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Tourismus in geschützter Landschaft - FORUM ENGADIN

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<strong>Tourismus</strong> <strong>in</strong> <strong>geschützter</strong> <strong>Landschaft</strong><br />

Raimund Rodewald, Dr.Dr.h.c., Geschäftsleiter SL/Beirat Stiftung<br />

Terraf<strong>in</strong>a Oberengad<strong>in</strong><br />

Gönneranlass Forum Engad<strong>in</strong> und Stiftung Terraf<strong>in</strong>a Oberengad<strong>in</strong>, 12. Oktober 2013


Die nicht nachhaltige Siedlungs- und<br />

<strong>Landschaft</strong>sentwicklung (auch <strong>in</strong> <strong>Tourismus</strong>gebieten)<br />

Schwarzsee FR<br />

Miège VS<br />

Maloja


Beschleunigungsgesellschaft :<br />

1. Bevölkerung, Ansprüche und Wirtschaftswachstum<br />

Quelle: SECO 2013<br />

Quelle: ARE 2012<br />

Quelle: Die Geographen schwick + spichtig 2013


Beschleunigungsgesellschaft :<br />

2. Mobilität


Beschleunigungsgesellschaft :<br />

3. Soziale Beschleunigung<br />

Quelle: Hartmut Rosa 2013<br />

1. Technische Beschleunigung<br />

Dimensionen der<br />

Beschleunigung<br />

„Fast Food“<br />

„Speed Dat<strong>in</strong>g“<br />

„Power Naps“<br />

„Speed Surf<strong>in</strong>g“<br />

„Drive through<br />

funerals“<br />

3. Beschleunigung des<br />

Lebenstempos<br />

2. Beschleunigung des<br />

sozialen Wandels<br />

Entfremdung vom Raum, Entfremdung von den D<strong>in</strong>gen,<br />

Entfremdung von den eigenen Handlungen


Energie und <strong>Landschaft</strong><br />

350 WKA


Gründe für das Rechtsversagen<br />

„Die Unbestimmtheit der Normen macht es den rechtsanwendenden<br />

Behörden leicht, den Natur- und Heimatschutz im konkreten Fall den<br />

entgegenstehenden Interessen h<strong>in</strong>tanzustellen.“ (Riva 1980)<br />

„Das NHS-Recht im weitesten S<strong>in</strong>ne ist öffentliches Recht.(...) Die<br />

Verwaltung steht selber im Spannungsfeld vielfältiger fremder und<br />

eigener Interessen, denen sie sich nur sehr beschränkt zu entziehen<br />

vermag.“ (Riva 1980)<br />

„Erfahrungsgemäss besteht <strong>in</strong> der Verwaltungspraxis sodann e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Tendenz, dass wirtschaftliche starke Nutzungs<strong>in</strong>teressen<br />

gegenüber den primär ideellen Schutz<strong>in</strong>teressen den Ausschlag<br />

erhalten.“ (Marti 2008)<br />

„Die wohl zentrale Schwäche liegt im Umstand begründet, dass es<br />

ke<strong>in</strong>e subjektiven Rechte auf die unversehrte Erhaltung wertvoller<br />

<strong>Landschaft</strong>en gibt.“ (Riva 2013)


Konkrete Problematik: Verprivatisierung des Raums<br />

Privates Eigentum<br />

Öffentlich f<strong>in</strong>anziert (FABI 6,4 Mrd bis 2015,<br />

Infrastrukturunterhalt allg. ca. 20 Mia/J)<br />

• Attraktivität peripherer Wohnstandorte dank hoher Erreichbarkeit<br />

• Für höhere E<strong>in</strong>kommensschichten ist <strong>Landschaft</strong> (und EFH) wichtig<br />

• Immobilienmarkt als wichtiger Treiber der Siedlungsentwicklung<br />

• Höhere Immobilienpreise bei Sicht auf natürliche <strong>Landschaft</strong>selemente<br />

• Besonders grosse Wohnflächen an bevorzugten Lagen<br />

• Unterstützt die räumliche Segregation sozialer Schichten!


Grundproblematik des Bauens <strong>in</strong> <strong>Tourismus</strong>gebieten<br />

Liddes VS


Das Volk sagt seit Längerem Ne<strong>in</strong> zur <strong>Landschaft</strong>szerstörung<br />

Rothenthurm-Initiative (1986),<br />

Alpen<strong>in</strong>itiative (1994),<br />

Gewässerschutz<strong>in</strong>itiative/GSchG-<br />

Revision (2009)<br />

Zweitwohnungs<strong>in</strong>itiative<br />

(11. März 2012)


<strong>Landschaft</strong> wird zu<br />

e<strong>in</strong>em Marktfaktor


1. Paradoxie : <strong>Landschaft</strong>liche Schönheit als<br />

<strong>Tourismus</strong>kapital


Schönheit zerstört <strong>Landschaft</strong><br />

Attraktive <strong>Landschaft</strong><br />

erhöht Bodenpreis:<br />

Seesicht von 2000<br />

Hektaren = + 20 %<br />

höherer Wert<br />

(Zürcher Kantonalbank 2008)<br />

G.K. Chesteron: The man who is most likely to ru<strong>in</strong> the place he loves is<br />

exactly the man who loves it with a reason. The man who will improve<br />

the place is the man who loves it without a reason.


Der schöne Sche<strong>in</strong> der Täuschung


Heute ist das Ästhetikargument <strong>in</strong> den<br />

Bauordnungen nahezu nichtig<br />

Lenz<br />

Sils<br />

St. Moritz


Schönheit– e<strong>in</strong> verkäufliches Gut<br />

L. Hechenblaikner


Mehrfache Paradoxie<br />

<strong>Landschaft</strong>sverständnis beruht auf dem Schönen<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>e konkreten<br />

Ästhetikvorschriften für den<br />

Umgang mit <strong>Landschaft</strong>en<br />

Schweiz hat weder e<strong>in</strong><br />

<strong>Landschaft</strong>swissen noch<br />

e<strong>in</strong>e -strategie<br />

Bevölkerung hat e<strong>in</strong>e<br />

hohe Bewertung des<br />

landschaftlich Schönen<br />

Ästhetisches Resultat ist<br />

Zufallsprodukt des<br />

ökonomischen Zweckes oder<br />

des <strong>in</strong>dividuellen Geschmackes<br />

Gerichte stützen sich auf<br />

Ästhetikgutachten


Intragna/Campagna 2,5 ha E<strong>in</strong>zonung<br />

TRAM 2008<br />

Kle<strong>in</strong>wasserkraftwerk Brione<br />

Verzasca TRAM 2012<br />

„Nell‘ambito di una ponderazione<br />

globale degli <strong>in</strong>teressi, va da ultimo,<br />

sottol<strong>in</strong>eata l‘impresc<strong>in</strong>dibile<br />

esigenza, troppo spesso trascurata,<br />

di salvaguardare sufficienti spazi<br />

liberi per le future generazioni.“<br />

„Queste opere sono dunque<br />

atte a turbare il carattere<br />

selvaggio e naturale del<br />

fiume. Esse si trovano poi <strong>in</strong><br />

prossimità di una passerella<br />

pedonale, dunque visibili.“


Der schöne Sche<strong>in</strong> der Täuschung<br />

Rustici – e<strong>in</strong>e Sche<strong>in</strong>architektur simuliert die <strong>in</strong>takte Welt<br />

Isola (EP)


Der schöne<br />

Sche<strong>in</strong> der<br />

Täuschung<br />

<strong>Tourismus</strong> – Inszenierung und<br />

Trompe l’oeil statt<br />

Authentizität<br />

Luxus-Resort Am<strong>in</strong>ona VS


Die drei Ebenen des Sehens<br />

Informatives Sehen<br />

S<strong>in</strong>nliches Sehen<br />

Assoziatives Sehen (nach Lucius Burckhardt 1979)<br />

Analytischer Blick (Distanz)<br />

Physischer Blick (Unmittelbarkeit)<br />

Poetischer Blick (Symbolik/Komposition) (nach Girot und Wolf 2010)<br />

Vorikonographische Beschreibung (Bildmotive, Stimmungen, Semantik)<br />

Ikonographische Analyse (Konzepte, konventionale Bedeutung, Syntax)<br />

Ikonologische Interpretation (Symbolik, Pragmatik) (nach Erw<strong>in</strong> Panofsky 1939)<br />

Wiedererkennendes Sehen<br />

Sehendes Sehen (nach Imdahl 1979)<br />

Raimund Rodewald 22


Theorien der Schönheitsurteils<br />

„Biologische“ Theorien zur Erklärung der Schönheitspräferenz<br />

Habitat Theorie<br />

Prospect-refuge Theory<br />

Information-process<strong>in</strong>g theory<br />

Understand<strong>in</strong>g<br />

Exploration<br />

Immediate Coherence Complexity<br />

Inferred,<br />

predicted<br />

Legibility<br />

Psychologische Theorien<br />

Attention restoration theory (Kaplan & Kaplan): be<strong>in</strong>g away, soft fasc<strong>in</strong>ation, extent,<br />

compatibility<br />

Psychoevolutionary theory (Ulrich et al. 1991)<br />

Phänomenologie<br />

Die Präsenzkultur von Gumbrecht (2004)<br />

Kulturelle Regeln<br />

cultural stability-identity theory<br />

Identity-Process Theory<br />

Kulturell vermittelte Erlebnismodi<br />

Authentizität<br />

Persönliche Strategien<br />

Kreativität<br />

Mystery


2. Paradoxie: Sanfter <strong>Tourismus</strong><br />

versus Massentourismus<br />

Quelle Internet


Gibt es nachhaltigen<br />

<strong>Tourismus</strong>?


Fazit: <strong>Landschaft</strong>en (Orte gespeicherter Zeiten) werden zu<br />

kapitalisierbaren Gegenständen, ihr Veränderungsergebnis<br />

wird zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Geschmacksfrage reduziert


Im Oberengadion wird gebaut....<br />

Hotel Furtschellas, neue Signalbahn,<br />

E<strong>in</strong>kaufszentrum, Schanze, Hahnensee-Erschliessung,<br />

Ausbau Bahnhof<br />

St. Moritz, RhB-Doppelspur Poschiavo,<br />

Ausbau Val Bever, Höhentra<strong>in</strong><strong>in</strong>g-Wettkampfzentrum,<br />

MTB-<br />

Strecke Silsersee, Pistenkorrekturen<br />

und Zufahrten für Ski-WM 2017...


Schönheit ist nicht nutzlos<br />

<strong>Landschaft</strong>liche Attraktivität und Natur als Gesundheitsfaktor<br />

• In der Vergangenheit war Natur und Gesundheit eng verbunden<br />

• Immer mehr Menschen <strong>in</strong> Städten und Agglomerationen haben<br />

e<strong>in</strong> wachsendes Bedürfnis nach „nature for people“.<br />

• „Naturtourismus“ ist zu e<strong>in</strong>em wichtigen <strong>Tourismus</strong>zweig<br />

geworden.<br />

• „Open space“ ist <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren e<strong>in</strong> bedeutendes<br />

Thema der sozialen und präventiven Mediz<strong>in</strong> geworden.<br />

• Aaron Antonovsky fragte 1979 mit se<strong>in</strong>em Begriff der<br />

Salutogenesis wie Menschen Stress bewältigen und gesund<br />

bleiben können. Es stellt sich daher mehr die Frage, was die<br />

Gesundheit fördert mit Blick auf die Zivilsationskrankheiten<br />

Stress, Burn out und Übergewicht.


<strong>Landschaft</strong> als<br />

Gesundheitsressource<br />

Institut für Sozial- und<br />

Präventivmediz<strong>in</strong><br />

Abteilung Gesundheitsforschung<br />

... physische Gesundheit durch<br />

Wald<br />

Bäume<br />

Gewässer<br />

Geräuschkulisse<br />

Parks<br />

Gärten<br />

Quartiere<br />

<strong>Landschaft</strong><br />

fördert ...<br />

§ Bewegung <strong>in</strong> Alltag und Freizeit im<br />

urbanen und ruralen Raum<br />

§ motorische Entwicklung<br />

... psychische Gesundheit durch<br />

§ Erholung von Stress<br />

§ kognitive und emotionale Entwicklung<br />

§ Erzeugung positiver Emotionen<br />

§ Konzentrationsförderung<br />

... soziale Gesundheit durch<br />

§ Aneignung sozialen Kapitals<br />

§ kollektive Naturerfahrungen<br />

§ soziale Entwicklung


Fazit für die <strong>Landschaft</strong>sentwicklung<br />

Frische Luft<br />

Hohe Vegetationsdichte,<br />

Natürlichkeit,<br />

Gewässer, Wald<br />

Therapeutische<br />

<strong>Landschaft</strong>en<br />

Land-use Mix<br />

Öffentliche Zugänglichkeit<br />

Abwechslungsreich<br />

Vielfalt von Wegqualitäten<br />

Aussichtslagen<br />

Wetter<br />

Soundscape<br />

Mystery<br />

Ästhetisch ansprechende <strong>Landschaft</strong>en


Fazit für die Waldpraxis<br />

Ruhe<br />

Waldk<strong>in</strong>dergärten<br />

Komplexität der Waldbilder<br />

Vielfalt von Wegqualitäten<br />

Wildheit<br />

Aussichtslagen<br />

Gute Erreichbarkeit und Zugänglichkeit<br />

Mystery


Handlungsvorschläge Fokus <strong>Tourismus</strong><br />

1. Politischer E<strong>in</strong>satz für e<strong>in</strong> striktes Zweitwohnungsgesetz<br />

2. Lenkungsabgaben ZW e<strong>in</strong>führen<br />

3. Querf<strong>in</strong>anzierung der Hotels ohne freistehende ZW-Bauten<br />

4. Konsequenter Schutz der Hotels und der Hotelstandorte<br />

5. Strategie für den längerfristigen Erwerb ehemaliger Hotels (Alpenrose)<br />

6. Kont<strong>in</strong>gentierung für Surfer auf dem Silvaplaner- und St. Moritzersee<br />

(Internet-Ticketverkauf)<br />

7. Sanierung des Signalbahnareals mit Term<strong>in</strong>alfunktion an RhB-/Busse,<br />

aber ohne E<strong>in</strong>kaufszentrum<br />

8. Gestalterische Sanierung der Furtschellas-Talstation<br />

9. Mut zu entschleunigenden Angeboten


Handlungsvorschläge Fokus <strong>Landschaft</strong><br />

1. Def<strong>in</strong>itive Begrenzung der Bauzonen<br />

2. Durchgehende Revitalisierung des Inns<br />

3. Schutz des Silsersees vor Surfer und als Ruheort<br />

4. Schutz der Isola-Halb<strong>in</strong>sel<br />

5. Wanderwegerhaltung zwischen Maloja und Sils<br />

6. Ke<strong>in</strong>e Wasserkraftnutzung <strong>in</strong> den Seitenbächen<br />

7. Skulpturen<strong>in</strong>flation vermeiden<br />

8. Ballensilage reduzieren und Förderung vogelfreundlicher<br />

Wiesennutzung<br />

9. Verb<strong>in</strong>dung des BLN-Gebiets „Oberengad<strong>in</strong>er Seenlandschaft“ (Inntalostflanke)<br />

mit Nationalpark sowie E<strong>in</strong>bezug als Biosphärenreservat<br />

„Engad<strong>in</strong>/Nationalpark “<br />

10. Entfernung des Holzlagerplatzes vor San Gian<br />

11. Striktere Zufahrtsbeschränkungen <strong>in</strong>s Val Fex/<br />

Val Bever u.a.<br />

12. Förderprogramm für die Berglandwirtschaft<br />

und die Pflege der Kulturlandschaft (Terrassen,<br />

Trockenmauern, Auals, Weidwälder, Moore)


Danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

© J. K<strong>in</strong>dschi, Ftan

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