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Antifa Hohenschönhausen - NEA

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faschistischen Macht desorientiert waren und die<br />

Tiefe ihrer Niederlage nicht erkannten. Das KPD-<br />

Polbüro arbeitete weiterhin auf einen Generalstreik<br />

hin, weil angeblich ein massenhaftes Umschwenken<br />

der Arbeiter zu den Kommunisten bevorstand, und<br />

der SPD-Parteivorstand war ebenso überzeugt, die<br />

Hitler-Regierung werde „Abwirtschaften“ und dann<br />

die Sozialdemokratie ihr Comeback erleben. SPD-<br />

Vorsitzender Otto Wels sprach noch am 23. Oktober<br />

1933 vom Abwirtschaften der Nazis, also ihrer Unfähigkeit,<br />

ein stabiles Herrschaftssystem errichten zu<br />

können.<br />

Beide Orientierungen waren Fehlannahmen, weil<br />

sie nicht von der realen politischen Situation ausgingen,<br />

sondern auf ein Wunder setzten. Sie vertrauten<br />

auf eigenen Wunschvorstelllungen und auf erhofften<br />

Desillusionierungen und Gegensätzen im feindlichen<br />

Nazi-Lager. Letztlich führte dies zur Unterschätzung<br />

des Faschismus und zur Lähmung des <strong>Antifa</strong>schismus.<br />

Beide Perspektiven des „Alles oder nichts“-<br />

Tuns schwächten die politische Abwehr und forderten<br />

unnötige Opfer. Die Sozialdemokratie wirkte schon<br />

vor ihrem Verbot im Juni 1933 wie gelähmt. Vielen<br />

Mitgliedern erschien das abwartende Verhalten ihrer<br />

Führung wie eine Selbstauflösung, denn faktisch<br />

stellte die SPD weitgehend ihre politische und organisatorische<br />

Tätigkeit an der Basis ein und zerfiel. Infolge<br />

ihrer Politik wurde die Berliner SPD regelrecht<br />

zerrieben und zählte im Juni 1933 nur noch etwa ein<br />

Viertel ihrer Mitglieder von 100.000 zum Jahresanfang,<br />

in Weißensee waren es wohl nur noch etwa<br />

700. Die ADGB-Führung (Allgemeiner Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund) rief sogar zur Teilnahme an der<br />

faschistischen 1. Mai-Feier 1933 auf dem Tempelhofer<br />

Feld auf, was die DHM-Ausstellung „Hitler und<br />

die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“<br />

(2010/11), obwohl dort ein Filmausschnitt über diesen<br />

Aufmarsch gezeigt wurde, verschwieg. Von<br />

rechten SPD- und Gewerkschaftsbonzen wurde der<br />

<strong>Antifa</strong>schismus nicht erst jetzt, sondern seit langem<br />

entwaffnet.<br />

Die Kommunisten versuchten dagegen in Fortsetzung<br />

ihrer Offensivstrategie mit Aktionismus einen<br />

Massenprotest von unten zu organisieren, der immer<br />

wieder zu Verhaftungen ihrer aktivsten Genossen und<br />

zur weiteren Zurückdrängung ihres Einflusses führte.<br />

So wurden noch im Mai 1933 in Berlin offene kommunistische<br />

Demonstrationen und Flugblattaktionen<br />

durchgeführt, die zwar mutige politische Zeichen<br />

setzten, aber ein unvertretbares Risiko für ihre Teilnehmer<br />

angesichts des faschistischen Terrors in sich<br />

bargen und vor allem in ihrer Wirkung äußerst begrenzt<br />

blieben. Die KPD war besser als die SPD auf<br />

den konspirativen Untergrundkampf vorbereitet und<br />

versuchte bereits seit Ende Februar 1933 mit parallelen<br />

Strukturen ihre gesamte Organisation in Weißensee<br />

in die Illegalität zu überführen.<br />

Zur nüchternen Analyse des politischen Kräfteverhältnisses<br />

in Weißensee können die Reichstagswahlen<br />

vom 5. März 1933 herangezogen werden, die jedoch<br />

wegen des Terrors nicht mehr als demokratisch<br />

bezeichnet werden können, weil sie von Angst, Opportunismus<br />

und Verunsicherung überschattet waren.<br />

Umso erstaunlicher war es, dass die NSDAP hier wie<br />

in Berlin und ganz Deutschland ihr Ziel einer für eine<br />

„legale“ Machtübernahme erforderlichen Zweidrittelmehrheit<br />

der Wählerstimmen nicht erreichte. Der<br />

Bezirk Weißensee war ein Arbeiterbezirk und zählte<br />

im Jahr 1933 insgesamt 81.565 Einwohner, 61.817<br />

Stimmberechtigte und 52.941 Wahlteilnehmer sowie<br />

451 ungültige Stimmen. Weißensee war damals hinter<br />

Zehlendorf der bevölkerungsärmste Bezirk Berlins.<br />

Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erhielt<br />

die NSDAP in Weißensee zwar 19.045 Stimmen<br />

(36,0 %), aber die KPD mit 15.588 Stimmen (29,4 %)<br />

und die SPD mit 10.546 Stimmen (19,9 %) stellten<br />

immer noch ein starkes antifaschistisches Gegengewicht<br />

dar. Hinzu kamen noch 4.179 Stimmen (7,9 %)<br />

für die rechtsorientierte Kampffront Schwarz-Weiß-<br />

Rot, die zur NSDAP tendierte, und 2.520 Stimmen<br />

(4,8 %) für die bürgerliche Zentrumspartei sowie weitere<br />

1.054 Stimmen (2,0 %) für kleinere bürgerliche<br />

Parteien und 9 Stimmen (0,02 %) für die Sozialistische<br />

Kampfgemeinschaft. Somit standen zwar nach<br />

dieser Wahlarithmetik 43,9 % faschistischen Wählern<br />

(NSDAP und KF S-W-R) 49,3 % antifaschistische<br />

Arbeiterwähler (KPD und SPD) gegenüber, aber ein<br />

Zusammengehen der kommunistischen und sozialdemokratischen<br />

Wähler fand auch in Weißensee nicht<br />

statt. Diese Wahlen waren ein Feigenblatt und dienten<br />

der Illusion, es ginge im NS-Staat demokratisch<br />

zu. Selbst die SPD-Führung glaubte in ihrem Legalitätswahn<br />

damals daran. Schon am 5. März 1933 wurde<br />

die Mär, die sich bis heute hält, man könne die<br />

Nazis an der Wahlurne schlagen, der Wähler müsse<br />

nur wählen gehen, widerlegt. In Weißensee lag die<br />

Wahlbeteiligung bei 87,3 %. Die Wahlen wurden zu<br />

einer Farce, weil die Macht nicht aus der Wahlurne,<br />

sondern aus den SA-Lokalen und Polizeirevieren,<br />

aus den Nazizeitungen, dem Reichskanzlerpalais,<br />

den Ministerien und den Vorständen der Banken und<br />

Großunternehmen kam. Der Terror steigerte sich und<br />

fand im Juni 1933 in der Köpenicker Blutwoche mit<br />

21 nachweislich ermordeten und 70 vermissten <strong>Antifa</strong>schisten<br />

seinen vorläufigen Höhepunkt.<br />

Erst im Verlauf des Jahres 1934 wurde den politi-

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