Antifa Hohenschönhausen - NEA
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In einem anderen Weißenseer Betrieb, der Berliner<br />
Kindl-Brauerei AG Abteilung III Weißensee, Lichtenberger<br />
Straße 66-92 (seit 1985 Indira-Gandhi-Straße),<br />
wurde am 2. Mai 1935 der parteilose Maurer Paul<br />
Schettler aus der Friedrichshainer Heidenfeldstraße<br />
13, der in der Brauerei arbeitete, fristlos entlassen.<br />
Begründet wurde dies damit, dass er einen Tag vorher,<br />
am faschistischen „Tag der Arbeit“, nicht an dem<br />
Stellplatz der Brauerei in Neukölln zum Propaganda-<br />
Umzug der Belegschaft erschienen war.<br />
Am 12. Juli 1942 wurde die Flaschenkellerarbeiterin<br />
Mathilde Kuhn aus der Witzenhauser Straße 63 in<br />
<strong>Hohenschönhausen</strong> an ihrem Arbeitsplatz, ebenfalls<br />
in der Berliner Kindl-Brauerei AG Abteilung III Weißensee,<br />
verhaftet. Sie hatte sich solidarisch gegenüber<br />
französischen Kriegsgefangenen verhalten. Ihr Arbeitsverhältnis<br />
wurde von der Direktion rückwirkend<br />
aufgelöst und es wurde ein politisches Strafverfahren<br />
eingeleitet. (Archiv Kindl-Brauerei, 1988)<br />
In der selben Zeit hörte die fünfzehnjährige Lilo Millis<br />
in der <strong>Hohenschönhausen</strong>er Tamseler Straße 45 fast<br />
jeden Abend gemeinsam mit ihrem Vater Jakob, einem<br />
Schneider, und ihrer Mutter, einer Handnäherin,<br />
die sogenannten Feindsender „Radio Moskau“ und<br />
„Londoner Rundfunk“. Oft konnte sie nicht einschlafen,<br />
bevor sie nicht die Stimmen von Ernst Busch oder<br />
Lotte Loebinger aus dem Radio gehört hatte. Die Sender<br />
stärkten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft,<br />
und sie waren eine wichtige Informationsquelle im<br />
antifaschistischen Widerstandskampf.<br />
Der ebenfalls erst fünfzehnjährige Horst Götsch aus<br />
Malchow, Dorfstraße 8, wuchs mit seinen drei Geschwistern<br />
in ärmlichen Verhältnissen auf. Noch mehr<br />
bedrückte ihn jedoch, dass sein Vater Heinrich Götsch,<br />
ein Inspektor auf den Rieselfeldern und NSDAP-Mitglied,<br />
aus ihm einen strammen Hitlerjungen machen<br />
wollte. Horst Götsch streubte sich dagegen, empfand<br />
er doch gegen die zwangsdeportierten Schnittermädchen<br />
aus der Ukraine und Polen, denen er im Dorf<br />
täglich begegnete, keinen Hass, und auch seine Mutter<br />
bestärkte ihn in seiner kritischen Haltung gegenüber<br />
dem fanatischen Vater. Noch als Kind versorgte<br />
er die Zwangsarbeiterinnen mit Lebensmitteln, ganz<br />
gegen die Vorgaben der väterlichen und schulischen<br />
Erziehung.<br />
All diesen Menschen mit Charakter, die in Konflikte<br />
mit der faschistischen deutschen Leitkultur gerieten,<br />
war vielleicht nicht bewusst, dass sie am antifaschistischen<br />
Kampf teilnahmen. Sie waren weder politisch<br />
geschult, noch gehörten sie einer Partei an. Ihre alltäglichen<br />
Verweigerungshaltungen, denen meist persönliche,<br />
familiäre Motive oder einfach menschliche<br />
Zuneigung insbesondere zu Schwächeren zugrunde<br />
lagen, waren der Auslöser ihrer Widersprüche und<br />
Zweifel gegenüber den Nazis. Solche antifaschistischen<br />
Verhaltensweisen gab es in jener Zeit immer<br />
wieder, aber sie blieben vereinzelt, defensiv und oftmals<br />
hilflos.<br />
Erst der organisierte, sich auf politischen Erfahrungen<br />
und Traditionen gründende Kampf ließ im Unterschied<br />
zu den zersplitterten Protesten, Verweigerungen<br />
und Ablehnungen einen antifaschistischen<br />
Widerstand wachsen, der ein kompromissloses Ziel<br />
verfolgte, den Sturz der Nazi-Herrschaft. Dieser<br />
Kampf verharrte nicht im passiven Abwarten. Er ging<br />
in Aktionen über und bot damit andererseits dem faschistischen<br />
Terrorapparat eher Möglichkeiten der<br />
Entdeckung und Verfolgung dieses Widerstandes.<br />
Seit dem Machtantritt der Nazis am 30. Januar 1933<br />
bildete sich eine vielfältige und differenzierte Widerstandslandschaft<br />
im Berliner Nordosten heraus, in<br />
der sich unterschiedliche, ja gegensätzliche politische<br />
Kräfte wiederfanden. Den Kern dieses politischen<br />
Widerstandes bildeten Kommunisten und Sozialdemokraten,<br />
die den Faschismus schon in der Endphase<br />
der Weimarer Republik energisch bekämpft<br />
hatten und daher im ersten Halbjahr 1933 als erste<br />
systematischen und besonders brutalen Verfolgungen<br />
ausgesetzt waren. Den Faschisten ging es nicht allein<br />
um die Brechung des Widerstandswillens einzelner<br />
Gegner, sondern um die Zerschlagung ihrer Organisationen<br />
und Zusammenhänge, die ihnen Halt, Kraft,<br />
Ausdauer und die Solidarität einer Gemeinschaft gaben.<br />
Hunderte aktiver Kommunisten und Sozialdemokraten<br />
insbesondere in den Roten Hochburgen der<br />
Innenstadtbezirke Wedding, Friedrichshain, Mitte,<br />
Prenzlauer Berg und aus dem Bezirk Neukölln waren<br />
den Nazis seit Jahren bekannt. Von Februar bis Juni<br />
1933 erfolgten gegen sie zielgerichtete Hausdurchsuchungen,<br />
Verhaftungen, Misshandlungen und Morde.<br />
Wegen dieser Gefährdungslage mussten die führenden<br />
und bekanntesten Genossen außer Landes gehen<br />
und manch örtlicher Funktionär oder Abgeordneter<br />
seine Wohnung aufgeben und in einen für seine Person<br />
weniger öffentlichkeitswirksamen Außenbezirk<br />
„emigrieren“. Dies traf beispielsweise auf die Familie<br />
Hedwig und Otto Schrödter aus Friedrichshain zu,<br />
die nach Weißensee umzog. Der ungezügelte Nazi-<br />
Terror konnte im Jahr 1933 nicht aufgehalten werden,<br />
es kam vordringlich auf den Schutz der antifaschistischen<br />
Kräfte an.<br />
Zur ehrlichen Geschichte des Widerstandskampfes<br />
in Deutschland gehört die Tatsache, dass die beiden<br />
antifaschistischen Hauptströmungen, die schon seit<br />
Jahren gegen die NSDAP kämpften, im ersten Halbjahr<br />
1933 über das Ausmaß und die Perspektive der<br />
<strong>Antifa</strong>schistischer Widerstand in Berlin-Nordost /<br />
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