möglich die DDR-Vergangenheit in das Licht zu<br />

rücken, welches ihr angeblich zusteht. Im Zuge der Abwertung des<br />

Nationalsozialismus werden nun die Verbrechen der DDR aufgewertet.<br />

Die These von der Überwindung zweier Diktaturen auf<br />

deutschem Boden wird somit zum neuen Leitsatz der Gedenkpolitik<br />

erhoben. Mauertote und ausgebürgerte DDR‘lerInnen werden<br />

mit deportierten und industriell ermordeten Jüdinnen und Juden zu<br />

einem Brei verrührt. So sieht das antitotalitäre Gedenkkonzept der<br />

BRD heute aus. Diese Form der Gedenkpolitik hat zur Folge, dass<br />

der Nationalsozialismus und seine Verbrechen relativiert werden.<br />

Generell wird schon seit dem Aufkommen der Totalitarismustheorie<br />

im Kalten Krieg versucht Faschismus und Kommunismus<br />

in eine Ecke zu rücken, der die westlichen Demokratien gegenüberstehen.<br />

Und ganz speziell geht es in der BRD eben darum, die<br />

Opfer des Nationalsozialismus mit den Opfern der ‚SED-Diktatur‘<br />

gleichzusetzten und ferner den Begriff „Opfer von Gewaltherrschaft“<br />

an sich zur zentralen Wesensverwandtschaft „totalitärer<br />

Staaten“ zu prägen, ungeachtet ihrer sehr viel wesentlicheren Unterschiede.<br />

Dieser Opferbegriff hat dann zur Folge, dass sich Deutschland<br />

je nach Anlass als Opfer zweier Diktaturen oder aber als deren<br />

Bezwinger stilisieren kann. Ein angemessener Umgang mit der Geschichte<br />

ließe so einen Schwachsinn sicher nicht zu.<br />

Das Geschichtsverständnis und die Gedenkpolitik der BRD<br />

haben also zwangsläufig die Verharmlosung und Relativierung des<br />

Nationalsozialismus zur Folge. Daher werden wir am 9. November<br />

nicht feiern, sondern den Opfern des Nationalsozialismus und speziell<br />

denen des 9. November 1938 gedenken.<br />

[1]Ernst Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will, FAZ 6.6.1986<br />

Antifa TU Berlin<br />

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