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flair oct 10 - Michel Mayer

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lack issue farb-TALK<br />

Black<br />

Evergreen<br />

Unglück und Macht, Anpassung und Auflehnung, Erotik und<br />

Enthaltsamkeit: Kaum eine Farbe hat so viele widersprüchliche und<br />

sich ändernde Bedeutungen wie Schwarz – und ist dabei doch nie aus<br />

der Mode gekommen. Wie lässt sich das erklären? Für <strong>flair</strong> hat sich eine<br />

Expertenrunde auf philosophische Spurensuche begeben.<br />

von Irmgard Wutscher FOTOS Manfred Klimek<br />

Die Diskutanten:<br />

Erwin Bohatsch ist Maler und<br />

unterrichtet abstrakte Malerei<br />

an der Akademie der bildenden<br />

Künste in Wien.<br />

www.erwinbohatsch.at<br />

<strong>Michel</strong> <strong>Mayer</strong> ist Modemacherin<br />

mit Showrooms in Wien und New<br />

York. www.michelmayer.at<br />

Andreas Spiegl ist Kunst- und<br />

Kulturwissenschaftler und<br />

Vizerektor der Akademie der<br />

bildenden Künste in Wien.<br />

Mit welchem Material erzielt man<br />

beim Malen die besten Schwarztöne?<br />

Bohatsch: Das ist das sogenannte<br />

Spinell-Schwarz. Das ist ein recht<br />

teures Pigment, das auch für<br />

Tarnkappenbomber verwendet wird,<br />

weil es die Infrarotstrahlen absorbiert.<br />

Ich finde es spannend, mit solchen<br />

Pigmenten zu arbeiten. Da geht es um<br />

das Verschwinden, das Abtauchen in<br />

irrationale Zonen. Dafür steht Schwarz<br />

ja auch.<br />

Spiegl: Das ist ja eine absurde<br />

Erscheinung – Schwarz tendiert dazu,<br />

nicht gesehen zu werden, weil es Licht<br />

absorbiert. Es ist also mit einem Fuß<br />

in der Unsichtbarkeit. Übertragen auf<br />

die Kleidung ist das ein Paradoxon: Ich<br />

verwende eine Farbe, die eigentlich das<br />

Unsichtbare ansteuert.<br />

<strong>Mayer</strong>: Ich merke das auch an mir. Ich<br />

habe meine schwarzen Phasen gehabt,<br />

da ist es viel um Entwicklung und<br />

Identität gegangen. Wenn ich nach<br />

einem Weiß oder Rot greife, dann geht<br />

es mehr nach außen. Schwarz hat viel<br />

damit zu tun, dass man sich mit sich<br />

selber auseinandersetzt.<br />

Spiegl: Das Pendant zu Schwarz ist in<br />

dem Sinn ja nicht Weiß, sondern Rot.<br />

Weil Rot innerhalb des Farbspektrums<br />

genauso einen Grenzwert markiert – es<br />

ist die stärkste Farbe.<br />

Schwarz hat viele verschiedene<br />

Bedeutungen, die von Trauer über<br />

Erotik bis zu Religion reichen. Wie<br />

geht das alles zusammen?<br />

Bohatsch: Wenn ich mit meinem<br />

Bereich anfangen darf: In der Malerei<br />

gibt es eine lange Tradition von<br />

Schwarz. Die Farbe wurde für den<br />

Bildaufbau und zum Modellieren<br />

verwendet, von Velázquez bis Goya. Für<br />

die Dunkelheit, die Körperhaftigkeit.<br />

Ich möchte hier an die berühmte<br />

Werkgruppe von Francisco de Goya,<br />

die sogenannten Pinturas Negras,<br />

erinnern. Am Beginn der Moderne<br />

wurde die Farbe selbst zum Thema. Da<br />

gibt es das Schlüsselbild „Das schwarze<br />

Quadrat“ von Kasimir Malewitsch.<br />

Schwarz ist hier nicht Farbe, sondern<br />

ein aufgeladener Zustand. Es ist nicht<br />

mehr nur Transportmittel für eine<br />

Gegenständlichkeit, sondern hat eine<br />

selbstständige Qualität und das ist<br />

wiederum wichtig für die Malerei im<br />

späteren 20. Jahrhundert, wie z. B. bei<br />

Pierre Soulage, Frank Stella oder Ad<br />

Reinhardt. Es ist schon interessant, dass<br />

durch Malewitsch das Ende der Malerei<br />

eingeläutet wurde, aber aus heutiger<br />

Sicht tatsächlich damit eine Türe<br />

aufgestoßen wurde.<br />

Wie geht die Mode mit dem<br />

Gegensatz um, dass Schwarz Trauer<br />

bedeutet, andererseits auch sexy ist?<br />

<strong>Mayer</strong>: Also die Erotik kommt da bei<br />

mir nicht an erster Stelle. Schwarz<br />

hat immer etwas von Zurückhaltung,<br />

aber auch von Autorität – und<br />

Dramatik, z. B. das schwarze lange<br />

Abendkleid. Wenn ich es von der<br />

Modegeschichte her betrachte, kommt<br />

mir als Erstes Coco Chanel mit dem<br />

„kleinen Schwarzen“ in den Sinn. Das<br />

war eine Revolution: Damals gab es<br />

diese opulenten Kleider – Chanel hat<br />

aufs Wesentliche reduziert: schwarz,<br />

Knielänge, nicht tailliert und relativ<br />

schlicht. Wenn ich mir ansehe, wer in<br />

erster Linie Schwarz trägt, dann sind<br />

das häufig Teenager. Für die bedeutet<br />

das, anders zu sein. Mittlerweile ist das<br />

nicht mehr so stark, aber Schwarz hat<br />

schon auch diesen Rebellionscharakter.<br />

Für mich persönlich ist das immer<br />

weniger wichtig. Wenn ich Schwarz<br />

trage, dann vorwiegend bei eigenen<br />

Veranstaltungen, um als Person im<br />

Vordergrund zu stehen und nicht mit<br />

der Mode. So strahle ich Zurückhaltung<br />

und gleichzeitig Autorität aus. In<br />

meiner Kollektion kommt es mehr im<br />

Winter vor. Denn Schwarz ist ja Nicht-<br />

Licht, also keine Farbe; im Winter hat<br />

man mehr das Bedürfnis nach Schwarz<br />

als an sonnigen Tagen.<br />

Wie wird Schwarz in den<br />

Kulturwissenschaften gesehen?<br />

Spiegl: Zuerst muss man einmal<br />

beschreiben, was Schwarz ist: eine<br />

Nicht-Farbe, welche die Eigenschaft<br />

hat, Licht zu absorbieren. Man sieht sie,<br />

indem man sie nicht sieht. In diesem<br />

Sinne ist Schwarz immer eine Figur der<br />

Markierung. Es markiert eine Grenze.<br />

Wenn man also die Frage stellt, was<br />

denn diese ganzen unterschiedlichen<br />

Bedeutungen – Priester oder Nonne,<br />

der schwarze Anzug, der schwarze<br />

Freitag etc. – miteinander zu tun haben,<br />

dann ist es das, was damit beschrieben<br />

ist: eine aus der Alltäglichkeit geratene<br />

Situation. Schwarz taucht immer dort<br />

auf, wo die Alltäglichkeit der Norm<br />

außer Kraft gesetzt wird.<br />

Wissen Sie, wie Schwarz in anderen<br />

Kulturkreisen gesehen wird?<br />

Spiegl: Kulturell variiert die Bedeutung<br />

von Schwarz. Der Westen tendiert<br />

dazu, mit Schwarz so etwas wie Trauer<br />

oder auch Macht zu identifizieren, in<br />

anderen Kulturen gilt dasselbe für<br />

Weiß. In Asien ist Weiß die Farbe der<br />

Trauer. Das bedeutet, dass nicht die<br />

Farbe an sich gewisse Qualitäten hat,<br />

sondern eine kulturelle Zuordnung.<br />

Was ich an Schwarz reizvoll finde,<br />

ist, dass es ob seiner Grenzwertigkeit<br />

das vermeintlich Gegensätzliche<br />

zulässt. Von der Erotik bis zur Trauer,<br />

„schwarz tritt immer<br />

dort auf, wo die<br />

alltäglichkeit der<br />

norm auSSer kraft<br />

{gesetzt wird.“<br />

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<strong>flair</strong>: <strong>10</strong>/20<strong>10</strong> 63


lack issue farb-TALK<br />

von der Autorität bis zum Souverän:<br />

Schwarz beinhaltet alles. Das macht<br />

aber nicht die schwarze Farbe an sich,<br />

sondern diese Grenzwertigkeit, die sie<br />

repräsentiert. Das ist die Chance für<br />

die Mode: Weil man Schwarz so oder<br />

so interpretieren kann, gibt es alle<br />

möglichen Einsatzgebiete.<br />

<strong>Mayer</strong>: Das hat sich aber auch entwickelt<br />

in den letzten fünfzig Jahren …<br />

Spiegl: Man nehme zum Beispiel<br />

die 50er-Jahre: Da war alleine die<br />

Verwendung der Farbe Schwarz als<br />

Bekleidung schon so was wie ein<br />

Zeichen – „Ich bin am Rand der<br />

Gesellschaft“. Diese gewisse Exzentrik<br />

ist genau die Funktion, um die es geht.<br />

Und die gerät zusehends in die Krise.<br />

<strong>Mayer</strong>: Genau, denn wenn ich zu einem<br />

klassischen Event gehe, weiß ich: Mit<br />

dem schwarzen knielangen Kleid<br />

liege ich nie verkehrt, das funktioniert<br />

immer. Schwarz steht da fast schon für<br />

Anpassung. Wenn ich in Rot erscheinen<br />

würde, wäre das der eigentliche<br />

Grenzgang.<br />

„Modisch steht<br />

schwarz heute<br />

fast schon für<br />

anpassung. rot<br />

wäre da oft<br />

der eigentliche<br />

grenzgang.“<br />

Ich möchte erneut auf die Frage der<br />

Erotik zu sprechen kommen. Rührt<br />

da die Bedeutung von Schwarz vom<br />

Gegensatz zum unschuldigen Weiß?<br />

Spiegl: Erotik stellt auch so etwas wie<br />

einen Grenzwert dar – wenn man etwas<br />

berührt, das man in der Öffentlichkeit<br />

nicht berühren sollte.<br />

Bohatsch: Das ist natürlich kulturell<br />

bedingt. So wie die Farbe für Trauer.<br />

Gibt es Situationen, wo man<br />

unbedingt Schwarz tragen sollte? Und<br />

welche, in denen man das keinesfalls<br />

tun darf?<br />

Bohatsch: Bei Begräbnissen sind die<br />

Normen noch relativ streng, zumindest<br />

für Männer, und ich finde das auch<br />

ganz in Ordnung. Sie markieren, so wie<br />

Spiegl sagte, einen Ausnahmezustand.<br />

Durch diesen Kleidungskodex wird die<br />

Trauer kollektiv erfahren.<br />

<strong>Mayer</strong>: Also ich finde es nicht passend,<br />

wenn bei Hochzeiten ein Gast in<br />

Schwarz erscheint. Das ist eben doch<br />

mit Trauer besetzt. Es gibt da den<br />

ungeschriebenen Dresscode, eher in<br />

hellen Farben, aber eben nicht in Weiß<br />

zu kommen.<br />

Spiegl: Aber gerade diese Fragen<br />

lösen sich ja auf. Dahinter steht<br />

ein Gesellschaftsbegriff, der dafür<br />

plädiert, dass es keine Grenzen mehr<br />

gibt. Ich entscheide alleine, jenseits<br />

irgendwelcher Normierungen, was ich<br />

heute haben mag. Und genau damit<br />

verliert das Schwarz das Exzentrische,<br />

das es einmal hatte. Es normalisiert<br />

sich in den Farbrahmen hinein.<br />

Weil wir vorhin darüber gesprochen<br />

haben: Wenn man pubertiert, ist diese<br />

Exzentrik die Lebensaufgabe, die man<br />

hat. Also trägt man Schwarz …<br />

<strong>Mayer</strong>: Heute braucht man aber ein<br />

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lack issue farb-TALK<br />

„je schlechter<br />

wir uns fühlen,<br />

desto stärker<br />

ist das Bedürfnis<br />

nach farbe.“<br />

bisschen mehr als dieses Schwarz!<br />

Bohatsch: Genau. Ich habe einige<br />

Studenten, die kommen aus der<br />

Gothic-Szene oder vom Punk, da ist<br />

das Schwarz alleine nicht genug. Da<br />

kommen auch noch Tattoos, Frisuren<br />

und andere Accessoires dazu.<br />

Schwarz zu tragen reicht also nicht<br />

mehr zum Rebellieren, weil sich die<br />

Grenzen auflösen?<br />

Spiegl: Was sich auflöst, ist die<br />

Vorstellung eines Ordnungssystems,<br />

ob das jetzt schwarz, weiß oder rot ist.<br />

Es gibt einen Kanon – und wenn man<br />

Geschmack hat, dann hält man ihn<br />

einigermaßen ein. Wenn nicht, dann<br />

torpediert man ihn, bis zur Peinlichkeit<br />

hin. Genau diese Torpedierung gibt es<br />

aber kaum mehr.<br />

<strong>Mayer</strong>: Da stimme ich zu. Wo es für<br />

mich aber nach wie vor eine Bedeutung<br />

gibt, ist auf einer persönlichen Ebene.<br />

Mal fühle ich mich besonders gut,<br />

dann habe ich das Gefühl, dies mit Rot<br />

unterstreichen zu müssen; mal ist mir<br />

nach der schwarzen Kaschmirweste,<br />

in die ich mich hineinwickle, um zum<br />

Beispiel dem Bedürfnis nach Halt oder<br />

Sicherheit Ausdruck zu verleihen. Das<br />

hat mit Normen, mit der Gesellschaft an<br />

und für sich nichts zu tun.<br />

Für sich selbst kann man diese<br />

Farbpsychologie also durchaus noch<br />

anwenden?<br />

Spiegl: Als subjektive Figur, ja. Ich<br />

würde es nicht Farbpsychologie<br />

nennen, denn es handelt sich ja auch<br />

da um eine Frage der Sozialisierung.<br />

Es geht da darum, wie man eine Farbe<br />

kennenlernt.<br />

Bohatsch: Bei mir ist der Schwarzanteil<br />

an der Kleidung sehr hoch. Vielleicht<br />

bin ich da altmodisch, aber es geht<br />

schon ein bisschen gegen diese<br />

Buntheit, die Oberflächlichkeit. Man<br />

zielt eher in Richtung Tiefe und geistige<br />

Auseinandersetzung.<br />

Die Modeindustrie erfindet ja<br />

gerne neue Trendfarben. Und dann<br />

kommen immer Sprüche wie „Lila ist<br />

das neue Schwarz“ …<br />

Spiegl: Mich interessiert das auch, wenn<br />

es nicht von der Modebranche kommt:<br />

Woher kommt dieses Begehren, immer<br />

eine Farbe auszurufen?<br />

<strong>Mayer</strong>: Damit die Modejournalisten<br />

etwas zu schreiben haben! Nein, im<br />

Ernst: Es gibt auch Farbentwicklungen,<br />

die sehr viel mit anderen Ebenen<br />

zusammenhängen. Grob gesprochen: Je<br />

schlechter wir uns fühlen – Stichwort<br />

Krise –, desto stärker ist das Bedürfnis<br />

nach Farbe. Das kann ich von Saison zu<br />

Saison bei meinen Kunden beobachten.<br />

Spiegl: Hieße das, dass man an der<br />

Farbskalierung, die man trägt, die<br />

Gegenwärtigkeit erkennt? Also bei<br />

jenen, die um die Verflechtungen von<br />

Farben und Krisenökonomie Bescheid<br />

wissen. Und die, die unmodisch sind,<br />

laufen Gefahr, ihre eigene Gegenwart<br />

zu versäumen.<br />

<strong>Mayer</strong>: Die Frage ist, wie groß der<br />

Anteil der Bevölkerung ist, der das<br />

spürt – dieses „Jetzt steht die Farbe<br />

Lila für irgendetwas“. Ich halte davon<br />

eigentlich nicht viel. Es gibt aber<br />

manchmal Farben, die für uns neu<br />

sind, weil sie in einer bestimmten<br />

Verbindung so noch nicht da waren.<br />

Und daraus entsteht in weiterer Folge<br />

eine kommerzielle Entwicklung, die<br />

aber erst zwei Jahre später sichtbar<br />

wird. Dann sieht man diese Farbe<br />

erst in allen Kaufhäusern, in allen<br />

Auslagen.<br />

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