Antifa Hohenschönhausen - NEA
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Antifa Hohenschönhausen - NEA
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Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung ....................................................................................... 3<br />
2. Befreiung ....................................................................................... 4<br />
3. Befreiung und Widerstand<br />
in <strong>Hohenschönhausen</strong> .............................................................. 8<br />
4. Aufbau .......................................................................................... 10<br />
5. „Chitler kaputt!“ - Schriftsteller Günter<br />
Kunert über den Einmarsch der Roten Armee .............................. 12<br />
6. Geschichtsrevisionismus oder wie ein Kriegsverbrecher<br />
zum Friedensflieger werden kann... .............................. 14<br />
7. Als auf dem Schuldach<br />
das Hakenkreuz wehte .................................................................. 16<br />
8. Fritz Hödel und die<br />
Rote Hilfe in Weißensee ................................................................ 18<br />
9. <strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand<br />
in Berlin – Nordost 1933 bis 1945 ................................................ 20<br />
10. Erinnerungen von Helmut Hauptmann ........................................ 30<br />
11. Kontakte/Impressum .................................................................... 31<br />
Eigentumsvorbehalt: Diese Druckschrift ist solange Eigentum des/der Absender/in, bis sie der/dem Gefangenen<br />
persönlich ausgehändigt wird. „Zur Habenahme“ ist keine Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts.<br />
Wird diese Druckschrift ganz oder in Teilen nicht persönlich ausgehändigt, so sind die nicht ausgehändigten<br />
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Für die meisten Deutschen war der 8.Mai 1945 militärisch,<br />
wie auch politisch eine Niederlage. Für einige<br />
ist er es bis heute geblieben. Für uns ist und bleibt es<br />
der Tag der Befreiung.<br />
Es war die überwiegende Mehrheit der Deutschen,<br />
die der NSDAP per Stimmzettel in den Sattel halfen.<br />
Es waren die deutschen Unternehmen, die die Nationalsozialisten<br />
aus eigenem Profitinteresse förderten<br />
wo es nur ging. Von einer Befreiung der Deutschen<br />
vom Nationalsozialismus wollen wir nicht sprechen.<br />
Befreit wurden die Menschen, die sich der Nazi-Herrschaft<br />
widersetzt hatten und diejenigen, die auch ohne<br />
Widerstand geleistet zu haben, von den Nazis verfolgt<br />
wurden. Ihnen gilt unser Andenken. Trotz der Bereitwilligkeit<br />
vieler Deutscher ihre Nachbarn zu denunzieren,<br />
gab es mutige Menschen, die in einer Zeit der<br />
barbarischsten Ausformung der Unmenschlichkeit<br />
den Aufrechten Gang wahrten. Um diese Menschen<br />
soll es in diesem Heft gehen.<br />
Während sich im Nachkriegsdeutschland die Politspitzen<br />
noch weigerten den 8.Mai feierlich zu begehen,<br />
so ist er heute ein Teil bundesdeutscher Gedenkrituale<br />
und dient dazu sich als “geläuterter antifaschistischer<br />
Staat” zu präsentieren. Mit dem 20. Juli hat<br />
sich die Bundesrepublik allerdings einen Gedenktag<br />
geschaffen, der weit aus besser zu ihr passt. Am 20.<br />
Juli verübte Claus Schenk Graf von Stauffenberg<br />
einen Anschlag auf Adolf Hitler. Er und seine “Mitverschwörer”<br />
wurden daraufhin zum Tode verurteilt.<br />
Am 20. Juli wurden jedes Jahr deutsche Rekruten vereidigt,<br />
es gibt eine Reihe an Romanen und Filmen,<br />
die den Mythos von antifaschistischen Widerstandskämpfer<br />
Stauffenberg propagieren. Dass es ich bei<br />
Stauffenberg um einen überzeugten Nazi handelte,<br />
der schon vor seiner Karriere in der Wehrmacht in reaktionären<br />
Gruppierungen aktiv war, wird schön geredet<br />
oder verschwiegen.<br />
Wenn der Staat <strong>Antifa</strong>schismus zur “Chefsache” erklärt<br />
und nur noch Polizeirazzien als legitimes Mittel<br />
präsentiert werden, dann ist hier eine Parallele von<br />
der gegenwärtigen Staatspraxis zu dessen eigener<br />
“antifaschistischen” Geschichtsschreibung zu erkennen.<br />
Der Held Stauffenberg passt deswegen so gut<br />
zum deutschen Staat, weil er am Ende vor allem den<br />
Status Quo wollte, also eben keine andere Gesellschaft.<br />
Er passt gut zu Deutschland, weil der Kampf<br />
gegen den Faschismus, vor allem ein Fall für Männer<br />
Einleitung<br />
mit Rang und hohem Amt sein soll. Die Mär von der<br />
“Stunde Null” im Kontext der Befreiung, setzt der<br />
ganzen Inszenierung noch das i-Tüpfelchen auf, dient<br />
sie letzten Endes doch nur der Legitimierung der demokratisch-kapitalistischen<br />
Ordnung als bestes Mittel<br />
gegen Unterdrückung und Diktatur. Die notwendigen<br />
physischen Abwehrkämpfe gegen Neonazis, die<br />
eben nicht autorisiert sind, werden in der gegenwärtigen<br />
Debatte hingegen als “Extremismus” dargestellt,<br />
während Stauffenbergs Attentat und Polizeiknüppel<br />
als adäquate Mittel gehandhabt werden.<br />
Hinter dieser Mythenbildung und “antifaschistischer”<br />
Selbstlegitimierung, fallen die Biografien der Widerstandskämpfer<br />
zurück, die eben eine andere Gesellschaft<br />
wollten. Oder es werden deren politische<br />
Einstellungen verschwiegen, wenn diese zu weit links<br />
stehen. Georg Elser, ein gewöhnlicher Arbeiter aus<br />
christlichem Hause, der auch bei einem Attentat auf<br />
Hitler im Münchener Hofbräuhaus scheiterte, wird<br />
bis heute kaum beachtet. Auch dessen Verbindungen<br />
zum Rotfrontkämpferbund und anderen linken Kreisen<br />
werden nicht selten ausgelassen.<br />
Wir denken das eine reine Fokussierung auf die militärische<br />
Zerschlagung Nazideutschlands oder die von<br />
Staatswegen geförderte Heroisierung von Militaristen<br />
wie Stauffenberg oft auch den dezidierten Blick auf<br />
den Widerstand im Kleinen verbauen können. Diese<br />
Menschen hatten keine Armee zur Seite und haben<br />
trotzdem nicht weggesehen. Wir denken, dass wir gerade<br />
von diesen Menschen viel für unser Handeln im<br />
Hier und Jetzt ableiten können.<br />
Um auf eben jenen individuellen Widerstand aufmerksam<br />
zu machen, wollen wir den Blick auf die Gegend<br />
werfen, in der viele von uns wohnen und seit Jahren<br />
aktiv sind: Weißensee und <strong>Hohenschönhausen</strong>.<br />
Die Befreiung des Berliner-Nordostens vollzog sich<br />
schon einige Wochen vor der endgültigen Kapitulation<br />
Nazideutschlands am 21. und 22. April. Die Ereignisse<br />
rund um die Befreiung wollen wir mit unserer<br />
Broschüre ebenfalls dokumentieren. Vielleicht geht<br />
der_die eine oder andere nach der Lektüre mit einem<br />
geschärften Blick für die lokalen geschichtlichen Zusammenhänge<br />
durch den eigenen Kiez.<br />
Viel Spaß beim Lesen, wünscht euer Redaktionskollektiv<br />
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Befreiung<br />
Die Befreiung Nordostberlin vom Nationalsozialismus<br />
„Nun ist das neue Jahr erschienen. Ein Jahr des Friedens? Wer kann das sagen? Ach, wenn man es doch fühlen<br />
könnte: Aber zu oft sind die Hoffnungen schon zunichte gemacht worden, als daß sie noch eine starke Macht<br />
hätten, wie am Anfang des Krieges. Es ist manchmal schwer, an die gute Sache noch zu glauben, die einmal<br />
kommen soll und nicht zu verzweifeln an der menschlichen Dummheit, die man täglich vor Augen hat. Doch,<br />
wozu leben wir denn sonst? Denn was jetzt geschieht, ist ja kein Leben. Immer und überall spürt man die<br />
grausame Knute des Krieges. Ach, wie herrlich ist es, daß ich so glücklich lieben darf. Hier bin ich frei und<br />
wahrhaft froh. Noch haben wir unsere Liebe für uns und der Krieg hat noch nicht hineingegriffen. Nein, unsere<br />
Herzen darf er nicht gewinnen! Die gehören uns nur allein.<br />
Manchmal habe ich ein bitteres Gefühl dabei, wenn ich an unsere Zukunft denke. Wird alles so bleiben, so<br />
schön und rein, oder wird auch uns die grausame Kriegsmaschine noch in ihre Krallen nehmen?“ 1<br />
Diese Zeilen schrieb Kurt Waffner am 1. Januar 1945 nieder. Seit Beginn des Jahres führte er Tagebuch.<br />
Oft sinnierte er darüber, wie es weiter ginge und ob er und seine damalige Liebe Bärbel Marcuse<br />
nicht doch irgendwann ein Leben in Freiheit führen könnten. Waffner, seit frühster Jugend in anarchistischen<br />
Gruppen engagiert, verfolgte wie viele andere Weißenseer <strong>Antifa</strong>schist_innen zu dieser Zeit die sogenannten<br />
„Feindsender“. Oft ließen die Meldungen ein baldiges Ende der Nazi-Herrschaft erhoffen – und<br />
doch sollte die endgültige militärische Zerschlagung des deutschen Faschismus erst im Mai 1945 erfolgen.<br />
Sie waren noch jung als der von Deutschland entfachte Krieg mit all seiner Wucht in das Land zurückkehrte,<br />
in dem er seinen Ursprung gefunden hatte. Deutsche Städte fielen in Schutt und Asche. Flüchtlingstrecks<br />
zogen von Pommern, Schlesien und Ostpreußen nach Westen. Fliegeralarm und Bombennächte<br />
bestimmten in dieser Zeit den Alltagsrhythmus. Artillerie und Panzer kündigten das Nahen der Sieger an.<br />
Erster geographischer Berührungspunkt mit der Roten Armee<br />
Der Verwaltungsbezirk Weißensee, zu dem damals die Stadtdörfer Wartenberg, Malchow und <strong>Hohenschönhausen</strong><br />
gehörten, war auf Grund seiner geographischen Lage unmittelbar in die Kampfhandlungen mit den im<br />
April 1945 anrückenden russischen Truppen verwickelt. Der Bezirk gehörte zum äußeren Verteidigungsring,<br />
der sich bis Alt-Landsberg hinzog und sollte im Kampf um die, zur Festung erklärten, „Reichshauptstadt“<br />
unbedingt gehalten werden. Weißensee wurde mit Panzersperren und Schützengräben versehen, an den noch<br />
heilen Wänden prangten Durchhalteparolen wie „Berlin bleibt deutsch!“. Bis zu letzt mussten Zwangsarbeiter_innen<br />
bei andauernden Bodenkämpfen und Fliegerangriffen Panzersperren und Hindernisse errichten.<br />
Das die „Reichshauptstadt“, die für die Sowjets gewissermaßen als das „Herzen der Bestie“ der nationalsozialistischen<br />
Tyrannei galt, verwundbar war, zeigten die Luftangriffe am 20. Januar 1944. In einer Schadensmeldung<br />
dazu hieß es, dass drei Häuser total, vier schwer, sechs mittelschwer und 80 leicht beschädigt wurden. Bei<br />
den Aufräumarbeiten konnten anhand der geborgenen Knochenreste und Bekleidungsgegenstände die letzten<br />
Toten identifiziert werden. Die Luftangriffe waren gewissermaßen Vorboten, der sich anbahnenden Niederlage<br />
„Großdeutschlands“. Beim Bombenangriff am 18. März 1945 wurden mehrere <strong>Hohenschönhausen</strong>er<br />
Betriebe in der Berliner Straße (heute Konrad-Wolf-Straße) und den umliegenden Straßen schwer beschädigt.<br />
Darunter Teile des ASID-Seruminstituts, die Maschinenfabriken Heike, Groß & Graf und Max Uhlendorff,<br />
das Tobias-Filmlager und die Seifenfabrik Dr. med. Singer & Co.
Die letzte Offensive auf die „Reichshauptstadt“<br />
Am 16. April 1945 startete die Rote Armee ihre letzte große Offensive an der Oder. Angeführt wurde diese von<br />
der 1. Ukrainischen Front und der 1. Belorussischen Front.<br />
Schon ab dem 12. April wurde in den Dörfern des Nordöstlichen Stadtrandes, so auch in <strong>Hohenschönhausen</strong><br />
und Wartenberg, immer wieder Fliegeralarm ausgelöst.<br />
Am 17. April wurden an der unmittelbaren Grenze zu Lichtenberg, Flakgeschütze in der Klarahöhe, im<br />
Norden der Siedlung Wartenberg positioniert um die Luftangriffe russischer Bomber abzuwehren. Am selben<br />
Tag griffen die russische Bomberverbände vermutete Geschützstellungen und Nachschubwege an.<br />
Bomben fielen unter anderem in der Berliner Allee und in der Rennbahnstraße in Weißensee. In der Nacht<br />
zum 20. April flogen Amerikanische Verbände einen letzten großen Luftangriff auf Berlin. Zum letzten<br />
Mal gingen Frauen, Kinder und Alte in Weißensee am 20. April in die Bunker und Luftschutzkeller.<br />
Aus dem Raum Bernau kommend, drangen die sowjetischen Verbände über Falkenberg, Wartenberg und<br />
Malchow an den Stadtrand. In eben jenen Dörfern ließen die Nazis am 21. April noch kurz vor Ende der<br />
Kampfhandlungen die örtlichen Dorfkirchen sprengen. Hitler hatte mit dem Erlass des Nero-Befehls<br />
vom 19.März 1945 die Taktik der „verbrannten Erde“ auf deutschem Gebiet befohlen. Zivile und industrielle<br />
Anlagen sollten gesprengt werden, damit sie sich der Gegner nicht nutzbar machen konnte.<br />
In den Bunkern wurde geflüstert:„Wenn im Dorf die Kirche in die Luft geht, sind die Russen da“. Die Frage,<br />
was nach dem Ende käme bewegte alle: „Was werden die Russen tun? Werden sie Vergeltung üben,<br />
für das was ihnen angetan wurde?“. Geboren aus blindem Fanatismus, so wie aus Angst vor „den Russen“<br />
und vor dem was jetzt kommen würde, setzten einige Bewohner_innen <strong>Hohenschönhausen</strong>s ihrem<br />
Leben selbst ein Ende. Bis zu letzt wurde versucht die örtliche Bevölkerung für die „Verteidigung“<br />
Berlins zu mobilisieren. Viele dieser „Verteidiger“, hauptsächlich Leute vom Volkssturm, ausgerüstet<br />
mit Panzerfäusten und Handgranaten, starben noch in letzter Minute der Auseinandersetzungen. In einigen<br />
Fällen gelang es beherzten Bürger_innen, die Soldaten und Volkssturmleute zur Abgabe ihrer Waffen<br />
und Uniformen zu bewegen. Wilhelm Huckwitz, der Ortsbauernführer 2 aus <strong>Hohenschönhausen</strong>, der<br />
über Jahre polnische Zwangsarbeiter schikaniert hatte, überlebte den Einmarsch der Roten Armee nicht.<br />
Er wurde von sowjetischen Soldaten im Luftschutzkeller in der Dorfstraße 39 in Malchow erschossen.<br />
Die über Landsberg, Hönow und Malchow anrückenden Truppen der Roten Armee konnten sich hier nur<br />
auf der Dorfstraße bewegen und waren somit dem gegnerischen Panzerfäusten frei ausgesetzt. Hinzu kam<br />
Flak-Beschuss aus Wartenberg. Ein russischer Kommandant der Selbstfahrlafetten 3 meldete über Funk „In<br />
Malchow geht’s heiß her. Ich bin kaum 300 Meter von der Barrikade weg … Wir schießen mit allem was<br />
wir haben. Wenn die Panzerfaustschützen an uns herankommen, dann gute Nacht. Jetzt ist es passiert.“ 4 .<br />
Antonplatz, 1945 Antonplatz, Ende der zwanziger Jahre<br />
Am Vormittag des 21. April hissten sowjetische Aufklärer in Wartenberg die rote Fahne. Über die Lindauer<br />
Straße fuhren Panzer weiter in Richtung <strong>Hohenschönhausen</strong>, wo die russischen Soldaten am Abend des 21.<br />
Befreiung /<br />
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April eintrafen. Hier brachten sie in der Berliner Straße „Katjuschas“, auch Stalinorgeln genannt in Stellung<br />
um Ziele im Berliner Zentrum zu beschießen. Am 22. April wurde Weißensee ohne nennenswerten Widerstand<br />
eingenommen. Auf dem Antonplatz wurden ebenfalls „Katjuschas“ postiert. Ziel ihrer Beschüsse war das Stadtzentrum,<br />
allem voran die Berliner Reichskanzlei. Versprengte Trupps von „Endkämpfern“ zogen sich von Weißensee<br />
aus in Richtung S-Bahnhof Weißensee (heute S-Bahnhof Greifswalder Straße) zurück. Während sich<br />
Artillerie und Panzer auf der Höhe Greifswalder Straße, wo der S-Bahn-Ring zu einer starken Auffangstellung<br />
ausgebaut worden war, noch hartnäckige Gefechte lieferten, war der Krieg in Weißensee bereits vorbeigezogen.<br />
Letzte Gefechte und Hinrichtungen<br />
Für die Bewohner von Weißensee und den Ortsteilen <strong>Hohenschönhausen</strong>, Falkenberg und Wartenberg,<br />
Malchow endete der Krieg am 22. April 1945 und damit früher als in anderen Bezirken der „Reichshauptstadt“.<br />
Der S-Bahn-Ring hingegen, insbesondere an der Dänenstraße, war bis zum bis zum 2.Mai Schauplatz<br />
erbitterter Kämpfe. Noch am 2. Mai wurden an der Greifenhagener Straße kleinere Wehrmachtseinheiten<br />
gesichtet. Bei den Soldaten (ca. 150 bis 200 Mann) handelte es sich lediglich um Truppenreste<br />
aus den Innenbezirken, die sich der Gefangenahme durch die Flucht entziehen wollten. Noch für den 29.<br />
April notierte der sozialdemokratischer Rektor Fritz Schmidt “Es ist jetzt gefährlich über die Greifenhagener<br />
Straße zu gehen! […] unentwegt peitschen Gewehrschüsse deutscher Heckenschützen von der<br />
Stargarder Straße her die Greifenhagener Straße entlang. Mehrere Deutsche sind heute bereits schwer<br />
verwundet worden durch diese Schießerei.“ 5. Am 25. Mai zogen russische Geschützkolonnen und Wagen<br />
in Ost-West-Richtung über die Pankower Spitze durch den nördlichen Teil Prenzlauer Bergs in Richtung<br />
Wedding. Im Nordosten Berlins verlagerten sich die Kämpfe besonders in den Bereich rund um den<br />
Bereich Gesundbrunnen, wo die SS in hohen Flakbunkern am Humboldthain ihre Stützpunkte besaß.<br />
Weiterhin schreib Rektor Schmidt „Alles fürchtet einen SS-Einfall und war auf das Schlimmste gefasst. Kein<br />
Russe war weit und breit zu sehen.“ 6<br />
Die Angst, trotz absehbarer Niederlage Deutschlands, doch noch in letzter Sekunde Übergriffen der Nazis<br />
und ihrer militärischen Verbände zum Opfer zu fallen war nicht unbegründet. Otto Schieritz, ein sozialdemokratischer<br />
Arbeiter aus Prenzlauer Berg hisste in seiner Wohnung im vierten Stock der Senefelder Straße<br />
33 die Weiße Fahne. Wenige Minuten später wurde sie mit einer Panzerfaust herunter geholt. Ein SS-Trupp<br />
stürmte das Haus und verschleppte Schieritz zu ihrem letzten örtlichen Stützpunkt, die Schultheiß-Brauerei in<br />
der Franseckystraße (heute Sredzkistraße). Seinen Freiheits- und Friedenswillen musste Otto Schieritz, wie so<br />
viele andere, mit dem Leben bezahlen.<br />
Literatur/Erläuterungen:<br />
[1] Thomas Friedrich/Monika Hansch, „1945 - Nun hat der Krieg ein Ende. Erinnerungen an <strong>Hohenschönhausen</strong>., Heimatmuseum<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong>, Dezember 1995, S.12f<br />
[2] Der Reichsnährstand (Abkürzung: RNST) war eine ständische Organisation der nationalsozialistischen Agrarpolitik in den<br />
Jahren 1933 bis 1945. In ihm waren Landwirte und Bauern zusammengefasst. Im Zuge der Machtergreifung 1933 wurden im<br />
Reichsnährstand sämtliche Personen gleichgeschaltet, die an der Erzeugung und dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte beteiligt<br />
waren. Organisatorisch wurde dies erreicht durch eine Untergliederung des RNST in Landes-, Kreis- und Ortsbauernschaften,<br />
die jeweils von einem Bauernführer kontrolliert wurden.<br />
[3] Eine Selbstfahrlafette ist ein Artilleriegeschütz, das auf einem auf Rädern oder Ketten laufenden, selbstfahrenden Fahrgestell<br />
montiert ist. Dazu sind die eigentlichen Geschütze auf ein zumeist mit Kettenantrieb ausgestattetes Gestell montiert. Um die Besatzung<br />
gegen Beschuss zu schützen, sind Selbstfahrlafetten zumeist mit einer dünnen Panzerung ausgestattet.<br />
[4] Wenjamin Borissowitsch Mironow, „Die Stählerne Garde“, Militärverlag der Dt. Demokrat. Republik, Berlin 1986, S.156<br />
[5] Hans-Rainer Sandvoß, „Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee“, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 2000,<br />
S.70<br />
[6] Ebd.
Rotarmisten im Kanzleramt, 1945<br />
Befreiung /<br />
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Befreiung in <strong>Hohenschönhausen</strong><br />
Ein Einblick...<br />
Konrad-Wolf-Straße, 1945 Konrad-Wolf-Straße, 2011<br />
Der Zweite Weltkrieg kostete Abermillionen von Menschenleben. Der Welteroberungsfeldzug der Nationalsozialisten<br />
hatte in Europa, wo hin man sah, verbrannte Erde hinterlassen. Im April 1945 kehrte der Krieg<br />
in das Land zurück, von dem er ausgegangen war. Der Kampf um Hitlers „Reichshauptstadt“ und die damit<br />
verbundene Niederringung der letzten militärischen Verbände der Nazis, bereitete dem massenhaften Morden<br />
der Nationalsozialisten endlich ein Ende. Die Einnahme der Berliner Außenbezirke durch die Rote Armee<br />
spielten dabei eine wichtige Rolle.<br />
Der direkte Sturmangriff der Roten Armee auf Berlin begann in der Nacht zum 21. April 1945. Die 219. anzerbrigade<br />
der 5. Stoßarmee befreite, unter der Kommandantur von Generaloberst N.E. Bersarin, Wartenberg<br />
und hisste dort die Rote Fahne. Weitere Panzer zogen nach <strong>Hohenschönhausen</strong>, wo in der Quitzowstraße<br />
heutige Simon-Bolivar-Straße) deutsche Soldaten und fanatische Nazis immer noch Widerstand leisteten. Auf<br />
der Berliner Straße (heute Konrad-Wolf-Straße) wurden „Katjuschas“ von der Roten Armee mit Ziel Richtung<br />
Berliner Innenstadt postiert. Einen Tag später am 22. April befreiten die Sowjets, ohne nennenswerten Widerstand<br />
den nahegelegenen Ortsteil Weißensee.<br />
Wartenberg, 1945 Wartenberg, 2011
Ein Einblick...<br />
Widerstand in <strong>Hohenschönhausen</strong><br />
In der Straße 156 Nummer 12, in Alt-<strong>Hohenschönhausen</strong>, lebte das Ehepaar Hedwig und Otto Schrödter. Otto<br />
Schrödter war Sozialdemokrat, trotzdem oder gerade deswegen unterstützte das Ehepaar seit Kriegsausbruch<br />
notleidende Menschen mit Gemüse aus ihrem kleinen Garten und Tieren aus ihrer Kleintierzucht. Darüber<br />
hinaus beherbergten sie in ihrem kleinen Haus sechs JüdInnen. Unter den Versteckten waren Robert und Eva<br />
Sachs und das Ehepaar Ursula und Kurt Reich mit ihrer Tochter. Ihr Sohn erinnerte sich später, dass sich zu<br />
dieser Zeit neun Menschen in einem nur 12m2 großen Zimmer aufhielten.<br />
Die SA verschleppte und misshandelte Otto Schrödter im April 1933.<br />
Hedwig Schrödter Otto Schrödter Straße 156 Nr.12, April 2011<br />
In der damaligen Quitzowstraße 41 (heute Simon-Bolivar-Straße 51) führte das Ehepaar Elsa und Otto Hildebrandt<br />
ab ca. 1926 die „Bäckerei u. Conditorei“. Von 1940/41 bis zum Kriegsende versteckten die Hildebrandts<br />
im Keller ihrer Bäckerei 13 Jüdinnen und Juden. Hinter aufgereihten Mehlsäcken war ein Bettenlager<br />
für die Versteckten eingerichtet. Wenn sich die Versteckten oben waschen wollten, verkleideten sie sich als<br />
Otto Hildebrandt mit weißer Jacke, karierter Hose, Bäckermütze und Mehlsack auf dem Rücken. Die Situation<br />
spitzte sich 1944 zu, als der Bäckereikeller als Luftschutzkeller für die Hausbewohner genutzt wurde. Die<br />
deutschen Hausbewohner saßen in den Bombennächten nur wenige Meter von den Versteckten entfernt. Dem<br />
Bäckerehepaar Hildebrandt verdanken 13 Menschen ihr Leben.<br />
Kein Vergessen<br />
Die Vergangenheit mahnt uns diese Menschen nicht zu<br />
vergessen. In einer Zeit der Unmenschlichkeit, haben diese<br />
Ehepaare ihre Menschlichkeit bewahrt. Sie reichten den<br />
Verfolgten und Unterdrückten die helfende Hand, in dem<br />
klaren Bewusstsein, dass dies ihren eigenen Tod bedeuten<br />
konnte. Diesen stillen Helden muss erinnert werden.<br />
Simon-Bolivar-Straße 51, 2011<br />
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Aufbau<br />
Der Neubeginn in Weißensee<br />
Weißensee war wohl der erste Berliner Stadtteil, wo<br />
der Krieg für die Bevölkerung endete. Während im<br />
Zentrum Berlins noch heftig gekämpft wurde, begann<br />
nach dem 22. April 1945 in Weißensee schon der Nachkriegsalltag.<br />
In den freigekämpften Gebieten ging die<br />
politisch-administrative Macht an die Sieger über. Sowjetische<br />
Militärkommandant_innen übernahmen die<br />
Verwaltung in den Ortsteilen von Weißensee. Zu den<br />
ersten Schritten der sowjetischen Kommandanten gehörte<br />
die Bildung arbeitsfähiger Verwaltungen und die<br />
Versorgung der Bevölkerung. Die Kommandantur wurde<br />
in Weißensee in der Große Seestraße 6 eingerichtet.<br />
Am 24. April wurde Jacob Raszewski vom Kommandanten<br />
als Bürgermeister eingesetzt. In der neu<br />
eingerichteten Bürgermeisterei hatten sich alle bisher<br />
bei der Bezirksverwaltung tätigigen Angestellten,<br />
Arbeiter und Beamten zu melden. Alle in Weißensee<br />
befindlichen Behörden und Privatbetriebe wurden<br />
unmittelbar dem Bürgermeister unterstellt. Dies sollte<br />
nicht nur einer baldigen Entmachtung der Nazi-<br />
Funktionäre in Verwaltung und Betrieben dienen, der<br />
NS-Staat durchzog schließlich alle Lebensbereiche,<br />
sondern auch einer Wiederherstellung des Alltags. In<br />
den Straßen lagen Pferdeleichen, zerschlagene Militärwagen,<br />
Plunder, Müllhaufen und in den Trümmern<br />
nicht weggeräumte Leichen. Der Wind trieb durch<br />
die Straßen Asche und Papierfetzen. Einer der dies<br />
schilderte, W. F. Synorow, war unmittelbar nach den<br />
Vortruppen der Roten Armee als Adjutant des neuen<br />
Kommandanten in Weißensee. 1<br />
Langhansstr. Ecke Heinersdorferstr., 1945<br />
KPD und SPD-Mitglieder halfen der neuen Bezirksadmisnstration,<br />
das Leben in Weißensee wieder<br />
zu normali-sieren. Lauf- und Panzergräben<br />
mussten eingeebnet und Bombentrichter zugeschüttet<br />
werden. Für die Aufräumarbeiten wurden vor allem<br />
ehemalige NSDAP-Mitglieder angefordert. Die<br />
Sicherung der Lebensmittelversorgung hingegen<br />
war die wichtigste Aufgabe, denn der Hunger unter<br />
der Bevölkerung war groß und allgegenwärtig.<br />
Kampf gegen den Ungeist des Nationalsozialismus<br />
Bereits am Montag, den 23. April, schlugen Rotarmisten<br />
den ersten Befehl des Chefs der Front und<br />
ersten Stadtkommandanten in Weißensee an. Dieser<br />
forderte die unverzügliche Suche nach Mitgliedern<br />
der Gestapo, Angehörigen der SS und der Führung<br />
der Volkssturm-Einheiten. Im Juni folgte die Bildung<br />
antifaschistischer Aktionsausschüsse. Diese setzten<br />
sich, wie auch in anderen Bezirken aus Gewerkschaften<br />
und politischen Parteien zusammen. Die Aktionsausschüsse<br />
sollten den demokratischen Neubeginn<br />
sichern. In <strong>Hohenschönhausen</strong> hatten die Aktionsausschüsse<br />
zwei Geschäftsstellen, eine in der Beliner<br />
Straße 113 (Konrad-Wolf-Straße) und eine in der Hohenschönhauser<br />
Straße 49. Hier konnten Bewohner_<br />
innen des Stadtteils bei der Ergreifung ihnen bekannter<br />
Nazis helfen. Außerdem konnten <strong>Antifa</strong>schist_innen,<br />
durch das Eintragen in die Listen der „<strong>Antifa</strong>“ ihre<br />
Mitarbeit an der Entnazifizierung bekunden. Auf einem<br />
Aushang aus dem Juni 1945 heißt es dazu: „Der<br />
antifaschistische Aktionsausschuß ruft alle Mitbürger<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong>s zur Mitarbeit auf! […] Mit der<br />
Eintragung in die Liste der „<strong>Antifa</strong>“ ist […] die Bereitschaft<br />
ausgedrückt, dem Ungeist des Nationalsozialismus<br />
den Boden zu entziehen und alle Bestrebungen<br />
tätig zu unterstützen“ 2 . Auf Initiative des Aktionsausschusses<br />
fand am 22. Juli 1945 auf den Orakne-Terassen<br />
eine antifaschistische Massenkundgebung statt.<br />
Politische Neuformierung<br />
Am 15. Juni 1945 wurde auch der Grundstein für<br />
eine neue Gewerkschaft gelegt. Der Aufbau der<br />
Parteien und der Gewerkschaft vollzog sich in Wei-
ßensee schnell. Etwa 25 Mitglieder des ehemaligen<br />
KPD-Unterbezirks Weißensee führten ihre konstituierende<br />
Sitzung am Abend des 11. Juni in den<br />
Räumen des Bezirksamtes durch. Kurt Steffen wurde<br />
Vorsitzender der Unterbezirksleitung. Das Parteibüro<br />
der KPD richtete sich im ehemaligen Cafe<br />
„Heko“ ein. Der Kreisverband der SPD konstituierte<br />
sich am 17. Juni. Ihr Kreisvorsitzender wurde Georg<br />
Heim und ihre Sitz befand sich in der Langhansstraße<br />
22. Der FDGB-Bezirksausschuß Weißensee bildete<br />
sich ebenfalls am 17. Juni. Vorsitzende wurden<br />
die Kollegen Bergeinann (KPD) und Barz (SPD).<br />
Am 26. Juni gründete sich mit der CDU, eine Partei,<br />
die es bis dahin in der politischen Landschaft noch<br />
nicht gab. Ihr Parteibüro hatte die CDU in der Charlottenburger<br />
Straße 141. Forderungen, wie die Verstaatlichung<br />
von Bodenschätzen und Monopolunternehmen,<br />
die einem in Verbindung mit der CDU heute<br />
vollkommen absurd erscheinen mögen, waren im<br />
Gründungsaufruf der jungen Partei zu finden. „Das<br />
kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen<br />
und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes<br />
nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch<br />
als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik<br />
kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.<br />
Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen<br />
Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn-<br />
und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen<br />
unseres Volkes sein.“ hieß es unter anderem im<br />
von der CDU verbashiedeten Ahlener Programm (3.<br />
Februar 1947 im Gymnasium St. Michael in Ahlen<br />
beschlossenes Wirtschafts- und Sozialprogramm der<br />
nordrhein-westfälischen CDU-Programm-Kommision).<br />
Diese Bestrebungen wurden allerdings mehr<br />
und mehr unterlaufen und schließlich im Zuge der<br />
Blockbildung gänzlich zerschlagen. Von dort an wurde<br />
der Antikommunismus zum einenden Programm.<br />
Bewältigung des Nachkriegsalltags<br />
Die ersten Begegnungen und Erfahrungen mit den<br />
Siegern waren sehr unterschiedlicher Natur. Da war<br />
zum einen der freundliche Soldat, der Brot und Suppe<br />
für die Kinder und sogar Schokolade verteilte. Doch<br />
lösten Plünderungen, Vergwaltigungen und Diebstähle<br />
Schrecken bei der Bevölkerung aus. „Plünderungen,<br />
Plünderungsversuche und unsittliche Belästigungen<br />
sind unverzüglich bei der Kommandantur Große<br />
Seestraße 6 zu melden. Personen, die solche Handlungen<br />
vornehmen oder vorzunehmen versuchen,<br />
werden nach Kriegsrecht strengstens bestraft[….].<br />
Zuwiderhandlungen gegen diese Anordnungen werden<br />
nach Kriegsrecht bestraft.“ Verlautbarte eine öffentliche<br />
Bekanntmachung des Weißenseer Bürgermeisters<br />
vom 28. April 1945. 3 Zu den Problemen der<br />
Nachkriegszeit gehörte auch die Wohnungsnot. Zwar<br />
waren die Kriegsschäden im Zentrum weit aus größer,<br />
dennoch hatten auch im nordöstlichen Teil Berlins<br />
zahlreiche Familien ihre Wohnraum während der<br />
Bombardierungen verloren. In Weißensee waren nur<br />
39 Gebäude schwer beschädigt bis total zerstört, wiederherstellbar<br />
insgesamt 577. 1939 lebten in Weißensee<br />
ca. 80.000 Bürger, im Mai 1845 etwa 60.000. Davon<br />
waren 30.796 Frauen, die andere Hälfte Männer,<br />
Invaliden und Behinderte, so wie Alte und Kinder.<br />
Dazu kamen allein bis Juni 100.000 Flüchtlinge, die<br />
gewissermaßen das Strandgut des Krieges darstellten.<br />
In Weißensee stand Mensch vor einem Berg elementarer<br />
Aufgaben. Alles mußte gleichzeitig angefangen<br />
werden. Die jahrelange gelebte Isolierung<br />
der Kommunist_innen und Sozialdemokrat_innen<br />
in der Zeit der Weimarer Republik und die bitteren<br />
Erfahrungen des Nationalsozialismus schienen geradezu<br />
eine gemeinsames Handeln zu fordern. Die<br />
Chance lag in der Übernahme von Verantwortung<br />
für einen neuen Anfang. Der Anspruch auf ein<br />
neues freies Leben erwuchs aus den Trümmern.<br />
Und den Aufbauwillen zeigten vor allem diejenigen,<br />
die zuvor als Verräter des Vaterlands galten.<br />
Literatur/Erläuterungen:<br />
[1] H. Less über den 24. April 1945, in: Peter Glaß,<br />
Rainer Kolitsch. Vorbei der Feuerbrand – Weißensee<br />
1945. Hendrik Bäßler Verlag. Berlin, 1995. S.8<br />
[2] Peter Glaß, Rainer Kolitsch. Vorbei der Feuerbrand<br />
– Weißensee 1945. Hendrik Bäßler Verlag<br />
Berlin, 1995. S.25<br />
[3] Ebd., S.9<br />
Berliner Allee Ecke Wörtherstr. (heute Smetanastr.), 1945<br />
Aufbau /<br />
11
12<br />
„Chitler kaputt!“ - Günter Kunert<br />
über den Einmarsch der Roten Armee<br />
(Deutschlandfunk, ausgestrahlt am 28.04.2005)<br />
Günter Kunert, am 6. März 1929 geboren, wuchs als umsorgtes Einzelkind in Berlin auf. Seine jüdische Mutter<br />
war Hausfrau, der christliche Vater Kaufmann. Er hielt die Familie mit einem winzigen Papierbetrieb über<br />
Wasser. Als die NSDAP im September 1935 die „Nürnberger Rassegesetze“ beschloss, wurde Günter Kunert<br />
in der Sprache der Nazis zum „Halbjuden“. Immer mehr jüdische Freunde und Verwandte verschwanden. Im<br />
September 1943 wurde auch sein Großvater verschleppt.<br />
Meine Herkunft wurde mir ziemlich früh bewusst, noch lange vor der Schulzeit. Denn meine Mutter pflegte<br />
mich immer zu warnen, bestimmte Wörter nicht auszusprechen, wenn ich mit anderen Kindern spielte, auf<br />
der Hut zu sein, und es war mir ganz klar, woran das lag. Ich lebte ja im Grunde wie innerhalb einer jüdischen<br />
Familie, der einzige in Anführungsstrichen „Arier“, der einzige Goi, war mein Vater.<br />
Und er kam dann zu uns, hatte so einen kleinen Rucksack und verabschiedete sich von meiner Mutter und mir.<br />
Und er schenkte mir, er hatte einen sehr schönen Schnurrbart, er schenkte mir seine Schnurrbartbürste. Das<br />
war wie so ein letztes Zeichen, das ist die Erbschaft, das überlasse ich dir, und ich werde wahrscheinlich nicht<br />
wiederkommen. Und er ist auch nicht wiedergekommen.<br />
Günter Kunert blieb mit seinen Eltern in der Reichhauptstadt, die ab Herbst 1943 zum Ziel massiver Luftangriffe<br />
wurde. Aus „rassischen Gründen“ bekam die Familie Kunert in den Luftschutzkellern die schlechtesten<br />
Plätze. „Achtung, Achtung, wir geben eine Luftwarnmeldung. Feindliche Bomberverbände mit wechselnden<br />
Kursen…“<br />
Wir saßen im Keller und hörten, wie die Bomben fielen. Die Explosionen kamen immer näher. Und dann fing<br />
der Boden an zu schwanken wie ein Schiff im Sturm. Das Licht ging aus, die Frauen schrieen, und ich fand das<br />
irgendwie aufregend, muss ich gestehen. Ich hatte überhaupt keine Angst, weil ich mir sagte, diese Leute sind<br />
meine Alliierten, und die versuchen, diesen Krieg und diese Zeit und den Terror zu beenden, und die meinen<br />
ja nicht mich, wenn sie ihre Bomben abwerfen.<br />
Als die Rote Armee im April 1945 die Reichshauptstadt erreichte, zählte die Berliner Bevölkerung noch rund<br />
2,8 Millionen Menschen. Nur 6.000 Juden hatten Krieg und Verfolgung in der Stadt überlebt. Am 20. April<br />
1945 eröffnete die sowjetische Artillerie das Feuer auf Berlin. Fünf Tage später schwor Propagandaminister<br />
Josef Goebbels die Bevölkerung ein letztes Mal zur unabdingbaren Treue auf den Führer ein:<br />
Goebbels, 25. April, letzte Rundfunkrede: „Meine Berliner Volksgenossen und Volksgenossinnen! In den zurückliegenden<br />
Wochen ist in der Reichshauptstadt ein beachtliches Verteidigungswerk geschaffen worden,<br />
was von den Außenbezirken bis in die Stadtmitte reicht. An den Mauern unserer Stadt wird und muss der<br />
Mongolensturm gebrochen werden.“<br />
Die Russen kamen ja fast von allen Seiten und lagen in Weißensee und schossen dann über den S-Bahn-<br />
Damm, der wie ein Schutzwall war, mit Minenwerfern. Und weil ich es nicht in diesem Keller dauernd aushalten<br />
konnte, stand ich dann im Hausflur, aber in einem toten Winkel und konnte schräg auf die Straße sehen.<br />
War also bis zu einem gewissen Grade geschützt.<br />
Radiomeldung zu Hitlers Tod: „Aus dem Führerhauptquartier wird gemeldet, dass unser Führer Adolf Hitler
heute Nachmittag in seinem Befehlsstand in der Reichskanzlei, bis zum letzten Atemzuge gegen den Bolschewismus<br />
kämpfend, für Deutschland gefallen ist.“<br />
Und plötzlich erschienen zwei Sowjetsoldaten. Und an der Ecke standen schon kapituliert habende Soldaten,<br />
und einer, der sich so schick gemacht hatte, mit so einer Schirmmütze und so einer Tarnjacke, auf den gingen<br />
die gleich zu: du Offizier! Nein, nein, nein! Um Gottes willen! Überhaupt nicht! Waffe! Und dann nahmen die<br />
dem die Pistole weg. Chitler kaputt! Sie konnten ja kein „h“ sprechen. Chitler kaputt!<br />
Mit der Kapitulation von General Weidling, dem Befehlshaber des Berliner Verteidigungsbereichs, war der<br />
Krieg am 2. Mai 1945 in der Reichshauptstadt zu Ende.<br />
Die erste Überlegung war: wo kriegen wir was zu essen her? Ich glaube nicht, dass die Leute im ersten Moment<br />
überhaupt daran dachten, ob sie befreit sind, ob sie besiegt sind, ob das die Stunde Null ist oder was<br />
eigentlich. Aber es dauerte gar nicht lange, und das hat mich eigentlich ein bisschen erschreckt - schon so nach<br />
zwei, drei Monaten: die Verdrängung begann. Die Leute erfuhren nun, was geschehen war. Die Massenmorde,<br />
angeblich hatte keiner was gewusst. Erschreckend. Eine Geschichte unaufhörlicher Verluste, die mit dem Jahr<br />
‚45 noch gar nicht zu Ende war. Denn es tauchten Leute auf, die überlebt hatten, aber sie tauchten nur auf, um<br />
nach Amerika zu gehen. Und so habe ich also auch diese Leute noch verloren und eben dann auch Bekannte,<br />
die entweder auswanderten oder nach Westdeutschland verzogen. Es war doch ein ständiger Verlust, muss ich<br />
sagen.<br />
Günter Kunert<br />
„Chitler kaputt!“ /<br />
13
14<br />
Geschichtsrevisionismusoder<br />
wie ein Kriegsverbrecher<br />
zum Friedensflieger werden kann...<br />
Wie widersprüchlich sich die Gefühle zur Geschichte<br />
verhalten, ist wieder um den 8. Mai 1945 zu vernehmen.<br />
Nunmehr fast 66 Jahre liegt dieser Tag zurück und<br />
markiert dennoch ein scheinbares Gefühlschaos in<br />
Deutschland: Niederlage? Schande? Oder doch Befreiung?<br />
Wenn in diesem Land heute von Geschichtsrevisionismus<br />
gesprochen wird, geht es vor allem um die<br />
bedeutendsten und einschneidendsten Ereignisse der<br />
jüngeren Geschichte: Shoa und Nationalsozialismus,<br />
Zwangsarbeit und Vertreibungen, Vernichtungskrieg<br />
und Antisemitismus. Geschichtsrevisionismus ist der<br />
Versuch, Geschichte und Geschichtsschreibung umzudeuten<br />
oder umzuschreiben, um anerkannte Schuld<br />
und Verantwortung abzustreiten sowie andere Ereignisse<br />
und Personen für die Verbrechen der Vergangenheit<br />
verantwortlich zu machen und sich somit zu<br />
entlasten. Geschichtsrevisionismus ist somit die Betrachtung<br />
der Geschichte entgegen der allgemein anerkannten<br />
Geschichtsdeutung.<br />
Ein Geschichtsrevisionismus, der die nationalsozialistische<br />
Vergangenheit Deutschlands zu relativieren<br />
oder gar zu beschönigen versuchte, kam erst wenige<br />
Jahre nach der Befreiung im Mai 1945 auf. Die politischen<br />
und sozialen Bedingungen für das Gedeihen jener<br />
Versuche, der rassistischen und nationalistischen<br />
Politik Deutschlands eine Existenzberechtigung zuzusprechen,<br />
wurde genau von denen gefördert, die<br />
mit der Zerschlagung des nationalsozialistischen<br />
Machtapparates an Macht und Einfluss verloren. SS,<br />
Wehrmacht, Hitlerjugend oder ordinäre Ex-NSDAP-<br />
Mitglieder, nationalsozialistische Amts- und Funktionsträger_innen<br />
sowie deren<br />
Sympathisant_innen, die aus allen Bereichen der<br />
Gesellschaft kamen: schon früh wurde von ihnen<br />
versucht, die Geschichte umzudeuten und damit<br />
gleichzeitig die Verbrechen zu relativieren, die dieses<br />
Regime mit seinen Millionen von „Volksgenossen“<br />
begangen hatte.<br />
Es waren Personen wie Annelies von Ribbentrop,<br />
die Witwe des hingerichteten Reichsministers Joachim<br />
von Ribbentrop, die 1954 von einer alliierten<br />
„Verschwörung gegen den Frieden“ schrieb und ver-<br />
suchte, die Aggressionskriege (sog. „Blitzkrieg“)<br />
Deutschlands zu einem „Selbstverteidigungskrieg“<br />
umzuschreiben. Die Attentäter vom 20.Juli 1944 um<br />
Stauffenberg wurden als Landesverräter bezeichnet<br />
und ihnen eine „Kriegsschuld“ nachgesagt. Der aggressive<br />
Geschichtsrevisionismus, der in den ersten<br />
Jahrzehnten im Nachkriegsdeutschland um<br />
sich ging, trachtete danach, das von den Alliierten und<br />
der Sowjetunion zerstörte völkische, nationalistische<br />
Selbstvertrauen der deutschen Täter_innen und den<br />
Kollaborateuren zu korrigieren. Der beendete Traum<br />
vom „Endsieg“ und der Krieg, der nicht an der fernen<br />
„Ostfront“, sondern direkt vor der eigenen Haustür<br />
ausgetragen wurde, zerstörte das nationalsozialistische<br />
„Glücks- und Heilsversprechen“ ganzer Generationen<br />
von Deutschen.<br />
Ein Eroberungskrieg als Abwehrkrieg?<br />
Die Jahre 1986/87 stellten eine Zäsur in der Geschichtsanalyse<br />
der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />
dar. Der sogenannte „erste Historikerstreit“<br />
wurde u.a. ausgelöst vom Historiker Ernst Nolte, der<br />
in seinem Buch „Der europäische Bürgerkrieg“ die<br />
Verantwortung und Schuld des Nationalsozialismus<br />
gleich in mehrfacher Hinsicht relativierte. Seine Relativierungen<br />
wurden vom „kleinen Mann“ auf der<br />
Straße dankbar aufgegriffen, um sich vom sogenannten<br />
„Schuldkult“ endlich lossagen zu können und „die<br />
Deutschen“ (explizit: nicht-jüdische Menschen) als<br />
Opfer von zeithistorischen Umständen darzustellen.<br />
So wurde der deutsche Angriffskrieg auf die<br />
Sowjetunion als „Abwehrkrieg“ dargestellt und die<br />
Konzentrationslager als Antwort auf die stalinistischen<br />
Gulags der Sowjetunion bewertet. Statt die<br />
Aggressivität und den erklärten Vernichtungswillen<br />
der nationalsozialistischen Politik als solche zu betrachten,<br />
externalisierte er, d.h. schoben er und nachfolgende<br />
Historiker_innen die Kriegsschuld auf die<br />
Alliierten und die Sowjetunion. Mit seinen Zweifeln<br />
an der „technischen Durchführbarkeit“ (sic!) von<br />
Vergasungen in den KZs leistete er Vorschub für Holocaust-Relativierungen<br />
und –Leugnungen, die weit<br />
in die deutsche Gesellschaft vordrangen und teilweise<br />
noch heute existent sind. Ein zweiter sogenannter
Historiker_innen-Streit folgte von 1996 bis 1998 im<br />
Zuge der sogenannten „Goldhagen-Debatte“ sowie<br />
der Rede zur Verleihung des Friedenspreises Martin<br />
Walsers, der sich endlich nach einem „Schlussstrich“<br />
unter der deutschen Vergangenheit und einem Ende<br />
„deutschen Schuldgefühle“<br />
gegenüber Jüdinnen und Juden sehnte.<br />
Geschichtsrevisionismus reloaded<br />
Nicht nur in rechtskonservativen Kreisen bietet Geschichtsrevisionismus<br />
die Möglichkeit zur Schuldentlastung<br />
der Täter_innen und der Abwehr von Verantwortung<br />
für deren Nachkommen. Noch heute stellt er<br />
eines der wichtigsten Elemente von Neonazi-Ideologien<br />
dar. Bekannteste Beispiele sind dabei Personen<br />
wie der SA-Führer Horst Wessel und Hitlers Stellvertreter<br />
Rudolf Heß. Gerade letzterer, der nach 46<br />
Jahren Haft im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis<br />
1987 verstarb, dient der Nazi-Szene als Märtyrerfigur<br />
und Referenzperson und wird zum „Friedensflieger“<br />
umgelogen. Hintergrund für diesen Geschichtsmythos<br />
ist sein Versuch, im Jahr 1941 nach<br />
England zu fliegen, um ein Friedensabkommen mit<br />
englischen Vertretern auszuhandeln, da die militärischen<br />
Erfolge Nazi-Deutschlands zu kippen drohten.<br />
Der Versuch scheiterte, da „Bruchpilot Heß“ mit seinem<br />
Flugzeug über Schottland abstürzte und anschließend<br />
in britische Kriegsgefangenschaft genommen<br />
wurde. Heß wurde nach seinem Selbstmord zu einer<br />
Kultfigur aufgebaut und bundesweit mit alljährlichen<br />
Großdemonstrationen im bayrischen Wunsiedel und<br />
zahlreichen Aufkleber-, Plakatier- und Sprühaktionen<br />
im gesamten Bundesgebiet gedacht, die bis heute<br />
rund um den 17. August statt finden. Vor diesem Hintergrund<br />
scheint es nur konsequent,<br />
dass der Selbstmord zu einem „Mord“ versucht wird<br />
umzudeuten, um sich als Opfer „alliierter Verbrechen“<br />
ausgeben zu können. Der Mythos vom „Bombenterror“<br />
bzw. dem „Bombenholocaust“, der Luftangriffe<br />
auf Dresden um den 13. Februar 1945 ist bereits weit<br />
in das kollektive bundesrepublikanische Gedächtnis<br />
vorgedrungen, von der NPD bis tief in bürgerliche<br />
Kreise. Durch Relativierung der Bedeutung Dresdens<br />
als kriegswichtige Stadt an der sogenannten „Heimatfront“<br />
und der Gleichsetzung Dresdens mit den<br />
Atombombenangriffen auf Hiroshima und<br />
Nagasaki wird die Frage nach Verantwortung für den<br />
Kriegsausbruch und das Verbrechen der Deutschen<br />
weit nach hinten gestellt und der „alliierte Bombenterror“<br />
in den Vordergrund gerückt. Vorherige Ereignisse<br />
wie die verheerenden deutschen Bombardements,<br />
beispielsweise gegen englische Städte wie<br />
Coventry, Liverpool oder London werden konsequent<br />
ausgeblendet. Deutschland, Dresden - wirklich alles<br />
Opfer?<br />
Das Ende der Geschichte?<br />
Geschichtsrevisionismus ist also die (von rechts) versuchte<br />
Aussöhnung der Vergangenheit mit der Gegenwart.<br />
Mithilfe der Relativierungen und der Leugnung von<br />
deutschen Verbrechen wird von rechtskonservativen<br />
Kreisen bis hin zur Neonazi-Szene versucht, Schuld<br />
abzuwehren und die nationalistische und rassistische<br />
Politik Deutschlands zu rehabilitieren. Auch<br />
die multimediale Inszenierung „deutscher Unschuld“<br />
nimmt dabei zu. Ob im literarischen Korsett von Jörg<br />
Friedrichs „Der Brand“ oder der Fernsehproduktion<br />
„Dresden“: Durch die undifferenzierte, vereinfachte<br />
und personalisierte Darstellung der Geschichte lassen<br />
sich Phänomene wie die „Volksgemeinschaft“ nicht<br />
erklären. Eine geschichtsrevisionistische Vergleichslogik<br />
versperrt dabei den wichtigen Blick auf Ursache<br />
und Wirkung. „So schlimm wie sie es uns erzählen<br />
wollen, war es nicht...“, schallt<br />
es. Die Deutung der Geschichte ist daher auch immer<br />
eine machtpolitische Realität. Anhand der mythenhaften<br />
Inszenierung von Stauffenberg lässt sich nachweisen,<br />
wie ein Antisemit, Militarist und völkischer<br />
Rassist zu einer Entlastungsperson umgelogen wird.<br />
Die angebliche Existenz eines Widerstandes, der<br />
sich in Wahrheit als nationalistische „Ehrenrettung“<br />
Deutschlands entpuppte, soll belegen, dass die nationalsozialistische<br />
Politik nicht ohne Widerspruch „im<br />
Volke“ geschah. Die Verankerung dieses Mythos im<br />
kollektiven Gedächtnis besorgen neben dem Museum<br />
des deutschen Widerstandes in Berlin auch massenkompatible<br />
Filme wie „Operation Walküre“. Die<br />
Bundesrepublik instrumentalisiert Stauffenberg zum<br />
„Nationalhelden“ und gibt den kommunistischen,<br />
sozialdemokratischen und jüdischen Widerstandskämpfer_innen<br />
kaum Gedenkmöglichkeiten.<br />
Schon die bloße Möglichkeit eines Widerstandes, der<br />
für eine andere Gesellschaft kämpfte, soll für<br />
vernachlässigbar erklärt werden, ein gesellschaftlicher<br />
Gegenentwurf nicht realistisch sein.<br />
Dem erteilen wir eine klare Absage und stellen uns<br />
gegen Geschichtslügen -<br />
kein Vergessen und kein Vergeben deutscher Verbrechen!<br />
Ein Beitrag der Gruppe North East <strong>Antifa</strong>scists<br />
Geschichtsrevisionismus /<br />
15
16<br />
Als auf dem Schuldach<br />
das Hakenkreuz wehte<br />
Der Protest der Schüler_innen<br />
und Lehrer_innen an der „Weltlichen<br />
Schule Berlin–Weißensee“<br />
Im April 1939 öffnete die „Weltliche<br />
Schule Berlin-Weißensee“<br />
in der Amalienstraße ihre Tore.<br />
Die Schule, die heute den Namen<br />
„Grundschule am Weißensee“<br />
trägt war seiner Zeit eine<br />
der ersten ihrer Art in Weißensee.<br />
Zahlreiche fortschrittliche Eltern<br />
und Arbeiter_innenfamilien, die ihre Kinder ohne Religionsunterricht und Prügelstrafe unterrichtet<br />
wissen wollten, meldeten ihre Kinder hier an. Der „Arbeiter-Eltern-Bund Berlin-Weißensee“, die<br />
„Freie Lehrergewerkschaft Deutschlands“, so wie Kinder- und Jugendorganisationen aus Arbeiter_innenkreisen<br />
beteiligten sich aktiv an der Gestaltung des Schulalltags. Durch ihren Einfluss, wie auch die allgemeinen<br />
Grundwerte der Weltlichen Schulen gab es hier z.B. keine Geschlechtertrennung. Anderer Orts<br />
war es nicht unüblich, dass „Jungen“ und „Mädchen“ in verschiedenen Klassen unterrichtet wurden 1 .<br />
Im überwiegend von Arbeiter_innen bewohnten Weißensee, vermochten die Nationalsozialisten lange Zeit<br />
kaum Anhänger für ihre Ziele zu gewinnen. Mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger<br />
Jahre erhielten sie Zulauf aus kleinbürgerlichen Schichten, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchteten.<br />
In der Schule machte sich die politische Lage bemerkbar, als einzelne Schüler der Hitlerjugend (HJ) beitraten.<br />
Beim ersten Eintritt eines Schülers in die HJ warnte der Lehrer Georg Nitschke (1896 – 1939) seine Schüler<br />
mit den Worten: „Die nehmen euch das Denken ab, da die Leute“ 2 . Jene Übertritte waren an der Schule<br />
zwar verschwindend gering, versetzen Leher_innen und Mitschüler_innen allerdings einen Schock, waren sie<br />
schließlich Vorboten der politischen Entwicklung in Deutschland, die auch das Ende der Weltlichen Schule<br />
erahnen ließ.<br />
„Je härter der politische Druck sich auszuwirken begann, desto enger rückte man ideologisch zusammen. In<br />
der großen Aula zum Beispiel, wurden in ständigen Intervallen sowjetische Revolutionsfilme zwischen Streifen<br />
mit Buster Keaton, Harold Lloyd und Charlie Chaplin gezeigt.“ 3 schrieb Wolfdietrich Schnurre 4 über die<br />
Situation in diesen Tagen.<br />
Rund zwei Wochen nach dem 30. Januar 1945, dem Tag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten,<br />
wehte die Hakenkreuzfahne auf dem Dach der Weltlichen Schule in der Amalienstraße. Vor dem Schuleingang<br />
versammelte sich rasch eine Traube von Schüler_innen, die sich weigerten das Schulgelände zu betreten.<br />
„Der Lappen muß runter, wir betreten die Schule nicht!“ 5 forderten sie. Zusammen mit Lehrern begannen sie<br />
aus Protest „Die Internationale“ zu singen: „Es rettet uns kein hö‘hres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch<br />
Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“. So unterschiedlich ihre Hintergründe auch<br />
gewesen sein mögen, in jenem Moment fanden sie sich in der Hymne der Arbeiter_innenbewegung wieder –<br />
vereint das Lied schließlich viele der freiheitlichen Grundideen der Weltlichen Schule. Rektor Rudolf Zwölfner<br />
hielt eine kurze Ansprache. „Er stellte jedem Schüler anheim, das Schulgebäude, gar die Klassenräume zu<br />
betreten. Was ihn anging jedoch, er könne nur sagen, jene Fahne dort oben habe aus seiner Schule eine fremde
Schule gemacht. Er fühle sich hier fehl am Platze“ 6 dann schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr weg. Die<br />
überwiegende Mehrheit der Schüler ging daraufhin, die Internationale pfeifend, geschlossen nach Hause.<br />
Nach nicht mal einer Woche erhielten die Eltern der Schüler Briefe in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass der<br />
Schulstreik „ungesetzlich“ sei und dass ihre Kinder sich wieder in der Schule in der Amalienstraße einzufinden<br />
haben. Die Lehrer der Weltlichen Schule wurden strafversetzt, Schuldirektor Zwölfner hingegen wurde<br />
von den Nazis in ein Konzentrationslager verschleppt.<br />
Der Streik an der „Weltlichen Schule Berlin Weißensee“ war eine eindrucksvollste Willensbekundung gegen<br />
den Vernichtungswahn der Nazis. Sie blieb, so weit dies bekannt ist, die einzige an einer öffentlichen Lehranstalt<br />
in Berlin. Der Mut der Schüler_innen und der Lehrerschaft kann uns heute Beispiel sein, wenn wir uns<br />
die Fragen stellen „Was kann ich tun?“, „Was habe ich getan?“.<br />
Literatur/Erläuterungen:<br />
[1] Die früher praktizierte Trennung von „Geschlechtern“ sorgte verfestigte schon im frühen Kindesalter klassische Rollenbilder<br />
von „Mann“ und „Frau“. Tätigkeiten wie kochen vorwiegend den Mädchen und Werken meist den Jungen beigebracht. Die<br />
Trennung sorgte u.a. dafür dass das „andere Geschlecht“ fremd und mysteriös gehalten wurde und so mit auch zwangsläufig eine<br />
Andersbehandlung unter einander entstand. Wir haben geschlechtsspezifische Bezeichnungen in Anführungszeichen gesetzt, da wir<br />
Geschlechtsidentität als konstruiert erachten.<br />
[2] Wolfdietrich Schnurre, „Gelernt ist gelernt“, in: „Meine Schulzeit im Dritten Reich. Erinnerungen deutscher Schriftsteller“,<br />
Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.), München 1984, S.72<br />
[3] Ebd., S.74<br />
[5] Wolfdietrich Schnurre war Schüler der Weltlichen Schule Berlin-Weißensee und ein bedeutender Lyriker, Roman- und Kinderbuchautor<br />
der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, die Bibliothek 2005 in der Bizetstraße eröffnete Bibliothek trägt seinen<br />
Namen.<br />
[5] „Chronik der 7. Oberschule Waldemar Schmidt“ Berlin-Weißensee, maschinen-schriftliches Manuskript<br />
[6] Komitee der <strong>Antifa</strong>schistischen Widerstandskämpfer der Deutschen Demokratischen Republik Berlin-Weißensee (Hrsg.): <strong>Antifa</strong>schistischer<br />
Widerstand in Berlin-Weißensee 1933-1945. Erinnerungen, Berichte,Biografien. Berlin 1988. Erinnerungen von<br />
Günter Nitschke, in „Der Lappen muß runter!“ eine <strong>Antifa</strong>schistische Protestaktion an der weltlichen Schule, S.92ff<br />
Grundschule am Weißensee, 2011<br />
Als auf dem Schuldach das Hakenkreuz wehte /<br />
17
18<br />
Fritz Hödel und die<br />
Rote Hilfe in Weißensee<br />
Fritz Hödel (1889 – 1966),<br />
Weißensee – Sedanstraße 90b (heute Bizetstraße)<br />
Fritz Hödel entstammte der Weißenseer Mieter_innenbewegung<br />
und war über die Parteikreise hinaus<br />
in der Nachbarschaft angesehen. Innerhalb der Roten<br />
Hilfe Berlin-Brandenburg war der gelernte Schneider<br />
war eine wichtige Person. Die Rote Hilfe, die größte<br />
linke Hilfsorganisation politischer Gefangener 1 , unterhielt<br />
über Hödel eine Vielzahl an Kontakten in den<br />
Bezirk Weißensee, ins Ausland und andere deutsche<br />
Städte.<br />
Im September 1933 wechselte er von der illegal arbeitenden<br />
Weißenseer KPD zur Roten Hilfe, deren örtlichen<br />
Unterbezirk er fortan aufbaute. Nach mehreren<br />
Verhaftungen gegen Genoss_innen durch die Nazis<br />
im Oktober 1934 übernahm er die Leitung der Roten<br />
Hilfe im Bezirk Berlin-Brandenburg. Er erhielt Unterstützung<br />
vom früheren Weißenseer KPD-Unterbezirksleiter<br />
Gustav Tscharniel und dem Blankenburger<br />
Steindrucker und ehemaligen Landtagsabgeordneten<br />
Max Sellheim (1883–1945). Eine seiner engen Mitarbeiter_innen<br />
war die Weißenseer Verkäuferin Frieda<br />
Seidlitz (1907 – 1936). Sie lebte seit 1933 illegal und<br />
unterhielt die Kontakte zur Prager Exil-Leitung der<br />
Roten Hilfe und fungierte als Materialkurierin. Auch<br />
Arbeitersportler_innen dienten später Widerstandszellen<br />
als Material-Kuriere (Bsp. Sredzki-Gruppe).<br />
„Gemeinsam mit der Genossin Anna Gerichow gelang<br />
es [Hödel], die Rote Hilfe wider illegal stark<br />
vorwärts zu treiben, einzelne Organisationen wie den<br />
ASW (Arbeiter Sportverein Weißensee) als Kollektivmitglieder<br />
und Beitragzahlende anzuschließen.<br />
Der Mitgliederbestand war etwa 300 – 400.“ 2<br />
In der Wohnung Fritz Hödels, in der Sedanstraße 90b<br />
(heute Bizetstraße) wurden unter anderem die Rote<br />
Hilfe-Zeitung „Hand in Hand“ hergestellt und die<br />
Verteilung des Rote Hilfe-Materials „Das Tribunal“<br />
organisiert.<br />
Außerdem baute Frieda Seidlitz zusammen mit Fritz<br />
Hödel in Weißensee ein illegales Versorgungsnetzwerk<br />
auf, das untergetauchten <strong>Antifa</strong>schist_innen bei<br />
der Ausreise half und sie materiell wie auch finanziell<br />
unterstütze. „wir haben circa 40 – 50 Emigranten<br />
durch unseren Apparat im Bezirk betreut und in<br />
die Emigration weitergeleitet. Ein großer Teil dieser<br />
Genossen stammte aus Hamburg. Es war uns sogar<br />
möglich, den Emigranten zu den ihnen zustehenden<br />
Unterstützungen von 5 Mark wöchentlich für Wohnung<br />
und Ernährung noch zusätzlich je 5 Mark als Taschengeld<br />
auszuhändigen. […] um Vergleichszahlen<br />
im heutigen Wert zu erhalten müsste man die genannten<br />
Beträge verzehnfachen“ 3 resümierte Hödel später<br />
über ihre Arbeit.<br />
Rund ein halbes Jahr nach dach dem er Leiter der<br />
Roten „Roten Hilfe Berlin-Brandenburg“ geworden<br />
war kam eine ungewöhnliche Aufgabe auf ihn zu. Er<br />
wurde beauftragt mit dem Prenzlauer Berger SPD-<br />
Mitglied Paul Laufer, ein Unterstützungsabkommen<br />
zwischen Roter Hilfe/KPD und der illegalen Berliner<br />
SPD auszuhandeln. Die Hilfsgelder zwischen SPD<br />
und KPD stellten einen bemerkenswerten Vorgang<br />
dar, gerade weil zwischen beiden Parteien kein offizielles<br />
Einheitsabkommen herrschte.<br />
Nach einer mehreren Verhaftungen im November<br />
1935 gegen die KPD, setzte sich Fritz Hödel im Januar<br />
1936 nach Prag ab, um einer Festnahme zu entgehen<br />
und um der Prager Exil-Leitung der Roten Hilfe<br />
Bericht zu erstatten. Die Verhaftungen in den Reihen<br />
der KPD hatten Lücken in die Struktur der Roten Hilfe<br />
gerissen, da es in der Roten Hilfe und der KPD<br />
zahlreiche Doppelmitgliedschaften gab. Dadurch<br />
wurde auch die Produktion der Zeitungen „Roten<br />
Hilfe“ und „Der Widerstand“ lahmgelegt. Vor Hödels<br />
Flucht nach Prag produzierten er, Sellheim und weitere<br />
Genoss_innen die Zeitung „Die Bruderhand“ um
die entstandene Lücke an Publikationen zu füllen (nur<br />
eine Ausgabe, 19. Januar 1936).<br />
Er reiste zurück nach Deutschland, obwohl er wusste<br />
dass es gefährlich werden würde. Selbst die geheime<br />
Staatspolizei war ihm gegenüber schon zu<br />
Respekt genötigt worden. Als „kommunistischen<br />
Internationalisten“ 4 hatten sie ihn bezeichnet. Fritz<br />
Hödel übergab mehreren Familien, die Angehörige in<br />
den Gefängnissen zu sitzen hatten, Unterstützungsgelder,<br />
so dass sie wenigstens finanziell über die Runden<br />
kamen.<br />
Einen Tag vor seiner erneuten Flucht aus Deutschland<br />
wurde er am 29.März 1936 festgenommen. Es folgte<br />
strenge Einzelhaft. Frieda Seidlitz wurde im April<br />
1936 ebenfalls von der Gestapo verhaftet, nahm sie<br />
sich am 27. Mai 1936 wegen der bei den Vernehmungen<br />
erlittenen Misshandlungen das Leben, um nicht<br />
andere „Mitverschwörer“ zu gefährden. Max Sellheim<br />
wurde am 2. Mai 1945 bei Sachsenhausen erschossen.<br />
Fritz Hödel und Anna Gerichow überlebten<br />
den Nationalsozialismus.<br />
Literatur/Erläuterungen:<br />
[1] 1 Die Rote Hilfe e. V. (abgekürzt RH) ist eine Organisation<br />
zur Unterstützung von Aktivisten, die auf Grund von politisch<br />
als links geltender Tätigkeit mit deutschen staatlichen Organen<br />
in Konflikt geraten sind. Die Organisation hat bundesweit etwa<br />
5000 Mitglieder in 40 Orts- und Regionalgruppen sowie eine<br />
Bundesgeschäftsstelle in Göttingen und versteht sich als Nachfolger<br />
der historischen Roten Hilfe Deutschlands.<br />
[2] Hans-Rainer Sandvoß:„Widerstand in Prenzlauer Berg und<br />
Weißensee“. aus der Reihe Widerstand 1933-1945, S.153<br />
[3] Ebd.<br />
[4] Ebd., S.155<br />
Bizetstraße 90, Weißensee, 2011<br />
Fritz Hödel und die Rote Hilfe in Weißensee /<br />
19
20<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand<br />
in Berlin – Nordost 1933 bis 1945<br />
Als der Bäckermeister Alfred Hühnerbein aus der<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong>er Hauptstraße 19 im Jahr 1948<br />
gefragt wurde, ob er irgendeine antifaschistische Tätigkeit<br />
oder Handlung nachweisen könne, antwortete<br />
er, er habe „Juden und <strong>Antifa</strong>schisten genauso wie<br />
Pgs. zuvorkommend behandelt“, also unter seiner<br />
Kundschaft im Bäckerladen in der Berliner Allee 179<br />
in Weißensee keinen Unterschied zwischen <strong>Antifa</strong>schisten<br />
und NSDAP-Parteigenossen (Pgs.) gemacht.<br />
Entfallen war dem vergesslichen Bäckermeister nicht<br />
nur, dass er selbst seit dem 8. Juli 1933 Mitglied der<br />
SA sowie weiterer vier faschistischer Organisationen<br />
war und seine Frau Erna der NS-Frauenschaft angehörte.<br />
Er hatte auch gänzlich verdrängt, dass er im<br />
Jahr 1943 seinem Kunden Heinrich Rodrian aus der<br />
Charlottenburger Straße 123, als dieser sich gegen<br />
die Politik Hitlers aussprach, entgegen schleuderte<br />
„Du gehörst ins KZ., mit solchen Leuten müsse man<br />
aufräumen.“ (Landesarchiv Berlin C Rep. 105, Nr.<br />
1884)<br />
So wie Hühnerbein wollten sich nach dem 8. Mai<br />
1945 die meisten Deutschen nur daran erinnern, dass<br />
sie in den Zeiten des Verbrechens anständig geblieben<br />
wären. Niemand war Nazi, bestenfalls war man<br />
Mitläufer, denn gegen die Nazis Widerstand zu leisten,<br />
sei unmöglich gewesen, man wäre doch sofort<br />
abgeholt worden. Diese deutsche Geschichtslüge<br />
dient auch heute noch dazu, antifaschistischen Widerstand<br />
und den Kampf gegen Kriege, Rassenhetze<br />
und Kapitalismus zu kriminalisieren oder als unmöglich<br />
darzustellen.<br />
Wie im gesamten Deutschen Reich und in Berlin gab<br />
es auch in seiner nordöstlichen Region, dort wo die<br />
Stadt damals allmählich in eine Dorf- und Rieselfelderlandschaft<br />
überging, während der Nazi-Herrschaft<br />
keinen breiten antifaschistischen Volkswiderstand gegen<br />
das NS-Regime. Diese beschämende historische<br />
Wahrheit wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf<br />
die Haltungen, die Interessen und den Charakter der<br />
Weißenseer, <strong>Hohenschönhausen</strong>er, Malchower, Wartenberger,<br />
Falkenberger, Ahrensfelder, Heinersdorfer,<br />
Blankenfelder, Bucher und Karower jener Tage. Sie<br />
lässt vor allem die menschliche Größe und die Gefährdung<br />
der Wenigen unter ihnen erahnen, die es wagten<br />
zu widersprechen, sich zu verweigern, nicht mitzumachen,<br />
Verfolgten zu helfen, Flugblätter herzustel-<br />
len, die Rüstung zu sabotieren, eben Widerstand zu<br />
leisten. Aber wie wurde man Widerstandskämpfer?<br />
Benötigte man dazu politische Erfahrungen, Kenntnisse<br />
oder Mut?<br />
Der Ausgangspunkt jedes Widerstandes der einfachen<br />
Leute war das Eintreten für die Gleichheit aller Menschen,<br />
für Gerechtigkeit, war die Menschlichkeit. Ein<br />
Ereignis hatte in den 1930er Jahren in Malchow für<br />
Aufmerksamkeit gesorgt. Als der Befehl der Nazis<br />
erschien, dass alle Verkaufsläden das Schild „Juden<br />
unerwünscht“ zu führen hätten, befestigte auch der<br />
alte Gastwirt und Bäcker Conrad Stahlberg dieses<br />
Schild am Fenster seines Bäcker-Ladens Dorfstraße<br />
31a. Am nächsten Morgen stand darunter „SA- und<br />
SS-Männer auch“. Die Suche der Nazis nach dem<br />
Schreiber blieb erfolglos, aber alle im Dorf vermuteten<br />
den alten Stahlberg als Schreiber, weil er als<br />
Freund der Juden bekannt war.<br />
Im Jahr 1943 kam es infolge einer politischen Auseinandersetzung<br />
in der Betriebssportgruppe der<br />
Deutschen Niles Werke AG zu einer Prügelei in der<br />
Weißenseer Gastwirtschaft von Georg Jacob in der<br />
Feldtmannstraße 143. Einige antinazistischen Mitarbeiter<br />
der Deutschen Niles Werke, der Buchhalter<br />
Willy Feldhahn, der Monteur Artur Seefeld und der<br />
Dreher Willi Schäfer, wandten sich offen gegen Hitler,<br />
die NSDAP und den Krieg. Daraufhin wurden<br />
sie von NSDAP-Mitgliedern bei der faschistischen<br />
Betriebsleitung denunziert und von der Gestapo verhört<br />
und verwarnt. Feldhahn wurde die Einlieferung<br />
in ein KZ angedroht. Schäfers „UK-Stellung“ (unabkömmlich)<br />
wurde vom Werk aufgehoben und es<br />
erfolgte seine sofortige Einberufung zur Wehrmacht.<br />
Seefeld, der zudem russische Zwangsarbeiter sowie<br />
französische Kriegsgefangene, die ihm im Betrieb<br />
unterstellt waren, mit Lebensmitteln versorgte, wurde<br />
bestraft und erhielt ebenfalls umgehend einen Einberufungsbefehl.<br />
Ein weiterer langjähriger Mitarbeiter<br />
der Niles Werke, der Werkmeister Heinrich Hohberg,<br />
Weißensee Sedanstraße 80 (seit 1951 Bizetstraße),<br />
der mit einer Jüdin verheiratet war, weigerte sich, der<br />
Aufforderung der Werksleitung nachzukommen, sich<br />
von ihr scheiden zu lassen. Hohberg, der seit 1911 im<br />
Werk arbeitete und seit 1926 Werkmeister war, wurde<br />
am 8. März 1943 ohne Frist und Anhörung gekündigt.<br />
(LAB C Rep. 105, Nr. 1235, Bl. 213-216)
In einem anderen Weißenseer Betrieb, der Berliner<br />
Kindl-Brauerei AG Abteilung III Weißensee, Lichtenberger<br />
Straße 66-92 (seit 1985 Indira-Gandhi-Straße),<br />
wurde am 2. Mai 1935 der parteilose Maurer Paul<br />
Schettler aus der Friedrichshainer Heidenfeldstraße<br />
13, der in der Brauerei arbeitete, fristlos entlassen.<br />
Begründet wurde dies damit, dass er einen Tag vorher,<br />
am faschistischen „Tag der Arbeit“, nicht an dem<br />
Stellplatz der Brauerei in Neukölln zum Propaganda-<br />
Umzug der Belegschaft erschienen war.<br />
Am 12. Juli 1942 wurde die Flaschenkellerarbeiterin<br />
Mathilde Kuhn aus der Witzenhauser Straße 63 in<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong> an ihrem Arbeitsplatz, ebenfalls<br />
in der Berliner Kindl-Brauerei AG Abteilung III Weißensee,<br />
verhaftet. Sie hatte sich solidarisch gegenüber<br />
französischen Kriegsgefangenen verhalten. Ihr Arbeitsverhältnis<br />
wurde von der Direktion rückwirkend<br />
aufgelöst und es wurde ein politisches Strafverfahren<br />
eingeleitet. (Archiv Kindl-Brauerei, 1988)<br />
In der selben Zeit hörte die fünfzehnjährige Lilo Millis<br />
in der <strong>Hohenschönhausen</strong>er Tamseler Straße 45 fast<br />
jeden Abend gemeinsam mit ihrem Vater Jakob, einem<br />
Schneider, und ihrer Mutter, einer Handnäherin,<br />
die sogenannten Feindsender „Radio Moskau“ und<br />
„Londoner Rundfunk“. Oft konnte sie nicht einschlafen,<br />
bevor sie nicht die Stimmen von Ernst Busch oder<br />
Lotte Loebinger aus dem Radio gehört hatte. Die Sender<br />
stärkten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft,<br />
und sie waren eine wichtige Informationsquelle im<br />
antifaschistischen Widerstandskampf.<br />
Der ebenfalls erst fünfzehnjährige Horst Götsch aus<br />
Malchow, Dorfstraße 8, wuchs mit seinen drei Geschwistern<br />
in ärmlichen Verhältnissen auf. Noch mehr<br />
bedrückte ihn jedoch, dass sein Vater Heinrich Götsch,<br />
ein Inspektor auf den Rieselfeldern und NSDAP-Mitglied,<br />
aus ihm einen strammen Hitlerjungen machen<br />
wollte. Horst Götsch streubte sich dagegen, empfand<br />
er doch gegen die zwangsdeportierten Schnittermädchen<br />
aus der Ukraine und Polen, denen er im Dorf<br />
täglich begegnete, keinen Hass, und auch seine Mutter<br />
bestärkte ihn in seiner kritischen Haltung gegenüber<br />
dem fanatischen Vater. Noch als Kind versorgte<br />
er die Zwangsarbeiterinnen mit Lebensmitteln, ganz<br />
gegen die Vorgaben der väterlichen und schulischen<br />
Erziehung.<br />
All diesen Menschen mit Charakter, die in Konflikte<br />
mit der faschistischen deutschen Leitkultur gerieten,<br />
war vielleicht nicht bewusst, dass sie am antifaschistischen<br />
Kampf teilnahmen. Sie waren weder politisch<br />
geschult, noch gehörten sie einer Partei an. Ihre alltäglichen<br />
Verweigerungshaltungen, denen meist persönliche,<br />
familiäre Motive oder einfach menschliche<br />
Zuneigung insbesondere zu Schwächeren zugrunde<br />
lagen, waren der Auslöser ihrer Widersprüche und<br />
Zweifel gegenüber den Nazis. Solche antifaschistischen<br />
Verhaltensweisen gab es in jener Zeit immer<br />
wieder, aber sie blieben vereinzelt, defensiv und oftmals<br />
hilflos.<br />
Erst der organisierte, sich auf politischen Erfahrungen<br />
und Traditionen gründende Kampf ließ im Unterschied<br />
zu den zersplitterten Protesten, Verweigerungen<br />
und Ablehnungen einen antifaschistischen<br />
Widerstand wachsen, der ein kompromissloses Ziel<br />
verfolgte, den Sturz der Nazi-Herrschaft. Dieser<br />
Kampf verharrte nicht im passiven Abwarten. Er ging<br />
in Aktionen über und bot damit andererseits dem faschistischen<br />
Terrorapparat eher Möglichkeiten der<br />
Entdeckung und Verfolgung dieses Widerstandes.<br />
Seit dem Machtantritt der Nazis am 30. Januar 1933<br />
bildete sich eine vielfältige und differenzierte Widerstandslandschaft<br />
im Berliner Nordosten heraus, in<br />
der sich unterschiedliche, ja gegensätzliche politische<br />
Kräfte wiederfanden. Den Kern dieses politischen<br />
Widerstandes bildeten Kommunisten und Sozialdemokraten,<br />
die den Faschismus schon in der Endphase<br />
der Weimarer Republik energisch bekämpft<br />
hatten und daher im ersten Halbjahr 1933 als erste<br />
systematischen und besonders brutalen Verfolgungen<br />
ausgesetzt waren. Den Faschisten ging es nicht allein<br />
um die Brechung des Widerstandswillens einzelner<br />
Gegner, sondern um die Zerschlagung ihrer Organisationen<br />
und Zusammenhänge, die ihnen Halt, Kraft,<br />
Ausdauer und die Solidarität einer Gemeinschaft gaben.<br />
Hunderte aktiver Kommunisten und Sozialdemokraten<br />
insbesondere in den Roten Hochburgen der<br />
Innenstadtbezirke Wedding, Friedrichshain, Mitte,<br />
Prenzlauer Berg und aus dem Bezirk Neukölln waren<br />
den Nazis seit Jahren bekannt. Von Februar bis Juni<br />
1933 erfolgten gegen sie zielgerichtete Hausdurchsuchungen,<br />
Verhaftungen, Misshandlungen und Morde.<br />
Wegen dieser Gefährdungslage mussten die führenden<br />
und bekanntesten Genossen außer Landes gehen<br />
und manch örtlicher Funktionär oder Abgeordneter<br />
seine Wohnung aufgeben und in einen für seine Person<br />
weniger öffentlichkeitswirksamen Außenbezirk<br />
„emigrieren“. Dies traf beispielsweise auf die Familie<br />
Hedwig und Otto Schrödter aus Friedrichshain zu,<br />
die nach Weißensee umzog. Der ungezügelte Nazi-<br />
Terror konnte im Jahr 1933 nicht aufgehalten werden,<br />
es kam vordringlich auf den Schutz der antifaschistischen<br />
Kräfte an.<br />
Zur ehrlichen Geschichte des Widerstandskampfes<br />
in Deutschland gehört die Tatsache, dass die beiden<br />
antifaschistischen Hauptströmungen, die schon seit<br />
Jahren gegen die NSDAP kämpften, im ersten Halbjahr<br />
1933 über das Ausmaß und die Perspektive der<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
21
22<br />
faschistischen Macht desorientiert waren und die<br />
Tiefe ihrer Niederlage nicht erkannten. Das KPD-<br />
Polbüro arbeitete weiterhin auf einen Generalstreik<br />
hin, weil angeblich ein massenhaftes Umschwenken<br />
der Arbeiter zu den Kommunisten bevorstand, und<br />
der SPD-Parteivorstand war ebenso überzeugt, die<br />
Hitler-Regierung werde „Abwirtschaften“ und dann<br />
die Sozialdemokratie ihr Comeback erleben. SPD-<br />
Vorsitzender Otto Wels sprach noch am 23. Oktober<br />
1933 vom Abwirtschaften der Nazis, also ihrer Unfähigkeit,<br />
ein stabiles Herrschaftssystem errichten zu<br />
können.<br />
Beide Orientierungen waren Fehlannahmen, weil<br />
sie nicht von der realen politischen Situation ausgingen,<br />
sondern auf ein Wunder setzten. Sie vertrauten<br />
auf eigenen Wunschvorstelllungen und auf erhofften<br />
Desillusionierungen und Gegensätzen im feindlichen<br />
Nazi-Lager. Letztlich führte dies zur Unterschätzung<br />
des Faschismus und zur Lähmung des <strong>Antifa</strong>schismus.<br />
Beide Perspektiven des „Alles oder nichts“-<br />
Tuns schwächten die politische Abwehr und forderten<br />
unnötige Opfer. Die Sozialdemokratie wirkte schon<br />
vor ihrem Verbot im Juni 1933 wie gelähmt. Vielen<br />
Mitgliedern erschien das abwartende Verhalten ihrer<br />
Führung wie eine Selbstauflösung, denn faktisch<br />
stellte die SPD weitgehend ihre politische und organisatorische<br />
Tätigkeit an der Basis ein und zerfiel. Infolge<br />
ihrer Politik wurde die Berliner SPD regelrecht<br />
zerrieben und zählte im Juni 1933 nur noch etwa ein<br />
Viertel ihrer Mitglieder von 100.000 zum Jahresanfang,<br />
in Weißensee waren es wohl nur noch etwa<br />
700. Die ADGB-Führung (Allgemeiner Deutscher<br />
Gewerkschaftsbund) rief sogar zur Teilnahme an der<br />
faschistischen 1. Mai-Feier 1933 auf dem Tempelhofer<br />
Feld auf, was die DHM-Ausstellung „Hitler und<br />
die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“<br />
(2010/11), obwohl dort ein Filmausschnitt über diesen<br />
Aufmarsch gezeigt wurde, verschwieg. Von<br />
rechten SPD- und Gewerkschaftsbonzen wurde der<br />
<strong>Antifa</strong>schismus nicht erst jetzt, sondern seit langem<br />
entwaffnet.<br />
Die Kommunisten versuchten dagegen in Fortsetzung<br />
ihrer Offensivstrategie mit Aktionismus einen<br />
Massenprotest von unten zu organisieren, der immer<br />
wieder zu Verhaftungen ihrer aktivsten Genossen und<br />
zur weiteren Zurückdrängung ihres Einflusses führte.<br />
So wurden noch im Mai 1933 in Berlin offene kommunistische<br />
Demonstrationen und Flugblattaktionen<br />
durchgeführt, die zwar mutige politische Zeichen<br />
setzten, aber ein unvertretbares Risiko für ihre Teilnehmer<br />
angesichts des faschistischen Terrors in sich<br />
bargen und vor allem in ihrer Wirkung äußerst begrenzt<br />
blieben. Die KPD war besser als die SPD auf<br />
den konspirativen Untergrundkampf vorbereitet und<br />
versuchte bereits seit Ende Februar 1933 mit parallelen<br />
Strukturen ihre gesamte Organisation in Weißensee<br />
in die Illegalität zu überführen.<br />
Zur nüchternen Analyse des politischen Kräfteverhältnisses<br />
in Weißensee können die Reichstagswahlen<br />
vom 5. März 1933 herangezogen werden, die jedoch<br />
wegen des Terrors nicht mehr als demokratisch<br />
bezeichnet werden können, weil sie von Angst, Opportunismus<br />
und Verunsicherung überschattet waren.<br />
Umso erstaunlicher war es, dass die NSDAP hier wie<br />
in Berlin und ganz Deutschland ihr Ziel einer für eine<br />
„legale“ Machtübernahme erforderlichen Zweidrittelmehrheit<br />
der Wählerstimmen nicht erreichte. Der<br />
Bezirk Weißensee war ein Arbeiterbezirk und zählte<br />
im Jahr 1933 insgesamt 81.565 Einwohner, 61.817<br />
Stimmberechtigte und 52.941 Wahlteilnehmer sowie<br />
451 ungültige Stimmen. Weißensee war damals hinter<br />
Zehlendorf der bevölkerungsärmste Bezirk Berlins.<br />
Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erhielt<br />
die NSDAP in Weißensee zwar 19.045 Stimmen<br />
(36,0 %), aber die KPD mit 15.588 Stimmen (29,4 %)<br />
und die SPD mit 10.546 Stimmen (19,9 %) stellten<br />
immer noch ein starkes antifaschistisches Gegengewicht<br />
dar. Hinzu kamen noch 4.179 Stimmen (7,9 %)<br />
für die rechtsorientierte Kampffront Schwarz-Weiß-<br />
Rot, die zur NSDAP tendierte, und 2.520 Stimmen<br />
(4,8 %) für die bürgerliche Zentrumspartei sowie weitere<br />
1.054 Stimmen (2,0 %) für kleinere bürgerliche<br />
Parteien und 9 Stimmen (0,02 %) für die Sozialistische<br />
Kampfgemeinschaft. Somit standen zwar nach<br />
dieser Wahlarithmetik 43,9 % faschistischen Wählern<br />
(NSDAP und KF S-W-R) 49,3 % antifaschistische<br />
Arbeiterwähler (KPD und SPD) gegenüber, aber ein<br />
Zusammengehen der kommunistischen und sozialdemokratischen<br />
Wähler fand auch in Weißensee nicht<br />
statt. Diese Wahlen waren ein Feigenblatt und dienten<br />
der Illusion, es ginge im NS-Staat demokratisch<br />
zu. Selbst die SPD-Führung glaubte in ihrem Legalitätswahn<br />
damals daran. Schon am 5. März 1933 wurde<br />
die Mär, die sich bis heute hält, man könne die<br />
Nazis an der Wahlurne schlagen, der Wähler müsse<br />
nur wählen gehen, widerlegt. In Weißensee lag die<br />
Wahlbeteiligung bei 87,3 %. Die Wahlen wurden zu<br />
einer Farce, weil die Macht nicht aus der Wahlurne,<br />
sondern aus den SA-Lokalen und Polizeirevieren,<br />
aus den Nazizeitungen, dem Reichskanzlerpalais,<br />
den Ministerien und den Vorständen der Banken und<br />
Großunternehmen kam. Der Terror steigerte sich und<br />
fand im Juni 1933 in der Köpenicker Blutwoche mit<br />
21 nachweislich ermordeten und 70 vermissten <strong>Antifa</strong>schisten<br />
seinen vorläufigen Höhepunkt.<br />
Erst im Verlauf des Jahres 1934 wurde den politi-
schen Gegnern des Faschismus allmählich bewusst,<br />
dass der Sturz der Naziherrschaft nicht eine Frage von<br />
Tagen und Wochen, sondern von Jahren sein werde.<br />
Die Exil-Führung der SPD in Prag, die Sopade, ging<br />
sogar Ende der 1930er Jahre davon aus, dass der deutsche<br />
Faschismus vom deutschen Volk nicht gestürzt,<br />
sondern nur durch äußere Kräfte beseitigt werden<br />
könne. Die falschen Strategien sowohl der SPD- als<br />
auch der KPD-Führung bis 1933 waren das entscheidende<br />
Hindernis für einen erfolgversprechenden antifaschistischen<br />
Abwehrkampf im Jahr 1933, aber auch<br />
schon in den Jahren zuvor seit 1929.<br />
Nichts war in jenen Jahren unwahrscheinlicher als<br />
ein Zusammengehen beider Arbeiterparteien, zu groß<br />
war das traditionelle politische Misstrauen, die sozialen<br />
Interessenunterschiede, die alltäglichen politischen<br />
Gegensätze und die Differenzen über anzustrebende<br />
gesellschaftliche Perspektiven gegen den<br />
Kapitalismus, die nicht dem subjektiven Unvermögen<br />
einzelner Führer entsprangen, sondern in der Grundforderung<br />
nach Enteignung des Kapitals und einer<br />
Räteherrschaft unüberbrückbar blieben. Dennoch<br />
wuchs im antifaschistischen Kampf angesichts der<br />
Ohnmacht und Niederlage der verständliche Wunsch<br />
nach einer Einheitsfront. Aber auf welcher Basis sollte<br />
sie stehen? Eine antifaschistische Gemeinsamkeit mit<br />
einer Partei, die den Kapitalismus so schlecht verwaltete,<br />
dass in seiner Mitte immer wieder Faschismus,<br />
Militarismus und Rassismus entstehen konnten, war<br />
unmöglich. Für die antifaschistischen Kräfte stand<br />
deshalb 1933 die Aufgabe, ihren Widerstandskampf<br />
autonom zu organisieren. Zwischen bürgerlich-sozialdemokratischem<br />
beschwichtigenden Händchenhalten<br />
oder dem späteren Putschversuch des 20. Juli<br />
der überwiegend deutsch-national, halbfaschistischen<br />
Eliten und dem antifaschistischen Arbeiterwiderstand<br />
gab es kein wie auch immer geartetes Bündnis. Dieser<br />
Einschätzung entspricht, dass die meisten im Widerstand<br />
aktiven Sozialdemokraten in Berlin sich den<br />
Positionen der Kommunisten stark annäherten. 1946<br />
war Weißensee der Bezirk mit der höchsten Zustimmung<br />
(73,3 %) unter den Sozialdemokraten aller 20<br />
Berliner Bezirke für eine Vereinigung mit der KPD.<br />
Im Oktober 1933 wurde eine kommunistische Gruppe<br />
in <strong>Hohenschönhausen</strong> verhaftet, die seit 1930 im<br />
Besitz von Waffen war. Die Arbeiter Hermann Fischer,<br />
Hans Fischer, Willi Dubiel, Franz Düsterhöft,<br />
Karl Heisig, Fritz Scheibe und Rudolf Wegener aus<br />
der Werneuchener, Küstriner, Dingelstädter, Wriezener<br />
Straße und aus der Friedrichshainer Liebigstraße<br />
19 (Scheibe) gehörten der RFB/<strong>Antifa</strong>-Formation<br />
„Einheit“ an, die sich nach den kommunistischen<br />
Orientierungen am Ende der Weimarer Republik auf<br />
bewaffnete Straßenkämpfe vorbereitet hatte. Soweit<br />
es nicht um den Selbstschutz der Genossen ging, war<br />
dies eine verhängnisvolle politische Strategie, die der<br />
SA und NSDAP, aber auch der sozialdemokratisch<br />
geführten Polizei vor 1933 zur Rechtfertigung ihres<br />
rücksichtslosen Einsatzes von terroristischer Gewalt<br />
diente. Der bewaffnete antifaschistische Kampf wurde<br />
nicht von der Strategie einer Partei, von Gefühlen<br />
der Rache oder Einzelner auf die Tagesordnung<br />
gesetzt, sondern konnte erst im Zuge der Agonie des<br />
Faschismus im Jahr 1945 aktuell werden, weil die<br />
antifaschistische Gewalt die höchste, aber nicht eine<br />
beliebige, in allen Situationen anwendbare Form des<br />
Kampfes gegen das Naziregime darstellte.<br />
Im Spanien des Jahres 1936 war aufgrund des breiten<br />
Volkswiderstandes gegen den faschistischen Franco-<br />
Putsch eine derartige Lage entstanden, die eine Unterstützung<br />
des internationalen bewaffneten Kampfes<br />
gegen den Faschismus erforderte. Am Freiheitskampf<br />
des spanischen Volkes gegen Franco und seine faschistischen<br />
deutschen Verbündeten 1936-1939 beteiligten<br />
sich in den Internationalen Brigaden tausende<br />
deutsche kommunistische, sozialdemokratische, parteilose,<br />
anarchistische Arbeiter und Linksintellektuelle,<br />
so auch aus dem Berliner Nordosten.<br />
Artur Becker 1931<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
23
24<br />
Einer von ihnen war Artur Becker, der aus Remscheid<br />
am südlichen Rande des Ruhrpotts stammte. Der<br />
junge Kommunist war Ende der 1920er Jahre in die<br />
kommunistische Führung gelangt und war von Oktober<br />
1930 bis März 1933 der jüngste Reichstagsabgeordnete<br />
und in den Jahren 1931/32 Vorsitzender des<br />
KJVD. Von 1929 bis 1933 lebte er in der von vielen<br />
kommunistischen und sozialdemokratischen Familien<br />
bewohnten Arbeitersiedlung „Klein-Moskau“ in der<br />
Dingelstädter Straße 48a im südlichen <strong>Hohenschönhausen</strong><br />
an der Landsberger Allee. 1933 emigrierte er<br />
in die Sowjetunion und ging 1937 nach Spanien, wo<br />
er 1938 als Politkommissar des Thälmann-Bataillons<br />
fiel. Mit Walter Runge aus der Berliner Allee 175,<br />
dem RFB-Leiter von Weißensee vor 1933, ließ ein<br />
weiterer Weißenseer Kommunist im Februar 1937 bei<br />
den Kämpfen vor Madrid sein Leben.<br />
Im Verlauf des Jahres 1933 bildeten sich im Berliner<br />
Nordosten Widerstandsgruppen, die den organisierten<br />
Kampf gegen den Faschismus unter dauerhaft<br />
illegalen Bedingungen aufnahmen. Anfang des Jahres<br />
zählte die KPD in Weißensee 8 Betriebs- und 21<br />
Straßenzellen mit ca. 600-800 Mitgliedern. Die KPD<br />
hatte es schon vor 1933 nicht verstanden, ihre Anhänger<br />
dauerhaft an die Partei und damit an ihre Politik<br />
zu binden. Sie erlebte erhebliche Mitgliederfluktuationen,<br />
Ein- und Austritte. Die Partei versuchte mit der<br />
Umstellung ihrer Organisation auf Fünfer-Gruppen,<br />
dem konspirativen Verteilen von antifaschistischen<br />
Zeitungen und Literatur, mit Geldsammlungen für<br />
Inhaftierte, und Kassierung von Mitgliedsbeiträgen<br />
ihren Kern der aktiven Mitglieder und Sympathisanten<br />
zusammenzuhalten. Das waren Gruppenstrukturen<br />
von bis zu 100 Menschen, die über die KPD-<br />
Stadtteilleitungen Propagandamaterial erhielten und<br />
bei Sammlungen anfangs noch namentlich in Listen<br />
erfasst wurden. Dieser organisierte Widerstand zielte<br />
auf das Erhalten ganzer antifaschistischer Milieus und<br />
trug halboffenen Charakter, womit der Verfolgung<br />
durch SA und Gestapo Ansatzmöglichkeiten geboten<br />
wurden. Bis in die Jahre 1935-1936 existierten diese<br />
großen organisatorisch vernetzten Gruppen des kommunistischen<br />
Widerstandes in ganz Berlin, ehe sie<br />
durch Spitzel, Verhaftungen und Zerreißen der Verbindungen<br />
zerstört wurden. In Weißensee bestand der<br />
Unterbezirk-Nordost der KPD (UB). Der UB-Nordost<br />
war in sechs Stadtteile mit seinen jeweiligen Leitern<br />
gegliedert. Der gesamte UB wurde 1933/34 von<br />
Gustav Tscharniel aus der Suermondtstraße 41, dann<br />
Bernhard Müller als Polleiter (Politischer Leiter) und<br />
nacheinander von Walter Weber, Werner Rossmann,<br />
Gustav Warmbrunn und Paul Zibell als Orgleiter<br />
(Organisationsleiter) geführt und hatte über Kuriere<br />
Verbindungen zur Berliner Bezirksleitung. Eine Verhaftungswelle<br />
1935-36 erfasste etwa 50 Weißenseer<br />
Kommunisten, unter ihnen die leitenden Genossen des<br />
UB. In zwei Prozessen wurden 21 Genossen im April<br />
1937 zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, viele<br />
verstarben in der Haft oder kamen anschließend im<br />
KZ ums Leben. Der UB Nordost gab anfänglich „Die<br />
Rote Fahne“ und dann bis Mitte 1935 die Zeitung<br />
„Der <strong>Antifa</strong>schist“ in einer monatlichen Auflage von<br />
500 Exemplaren heraus. Der Gestapo gelang es, die<br />
unnötig zentralistisch aufgebaute Widerstandsstruktur<br />
in Weißensee bis 1936 zu zerschlagen.<br />
Der <strong>Antifa</strong>schist Mai 1935 Nr. 2<br />
Eine Organisation, in der die KPD noch einige Zeit<br />
halblegal wirken konnte, war der Arbeitersportverein<br />
Weißensee. Er vereinigte vor allem jüngere Arbeitersportler.<br />
Ihm gehörte auch Karl Teschner jn. aus Malchow,<br />
Dorfstraße 47, der Sohn des kommunistischen<br />
Gutsarbeiters Karl Teschner, und weitere Gutsarbeiter<br />
der Rieselfelder an. Der Arbeitersportverein war so<br />
stark von Kommunisten dominiert, dass er 1934 von<br />
den Nazis verboten wurde. In den Betrieben sah es<br />
dagegen schlecht aus. Hier bildeten sich nur vereinzelt<br />
kleine kommunistische Gruppen.<br />
Neben der UB-Nordost-Organisation der Partei bestand<br />
in Weißensee ein illegaler Untergrundapparat<br />
der Roten Hilfe, die vor allem traditionelle Sammlungen<br />
für Inhaftierte und den Literaturvertrieb durchführte<br />
und von mehreren hundert kommunistischen<br />
Sympathisanten unterstützt wurde. Auch sie wurde<br />
um 1935/36 von der Gestapo weitgehend zerschlagen.<br />
Führend in der Roten Hilfe Weißensee war die<br />
alte Genossin Anna Gerichow.<br />
Gleich zu Anfang der Nazizeit kam es zu einer außergewöhnlichen<br />
Protestaktion in der Weißenseer 8.<br />
weltlichen Schule in der Amalienstraße 8 Ecke Parkstraße<br />
81/82. Sie war 1922 als konfessionslose Schule<br />
auf Initiative des Arbeiter-Eltern-Bundes Berlin-Weißensee<br />
entstanden und lange Zeit ein Hort des Humanismus<br />
und <strong>Antifa</strong>schismus, wie sich deren ehemalige<br />
Schüler, der Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre, der
Anarchosyndikalist Kurt Wafner aus der Amalienstraße<br />
5 und der Kommunist Karl Teschner aus Malchow,<br />
erinnerten. Da ausschließlich bürgerliche und SPD-<br />
Lehrer an der Schule unterrichteten, die aus ihrer kritischen<br />
Haltung zu den Nazis keinen Hehl machten,<br />
konnten die Faschisten zunächst keinen Einfluss gewinnen.<br />
Ende Februar 1933 kam ein SA-Kommando,<br />
hisste auf dem Schulhof die Hakenkreuzflagge und<br />
forderte von den Schülern das Singen des Deutschlandliedes.<br />
Daraufhin stimmte der couragierte Rektor<br />
Rudolf Zwölfer (SPD), der auch Stadtrat in Weißensee<br />
war, das Arbeiterlied „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“<br />
an, das von allen Schülern mitgesungen wurde.<br />
Die Schüler sangen dann die „Internationale“, solange<br />
bis sie heiser waren. Rektor Zwölfer entfernte sich<br />
nach einer kurzen Rede aus der Schule und auch die<br />
Schüler entschieden spontan. Wir betreten die Schule<br />
nicht, denn „Der Lappen muss runter!“ Der Schulstreik<br />
dauerte einige Tage. Sämtliche Lehrer wurden<br />
versetzt und Rektor Zwölfer kam ins KZ. Trotzdem<br />
blieb der antifaschistische Geist der Schule noch einige<br />
Zeit erhalten. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen<br />
und Prügeleien zwischen antifaschistischen<br />
Schülern und Hitlerjungen, und bis in das Jahr<br />
1934 hinein war es noch möglich, ohne HJ-Uniform<br />
am Unterricht teilzunehmen.<br />
Einer der Schüler, Kurt Wafner, hatte sich bereits vor<br />
1933 einer Jugendgruppe der anarchosyndikalistischen<br />
FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschlands),<br />
der Freien-Arbeiter-Jugend (FAJ), in Friedrichshain<br />
angeschlossen. Nach 1933 trat diese Gruppe in den<br />
Verband Märkischer Wanderer ein und unternahm<br />
unverdächtige Wanderfahrten. Auf diesen wurde anarchistische<br />
Literatur gelesen und diskutiert, passive<br />
Resistenz gegen die Nazis besprochen, die Aufklärung<br />
unter „unpolitischen“ Jugendlichen vorbereitet,<br />
Auswirkungen des faschistischen Terrors und der<br />
Verhaftungen erörtert und Anregungen zum Lesen<br />
humanistischer Literatur gegeben.<br />
Kurt Wafner, antifaschistische Jugendgruppe 1933<br />
Ein Höhepunkt der anarchistischen Jugendarbeit war<br />
die Organisation einer illegalen Jugendweihefeier im<br />
Mai 1933 am Küstriner Platz in Friedrichshain, die<br />
nicht nur im Gegensatz zur reaktionären Politik der<br />
Kirche stand, sondern nun auch von den Nazis als<br />
Ausdruck „bolschewistischer Gottlosigkeit“ verboten<br />
wurde. Über den antifaschistischen, antiklerikalen<br />
Charakter der Jugendweihe findet man im Jugendwiderstandsmuseum<br />
in der Rigaer Straße kein Wort.<br />
Der Buchdrucker und Kommunist Hugo Matz aus<br />
Weißensee arbeitete seit 1933 in der Preußischen<br />
Druckerei in der Wilhelmstraße 30 im Stadtzentrum.<br />
In dieser Druckerei wurden wichtige interne Schriften<br />
des NS-Staates gedruckt, die Matz und seine Gruppe<br />
umgehend für die KPD beschaffte. So konnte er<br />
im Sommer 1934 die geheime Gestapo-Schrift „Gesamtüberblick<br />
über die kommunistische Bewegung in<br />
Deutschland Anfang 1934“, in der Verhaftungen und<br />
Überwachungen aufgeführt waren, besorgen. Über<br />
Kuriere gelangte die Schrift, die ein Nachdruck war,<br />
zur KPD-Führung. Als das Exemplar bei der Verhaftung<br />
des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Max<br />
Maddalena gefunden wurde, fiel der Verdacht unweigerlich<br />
auf die Druckereiarbeiter, aber sie konnten<br />
den Verdacht auf einen korrupten NSDAP-Bonzen in<br />
der Druckerei lenken.<br />
In dieser Aktion zeichnete sich bereits die Kampfform<br />
ab, die seit Mitte der 1930er Jahre bis zum Ende<br />
des Dritten Reichs den Weißenseer Widerstand prägte,<br />
und zwar Arbeit in kleinen Gruppen von <strong>Antifa</strong>schisten,<br />
die nur selten eine Verbindung zu zentralen<br />
Leitungen hatten.<br />
Eine Widerstandsgruppe, die fast die gesamten Nazijahre<br />
hindurch bestand, leitete der KPD-Funktionär<br />
des UB Nord-Ost Herbert Bogdan aus der Belforter<br />
Straße 24. Er wurde im Juni 1933 von der SA angeschossen,<br />
ein Bein wurde ihm amputiert. Anschließend<br />
begann er, eine dezentrale Widerstandsstruktur<br />
mit Fünfergruppen aufzubauen. Bogdan konzentrierte<br />
sich konsequent an konspirativen Methoden und<br />
lehnte den bisherigen zentralistischen Aufbau ab.<br />
Dies machte den Erfolg seiner bis auf ungefähr 150<br />
Kämpfer angewachsenen Organisation aus. Flugblätter<br />
wurden in der Sämerei-Fachhandlung Kurt<br />
Deckert in der Prenzlauer Allee gedruckt und über<br />
die Orthopädie-Werkstatt Robert Szmala in Weißensee,<br />
Berliner Alle 251, von dem Meister Kurt Bretzke<br />
verteilt. Sie gingen in die umliegenden Betriebe<br />
wie Niles, Warnecke & Böhm, Hanka, Trumpf-Werke<br />
und Allgemeine Werkzeugmaschinenfabrik, zu denen<br />
Verbindungen bestanden. In Weißensee waren<br />
die Genossen Gustav Förkel, Karl Keller und Alfred<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
25
26<br />
Röhr Verbindungsleute. Im März 1943 wurden Verstecke<br />
für 15 Juden organisiert, z.B. für Gerhard Danelius,<br />
der nach dem Krieg der Vorsitzende der SED<br />
in Westberlin (SEW) war. Im September 1943 wurde<br />
die Bogdan-Gruppe durch den Verrat des Stuttgarters<br />
Emil Krath, dem nach vier Jahren Zuchthaus eine<br />
KZ-Einlieferung drohte, von der Gestapo aufgerollt<br />
und größtenteils verhaftet.<br />
Originell und öffentlichkeitswirksam war eine Aktion<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong>er Kommunisten, die im Jahr<br />
1937 um Margarete und Wilhelm Hischer, Erich<br />
Wichmann, Erich Neumann, Häsner und Ernst Koch<br />
in der damaligen Treskowstraße 68 (seit 1951 Manetstraße<br />
70) Agitations-Groschenstücke herstellten.<br />
Diese wurden aus Aluminiumblech gestanzt und trugen<br />
auf der Vorderseite einen fünfzackigen Stern mit<br />
Hammer und Sichel, das Symbol der KPD, mit der<br />
umlaufenden Schrift: „Kommunismus – Frieden –<br />
Fortschritt – Brot“ und auf der Rückseite ein Hakenkreuz<br />
mit den Worten: „Lüge – Elend – Krieg – Tod“.<br />
Die hergestellten 600 Stück wurden unter Sympathisanten<br />
verkauft und der Erlös für den Freiheitskampf<br />
des spanischen Volkes gespendet, andere Groschen<br />
sind vor Lichtenberger Betrieben bei Schichtschluss<br />
verstreut worden. Die Aktion konnte von der Gestapo<br />
nicht aufgeklärt werden.<br />
Als nahezu offener <strong>Antifa</strong>schist war seit den ersten Tagen<br />
der Nazi-Diktatur der evangelische Pfarrer Ernst<br />
Berendt junior bekannt. Er war Direktor der sozialen<br />
Bethabara-Stiftung mit einem Säuglingsheim, einem<br />
Fürsorge-Erziehungshaus für Mädchen, einem Krankenhaus<br />
für Geschlechtskranke und einem Heim für<br />
psychisch Kranke in der Albertinenstraße 20-23 und<br />
in der Parkstraße 17/18. Er wohnte im Pfarrhaus in der<br />
Parkstraße 19/20. Bethabara hieß Haus der Hoffnung.<br />
Pfarrer Berendt verweigerte den Hitlergruß, schützte<br />
jüdische Menschen und predigte politisch gegen den<br />
Nazistaat. Nach Hausdurchsuchungen, mehrmaligen<br />
Verhaftungen und Schikanen sowie der Einquartierung<br />
von Naziflüchtlingen aus der Tschechoslowakei<br />
im Jahr 1937 in seinen Heimen ging er 1938 nach Baden-Baden,<br />
wo er in überfüllten Gotteshäusern weiterhin<br />
humanistische Predigten abhielt, bis er 1941<br />
verhaftet und ein Jahr später im Pfarrer-Block des KZ<br />
Dachau ermordet wurde.<br />
<strong>Antifa</strong>schistische Positionen und Aktivitäten hatten<br />
es unter den 45.000 Weißenseer und 18.000 <strong>Hohenschönhausen</strong>er<br />
Christen sehr schwer, hatten hier doch<br />
in der NS-Zeit die „Deutschen Christen“ (DC), eine<br />
faschistische Kirchenrichtung, eindeutig die Oberhand<br />
gewonnen. Widersprüchlich waren z.B. die Positionen<br />
von Pfarrer Emil Vogel von der Pfarrkirche in<br />
der Berliner Allee 87, einem Mitglied der Bekennenden<br />
Kirche, der zwar zum Christentum konvertierten<br />
Juden zur Emigration verhalf, aber nicht generell die<br />
faschistische Judenpolitik ablehnte. Diese Halbheiten<br />
entsprangen den geistig-autoritären Kontinuitäten<br />
des deutschen Protestantismus und seinem Festhalten<br />
an nationalistisch-monarchistischen Werten. Pfarrer<br />
Vogel war schon im Kaiserreich in der Weißenseer<br />
Gemeinde tätig. Führt es nicht zu einem „selektiven<br />
<strong>Antifa</strong>schismus“, wenn man Juden, die zu Christen<br />
wurden, beschützt, aber Juden, die Juden blieben,<br />
vergisst? Es blieb ein rassisch-völkischer Geist, der<br />
die Frage unbeantwortet ließ, ob er den Faschismus<br />
abmildern oder abschaffen wollte.<br />
Noch klarer wird die Nähe zum faschistoiden Denken<br />
bei einer früheren Abspaltung der NSDAP, die durch<br />
einen Einzelfall ihre Spuren in Weißensee hinterließ.<br />
Rainer Sandvoß (2000, S. 232ff) berichtete über einen<br />
Anhänger der „Schwarzen Schar“ in Weißensee,<br />
den Laboranten und Weltkrieg I.-Invaliden Karl Petrick<br />
aus der Schönstraße 24. Petrick verteilte illegale<br />
Schriften von Otto Strasser, und seine Wohnung diente<br />
1933/34 als Treffpunkt der „Schwarzen Schar“ im<br />
Berliner Nordosten. Sie wurde vor allem unter Nationalsozialisten<br />
aktiv und propagierte Forderungen<br />
nach einer „Zweiten Revolution“ insbesondere unter<br />
der SA. Dabei zielte sie auf ein Zusammengehen mit<br />
SA-Chef Ernst Röhm. Zunächst vertrat diese „nationalrevolutionäre“<br />
Richtung ebenfalls antisemitischnationalistische<br />
und völkische Positionen. Da sie<br />
jedoch mit den späteren Hauptverbrechen des Faschismus,<br />
der Vernichtung von Millionen Juden und<br />
Nazigegnern, nicht in Verbindung zu bringen ist und<br />
selbst von der NS-Justiz brutal bis hin zu Todesurteilen<br />
verfolgt wurde, spielt sie heute als angeblich<br />
„unbelastete“ Denkrichtung des Neonazismus eine
erhebliche Rolle. Nach 1934 wurde diese Strömung<br />
in Weißensee nicht mehr bekannt.<br />
Unter <strong>Antifa</strong>schismus war nicht irgendeine beliebige<br />
Gegenposition zu verstehen. Er beinhaltete immer<br />
das humanistische Anliegen, allen Schwächeren und<br />
Verfolgten zu helfen, ohne Ausnahmen, Einschränkungen<br />
und Bedingungen. Sein Kampf galt dem Unrecht<br />
insgesamt und nicht nur einzelnen Seiten oder<br />
Personen.<br />
Während des Krieges, von 1943 bis 1945, versteckte<br />
das sozialdemokratische Ehepaar Hedwig (1896-<br />
1978) und Otto Schrödter (1898-1971) in ihrem<br />
kleinen und beengten Einfamilienhaus in der <strong>Hohenschönhausen</strong>er<br />
Straße 156 Nr. 9 sechs jüdische Menschen,<br />
darunter ein zuerst sechs Monate altes Kind.<br />
1933 waren die Schrödters selbst vor dem SA-Terror<br />
aus Friedrichshain geflohen, wo die Eheleute als <strong>Antifa</strong>schisten<br />
bekannt waren, verfolgt und misshandelt<br />
wurden. Dort lebten sie in der Büschingstraße 30,<br />
zogen dann nach Prenzlauer Berg und 1934 schließlich<br />
nach <strong>Hohenschönhausen</strong> in ihr selbst erbautes<br />
bescheidenes Haus. Sie versorgten sie mit Lebensmitteln<br />
und bewahrten sie vor dem sicheren Tod. Der<br />
Widerstand der Schrödters zeigte, wie sinnvoll solche<br />
Einzelaktionen waren, denen scheinbar die Perspektive<br />
fehlte, denen aber die feste Überzeugung zugrundelag,<br />
dass die Unmenschlichkeit eines Tages besiegt<br />
wird. Der menschlich bewundernswerte Charakter<br />
der Schrödters äußerte sich in einer kompletten Ablehnung<br />
des faschistischen Alltags. Sie flaggten keine<br />
Nazi-Fahnen, ihren Sohn Herbert ließen sie nicht zur<br />
Hitlerjugend und Hedwig Schrödter wandte sich in<br />
Gesprächen offen gegen die Nazis, wofür sie viermal<br />
von der Gestapo vorgeladen wurde.<br />
Hedwig und Otto Schrödter<br />
Eine wahre Heldentat im illegalen antifaschistischen<br />
Kampf vollbrachte auch das Bäckerehepaar Elsa und<br />
Otto Hildebrandt, die Inhaber eines Ladens in der<br />
Quitzowstraße 51, heute Simon-Bolivar-Straße. Die<br />
Hildebrandts nahmen in den Jahren 1940 bis 1945 insgesamt<br />
dreizehn verfolgte Juden auf und versteckten<br />
sie im Keller der Bäckerei. Die Tat ist umso bewundernswerter,<br />
weil die Gegend eine Nazi-Ecke war.<br />
Umso mehr bewiesen die couragierten Bäckersleute,<br />
dass es überall in Berlin Möglichkeiten gab, den Bedrohten<br />
zu helfen. Der Arzt Dr. Heinz Ulrich Behrens<br />
aus <strong>Hohenschönhausen</strong>, Berliner Straße 1/2 war in<br />
diese Aktion eingeweiht.<br />
Ein beliebter und bekannter Arzt in den 1930er Jahren<br />
in <strong>Hohenschönhausen</strong> war Dr. Victor Aronstein. Seine<br />
Praxis befand sich in der Berliner Straße 126/Bahnhofstraße<br />
1 (seit 1985 Konrad-Wolf-Straße/Bahnhofstraße).<br />
Als Jude war er seit 1933 Verfolgungen und<br />
Demütigungen ausgesetzt. Sein breiter Patientenkreis<br />
aus verschiedenen sozialen Schichten sympathisierte<br />
mit ihm und unterstützte ihn. So wurde der Aufenthalt<br />
in seinem Wartezimmer zu einem Bekenntnis besonderer<br />
Art. Hier trafen sich politische Gegner der Nazis<br />
und organisierten Solidaritätssammlungen. 1941<br />
wurde Dr. Aronstein deportiert und kam in Auschwitz<br />
ums Leben.<br />
Es gilt auch, jener aufrechten Menschen zu gedenken,<br />
die im sicher geglaubten Hinterland aller <strong>Antifa</strong>schisten,<br />
in der Sowjetunion, ihr Leben lassen mussten.<br />
Stellvertretend für viele, die dem stalinistischen<br />
Terror der 1930er Jahre zum Opfer fielen, seien der<br />
Schuhmacher Johannes Pomierski, geboren 1903,<br />
Thaerstraße 6, Mitglied der KPD seit 1927, und der<br />
Koch Alfred Sorgatz, geboren 1891, Mitglied der<br />
KPD seit 1921, genannt. Beide Kommunisten waren<br />
Funktionäre des UB Berlin Nord-Ost. Sie emigrierten<br />
1933 bzw. 1934 in die Sowjetunion und wurden dort<br />
1937 und 1938 verhaftet und anschließend ermordet.<br />
Die stalinistischen Verbrechen können jedoch das<br />
Heldentum der Roten Armee bei der Befreiung vom<br />
Faschismus nicht relativieren, aber sie zeigen die Gefahr,<br />
die der Menschlichkeit, dem eigentlichen politischen<br />
Ziel des antifaschistischen Kampfes, selbst aus<br />
den eigenen Reihen drohen kann.<br />
Es fällt schwer, eine Bilanz des antifaschistischen<br />
Kampfes in Berlin-Nordost in seinen so vielfältigen<br />
Erscheinungsformen, den großen wie den kleinen, zu<br />
ziehen. Denn Widerstand wurde hier zu allen Zeiten<br />
und an allen Orten, in allen Straßen, und in allen sozialen,<br />
religiösen und politischen Gruppen geleistet.<br />
In Weißensee waren während der Jahre 1933 bis 1945<br />
schätzungsweise 2.700 Menschen in den Kampf gegen<br />
den Faschismus einbezogen, das waren 3,3 %<br />
seiner Bevölkerung. Die Ausstrahlung dieser Faschismusgegner<br />
auf weitere Sympathisanten und Freunde<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
27
28<br />
dürfte etwa 10 bis 15 % der Einwohner erreicht haben.<br />
Dies war zu wenig, um sich selbst von der Nazi-<br />
Herrschaft befreien zu können.<br />
Wartenberg 21.4.1945<br />
Die Rote Armee erreichte im Kampf um Berlin in den<br />
Vormittagsstunden des 21. April 1945 den nordöstlichen<br />
Berliner Stadtrand. An diesem Tag überschritten<br />
Aufklärer der 219. Panzerbrigade des 1. Mechanisierten<br />
Korps der 5. Stoßarmee mit ihrem Kommandeur<br />
Jewsej Wainrub gegen 10.00 Uhr die Berliner Stadtgrenze<br />
und hissten bei Wartenberg die erste rote Fahne<br />
auf Berliner Territorium. In Marzahn, das heftig<br />
umkämpft wurde, wehten noch am gleichen Nachmittag<br />
ebenfalls zwei rote Fahnen. SS- und Wehrmachteinheiten<br />
hatten in letzter Stunde die Dorfkirchen in<br />
Wartenberg, Falkenberg und Malchow gesprengt.<br />
Bereitwillig ließ der Malchower Nazi-Pfarrer Anton<br />
Pöschl dies geschehen. In <strong>Hohenschönhausen</strong> fanden<br />
nur kleinere Kämpfe statt. Manch einer wagte<br />
sogar, eine weiße Fahne aus dem Fenster zu hängen.<br />
Namenlos bleiben die vielen Deserteure der Wehrmacht,<br />
die in jenen Tagen den Krieg auf eigene Faust<br />
beendeten und dafür mit Standgerichten ermordet<br />
wurden. In Berlin waren es wahrscheinlich mehr als<br />
einhundert. Am Faulen See und in der Quitzowstraße<br />
in <strong>Hohenschönhausen</strong> kämpften noch fanatische<br />
Nazis. Kommunisten wie Else Eisenkolb-Großmann,<br />
Hermann Kratzenstein und Willi Retzke leisteten unter<br />
den Deutschen in ihrem Kiez in der Goeckestraße<br />
Überzeugungsarbeit zur Beendigung des Krieges<br />
und stellten sich mutig an die Seite der Roten Armee.<br />
Der <strong>Hohenschönhausen</strong>er Sozialdemokrat Schneidermeister<br />
Emil Bolatzky, der den ganzen Krieg über<br />
eine Anlaufstelle für Nazigegner war, verhinderte mit<br />
weiteren <strong>Antifa</strong>schisten die Sprengung der „Schweinebrücke“<br />
am S-Bahnhof Landsberger Allee. Sie<br />
überredeten Volkssturmmänner zur Einstellung der<br />
Kampfhandlung und kappten die Zündschnüre. Emil<br />
Bolatzky entstammte einer alten sozialistischen Fa-<br />
milie. 1896 geboren, trat er 1908 der sozialistischen<br />
Arbeiterjugend und 1912 der SPD bei. 1918 schloss er<br />
sich der linken Unabhängigen Sozialdemokratischen<br />
Partei Deutschlands an und kämpfte im März 1919<br />
gegen die Noske-Truppen. Später wieder zur SPD<br />
zurückgekehrt, war er bis zum Juni 1933 der letzte<br />
Kreisleiter der Partei in Weißensee. Er gehörte in der<br />
Nazizeit den illegalen Gruppen „Kleiner Vorwärts“<br />
und „Roter Stosstrupp“ an. Die Erfahrungen seines<br />
politischen Lebens führten ihn 1945 an die Seite der<br />
Roten Armee und 1946 in die SED.<br />
Die Panzersperren, die den Zugang nach Weißensee<br />
unterbinden sollten, waren am 22. April 1945 um 6.00<br />
Uhr unter Kontrolle der Roten Armee. Innerhalb von<br />
zwei Stunden besetzten Truppenteile der 3. Stoßarmee<br />
mit Panzern kampflos den Kern von Weißensee. Sie<br />
drangen über die Berliner Allee, die Buschallee und<br />
die Lichtenberger Straße vor. Zahlreiche Einwohner<br />
waren in die Innenstadt geflüchtet.<br />
Vom Antonplatz in Weißensee und von der <strong>Hohenschönhausen</strong>er<br />
Sommerstraße (seit 1954 im Sportforum)<br />
aus nahmen die gefürchteten Salvenwerfer<br />
„Katjuschas“, die „Stalinorgeln“, das Berliner Stadtzentrum<br />
unter Beschuss. Reichspropagandaminister<br />
Goebbels beschimpfte danach die Weißenseer als<br />
„ehrlos und feige“. Einen Tag darauf wurde der Ort<br />
von faschistischen Flugzeugen bombardiert. Auch in<br />
Weißensee gaben sich die überlebenden deutschen<br />
Kommunisten und Sozialdemokraten sofort den Rotarmisten<br />
freudig zu erkennen.<br />
Else Jahn Gedenktafel
Die Kommunistin Else Jahn aus der Berliner Allee<br />
250, die nach 1936 drei Jahre lang im Zuchthaus gesessen<br />
hatte und sich anschließend wiederum einer<br />
illegalen Gruppe angeschlossen hatte, lief mit dieser<br />
Widerstandsgruppe, darunter ihren Brüdern Willi und<br />
Fritz Gerichow, zur Roten Armee über und geleitete<br />
Kampftrupps der Sowjetarmee zur Berliner Innenstadt.<br />
In Weißensee-Spitze, an der Kreuzung Gustav-<br />
Adolf-Straße/Prenzlauer Promenade, wurde sie am 26.<br />
April 1945 von der SS erschossen. Else Jahn war seit<br />
1924 Mitglied der KPD und stammte aus einer kommunistischen<br />
Familie. Ihre Mutter, Anna Gerichow,<br />
eine alte Kommunistin, beteiligte sich seit 1933 im<br />
kommunistischen Widerstand aktiv am Wiederaufbau<br />
der Roten Hilfe und organisierte Solidaritätssammlungen<br />
im Arbeiter-Sportverein Weißensee. Unter den<br />
Widerstandskämpfern in Weißensee waren die Kommunisten<br />
die größte und bedeutendste Gruppe. Aber<br />
auch ihr Kampf kann die bittere historische Wahrheit<br />
nicht verdecken: Der deutsche antifaschistische Widerstand<br />
konnte die Nazi-Herrschaft nicht beenden.<br />
Die Rote Armee trug die Hauptlast der Befreiung vom<br />
Faschismus. Was war das für ein Deutschland, warum<br />
konnte das geschehen? Diese Fragen sind noch längst<br />
nicht beantwortet.<br />
Wanja Abramowski<br />
Literatur:<br />
[1] Hans Maur, Mahn-, Gedenk- und Erinnerungsstätten der Arbeiterbewegung<br />
in Berlin-Weissensee, Berlin 1978<br />
[2] Der illegale Kampf der KPD 1933-1945 in Berlin-Weißensee,<br />
Berlin 1980<br />
[3] <strong>Antifa</strong>schistischer Widerstandskampf in Berlin-Weißensee<br />
1933 bis 1945. Erinnerungen. Berichte. Biografien, Berlin 1988<br />
[4] Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Prenzlauer Berg und<br />
Weißensee, Berlin 2000<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
29
30<br />
Erinnerungen von<br />
Helmut Hauptmann<br />
Um den tief verwurzelten nationalsozialistischen Vorstellungen unter den Deutschen mehr und mehr aufzulösen<br />
wurden <strong>Antifa</strong>-Jugend-Gruppen ins Leben gerufen. Die <strong>Antifa</strong>-Jugend-Gruppen, die im März 1946 in<br />
die Freie Deutsche Jugend (FDJ) übergingen, entfalteten ein reges Jugendleben. Helmut Hauptmann war<br />
Mitglied der <strong>Antifa</strong>-Jugend. Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus seinem Buch „Lehrzeit, Geschichten<br />
und Erinnerungen“:<br />
„In einer sozialdemokratischen Veranstaltung zum ersten Weihnachten nach dem Krieg bin ich sozusagen<br />
zum ersten Mal veröffentlicht worden. Ich trug im Kino „Harmonie“ in der Langhansstraße, lampenfiebergeschüttelt,<br />
ein eigenes Manuskript vor. Auf dem Programm war ich zwischen den Musikern, Referenten und<br />
Rezitatoren durch drei Pünktchen angekündigt, etwa als eine Art »schreibender Schüler« im späteren Bitterfelder<br />
Sinne. Ich weiß nur, daß ich in den hinteren Reihen sitzend, bis es soweit war- nach vorne stolperte in<br />
das blendende Scheinwerferlicht, wenigstens das Pult wie einen Rettungsanker wahrnahm, sonst weiter nichts<br />
mehr sah, und meine kindlichen Reime - wer hat in der Jugendzeit keine Gedichte gemacht in den dunklen<br />
Saal rief. Ich habe sie mir aufgehoben:<br />
Der Schwur<br />
Die Waffen schweigen, es ist Frieden!<br />
Vernunft und Geist den Kampf entschieden;<br />
gebrochen ist der Blutrausch der Gewalt,<br />
das letzt Kriegsgeschrei verhallt...<br />
Die Welt leckt stöhnend ihre schweren Wunden,<br />
die endlich langsam wieder nun gesunden.<br />
Zum Fest der Wintersonnenwende<br />
reicht brüderlich euch nun die Hände,<br />
die ihr einst feindlich gegenüberstandet,<br />
bis ihr aus diesem irren Wahn euch fandet.<br />
Bedenkt! Millionen Tote klagen<br />
uns an mit ihren stummen Fragen.<br />
Die Waffen schweigen, wir sind frei!<br />
Doch wann wird eine neue Teufelei<br />
den Brand durch alle Länder wieder tragen?<br />
Wann wieder Haß Verblendeter zum Himmel schlagen?<br />
Weh uns! Diesmal gäbs kein Entkommen,<br />
In Staub war‘ bald die ganze Erde zerronnen.“ 1<br />
Oktober 1945, Helmut Hauptmann<br />
[1] Entnommen aus: Helmut Hauptmann „Lehrzeit, Geschichten und Erinnerungen“, Verlag Neues Leben, Berlin, 1979
Northeast <strong>Antifa</strong>scist (<strong>NEA</strong>) www.nea.antifa.de<br />
nea@riseup.net<br />
<strong>Antifa</strong> <strong>Hohenschönhausen</strong> (AH) www.ah.antifa.de<br />
antifah@web.de<br />
Haus der Jugend Bunte Kuh e.V. www.buntekuhverein.de<br />
buntekuh@t-online.de<br />
Bernkastelerstr. 78<br />
13088 Berlin<br />
Weitere Kontakte im Berliner Nordosten<br />
Emanzipative <strong>Antifa</strong>gruppe Pankow - www.antifa-pankow.de.vu<br />
<strong>Antifa</strong> Initiative Nordost - aino-berlin@riseup.net<br />
Kurt-Lade Club - Grabbeallee 33 13156 Berlin<br />
JUP e.v. - Florastr. 84, 13187 Berlin<br />
V.i.S.d.P. Max Dessau, Berliner Allee 181, 13088 Berlin<br />
Impressum<br />
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